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Daniela Hoffmann: Theater in der modernen Stadtgesellschaft
1. B 2.12
Für.Mit.Von.Über.
Theater in der modernen Stadtgesellschaft
Daniela Hoffmann
Wir werden bunter! 2005 hat die Politik offiziell bestätigt, dass Deutschland Einwanderungsland
ist. Die Debatten des letzten Jahres zeigen, dass das Thema in der Bundesrepublik hochaktuell ist.
Nicht zuletzt seit Thilo Sarrazins Deutschland schafft sich ab! entbrennen allerorts Debatten rund
um das Thema Migration. Auch in den Kultureinrichtungen ist mittlerweile die Frage hochaktuell,
welche Bedeutung die zunehmende ethnische Durchmischung der Gesellschaft für sie haben wird.
Für viele scheint der Auftakt zu einem Bewusstseinswandel bei den Theatern mit dem Projekt
„Bunnyhill“ der Münchener Kammerspiele 2004 begonnen zu haben. Spätestens aber seit der Er-
öffnung des postmigrantischen Theaters Ballhaus Naunynstraße in Berlin-Neukölln im Jahr 2008
ist diese Frage ebenfalls in den Theatern Gegenstand aktueller Diskussionen. Längst ist das Thema
dabei aus einem soziokulturellen Rahmen entwachsen und betrifft auch staatliche Einrichtungen
der Hochkultur.
Gliederung Seite
1. Einleitung 2
2. Oh schöne neue Stadt… 2
2.1 Gesellschaftlich relevante Entwicklungen für die Theater 3
2.2 Die neue Stadtgesellschaft als Referenzrahmen 7
3. Seh’n wir doch das Große aller Zeiten auf den Brettern,
die die Welt bedeuten 11
4. Der Worte sind genug gewechselt, lasst auch endlich Taten sehen! 13
4.1 Best Practices 15
4.2 Kulturbotschafter für deutsche Stadttheater? 17
5. Fazit 23
1
2. B 2.12 Kultur und Politik
Wirtschaft, Gesellschaft und Politik
1. Einleitung
Verbringe die Zeit nicht mit der Suche nach einem Hindernis.
Vielleicht ist keins da.
Franz Kafka
In den letzten Jahren sind in vielen Theatern bundesweit unzählige
Aktionen, Projekte und Programme ins Leben gerufen worden, die
sich in irgendeiner Form der Thematik Migration widmen. Die Dra-
maturgische Gesellschaft fragte bei der Tagung 2011 Wer ist Wir?
nach dem Theater in einer interkulturellen Gesellschaft und auch erste
Forschungsstellen sind eingerichtet.
Theater als soziale Viele Forderungen werden an Theater gestellt. Sie sollen sich für eine
Allzweckwaffe interkulturelle Gesellschaft öffnen, die Ränge mit Menschen mit
Migrationshintergrund füllen und am Besten dabei noch die Integrati-
on fördern. Ein defizitärer Blickwinkel sowohl auf die Versäumnisse
der Theater, als auch auf die Migranten als „sozial schwaches und zu
integrierendes Subjekt“ prägt dabei viele der Diskussionen. Konkrete
Lösungsvorschläge werden hingegen nur selten gemacht. Genau dar-
auf aber sollte der Fokus der Überlegungen liegen.
Theater und Ausgehend von der These, dass Theater auf die modernen, transkultu-
Stadtgesellschaft rellen Stadtgesellschaften reagieren müssen um ihre Relevanz in der
Gesellschaft zu manifestieren, gilt es verschiedene Fragen zu beant-
worten: Welchen Herausforderungen werden sich Theater in Zukunft
stellen müssen? Welche Ansätze gibt es bereits und aus welcher Moti-
vation heraus handeln Theater? Welche konkreten Wege gibt es, um
Menschen mit Migrationshintergrund als Zielgruppe anzusprechen
und das Theaterpublikum um diesen Personenkreis zu erweitern?
Denn es gilt stärker als je die These, dass „[d]as Theater […] seine
Möglichkeiten und Grenzen in denen des Publikums zu suchen haben
[wird]“1.
2. Oh schöne neue Stadt…
„Man braucht gar nicht ins Theater hineinzugehen, um sich des alten
Eintopfes zu vergewissern, man braucht nur vorne am Eingang zu
stehen und zu schauen, wer hineingeht. Deutsches Publikum, deutsche
Kulturelite“. Dieser Satz von Publizistin Mely Kiyak umschreibt in
klaren und einfachen Worten die Grundannahme, auf der dieser Bei-
trag aufbaut: Das Theater wird in Zukunft auf den gesellschaftlichen
Wandel reagieren müssen, wenn es nicht vor leeren Rängen spielen
2
3. Kultur und Politik B 2.12
Wirtschaft, Gesellschaft und Politik
möchte. Wenn sich die gesellschaftliche Realität um die Theaterhäuser
verändert, können diese nicht die Augen verschließen und sich hinter
alten Gewohnheiten verstecken. Sie müssen Wege finden, wie sich die
Institution Theater in der Gesellschaft neu positionieren kann.
2.1 Gesellschaftlich relevante Entwicklungen für die
Theater
Drei Momente in aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen sind
ausschlaggebend für die Notwendigkeit, dass sich Theater mit der
Thematik der „interkulturellen Öffnung“ beschäftigen:
1. In Zukunft werden mehr und mehr Menschen mit einem Migrati-
onshintergrund in dieser Gesellschaft (vor allem in den urbanen
Räumen) leben.
2. Diese urbanen (Stadt-)Gesellschaften verändern sich hin zu trans-
kulturellen Lebens- und Kulturräumen.
3. Das klassische Bürgertum, traditionelles Theaterpublikum, wird
zukünftig keine relevante Größe mehr für die Theater sein.
Ein großer Anteil des potenziellen Theaterpublikums der Zukunft wird
sich aus Menschen mit Migrationshintergrund zusammensetzen. Die
Zahlen des Statistischen Bundesamtes lassen keinen anderen Schluss
zu. Im Jahr 2009 lebten 15,703 Millionen Menschen mit Migrations-
hintergrund in der Bundesrepublik Deutschland, was einem prozentua-
len Anteil von fast 20 % an der Gesamtbevölkerung entspricht2. Dass
wir „bunter“ werden, ist also nicht nur ein subjektives Gefühl, sondern
statistisch bewiesen. In einigen Großstädten, wie beispielsweise in
Frankfurt am Main liegt der Anteil mit über 40 % sogar noch weit
höher. Je jünger die Menschen dabei sind, desto höher sind die Zahlen
derjenigen, die auf eine Zuwanderungsgeschichte zurückblicken kön-
nen. Bereits jedes dritte Kind unter zehn Jahren ist heute durch eine
Zuwanderungsgeschichte geprägt.3 Vor dem Hintergrund dieser Tatsa-
chen und dem Wissen darum, dass Deutschland „[…] Zielland der
globalen Zuwanderung bleiben wird“ (Süssmuth), bildet sich zuneh-
mend ein Bewusstsein, welches einen Wandel und eine gezielte Aus-
einandersetzung mit dem Thema Migration in Kultureinrichtungen
fordert.
Noch deutlicher werden die Ergebnisse dann, wenn zu der Definition „Migranten dritter
des Statistischen Bundesamtes4 auch noch diejenigen Menschen hin- Generation“ und
zugezählt werden, die zum Beispiel in dritter Generation hier leben. „Kurzzeiteinwanderer“
Denn auch hier kann die Herkunftskultur noch eine bedeutende Rolle
spielen. Ebenfalls nicht Gegenstand der statistischen Erhebungen sind
hoch qualifizierte und weniger qualifizierte Kurzzeiteinwanderer, die
aufgrund der wirtschaftlichen Globalisierung im Zuge einer Arbeits-
3
4. B 2.12 Kultur und Politik
Wirtschaft, Gesellschaft und Politik
beschäftigung oder eines Studiums5 für einige wenige Jahre in
Deutschland leben. Ganz zu schweigen von der Dunkelziffer der Per-
sonen ohne legale Aufenthaltsgenehmigung. Für Theater bedeutet das,
dass das migrationshintergründige Publikum noch einen weitaus grö-
ßeren Anteil ausmacht, und die Stadtgesellschaft noch weitaus diver-
ser ist, als die Zahlen auf den ersten Blick vermuten lassen.
„Angesichts dieser Zahlen hat die Vorstellung eines »Wir«, an
das sich die ‚Zuwanderer’ anpassen sollen, längst keinen Sinn
mehr. Es geht um die Gestaltung von Vielfalt, und im Hinblick
auf die Herkunft sind die Bewohner deutscher Abstammung
heute lediglich eine Gruppe unter vielen anderen und längst
nicht mehr die Norm“6.
Transkulturelle Stadtgesellschaften
Eine verstärkte Entwicklung in Richtung einer transkulturellen Stadt-
gesellschaft ist das Resultat der oben beschriebenen demografischen
Entwicklungen. Christian Höppner (Deutscher Musikrat) benutzt ein
sehr bildhaftes Beispiel, um das Konzept Interkultur zu erklären:
„Interkultur ist vergleichbar mit einem voll beladenen Contai-
nerschiff. Wir sitzen alle in einem Boot, jedoch in unterschied-
lichen Containern. Die enge Begrenzung eines Containers er-
laubt keinen Weitblick über alle Container hinaus auf die üb-
rigen Schiffe, sondern bestenfalls die Wahrnehmung benach-
barter Container. Dieses Containerdenken von Individuen
bzw. Gruppen – hier: ich/wir, dort: Du/ihr – entspricht der
Sicht und Handlungsweisen, die seit den 1980er Jahre mit
dem Stichwort interkulturell umschrieben werden“.
Konzept „Interkultur“ Das Konzept Interkultur7 ist dahingehend als problematisch zu be-
trachten, als dass die einzelnen Kulturen primär auf Ethnizität und
Herkunft reduziert werden. So werden überwiegend folkloristische
Ansätze herbeigeführt, die die jeweilige Kultur auf Stereotypen stig-
matisieren, kulturelle Interessen von Menschen mit Migrationshin-
tergrund verzerren und so die Personen in eine Art kulturelle Zwangs-
jacke kleiden. Nicht jeder Nachfahre türkischer Eltern identifiziert
sich gleichermaßen mit seiner so genannten Herkunftskultur, wie bei-
spielsweise Moderatorin Asli Sevindim zu verstehen gibt. „Ich wache
nicht morgens auf und denke, ich bin Türkin“8, sagt sie in einem In-
terview. Und dennoch – die Herkunftskultur, die Kultur der Eltern
oder Großeltern, wird eine Person auch immer bis zu einem bestimm-
ten Grade prägen. Einflüsse werden aufgenommen, in der eigenen
individuellen Biografie verarbeitet und mit anderen Einflüssen der
sozialen Umwelt verknüpft.
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