Digitalisierung und Nachhaltigkeit sind zurzeit zwei der am meisten verwendeten Schlagwörter in unserer Gesellschaft. Aber sie werden eigentlich nie im gleichen Atemzug verwendet. Digitale Technologien bieten vielerlei Möglichkeiten für die nachhaltige Gestaltung von Produkten, Prozessen, und Lieferketten – gleichzeitig entwickeln sie sich aber auch zu den größten Ressourcenfressern der Gegenwart.
Wie genau kann also digitalisierte Nachhaltigkeit oder nachhaltige Digitalisierung aussehen?
Dieser Vortrag fand statt im Rahmen der Veranstaltungsreihe "Vorlesungen für alle", ausgerichtet von der Universität Hamburg.
6. „Die digitale Umwandlung, Darstellung, bzw.
Durchführung von Information und
Kommunikation.“
„Die digitale Modifikation von Produkten und
Dienstleistungen.“
7. Notwendige aber nicht hinreichende Bedingung
Die Kodierung analoger Informationen in ein digitales Format (Bitstrings).
Bitstrings sind…
homogenisiert: können von jedem Computergerät über standardisierte Schnittstellen
abgerufen und verarbeitet werden.
syntaktisch aber nicht semantisch: klare Regeln aber freie Bedeutung.
nicht-materiell: können umprogrammiert werden
8
8.
9. Digitalisierung ermöglicht neue Produktfähigkeiten
Schichtbar: Trennung und neue Vermischung von Inhalten und Trägern
möglich
Referenzierbar: kann sich selbst adressieren, kann mit anderen „sprechen“
Handlungsfähig: kann (einige) Dinge selbständig tun
Veränderbar: kann aktualisiert werden - hat die Fähigkeit, sich
weiterzuentwickeln und zu verändern
Verfolgbar: hinterlässt digitale Spuren
13. Ablauf des Vortrags
Begrifflichkeiten
Digitalisierung
Nachhaltigkeit
Digitalisierung für Nachhaltigkeit?
Nachhaltige Digitalisierung?
Diskussion
14
14. „Die Entwicklung von Produktion und Konsumption
in einer Art, das den Bedürfnissen der heutigen
Generation entspricht, ohne die Möglichkeiten
künftiger Generationen zu gefährden, ihre eigenen
Bedürfnisse zu befriedigen und ihren Lebensstil zu
wählen.“
15. Ein wenig Historie
Studie beauftragt vom Club of Rome in 1972
Beschreibt verschiedenen Szenarien, wie das
exponentielle Wachstum der Bevölkerung und deren
Ressourcenbedarf sich auf den Planeten und die
Gesellschaft auswirkt.
Kernaussage:
Die Weiterführung des normalen globalen
Wirtschaftsregimes wird zur Verknappung und
eventuellen Aufbrauchen der natürlichen Ressourcen
führen und den Planeten unbewohnbar machen.
19. Beispiel: Das Fairphone
Design-for-sourcing:
Minimiert den Einsatz von
“Virgin Resources” und
“Seltenerdmetallen”
Design-for-disassembly:
komplett modular gebaut
Design for durability:
explizit für lange Nutzungsdauer
gebaut
[https://shop.fairphone.com/en/spare-parts]
20. Ablauf des Vortrags
Begrifflichkeiten
Digitalisierung
Nachhaltigkeit
Digitalisierung für Nachhaltigkeit?
Nachhaltige Digitalisierung?
Diskussion
25
21. Wieso ist das so schwierig mit der Kreislaufwirtschaft?
Kulturell: Mangel an Bewusstsein und Akzeptanz in der Öffentlichkeit
neue Lobbyarbeit und Engagement (z. B. Fridays 4 Future, Intergovernmental Panel on Climate Change)
Regulierung: Fehlen eines unterstützenden internationalen politischen Rahmens
neue Regulierung und Gesetzgebung (EU Green Deal, WEEE, EPR, Rights-to-Repair)
Markt: niedrige Preise für neue Materialien; hohe Vorab-Investitionskosten
Verschiebungen bei Finanzierungs- und Geschäftsmodellen (z. B. EU Horizon 2020)
Technologisch: Beschränkungen bei der Nachverfolgung von Produkten und Materialien über den
gesamten Lebenszyklus; Mangel an zuverlässigen und standardisierten Informationen; komplexe
Strukturen der Wertschöpfungskette; begrenzte Bereitschaft zur Firmenkooperation
neue digitale Möglichkeiten der Erfassung, Nachverfolgung und Zusammenführung von Gütern
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31. Der Fussabdruck von Einwegverpackungen steigt mit der
Anzahl der verwendeten Behälter
Aluminium
0 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. 17. 18. 19. 20.
# Nutzung von Verpackungen
Ökologischer Fussabdruck
32. Manche Materialien sind besser als andere
3
Aluminium Bagasse
0 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. 17. 18. 19. 20.
# Nutzung von Verpackungen
Ökologischer Fussabdruck
33. Mehrwegverpackungen sind erstmal umweltschädlicher
als Einwegverpackungen
Auswirkung der
initialen
Produktion
0 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. 17. 18. 19. 20.
# Nutzung von Verpackungen
Mehrwegverpackungen
Auswirkung von Reinigung
und Transport
Ökologischer Fussabdruck
34. Im Schnitt lohnen sich Mehrwegverpackungen ab 10x
Wiederverwendung
Mehrwegverpackungen Einwegverpackungen
0 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. 17. 18. 19. 20.
# Nutzung von Verpackungen
Break-even
point
Ökologischer Fussabdruck
Greenwashing Positiver Umweltbeitrag
35. Die Gretchenfrage
Wie often werden Verpackungen wiederverwendet?
Damit sich Mehrwegverpackungen umwelttechnisch rentieren (>10x
benutzt werden), muss eine Returnrate von > 90% garantiert werden.
Pfandbasierte Systeme erreichen ~ 50-75%, manchmal 80%: d.h., jede
Verpackung wird max. 5x genutzt.
Oft sind die genauen Anzahlen nicht ermittelbar.
Anreiz: Rein monetär (Bsp.: Recup 30€ Flat Fee; 1€ Pfand).
Erfahrungen aus dem Flaschenbetrieb zeigen: Einweg (25 Cent Pfand)
wird häufiger (57%) benutzt als Mehrweg (8 Cent Pfand)
39. Nudges: Leute zu gewünschten Entscheidungen
“anstupsen”
Konzept aus der Verhaltensökonomie, das positive Verstärkung und indirekte Anregungen
benutzt, um das Verhalten und die Entscheidungsfindung von Gruppen oder Einzelpersonen
zu beeinflussen.
Ein Nudge ist ein Aspekt einer Entscheidungsarchitektur, der das Verhalten der Menschen
auf vorhersehbare Weise ändert, ohne Optionen zu verbieten oder ihre wirtschaftlichen
Anreize wesentlich zu verändern.
Kontrastiert mit anderen Möglichkeiten, die Einhaltung von Vorschriften zu erreichen, wie z.
B. Pädagogie, Legislative, oder Exekutive.
44. Ablauf des Vortrags
Begrifflichkeiten
Digitalisierung
Nachhaltigkeit
Digitalisierung für Nachhaltigkeit?
Nachhaltige Digitalisierung?
Diskussion
50
45. Die ICT-Industrie ist eine der größten Ressourcenfresser
unserer Zeit
Die Treibhausgasemissionen der ICT-Industrie liegen zwischen 2.1-3.9% des gesamten
Ausstoßes.
haben längst die der Luftfahrtindustrie übertroffen.
Die weltweite ICT-Industrie verbraucht jährlich etwa 1.500 TWh.
Entspricht der gesamten Stromerzeugung von Japan und Deutschland zusammen.
Zwischen 5-9% der weltweiten Stromerzeugung.
Ein Rechenzentrum verbraucht genug Strom, um 180.000 Haushalte zu versorgen.
Allerdings sind verteilte Rechen- und Datenzentren („Cloud Computing“)
gesamtwirtschaftlich energie- und kosteneffizienter.
47. Künstliche Intelligenz hat einen enormen Fussabdruck
Das Training eines einzigen KI-Modells kann über 626.000 Pfund CO²
ausstoßen.
Äquivalent zu den Emissionen von fünf Autos über ihre gesamte
Lebensdauer.
Das Training von GPT-3 mit 175 Milliarden Parametern kann 1287 MWh
Strom verbrauchen und zu Emissionen von 502 Tonnen Kohlenstoff
führen
Äquivalent zu den Emissionen von 112 benzinbetriebenen Autos in einem
Jahr.
49. Die e-Waste Hauptstadt Guiyu
In 2013 die größte e-Waste Verwertungstelle der Welt:
recycelt täglich 15.000 Tonnen Elektroschrott, etwa 70 Prozent des weltweiten
Elektroschrotts.
hat etwa 5.500 familiengeführte Werkstätten, beschäftigt etwa 100.000
Menschen.
Über 80 Prozent der Einwohner leben von der manuellen Demontage und
Entsorgung von Elektroschrott in Vollzeit.
Die Bewohner der Region weisten die höchste gemeldete Blei- und
Dioxinbelastung auf, die je weltweit bei Menschen festgestellt wurde.
viel höhere Fehlgeburtenraten bei schwangeren Frauen
über 70 Prozent der Kinder haben hohe Bleikonzentrationen in ihrem Blut
Seit 2013 sind die meisten Workshops in einen Industriepark
umgesiedelt; allerdings sind viele Gebiete immer noch langfristig
kontaminiert
http://old.seattletimes.com/html/nationworld/2002920133_ewaste09.html
50. Auch ICT braucht Rohstoffe, insb. „Seltene Erdelemente“
z. B. Kobalt, Lithium,
Tantal, Indium,
Gallium, Niob, Selen
und Zirkonium
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51. Ein kurzes Fazit: wir stehen noch am Anfang.
Nachhaltige Produktion und Konsumption wird nur schwerlich ohne
Digitalisierung auskommen.
Man braucht Verfolgbarkeit, Adressierbarkeit, und neue Möglichkeiten der Intervention.
Diese Möglichkeiten bietet Digitalisierung.
Aber Digitalisierung ist aus der Brille der Nachhaltigkeit ein zweischneidiges
Schwert.
CO² Emissionen, Stromverbrauch, Rohstoffbedarf und Müllproduktion sind enorm und
wachsen substanziell an.
Ein Diskurs, der beide Seiten zusammen betrachtet, findet nur selten statt
Weder in Politik und Medien noch in der Wissenschaft. 57
53. Prof. Dr. Jan Recker, PhD
Nucleus Professor for Information Systems and Digital Innovation
Hamburg Business School
University of Hamburg
email jan.christof.recker@uni-hamburg.de
web www.janrecker.com
twitter janrecker
youtube Jan Recker
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