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Dokumentation | Ein Projekt der Schutzgebühr: € 15,–
Forschende Kunst 2:
Musik und Klang
2 Dokumentation Forschende Kunst 2 – Musik & Klang
Impressum
Herausgeber:
Zentrifuge e.V.
www.zentrifuge-nuernberg.de
Forschende Kunst ist ein Projekt der Zentrifuge
www.forschende-kunst.de
Mit Unterstützung durch das Förderprogramm „Ideen.kreativ.innovativ“
des Wirtschaftsreferats der Stadt Nürnberg.
Redaktion, V.i.S.d.P.:
Michael Schels
Texte:
Alessandra Brisotto, Marie Claude Ekotto, Sebastian Hillebrandt,
Eric Juteau, Otmar Potjans, Michael Schels, Robert Schlund,
Bastus Trump, Michael Wolf, Ronald Zehmeister
Gestaltung:
Robert Schlund | www.schlund-design.de
Fotos:
Katharina Hillebrand, Sebastian Hillebrand, Anna Mikaila,
Otmar Potjans, Michael Schels, Robert Schlund, Ronald Zehmeister
Druck:
flyeralarm.com
Auflage:
500 Exemplare
© 2014 Zentrifuge e.V.
Titelabbildung:
Festival „indukTiVe kopplung“ in der Zentrifuge
vom 23.11. bis 30.11.2013, Fotografie: Robert Schlund
Abbildung Rückseite:
Motiv der Einladungskarte zur Ausstellung „Beziehungsalchemie“
in der Zentrifuge, 2014, Gestaltung: Eckehard Fuchs
3Dokumentation Forschende Kunst 2 – Musik & Klang
Inhalt
Einführung
Michael Schels	 Seite 5
Musik und Klang
Robert Schlund	 Seite 6
TROPFEN
Alessandra Brisotto	 Seite 7
Das Wesen der Kreativität
Robert Schlund	 Seite 8–11
Der ästhetische Prozess
Michael Schels	 Seite 12–13
Die ästhetische Dimension als Innovationstreiber
Ronald Zehmeister	 Seite 14–15
Musik, morgen
Eric Juteau, Otmar Potjans	 Seite 16–18
Der unternehmerische Gründungsprozess
Marie Claude Ekotto	 Seite 19–21
Wissenstransfer
Sebastian Hillebrand, Bastus Trump	 Seite 23–24
Musik – Wahrnehmung und Spüren
Michael Wolf	 Seite 25–26
Teilnehmer und Autoren	 Seite 27
Essenzen	 Seite 28–29
Anhang
  – Protokolle	 Seite 30–33
  – Institut für ästhetisches Besinnen	 Seite 34
  – Literatur	 Seite 35
Dokumentation Forschende Kunst 2 – Musik & Klang
5Dokumentation Forschende Kunst 2 – Musik & Klang
Die Zentrifuge ist im Zuge einer
post­industriellen Transformation in
Nürnberg entstanden und steht damit
exemplarisch sowohl für lokale als
auch für globale Veränderungsprozes-
se. In einer verlassenen Industriehalle
hat sich die Zentrifuge während der
Entwicklung des Areals „Auf AEG“ als
Non-Profit-Organisation über mehrere
Jahre als treibender Akteur und Agent
des Wandels eingebracht und als
Impulsgeber für kreativwirtschaft-
liche und kulturelle Innovationen
bewiesen.
Die unentwegte Arbeit in kulturell-
gesellschaftlichen Zusammenhängen
hat zwingende Fragen aufkommen
lassen und den Drang nach Erkennt-
nis geschürt: Es geht uns um ein bes-
seres Verständnis vom Wert unseres
Tuns und damit um die Erhellung
und Pflege kreativer, schöpferischer
Prozesse.
Wir sind u.a. dem Wesen der Kunst
auf der Spur und fragen uns, was
sich von diesem Erfahrungs- und
Wissensschatz auf andere Bereich
der Wirklichkeit übertragen lässt.
Die Kunst erscheint uns – wenigstens
in theoretischer Hinsicht – als das
letzte Refugium von Freiheit. Sie ist
inspirierend bei der Gestaltung von
Freiräumen, in denen offene, kreative
Begegnungen stattfinden können. Mit
Hilfe und Dank der Kunst wagen wir
es, neue Wirklichkeiten anzustreben
und gestaltend tätig zu werden, ohne
dabei selbst Künstler im engeren Sinn
zu sein.
Die Motivation für unser Tun ziehen
wir aus der Freude bei der Entwick-
lung und Durchführung von Kultur-
projekten, aus dem Austausch mit
Künstlern, Ingenieuren, Unterneh-
mern und Wissenschaftlern und aus
der Begegnung mit begeisterungsfä-
higen Menschen. Auch die Auseinan-
dersetzung mit ästhetischen Theorien
sowie philosophischen und wissen-
schaftlichen Texten erfahren wir als
fortwährende Bereicherung.
Forschung mit Mitteln und aus
Perspektiven der Kunst
„Forschende Kunst“ ist ein grenzüber-
schreitendes, ästhetisch und gesell-
schaftlich ambitioniertes Projekt der
Zentrifuge. Mit Partnern aus Kunst,
Wissenschaft und Wirtschaft arbeitet
die Zentrifuge über einen längeren
Zeitraum heraus, wie „das Neue“ aus
der Kunst wirksam wird. Die Model-
lierung dieses Prozesses macht das
interdisziplinäre Arbeiten mit künst-
lerischen Mitteln fruchtbar.
„Forschende Kunst 1: umwelten“
hat im Sommer 2013 die Grundlage
geschaffen für ein differenziertes
und zielgerichtetes Verständnis des
Projekts. Diese erste Phase mündete
im Herbst in eine Ausstellung in der
Zentrifuge. In diesen interdisziplinä-
ren, interkulturellen Prozess waren in
der ersten Phase neben fünf ausge-
wählten Bildenden Künstlern (drei
aus Deutschland und zwei aus Italien)
auch zwei Vertreter des VDI/VDE, ein
Wissenschaftler der Uni Eichstätt, ein
Unternehmensberater, ein Zukunfts-
forscher, eine Schriftstellerin und ein
Journalist eingebunden.
Aus dieser Zusammensetzung und
dem in dieser Konstellation erarbei-
teten Know-how entstand – gefördert
durch die Wirtschaftsförderung
der Stadt Nürnberg im Rahmen des
Förderprogramms „Ideen.kreativ.
innovativ“ – „Forschende Kunst 2:
Musik“ mit dem Ziel, diesen Prozess
für Unternehmen und Organisationen
wirksam zu machen und Impulse für
ein neuartiges und nachhaltiges Inno-
vationsverständnis zu setzen.
„Forschende Kunst“ bringt „For-
schung“ und „Kunst“ in einen produk-
tiven Zusammenhang. Ziel dabei ist,
Menschen unterschiedlicher Diszi-
plinen und Lebenswelten zu einem
offenen Austausch anzuregen. Sie
bringen aus ihrer jeweiligen Perspek-
tive Wissen, Übung, Wahrnehmung,
Vorstellung und Intuition ein. In der
Summe können dadurch Erkenntnisse
gewonnen werden, die wiederum in
neue Projekte einfließen. Der Prozess
wird systematisch dokumentiert, die
Ergebnisse werden veröffentlicht.
Das Projekt „Forschende Kunst“ will
ein nachvollziehbares und fortwäh-
rendes Nachdenken darüber anregen,
was Menschen tun, wenn sie in ge-
meinsamen, konstruktiven Projekten
ihrer Kreativität und Intuition ver-
trauen. Dies geschieht aus der Über-
zeugung heraus, dass schöpferisches
und künstlerisches Arbeiten enorme
Potenziale für Innovationsprozesse
bietet. Dabei kommen auch philoso-
phische und ethische Dimensionen
ins Spiel: Was ist uns wirklich wichtig
und wertvoll und was sind wir bereit,
dafür zu tun?
www.forschende-kunst.de
www.zentrifuge-nuernberg.de
Bild links: Interaktive Elektro-Installation
„IndukTiVe Kopplung“ in der Zentrifuge, 2013
Text: Michael Schels
Einführung
6 Dokumentation Forschende Kunst 2 – Musik & Klang
Im Zusammenhang mit dem
Projekt Forschende Kunst 2
sei der Unterschied zwischen
„Musik“ und „Klang“ besonders
hervorgehoben: Diese Begriffe
sind in Hinblick auf den
Einsatz von Methoden bei der
Entwicklung von Innovation und
Kreativität unterschiedlich zu
betrachten und zu bewerten.
Bei der Musik geht es bekanntlich um
Strukturen, Harmonien, Komposition,
Handwerk, Melodien etc.. Hingegen
sind „Klang“ oder „Sound“ Begrif-
fe, die dies zwar auch implizieren
können, aber eben nicht nur: Musik
ist immer Klang, während Klang nicht
unbedingt Musik ist. Für die Musik
ist es wichtig, dass sie sich insofern
auf die kulturelle Geschichte einer
Gesellschaft bezieht, indem sie oben
genannte Aspekte aus der Histo-
rie aufgreift und entweder vertieft
oder weiter entwickelt. Hier ist der
Spielraum gegenüber dem Einsatz
von „Klang“ äußerst eingeschränkt,
was die Offenheit gegenüber einer
möglichen Kreativität eines Nicht-Mu-
sikers anbelangt, da besagter Spiel-
raum gegebene Strukturen, das nötige
Handwerk und anerzogenes Wissen
mit einbeziehen muss, während eine
reine Klangerzeugung erst einmal
weitgehend ungebunden und frei von
solchen Aspekten ist.
Für die Entwicklung einer Kreativi-
tät, wie sie in einer Gruppe angefragt
ist, die naturgemäß keine oder nur
vereinzelt Musiker aufweist (z.B. auch
in einem Unternehmen) wäre also die
reine Klangerzeugung zunächst expe-
rimenteller Art zielführender als der
Einsatz eines Metiers, der Handwerk,
Struktur etc. voraussetzt und der
deshalb in einer solchen Gruppe die
Kreativität eher blockieren würde.
Man stelle sich einfach einen Urmen-
schen vor, der zum ersten Mal mit
einem Holzstock gegen einen Felsen
schlägt und erkennt, dass dieser
Vorgang klingt. Er findet das zunächst
interessant, beeindruckend usw..
Aufgrund seiner Bewusstheit und
Intelligenz aber ist er in der Lage, das
Ganze zu verfeinern und weiter zu
entwickeln, bis Jahrtausende später
Dinge entstehen wie eine Stradivari.
Ein Nicht-Musiker hat also zunächst
etwas entdeckt, was der Weiter-
entwicklung würdig ist, was dann
entsprechende Spezialisten oder Ex-
perten tun. In seiner ursprünglichen
Erfahrung hat der Urmensch zwar
nicht beabsichtigt oder wissen kön-
nen, was letztendlich daraus entste-
hen kann, aber ohne seine Erfahrung
und den daraus entstandenen Impuls
hätte sich auch nichts getan. Eine
Stradivari aber kann nur ein Musiker,
Experte, Übender, Handwerker etc.
bauen bzw. bedienen, es muss aber
eben ein Musiker sein. Für Nicht-Mu-
siker (was die meisten Menschen von
uns sind) ist jedoch für das eigene
Tun nur die ursprüngliche Erfahrung
zugänglich und im kreativen Prozess
einsetzbar.
In unserem Projekt „Forschende
Kunst“ wollen wir ja Kreativität und
Innovatives erzeugen. Im Idealfall soll
eine kreative Produktions-Technik
und Entwicklungs-Methodik entste-
hen, und zwar ausgehend von etwas,
das klingt und über das Sinnesorgan
Ohr geht. Musikern gelingt dies eher
mit Musik und Nicht-Musikern eher
mit Klang. Musiker können also eher
eine Atmosphäre von Kreativität und
Innovation erzeugen, indem sie von
ihrem Handwerk ausgehend Neues
für die Musik schaffen (hier sei die
Improvisation als zielführendes Mittel
erwähnt), während Nicht-Musiker
diese Atmosphäre eher erzeugen
können, indem sie wie die Kinder
unvoreingenommen und frei agierend
in Klang eintauchen.
In unserem Workshop sind überwie-
gend klangliche Ausflüge entstanden,
denn es waren nicht nur Musiker
involviert. Hätte jemand gesagt, wir
müssten mit Musikinstrumenten
agieren, wäre das mehr als der Hälfte
der Teilnehmer schwer gefallen, da
Musikinstrumente mindestens unbe-
wusst mit bestimmten Erwartungen
von Können und Erlerntem in Verbin-
dung gebracht werden, was Nicht-Mu-
siker nicht bieten können und diese
erwartungsgemäß blockieren muss.
Musik und Klang
Zum Verständnis der beiden Begriffe
Text: Robert Schlund
Elektronische und akkustische Klangexperimente sind für jedermann möglich.Voraussetzung hierfür
ist vor allem ein offenes Gehör.
7Dokumentation Forschende Kunst 2 – Musik & Klang
Tropfen
Das Wasser wurde entdeckt,
denn es träumte so laut
und förmig
Von ihm tropfte
die Gestaltung der Welt
Es bremste
das Geräusch des Windes
Von oben nach oben
von unten nach unten
kam der Regenklang so weit entfernt
dass die Hände ihn fassen konnten
Sogar die Augen
sahen
die Note wachsen,
die stillen Büchsescherben
den Ton des Meeres trinken
und das Boot darauf
laut
in sich versinken
Alessandra Brisotto
8 Dokumentation Forschende Kunst 2 – Musik & Klang
Der Begriff „Kreativität“ lässt sich
nicht so leicht fassen oder definieren,
sondern eher umschreiben. Dies liegt
wohl daran, dass „Kreativität“ nichts
Eindeutiges und für jeden Menschen
Gleiches ist – der Zugang zu Kreativi-
tät ist immer individuell.
Im Laufe des nun folgenden Textes
wurden diese umschreibenden Begrif-
fe kursiv gesetzt, um die Bedeutung
des Begriffes „Kreativität“ in seiner
Tiefe zu verdeutlichen. In der Wort-
wolke auf Seite 29 können die wich-
tigsten Begriffe in einer Gesamt-Über-
sicht nochmals betrachtet werden.
Ziellosigkeit
Jeder Mensch hat einen anderen
Zugang zur Kreativität. Kreativität
ist in jedem Einzelnen von uns bereits
vorhanden und wartet nur darauf,
ausgedrückt zu werden. Das könnte
zusammenhängen mit dem Kinde in
uns, also unserem Ursprung, das nicht
aufgehört hat zu existieren und viel-
leicht vergessen worden ist. Mit dem
Erwachsenwerden und den vielen
Entscheidungen, die wir für unseren
Lebensweg treffen mussten, haben
wir den Bezug zu uns selbst verlo-
ren. Wir haben einen Filter in unsere
Wahrnehmung eingebaut, der uns das
Leben erleichtert, uns aber zugleich
von der Wirklichkeit entfernt.
Wie können wir Zugang zur einer
ursprünglichen Haltung finden? Wir
wissen, dass Kinder sehr gefühlsbetont
sind und intuitiv handeln, spielerisch
mit den Dingen und ihrem Gegen-
über umgehen und dabei alle ihre
Sinne einsetzen, die sich durch das
Spielen wiederum weiterentwickeln und
vertiefen. Sie sind spontan und pro-
bieren aus, improvisieren mit ihren oft
eingeschränkten Möglichkeiten und
sind dabei eben auf ihre Kreativität
angewiesen.
Kindliche Vorgehensweisen ent-
sprechen der Kreativität in vielerlei
Hinsicht, beziehen aber noch nicht
alle Aspekte ein. Kinder sind auch
nicht nur kreativ, denn sie können
durchaus zielgerichtet agieren, was
die Kreativität eher nicht tut. Denn
sie sind schon durchaus selbstbe-
wusst, mithin egoistisch auf gewisse
Dinge aus, die sie erreichen wollen,
haben bereits ihr Ego entdeckt, das
ihr Potenzial zu einer nachhaltigen
Kreativität einzuschränkt. (Von einer
ego-bezogenen Kreativität soll hier
nicht die Rede sein, da eine solche
Kreativität destruktiv sein kann –
siehe auch unter nächster Überschrift
„Die angemessene Haltung“.)
Die Ausrichtung auf einen Zweck
erfolgt beim Kind eher unbewusst.
Der einzige Zweck ist (quasi „instink-
tiv“) das sich Bewegen und Entwickeln,
damit all die Dinge erlernt werden,
die zum Leben benötigt werden.
Die Ziel- und Zweckgebundenheit
schränkt die Gesamtsicht auf die Dinge
meistens mit zunehmendem Alter ein
und schmälert damit die Kreativität,
welche Voraussetzung für innovative
Entwicklungen wäre. Innovationen
entstehen am besten, wenn die
Kreativität nicht von äußeren Zwängen
eingeschränkt wird, also auch nicht von
Erwartungen. Sie benötigt also eine
möglichst große Freiheit, damit aus
dem Nichts (zweckungebunden) ein Etwas
(offenes Ziel) entstehen kann, wenn also
die Dinge gefunden und nicht gesucht
werden. Diese Freiheit kann nur
gelebt werden, wenn auch die Dinge
selbst (vor)urteilsfrei betrachtet werden
können, also so, wie sie sind. Die Frei-
heit macht aber wiederum nur dann
Sinn, wenn wir behutsam und achtsam
mit allem umgehen, wenn wir der Welt
(oder im Sinne der Musik: dem Welten-
klang) zuhören, in sie hinein spüren.
Die angemessene Haltung
Frei aber achtsam sein heißt, eine po-
sitive Haltung gegenüber der Umwelt
einzunehmen. Es stellt sich in der
Auseinandersetzung mit der Kreati-
vität heraus, dass das Positive in einer
erfolgreichen Innovation sehr wichtig
ist. Denn wenn die positive, lebensbeja-
hende Richtung in der Grundhaltung nicht
gelebt wird, erhält man vielleicht
auch ein kreatives Ergebnis, das je-
doch zerstörerisch wirkt, im Umkeh-
reffekt die Kreativität selbst zerstört
und im schlimmsten Fall für egoisti-
sche Machtzwecke missbraucht wird.
Die Menschen streben aber im Grunde
nach Anerkennung – ob sie das nach
außen gewalttätig oder friedlich zu
erreichen versuchen. Zunächst ist
also die Kreativität in ihrer positiven
Auswirkung gefährdet.
Im Zusammenhang mit dem Gedan-
ken der Nachhaltigkeit können Men-
schen gesellschaftliche Anerkennung
dann dauerhaft erreichen, wenn sie
den positiven Teil der Kreativität
beachten. Dieser Bereich betont das
Aufbauende der Kreativität, während
der Missbrauch auf Dauer gesehen
die Zerstörung des Gegenstandes
und letztendlich sogar die Zerstö-
rung der Kreativität hervorbringt.
Für das Nachhaltige der Kreativität
ist also eine Haltung entscheidend,
die achtsam mit der Umgebung/Umwelt
umgeht und damit Verantwortung für
deren Erhalt übernimmt. Eine solche
verantwortungsbetonte Haltung ist
nur möglich, wenn sie authentisch und
nicht gespielt ist – ein Aspekt, der
gleichermaßen zur (nachhaltigen)
Kreativität gehört.
(Anm.: Das wäre die Voraussetzung
für eine positive, gewaltfreie Zukunft)
Alleinsein und Ruhe
Eine wichtige äußere Bedingung,
wenn nicht gar Voraussetzung für
das Entstehen von Kreativität ist die
Möglichkeit von Ruhe, Zurückgezo-
genheit, Alleinsein (können). Das sind
Voraussetzungen, mithilfe derer man
sich auf das Gegenwärtige konzentrieren
kann. Das Gegenwärtige als Fokus
und die Gegenwärtigkeit des Kreati-
ven, der in sich selbst ruht, sind für
Das Wesen von Kreativität
Kreativität als Lebensform und als Impuls für Innovation
Text: Robert Schlund
Das jedermann bekannte „Klecksbild“ drückt sehr
umfangreich aus, wie Kreativität funktioniert.
Nächste Seite: Für die Bildende Kunst kann dieses
Prinzip sehr nützlich sein
9Dokumentation Forschende Kunst 2 – Musik & Klang
die Entwicklung einer neuen Idee
unumgänglich. Empfindlich gestört
wird zwar dieses Sein im Jetzt durch
Unruhe oder Lärm von außen,
andererseits benötigt die Kreativi-
tät dennoch Anregung, jedoch wohl
eher von innen bzw. in der Gruppe von
einer gemeinsamen Konzentration auf
einen Gegenstand.
Befruchtend für Kreativität ist in
diesem Zusammenhang die Mög-
lichkeit, sich eine Zeit lang in stiller
Klausur zu befinden, um sich danach
mit anderen Interessensverwand-
ten, die sich idealerweise ebenso
in Klausur befanden, über einen
Gegenstand auszutauschen und
damit diesen so offen wie möglich
zu beleuchten und im Idealfall den
einfachen Kern der Sache besser und
leichter zu erkennen. Aus diesem
Prozess hin zu einem einfachen
Kern entsteht Klarheit und damit in
Folge authentisches, weil bewusst-kla-
res Handeln. Handeln und Praxis
sind für die Kreativität dabei wie
Nahrung, mit der sie sich weiterhin
aufrecht erhalten kann.
Offenheit
Wichtig für die Kreativität ist
nicht nur die Ziel- und Zweckfreiheit,
sondern auch die Wertfreiheit, z.B.
gegenüber Ängsten oder Ungewohn-
tem, gegenüber dem Anderen oder
der Unsicherheit. Für die Kreativität
ist es elementar, Ungewohntes zuzu-
lassen, Strukturen aufzulösen, Fehler zu
machen, Unbewusstes und Chaos zu-
zulassen, die Kontrolle aufzugeben und
auch Angst zu haben. Nichts sollte die
Kreativität davon abhalten, intuitiv
und ästhetisch und weniger analytisch
zu denken, damit auch Unerwartetes
und unlogisch Erscheinendes zuzulas-
sen. Das heißt auch, die Schönheit in
ihrer Unvollkommenheit zu erkennen.
Perfektion oder Vollkommenheit
extistiert für die Kreativität nicht,
weil sie anerkennt, dass es so etwas
nicht gibt, niemals geben wird. Man
sollte sich nicht von einer vermeint-
lichen Vollkommenheit blenden
lassen. Kreativität erkennt, dass sich
alles ständig ändert, sich immer auf
dem Weg befindet, der zwischenzeit-
lich den Anschein macht, ein Ende zu
haben, der aber nie aufhört. Die Welt
bleibt nur in ihrer Unfertigkeit beste-
hen und deshalb lässt sich die Krea-
tivität um so mehr von ihr zu neuen
Ideen inspirieren.
Muse
Es gibt neben der Wert- und Zweck-
freiheit noch eine weitere Freiheit, die
die Kreativität für sich beansprucht:
Es ist die Zeitfreiheit, auch Muse
genannt. Wie gesagt, braucht die Kre-
ativität für ihre Konzentration auf die
Aspekte der Welt nicht nur einen Frei-
raum in Ruhe und Zurückgezogenheit,
sie benötigt, um Ruhe entstehen zu
lassen oder eine entstandene Ruhe
für sich nutzbar zu machen, zunächst
Zeit – wenn nötig viel Zeit, gegebe-
nenfalls verschwenderisch viel Zeit
– und auch die Möglichkeit, nichts tun
zu dürfen. Dies ist in unserer heutigen
Zeit der zunehmenden Beschleuni-
gung (und des zunehmenden Aktio-
nismus) nicht leicht. Um so wichtiger
ist es, sich diesen Aspekt bewusst zu
machen, weil dieser für die Kreativi-
tät die wichtigste äußere Bedingung
überhaupt sein kann.
Dieses „Nichts-tun“ oder „Nichts-
tun-dürfen“ gewährleistet, dass man
Dinge entdecken kann, die bisher nicht
im Bewusstsein gewesen sind. Durch
das „Nichts-tun“ ist man unvorein-
genommen und findet einfach Dinge,
mit denen man nicht gerechnet hat,
die schon immer da waren, die aber
noch niemand beachtet hatte. Anders
ausgedrückt: Der Kreative sucht
nicht, sondern er findet, indem er sich
vornehmlich in der Welt der Intuition
und des Unbewussten oder sogar des
Nicht-Wissens bewegt und für alles
Kommende offen ist.
Man kann sich den Zeitaufwand,
der zu einem Geistesblitz führt, wie
einen Weg vorstellen, der einer langen
Wanderung bedarf – mit immer wieder
10 Dokumentation Forschende Kunst 2 – Musik & Klang
neuen, hoffentlich vorübergehenden
Irrwegen durch oft unwirtliches,
ausgetrocknetes Gelände. Auf diesem
Weg muss man viel Kraft, Ausdauer
und Geduld aufbringen und weiß nie,
ob man überhaupt auf dem richtigen
Weg ist. Diesen unbequemen Zustand
muss ein kreativer Mensch oder das
entsprechende Team aushalten kön-
nen, um wohlgemerkt nur eventuell zu
einem Ziel zu gelangen. Ein Kreativer
muss also einen langen steinigen Weg
ohne Garantie auf Erfolg akzeptieren kön-
nen, bevor er sich auf den Weg macht.
Um das zu können, darf er sich in
Bezug auf die Kreativität nichts vor-
machen. Was er braucht, um seinen
Weg durchzustehen, ist die Fähigkeit
zu Hingabe und Leidenschaft. Im Wort
„Leidenschaft“ steckt nicht umsonst
das Wort „Leiden“. Er muss also auch
bereit sein zu leiden, um etwas Neues
entdecken zu können. Diese Lei-
denschaft wird es ihm letztendlich
ermöglichen, Mut (zur Verzweiflung)
aufzubringen und Neuland zu entde-
cken.
Kreative Menschen benötigen somit
ein starkes Selbstvertrauen, um das
Vertrauen gegenüber der Welt aufzubau-
en, damit sie letztendlich doch mit
Erfolg belohnt werden. Falls der Erfolg
nicht eintritt, ist umso mehr Selbst-
vertrauen nötig.
Fazit
Verantwortungsbewusste und nach-
haltige Kreativität kann man am
ehesten dadurch erkennen, dass eine
Offenheit spürbar ist für alle Belan-
ge der Welt, dass sie sich nicht in
Verbissenheit, sondern in humorvol-
lem (und nicht zynischem) Umgang
äußert. Man darf von der Kreativität
nichts erwarten, damit sie kommen
kann, denn auch in einem erfolgrei-
chen Ergebnis wird sich herausstel-
len, dass die Lösung nie eine ganz
fertige sein wird. Dennoch verändert
und formt die Kreativität die Welt.
Sie kann die Menschen öffnen und
zusammenführen, Klarheit und
Gleichgewicht zwischen Verstand und
Gefühl schaffen und somit Identität
und nicht zuletzt den Teamgeist in
einem Unternehmen.
Kreativität und unternehmerisches
Handeln
Einer der ursprünglichen Aufgaben
bei „Forschende Kunst“ ist die Be-
handlung der Frage, wie man Krea-
tivität für Innovationen auch in der
Wirtschaft nutzbar machen könnte.
Der Weg kann hier über die Musik
oder den Klang führen – allerdings
weniger bei der gezielten Produktinno-
vation, sondern vielmehr im Bereich
der Human Resources.
Denn Produktinnovationen erfordern
Ergebnisse, die verkauft werden und
einem harten Konkurrenzkampf auf
dem Markt bestehen müssen. Die
Erwartung bei der Produktentwick-
lung, wertschöpfende Innovation zu
schaffen, blockiert die Kreativität, wie
wir sie verstehen, gleich zu Beginn
des Prozesses. Man kann bei Produkt-
innovationen zwar bewährte Kreati-
vitätstechniken anwenden – jedoch
können hier Musik oder der Klang nur
wenig ausrichten.
Was jedoch die „weicheren“ As-
pekte betrifft – gemeint sind die
beteiligten Menschen und nicht das
Produkt – wäre einem Unternehmen
durchaus geholfen, wenn man die
positiven Wirkungsweisen der Musik/
des Klanges durch die nonverba-
le und also durchaus ungewohnte
Kommunikation in ein Team ein-
fließen ließe. Die Qualität dieser
völlig andersartigen Kommunikation
könnte bei den Teilnehmern eine
Haltung der Unvoreingenommenheit
und des freien Umgangs miteinander
herbeiführen. Der Klang drängt den
Teilnehmern auf natürliche Weise
eine fast unausweichliche Gemein-
samkeit in einem klar abgesteckten
Zeitrahmen auf. Dies kann zu einem
positiven, weil Zugehörigkeit und
Freude schaffenden Erlebnis führen.
Die erlebte Zugehörigkeit (durch
gelebtes Vertrauen zueinander) und
das Gefühl der gemeinsamen Stärke
würde mit dieser Technik ein Team
dergestalt „zusammenschweißen“,
dass der so entstandene Teamgeist
zukünftig anstehende Probleme
leichter lösen kann. (Es kommt ja in
Teams nicht allzu selten vor, dass
man sich gegenseitig behindert oder
gar bekämpft und deshalb zu keinen
oder zu unbefriedigenden Ergebnis-
sen kommt). Für das Unternehmen
wäre es also durchaus denkbar, die
Kreativität der Musik/des Klanges für
ein besser funktionierendes Team zu
nutzen, das aus einer Entkrampfung
heraus – gegebenenfalls in Kombinati-
on mit mit weiteren Kreativitätstech-
niken – innovative Ideen entwickeln
könnte (siehe Grafik unten).
Musik als unausweichlicher Ausdruck
Unabhängig vom Thema „Kreativi-
tät“ sei auf den Aspekt der Zeit in der
Musik und im Klang hingewiesen,
der hier eine ganz besondere Qualität
entfaltet. In der Musikperforman-
ce offenbart sich der Ausdruck von
Musik zwangsläufig und in einem
klar festgelegten Zeitfenster, das
die Beteiligten in ein gemeinsames
Erlebnis zieht, dem man sich kaum
entziehen kann, da es nicht möglich
ist, die Ohren zu schließen und sich
zudem das Musik- oder Klangerlebnis
in einem gegebenen, unausweichli-
chen Zeitrahmen offenbart. Diesen
Effekt können nicht alle Künste für
sich beanspruchen. Vor Werken
der Bildenden Kunst beispielsweise
könnte man die Augen verschließen.
Insofern hat ein klangliches Erlebnis
sowohl etwas Verbindendes als auch
etwas Verbindliches.
Denkbare Interaktion zwischen der Kreativität (Kreis) und einem Unternehmen (Quadrat): Beide befinden sich in zwei verschiedenartigen Sphären. Nachdem
die Kreativität die Sphäre des Unternehmens durchdrungen hat, hat das Unternehmen eine sichtbar bessere Ausstrahlung.
Bild rechts: Vorbereitungen zum Festival für experimentellen Raumklang „Quadrophonia 1“ in der Zentrifuge am 21. und 22. Mai 2010 (Foto: Robert Schlund)
12 Dokumentation Forschende Kunst 2 – Musik & Klang
Die Zentrifuge hat sich im Laufe der
Jahre von einer Künstler- und Vernet-
zungsplattform zu einem Ideeninku-
bator und Impulsgeber für Innovation
entwickelt. Was anfangs noch vor-
wiegend intuitiv geschah, haben wir
zunehmend reflektiert und bewusst
ausgearbeitet. Besonderes Augen-
merk richteten wir auf die Ästhetik
– und zwar im eigentlichen Sinne des
Begriffs: „Wahrnehmung“. Wie nehme
ich meine Umgebung und mich selbst
wahr, wenn ich in einen freien Aus-
tausch trete? Was geschieht, wenn ich
mich von Vorbehalten frei mache und
mich einem unbestimmten Gesche-
hen mit größtmöglicher Achtsamkeit
hingebe? Wie kann ich meine schöp-
ferische Kraft entfalten und diese
im gemeinsamen Tun erfahren und
einbringen?
Mit „Forschende Kunst“ reflektieren
wir unsere Arbeit und legen dabei
Prozesse und Methoden frei, die sich
bei Entwicklungsprozessen normaler-
weise eher beiläufig oder unbewusst
abspielen. Ziel dabei ist, die Qualität
und das Potenzial unseres Tuns deut-
lich und für andere Zusammenhänge
fruchtbar zu machen.
Nach unserem bisherigen Erkennt-
nisstand ist der ästhetische Prozess,
wie wir ihn verstehen und einüben,
ein äußerst wirksames Verfahren, um
einen konstruktiven und nachhalti-
gen Austausch zwischen Menschen
als denkenden, fühlenden und
handelnden Wesen herzustellen. In
dieser Art von Begegnung erzeugen
wir eine Atmosphäre von Freiheit
und Sensibilität, aus der heraus Be-
griffe wie Authentizität, Inspiration
oder Identifikation mit Leben gefüllt
werden. Die Beteiligten kommen in
der Begegnung zu sich, werden für
geistige und physische Phänomene
sensibilisiert, erkunden ihre eigenen
Potenziale und die ihrer Mitmenschen
und lernen Möglichkeiten kennen,
sich abseits von Konventionen neu
auf die Welt einzulassen und sich
darin zu bewegen. Die Zentrifuge er-
weist sich mit „Forschende Kunst“ als
Trainingscenter und Labor für einen
einfühlsamen, achtsamen Zugang zur
Welt – und dies ohne ideologischen
Überbau, ganz aus uns selbst heraus.
Wir lernen uns dabei als Menschen
neu kennen und verstehen. Der äs-
thetische Prozess wirkt als Initiation
für Menschen, die ahnen, dass ihre
Möglichkeiten noch lange nicht aus-
geschöpft sind und die ihre Spielräu-
me im Denken, Fühlen und Handeln
erweitern möchten.
Wie gelingt nun ein solcher „ästheti-
scher Prozess“? Wir haben mehrere
Aspekte identifiziert, die wir für
grundlegend erachten: Interdiszi-
plinarität, Offenheit, Begegnung,
Achtsamkeit, Toleranz, Geduld,
Vertrauen, Mut. Und ganz besonders:
die Kunst. Beim ästhetischen Prozess
spielt nach unserem Verständnis die
Kunst eine wesentliche Rolle, da sie
exemplarisch für die Möglichkeit
steht, die Welt und ihre Gelegen-
heiten aus größtmöglicher Freiheit
heraus wahrzunehmen. Aus dieser
besonderen Wahrnehmung erwächst
ein existenziell höchst anspruchs-
volles Selbstverständnis, das die
Beteiligten geradezu dazu nötigt, sich
als Künstler zu verstehen und etwas
„Eigenes“ zu schaffen, was gemeinhin
einem Genius oder wenigstens einer
Inspiration entspringt. Solchen pro-
duktiv wirksamen Idealvorstellungen
können wir uns als begrenzte Wesen
nur annähern, doch legen wir bei For-
schende Kunst Wert darauf, dass der
ästhetische Prozess von Künstlern be-
gleitet wird, die diesen unbedingten
Anspruch an Freiheit und Ausdruck
wach halten und in mancherlei Hin-
sicht vielleicht sogar verkörpern.
Wir können und wollen hier keine Be-
triebsanleitung für Kreativitäts- oder
Innovationsprozesse liefern. Unsere
Darstellungen geben jedoch Hinweise
für gelingende Entwicklungspro-
zesse in Teams, Unternehmen oder
Organisationen. Diese Prozesse sind
(re-)produzierbar, aber aufgrund
der Freiheit, die wir von vornherein
fordern (müssen), sind die Ergebnisse
des ästhetischen Prozesses im Vorfeld
nicht absehbar und damit unkalku-
lierbar. Der ästhetische Prozess, wie
wir ihn verstehen, ist nur möglich,
wenn er ohne vorgegebene Ziele auf
den Weg gebracht wird. Vertrauen in
die konstruktive Kraft der Menschen,
die sich auf den ästhetischen Pro-
zess einlassen, setzen wir unbedingt
voraus. Wer dieses Vertrauen nicht zu
schenken bereit ist, wird den ästheti-
schen Prozess nicht erfahren und an
dessen Ergebnissen nicht teilhaben
können.
Implementierung
Wie kann nun ein solcher Prozess,
der per se keine vorgegebenen
Ziele zulässt, überhaupt als Prozess
installiert werden? Es lassen sich
einige Elemente identifizieren, die den
Rahmen bilden für einen Freiraum,
in dem der ästhetische Prozess zur
Entfaltung kommt. So kann man im
Vorfeld einen Bereich festlegen, dem
sich der ästhetische Prozess wid-
men soll – dies kann z.B. das Feld der
Organisation, der Produkt- oder der
Personalentwicklung sein. Je nach
Themensetzung entwickeln wir die
Zusammenstellung des Teams mit
einer interdisziplinären Mischung aus
internen und externen Teilnehmern.
Entsprechend der Philosophie von
„Forschende Kunst“ wird mindes-
tens ein Künstler (Musiker, Bildender
Künstler, Schauspieler o.ä.) in den
Prozess eingebunden.
Der ästhetische Prozess wird auf min-
destens drei Workshoptage angelegt,
bei denen alle Beteiligten durchgän-
gig dabei sein sollten – Ausnahmen
bestätigen die Regel. Der Prozess wird
von zwei im ästhetischen Prozess
erfahrenen Coaches moderiert, wobei
diese die Rolle eines teilnehmenden
Beobachters einnehmen, d.h. sie
bringen sich in den Prozess wie die
anderen Teilnehmer ein, reflektieren,
begleiten und dokumentieren ihn
aber auch. Aufgabe der Coaches ist es,
in die Philosophie des ästhetischen
Prozesses einzuführen, ein Bewusst-
sein für das schöpferische Potenzial
in jedem Einzelnen und im Team zu
schaffen und damit eine größtmög-
liche Offenheit und Achtsamkeit
herzustellen, was den ästhetischen
Prozess in Gang bringt.
Wirksamkeit
Auch wenn der ästhetische Prozess
bewusst ohne Zielvorgaben beginnt,
so tragen die TeilnehmerInnen doch
in sich bereits Potenziale für mögliche
Realisierungen, die sich im Laufe des
Prozesses zeigen, ausdifferenzieren
und transformieren. Der ästhetische
Prozess verlangt von jedem der Betei-
ligten eine größtmögliche Auseinan-
dersetzung mit der eigenen Wahrneh-
mung und den eigenen Möglichkeiten
und ebenso mit den Wahrnehmun-
Der ästhetische Prozess
Herleitung, Methodik und Praxis
Text: Michael Schels
13Dokumentation Forschende Kunst 2 – Musik & Klang
gen und Potenzialen der anderen.
In dieser Begegnung entsteht etwas
Neues, das nicht vorhersehbar ist, das
jedoch im gemeinsamen Austausch
geprüft und voran gebracht wird. Am
Ende des Prozesses entsteht ein im
freiwilligen Konsens und von allen
Beteiligten getragenes Ergebnis, das
die Basis für künftige Projekte und/
oder Maßnahmen bildet. Unterneh-
men oder Organisationen, die diesen
Prozess strategisch implementieren,
gewinnen einen Zugang zu bislang
ungeahnten Ressourcen, die nicht nur
als Ideen wertvoll sind, sondern die
auch nachhaltig sind, da sie von den
Beteiligten „im Innersten“ entwickelt
wurden und somit von diesen auch
vertreten und gelebt werden.
Der ästhetische Prozess erschließt das
intrinsische Potenzial eines Unter-
nehmens oder einer Organisation und
ermöglicht es den Beteiligten, sich in
ein originäres, verantwortliches und
selbstbestimmtes Verhältnis zur ei-
genen Arbeit zu setzen. Wer auf diese
Weise Mitarbeiter an der Entwicklung
des Unternehmens teilhaben lässt,
schafft eine Authentizität und eine
größtmögliche Potenzialentfaltung,
die im ganzheitlichen Sinne dem
Menschen UND dem Unternehmen
dient. Wir sind überzeugt: Unterneh-
men, die den ästhetischen Prozess
integrieren, beginnen von innen zu
strahlen und werden ganz neue Wege
gehen in Richtung einer nachhaltigen,
menschenwürdigen und empathi-
schen – mithin ästhetischen Zukunft.
Einer der ersten Charts zur Visualisierung des ästhetischen Prozesses
14 Dokumentation Forschende Kunst 2 – Musik & Klang
Dieser Artikel basiert auf einem
Zentrifuge-Workshop, der im März
2014 im Rahmen eines Business-Kon-
gresses zum Thema „Innovation und
Nachhaltigkeit“ durchgeführt wurde.
Dieser Workshop präsentierte Ergeb-
nisse, Erkenntnisse und Methoden
aus dem Projekt “Forschende Kunst”
und stellte diese zur Diskussion.
„Ästhetik“ ist ein vielschichtiger Be-
griff, der sich im Laufe der Geschichte
mit mehreren Bedeutungsebenen an-
gereichert hat. Ursprünglich stammt
der Begriff aus griechisch „aἴsthēsis“
(αίσθησις) und bedeutet schlicht „Wahr-
nehmung“ oder „Empfindung“.
Im 18 . Jahrhundert wurde die „Äs-
thetik“ als philosophische Disziplin
in den modernen Sprachgebrauch
eingeführt. Ästhetik stellt hierbei
eine eigenständige Weltinterpretation
neben etwa Rationalität oder Ethik
dar. Ein berühmter Vertreter ist bei-
spielsweise Immanuel Kant, der in der
„Urteilskraft“ ein Vermögen identifi-
ziert, das weder durch „theoretische“
oder „praktische Vernunft“ allein
ganz erklärt werden kann. Friedrich
Schiller sah in seiner Schrift „Über die
ästhetische Erziehung des Menschen“
in der Ästhetik gar das Mittel, um
den Menschen, modern gesprochen,
„ganzheitlich“ zu stimulieren und zu
bilden. Auch das, was man Sinn-Di-
mension nennt, wird auf spielerische
Weise eingelöst.
Heutzutage sieht man Ästhetik eher
als wissenschaftliche Lehre im Um-
feld von etwa „Design“. Man weiß,
was, warum und wie etwas ästhe-
tisch wirkt. Im Alltagssprachgebrauch
wiederum ist ästhetisch alles, was
mit „Verschönerung“ zu tun hat. Man
denke nur an das moderne Geschäft
mit körperlich-ästhetischer Perfekti-
onierung.
In den Workshops, die von der Zen-
trifuge durchgeführt werden, steht
die Ästhetik bewusst als besonde-
re, eigenständige, philosophische
Weltbetrachtung im Vordergrund:
als Wahrnehmung im ganzheitlichen
Sinn.
Die Frage nach einem speziellen
„ästhetischen Erlebnis“ ruft, wenn
man sich darauf einlässt, eine ganze
Reihe lebendiger Assoziationen
hervor. Es fällt zunächst auf, dass alle
Sinne beteiligt sind. Es handelt sich
um ein holistisches Erlebnis. Eine
Wertung im Sinne von „falsch“ oder
„richtig“ ist in diesem Zusammen-
hang letztlich zwecklos. Der Verstand
versucht zwar, zu argumentieren,
aber er merkt, dass seine Mittel nicht
ausreichen. Es ist kaum oder schwer
zu erklären, was einen ergreift – und
gerade das macht den Reiz ästheti-
scher Erlebnisse aus. Es handelt sich
um eine andere Logik, die auch eine
andere Art von Erkenntnis vermittelt.
In aktuellen Diskursen, die sich
mit Innovation und Nachhaltigkeit
beschäftigen, herrscht hauptsäch-
lich der Verstand vor. Das ist auch
durchaus deutlich spürbar. Logische
Argumente werden etabliert und aus-
getauscht, die Effizienz wird berück-
sichtigt, rationale Methoden erson-
nen. Die ästhetische Dimension wird
dabei gar nicht oder kaum in Betracht
gezogen. Dabei ist gerade sie ein
entscheidender Faktor bei erfolgrei-
chen Produkten und Dienstleistungen
– ganz besonders in der langfristigen
Die ästhetische Dimension
als Innovationstreiber
Text: Ronald Zehmeister
15Dokumentation Forschende Kunst 2 – Musik & Klang
Perspektive. Es lässt sich sogar die
These aufstellen: je ästhetischer ein
Erzeugnis, umso nachhaltiger ist es.
Dasselbe gilt auch für Innovation.
Mit einem drei-dimensionalen
Modell, das die ästhetische Dimen-
sion berücksichtigt, lässt sich eine
Bewertungs-Matrix erstellen, die sich
gut zur Analyse von Produkten oder
Dienstleistungen eignet:
Es sind Produkte denkbar, die nur
innovativ oder nur nachhaltig sind.
Manche Consumer-Electronics-Pro-
dukte setzen zum Beispiel hauptsäch-
lich auf eine schnelle Verbreitung
im Markt, wohl wissend, dass eine
höhere Leistung bald auch wieder
neue Begehrlichkeiten wecken wird.
Andererseits verschafft das Label
„Nachhaltigkeit“ Kaufargumente für
Produkte, die gar nicht unbedingt
innovativ sein müssen.
Sehr viel Wert wird im Moment auf
eine möglichst gleichwertige Beto-
nung der beiden Achsen „Nachhal-
tigkeit“ und „Innovation“ gelegt. Eine
entsprechende zweidimensionale
Matrix kann sehr gut ein Modell dafür
abgeben. High-Tech und gleichzeitig
Effizienz lauten in etwa die Schlag-
worte.
Doch was passiert, wenn man nun
zusätzlich auch die ästhetische
Dimension berücksichtigt? Nicht nur
im Sinne von Design wohlgemerkt,
sondern in ganzheitlicher Weise.
Es lässt sich feststellen, dass diese
Dimension eine Hebelwirkung auf die
beiden anderen Achsen haben kann.
Wer in die ästhetische Dimension
investiert, profitiert automatisch auch
im Sinne der Nachhaltigkeit und im
Sinne der Innovation.
Es lohnt sich, bestimmte Ikonen in
der Geschichte der Produkt-Welt oder
besondere Neuerungen der Kulturge-
schichte einmal nach diesem Modell
zu analysieren.
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16 Dokumentation Forschende Kunst 2 – Musik & Klang
In unseren Betrachtungen gehen
wir vom Wechsel des 19. Jahrhun-
derts in das 20. Jahrhundert aus.
Wir begründen mit einigen Beispie-
len den Weg der Demokratisierung
und Diversifizierung der Musik und
spüren daran orientiert dem Sinn
nach, den Musik für das Individuum
und die Gesellschaft morgen haben
kann. Unzweifelhaft hatten auch die
beiden schrecklichen Kriege einen
großen Einfluss auf das Geschehen
und die Entwicklung der Musik, wir
verzichten an dieser Stelle jedoch auf
diesbezügliche Betrachtungen.
Freiheit
Albert Einstein entwickelt die Rela-
tivitätstheorie, Sigmund Freud die
Lehre von der Psychoanalyse, der
erste Zeppelin wird gebaut, das Auto
entwickelt sich zum Massenprodukt,
Ronald Amundsen erreicht den Süd-
pol, die Titanic kollidiert mit einem
Eisberg.
Die technischen Errungenschaften
des 19. und 20. Jahrhunderts ermög-
lichten eine gewaltige Beschleunigung
der gesellschaftlichen Entwicklung.
So kam es in Folge der neuen Mög-
lichkeiten zu einer nie da gewesenen
Urbanisierung. Die Städte wuchsen
in rasantem Tempo, das Stadtleben
veränderte sich dramatisch.
Ein Beispiel für eine Entwicklung, die
neue Möglichkeiten schaffte, war die
Elektrifizierung der Beleuchtung. Es
ist sicher berechtigt, den Ersatz der
Kerze durch die Glühbirne als Symbol
für die grenzenlosen Möglichkeiten
und eine neue Dimension in der
Unabhängigkeit zu verstehen. Die
Menschen konnten ohne Risiken die
Nacht zum Tag machen. Das Stadt-
leben konnte jederzeit stattfinden.
Arbeiten, aber auch Feiern war nachts
möglich.
Menschen mit den unterschiedlichs-
ten Erfahrungen und Erwartungen
trafen auf begrenztem Raum zu-
sammen. Die Menschen wurden
weiterhin ausgebeutet und arbeiteten
viel. Aber es entwickelte sich auch
eine Arbeiter- und Armenpolitik, die
denen helfen sollte, die in Not gera-
ten waren. Die Menschen glaubten
an ihre Allmacht. Die Perspektiven
waren hervorragend, die Lust auf
Unterhaltung groß. Auf diesem Boden
entwickelte sich eine neue Kultur der
Unterhaltung. Das Kabarett entstand,
das Musical kam aus den USA nach
Europa. Damit wandelte sich Musik
zu einem großen Teil von der durch
die Aristokratie finanzierten Kunst
zu einem Kulturprodukt, das von
einer größeren Menge an Zuhörern
selbst finanziert wurde – finanziert
werden musste. Das hatte zur Folge,
dass diese Produkte mehr Menschen
gefallen mussten, der Maßstab für
die Durchführbarkeit aufwändigerer
Produktionen war die Popularität der
Aufführung. Die Ernsthaftigkeit der
Inhalte wich der leichten Unterhal-
tung und dem Amüsement.
Neben den gesellschaftlichen Verän-
derungen beschleunigten technische
Entwicklungen, die direkten Einfluss
auf die Musikproduktion hatten, die
Welt der Musik in atemberaubendem
Tempo. Aufnahmetechniken, Re-
produzierbarkeit von Musik, bis zur
Massenproduktion der Schallplatte
mit hoher Wiedergabequalität, revolu-
tionierten das Musikgeschehen. Nicht
zu vergessen das Radio für jeden.
Plötzlich konnte jeder zu jeder Zeit
auch in seiner privaten Umgebung
Musik hören.
War der Rezipient bisher gezwungen,
beim Entstehen der Musik anwesend
zu sein, ob im Opernhaus oder auf
der Kabarettbühne, konnte er nun an
jedem beliebigen Ort, zu jeder belie-
bigen Zeit, die auf Platte verewigten
Werke anhören oder das Programm
im Radio verfolgen.
Wir denken, dass in diesem Moment
eine erste Diversifizierung von Musik
in bis dahin ungekannter Dimension
passierte. Etwas Ungeheures war ge-
schehen. Die Musik als strukturierter
Klang war bis dahin stets Vergange-
nes, sie war nicht wiederholbar. Das
ist einer der wesentlichen Unterschie-
de zwischen visueller und auditiver
Wahrnehmung. Das Bild bleibt, der
Klang vergeht, ist stets Vergangenes.
Daher geben wir der Entstehung der
Musik eine weitreichendere Bedeu-
tung in unserem Verständnis von
Musik als Kunst. Mit einem einfachen
Beispiel können wir das nachempfin-
den: Gehen Sie ins Konzert, wohnen
Sie der Aufführung live bei, hören Sie
sich die gleiche Aufführung zu Hause
auf der hochwertigsten Anlage an –
Sie spüren den Unterschied. Wir müs-
sen beim Entstehen der Musik dabei
sein, um die Kunst darin zu spüren.
Hermann Hesse: Das Konzert
Die Geigen schwirren hoch und weich,
Das Horn klagt aus der Tiefe her,
Die Damen glitzern bunt und reich
Und Lichtgefunkel drüber her.
Ich schließe meine Augen still:
Ich sehe einen Baum im Schnee,
Der steht allein, hat was er will,
Sein eigen Glück, sein eigen Weh.
Beklommen geh ich aus dem Saal
Und hinter mir der Lärm verklingt
Von halber Lust, von halber Qual -
Mir blieb er unbeschwingt.
Ich suche meinen Baum im Schnee,
Ich möchte haben, was er hat,
Mein eigen Glück, mein eigen Weh,
Das macht die Seele satt.
Hermann Hesse. Die Gedichte, Band 1, suhrkamp
taschenbuch 381, Erste Auflage 1977, S.431
Noch etwas ist geschehen, auf einer
ganz anderen Ebene, eine Entwick-
lung, die heute wohl ihren Zenit
schon überschritten hat: Die wirt-
schaftliche und damit eine äußerst
mächtige Entwicklung.
Es kam der Vermittler zwischen
Musiker und Rezipient in die Welt. Die
Musik musste als Massenware produ-
ziert und verkauft werden. Der Verlag,
heute das Label, etablierte sich. Im
wirtschaftlichen Interesse wuchs
der Einfluss, den die Verleger auf die
Künstler nahmen und nehmen.
„…aus den Beatles (sind) zur Zeit der
Veröffentlichung des ‚Sergeant Pepper‘-Al-
bums exzellente Künstler geworden,
professionell, witzig, einfallsreich, genial.
Doch schon lange davor hatten sie aufge-
hört, Rockmusiker zu sein, nämlich als sie
sich nicht mehr um das scherten, was sie
sangen. Das Publikum hatte sichtlich einen
immensen Bedarf nach Beatles-Platten –
die Gruppe entsprach dem und veröffent-
lichte eine Platte nach der anderen. Doch
zu sagen hatten sie nicht mehr viel; also
amüsierten sie sich damit, herauszufinden,
auf wieviele verschiedene Arten sich nichts
sagen lässt.“
Gillett, Charlie. The Sound of the City: the Rise of
Rock and Roll, (Outerbridge & Dienstfrey) New
York 1970. S. 332. Zitiert aus Reebee Garofalo:
Die Relativität der Autonomie, Schriftenreihe
herausgegeben vom Forschungszentrum Populäre
Musik der Humboldt-Universität zu Berlin
Musik, morgen
Ein Plädoyer für die Kunst
Text: Eric Juteau, Otmar Potjans, Michael Wolf
17Dokumentation Forschende Kunst 2 – Musik & Klang
Erfolg orientiert sich an den Chart-
platzierungen und den Gewinnmög-
lichkeiten der Produzenten. Gut ist,
was gefällt und sich verkaufen lässt.
Man könnte darin eine gewisse De-
mokratisierung erkennen, wenn da
nicht die großen Machtunterschiede
wären. Die Musikindustrie nutzt die
Möglichkeiten, Stars zu pushen und
nicht selten erhalten die Rezipienten,
die zum Konsumenten degradiert
sind, Fastfood statt Kunst.
Dennoch hat eine Demokratisierung
stattgefunden – aus drei Gründen:
Erstens kann nun wie oben beschrie-
ben dank der Massenproduktion und
der Entwicklung populärer Darstel-
lungsformen jeder seine Musik hören,
zweitens ist es Dank der wirtschaft-
lichen Entwicklung immer mehr
Menschen möglich, ein Instrument zu
erlernen und zum Dritten entwickeln
sich entsprechend dem pluralisti-
schen Zeitgeist unterschiedliche Mu-
sikformen, die zum Teil mit einfachen
Mitteln und damit von mehr Men-
schen realisierbar sind.
Auf dem Weg zur Musik von morgen
Wieder einmal hat eine Revolution
stattgefunden. Waren es gestern noch
Schallplatten, Tonbänder und Kasset-
ten, speichern wir unsere Musik heute
auf unseren Telefonen oder machen
sie gleich selbst. Synthesizer sind aus
der Mode, der Instrumentenbauer
hat in dem Softwareentwickler eine
Ergänzung erhalten.
Früher musste man ein Instrument
beherrschen, wenn man komplexere
Musik erzeugen wollte als den eige-
nen Gesang, den man natürlich auch
pflegen muss. Ein Musikinstrument
beherrschen bedeutet jahrelanges
Üben. Zeit und Geld mussten inves-
tiert werden – in das Erlernen des
Instrumentes und in dessen Anschaf-
fung. Dieses Hindernis, Musik zu ma-
chen, gibt es nicht mehr. Heute kann
sich jeder mit geringen Kosten eine
App aus dem WWW herunterladen,
mit der er ohne große Vorkenntnisse
Musik erzeugen kann. Aufnehmen,
Bearbeiten und Verteilen sind heute
von Autodidakten mit gängiger Soft-
und Hardware zu realisieren. Das gilt
auch für Produktionen mit akusti-
schen Instrumenten.
Heute verfügt man prinzipiell über
die Mittel, Musik selbst zu produzie-
ren und zu veröffentlichen. Bei der
großen Reichweite des Internets wird
sich wahrscheinlich auch für das
absurdeste Werk eine Fangemeinde
finden. Will der Musikerzeuger aber
von seinen Werken leben, ist wieder
die Zahl der Zuhörer ausschlagge-
bend. Die Anzahl der Klicks bestimmt
die Einnahmen. Diesmal entscheidet
aber stärker die Masse als der Produ-
zent über den Erfolg. Einfluss durch
einen Vermittler gibt es nicht. Das
liegt dran, dass als „Vermittler“ der
Computer, der Server und die Ver-
bindung ins WWW fungieren. Aber
es geht nach wie vor um Popularität
– und wenn es um Popularität geht,
schreit das Medium Internet nach
dem Video. Diese Entwicklung wird
sich verstärken. Musikvideos, die man
am heimischen Computer produziert,
werden Massenware.
Es wird neue Möglichkeiten geben,
Klänge zu erzeugen, es wird neue
Strukturen geben, es wird eine
stärkere Verbindung der auditiven
mit der visuellen Darstellung geben,
der Vertrieb und die Kommunikation
werden sich direkt zwischen Musi-
kerzeuger und Rezipient abspielen. Es
wird immer einfachere und günstige-
re Soft- und Hardware geben, die das
Produzieren von Musik und Videos
vereinfachen und gleichzeitig raffi-
niertere Ergebnisse liefern. Es wird
Software geben, die mit Endgeräten
ganz neue Klänge erzeugen.
Diese unübersehbaren neuen
Möglich­keiten führen zu einer bei-
spiellosen Diversifizierung der Musik.
Bisher konnten wir noch unterschei-
den zwischen Liveprodukten und
Musik aus der Konserve. Wir konnten
sagen, dass wir Musik beim Entste-
hen erleben müssen. Und damit der
Aufnahme den künstlerischen Anteil
absprechen.
Intuitiv musizieren mit dem iPad: Das Orphion ist eine von Bastus Trump entwickelte Sound- und Percussion-App für Multitouch-Screens.
18 Dokumentation Forschende Kunst 2 – Musik & Klang
In Zukunft müssen wir wohl anerken-
nen, dass Musik, die für ein Medium
wie das Internet produziert wird, eine
eigenständige Form der Kunst ist.
Eine andere Form als die Musik, die
im Konzertsaal entstehen muss, die
nur dabei erlebbar ist.
Ähnlich radikal sieht es mit der
Demokratisierung aus. Jeder kann
Musik machen, jeder kann sich an
dem Urteil über das Werk beteiligen.
Das heutige Hörverhalten lässt jedoch
vermuten, dass sich die Kriterien bei
der Beurteilung der Musik auf das
eigene Wohlbefinden, auf die Stim-
mung und auf Motivation, die ich
aus dem Stück erhalte, beschränken
werden. Was mir gefällt und einfach
zu konsumieren ist, ist gut. Dass die
Gefahr der Fastfood-Abspeisung lau-
ert, ist offensichtlich. Aber vielleicht
sollten wir mit mehr Vertrauen in die
Zukunft blicken, schließlich wollen
heute immer mehr Fastfood-Liebha-
ber qualitativ hochwertiges Essen,
Salat und Vollwert statt schnelle, fette
Burger.
Was ist der Sinn des Ganzen?
Unterhaltungsmusik hat ihre Be-
rechtigung. Aber wie die heutige
Ökonomie verkauft sie Emotion ohne
Tiefgang und Intensität, ohne tiefe,
anhaltende Berührung. Sich damit zu
beschäftigen ist wie Fernsehschau-
en: nett, bequem, aber meist vertane
Zeit, Berieselung und Hintergrund­
rauschen. „Leider“ ist es mit dem
Hören anders als mit dem Sehen:
wir können kaum filtern – wie jeder
Besuch im Supermarkt mit seiner
Kauflustweckberieselung immer wie-
der aufs Neue beweist.
Andererseits macht gerade dieses
Nichtweghörenkönnen das Besondere
der Musik aus. Die Musik findet den
direkten Weg zu uns. Wir können uns
dem Klang nicht verschließen. Die
Musik trifft direkt auf unsere Seele.
Wir empfinden tiefste Gefühle, Trau-
er, Glück.
Ein Werk von hoher Komplextät und
Qualität kann aber noch viel mehr. Es
verschiebt die Grenzen der sinnlich
erkennbaren Welt Es schenkt uns
Empfindungen, die über das sinnlich
Erfahrbare hinausgehen: Schönheit,
Wissen, Verbundenheit, Universum,
Gott.
Hermann Hesse:
Weg nach Innen
Wer den Weg nach innen fand,
Wer in glühndem Sichversenken
Je der Weisheit Kern geahnt,
Daß sein Sinn sich Gott und Welt
Nur als Bild und Gleichnis wähle:
Ihm wird jedes Tun und Denken
Zwiegespräch mit seiner eignen Seele,
Welche Welt und Gott enthält.
Hermann Hesse
Die Gedichte, Band 1 suhrkamp taschenbuch 381,
Erste Aufiage 1977, S.433
Wir spüren, dass es nicht um uns
allein geht, wir spüren, dass es um
alles geht. Wir spüren, dass wir Teil
der Gesellschaft sind, Teil der Welt.
In diesem tiefen Empfinden erfahren
wir, dass es ein übergeordnetes Prin-
zip gibt, dass wir Teil eines Ganzen
sind, … was immer das sein mag.
Schönheit, Wissen, Verbundenheit,
Universum, Gott zu fühlen, in uns zu
finden, ist die große Chance für unser
gemeinsames Leben auf diesem Pla-
neten. Die Musik braucht dazu keine
Religion, keine Märtyrer und keinen
Prediger. Der Künstler ist der Bot-
schafter, der uns mit seinem Werk die
Harmonie in unsere Seele zurücklegt
und uns versöhnt mit uns selbst und
mit dem Universum.
Egal, ob es um die göttliche Botschaft
geht oder um die Sprache der Liebe.
Die Kunst hat die Chance, Wissen und
Verstehen über die Verbundenheit in
die Welt zu bringen.
Dafür müssen wir alle kämpfen, die
Gesellschaft, die Rezipienten und die
Künstler.
Die Künstler müssen unabhängig von
allen Systemen ihre Werke erschaf-
fen, sie müssen mutig ihrer Intuition
folgen und den Zugang zur Spirituali-
tät öffnen.
Die Rezipienten müssen sich voll Mut
und Neugier aufmachen, aufmachen,
um sich berühren zu lassen, aufma-
chen, um Neues zu finden. Wir alle
sollten uns auf eine führende Rolle
der Kunst in der Gesellschaft einlas-
sen.
Die Ausstellung „Beziehungsalchemie“ in der Zentrifuge thematisierte auch die nahezu alchemistische Arbeitsweise der Zentrifuge: Aus intuitiv erprobten,
durch Erfahrung angereicherten Vermischungen etwas Neues, Wertvolles schaffen. (Foto: Eckehard Fuchs)
19Dokumentation Forschende Kunst 2 – Musik & Klang
Im Zusammenhang mit dem unter-
nehmerischen Gründungsprozess
werden in der Theorie meist betriebs-
wirtschaftliche und rechtliche Grund-
lagen einer Unternehmensgründung
vermittelt. Parallel geben für ge-
wöhnlich erfolgreiche Unternehmer
und GründerInnen gute Einblicke in
die Praxis und berichten über ihre
Erfahrungen. Der Beratermarkt bietet
ebenfalls ein riesiges und differen-
ziertes Angebot an Beraterleistungen,
um UnternehmerInnen und Grün-
derInnen bei der Umsetzung ihrer
Geschäftsidee zu unterstützen.
Wie aber wird eine Idee definiert? Wie
wird eine Idee ausgelöst? Wie wird
aus einer Idee eine Geschäftsidee?
Woran kann ich eine durchdachte,
erfolgversprechende Idee erkennen?
Wie wird aus einer zündenden Idee
eine Geschäftsidee? Von solchen Fra-
gen wird der Gründer bzw. Unterneh-
mer nicht unbedingt erleuchtet, was
sein Engagement und seine inhärente
Motivation und Begeisterung betrifft.
Selbst wenn der Gründungspapst
Günter Faltin einen Schub an Motiva-
tion einbringt, indem er behauptet:
„Jeder kann ein Unternehmer werden.
Mehr als eine kreative Idee braucht
es nicht.“ In seinem Buch „Kopf
schlägt Kapital“ vertritt der Professor
für Entrepreneurship an der Freien
Universität Berlin darüber hinaus
die These, dass ein gut durchdachtes
Konzept auschlaggebender sei als das
Kapital.
Kreative Ideen zu haben und ein
durchdachtes Konzept zu präsen-
tieren, das verlangt Offenheit und
Ehrlichkeit sowie die Fähigkeit, sich
an Neues anzupassen. Der Unter-
nehmer muss auf seine Fähigkeiten
vertrauen können und seine Intuition
bei der Ideenfindung und -umset-
zung schärfen. Es handelt sich um
einen nie endenden Prozess, in den
sich der Unternehmer begibt. Unter
diesen Gegebenheiten vermischt sich
allmählich der Unternehmensprozess
als theoretisches und praktisches
Konstrukt mit der Kunst als schöpfe-
rischem Prozess. Denn in der Kunst
verfügt der Künstler über die Zeit und
schöpft die Möglichkeit aus, in Frei-
heit seine Ideen und Gedanken neu zu
hinterfragen, zu erproben.
Die so gewonnen Erkenntnisse über
den künstlerischen Prozess können
dem Unternehmer ermöglichen,
bewusster sein Unternehmensrisi-
ko einzugehen. Der Unternehmer
erhält ein besseres Verständnis für
sein zukünftiges Handeln und seine
anstehenden Tätigkeiten. Dank der
Kunst ergeben sich Möglichkeiten,
neue Begegnungen zu machen, neue
Zusammenhänge wahrzunehmen.
Der Unternehmer verfügt plötzlich
ohne großes Tun über Zeit, seiner Idee
schöpferische und innovative Gestalt
zu verleihen, ohne den Anspruch
zu haben, Künstler zu sein oder zu
werden.
Den unternehmerischen Prozess
ästhetisch gestalten
Forschende Kunst ist ein hoch
ambitioniertes Zukunftsprojekt der
Zentrifuge, das mit interdisziplinären
Teams arbeitet, um herauszufin-
den, wie überhaupt das „Innovative“
aus der Kunst Impulse holen kann.
Forschende Kunst geht der Kunst auf
die Spur und fragt sich, was sich aus
der Kunst auf die pragmatische Welt
übertragen lässt. Die Gründer der
Zentrifuge vertreten die Meinung,
Kunst sei das letzte Refugium von
Freiheit. Sie wollen nachvollziehbar
machen, was wirklich wichtig und
wertvoll ist und was für einen Preis
wir dafür bereit sind zu zahlen.
So habe ich nach dem Besuch des kre-
ativen Workshops „Forschende Kunst
2: Musik und Klang“ aus meinen tiefst
persönlichen Erkenntnissen festge-
stellt, dass ein Geschäftsplan mehr
als nur ein Zahlenhaufen ist.
Mit Hilfe des Business Models „Can-
vas“ hatte ich im Jahr 2013 in neun
Schritten eine Geschäftsidee auf die
Beine gestellt und schrittweise mit
der Partnersuche begonnen.
Die Organisation „Interkulturelles
Zentrum Mbalmayo/Nürnberg“, die
ich leite, hat das Hauptziel, Bildung
und Kultur in ausgewählten Ländern
wie z.B. Kamerun und Deutschland
sowie Frankreich aktiv zu fördern und
für jedermann/-frau durch Informa-
tionen und Projekte zugänglich zu
machen. Durch diese Dynamisierung
öffnen sich Möglichkeiten, Menschen
zu mobilisieren, die bereit sind, die
wirtschaftliche, soziale, politische
und kulturelle Entwicklung ihres
Viertels, ihrer Stadt, Ihres Land mit
innovativen und nachhaltigen Ideen
voranzutreiben. Die Idee dahinter ist,
dass die Menschen mehr Offenheit
für ihre Umwelt und ein Bewusstsein
für Gemeinsinn entwickeln. Zentrales
Element für die Umsetzung der Idee
ist das Eröffnen von Begegnungs-
zentren, in dem kreative Workshops
gehalten werden. Zeit, Können und
Erfahrungen werden als Hauptres-
sourcen eingesetzt, die die Motivation
und die Partizipation aller Bürger neu
definieren und ausrichten können.
Die Ideen münden in Projekte ein,
die die Entwicklung der direkten
Umwelt effektiv steuern. Es geht
z.B. um Schlüsselfaktoren, die eine
generationsübergreifende Entwick-
lung wesentlich beeinflussen: Schulen
und Bildungsstätten, Kultur, Verkehr,
Infrastruktur, Wohnen, Industrie,
Landwirtschaft, Ordnung, Energie,
Tourismus etc.
„umwelten“ durch persönliche
Veränderung
Auf der Partnersuche für mein Projekt
ist mir Michael Schels, der Gründer
der Zentrifuge, begegnet. Dass wir zu-
sammenarbeiten wollen, war im ers-
ten Gespräch klar. Und so bin ich dan-
kenswerterweise nach nur kurzer Zeit
zum Workshop „Forschende Kunst 2“
eingeladen worden. Ich war gerne mit
Herz und Seele dabei, da ich tief in
mir spürte, dass meine Geschäftsidee
mehr als nur einen Businessplan mit
Zahlen und Zeitstrahlen erfordert.
Aber was zusätzlich sein sollte,
konnte ich zu diesem Zeitpunkt gar
nicht mit Worten ausdrücken. Anstatt
ein Gründerseminar zu besuchen,
was gewöhnlich üblich ist, saß ich an
einem Samstag in den Räumen der
Zentrifuge und durfte mich mit einer
netten Gruppe über Musik und Klang
austauschen.
Dass ich Klang von mir aus erzeu-
gen und dass ich noch sensibler sein
könnte, was Musik und Klang und
sogar Kreativität angeht, davon habe
ich mich erst während dieses Work-
shops überzeugen können. Was hat
das denn mit einem Businessplan
Der unternehmerische
Gründungsprozess
Text: Marie Claude Ekotto
20 Dokumentation Forschende Kunst 2 – Musik & Klang
oder einer Geschäftsidee zu tun?
Eine Antwort auf diese Frage, die
ich gerne über diese Dokumentation
teilen möchte, habe ich erst am Ende
des Workshops erhalten: Meine Ge-
schäftsidee hat eine innovativere und
kreativere Note bekommen, ja eine
humanere Gestalt angenommen.
Die Art und Weise, wie ich längerfris-
tig Menschen für meine Idee begeis-
tern kann, lag mir endlich klar vor
Augen: Kunst, Sport, Geographie und
Geschichte, Austausch sowie Werte,
die ich gerne durch meine Arbeit ver-
treten möchte, sind der Leuchtturm
meiner Aktion. Der Mensch und seine
Umwelt sind die Schlüsselbegriffe,
die ich mit einfließen lassen muss,
wenn ich meine Idee mit Begeisterung
weiterverfolgen möchte.
Ohne selbst Künstlerin zu sein, habe
ich den Weg der Offenheit einge-
schlagen. Die Angst, den Gründungs-
prozess nie beenden zu können, die
Angst, nicht perfekt zu sein, war auf
einmal vom Tisch und so folge ich
seitdem mit aller Herzlichkeit und
Offenheit bei jeder anstehenden be-
ruflichen, privaten und unternehme-
rischen Entscheidung meiner Intuiti-
on und meiner Kreativität. Ich habe es
gewagt, kreativ zu sein. Der schöpfe-
rische Akt hat in mir viele Potentiale
freigesetzt und Freiräume eröffnet.
Mein Ich als Forschungsobjekt
Der Prozess der Kreativität ver-
langt intensive Selbsterkenntnisse.
Selbsterkenntnis verlangt wiederum,
ob man es will oder nicht, Schlüs-
se zu ziehen, Dinge zu beobachten,
das Wahrnehmen mit allen Sinnen.
Es war am Anfang des Workshops
ein sehr unangenehmes Gefühl, als
Untersuchungsobjekt zu fungieren.
Zumal mir es in erster Linie um das
Vorantreiben meiner Geschäftsidee
im Bereich Bildung und Kultur ging.
Die während der Workshops er-
zeugten Klänge haben bei mir eine
Erinnerungsfunktion freigesetzt.
Erinnerungen an Momente, in denen
ich frei und unbekümmert Töne mit
ungewöhnlichen Gegenständen (Cola
Flachen) erzeugt hatte. Ich konnte
während dieser Workshops Kreativi-
tät erleben, spüren, schmecken und
erfahren.
Das Gefühl der Mitte hat die „Not-
wendigkeit“ verdrängt, mich immer
entscheiden zu müssen. Ich begegne
heute der Fülle des Lebens in ihrer
ganzen Vielfalt. Ich bin wertungsfrei
gegenüber Unbekanntem. Die große
Herausforderung dabei ist, die ange-
lernten Strukturen mit der Kreativität
zu vereinbaren. Durch den nie enden-
den Prozess der Kreativität lerne ich
allmählich, das Geschaffene immer
wieder zu reflektieren. Erst dann
tauchen die wesentlichen Fragen auf:
Was ist mir wichtig? Was ist mir nütz-
lich? Somit schaffe ich auch Klarheit
über mein Handeln und meine gesell-
schaftliche Verantwortung innerhalb
meines beruflichen und privaten
Bereichs. Damit schaffe ich es auch,
klare Grenzen zu ziehen, innerhalb
derer mein „Interkulturelles Zentrum
Mbalmyo/Nürnberg“ Verantwortung
zu tragen hat. Innerhalb der Gruppe
habe ich weitgehend gelernt, frei von
Blockaden gewonnene Erkenntnisse
zu formulieren. Mein Wahrneh-
mungsvermögen wurde geschärft,
indem ich intensiv gelernt habe, Unsi-
cherheit zuzulassen und mich auf das
Wichtige zu konzentrieren.
Seit dieser reichen Erfahrung, meiner
Kreativität freien Lauf zu lassen, wird
meine Motivation zu agieren, über-
wiegend innerlich gesteuert. Unbe-
antwortetes macht mich offen für
andere Disziplinen und Sichtweisen.
Ich nutze jetzt die Gruppendynamik,
um für unbeantwortete Fragen erste
Antworten zu suchen.
Ausgehend von diesen Erfahrungen
und Selbsterkenntnissen habe ich
einen zweiten Businessplan nach
Canvas ausgestellt, der ja erst den An-
fang meines Vorhabens darstellt. Aus
systematischen Gründen habe ich im
Folgenden beide Modelle zusammen-
gefasst. Die orange markierten Texte
stellen die Ergänzungen nach dem
Besuch des Workshops dar.
Canvas Model
Geschäftsidee der Errichtung eines
Interkulturellen Zentrums Mbalmayo/
Nürnberg nach Erkenntnisgewinnung
aus dem Projekt „Forschende Kunst“ 1
und 2 (siehe Tabelle).
Fazit
Kreativität und Innovatives haben
sich vermischt. Durch den kreativen
Prozess haben sich meine persön-
lichen Einstellungen zum Positiven
verändert. Ich begegne der Vielfalt der
Welt wertungsfreier. Diese persönli-
chen Veränderungen haben wieder-
um einschneidende Veränderungen
auf unternehmerischer Ebene. So
habe ich gewagt, Kunst, Geographie
und Geschichte als Schlüsselfaktoren
zur Motivation meiner Zielgruppe zu
definieren.
Innerhalb der interdisziplinären
Gruppe der Zentrifuge, der ich ange-
hören durfte, habe ich gespürt und
erlebt, wie sich der Zugang zu Kunst
auf das Wahrnehmungsvermögen
der Teilnehmer ausgewirkt hat. Die
Wahrnehmung ist zwar eine indivi-
duelle Angelegenheit, aber die Kunst
regt die Zuneigung zum Ästhetischen
an. Durch Kunst und durch die gestei-
gerte Wahrnehmung und die damit
verbundenen Reaktionen wird der
Kreativität Tür und Tor weit geöffnet.
Für Informationen über das „Interkulturelle
Zentrum Mbalmayo/Nürnberg“ I.Z.M.N. besuchen
Sie bitte folgende Internetseite:
www.culturcentermbyonbggrenoble.jimdo.com
21Dokumentation Forschende Kunst 2 – Musik & Klang
Geschäftsidee der Errichtung eines Interkulturellen Zentrums Mbalmayo/Nürnberg/Grenoble nach Erkenntnisgewinnung aus dem Projekt „Forschende Kunst „ 1 und 2 (Canvas Model)
Die wichtigsten Partner
– IDEA-Labs (Frankreich)
– CEA Grenoble technologische
Innovationsplattform
– Innovationsministerium
Kamerun (CNDT)
– Finanzdienstleister
– Universitäten
Kulturzentren in Kamerun/
Deutschland/Frankreich
– Gospelinstitut Grenoble
– Zentrifuge Nürnberg
– Kreative Plattformen
– Forschungsinstitute für
Entwicklungspolitik
– Schulen
– Institut für Geographie
und Geschichte
Die wichtigsten Aktivitäten
– Beschleunigung der Innovation
unserer Partner
– Stärkung des Innovationspo-
tentials der FE-Abteilungen
durch externe Partnerschaften
– Management des geistigen
Eigentums durch gezielte
Informationsgewinnung
– Innovative Wirtschaftsmodelle
entwickeln
– Know-how- und Wissens­
transfer zwischen Deutsch-
land/Kamerun/Frankreich
– Kooperative Nutzung von
Infrastrukturen für FE
Aktivitäten
– Begleitung von Startups in
Kamerun
– Begeisterungspotential und
Kreativitätspotential bei
Einzelpersonen entwickeln
und fördern
Werte/Nutzenversprechen
– Erweiterung des geschäftlichen Horizonts
unserer Partner durch Nutzung intensiver
Netzwerkverbindungen
– Ausgeprägte Innovationskultur ermöglicht
Partnern, sich mit innovativen Lösungen auf
dem Markt zu behaupten
– Reduzierung der Opportunitäts- und
Informationskosten
– Flache Kommunikationswege begünstigen
einen reibungslosen Austausch auch mit
Wettbewerbern
– Dynamisierung der kollektiven Intelligenz
und des kollektiven Könnens
– Schnelle und effektive Durchführung von
innovativen Projekten
– neue Absatzmärkte
– Gemeinsinn anregen durch Verfolgung gesell-
schaftlicher nachhaltiger Veränderungen
– Zusammenführen verschiedener Disziplinen,
die getrennt und ineffizient nebeneinander
gehandelt haben
– Verfolgung von langfristigen Zielen, die über
das eigene Spektrum hinaus gehen
– Vereinbarkeit von Innovation und Vielfalt
– Ermutigung, Inspiration und Einladung der
Führungsverantwortlichen über den Teller-
rand hinauszuschauen
Partnerbeziehungen
– direkte menschliche Inter-
aktion
– Betreuung kameruner Partner
vor Ort
– individuell anpassbare
Innovationsworkshops
– intensive Nutzung von Show
Räumen, um eigene Ideen zu
visualisieren
– Austauschplattform im Web
– Regelmäßige Audits im Bereich
Innovation inkl. Berichtswesen
– Branchenvergleich
– Kooperative Marktüber­
wachung
– regelmäßige Fachvorträge
– Künstlerischer/historischer/
geographischer Austausch
Segmente
– Energie
– Wohnen und Bauen
– Telekommunikation
Kunst
Aus- und Weiterbildung sowie
persönliche Entwicklung
Tourismus und Städteentwick-
lung
Die wichtigsten Ressourcen
– Hervorragender Sachverstand
der Gründungsmitglieder
– Internationales breites
Netzwerk
– Interkulturelle Kompetenz
– Technologische Infrastruktur
– Kreative Räume
– Showräume
– Finanzielle Unterstützung
– Zeit, Wahrnehmung, Kreativi-
tät, Achtsamkeit
Kommunikations- und
Vertriebskanäle
– Seminare und Arbeitskreise
– Workshops und Co-Working
– Fachmessen
– Exploration
(Learning Speditions)
– Coaching und Training
– Innovationsabende
– Publikationen
– Telefonische Betreuung
Kunstveranstaltungen
– Innovative Workshops
(Z-Prozess)
– Werkstatt Lernen der Zukunft
– Bildungsstätte eröffnen
Kostenstruktur
– Personal
– Informationssammlung
– Reisen und Meetings
– Infrastruktur Showräume
– Technologische Infrastruktur
– Werbemittel
– Künstlerische Aktivitäten
(Modemacher, Musiker, Zeich-
ner, Maler, Architekten u.a.)
– Zusammenarbeit mit Geogra-
phen und Historikern
Einnahmenquellen
– Mitgliedsbeiträge von Partnern
– Spenden
– individuelle Beratungsaufträge
– Eintritte Fachmessen
– Einnahmen aus der Begleitung
von Startups in Kamerun
– Staatliche und private
Zuwendungen
Bild links: 4-Kanal-Raumklanginstallation zum Festival „indukTiVe kopplung“ in der Zentrifuge vom 23.11. bis 30.11.2013
23Dokumentation Forschende Kunst 2 – Musik  Klang
Kunst und Wissenschaft. Seit Jahr-
hunderten stehen sich diese Gegen-
pole mit ihren spezifischen Metho-
den und Perspektiven auf die Welt
gegenüber, beäugen und analysieren
sich. Bei näherer Betrachtung exis-
tiert jedoch eine genaue Abgrenzung
genauso wenig wie “die Kunst” oder
“die Wissenschaft” in ihrer singulä-
ren Form. Vielmehr scheint es eine
Gewichtung verschiedener Wahrneh-
mungsmodi und Darstellungsformen
zu geben, die dem Forschen einen
stärkeren wissenschaftlichen oder
künstlerischen Charakter verlei-
hen. Werden in den künstlerischen
Dimensionen zumeist Erkennensgrö-
ßen über das unmittelbare Erfahren
des Jetzt und potentieller Ereignisse
ermöglicht (Ästhetik), beschreiben die
wissenschaftlichen Dimension ver-
mehrt das Erkennen durch reflexive
und retrospektive Betrachtungswei-
sen (Vernunft). Die Schnittflächen
und Transformationen in den Grenz-
bereichen der jeweiligen Wissensfor-
men sind jedoch groß und bergen das
Potential für ganzheitlichere Ansätze
in Kunst, Wissenschaft und Gesell-
schaft (Moral).
Vernunft
Kunst als Wissenschaft und Wis-
senschaft als Kunst. Die seit langem
tradierte Bindung des ungleichen Paa-
res wird in den letzten Jahren durch
die institutionelle Auseinanderset-
zung im Rahmen von Bologna auf
ein Neues diskutiert. Dabei steht vor
allem die Frage im Vordergrund, wie
Forschung im Allgemeinen und im
Besonderen an Kunsthochschulen ge-
staltet, etabliert und von Forschungs-
fördertöpfen finanziert werden kann.
Gemäß der gesellschaftlichen An-
forderung einer Wissensgesellschaft
wurde hierfür vor allem die Frage des
künstlerischen Wissens und Erken-
nens auf den Prüfstand gestellt und
in zwei unterschiedlichen Diskursen
wieder aufgegriffen:
Während in den Geistes-, Gesell-
schafts- und Wirtschaftswissenschaf-
ten schnellstmöglich künstlerisches
Wissen diskutiert und (wenn auch
etwas vorschnell) künstlerische
Praktiken interpretiert und imple-
mentiert wurden, sind vor allem die
Kunsthochschulen gegenüber dem
bisherigen Forschungsmonopol der
Universitäten in eine Art Legitimati-
onszwang geraten und subsumieren
unter dem Begriff der “künstlerischen
Forschung” Bestrebungen zur Objek-
tivierung und Bemessung von Kunst
und künstlerischer Praxis zur Einglie-
derung in den Wissenschaftsduktus.
Beide Systeme eint hierbei die kli-
scheehafte Implementierung des
Anderen, um den Arbeitsweisen einer
an kreativen Belangen ausgerichte-
ten Gesellschaft gerecht zu werden.
Bedient man sich jedoch weniger
dem Anderen als dem Fremden, als
vielmehr den gemeinsamen Denkhal-
tungen, so lässt sich mit dem “practi-
cal turn” und der Hinwendung zur
Kultur in den Kultur- und Geisteswis-
senschaften ein Verbündeter für das
Künstlerische und die künstlerische
Forschung finden. In den Vordergrund
strebt dann nicht mehr die Frage
nach dem richtigen System, sondern
vielmehr das Forschen als kulturelle
Praxis schöpferischen Tuns.
Es darf durchaus gefragt werden, wa-
rum wir weiterhin die geschichtlich
geprägte und in den Naturwissen-
schaften geteilte Objektivierbarkeit
von Erkenntnissen als vermeintlich
scharfe Trennlinie zwischen Kunst,
Wissenschaft und Gesellschaft anse-
hen. Forschende Kunst fängt genau
bei dieser Frage an. Anstatt sich für
einen Mangel an Wissenschaftlich-
keit zu rechtfertigen, tritt die Kunst
selbstbewusst innerhalb der Gesell-
schaft auf und zeigt, was sie leisten
kann. Sie forscht im Jetzt und bezieht
wissentlich und willentlich mensch-
liche Intuition und Irrationalität – die,
wenngleich zumeist ungewollt auch
Teil jeder wissenschaftlichen For-
schung sind – mit ein.
Ästhetik
Ästhetischen Denken und Handeln
eröffnet Wege, die sich mit klassi-
schen Mitteln wissenschaftlicher
Forschung nicht realisieren lassen.
Rein vernunftorientierte und zielfo-
kussierte Herangehensweisen lassen
das Ästhetische kaum in Erscheinung
treten, weil diese unterdrückten
Prozesse zunächst keinen Zweck
abbilden, abwegig, sinnlos oder sogar
kontraproduktiv wirken können.
Öffnet man sich jedoch der künstleri-
schen Wahrnehmung, setzt sich eine
ungeahnte Kraft frei.
Kunst stellt dann Fragen und liefert
Antworten für Bereiche, welche in
den Wissenschaften nur von speku-
lativen Zugängen der Geistes- und
Kulturwissenschaften randlich
berührt werden. Als gleichberechtig-
ter Denkstil kann das Künstlerische
ein Reflexionsmedium bieten, das im
Sinne der ästhetischen Dimension
gesellschaftliche, ökonomische und
wissenschaftliche Prozesse ge-
winnbringend zu erweitern scheint.
Das Kunstwerk als Produkt mahnt,
spiegelt und wirkt progressiv. Wenn
künstlerisch forschender Geist die
Welt durchdringt, wird die Bedeutung
dieser Praxis deutlich und entsteht
Wissen jenseits etablierter Methoden.
Forschende Kunst ist ein praktisches
Beispiel interdisziplinärer Forschung,
in welcher das Ästhetische als identi-
tätsstiftendes und reflexives Medium
grenzüberschreitend und intermedial
aus unterschiedlichen Perspektiven
Felder der Lebenswelt auslotet und
im schöpferischen Prozess nachhal-
tige Formen von Gesellschaft durch
künstlerische Mittel anregt.
Moral
Forschung hat nicht nur im Kontext
der Wissenschaften ihre Berechti-
gung, sondern ist im übergreifenden
Sinne ein praktischer Zugang auf
unterschiedlichen Ebenen. Ein Zugang
des Selbst zu sich, zu anderen und
zur Umwelt. Künstlerische Forschung
zeigt auf, dass Forschung dabei als
menschliches Bestreben zu deuten ist,
sich selbst und die Welt in ihren kom-
plexen Zusammenhängen zu untersu-
chen, zu verstehen und darzustellen.
Das grundlegende Ziel entspricht der
Erzeugung fortschreitender Erkennt-
nis als identitätsstiftendes Ereignis
und verhandelt zwischen der gewohn-
ten Eigen- und teilweise verloren
geglaubten Fremdwahrnehmung.
Entscheidend ist dabei die Offenheit
für vielfältige Begegnungen, welche
einerseits ein Weltverstehen ermög-
lichen und zum anderen ein Weltver-
stehen schaffen. Wer die gedachten
Grenzen seiner Wirklichkeit durch-
Wissenstransfer
Text: Sebastian Hillebrand, Bastus Trump
Schnittstellen zwischen Kunst, Wissenschaft und Gesellschaft
24 Dokumentation Forschende Kunst 2 – Musik  Klang
bricht, wird hierbei nicht nur der Viel-
falt menschlichen Tuns und Handelns
bewusst, sondern auch der Wirkungs-
macht seiner eigenen Denkhaltung.
Dies birgt allerdings eine große
Gefahr, wenn nämlich die Kunst nun
nicht mehr nur ihre Produkte, son-
dern im dienstleisterischen Sinn auch
ihre Methoden anbietet. Bei allem
Potential, das sich in einer engeren
Kooperation von Wirtschaft, Wissen-
schaft und Kunst entfalten könnte,
bleibt es immer eine Gratwanderung,
ab wann eine zu starke Normie-
rung die notwendigen Bedingungen
künstlerischer Exploration im Keim
ersticken würde. Kreativität braucht
Freiheit, Offenheit und Vertrauen, um
ihre ästhetische Kraft zu entfalten.
Kunst-Aufstellung oder Aufstellungs-Kunst von Otmar Potjans und Christiane Weber im Rahmen der Ausstellung „Forschende Kunst: umwelten“
in der Zentrifuge, 2013
25Dokumentation Forschende Kunst 2 – Musik  Klang
Wir haben geforscht, gesucht,
erkannt, gefunden, verloren
– gefühlt – und dabei einen
kleinen Einblick in das
bekommen, was Musik und
Klang bewirken können.
Zu Beginn der Forschungsreise im
Projekt „Forschende Kunst 2: Musik
und Klang“ war meine Anforderung
zuerst, schnell ein konkretes For-
schungs-”Ergebnis“ entstehen zu las-
sen. Dies veränderte sich zunehmend,
da ich beobachten konnte – nicht
zuletzt bei mir selbst – dass Versuche,
Musik und Klang gezielt einordnen zu
wollen, eine Stagnation im Denken
entstehen ließ.
In solchen Phasen gab es aus der
Gruppe vereinzelt Impulse, sich pra-
xisorientiert ins „Selbst Klänge Erzeu-
gen“ zu begeben. Sobald sich ein sol-
cher „Praxis-Raum“ öffnete, begann
nach und nach ein Empfinden von
dem, was Musik und Klang sein und
ermöglichen kann. Der „Praxis-Raum“
konnte sich weiter zu einem „Wahr-
nehmungs-Raum“ öffnen, je mehr es
möglich wurde, Einschränkungen wie
Vorannahmen, Bewertungen, Zeit-
druck oder Scham zuzulassen. Um so
mehr sich Musik und Klänge in ihrer
Wirkung zeigen konnten, indem sich
die Teilnehmer darauf einließen bzw.
sich in die Musik hinein fallen ließen,
desto spürbarer wurde ein „Klang-
Raum“, der es ermöglichte, sich vom
Klang in ein Berührtsein tragen zu
lassen.
Es wirkte, als wäre es in einem sol-
chen „Klang-Raum“ durch Schritte,
wie: sich Einlassen, aktiv Zuhören,
Vorannahmen ziehen lassen, sich Zeit
geben, Stille aushalten, Vertrauen, bei
sich bleiben, … möglich, einen „Kre-
ativitäts-Raum“ entstehen lassen zu
können. Ob es sich in einem solchem
„Prozess“ noch um Musik handelt,
wurde im Projekt „Forschende Kunst
2: Musik und Klang“ unterschiedlich
bewertet und empfunden. Aus dieser
Erfahrung heraus ist es vielleicht
empfehlenswerter, Begriffe wie
„Klang“, „Geräusche“, „Laute“ o. ä. zu
verwenden.
Ein Zusammenspiel von Klängen,
Tönen, Geräuschen und Akteuren gibt
es als Audio-File unter zu hören unter:
https://soundcloud.com/michael-schels/
ausflug
Ein solches Zusammenspiel
(„Klang-Experiment“: Audio-File)
brachte bei den Teilnehmerinnen und
Teilnehmern u. a. Rückmeldungen,
wie: Diversität – Gemeinschaftliches
– Frei – Stolz – Berührt – Tatendrang
– Retrospektive – Sensibilisierung
– Neuer Zugang zu bisher Erlebtem –
Man spürt die Menschen, Emotionen,
Wesen im Raum – Überraschung, was
doch entsteht ohne vorheriges Kon-
zept – Beginnende Rhythmik – Freier
„Natur-Raum“, ….
Durch diese Erfahrung erscheint es
mir, als könne „Musik“ oder „ge-
meinsames Tönen“ Räume entstehen
lassen, in denen freie Wahrnehmung
und persönlich individuelles Spü-
ren ermöglicht wird. Dadurch, dass
während dieser Zeit so gut wie keine
Verbesserungs- oder Optimierungs-
versuche von Außen kommen und
sich Jede und Jeder somit auf seine
bzw. ihre ganz eigene unbewertete
Art ins Spüren, Fühlen und Wahr-
nehmen begeben kann, entsteht die
Möglichkeit, sich fallen zu lassen und
sich seinen eigenen Impulsen und
Interpretationen hinzugeben. Dies
schafft ungeahnte Ressourcen, aus
denen unbewusst und leicht etwas
Neues entsteht.
Auch beim Konsumieren von Musik
kann sich solch ein Zustand einstel-
len. Je mehr sich jemand Zeit nimmt,
sich auf Musik oder Klänge einzu-
lassen, desto weiter kann der eigene
Empfindungsraum werden. Es können
sich Empfindungswelten öffnen, die
man oft nur selbst erlebt und die ei-
nen tief berühren. Dies ist vermutlich
auch das Phänomen, wenn es nach
einem Konzert eine Weile dauert, bis
es zur Reaktion beim Zuhörer kommt.
Bis ein Händeklatschen im Saal hör-
bar wird, vergeht Zeit – Zeit, in der die
Zuhörer und Zuhörerinnen wieder im
Raum ankommen – aus ihren eigenen
Empfindungswelten zurückkehren in
den Konzertsaal, in dem sich nun der
Beifall langsam und stetig steigert.
Ein für mich in diesem Zusammen-
hang ebenfalls interessanter Gedanke:
Wenn Musik auf eine solche Art be-
rührt, gibt es fast keine Beschäftigung
außerhalb des Klangerlebnisses mehr.
Menschen unterschiedlicher Kulturen
und Gesellschaftsschichten – gemein-
sam im Raum – werden zu einem Pub-
likum. Sie nehmen sich nicht gegenei-
nander gerichtet wahr, sondern gehen
vielmehr gemeinsam auf Reisen. Jeder
ist für sich – in den unterschiedlichs-
ten Empfindungen – und dennoch
gemeinschaftlich in einem Raum.
Hier stört nur derjenige, der das
Eintauchen in die Empfindungs- und
Wahrnehmungswelt durch Husten,
Lautsein oder sonstige Unachtsamkeit
zu stören droht. Musik kann Räume
der Achtsamkeit entstehen lassen, in
denen scheinbar gewohnte Bewer-
tungen und Vorurteile in den Hinter-
grund treten. Musik kann Räume der
Freude und des Friedens öffnen.
Fast lässt sich vermuten, als könne
Musik verzaubern. Im positiven wie
im negativen Sinne ist dies vermut-
lich möglich. Musik kann dadurch
auch manipulativ sein. Diesen Gedan-
ken hier weiter auszuführen, bräuchte
einen eigenen Raum. Kurz und knapp:
Es lässt sich vermuten, dass eine
Abhängigkeit der Musik von z. B. wirt-
schaftlichen Faktoren auch ethisch
Bedenkliches entstehen lassen kann.
Musik kann stark berühren und
beeinflussen. Musik und Klänge
öffnen Türen. Je mehr wir uns darauf
einlassen, desto mehr können wir ins
Spüren und Wahrnehmen gelangen
und uns in einem ganz eigenen Be-
rührtsein wiederfinden. Musiker und
andere Künstler, welche die Sprache
und Wirkung von Musik und Klang
sprechen und nach Außen geben
können, bauen oftmals eine Brücke zu
dieser Begegnung in der Berührung.
Eine solche Art von Berührung, Wahr-
nehmen und Spüren kann uns Mut
und Zuversicht schenken – aber auch
abverlangen. Tief in uns kann sich ein
Fundament aufmachen, auf dem wir
uns wieder sicherer fühlen. Kennen
wir nicht auch Momente in unserem
Leben, in denen wir in unangeneh-
men Situationen Musik hören oder
selbst ein Liedchen pfeifen (wie im
Schlusslied zu Monty Pythons „Das
Leben des Brian – „Always Look on
the Bright Side of Life“).
Manche Menschen neigen dazu, durch
unterschiedlichste Verhaltensmus-
Musik –
Wahrnehmung und Spüren
Text: Michael Wolf
26 Dokumentation Forschende Kunst 2 – Musik  Klang
ter zügig aus dem Kontakt zu gehen,
wenn es um tiefe Berührung geht.
Musik, Klang und Ton als Begleiter
können einen solchen Zugang leichter
werden lassen. Ein Zugang, der die
Tür zum Herzen – zu sich selbst – zu
Geist und Seele öffnet. Für manche
Leserinnen oder Leser mag dies sehr
spirituell klingen – wenn wir jedoch
eine solche Bewertung ausklam-
mern, kennt dieses Gefühl doch der
eine oder andere aus seiner eigenen
Lebenserfahrung.
Findet deshalb Musik ebenso bei
therapeutischen Interventionen An-
wendung? Weil Töne und Klänge ein
Schlüssel sein können, sich berühren
zu lassen? Ich denke, ja. Sie ermögli-
chen durch ihre Stimmung und Wir-
kung einen Zugang zu ureigenen Ge-
fühlen – verankert tief in uns selbst.
Musik ermöglicht es, Emotionen zu
erzeugen, abzurufen, zu erinnern – je-
der wird durch etwas anderes berührt
(durch Musikstile, durch Stimmen,
durch Arten an Instrumenten, …).
Wenn man seine persönliche Art von
Berührung erfahren hat, geht ein
eigener Kosmos auf – eine Anbindung
an das Gesamte.
Wer diese Art von Wahrnehmung und
Spüren kennt, weiß, was ich versuche,
hier in Worte zu fassen. Wer diese
Art von tiefer Berührung bisher nicht
erfahren hat und wer Lust hat, möge
sich aufmachen: Musik, Töne und
Klänge können hoffentlich noch lange
Zeit wunderbar als Türöffner dienen.
Die Frage ist: Wie bin ich überhaupt
für eine tiefe Erfahrung bereit? Ein
Moment, an dem zu entscheiden ist:
Wollen wir wirklich spüren, fühlen –
oder wollen wir konsumieren?
Oder beides – ein Empfinden dafür
entwickeln, was genau, wann und
wofür als passend erscheint?
Die Teilnehmer-Runde am zweiten Tag des Workshops „Forschende Kunst 2 – Musik und Klang“ am 8. Februar 2014
27Dokumentation Forschende Kunst 2 – Musik  Klang
Alessandra Brisotto
Schriftstellerin,
Sprachlehrerin und
Kulturschaffende aus
Venezien. Während
des Studiums von
Literatur, Sprache, Phi-
losophie und Psychologie in Venedig
zieht sie nach Frankreich und einige
Jahre später nach Deutschland. Nach
vier Jahren in Köln lebt sie seit 2011
in Nürnberg. Hier hat sie „a casa –
Sprache und Kultur in Entwicklung“
gegründet.
www.a-casa-sprachschule.de
Marie Claude Ekotto
Dipl. Kauffr.- Univ.,
Wirtschaftswissen­
schaftlerin, Unter­
nehmens- und
Kanzleiberaterin;
Schwerpunkte:
Veränderungskultur, Interkulturelle
Kompetenz
www.culturcentermbyonbggrenoble.
jimdo.com
Sebastian Hillebrand
Dipl.Geogr. Sebastian
Hillebrand ist wissen-
schaftlicher Mitarbei-
ter am Lehrstuhl für
Kulturgeographie der
Universität Eich-
stätt-Ingolstadt. In seiner aktuellen
Forschertätigkeit widmet er sich den
Themen der Alternativen Ökonomie,
Politiken des Örtlichen, sowie der Rol-
le von Kunst und künstlerischer For-
schung im Bereich der Stadtentwick-
lung. Innerhalb dieser Themenfelder
arbeitet er an seiner Promotion zum
Thema: “Curating identities, curating
the new – place-based politics and
artistic in(ter)vention”.
www.ku.de/mgf/geographie/kultur-
geographie/das-team/hillebrand
Eric Juteau
Dirigent, Gründer
des Musikensembles
Artemusia, einem auf
die Interpretation von
Musikstücken aus dem
17. und 18. Jahrhundert
mit historischen Instrumenten spe-
zialisiertes Ensemble. In Deutschland
gründete Juteau das Orchester Kapella
19 mit Schwerpunkt auf klassische
und romantische Werke des traditio-
nellen Repertoires. Juteaus Focus liegt
in der historischen Aufführungspra-
xis und dabei auf der Ausarbeitung
und Differenzierung des Orchester-
klangs und der musikalischen Ästhe-
tik der Werkinterpretation.
www.kapella19.de
Otmar Potjans
Akteur und Moderator
des Wandels. Verant-
wortlicher Gestalter,
Vorantreiber und Um-
setzter von Entwick-
lungsprozessen. Otmar
Potjans hilft Unternehmern und
Unternehmen Neues zu entwickeln,
Möglichkeiten zu entdecken und Not-
wendiges in die Tat umzusetzen.
www.etwasverändern.de
Michael Schels
Diplom-Germanist/
Journalist univ.,
Kulturprojekte­macher,
Texter, Lehrer für
Deutsch als Zweitspra-
che. Schwerpunkte:
Künstlerische Phänomene im ge-
sellschaftlichen Kontext, Philoso­
phie, Netzwerke. Kommunikations-,
Koordinations- und Organisationsauf-
gaben für Kulturprojekte, Veranstalter
und Unternehmen.
www.kulturbuero-schels.de
Robert Schlund
Diplom-Kommunika­
tions­designer FH
(Print- und Webdesign)
und fotografische
Umsetzungen. Bera-
tung in Designfragen,
Umsetzung in den Bereichen Konzept,
Gestaltung und Herstellung.
Künstlerisches Wirken: Musik-Pro-
duktion und -Impro­vi­sa­tion, Sound-
design, Illustration, Foto-Manipulati-
on, Performance.
www.schlund-design.de
www.fotografie4u.de
Gabi Stauss
Eventmangerin
seit fast 20 Jahren
mit Schwerpunkt
Firmenver­anstal­
tungen, Incentives,
Teambuildung und
Stadtführungen.
www.staussevents.de
Bastus Trump
Diplom-Musik­päda­
goge, M.A. sound
studies, Saxophonist,
Sound Designer, Mu-
sikforscher. Schwer-
punkt: Musiker-Com-
puter Interfaces
www.bastus.de
Michael Wolf
Gestaltung von
Ausdruck. Designer,
Künstler und Im-
pulsgeber. Analyse,
Reflexion, Beratung,
Betreuung, Coaching,
Design. Reflexion der Außendarstel-
lung von Unternehmen und Orga-
nisationen. Ideenmitentwicklung
in Firmen und mit Einzelpersonen.
Impulse zur Stimmigkeit von Aussage
und Wirkung in Ausdrucksform und
Erscheinungsbild.
www.grundgang.de
Ronald Zehmeister
Angewandte
Trend- und Zu-
kunftsforschung. 14
Jahre Erfahrung in
IT-Unternehmens­
beratung und Organi-
sationsentwicklung. Marketing und
Vertrieb, Schwerpunkte: Prozessver-
besserung, Entwicklung von Human
Machine Interfaces (HMI). Master of
Business Administration (FOM Mün-
chen), Schwerpunkte: International
Sales  Marketing Strategie; Integ-
ration von Zukunftsforschung in der
Strategieentwicklung.
www.sensing-system.de
Teilnehmer und Autoren
28 Dokumentation Forschende Kunst 2 – Musik  Klang
Essenzen
Die Arbeit in kulturell-gesell­
schaft­lichen Zusammenhängen
hat Fragen aufkommen lassen
und den Drang nach Erkenntnis
geschürt: Es geht uns um
ein
besseres Verständnis vom
Wert
unseres Tuns und damit um
die
Erhellung und Pflege kreativer,
schöpferischer Prozesse.
Anstatt sich für einen Mangel an
Wissenschaftlichkeit zu rechtfertigen,
tritt die Kunst (bei Forschende
Kunst) selbstbewusst innerhalb der
Gesellschaft auf und zeigt, was sie
leisten kann. Sie forscht im Jetzt
und bezieht wissentlich und
willentlich menschliche Intuition
und Irrationalität mit ein.
Musik ist vielleicht DIE Sprache
der Zukunft. Musik als künftige
Heimat des global zu sich und zur
Welt kommenden Menschen. Welt
als Musik.
Wir lernen bewusst wahrzunehmen,
erkunden die Dimensionen unseres
Denkens und Handelns und schärfen
unsere Urteilskraft. Derart geschult
wenden wir uns dem zu, was uns angeht
und was wir gestalten können. Wir
erfahren uns als schöpferische Wesen.
Die ästhetische Dimension ist ein
entscheidender Faktor bei erfolgreichenProdukten und Dienstleistungen –
ganz besonders in der langfristigen
Perspektive. Es lässt sich sogar die Theseaufstellen: Je ästhetischer ein Erzeugnis,umso nachhaltiger ist es. Dasselbe giltauch für Innovation.
Man darf von der Kreativität nichts
erwarten, damit sie kommen kann.
Sie kann die Menschen öffnen und
zusammenführen, Klarheit und
Gleichgewicht zwischen Verstand und
Gefühl schaffen und somit Identität
und nicht zuletzt den Teamgeist in
einem Unternehmen.
Der kreative Prozess wird ermöglichtdurch eine Vielzahl von Faktoren,die in unterschiedlichen Phasen mehroder weniger stark aufeinandereinwirken: Kompetenz, Offenheit (dieauch Austausch ermöglicht), Freiraum(physisch, wirtschaftlich, strukturell),Vertrauen (als Grundlage fürEntscheidungen und den Mut, diesezu treffen), Systematik (als Fähigkeitdes Sammelns, Filterns, Bewertens vonDaten, Informationen, Materialienetc.), Begeisterung (Herausforderungenerkennen und annehmen) undWahrnehmung (die auch Inspirationermöglicht).
Wir sehen das Projekt „Forschende
Kunst“ als einen Beitrag, um diese so
vielfältige Welt, die von uns Menschen inrasendem Tempo zerstört wird, vielleichtan elementarer Stelle zu heilen: Da, wodie Welt in der ästhetischen Erfahrungals Schöpfung zu sich und zu uns
kommt und in uns ein fühlendes,
anerkennendes, wenn nicht gar
liebendes Bewusstsein reifen lässt.
Der Kreative sucht nicht, sondern er
findet, indem er sich vornehmlich
in der Welt der Intuition und
des Unbewussten oder sogar des
Nicht-Wissens bewegt und für alles
Kommende offen ist.
Anfängergeist
Ruhe
Verspieltheit
Sensibilität
Geduld
Zuversichtlichkeit
Mut
Offenheit
Vertrauen
Selbstsicherheit
loslassen
Zuhören
Aufmerksamkeit
Stille
Konzentration
Gefühl
Leidenschaft
Unfertiges lassen
Kontrolle aufgeben
Chaos zulassen
positiv denken
wertfrei denken
Asthetik
Spontanität
Improvisation
Humor
Freude
Meditation
Achtsamkeit
Schweigen zulassen
nichts tun
Muße
Freiheit
Handeln
Veränderung
Neues
Ästhetik
Glück
Liebe
Toleranz
Verantwortung
Selbsterkundung
Nachhaltigkeit
veränderte Sicht
Lösung
Selbstbestimmung
Entwicklung
Planung
Perfektion
Ehrgeiz
Gier
Fremdbestimmung
Wut
Egoismus
ökonomisch
denken
negativ denken
Ignoranz
psychische Krankheit
Zorn
die Welt formen
Ökologie formen
Verantwortung schaffen
den Teamgeist stärken
die Mitte finden Entwicklung vorantreiben
Freude schaffen
Verstand und Gefühl ausbalancieren
Identität schaffen
Klarheit schaffen
Menschen öffnen
 zusammenführen
29Dokumentation Forschende Kunst 2 – Musik  Klang
Kreativität
Umschreibung von „Kreativität“ – Legende: 
   Was Kreativität voraussetzt    Was Kreativität kann    Was verantwortungsbewusste Kreativität schafft    Wodurch Kreativität blockiert wird
30 Dokumentation Forschende Kunst 2 – Musik  Klang
Anhang
Workshop 1
am Samstag, den
21. Dezember 2013
Moderation: Otmar Potjans
Teilnehmer: Alessandra Brisotto, Marie
Claude Ekotto, Katharina Hillebrand,
Sebastian Hillebrand, Eric Juteau, Michael
Schels, Robert Schlund, Gabi Stauss,
Bastus Trump, Michael Wolf, Ronald
Zehmeister
Vor dem Hintergrund der Erfahrungen aus
Forschende Kunst 1 und mit der Methodik,
die sich dabei heraus gebildet hat, haben
wir den ersten Tag gestaltet:
Es ging zuerst darum, heraus zu finden,
welche Potenziale die Teilnehmer mitbrin-
gen und sich aufeinander einzustimmen.
Otmar Potjans moderierte bewusst sehr
zurückhaltend und die Teilnehmer waren
von Anfang an „im Prozess“. Die Ambi-
valenz und Offenheit, die wir zu Beginn
eines jeden „Forschende Kunst“ Prozesses
schaffen, wurde diesmal u.a. dadurch
erzeugt, dass wir keine Vorstellungsrunde
an den Anfang gestellt haben. Die Teilneh-
mer sollten sich während der Erkundung
unseres gemeinsamen Möglichkeits- bzw.
Spielraums erfahren, ohne bereits durch
personenbezogene Zuordnungen oder
(Selbst-) Beschreibungen voreingenommen
zu sein.
Der Austausch erfolgte sehr einfühlsam
und tastend – wir näherten uns der Situati-
on, unserem „Forschungsgegenstand“ – der
Musik und dem Klang – und einander an
– erforschten den Raum, unsere Stimmun-
gen, unsere Motivationen, unser Fühlen
und Denken und unsere Haltungen. Es war
ein fließendes Aufeinander-Einschwingen
– wir bewegten uns gemeinsam auf un-
bekanntem Terrain: Was bringen wir ein,
was wollen wir, welche Gedanken, Gefühle,
Erfahrungen, Wünsche, Vorstellungen
haben wir?
Dabei kreisten wir dem Anlass entspre-
chend um die Begriffe „Forschung“,
„Kunst“, „Musik“ und „Klang“. Wir waren
uns von Anfang an dessen bewusst, dass
wir uns in einem Prozess befinden, den wir
(noch) nicht verstehen. Das einzige, was
wir tun konnten, war möglichst bewusst
und achtsam zu sein. In einem mehrstün-
digen Dialog näherten wir uns im Laufe
des Tages einander an und es entstand ein
Gefühl von den vielfältigen Potenzialen in
jedem und jeder von uns. Die Gespräche
hatten eine große Dynamik und wechsel-
ten von abstrakten Betrachtungen über
Ästhetik und Wissenschaft über kreative
und auch humorvolle Phasen, bei denen
wir z.B. spielerisch mit der Stimme und
dem Körper musizierten, bis hin zu stillen
Momenten, in denen wir gemeinsam über
mehrere Minuten schwiegen. Die Zentri-
fuge (der Raum um uns und zwischen uns)
wurde zu einem spürbaren Energiefeld, das
uns Freiheit und Verbundenheit schenkte:
Wir befanden uns in einem im wahrsten
Sinne des Wortes „ästhetischen Raum“,
dem wir uns anvertrauen konnten und in
dem alles (fast) wie von allein geschah.
Jeder von uns war Teil eines größeren
Ganzen. Es war ein praktisches Erfor-
schen unserer Wahrnehmungen, unseres
Bewusstseins und unserer Möglichkeiten.
Es war forschende Kunst. Jeder durfte dabei
sich und die anderen als Forscher und als
Künstler erfahren – als fühlende, denken-
de, vorstellende und schöpferische Wesen,
die gemeinsam die Welt erkunden und
diese gestalten.
Zum Ausklang und zur Einstimmung auf
den folgenden Workshop am 8. Februar
2014 verwies Michael Schels abschließend
auf einen Text von Peter Sloterdijk: „La
musique retrouvée“, in: „Der ästhetische
Imperativ“, Europäische Verlagsanstalt,
Hamburg 2007
Workshop 2
am Samstag, den
8. Februar 2014
Moderation: Otmar Potjans
Teilnehmer: Alessandra Brisotto, Marie
Claude Ekotto, Katharina Hillebrand,
Sebastian Hillebrand, Eric Juteau, Michael
Schels, Robert Schlund, Gabi Stauss,
Bastus Trump, Michael Wolf, Ronald
Zehmeister
Videoaufnahmen: Philip Chrobot
Der zweite Workshop leitete als Fortfüh-
rung des ersten und als Hinführung zum
dritten Workshop den Übergang vom Allge-
meinen zum Besonderen, vom Abstrakten
zum Konkreten ein. Der Möglichkeitsraum
wurde nochmals in seiner ganzen Offen-
heit und Unbestimmtheit erfahren, der
freie Gedankenaustausch wurde gepflegt
und kam dabei unverkennbar auch an
seine Grenzen: Die im ersten Workshop
bewusst hergestellte Ambivalenz wirk-
te deutlich nach und nahm noch zu – es
wurde eine starke Verunsicherung spürbar
in Bezug auf die Aufgaben und Ziele des
Projekts. Angesichts der Ungewissheit
drängten sich Fragen auf und wurden ex-
plizit: Was genau erforschen wir eigentlich,
wie nähern wir uns unserem Gegenstand
an und zu welchem Ergebnis wollen wir
kommen? Was hat das eigentlich mit Kunst
zu tun?
A) Protokolle der Workshops zu Forschende Kunst 2:
Musik und Klang
Text: Michael Schels
Forschende Kunst: Musik und Klang
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Forschende Kunst: Musik und Klang
Forschende Kunst: Musik und Klang
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Forschende Kunst: Musik und Klang

  • 1. Dokumentation | Ein Projekt der Schutzgebühr: € 15,– Forschende Kunst 2: Musik und Klang
  • 2. 2 Dokumentation Forschende Kunst 2 – Musik & Klang Impressum Herausgeber: Zentrifuge e.V. www.zentrifuge-nuernberg.de Forschende Kunst ist ein Projekt der Zentrifuge www.forschende-kunst.de Mit Unterstützung durch das Förderprogramm „Ideen.kreativ.innovativ“ des Wirtschaftsreferats der Stadt Nürnberg. Redaktion, V.i.S.d.P.: Michael Schels Texte: Alessandra Brisotto, Marie Claude Ekotto, Sebastian Hillebrandt, Eric Juteau, Otmar Potjans, Michael Schels, Robert Schlund, Bastus Trump, Michael Wolf, Ronald Zehmeister Gestaltung: Robert Schlund | www.schlund-design.de Fotos: Katharina Hillebrand, Sebastian Hillebrand, Anna Mikaila, Otmar Potjans, Michael Schels, Robert Schlund, Ronald Zehmeister Druck: flyeralarm.com Auflage: 500 Exemplare © 2014 Zentrifuge e.V. Titelabbildung: Festival „indukTiVe kopplung“ in der Zentrifuge vom 23.11. bis 30.11.2013, Fotografie: Robert Schlund Abbildung Rückseite: Motiv der Einladungskarte zur Ausstellung „Beziehungsalchemie“ in der Zentrifuge, 2014, Gestaltung: Eckehard Fuchs
  • 3. 3Dokumentation Forschende Kunst 2 – Musik & Klang Inhalt Einführung Michael Schels Seite 5 Musik und Klang Robert Schlund Seite 6 TROPFEN Alessandra Brisotto Seite 7 Das Wesen der Kreativität Robert Schlund Seite 8–11 Der ästhetische Prozess Michael Schels Seite 12–13 Die ästhetische Dimension als Innovationstreiber Ronald Zehmeister Seite 14–15 Musik, morgen Eric Juteau, Otmar Potjans Seite 16–18 Der unternehmerische Gründungsprozess Marie Claude Ekotto Seite 19–21 Wissenstransfer Sebastian Hillebrand, Bastus Trump Seite 23–24 Musik – Wahrnehmung und Spüren Michael Wolf Seite 25–26 Teilnehmer und Autoren Seite 27 Essenzen Seite 28–29 Anhang   – Protokolle Seite 30–33   – Institut für ästhetisches Besinnen Seite 34   – Literatur Seite 35
  • 4. Dokumentation Forschende Kunst 2 – Musik & Klang
  • 5. 5Dokumentation Forschende Kunst 2 – Musik & Klang Die Zentrifuge ist im Zuge einer post­industriellen Transformation in Nürnberg entstanden und steht damit exemplarisch sowohl für lokale als auch für globale Veränderungsprozes- se. In einer verlassenen Industriehalle hat sich die Zentrifuge während der Entwicklung des Areals „Auf AEG“ als Non-Profit-Organisation über mehrere Jahre als treibender Akteur und Agent des Wandels eingebracht und als Impulsgeber für kreativwirtschaft- liche und kulturelle Innovationen bewiesen. Die unentwegte Arbeit in kulturell- gesellschaftlichen Zusammenhängen hat zwingende Fragen aufkommen lassen und den Drang nach Erkennt- nis geschürt: Es geht uns um ein bes- seres Verständnis vom Wert unseres Tuns und damit um die Erhellung und Pflege kreativer, schöpferischer Prozesse. Wir sind u.a. dem Wesen der Kunst auf der Spur und fragen uns, was sich von diesem Erfahrungs- und Wissensschatz auf andere Bereich der Wirklichkeit übertragen lässt. Die Kunst erscheint uns – wenigstens in theoretischer Hinsicht – als das letzte Refugium von Freiheit. Sie ist inspirierend bei der Gestaltung von Freiräumen, in denen offene, kreative Begegnungen stattfinden können. Mit Hilfe und Dank der Kunst wagen wir es, neue Wirklichkeiten anzustreben und gestaltend tätig zu werden, ohne dabei selbst Künstler im engeren Sinn zu sein. Die Motivation für unser Tun ziehen wir aus der Freude bei der Entwick- lung und Durchführung von Kultur- projekten, aus dem Austausch mit Künstlern, Ingenieuren, Unterneh- mern und Wissenschaftlern und aus der Begegnung mit begeisterungsfä- higen Menschen. Auch die Auseinan- dersetzung mit ästhetischen Theorien sowie philosophischen und wissen- schaftlichen Texten erfahren wir als fortwährende Bereicherung. Forschung mit Mitteln und aus Perspektiven der Kunst „Forschende Kunst“ ist ein grenzüber- schreitendes, ästhetisch und gesell- schaftlich ambitioniertes Projekt der Zentrifuge. Mit Partnern aus Kunst, Wissenschaft und Wirtschaft arbeitet die Zentrifuge über einen längeren Zeitraum heraus, wie „das Neue“ aus der Kunst wirksam wird. Die Model- lierung dieses Prozesses macht das interdisziplinäre Arbeiten mit künst- lerischen Mitteln fruchtbar. „Forschende Kunst 1: umwelten“ hat im Sommer 2013 die Grundlage geschaffen für ein differenziertes und zielgerichtetes Verständnis des Projekts. Diese erste Phase mündete im Herbst in eine Ausstellung in der Zentrifuge. In diesen interdisziplinä- ren, interkulturellen Prozess waren in der ersten Phase neben fünf ausge- wählten Bildenden Künstlern (drei aus Deutschland und zwei aus Italien) auch zwei Vertreter des VDI/VDE, ein Wissenschaftler der Uni Eichstätt, ein Unternehmensberater, ein Zukunfts- forscher, eine Schriftstellerin und ein Journalist eingebunden. Aus dieser Zusammensetzung und dem in dieser Konstellation erarbei- teten Know-how entstand – gefördert durch die Wirtschaftsförderung der Stadt Nürnberg im Rahmen des Förderprogramms „Ideen.kreativ. innovativ“ – „Forschende Kunst 2: Musik“ mit dem Ziel, diesen Prozess für Unternehmen und Organisationen wirksam zu machen und Impulse für ein neuartiges und nachhaltiges Inno- vationsverständnis zu setzen. „Forschende Kunst“ bringt „For- schung“ und „Kunst“ in einen produk- tiven Zusammenhang. Ziel dabei ist, Menschen unterschiedlicher Diszi- plinen und Lebenswelten zu einem offenen Austausch anzuregen. Sie bringen aus ihrer jeweiligen Perspek- tive Wissen, Übung, Wahrnehmung, Vorstellung und Intuition ein. In der Summe können dadurch Erkenntnisse gewonnen werden, die wiederum in neue Projekte einfließen. Der Prozess wird systematisch dokumentiert, die Ergebnisse werden veröffentlicht. Das Projekt „Forschende Kunst“ will ein nachvollziehbares und fortwäh- rendes Nachdenken darüber anregen, was Menschen tun, wenn sie in ge- meinsamen, konstruktiven Projekten ihrer Kreativität und Intuition ver- trauen. Dies geschieht aus der Über- zeugung heraus, dass schöpferisches und künstlerisches Arbeiten enorme Potenziale für Innovationsprozesse bietet. Dabei kommen auch philoso- phische und ethische Dimensionen ins Spiel: Was ist uns wirklich wichtig und wertvoll und was sind wir bereit, dafür zu tun? www.forschende-kunst.de www.zentrifuge-nuernberg.de Bild links: Interaktive Elektro-Installation „IndukTiVe Kopplung“ in der Zentrifuge, 2013 Text: Michael Schels Einführung
  • 6. 6 Dokumentation Forschende Kunst 2 – Musik & Klang Im Zusammenhang mit dem Projekt Forschende Kunst 2 sei der Unterschied zwischen „Musik“ und „Klang“ besonders hervorgehoben: Diese Begriffe sind in Hinblick auf den Einsatz von Methoden bei der Entwicklung von Innovation und Kreativität unterschiedlich zu betrachten und zu bewerten. Bei der Musik geht es bekanntlich um Strukturen, Harmonien, Komposition, Handwerk, Melodien etc.. Hingegen sind „Klang“ oder „Sound“ Begrif- fe, die dies zwar auch implizieren können, aber eben nicht nur: Musik ist immer Klang, während Klang nicht unbedingt Musik ist. Für die Musik ist es wichtig, dass sie sich insofern auf die kulturelle Geschichte einer Gesellschaft bezieht, indem sie oben genannte Aspekte aus der Histo- rie aufgreift und entweder vertieft oder weiter entwickelt. Hier ist der Spielraum gegenüber dem Einsatz von „Klang“ äußerst eingeschränkt, was die Offenheit gegenüber einer möglichen Kreativität eines Nicht-Mu- sikers anbelangt, da besagter Spiel- raum gegebene Strukturen, das nötige Handwerk und anerzogenes Wissen mit einbeziehen muss, während eine reine Klangerzeugung erst einmal weitgehend ungebunden und frei von solchen Aspekten ist. Für die Entwicklung einer Kreativi- tät, wie sie in einer Gruppe angefragt ist, die naturgemäß keine oder nur vereinzelt Musiker aufweist (z.B. auch in einem Unternehmen) wäre also die reine Klangerzeugung zunächst expe- rimenteller Art zielführender als der Einsatz eines Metiers, der Handwerk, Struktur etc. voraussetzt und der deshalb in einer solchen Gruppe die Kreativität eher blockieren würde. Man stelle sich einfach einen Urmen- schen vor, der zum ersten Mal mit einem Holzstock gegen einen Felsen schlägt und erkennt, dass dieser Vorgang klingt. Er findet das zunächst interessant, beeindruckend usw.. Aufgrund seiner Bewusstheit und Intelligenz aber ist er in der Lage, das Ganze zu verfeinern und weiter zu entwickeln, bis Jahrtausende später Dinge entstehen wie eine Stradivari. Ein Nicht-Musiker hat also zunächst etwas entdeckt, was der Weiter- entwicklung würdig ist, was dann entsprechende Spezialisten oder Ex- perten tun. In seiner ursprünglichen Erfahrung hat der Urmensch zwar nicht beabsichtigt oder wissen kön- nen, was letztendlich daraus entste- hen kann, aber ohne seine Erfahrung und den daraus entstandenen Impuls hätte sich auch nichts getan. Eine Stradivari aber kann nur ein Musiker, Experte, Übender, Handwerker etc. bauen bzw. bedienen, es muss aber eben ein Musiker sein. Für Nicht-Mu- siker (was die meisten Menschen von uns sind) ist jedoch für das eigene Tun nur die ursprüngliche Erfahrung zugänglich und im kreativen Prozess einsetzbar. In unserem Projekt „Forschende Kunst“ wollen wir ja Kreativität und Innovatives erzeugen. Im Idealfall soll eine kreative Produktions-Technik und Entwicklungs-Methodik entste- hen, und zwar ausgehend von etwas, das klingt und über das Sinnesorgan Ohr geht. Musikern gelingt dies eher mit Musik und Nicht-Musikern eher mit Klang. Musiker können also eher eine Atmosphäre von Kreativität und Innovation erzeugen, indem sie von ihrem Handwerk ausgehend Neues für die Musik schaffen (hier sei die Improvisation als zielführendes Mittel erwähnt), während Nicht-Musiker diese Atmosphäre eher erzeugen können, indem sie wie die Kinder unvoreingenommen und frei agierend in Klang eintauchen. In unserem Workshop sind überwie- gend klangliche Ausflüge entstanden, denn es waren nicht nur Musiker involviert. Hätte jemand gesagt, wir müssten mit Musikinstrumenten agieren, wäre das mehr als der Hälfte der Teilnehmer schwer gefallen, da Musikinstrumente mindestens unbe- wusst mit bestimmten Erwartungen von Können und Erlerntem in Verbin- dung gebracht werden, was Nicht-Mu- siker nicht bieten können und diese erwartungsgemäß blockieren muss. Musik und Klang Zum Verständnis der beiden Begriffe Text: Robert Schlund Elektronische und akkustische Klangexperimente sind für jedermann möglich.Voraussetzung hierfür ist vor allem ein offenes Gehör.
  • 7. 7Dokumentation Forschende Kunst 2 – Musik & Klang Tropfen Das Wasser wurde entdeckt, denn es träumte so laut und förmig Von ihm tropfte die Gestaltung der Welt Es bremste das Geräusch des Windes Von oben nach oben von unten nach unten kam der Regenklang so weit entfernt dass die Hände ihn fassen konnten Sogar die Augen sahen die Note wachsen, die stillen Büchsescherben den Ton des Meeres trinken und das Boot darauf laut in sich versinken Alessandra Brisotto
  • 8. 8 Dokumentation Forschende Kunst 2 – Musik & Klang Der Begriff „Kreativität“ lässt sich nicht so leicht fassen oder definieren, sondern eher umschreiben. Dies liegt wohl daran, dass „Kreativität“ nichts Eindeutiges und für jeden Menschen Gleiches ist – der Zugang zu Kreativi- tät ist immer individuell. Im Laufe des nun folgenden Textes wurden diese umschreibenden Begrif- fe kursiv gesetzt, um die Bedeutung des Begriffes „Kreativität“ in seiner Tiefe zu verdeutlichen. In der Wort- wolke auf Seite 29 können die wich- tigsten Begriffe in einer Gesamt-Über- sicht nochmals betrachtet werden. Ziellosigkeit Jeder Mensch hat einen anderen Zugang zur Kreativität. Kreativität ist in jedem Einzelnen von uns bereits vorhanden und wartet nur darauf, ausgedrückt zu werden. Das könnte zusammenhängen mit dem Kinde in uns, also unserem Ursprung, das nicht aufgehört hat zu existieren und viel- leicht vergessen worden ist. Mit dem Erwachsenwerden und den vielen Entscheidungen, die wir für unseren Lebensweg treffen mussten, haben wir den Bezug zu uns selbst verlo- ren. Wir haben einen Filter in unsere Wahrnehmung eingebaut, der uns das Leben erleichtert, uns aber zugleich von der Wirklichkeit entfernt. Wie können wir Zugang zur einer ursprünglichen Haltung finden? Wir wissen, dass Kinder sehr gefühlsbetont sind und intuitiv handeln, spielerisch mit den Dingen und ihrem Gegen- über umgehen und dabei alle ihre Sinne einsetzen, die sich durch das Spielen wiederum weiterentwickeln und vertiefen. Sie sind spontan und pro- bieren aus, improvisieren mit ihren oft eingeschränkten Möglichkeiten und sind dabei eben auf ihre Kreativität angewiesen. Kindliche Vorgehensweisen ent- sprechen der Kreativität in vielerlei Hinsicht, beziehen aber noch nicht alle Aspekte ein. Kinder sind auch nicht nur kreativ, denn sie können durchaus zielgerichtet agieren, was die Kreativität eher nicht tut. Denn sie sind schon durchaus selbstbe- wusst, mithin egoistisch auf gewisse Dinge aus, die sie erreichen wollen, haben bereits ihr Ego entdeckt, das ihr Potenzial zu einer nachhaltigen Kreativität einzuschränkt. (Von einer ego-bezogenen Kreativität soll hier nicht die Rede sein, da eine solche Kreativität destruktiv sein kann – siehe auch unter nächster Überschrift „Die angemessene Haltung“.) Die Ausrichtung auf einen Zweck erfolgt beim Kind eher unbewusst. Der einzige Zweck ist (quasi „instink- tiv“) das sich Bewegen und Entwickeln, damit all die Dinge erlernt werden, die zum Leben benötigt werden. Die Ziel- und Zweckgebundenheit schränkt die Gesamtsicht auf die Dinge meistens mit zunehmendem Alter ein und schmälert damit die Kreativität, welche Voraussetzung für innovative Entwicklungen wäre. Innovationen entstehen am besten, wenn die Kreativität nicht von äußeren Zwängen eingeschränkt wird, also auch nicht von Erwartungen. Sie benötigt also eine möglichst große Freiheit, damit aus dem Nichts (zweckungebunden) ein Etwas (offenes Ziel) entstehen kann, wenn also die Dinge gefunden und nicht gesucht werden. Diese Freiheit kann nur gelebt werden, wenn auch die Dinge selbst (vor)urteilsfrei betrachtet werden können, also so, wie sie sind. Die Frei- heit macht aber wiederum nur dann Sinn, wenn wir behutsam und achtsam mit allem umgehen, wenn wir der Welt (oder im Sinne der Musik: dem Welten- klang) zuhören, in sie hinein spüren. Die angemessene Haltung Frei aber achtsam sein heißt, eine po- sitive Haltung gegenüber der Umwelt einzunehmen. Es stellt sich in der Auseinandersetzung mit der Kreati- vität heraus, dass das Positive in einer erfolgreichen Innovation sehr wichtig ist. Denn wenn die positive, lebensbeja- hende Richtung in der Grundhaltung nicht gelebt wird, erhält man vielleicht auch ein kreatives Ergebnis, das je- doch zerstörerisch wirkt, im Umkeh- reffekt die Kreativität selbst zerstört und im schlimmsten Fall für egoisti- sche Machtzwecke missbraucht wird. Die Menschen streben aber im Grunde nach Anerkennung – ob sie das nach außen gewalttätig oder friedlich zu erreichen versuchen. Zunächst ist also die Kreativität in ihrer positiven Auswirkung gefährdet. Im Zusammenhang mit dem Gedan- ken der Nachhaltigkeit können Men- schen gesellschaftliche Anerkennung dann dauerhaft erreichen, wenn sie den positiven Teil der Kreativität beachten. Dieser Bereich betont das Aufbauende der Kreativität, während der Missbrauch auf Dauer gesehen die Zerstörung des Gegenstandes und letztendlich sogar die Zerstö- rung der Kreativität hervorbringt. Für das Nachhaltige der Kreativität ist also eine Haltung entscheidend, die achtsam mit der Umgebung/Umwelt umgeht und damit Verantwortung für deren Erhalt übernimmt. Eine solche verantwortungsbetonte Haltung ist nur möglich, wenn sie authentisch und nicht gespielt ist – ein Aspekt, der gleichermaßen zur (nachhaltigen) Kreativität gehört. (Anm.: Das wäre die Voraussetzung für eine positive, gewaltfreie Zukunft) Alleinsein und Ruhe Eine wichtige äußere Bedingung, wenn nicht gar Voraussetzung für das Entstehen von Kreativität ist die Möglichkeit von Ruhe, Zurückgezo- genheit, Alleinsein (können). Das sind Voraussetzungen, mithilfe derer man sich auf das Gegenwärtige konzentrieren kann. Das Gegenwärtige als Fokus und die Gegenwärtigkeit des Kreati- ven, der in sich selbst ruht, sind für Das Wesen von Kreativität Kreativität als Lebensform und als Impuls für Innovation Text: Robert Schlund Das jedermann bekannte „Klecksbild“ drückt sehr umfangreich aus, wie Kreativität funktioniert. Nächste Seite: Für die Bildende Kunst kann dieses Prinzip sehr nützlich sein
  • 9. 9Dokumentation Forschende Kunst 2 – Musik & Klang die Entwicklung einer neuen Idee unumgänglich. Empfindlich gestört wird zwar dieses Sein im Jetzt durch Unruhe oder Lärm von außen, andererseits benötigt die Kreativi- tät dennoch Anregung, jedoch wohl eher von innen bzw. in der Gruppe von einer gemeinsamen Konzentration auf einen Gegenstand. Befruchtend für Kreativität ist in diesem Zusammenhang die Mög- lichkeit, sich eine Zeit lang in stiller Klausur zu befinden, um sich danach mit anderen Interessensverwand- ten, die sich idealerweise ebenso in Klausur befanden, über einen Gegenstand auszutauschen und damit diesen so offen wie möglich zu beleuchten und im Idealfall den einfachen Kern der Sache besser und leichter zu erkennen. Aus diesem Prozess hin zu einem einfachen Kern entsteht Klarheit und damit in Folge authentisches, weil bewusst-kla- res Handeln. Handeln und Praxis sind für die Kreativität dabei wie Nahrung, mit der sie sich weiterhin aufrecht erhalten kann. Offenheit Wichtig für die Kreativität ist nicht nur die Ziel- und Zweckfreiheit, sondern auch die Wertfreiheit, z.B. gegenüber Ängsten oder Ungewohn- tem, gegenüber dem Anderen oder der Unsicherheit. Für die Kreativität ist es elementar, Ungewohntes zuzu- lassen, Strukturen aufzulösen, Fehler zu machen, Unbewusstes und Chaos zu- zulassen, die Kontrolle aufzugeben und auch Angst zu haben. Nichts sollte die Kreativität davon abhalten, intuitiv und ästhetisch und weniger analytisch zu denken, damit auch Unerwartetes und unlogisch Erscheinendes zuzulas- sen. Das heißt auch, die Schönheit in ihrer Unvollkommenheit zu erkennen. Perfektion oder Vollkommenheit extistiert für die Kreativität nicht, weil sie anerkennt, dass es so etwas nicht gibt, niemals geben wird. Man sollte sich nicht von einer vermeint- lichen Vollkommenheit blenden lassen. Kreativität erkennt, dass sich alles ständig ändert, sich immer auf dem Weg befindet, der zwischenzeit- lich den Anschein macht, ein Ende zu haben, der aber nie aufhört. Die Welt bleibt nur in ihrer Unfertigkeit beste- hen und deshalb lässt sich die Krea- tivität um so mehr von ihr zu neuen Ideen inspirieren. Muse Es gibt neben der Wert- und Zweck- freiheit noch eine weitere Freiheit, die die Kreativität für sich beansprucht: Es ist die Zeitfreiheit, auch Muse genannt. Wie gesagt, braucht die Kre- ativität für ihre Konzentration auf die Aspekte der Welt nicht nur einen Frei- raum in Ruhe und Zurückgezogenheit, sie benötigt, um Ruhe entstehen zu lassen oder eine entstandene Ruhe für sich nutzbar zu machen, zunächst Zeit – wenn nötig viel Zeit, gegebe- nenfalls verschwenderisch viel Zeit – und auch die Möglichkeit, nichts tun zu dürfen. Dies ist in unserer heutigen Zeit der zunehmenden Beschleuni- gung (und des zunehmenden Aktio- nismus) nicht leicht. Um so wichtiger ist es, sich diesen Aspekt bewusst zu machen, weil dieser für die Kreativi- tät die wichtigste äußere Bedingung überhaupt sein kann. Dieses „Nichts-tun“ oder „Nichts- tun-dürfen“ gewährleistet, dass man Dinge entdecken kann, die bisher nicht im Bewusstsein gewesen sind. Durch das „Nichts-tun“ ist man unvorein- genommen und findet einfach Dinge, mit denen man nicht gerechnet hat, die schon immer da waren, die aber noch niemand beachtet hatte. Anders ausgedrückt: Der Kreative sucht nicht, sondern er findet, indem er sich vornehmlich in der Welt der Intuition und des Unbewussten oder sogar des Nicht-Wissens bewegt und für alles Kommende offen ist. Man kann sich den Zeitaufwand, der zu einem Geistesblitz führt, wie einen Weg vorstellen, der einer langen Wanderung bedarf – mit immer wieder
  • 10. 10 Dokumentation Forschende Kunst 2 – Musik & Klang neuen, hoffentlich vorübergehenden Irrwegen durch oft unwirtliches, ausgetrocknetes Gelände. Auf diesem Weg muss man viel Kraft, Ausdauer und Geduld aufbringen und weiß nie, ob man überhaupt auf dem richtigen Weg ist. Diesen unbequemen Zustand muss ein kreativer Mensch oder das entsprechende Team aushalten kön- nen, um wohlgemerkt nur eventuell zu einem Ziel zu gelangen. Ein Kreativer muss also einen langen steinigen Weg ohne Garantie auf Erfolg akzeptieren kön- nen, bevor er sich auf den Weg macht. Um das zu können, darf er sich in Bezug auf die Kreativität nichts vor- machen. Was er braucht, um seinen Weg durchzustehen, ist die Fähigkeit zu Hingabe und Leidenschaft. Im Wort „Leidenschaft“ steckt nicht umsonst das Wort „Leiden“. Er muss also auch bereit sein zu leiden, um etwas Neues entdecken zu können. Diese Lei- denschaft wird es ihm letztendlich ermöglichen, Mut (zur Verzweiflung) aufzubringen und Neuland zu entde- cken. Kreative Menschen benötigen somit ein starkes Selbstvertrauen, um das Vertrauen gegenüber der Welt aufzubau- en, damit sie letztendlich doch mit Erfolg belohnt werden. Falls der Erfolg nicht eintritt, ist umso mehr Selbst- vertrauen nötig. Fazit Verantwortungsbewusste und nach- haltige Kreativität kann man am ehesten dadurch erkennen, dass eine Offenheit spürbar ist für alle Belan- ge der Welt, dass sie sich nicht in Verbissenheit, sondern in humorvol- lem (und nicht zynischem) Umgang äußert. Man darf von der Kreativität nichts erwarten, damit sie kommen kann, denn auch in einem erfolgrei- chen Ergebnis wird sich herausstel- len, dass die Lösung nie eine ganz fertige sein wird. Dennoch verändert und formt die Kreativität die Welt. Sie kann die Menschen öffnen und zusammenführen, Klarheit und Gleichgewicht zwischen Verstand und Gefühl schaffen und somit Identität und nicht zuletzt den Teamgeist in einem Unternehmen. Kreativität und unternehmerisches Handeln Einer der ursprünglichen Aufgaben bei „Forschende Kunst“ ist die Be- handlung der Frage, wie man Krea- tivität für Innovationen auch in der Wirtschaft nutzbar machen könnte. Der Weg kann hier über die Musik oder den Klang führen – allerdings weniger bei der gezielten Produktinno- vation, sondern vielmehr im Bereich der Human Resources. Denn Produktinnovationen erfordern Ergebnisse, die verkauft werden und einem harten Konkurrenzkampf auf dem Markt bestehen müssen. Die Erwartung bei der Produktentwick- lung, wertschöpfende Innovation zu schaffen, blockiert die Kreativität, wie wir sie verstehen, gleich zu Beginn des Prozesses. Man kann bei Produkt- innovationen zwar bewährte Kreati- vitätstechniken anwenden – jedoch können hier Musik oder der Klang nur wenig ausrichten. Was jedoch die „weicheren“ As- pekte betrifft – gemeint sind die beteiligten Menschen und nicht das Produkt – wäre einem Unternehmen durchaus geholfen, wenn man die positiven Wirkungsweisen der Musik/ des Klanges durch die nonverba- le und also durchaus ungewohnte Kommunikation in ein Team ein- fließen ließe. Die Qualität dieser völlig andersartigen Kommunikation könnte bei den Teilnehmern eine Haltung der Unvoreingenommenheit und des freien Umgangs miteinander herbeiführen. Der Klang drängt den Teilnehmern auf natürliche Weise eine fast unausweichliche Gemein- samkeit in einem klar abgesteckten Zeitrahmen auf. Dies kann zu einem positiven, weil Zugehörigkeit und Freude schaffenden Erlebnis führen. Die erlebte Zugehörigkeit (durch gelebtes Vertrauen zueinander) und das Gefühl der gemeinsamen Stärke würde mit dieser Technik ein Team dergestalt „zusammenschweißen“, dass der so entstandene Teamgeist zukünftig anstehende Probleme leichter lösen kann. (Es kommt ja in Teams nicht allzu selten vor, dass man sich gegenseitig behindert oder gar bekämpft und deshalb zu keinen oder zu unbefriedigenden Ergebnis- sen kommt). Für das Unternehmen wäre es also durchaus denkbar, die Kreativität der Musik/des Klanges für ein besser funktionierendes Team zu nutzen, das aus einer Entkrampfung heraus – gegebenenfalls in Kombinati- on mit mit weiteren Kreativitätstech- niken – innovative Ideen entwickeln könnte (siehe Grafik unten). Musik als unausweichlicher Ausdruck Unabhängig vom Thema „Kreativi- tät“ sei auf den Aspekt der Zeit in der Musik und im Klang hingewiesen, der hier eine ganz besondere Qualität entfaltet. In der Musikperforman- ce offenbart sich der Ausdruck von Musik zwangsläufig und in einem klar festgelegten Zeitfenster, das die Beteiligten in ein gemeinsames Erlebnis zieht, dem man sich kaum entziehen kann, da es nicht möglich ist, die Ohren zu schließen und sich zudem das Musik- oder Klangerlebnis in einem gegebenen, unausweichli- chen Zeitrahmen offenbart. Diesen Effekt können nicht alle Künste für sich beanspruchen. Vor Werken der Bildenden Kunst beispielsweise könnte man die Augen verschließen. Insofern hat ein klangliches Erlebnis sowohl etwas Verbindendes als auch etwas Verbindliches. Denkbare Interaktion zwischen der Kreativität (Kreis) und einem Unternehmen (Quadrat): Beide befinden sich in zwei verschiedenartigen Sphären. Nachdem die Kreativität die Sphäre des Unternehmens durchdrungen hat, hat das Unternehmen eine sichtbar bessere Ausstrahlung. Bild rechts: Vorbereitungen zum Festival für experimentellen Raumklang „Quadrophonia 1“ in der Zentrifuge am 21. und 22. Mai 2010 (Foto: Robert Schlund)
  • 11.
  • 12. 12 Dokumentation Forschende Kunst 2 – Musik & Klang Die Zentrifuge hat sich im Laufe der Jahre von einer Künstler- und Vernet- zungsplattform zu einem Ideeninku- bator und Impulsgeber für Innovation entwickelt. Was anfangs noch vor- wiegend intuitiv geschah, haben wir zunehmend reflektiert und bewusst ausgearbeitet. Besonderes Augen- merk richteten wir auf die Ästhetik – und zwar im eigentlichen Sinne des Begriffs: „Wahrnehmung“. Wie nehme ich meine Umgebung und mich selbst wahr, wenn ich in einen freien Aus- tausch trete? Was geschieht, wenn ich mich von Vorbehalten frei mache und mich einem unbestimmten Gesche- hen mit größtmöglicher Achtsamkeit hingebe? Wie kann ich meine schöp- ferische Kraft entfalten und diese im gemeinsamen Tun erfahren und einbringen? Mit „Forschende Kunst“ reflektieren wir unsere Arbeit und legen dabei Prozesse und Methoden frei, die sich bei Entwicklungsprozessen normaler- weise eher beiläufig oder unbewusst abspielen. Ziel dabei ist, die Qualität und das Potenzial unseres Tuns deut- lich und für andere Zusammenhänge fruchtbar zu machen. Nach unserem bisherigen Erkennt- nisstand ist der ästhetische Prozess, wie wir ihn verstehen und einüben, ein äußerst wirksames Verfahren, um einen konstruktiven und nachhalti- gen Austausch zwischen Menschen als denkenden, fühlenden und handelnden Wesen herzustellen. In dieser Art von Begegnung erzeugen wir eine Atmosphäre von Freiheit und Sensibilität, aus der heraus Be- griffe wie Authentizität, Inspiration oder Identifikation mit Leben gefüllt werden. Die Beteiligten kommen in der Begegnung zu sich, werden für geistige und physische Phänomene sensibilisiert, erkunden ihre eigenen Potenziale und die ihrer Mitmenschen und lernen Möglichkeiten kennen, sich abseits von Konventionen neu auf die Welt einzulassen und sich darin zu bewegen. Die Zentrifuge er- weist sich mit „Forschende Kunst“ als Trainingscenter und Labor für einen einfühlsamen, achtsamen Zugang zur Welt – und dies ohne ideologischen Überbau, ganz aus uns selbst heraus. Wir lernen uns dabei als Menschen neu kennen und verstehen. Der äs- thetische Prozess wirkt als Initiation für Menschen, die ahnen, dass ihre Möglichkeiten noch lange nicht aus- geschöpft sind und die ihre Spielräu- me im Denken, Fühlen und Handeln erweitern möchten. Wie gelingt nun ein solcher „ästheti- scher Prozess“? Wir haben mehrere Aspekte identifiziert, die wir für grundlegend erachten: Interdiszi- plinarität, Offenheit, Begegnung, Achtsamkeit, Toleranz, Geduld, Vertrauen, Mut. Und ganz besonders: die Kunst. Beim ästhetischen Prozess spielt nach unserem Verständnis die Kunst eine wesentliche Rolle, da sie exemplarisch für die Möglichkeit steht, die Welt und ihre Gelegen- heiten aus größtmöglicher Freiheit heraus wahrzunehmen. Aus dieser besonderen Wahrnehmung erwächst ein existenziell höchst anspruchs- volles Selbstverständnis, das die Beteiligten geradezu dazu nötigt, sich als Künstler zu verstehen und etwas „Eigenes“ zu schaffen, was gemeinhin einem Genius oder wenigstens einer Inspiration entspringt. Solchen pro- duktiv wirksamen Idealvorstellungen können wir uns als begrenzte Wesen nur annähern, doch legen wir bei For- schende Kunst Wert darauf, dass der ästhetische Prozess von Künstlern be- gleitet wird, die diesen unbedingten Anspruch an Freiheit und Ausdruck wach halten und in mancherlei Hin- sicht vielleicht sogar verkörpern. Wir können und wollen hier keine Be- triebsanleitung für Kreativitäts- oder Innovationsprozesse liefern. Unsere Darstellungen geben jedoch Hinweise für gelingende Entwicklungspro- zesse in Teams, Unternehmen oder Organisationen. Diese Prozesse sind (re-)produzierbar, aber aufgrund der Freiheit, die wir von vornherein fordern (müssen), sind die Ergebnisse des ästhetischen Prozesses im Vorfeld nicht absehbar und damit unkalku- lierbar. Der ästhetische Prozess, wie wir ihn verstehen, ist nur möglich, wenn er ohne vorgegebene Ziele auf den Weg gebracht wird. Vertrauen in die konstruktive Kraft der Menschen, die sich auf den ästhetischen Pro- zess einlassen, setzen wir unbedingt voraus. Wer dieses Vertrauen nicht zu schenken bereit ist, wird den ästheti- schen Prozess nicht erfahren und an dessen Ergebnissen nicht teilhaben können. Implementierung Wie kann nun ein solcher Prozess, der per se keine vorgegebenen Ziele zulässt, überhaupt als Prozess installiert werden? Es lassen sich einige Elemente identifizieren, die den Rahmen bilden für einen Freiraum, in dem der ästhetische Prozess zur Entfaltung kommt. So kann man im Vorfeld einen Bereich festlegen, dem sich der ästhetische Prozess wid- men soll – dies kann z.B. das Feld der Organisation, der Produkt- oder der Personalentwicklung sein. Je nach Themensetzung entwickeln wir die Zusammenstellung des Teams mit einer interdisziplinären Mischung aus internen und externen Teilnehmern. Entsprechend der Philosophie von „Forschende Kunst“ wird mindes- tens ein Künstler (Musiker, Bildender Künstler, Schauspieler o.ä.) in den Prozess eingebunden. Der ästhetische Prozess wird auf min- destens drei Workshoptage angelegt, bei denen alle Beteiligten durchgän- gig dabei sein sollten – Ausnahmen bestätigen die Regel. Der Prozess wird von zwei im ästhetischen Prozess erfahrenen Coaches moderiert, wobei diese die Rolle eines teilnehmenden Beobachters einnehmen, d.h. sie bringen sich in den Prozess wie die anderen Teilnehmer ein, reflektieren, begleiten und dokumentieren ihn aber auch. Aufgabe der Coaches ist es, in die Philosophie des ästhetischen Prozesses einzuführen, ein Bewusst- sein für das schöpferische Potenzial in jedem Einzelnen und im Team zu schaffen und damit eine größtmög- liche Offenheit und Achtsamkeit herzustellen, was den ästhetischen Prozess in Gang bringt. Wirksamkeit Auch wenn der ästhetische Prozess bewusst ohne Zielvorgaben beginnt, so tragen die TeilnehmerInnen doch in sich bereits Potenziale für mögliche Realisierungen, die sich im Laufe des Prozesses zeigen, ausdifferenzieren und transformieren. Der ästhetische Prozess verlangt von jedem der Betei- ligten eine größtmögliche Auseinan- dersetzung mit der eigenen Wahrneh- mung und den eigenen Möglichkeiten und ebenso mit den Wahrnehmun- Der ästhetische Prozess Herleitung, Methodik und Praxis Text: Michael Schels
  • 13. 13Dokumentation Forschende Kunst 2 – Musik & Klang gen und Potenzialen der anderen. In dieser Begegnung entsteht etwas Neues, das nicht vorhersehbar ist, das jedoch im gemeinsamen Austausch geprüft und voran gebracht wird. Am Ende des Prozesses entsteht ein im freiwilligen Konsens und von allen Beteiligten getragenes Ergebnis, das die Basis für künftige Projekte und/ oder Maßnahmen bildet. Unterneh- men oder Organisationen, die diesen Prozess strategisch implementieren, gewinnen einen Zugang zu bislang ungeahnten Ressourcen, die nicht nur als Ideen wertvoll sind, sondern die auch nachhaltig sind, da sie von den Beteiligten „im Innersten“ entwickelt wurden und somit von diesen auch vertreten und gelebt werden. Der ästhetische Prozess erschließt das intrinsische Potenzial eines Unter- nehmens oder einer Organisation und ermöglicht es den Beteiligten, sich in ein originäres, verantwortliches und selbstbestimmtes Verhältnis zur ei- genen Arbeit zu setzen. Wer auf diese Weise Mitarbeiter an der Entwicklung des Unternehmens teilhaben lässt, schafft eine Authentizität und eine größtmögliche Potenzialentfaltung, die im ganzheitlichen Sinne dem Menschen UND dem Unternehmen dient. Wir sind überzeugt: Unterneh- men, die den ästhetischen Prozess integrieren, beginnen von innen zu strahlen und werden ganz neue Wege gehen in Richtung einer nachhaltigen, menschenwürdigen und empathi- schen – mithin ästhetischen Zukunft. Einer der ersten Charts zur Visualisierung des ästhetischen Prozesses
  • 14. 14 Dokumentation Forschende Kunst 2 – Musik & Klang Dieser Artikel basiert auf einem Zentrifuge-Workshop, der im März 2014 im Rahmen eines Business-Kon- gresses zum Thema „Innovation und Nachhaltigkeit“ durchgeführt wurde. Dieser Workshop präsentierte Ergeb- nisse, Erkenntnisse und Methoden aus dem Projekt “Forschende Kunst” und stellte diese zur Diskussion. „Ästhetik“ ist ein vielschichtiger Be- griff, der sich im Laufe der Geschichte mit mehreren Bedeutungsebenen an- gereichert hat. Ursprünglich stammt der Begriff aus griechisch „aἴsthēsis“ (αίσθησις) und bedeutet schlicht „Wahr- nehmung“ oder „Empfindung“. Im 18 . Jahrhundert wurde die „Äs- thetik“ als philosophische Disziplin in den modernen Sprachgebrauch eingeführt. Ästhetik stellt hierbei eine eigenständige Weltinterpretation neben etwa Rationalität oder Ethik dar. Ein berühmter Vertreter ist bei- spielsweise Immanuel Kant, der in der „Urteilskraft“ ein Vermögen identifi- ziert, das weder durch „theoretische“ oder „praktische Vernunft“ allein ganz erklärt werden kann. Friedrich Schiller sah in seiner Schrift „Über die ästhetische Erziehung des Menschen“ in der Ästhetik gar das Mittel, um den Menschen, modern gesprochen, „ganzheitlich“ zu stimulieren und zu bilden. Auch das, was man Sinn-Di- mension nennt, wird auf spielerische Weise eingelöst. Heutzutage sieht man Ästhetik eher als wissenschaftliche Lehre im Um- feld von etwa „Design“. Man weiß, was, warum und wie etwas ästhe- tisch wirkt. Im Alltagssprachgebrauch wiederum ist ästhetisch alles, was mit „Verschönerung“ zu tun hat. Man denke nur an das moderne Geschäft mit körperlich-ästhetischer Perfekti- onierung. In den Workshops, die von der Zen- trifuge durchgeführt werden, steht die Ästhetik bewusst als besonde- re, eigenständige, philosophische Weltbetrachtung im Vordergrund: als Wahrnehmung im ganzheitlichen Sinn. Die Frage nach einem speziellen „ästhetischen Erlebnis“ ruft, wenn man sich darauf einlässt, eine ganze Reihe lebendiger Assoziationen hervor. Es fällt zunächst auf, dass alle Sinne beteiligt sind. Es handelt sich um ein holistisches Erlebnis. Eine Wertung im Sinne von „falsch“ oder „richtig“ ist in diesem Zusammen- hang letztlich zwecklos. Der Verstand versucht zwar, zu argumentieren, aber er merkt, dass seine Mittel nicht ausreichen. Es ist kaum oder schwer zu erklären, was einen ergreift – und gerade das macht den Reiz ästheti- scher Erlebnisse aus. Es handelt sich um eine andere Logik, die auch eine andere Art von Erkenntnis vermittelt. In aktuellen Diskursen, die sich mit Innovation und Nachhaltigkeit beschäftigen, herrscht hauptsäch- lich der Verstand vor. Das ist auch durchaus deutlich spürbar. Logische Argumente werden etabliert und aus- getauscht, die Effizienz wird berück- sichtigt, rationale Methoden erson- nen. Die ästhetische Dimension wird dabei gar nicht oder kaum in Betracht gezogen. Dabei ist gerade sie ein entscheidender Faktor bei erfolgrei- chen Produkten und Dienstleistungen – ganz besonders in der langfristigen Die ästhetische Dimension als Innovationstreiber Text: Ronald Zehmeister
  • 15. 15Dokumentation Forschende Kunst 2 – Musik & Klang Perspektive. Es lässt sich sogar die These aufstellen: je ästhetischer ein Erzeugnis, umso nachhaltiger ist es. Dasselbe gilt auch für Innovation. Mit einem drei-dimensionalen Modell, das die ästhetische Dimen- sion berücksichtigt, lässt sich eine Bewertungs-Matrix erstellen, die sich gut zur Analyse von Produkten oder Dienstleistungen eignet: Es sind Produkte denkbar, die nur innovativ oder nur nachhaltig sind. Manche Consumer-Electronics-Pro- dukte setzen zum Beispiel hauptsäch- lich auf eine schnelle Verbreitung im Markt, wohl wissend, dass eine höhere Leistung bald auch wieder neue Begehrlichkeiten wecken wird. Andererseits verschafft das Label „Nachhaltigkeit“ Kaufargumente für Produkte, die gar nicht unbedingt innovativ sein müssen. Sehr viel Wert wird im Moment auf eine möglichst gleichwertige Beto- nung der beiden Achsen „Nachhal- tigkeit“ und „Innovation“ gelegt. Eine entsprechende zweidimensionale Matrix kann sehr gut ein Modell dafür abgeben. High-Tech und gleichzeitig Effizienz lauten in etwa die Schlag- worte. Doch was passiert, wenn man nun zusätzlich auch die ästhetische Dimension berücksichtigt? Nicht nur im Sinne von Design wohlgemerkt, sondern in ganzheitlicher Weise. Es lässt sich feststellen, dass diese Dimension eine Hebelwirkung auf die beiden anderen Achsen haben kann. Wer in die ästhetische Dimension investiert, profitiert automatisch auch im Sinne der Nachhaltigkeit und im Sinne der Innovation. Es lohnt sich, bestimmte Ikonen in der Geschichte der Produkt-Welt oder besondere Neuerungen der Kulturge- schichte einmal nach diesem Modell zu analysieren. Wir fördern Kunst und Kultur in Nürnberg, Stadt und Land. s Sparkasse Nürnberg Alexander Shelley, Chefdirigent der Nürnberger Symphoniker 04446_A_Zertifikate_Img_Kultur_200x135.indd 1 16.06.14 11:12
  • 16. 16 Dokumentation Forschende Kunst 2 – Musik & Klang In unseren Betrachtungen gehen wir vom Wechsel des 19. Jahrhun- derts in das 20. Jahrhundert aus. Wir begründen mit einigen Beispie- len den Weg der Demokratisierung und Diversifizierung der Musik und spüren daran orientiert dem Sinn nach, den Musik für das Individuum und die Gesellschaft morgen haben kann. Unzweifelhaft hatten auch die beiden schrecklichen Kriege einen großen Einfluss auf das Geschehen und die Entwicklung der Musik, wir verzichten an dieser Stelle jedoch auf diesbezügliche Betrachtungen. Freiheit Albert Einstein entwickelt die Rela- tivitätstheorie, Sigmund Freud die Lehre von der Psychoanalyse, der erste Zeppelin wird gebaut, das Auto entwickelt sich zum Massenprodukt, Ronald Amundsen erreicht den Süd- pol, die Titanic kollidiert mit einem Eisberg. Die technischen Errungenschaften des 19. und 20. Jahrhunderts ermög- lichten eine gewaltige Beschleunigung der gesellschaftlichen Entwicklung. So kam es in Folge der neuen Mög- lichkeiten zu einer nie da gewesenen Urbanisierung. Die Städte wuchsen in rasantem Tempo, das Stadtleben veränderte sich dramatisch. Ein Beispiel für eine Entwicklung, die neue Möglichkeiten schaffte, war die Elektrifizierung der Beleuchtung. Es ist sicher berechtigt, den Ersatz der Kerze durch die Glühbirne als Symbol für die grenzenlosen Möglichkeiten und eine neue Dimension in der Unabhängigkeit zu verstehen. Die Menschen konnten ohne Risiken die Nacht zum Tag machen. Das Stadt- leben konnte jederzeit stattfinden. Arbeiten, aber auch Feiern war nachts möglich. Menschen mit den unterschiedlichs- ten Erfahrungen und Erwartungen trafen auf begrenztem Raum zu- sammen. Die Menschen wurden weiterhin ausgebeutet und arbeiteten viel. Aber es entwickelte sich auch eine Arbeiter- und Armenpolitik, die denen helfen sollte, die in Not gera- ten waren. Die Menschen glaubten an ihre Allmacht. Die Perspektiven waren hervorragend, die Lust auf Unterhaltung groß. Auf diesem Boden entwickelte sich eine neue Kultur der Unterhaltung. Das Kabarett entstand, das Musical kam aus den USA nach Europa. Damit wandelte sich Musik zu einem großen Teil von der durch die Aristokratie finanzierten Kunst zu einem Kulturprodukt, das von einer größeren Menge an Zuhörern selbst finanziert wurde – finanziert werden musste. Das hatte zur Folge, dass diese Produkte mehr Menschen gefallen mussten, der Maßstab für die Durchführbarkeit aufwändigerer Produktionen war die Popularität der Aufführung. Die Ernsthaftigkeit der Inhalte wich der leichten Unterhal- tung und dem Amüsement. Neben den gesellschaftlichen Verän- derungen beschleunigten technische Entwicklungen, die direkten Einfluss auf die Musikproduktion hatten, die Welt der Musik in atemberaubendem Tempo. Aufnahmetechniken, Re- produzierbarkeit von Musik, bis zur Massenproduktion der Schallplatte mit hoher Wiedergabequalität, revolu- tionierten das Musikgeschehen. Nicht zu vergessen das Radio für jeden. Plötzlich konnte jeder zu jeder Zeit auch in seiner privaten Umgebung Musik hören. War der Rezipient bisher gezwungen, beim Entstehen der Musik anwesend zu sein, ob im Opernhaus oder auf der Kabarettbühne, konnte er nun an jedem beliebigen Ort, zu jeder belie- bigen Zeit, die auf Platte verewigten Werke anhören oder das Programm im Radio verfolgen. Wir denken, dass in diesem Moment eine erste Diversifizierung von Musik in bis dahin ungekannter Dimension passierte. Etwas Ungeheures war ge- schehen. Die Musik als strukturierter Klang war bis dahin stets Vergange- nes, sie war nicht wiederholbar. Das ist einer der wesentlichen Unterschie- de zwischen visueller und auditiver Wahrnehmung. Das Bild bleibt, der Klang vergeht, ist stets Vergangenes. Daher geben wir der Entstehung der Musik eine weitreichendere Bedeu- tung in unserem Verständnis von Musik als Kunst. Mit einem einfachen Beispiel können wir das nachempfin- den: Gehen Sie ins Konzert, wohnen Sie der Aufführung live bei, hören Sie sich die gleiche Aufführung zu Hause auf der hochwertigsten Anlage an – Sie spüren den Unterschied. Wir müs- sen beim Entstehen der Musik dabei sein, um die Kunst darin zu spüren. Hermann Hesse: Das Konzert Die Geigen schwirren hoch und weich, Das Horn klagt aus der Tiefe her, Die Damen glitzern bunt und reich Und Lichtgefunkel drüber her. Ich schließe meine Augen still: Ich sehe einen Baum im Schnee, Der steht allein, hat was er will, Sein eigen Glück, sein eigen Weh. Beklommen geh ich aus dem Saal Und hinter mir der Lärm verklingt Von halber Lust, von halber Qual - Mir blieb er unbeschwingt. Ich suche meinen Baum im Schnee, Ich möchte haben, was er hat, Mein eigen Glück, mein eigen Weh, Das macht die Seele satt. Hermann Hesse. Die Gedichte, Band 1, suhrkamp taschenbuch 381, Erste Auflage 1977, S.431 Noch etwas ist geschehen, auf einer ganz anderen Ebene, eine Entwick- lung, die heute wohl ihren Zenit schon überschritten hat: Die wirt- schaftliche und damit eine äußerst mächtige Entwicklung. Es kam der Vermittler zwischen Musiker und Rezipient in die Welt. Die Musik musste als Massenware produ- ziert und verkauft werden. Der Verlag, heute das Label, etablierte sich. Im wirtschaftlichen Interesse wuchs der Einfluss, den die Verleger auf die Künstler nahmen und nehmen. „…aus den Beatles (sind) zur Zeit der Veröffentlichung des ‚Sergeant Pepper‘-Al- bums exzellente Künstler geworden, professionell, witzig, einfallsreich, genial. Doch schon lange davor hatten sie aufge- hört, Rockmusiker zu sein, nämlich als sie sich nicht mehr um das scherten, was sie sangen. Das Publikum hatte sichtlich einen immensen Bedarf nach Beatles-Platten – die Gruppe entsprach dem und veröffent- lichte eine Platte nach der anderen. Doch zu sagen hatten sie nicht mehr viel; also amüsierten sie sich damit, herauszufinden, auf wieviele verschiedene Arten sich nichts sagen lässt.“ Gillett, Charlie. The Sound of the City: the Rise of Rock and Roll, (Outerbridge & Dienstfrey) New York 1970. S. 332. Zitiert aus Reebee Garofalo: Die Relativität der Autonomie, Schriftenreihe herausgegeben vom Forschungszentrum Populäre Musik der Humboldt-Universität zu Berlin Musik, morgen Ein Plädoyer für die Kunst Text: Eric Juteau, Otmar Potjans, Michael Wolf
  • 17. 17Dokumentation Forschende Kunst 2 – Musik & Klang Erfolg orientiert sich an den Chart- platzierungen und den Gewinnmög- lichkeiten der Produzenten. Gut ist, was gefällt und sich verkaufen lässt. Man könnte darin eine gewisse De- mokratisierung erkennen, wenn da nicht die großen Machtunterschiede wären. Die Musikindustrie nutzt die Möglichkeiten, Stars zu pushen und nicht selten erhalten die Rezipienten, die zum Konsumenten degradiert sind, Fastfood statt Kunst. Dennoch hat eine Demokratisierung stattgefunden – aus drei Gründen: Erstens kann nun wie oben beschrie- ben dank der Massenproduktion und der Entwicklung populärer Darstel- lungsformen jeder seine Musik hören, zweitens ist es Dank der wirtschaft- lichen Entwicklung immer mehr Menschen möglich, ein Instrument zu erlernen und zum Dritten entwickeln sich entsprechend dem pluralisti- schen Zeitgeist unterschiedliche Mu- sikformen, die zum Teil mit einfachen Mitteln und damit von mehr Men- schen realisierbar sind. Auf dem Weg zur Musik von morgen Wieder einmal hat eine Revolution stattgefunden. Waren es gestern noch Schallplatten, Tonbänder und Kasset- ten, speichern wir unsere Musik heute auf unseren Telefonen oder machen sie gleich selbst. Synthesizer sind aus der Mode, der Instrumentenbauer hat in dem Softwareentwickler eine Ergänzung erhalten. Früher musste man ein Instrument beherrschen, wenn man komplexere Musik erzeugen wollte als den eige- nen Gesang, den man natürlich auch pflegen muss. Ein Musikinstrument beherrschen bedeutet jahrelanges Üben. Zeit und Geld mussten inves- tiert werden – in das Erlernen des Instrumentes und in dessen Anschaf- fung. Dieses Hindernis, Musik zu ma- chen, gibt es nicht mehr. Heute kann sich jeder mit geringen Kosten eine App aus dem WWW herunterladen, mit der er ohne große Vorkenntnisse Musik erzeugen kann. Aufnehmen, Bearbeiten und Verteilen sind heute von Autodidakten mit gängiger Soft- und Hardware zu realisieren. Das gilt auch für Produktionen mit akusti- schen Instrumenten. Heute verfügt man prinzipiell über die Mittel, Musik selbst zu produzie- ren und zu veröffentlichen. Bei der großen Reichweite des Internets wird sich wahrscheinlich auch für das absurdeste Werk eine Fangemeinde finden. Will der Musikerzeuger aber von seinen Werken leben, ist wieder die Zahl der Zuhörer ausschlagge- bend. Die Anzahl der Klicks bestimmt die Einnahmen. Diesmal entscheidet aber stärker die Masse als der Produ- zent über den Erfolg. Einfluss durch einen Vermittler gibt es nicht. Das liegt dran, dass als „Vermittler“ der Computer, der Server und die Ver- bindung ins WWW fungieren. Aber es geht nach wie vor um Popularität – und wenn es um Popularität geht, schreit das Medium Internet nach dem Video. Diese Entwicklung wird sich verstärken. Musikvideos, die man am heimischen Computer produziert, werden Massenware. Es wird neue Möglichkeiten geben, Klänge zu erzeugen, es wird neue Strukturen geben, es wird eine stärkere Verbindung der auditiven mit der visuellen Darstellung geben, der Vertrieb und die Kommunikation werden sich direkt zwischen Musi- kerzeuger und Rezipient abspielen. Es wird immer einfachere und günstige- re Soft- und Hardware geben, die das Produzieren von Musik und Videos vereinfachen und gleichzeitig raffi- niertere Ergebnisse liefern. Es wird Software geben, die mit Endgeräten ganz neue Klänge erzeugen. Diese unübersehbaren neuen Möglich­keiten führen zu einer bei- spiellosen Diversifizierung der Musik. Bisher konnten wir noch unterschei- den zwischen Liveprodukten und Musik aus der Konserve. Wir konnten sagen, dass wir Musik beim Entste- hen erleben müssen. Und damit der Aufnahme den künstlerischen Anteil absprechen. Intuitiv musizieren mit dem iPad: Das Orphion ist eine von Bastus Trump entwickelte Sound- und Percussion-App für Multitouch-Screens.
  • 18. 18 Dokumentation Forschende Kunst 2 – Musik & Klang In Zukunft müssen wir wohl anerken- nen, dass Musik, die für ein Medium wie das Internet produziert wird, eine eigenständige Form der Kunst ist. Eine andere Form als die Musik, die im Konzertsaal entstehen muss, die nur dabei erlebbar ist. Ähnlich radikal sieht es mit der Demokratisierung aus. Jeder kann Musik machen, jeder kann sich an dem Urteil über das Werk beteiligen. Das heutige Hörverhalten lässt jedoch vermuten, dass sich die Kriterien bei der Beurteilung der Musik auf das eigene Wohlbefinden, auf die Stim- mung und auf Motivation, die ich aus dem Stück erhalte, beschränken werden. Was mir gefällt und einfach zu konsumieren ist, ist gut. Dass die Gefahr der Fastfood-Abspeisung lau- ert, ist offensichtlich. Aber vielleicht sollten wir mit mehr Vertrauen in die Zukunft blicken, schließlich wollen heute immer mehr Fastfood-Liebha- ber qualitativ hochwertiges Essen, Salat und Vollwert statt schnelle, fette Burger. Was ist der Sinn des Ganzen? Unterhaltungsmusik hat ihre Be- rechtigung. Aber wie die heutige Ökonomie verkauft sie Emotion ohne Tiefgang und Intensität, ohne tiefe, anhaltende Berührung. Sich damit zu beschäftigen ist wie Fernsehschau- en: nett, bequem, aber meist vertane Zeit, Berieselung und Hintergrund­ rauschen. „Leider“ ist es mit dem Hören anders als mit dem Sehen: wir können kaum filtern – wie jeder Besuch im Supermarkt mit seiner Kauflustweckberieselung immer wie- der aufs Neue beweist. Andererseits macht gerade dieses Nichtweghörenkönnen das Besondere der Musik aus. Die Musik findet den direkten Weg zu uns. Wir können uns dem Klang nicht verschließen. Die Musik trifft direkt auf unsere Seele. Wir empfinden tiefste Gefühle, Trau- er, Glück. Ein Werk von hoher Komplextät und Qualität kann aber noch viel mehr. Es verschiebt die Grenzen der sinnlich erkennbaren Welt Es schenkt uns Empfindungen, die über das sinnlich Erfahrbare hinausgehen: Schönheit, Wissen, Verbundenheit, Universum, Gott. Hermann Hesse: Weg nach Innen Wer den Weg nach innen fand, Wer in glühndem Sichversenken Je der Weisheit Kern geahnt, Daß sein Sinn sich Gott und Welt Nur als Bild und Gleichnis wähle: Ihm wird jedes Tun und Denken Zwiegespräch mit seiner eignen Seele, Welche Welt und Gott enthält. Hermann Hesse Die Gedichte, Band 1 suhrkamp taschenbuch 381, Erste Aufiage 1977, S.433 Wir spüren, dass es nicht um uns allein geht, wir spüren, dass es um alles geht. Wir spüren, dass wir Teil der Gesellschaft sind, Teil der Welt. In diesem tiefen Empfinden erfahren wir, dass es ein übergeordnetes Prin- zip gibt, dass wir Teil eines Ganzen sind, … was immer das sein mag. Schönheit, Wissen, Verbundenheit, Universum, Gott zu fühlen, in uns zu finden, ist die große Chance für unser gemeinsames Leben auf diesem Pla- neten. Die Musik braucht dazu keine Religion, keine Märtyrer und keinen Prediger. Der Künstler ist der Bot- schafter, der uns mit seinem Werk die Harmonie in unsere Seele zurücklegt und uns versöhnt mit uns selbst und mit dem Universum. Egal, ob es um die göttliche Botschaft geht oder um die Sprache der Liebe. Die Kunst hat die Chance, Wissen und Verstehen über die Verbundenheit in die Welt zu bringen. Dafür müssen wir alle kämpfen, die Gesellschaft, die Rezipienten und die Künstler. Die Künstler müssen unabhängig von allen Systemen ihre Werke erschaf- fen, sie müssen mutig ihrer Intuition folgen und den Zugang zur Spirituali- tät öffnen. Die Rezipienten müssen sich voll Mut und Neugier aufmachen, aufmachen, um sich berühren zu lassen, aufma- chen, um Neues zu finden. Wir alle sollten uns auf eine führende Rolle der Kunst in der Gesellschaft einlas- sen. Die Ausstellung „Beziehungsalchemie“ in der Zentrifuge thematisierte auch die nahezu alchemistische Arbeitsweise der Zentrifuge: Aus intuitiv erprobten, durch Erfahrung angereicherten Vermischungen etwas Neues, Wertvolles schaffen. (Foto: Eckehard Fuchs)
  • 19. 19Dokumentation Forschende Kunst 2 – Musik & Klang Im Zusammenhang mit dem unter- nehmerischen Gründungsprozess werden in der Theorie meist betriebs- wirtschaftliche und rechtliche Grund- lagen einer Unternehmensgründung vermittelt. Parallel geben für ge- wöhnlich erfolgreiche Unternehmer und GründerInnen gute Einblicke in die Praxis und berichten über ihre Erfahrungen. Der Beratermarkt bietet ebenfalls ein riesiges und differen- ziertes Angebot an Beraterleistungen, um UnternehmerInnen und Grün- derInnen bei der Umsetzung ihrer Geschäftsidee zu unterstützen. Wie aber wird eine Idee definiert? Wie wird eine Idee ausgelöst? Wie wird aus einer Idee eine Geschäftsidee? Woran kann ich eine durchdachte, erfolgversprechende Idee erkennen? Wie wird aus einer zündenden Idee eine Geschäftsidee? Von solchen Fra- gen wird der Gründer bzw. Unterneh- mer nicht unbedingt erleuchtet, was sein Engagement und seine inhärente Motivation und Begeisterung betrifft. Selbst wenn der Gründungspapst Günter Faltin einen Schub an Motiva- tion einbringt, indem er behauptet: „Jeder kann ein Unternehmer werden. Mehr als eine kreative Idee braucht es nicht.“ In seinem Buch „Kopf schlägt Kapital“ vertritt der Professor für Entrepreneurship an der Freien Universität Berlin darüber hinaus die These, dass ein gut durchdachtes Konzept auschlaggebender sei als das Kapital. Kreative Ideen zu haben und ein durchdachtes Konzept zu präsen- tieren, das verlangt Offenheit und Ehrlichkeit sowie die Fähigkeit, sich an Neues anzupassen. Der Unter- nehmer muss auf seine Fähigkeiten vertrauen können und seine Intuition bei der Ideenfindung und -umset- zung schärfen. Es handelt sich um einen nie endenden Prozess, in den sich der Unternehmer begibt. Unter diesen Gegebenheiten vermischt sich allmählich der Unternehmensprozess als theoretisches und praktisches Konstrukt mit der Kunst als schöpfe- rischem Prozess. Denn in der Kunst verfügt der Künstler über die Zeit und schöpft die Möglichkeit aus, in Frei- heit seine Ideen und Gedanken neu zu hinterfragen, zu erproben. Die so gewonnen Erkenntnisse über den künstlerischen Prozess können dem Unternehmer ermöglichen, bewusster sein Unternehmensrisi- ko einzugehen. Der Unternehmer erhält ein besseres Verständnis für sein zukünftiges Handeln und seine anstehenden Tätigkeiten. Dank der Kunst ergeben sich Möglichkeiten, neue Begegnungen zu machen, neue Zusammenhänge wahrzunehmen. Der Unternehmer verfügt plötzlich ohne großes Tun über Zeit, seiner Idee schöpferische und innovative Gestalt zu verleihen, ohne den Anspruch zu haben, Künstler zu sein oder zu werden. Den unternehmerischen Prozess ästhetisch gestalten Forschende Kunst ist ein hoch ambitioniertes Zukunftsprojekt der Zentrifuge, das mit interdisziplinären Teams arbeitet, um herauszufin- den, wie überhaupt das „Innovative“ aus der Kunst Impulse holen kann. Forschende Kunst geht der Kunst auf die Spur und fragt sich, was sich aus der Kunst auf die pragmatische Welt übertragen lässt. Die Gründer der Zentrifuge vertreten die Meinung, Kunst sei das letzte Refugium von Freiheit. Sie wollen nachvollziehbar machen, was wirklich wichtig und wertvoll ist und was für einen Preis wir dafür bereit sind zu zahlen. So habe ich nach dem Besuch des kre- ativen Workshops „Forschende Kunst 2: Musik und Klang“ aus meinen tiefst persönlichen Erkenntnissen festge- stellt, dass ein Geschäftsplan mehr als nur ein Zahlenhaufen ist. Mit Hilfe des Business Models „Can- vas“ hatte ich im Jahr 2013 in neun Schritten eine Geschäftsidee auf die Beine gestellt und schrittweise mit der Partnersuche begonnen. Die Organisation „Interkulturelles Zentrum Mbalmayo/Nürnberg“, die ich leite, hat das Hauptziel, Bildung und Kultur in ausgewählten Ländern wie z.B. Kamerun und Deutschland sowie Frankreich aktiv zu fördern und für jedermann/-frau durch Informa- tionen und Projekte zugänglich zu machen. Durch diese Dynamisierung öffnen sich Möglichkeiten, Menschen zu mobilisieren, die bereit sind, die wirtschaftliche, soziale, politische und kulturelle Entwicklung ihres Viertels, ihrer Stadt, Ihres Land mit innovativen und nachhaltigen Ideen voranzutreiben. Die Idee dahinter ist, dass die Menschen mehr Offenheit für ihre Umwelt und ein Bewusstsein für Gemeinsinn entwickeln. Zentrales Element für die Umsetzung der Idee ist das Eröffnen von Begegnungs- zentren, in dem kreative Workshops gehalten werden. Zeit, Können und Erfahrungen werden als Hauptres- sourcen eingesetzt, die die Motivation und die Partizipation aller Bürger neu definieren und ausrichten können. Die Ideen münden in Projekte ein, die die Entwicklung der direkten Umwelt effektiv steuern. Es geht z.B. um Schlüsselfaktoren, die eine generationsübergreifende Entwick- lung wesentlich beeinflussen: Schulen und Bildungsstätten, Kultur, Verkehr, Infrastruktur, Wohnen, Industrie, Landwirtschaft, Ordnung, Energie, Tourismus etc. „umwelten“ durch persönliche Veränderung Auf der Partnersuche für mein Projekt ist mir Michael Schels, der Gründer der Zentrifuge, begegnet. Dass wir zu- sammenarbeiten wollen, war im ers- ten Gespräch klar. Und so bin ich dan- kenswerterweise nach nur kurzer Zeit zum Workshop „Forschende Kunst 2“ eingeladen worden. Ich war gerne mit Herz und Seele dabei, da ich tief in mir spürte, dass meine Geschäftsidee mehr als nur einen Businessplan mit Zahlen und Zeitstrahlen erfordert. Aber was zusätzlich sein sollte, konnte ich zu diesem Zeitpunkt gar nicht mit Worten ausdrücken. Anstatt ein Gründerseminar zu besuchen, was gewöhnlich üblich ist, saß ich an einem Samstag in den Räumen der Zentrifuge und durfte mich mit einer netten Gruppe über Musik und Klang austauschen. Dass ich Klang von mir aus erzeu- gen und dass ich noch sensibler sein könnte, was Musik und Klang und sogar Kreativität angeht, davon habe ich mich erst während dieses Work- shops überzeugen können. Was hat das denn mit einem Businessplan Der unternehmerische Gründungsprozess Text: Marie Claude Ekotto
  • 20. 20 Dokumentation Forschende Kunst 2 – Musik & Klang oder einer Geschäftsidee zu tun? Eine Antwort auf diese Frage, die ich gerne über diese Dokumentation teilen möchte, habe ich erst am Ende des Workshops erhalten: Meine Ge- schäftsidee hat eine innovativere und kreativere Note bekommen, ja eine humanere Gestalt angenommen. Die Art und Weise, wie ich längerfris- tig Menschen für meine Idee begeis- tern kann, lag mir endlich klar vor Augen: Kunst, Sport, Geographie und Geschichte, Austausch sowie Werte, die ich gerne durch meine Arbeit ver- treten möchte, sind der Leuchtturm meiner Aktion. Der Mensch und seine Umwelt sind die Schlüsselbegriffe, die ich mit einfließen lassen muss, wenn ich meine Idee mit Begeisterung weiterverfolgen möchte. Ohne selbst Künstlerin zu sein, habe ich den Weg der Offenheit einge- schlagen. Die Angst, den Gründungs- prozess nie beenden zu können, die Angst, nicht perfekt zu sein, war auf einmal vom Tisch und so folge ich seitdem mit aller Herzlichkeit und Offenheit bei jeder anstehenden be- ruflichen, privaten und unternehme- rischen Entscheidung meiner Intuiti- on und meiner Kreativität. Ich habe es gewagt, kreativ zu sein. Der schöpfe- rische Akt hat in mir viele Potentiale freigesetzt und Freiräume eröffnet. Mein Ich als Forschungsobjekt Der Prozess der Kreativität ver- langt intensive Selbsterkenntnisse. Selbsterkenntnis verlangt wiederum, ob man es will oder nicht, Schlüs- se zu ziehen, Dinge zu beobachten, das Wahrnehmen mit allen Sinnen. Es war am Anfang des Workshops ein sehr unangenehmes Gefühl, als Untersuchungsobjekt zu fungieren. Zumal mir es in erster Linie um das Vorantreiben meiner Geschäftsidee im Bereich Bildung und Kultur ging. Die während der Workshops er- zeugten Klänge haben bei mir eine Erinnerungsfunktion freigesetzt. Erinnerungen an Momente, in denen ich frei und unbekümmert Töne mit ungewöhnlichen Gegenständen (Cola Flachen) erzeugt hatte. Ich konnte während dieser Workshops Kreativi- tät erleben, spüren, schmecken und erfahren. Das Gefühl der Mitte hat die „Not- wendigkeit“ verdrängt, mich immer entscheiden zu müssen. Ich begegne heute der Fülle des Lebens in ihrer ganzen Vielfalt. Ich bin wertungsfrei gegenüber Unbekanntem. Die große Herausforderung dabei ist, die ange- lernten Strukturen mit der Kreativität zu vereinbaren. Durch den nie enden- den Prozess der Kreativität lerne ich allmählich, das Geschaffene immer wieder zu reflektieren. Erst dann tauchen die wesentlichen Fragen auf: Was ist mir wichtig? Was ist mir nütz- lich? Somit schaffe ich auch Klarheit über mein Handeln und meine gesell- schaftliche Verantwortung innerhalb meines beruflichen und privaten Bereichs. Damit schaffe ich es auch, klare Grenzen zu ziehen, innerhalb derer mein „Interkulturelles Zentrum Mbalmyo/Nürnberg“ Verantwortung zu tragen hat. Innerhalb der Gruppe habe ich weitgehend gelernt, frei von Blockaden gewonnene Erkenntnisse zu formulieren. Mein Wahrneh- mungsvermögen wurde geschärft, indem ich intensiv gelernt habe, Unsi- cherheit zuzulassen und mich auf das Wichtige zu konzentrieren. Seit dieser reichen Erfahrung, meiner Kreativität freien Lauf zu lassen, wird meine Motivation zu agieren, über- wiegend innerlich gesteuert. Unbe- antwortetes macht mich offen für andere Disziplinen und Sichtweisen. Ich nutze jetzt die Gruppendynamik, um für unbeantwortete Fragen erste Antworten zu suchen. Ausgehend von diesen Erfahrungen und Selbsterkenntnissen habe ich einen zweiten Businessplan nach Canvas ausgestellt, der ja erst den An- fang meines Vorhabens darstellt. Aus systematischen Gründen habe ich im Folgenden beide Modelle zusammen- gefasst. Die orange markierten Texte stellen die Ergänzungen nach dem Besuch des Workshops dar. Canvas Model Geschäftsidee der Errichtung eines Interkulturellen Zentrums Mbalmayo/ Nürnberg nach Erkenntnisgewinnung aus dem Projekt „Forschende Kunst“ 1 und 2 (siehe Tabelle). Fazit Kreativität und Innovatives haben sich vermischt. Durch den kreativen Prozess haben sich meine persön- lichen Einstellungen zum Positiven verändert. Ich begegne der Vielfalt der Welt wertungsfreier. Diese persönli- chen Veränderungen haben wieder- um einschneidende Veränderungen auf unternehmerischer Ebene. So habe ich gewagt, Kunst, Geographie und Geschichte als Schlüsselfaktoren zur Motivation meiner Zielgruppe zu definieren. Innerhalb der interdisziplinären Gruppe der Zentrifuge, der ich ange- hören durfte, habe ich gespürt und erlebt, wie sich der Zugang zu Kunst auf das Wahrnehmungsvermögen der Teilnehmer ausgewirkt hat. Die Wahrnehmung ist zwar eine indivi- duelle Angelegenheit, aber die Kunst regt die Zuneigung zum Ästhetischen an. Durch Kunst und durch die gestei- gerte Wahrnehmung und die damit verbundenen Reaktionen wird der Kreativität Tür und Tor weit geöffnet. Für Informationen über das „Interkulturelle Zentrum Mbalmayo/Nürnberg“ I.Z.M.N. besuchen Sie bitte folgende Internetseite: www.culturcentermbyonbggrenoble.jimdo.com
  • 21. 21Dokumentation Forschende Kunst 2 – Musik & Klang Geschäftsidee der Errichtung eines Interkulturellen Zentrums Mbalmayo/Nürnberg/Grenoble nach Erkenntnisgewinnung aus dem Projekt „Forschende Kunst „ 1 und 2 (Canvas Model) Die wichtigsten Partner – IDEA-Labs (Frankreich) – CEA Grenoble technologische Innovationsplattform – Innovationsministerium Kamerun (CNDT) – Finanzdienstleister – Universitäten Kulturzentren in Kamerun/ Deutschland/Frankreich – Gospelinstitut Grenoble – Zentrifuge Nürnberg – Kreative Plattformen – Forschungsinstitute für Entwicklungspolitik – Schulen – Institut für Geographie und Geschichte Die wichtigsten Aktivitäten – Beschleunigung der Innovation unserer Partner – Stärkung des Innovationspo- tentials der FE-Abteilungen durch externe Partnerschaften – Management des geistigen Eigentums durch gezielte Informationsgewinnung – Innovative Wirtschaftsmodelle entwickeln – Know-how- und Wissens­ transfer zwischen Deutsch- land/Kamerun/Frankreich – Kooperative Nutzung von Infrastrukturen für FE Aktivitäten – Begleitung von Startups in Kamerun – Begeisterungspotential und Kreativitätspotential bei Einzelpersonen entwickeln und fördern Werte/Nutzenversprechen – Erweiterung des geschäftlichen Horizonts unserer Partner durch Nutzung intensiver Netzwerkverbindungen – Ausgeprägte Innovationskultur ermöglicht Partnern, sich mit innovativen Lösungen auf dem Markt zu behaupten – Reduzierung der Opportunitäts- und Informationskosten – Flache Kommunikationswege begünstigen einen reibungslosen Austausch auch mit Wettbewerbern – Dynamisierung der kollektiven Intelligenz und des kollektiven Könnens – Schnelle und effektive Durchführung von innovativen Projekten – neue Absatzmärkte – Gemeinsinn anregen durch Verfolgung gesell- schaftlicher nachhaltiger Veränderungen – Zusammenführen verschiedener Disziplinen, die getrennt und ineffizient nebeneinander gehandelt haben – Verfolgung von langfristigen Zielen, die über das eigene Spektrum hinaus gehen – Vereinbarkeit von Innovation und Vielfalt – Ermutigung, Inspiration und Einladung der Führungsverantwortlichen über den Teller- rand hinauszuschauen Partnerbeziehungen – direkte menschliche Inter- aktion – Betreuung kameruner Partner vor Ort – individuell anpassbare Innovationsworkshops – intensive Nutzung von Show Räumen, um eigene Ideen zu visualisieren – Austauschplattform im Web – Regelmäßige Audits im Bereich Innovation inkl. Berichtswesen – Branchenvergleich – Kooperative Marktüber­ wachung – regelmäßige Fachvorträge – Künstlerischer/historischer/ geographischer Austausch Segmente – Energie – Wohnen und Bauen – Telekommunikation Kunst Aus- und Weiterbildung sowie persönliche Entwicklung Tourismus und Städteentwick- lung Die wichtigsten Ressourcen – Hervorragender Sachverstand der Gründungsmitglieder – Internationales breites Netzwerk – Interkulturelle Kompetenz – Technologische Infrastruktur – Kreative Räume – Showräume – Finanzielle Unterstützung – Zeit, Wahrnehmung, Kreativi- tät, Achtsamkeit Kommunikations- und Vertriebskanäle – Seminare und Arbeitskreise – Workshops und Co-Working – Fachmessen – Exploration (Learning Speditions) – Coaching und Training – Innovationsabende – Publikationen – Telefonische Betreuung Kunstveranstaltungen – Innovative Workshops (Z-Prozess) – Werkstatt Lernen der Zukunft – Bildungsstätte eröffnen Kostenstruktur – Personal – Informationssammlung – Reisen und Meetings – Infrastruktur Showräume – Technologische Infrastruktur – Werbemittel – Künstlerische Aktivitäten (Modemacher, Musiker, Zeich- ner, Maler, Architekten u.a.) – Zusammenarbeit mit Geogra- phen und Historikern Einnahmenquellen – Mitgliedsbeiträge von Partnern – Spenden – individuelle Beratungsaufträge – Eintritte Fachmessen – Einnahmen aus der Begleitung von Startups in Kamerun – Staatliche und private Zuwendungen
  • 22. Bild links: 4-Kanal-Raumklanginstallation zum Festival „indukTiVe kopplung“ in der Zentrifuge vom 23.11. bis 30.11.2013
  • 23. 23Dokumentation Forschende Kunst 2 – Musik Klang Kunst und Wissenschaft. Seit Jahr- hunderten stehen sich diese Gegen- pole mit ihren spezifischen Metho- den und Perspektiven auf die Welt gegenüber, beäugen und analysieren sich. Bei näherer Betrachtung exis- tiert jedoch eine genaue Abgrenzung genauso wenig wie “die Kunst” oder “die Wissenschaft” in ihrer singulä- ren Form. Vielmehr scheint es eine Gewichtung verschiedener Wahrneh- mungsmodi und Darstellungsformen zu geben, die dem Forschen einen stärkeren wissenschaftlichen oder künstlerischen Charakter verlei- hen. Werden in den künstlerischen Dimensionen zumeist Erkennensgrö- ßen über das unmittelbare Erfahren des Jetzt und potentieller Ereignisse ermöglicht (Ästhetik), beschreiben die wissenschaftlichen Dimension ver- mehrt das Erkennen durch reflexive und retrospektive Betrachtungswei- sen (Vernunft). Die Schnittflächen und Transformationen in den Grenz- bereichen der jeweiligen Wissensfor- men sind jedoch groß und bergen das Potential für ganzheitlichere Ansätze in Kunst, Wissenschaft und Gesell- schaft (Moral). Vernunft Kunst als Wissenschaft und Wis- senschaft als Kunst. Die seit langem tradierte Bindung des ungleichen Paa- res wird in den letzten Jahren durch die institutionelle Auseinanderset- zung im Rahmen von Bologna auf ein Neues diskutiert. Dabei steht vor allem die Frage im Vordergrund, wie Forschung im Allgemeinen und im Besonderen an Kunsthochschulen ge- staltet, etabliert und von Forschungs- fördertöpfen finanziert werden kann. Gemäß der gesellschaftlichen An- forderung einer Wissensgesellschaft wurde hierfür vor allem die Frage des künstlerischen Wissens und Erken- nens auf den Prüfstand gestellt und in zwei unterschiedlichen Diskursen wieder aufgegriffen: Während in den Geistes-, Gesell- schafts- und Wirtschaftswissenschaf- ten schnellstmöglich künstlerisches Wissen diskutiert und (wenn auch etwas vorschnell) künstlerische Praktiken interpretiert und imple- mentiert wurden, sind vor allem die Kunsthochschulen gegenüber dem bisherigen Forschungsmonopol der Universitäten in eine Art Legitimati- onszwang geraten und subsumieren unter dem Begriff der “künstlerischen Forschung” Bestrebungen zur Objek- tivierung und Bemessung von Kunst und künstlerischer Praxis zur Einglie- derung in den Wissenschaftsduktus. Beide Systeme eint hierbei die kli- scheehafte Implementierung des Anderen, um den Arbeitsweisen einer an kreativen Belangen ausgerichte- ten Gesellschaft gerecht zu werden. Bedient man sich jedoch weniger dem Anderen als dem Fremden, als vielmehr den gemeinsamen Denkhal- tungen, so lässt sich mit dem “practi- cal turn” und der Hinwendung zur Kultur in den Kultur- und Geisteswis- senschaften ein Verbündeter für das Künstlerische und die künstlerische Forschung finden. In den Vordergrund strebt dann nicht mehr die Frage nach dem richtigen System, sondern vielmehr das Forschen als kulturelle Praxis schöpferischen Tuns. Es darf durchaus gefragt werden, wa- rum wir weiterhin die geschichtlich geprägte und in den Naturwissen- schaften geteilte Objektivierbarkeit von Erkenntnissen als vermeintlich scharfe Trennlinie zwischen Kunst, Wissenschaft und Gesellschaft anse- hen. Forschende Kunst fängt genau bei dieser Frage an. Anstatt sich für einen Mangel an Wissenschaftlich- keit zu rechtfertigen, tritt die Kunst selbstbewusst innerhalb der Gesell- schaft auf und zeigt, was sie leisten kann. Sie forscht im Jetzt und bezieht wissentlich und willentlich mensch- liche Intuition und Irrationalität – die, wenngleich zumeist ungewollt auch Teil jeder wissenschaftlichen For- schung sind – mit ein. Ästhetik Ästhetischen Denken und Handeln eröffnet Wege, die sich mit klassi- schen Mitteln wissenschaftlicher Forschung nicht realisieren lassen. Rein vernunftorientierte und zielfo- kussierte Herangehensweisen lassen das Ästhetische kaum in Erscheinung treten, weil diese unterdrückten Prozesse zunächst keinen Zweck abbilden, abwegig, sinnlos oder sogar kontraproduktiv wirken können. Öffnet man sich jedoch der künstleri- schen Wahrnehmung, setzt sich eine ungeahnte Kraft frei. Kunst stellt dann Fragen und liefert Antworten für Bereiche, welche in den Wissenschaften nur von speku- lativen Zugängen der Geistes- und Kulturwissenschaften randlich berührt werden. Als gleichberechtig- ter Denkstil kann das Künstlerische ein Reflexionsmedium bieten, das im Sinne der ästhetischen Dimension gesellschaftliche, ökonomische und wissenschaftliche Prozesse ge- winnbringend zu erweitern scheint. Das Kunstwerk als Produkt mahnt, spiegelt und wirkt progressiv. Wenn künstlerisch forschender Geist die Welt durchdringt, wird die Bedeutung dieser Praxis deutlich und entsteht Wissen jenseits etablierter Methoden. Forschende Kunst ist ein praktisches Beispiel interdisziplinärer Forschung, in welcher das Ästhetische als identi- tätsstiftendes und reflexives Medium grenzüberschreitend und intermedial aus unterschiedlichen Perspektiven Felder der Lebenswelt auslotet und im schöpferischen Prozess nachhal- tige Formen von Gesellschaft durch künstlerische Mittel anregt. Moral Forschung hat nicht nur im Kontext der Wissenschaften ihre Berechti- gung, sondern ist im übergreifenden Sinne ein praktischer Zugang auf unterschiedlichen Ebenen. Ein Zugang des Selbst zu sich, zu anderen und zur Umwelt. Künstlerische Forschung zeigt auf, dass Forschung dabei als menschliches Bestreben zu deuten ist, sich selbst und die Welt in ihren kom- plexen Zusammenhängen zu untersu- chen, zu verstehen und darzustellen. Das grundlegende Ziel entspricht der Erzeugung fortschreitender Erkennt- nis als identitätsstiftendes Ereignis und verhandelt zwischen der gewohn- ten Eigen- und teilweise verloren geglaubten Fremdwahrnehmung. Entscheidend ist dabei die Offenheit für vielfältige Begegnungen, welche einerseits ein Weltverstehen ermög- lichen und zum anderen ein Weltver- stehen schaffen. Wer die gedachten Grenzen seiner Wirklichkeit durch- Wissenstransfer Text: Sebastian Hillebrand, Bastus Trump Schnittstellen zwischen Kunst, Wissenschaft und Gesellschaft
  • 24. 24 Dokumentation Forschende Kunst 2 – Musik Klang bricht, wird hierbei nicht nur der Viel- falt menschlichen Tuns und Handelns bewusst, sondern auch der Wirkungs- macht seiner eigenen Denkhaltung. Dies birgt allerdings eine große Gefahr, wenn nämlich die Kunst nun nicht mehr nur ihre Produkte, son- dern im dienstleisterischen Sinn auch ihre Methoden anbietet. Bei allem Potential, das sich in einer engeren Kooperation von Wirtschaft, Wissen- schaft und Kunst entfalten könnte, bleibt es immer eine Gratwanderung, ab wann eine zu starke Normie- rung die notwendigen Bedingungen künstlerischer Exploration im Keim ersticken würde. Kreativität braucht Freiheit, Offenheit und Vertrauen, um ihre ästhetische Kraft zu entfalten. Kunst-Aufstellung oder Aufstellungs-Kunst von Otmar Potjans und Christiane Weber im Rahmen der Ausstellung „Forschende Kunst: umwelten“ in der Zentrifuge, 2013
  • 25. 25Dokumentation Forschende Kunst 2 – Musik Klang Wir haben geforscht, gesucht, erkannt, gefunden, verloren – gefühlt – und dabei einen kleinen Einblick in das bekommen, was Musik und Klang bewirken können. Zu Beginn der Forschungsreise im Projekt „Forschende Kunst 2: Musik und Klang“ war meine Anforderung zuerst, schnell ein konkretes For- schungs-”Ergebnis“ entstehen zu las- sen. Dies veränderte sich zunehmend, da ich beobachten konnte – nicht zuletzt bei mir selbst – dass Versuche, Musik und Klang gezielt einordnen zu wollen, eine Stagnation im Denken entstehen ließ. In solchen Phasen gab es aus der Gruppe vereinzelt Impulse, sich pra- xisorientiert ins „Selbst Klänge Erzeu- gen“ zu begeben. Sobald sich ein sol- cher „Praxis-Raum“ öffnete, begann nach und nach ein Empfinden von dem, was Musik und Klang sein und ermöglichen kann. Der „Praxis-Raum“ konnte sich weiter zu einem „Wahr- nehmungs-Raum“ öffnen, je mehr es möglich wurde, Einschränkungen wie Vorannahmen, Bewertungen, Zeit- druck oder Scham zuzulassen. Um so mehr sich Musik und Klänge in ihrer Wirkung zeigen konnten, indem sich die Teilnehmer darauf einließen bzw. sich in die Musik hinein fallen ließen, desto spürbarer wurde ein „Klang- Raum“, der es ermöglichte, sich vom Klang in ein Berührtsein tragen zu lassen. Es wirkte, als wäre es in einem sol- chen „Klang-Raum“ durch Schritte, wie: sich Einlassen, aktiv Zuhören, Vorannahmen ziehen lassen, sich Zeit geben, Stille aushalten, Vertrauen, bei sich bleiben, … möglich, einen „Kre- ativitäts-Raum“ entstehen lassen zu können. Ob es sich in einem solchem „Prozess“ noch um Musik handelt, wurde im Projekt „Forschende Kunst 2: Musik und Klang“ unterschiedlich bewertet und empfunden. Aus dieser Erfahrung heraus ist es vielleicht empfehlenswerter, Begriffe wie „Klang“, „Geräusche“, „Laute“ o. ä. zu verwenden. Ein Zusammenspiel von Klängen, Tönen, Geräuschen und Akteuren gibt es als Audio-File unter zu hören unter: https://soundcloud.com/michael-schels/ ausflug Ein solches Zusammenspiel („Klang-Experiment“: Audio-File) brachte bei den Teilnehmerinnen und Teilnehmern u. a. Rückmeldungen, wie: Diversität – Gemeinschaftliches – Frei – Stolz – Berührt – Tatendrang – Retrospektive – Sensibilisierung – Neuer Zugang zu bisher Erlebtem – Man spürt die Menschen, Emotionen, Wesen im Raum – Überraschung, was doch entsteht ohne vorheriges Kon- zept – Beginnende Rhythmik – Freier „Natur-Raum“, …. Durch diese Erfahrung erscheint es mir, als könne „Musik“ oder „ge- meinsames Tönen“ Räume entstehen lassen, in denen freie Wahrnehmung und persönlich individuelles Spü- ren ermöglicht wird. Dadurch, dass während dieser Zeit so gut wie keine Verbesserungs- oder Optimierungs- versuche von Außen kommen und sich Jede und Jeder somit auf seine bzw. ihre ganz eigene unbewertete Art ins Spüren, Fühlen und Wahr- nehmen begeben kann, entsteht die Möglichkeit, sich fallen zu lassen und sich seinen eigenen Impulsen und Interpretationen hinzugeben. Dies schafft ungeahnte Ressourcen, aus denen unbewusst und leicht etwas Neues entsteht. Auch beim Konsumieren von Musik kann sich solch ein Zustand einstel- len. Je mehr sich jemand Zeit nimmt, sich auf Musik oder Klänge einzu- lassen, desto weiter kann der eigene Empfindungsraum werden. Es können sich Empfindungswelten öffnen, die man oft nur selbst erlebt und die ei- nen tief berühren. Dies ist vermutlich auch das Phänomen, wenn es nach einem Konzert eine Weile dauert, bis es zur Reaktion beim Zuhörer kommt. Bis ein Händeklatschen im Saal hör- bar wird, vergeht Zeit – Zeit, in der die Zuhörer und Zuhörerinnen wieder im Raum ankommen – aus ihren eigenen Empfindungswelten zurückkehren in den Konzertsaal, in dem sich nun der Beifall langsam und stetig steigert. Ein für mich in diesem Zusammen- hang ebenfalls interessanter Gedanke: Wenn Musik auf eine solche Art be- rührt, gibt es fast keine Beschäftigung außerhalb des Klangerlebnisses mehr. Menschen unterschiedlicher Kulturen und Gesellschaftsschichten – gemein- sam im Raum – werden zu einem Pub- likum. Sie nehmen sich nicht gegenei- nander gerichtet wahr, sondern gehen vielmehr gemeinsam auf Reisen. Jeder ist für sich – in den unterschiedlichs- ten Empfindungen – und dennoch gemeinschaftlich in einem Raum. Hier stört nur derjenige, der das Eintauchen in die Empfindungs- und Wahrnehmungswelt durch Husten, Lautsein oder sonstige Unachtsamkeit zu stören droht. Musik kann Räume der Achtsamkeit entstehen lassen, in denen scheinbar gewohnte Bewer- tungen und Vorurteile in den Hinter- grund treten. Musik kann Räume der Freude und des Friedens öffnen. Fast lässt sich vermuten, als könne Musik verzaubern. Im positiven wie im negativen Sinne ist dies vermut- lich möglich. Musik kann dadurch auch manipulativ sein. Diesen Gedan- ken hier weiter auszuführen, bräuchte einen eigenen Raum. Kurz und knapp: Es lässt sich vermuten, dass eine Abhängigkeit der Musik von z. B. wirt- schaftlichen Faktoren auch ethisch Bedenkliches entstehen lassen kann. Musik kann stark berühren und beeinflussen. Musik und Klänge öffnen Türen. Je mehr wir uns darauf einlassen, desto mehr können wir ins Spüren und Wahrnehmen gelangen und uns in einem ganz eigenen Be- rührtsein wiederfinden. Musiker und andere Künstler, welche die Sprache und Wirkung von Musik und Klang sprechen und nach Außen geben können, bauen oftmals eine Brücke zu dieser Begegnung in der Berührung. Eine solche Art von Berührung, Wahr- nehmen und Spüren kann uns Mut und Zuversicht schenken – aber auch abverlangen. Tief in uns kann sich ein Fundament aufmachen, auf dem wir uns wieder sicherer fühlen. Kennen wir nicht auch Momente in unserem Leben, in denen wir in unangeneh- men Situationen Musik hören oder selbst ein Liedchen pfeifen (wie im Schlusslied zu Monty Pythons „Das Leben des Brian – „Always Look on the Bright Side of Life“). Manche Menschen neigen dazu, durch unterschiedlichste Verhaltensmus- Musik – Wahrnehmung und Spüren Text: Michael Wolf
  • 26. 26 Dokumentation Forschende Kunst 2 – Musik Klang ter zügig aus dem Kontakt zu gehen, wenn es um tiefe Berührung geht. Musik, Klang und Ton als Begleiter können einen solchen Zugang leichter werden lassen. Ein Zugang, der die Tür zum Herzen – zu sich selbst – zu Geist und Seele öffnet. Für manche Leserinnen oder Leser mag dies sehr spirituell klingen – wenn wir jedoch eine solche Bewertung ausklam- mern, kennt dieses Gefühl doch der eine oder andere aus seiner eigenen Lebenserfahrung. Findet deshalb Musik ebenso bei therapeutischen Interventionen An- wendung? Weil Töne und Klänge ein Schlüssel sein können, sich berühren zu lassen? Ich denke, ja. Sie ermögli- chen durch ihre Stimmung und Wir- kung einen Zugang zu ureigenen Ge- fühlen – verankert tief in uns selbst. Musik ermöglicht es, Emotionen zu erzeugen, abzurufen, zu erinnern – je- der wird durch etwas anderes berührt (durch Musikstile, durch Stimmen, durch Arten an Instrumenten, …). Wenn man seine persönliche Art von Berührung erfahren hat, geht ein eigener Kosmos auf – eine Anbindung an das Gesamte. Wer diese Art von Wahrnehmung und Spüren kennt, weiß, was ich versuche, hier in Worte zu fassen. Wer diese Art von tiefer Berührung bisher nicht erfahren hat und wer Lust hat, möge sich aufmachen: Musik, Töne und Klänge können hoffentlich noch lange Zeit wunderbar als Türöffner dienen. Die Frage ist: Wie bin ich überhaupt für eine tiefe Erfahrung bereit? Ein Moment, an dem zu entscheiden ist: Wollen wir wirklich spüren, fühlen – oder wollen wir konsumieren? Oder beides – ein Empfinden dafür entwickeln, was genau, wann und wofür als passend erscheint? Die Teilnehmer-Runde am zweiten Tag des Workshops „Forschende Kunst 2 – Musik und Klang“ am 8. Februar 2014
  • 27. 27Dokumentation Forschende Kunst 2 – Musik Klang Alessandra Brisotto Schriftstellerin, Sprachlehrerin und Kulturschaffende aus Venezien. Während des Studiums von Literatur, Sprache, Phi- losophie und Psychologie in Venedig zieht sie nach Frankreich und einige Jahre später nach Deutschland. Nach vier Jahren in Köln lebt sie seit 2011 in Nürnberg. Hier hat sie „a casa – Sprache und Kultur in Entwicklung“ gegründet. www.a-casa-sprachschule.de Marie Claude Ekotto Dipl. Kauffr.- Univ., Wirtschaftswissen­ schaftlerin, Unter­ nehmens- und Kanzleiberaterin; Schwerpunkte: Veränderungskultur, Interkulturelle Kompetenz www.culturcentermbyonbggrenoble. jimdo.com Sebastian Hillebrand Dipl.Geogr. Sebastian Hillebrand ist wissen- schaftlicher Mitarbei- ter am Lehrstuhl für Kulturgeographie der Universität Eich- stätt-Ingolstadt. In seiner aktuellen Forschertätigkeit widmet er sich den Themen der Alternativen Ökonomie, Politiken des Örtlichen, sowie der Rol- le von Kunst und künstlerischer For- schung im Bereich der Stadtentwick- lung. Innerhalb dieser Themenfelder arbeitet er an seiner Promotion zum Thema: “Curating identities, curating the new – place-based politics and artistic in(ter)vention”. www.ku.de/mgf/geographie/kultur- geographie/das-team/hillebrand Eric Juteau Dirigent, Gründer des Musikensembles Artemusia, einem auf die Interpretation von Musikstücken aus dem 17. und 18. Jahrhundert mit historischen Instrumenten spe- zialisiertes Ensemble. In Deutschland gründete Juteau das Orchester Kapella 19 mit Schwerpunkt auf klassische und romantische Werke des traditio- nellen Repertoires. Juteaus Focus liegt in der historischen Aufführungspra- xis und dabei auf der Ausarbeitung und Differenzierung des Orchester- klangs und der musikalischen Ästhe- tik der Werkinterpretation. www.kapella19.de Otmar Potjans Akteur und Moderator des Wandels. Verant- wortlicher Gestalter, Vorantreiber und Um- setzter von Entwick- lungsprozessen. Otmar Potjans hilft Unternehmern und Unternehmen Neues zu entwickeln, Möglichkeiten zu entdecken und Not- wendiges in die Tat umzusetzen. www.etwasverändern.de Michael Schels Diplom-Germanist/ Journalist univ., Kulturprojekte­macher, Texter, Lehrer für Deutsch als Zweitspra- che. Schwerpunkte: Künstlerische Phänomene im ge- sellschaftlichen Kontext, Philoso­ phie, Netzwerke. Kommunikations-, Koordinations- und Organisationsauf- gaben für Kulturprojekte, Veranstalter und Unternehmen. www.kulturbuero-schels.de Robert Schlund Diplom-Kommunika­ tions­designer FH (Print- und Webdesign) und fotografische Umsetzungen. Bera- tung in Designfragen, Umsetzung in den Bereichen Konzept, Gestaltung und Herstellung. Künstlerisches Wirken: Musik-Pro- duktion und -Impro­vi­sa­tion, Sound- design, Illustration, Foto-Manipulati- on, Performance. www.schlund-design.de www.fotografie4u.de Gabi Stauss Eventmangerin seit fast 20 Jahren mit Schwerpunkt Firmenver­anstal­ tungen, Incentives, Teambuildung und Stadtführungen. www.staussevents.de Bastus Trump Diplom-Musik­päda­ goge, M.A. sound studies, Saxophonist, Sound Designer, Mu- sikforscher. Schwer- punkt: Musiker-Com- puter Interfaces www.bastus.de Michael Wolf Gestaltung von Ausdruck. Designer, Künstler und Im- pulsgeber. Analyse, Reflexion, Beratung, Betreuung, Coaching, Design. Reflexion der Außendarstel- lung von Unternehmen und Orga- nisationen. Ideenmitentwicklung in Firmen und mit Einzelpersonen. Impulse zur Stimmigkeit von Aussage und Wirkung in Ausdrucksform und Erscheinungsbild. www.grundgang.de Ronald Zehmeister Angewandte Trend- und Zu- kunftsforschung. 14 Jahre Erfahrung in IT-Unternehmens­ beratung und Organi- sationsentwicklung. Marketing und Vertrieb, Schwerpunkte: Prozessver- besserung, Entwicklung von Human Machine Interfaces (HMI). Master of Business Administration (FOM Mün- chen), Schwerpunkte: International Sales Marketing Strategie; Integ- ration von Zukunftsforschung in der Strategieentwicklung. www.sensing-system.de Teilnehmer und Autoren
  • 28. 28 Dokumentation Forschende Kunst 2 – Musik Klang Essenzen Die Arbeit in kulturell-gesell­ schaft­lichen Zusammenhängen hat Fragen aufkommen lassen und den Drang nach Erkenntnis geschürt: Es geht uns um ein besseres Verständnis vom Wert unseres Tuns und damit um die Erhellung und Pflege kreativer, schöpferischer Prozesse. Anstatt sich für einen Mangel an Wissenschaftlichkeit zu rechtfertigen, tritt die Kunst (bei Forschende Kunst) selbstbewusst innerhalb der Gesellschaft auf und zeigt, was sie leisten kann. Sie forscht im Jetzt und bezieht wissentlich und willentlich menschliche Intuition und Irrationalität mit ein. Musik ist vielleicht DIE Sprache der Zukunft. Musik als künftige Heimat des global zu sich und zur Welt kommenden Menschen. Welt als Musik. Wir lernen bewusst wahrzunehmen, erkunden die Dimensionen unseres Denkens und Handelns und schärfen unsere Urteilskraft. Derart geschult wenden wir uns dem zu, was uns angeht und was wir gestalten können. Wir erfahren uns als schöpferische Wesen. Die ästhetische Dimension ist ein entscheidender Faktor bei erfolgreichenProdukten und Dienstleistungen – ganz besonders in der langfristigen Perspektive. Es lässt sich sogar die Theseaufstellen: Je ästhetischer ein Erzeugnis,umso nachhaltiger ist es. Dasselbe giltauch für Innovation. Man darf von der Kreativität nichts erwarten, damit sie kommen kann. Sie kann die Menschen öffnen und zusammenführen, Klarheit und Gleichgewicht zwischen Verstand und Gefühl schaffen und somit Identität und nicht zuletzt den Teamgeist in einem Unternehmen. Der kreative Prozess wird ermöglichtdurch eine Vielzahl von Faktoren,die in unterschiedlichen Phasen mehroder weniger stark aufeinandereinwirken: Kompetenz, Offenheit (dieauch Austausch ermöglicht), Freiraum(physisch, wirtschaftlich, strukturell),Vertrauen (als Grundlage fürEntscheidungen und den Mut, diesezu treffen), Systematik (als Fähigkeitdes Sammelns, Filterns, Bewertens vonDaten, Informationen, Materialienetc.), Begeisterung (Herausforderungenerkennen und annehmen) undWahrnehmung (die auch Inspirationermöglicht). Wir sehen das Projekt „Forschende Kunst“ als einen Beitrag, um diese so vielfältige Welt, die von uns Menschen inrasendem Tempo zerstört wird, vielleichtan elementarer Stelle zu heilen: Da, wodie Welt in der ästhetischen Erfahrungals Schöpfung zu sich und zu uns kommt und in uns ein fühlendes, anerkennendes, wenn nicht gar liebendes Bewusstsein reifen lässt. Der Kreative sucht nicht, sondern er findet, indem er sich vornehmlich in der Welt der Intuition und des Unbewussten oder sogar des Nicht-Wissens bewegt und für alles Kommende offen ist.
  • 29. Anfängergeist Ruhe Verspieltheit Sensibilität Geduld Zuversichtlichkeit Mut Offenheit Vertrauen Selbstsicherheit loslassen Zuhören Aufmerksamkeit Stille Konzentration Gefühl Leidenschaft Unfertiges lassen Kontrolle aufgeben Chaos zulassen positiv denken wertfrei denken Asthetik Spontanität Improvisation Humor Freude Meditation Achtsamkeit Schweigen zulassen nichts tun Muße Freiheit Handeln Veränderung Neues Ästhetik Glück Liebe Toleranz Verantwortung Selbsterkundung Nachhaltigkeit veränderte Sicht Lösung Selbstbestimmung Entwicklung Planung Perfektion Ehrgeiz Gier Fremdbestimmung Wut Egoismus ökonomisch denken negativ denken Ignoranz psychische Krankheit Zorn die Welt formen Ökologie formen Verantwortung schaffen den Teamgeist stärken die Mitte finden Entwicklung vorantreiben Freude schaffen Verstand und Gefühl ausbalancieren Identität schaffen Klarheit schaffen Menschen öffnen zusammenführen 29Dokumentation Forschende Kunst 2 – Musik Klang Kreativität Umschreibung von „Kreativität“ – Legende:    Was Kreativität voraussetzt    Was Kreativität kann    Was verantwortungsbewusste Kreativität schafft    Wodurch Kreativität blockiert wird
  • 30. 30 Dokumentation Forschende Kunst 2 – Musik Klang Anhang Workshop 1 am Samstag, den 21. Dezember 2013 Moderation: Otmar Potjans Teilnehmer: Alessandra Brisotto, Marie Claude Ekotto, Katharina Hillebrand, Sebastian Hillebrand, Eric Juteau, Michael Schels, Robert Schlund, Gabi Stauss, Bastus Trump, Michael Wolf, Ronald Zehmeister Vor dem Hintergrund der Erfahrungen aus Forschende Kunst 1 und mit der Methodik, die sich dabei heraus gebildet hat, haben wir den ersten Tag gestaltet: Es ging zuerst darum, heraus zu finden, welche Potenziale die Teilnehmer mitbrin- gen und sich aufeinander einzustimmen. Otmar Potjans moderierte bewusst sehr zurückhaltend und die Teilnehmer waren von Anfang an „im Prozess“. Die Ambi- valenz und Offenheit, die wir zu Beginn eines jeden „Forschende Kunst“ Prozesses schaffen, wurde diesmal u.a. dadurch erzeugt, dass wir keine Vorstellungsrunde an den Anfang gestellt haben. Die Teilneh- mer sollten sich während der Erkundung unseres gemeinsamen Möglichkeits- bzw. Spielraums erfahren, ohne bereits durch personenbezogene Zuordnungen oder (Selbst-) Beschreibungen voreingenommen zu sein. Der Austausch erfolgte sehr einfühlsam und tastend – wir näherten uns der Situati- on, unserem „Forschungsgegenstand“ – der Musik und dem Klang – und einander an – erforschten den Raum, unsere Stimmun- gen, unsere Motivationen, unser Fühlen und Denken und unsere Haltungen. Es war ein fließendes Aufeinander-Einschwingen – wir bewegten uns gemeinsam auf un- bekanntem Terrain: Was bringen wir ein, was wollen wir, welche Gedanken, Gefühle, Erfahrungen, Wünsche, Vorstellungen haben wir? Dabei kreisten wir dem Anlass entspre- chend um die Begriffe „Forschung“, „Kunst“, „Musik“ und „Klang“. Wir waren uns von Anfang an dessen bewusst, dass wir uns in einem Prozess befinden, den wir (noch) nicht verstehen. Das einzige, was wir tun konnten, war möglichst bewusst und achtsam zu sein. In einem mehrstün- digen Dialog näherten wir uns im Laufe des Tages einander an und es entstand ein Gefühl von den vielfältigen Potenzialen in jedem und jeder von uns. Die Gespräche hatten eine große Dynamik und wechsel- ten von abstrakten Betrachtungen über Ästhetik und Wissenschaft über kreative und auch humorvolle Phasen, bei denen wir z.B. spielerisch mit der Stimme und dem Körper musizierten, bis hin zu stillen Momenten, in denen wir gemeinsam über mehrere Minuten schwiegen. Die Zentri- fuge (der Raum um uns und zwischen uns) wurde zu einem spürbaren Energiefeld, das uns Freiheit und Verbundenheit schenkte: Wir befanden uns in einem im wahrsten Sinne des Wortes „ästhetischen Raum“, dem wir uns anvertrauen konnten und in dem alles (fast) wie von allein geschah. Jeder von uns war Teil eines größeren Ganzen. Es war ein praktisches Erfor- schen unserer Wahrnehmungen, unseres Bewusstseins und unserer Möglichkeiten. Es war forschende Kunst. Jeder durfte dabei sich und die anderen als Forscher und als Künstler erfahren – als fühlende, denken- de, vorstellende und schöpferische Wesen, die gemeinsam die Welt erkunden und diese gestalten. Zum Ausklang und zur Einstimmung auf den folgenden Workshop am 8. Februar 2014 verwies Michael Schels abschließend auf einen Text von Peter Sloterdijk: „La musique retrouvée“, in: „Der ästhetische Imperativ“, Europäische Verlagsanstalt, Hamburg 2007 Workshop 2 am Samstag, den 8. Februar 2014 Moderation: Otmar Potjans Teilnehmer: Alessandra Brisotto, Marie Claude Ekotto, Katharina Hillebrand, Sebastian Hillebrand, Eric Juteau, Michael Schels, Robert Schlund, Gabi Stauss, Bastus Trump, Michael Wolf, Ronald Zehmeister Videoaufnahmen: Philip Chrobot Der zweite Workshop leitete als Fortfüh- rung des ersten und als Hinführung zum dritten Workshop den Übergang vom Allge- meinen zum Besonderen, vom Abstrakten zum Konkreten ein. Der Möglichkeitsraum wurde nochmals in seiner ganzen Offen- heit und Unbestimmtheit erfahren, der freie Gedankenaustausch wurde gepflegt und kam dabei unverkennbar auch an seine Grenzen: Die im ersten Workshop bewusst hergestellte Ambivalenz wirk- te deutlich nach und nahm noch zu – es wurde eine starke Verunsicherung spürbar in Bezug auf die Aufgaben und Ziele des Projekts. Angesichts der Ungewissheit drängten sich Fragen auf und wurden ex- plizit: Was genau erforschen wir eigentlich, wie nähern wir uns unserem Gegenstand an und zu welchem Ergebnis wollen wir kommen? Was hat das eigentlich mit Kunst zu tun? A) Protokolle der Workshops zu Forschende Kunst 2: Musik und Klang Text: Michael Schels