1. Andreas Frintrup
Für die Credit Suisse Private Banking (CSPB) wurde ein kaskadi-
sches Personalauswahlsystem entwickelt, welches einen internet-
basierten Persönlichkeitstest als Vorauswahlverfahren mit Einstel-
lungsinterviews kombiniert. Der Einsatz des Systems erfolgt vier-
Thomas Renner sprachig und wird derzeit auf die neue Organisationseinheit Credit
Suisse Financial Services (CSFS) ausgeweitet.
Online-Personalauswahl
bei Credit Suisse
Financial Services
Moderne Personalauswahl setzt Personalpsychologie Management-
Andreas Frintrup, Ge- nicht nur die Verfügbarkeit guter beratung GmbH unter wissen-
schäftsführer, S & F Perso- Auswahlinstrumente voraus, son- schaftlicher Leitung von Prof. Dr.
nalpsychologie Manage- dern muss auch den Erfordernissen Heinz Schuler (Universität Hohen-
mentberatung GmbH des Personalmarketing Rechnung heim) eine Auswahlkaskade ent-
Thomas Renner, tragen. Dies gilt umso mehr, je aus- wickelt, die seit Einführung ver-
Head Recruitment, getrockneter der relevante Personal- bindliche Grundlage für die Rekru-
Credit Suisse Financial markt ist. Die Credit Suisse Private tierung aller MitarbeiterInnen der
Services, CH - Zürich Banking (CSPB), heute Teil der Cre- Bank bildet – in den vier Sprachen
dit Suisse Financial Services (CSFS), Deutsch, Englisch, Italienisch und
bewegt sich bereits seit Jahren in ei- Französisch. Zum 1. Januar 2002
nem engen Personalmarkt und hat trat die neue Organisationsstruktur
daher beschlossen, neue Wege in der in Kraft, seither wird das System
Bewerberansprache und -auswahl zu auf die größere Organisation aus-
beschreiten. Anspruch hierbei ist es, geweitet und um neue Module er-
solide Eignungsdiagnostik mit einem gänzt. Die Kaskade sieht einen drei-
modernen Auftritt der Bank zu kom- stufigen Selektionsprozess neuer
binieren und durch entsprechende Mitarbeiter vor:
Prozessgestaltung Geschwindigkeit Die erste Stufe des Auswahlpro-
bei der Rekrutierung zu gewinnen. zesses (vgl. Abb. 1) bildet das On-
SEARCH – Der Prozess Stichworte in diesem Beitrag:
y Personalauswahl
Im Rahmen des Projekts SEARCH y Multimodalität
wurde gemeinsam mit der S & F y Eignungsdiagnostik
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3. E-RECRUITING Frintrup / Renner, Online-Personalauswahl bei der Credit Suisse Financial Services
wertet. Die standardisierte Fra-
Abb.3: Das Prinzip der Multimodalität nach Prof. Schuler gestellung und die Nutzung vorbe-
werteter Skalierungshilfen erleich-
tern nicht nur die Tätigkeit der In-
Eigenschaften terviewer, sondern tragen zu einer
hohen Beurteilerübereinstimmung
Tests und damit Reliabilitätserhöhung
bei – Grundvoraussetzungen einer
validen Auswahlentscheidung.
Auch alle weiteren bewertungsrele-
vanten Gesprächsteile des MMI®
Konstrukt (vgl. Abb. 4) nutzen durch Bankex-
perten vorbewertete Skalierungs-
Validierung hilfen; die Selbstvorstellung der Be-
werber wird mit BOS (Behavior
Inhalt Kriterium Observation Scales) bewertet, die
Simulationen Biographien Freien Fragen mit einer einfachen
Rating Scale (RS); Gesprächsbe-
Verhalten Ergebnisse ginn, Gesprächsabschluss und die
Realistische Tätigkeitsinformation
Aus: Schuler, H. (2001). Lehrbuch der Personalpsychologie. Göttingen: Hogrefe (Basis der Bewerber-Selbstselekti-
on) werden hingegen nicht in die
Bewertung einbezogen, um Effek-
terviewsystemen abgebildet sind. Hunter, 1998), sondern auch zeitef- ten der sozialen Urteilsbildung vor-
Alle entwickelten Verfahren wur- fiziente Diagnose ermöglicht wird. zubeugen. Aufbau und Ablauf des
den zunächst von obersten Füh- Dem MMI®, und analog dem Te- Telefoninterviews sind vergleichbar,
rungskräften der Bank revidiert, lefoninterview auf der zweiten Aus- die freien Gesprächsteile entfallen.
sprachlich adaptiert und einer Er- wahlstufe, kommt weiterhin die Alle Daten des Bewerbungsprozes-
probungsanwendung unterzogen. Funktion der biographischen Dia- ses werden zentral auf einer ein-
Als Qualitätsparameter für die gnostik (Fragen zu Erfahrungen heitlichen Plattform gespeichert; so
anschließende Verfahrensoptimie- und Interessen) und der Umset- haben die zuständigen Recruiter
rung und -kürzung wurden klassi- zung des Simulationsansatzes zu. permanenten Einblick in den aktu-
sche psychometrische Kennwerte Da die Tätigkeiten der Bank kom- ellen Status einzelner Bewerbun-
verwendet. plexe Merkmalskonglomerate bil- gen einschließlich aller zugehörigen
Handlungsleitend für die Verfah- den, eignen sich traditionelle low-fi- Diagnoseergebnisse.
rensentwicklung war das Prinzip delity-Tests (klassische Arbeitspro- Auch für die Bewerber bietet der ge-
der Multimodalität (vgl. Abb. 3), d. ben) kaum – nicht nur aus Gründen wählte Prozess Vorteile: Durch das
h. die drei eignungsdiagnostischen
Messkonzepte (Simulationsansatz,
Abb. 4: Gesprächsteile des Multimodalen Interviews MMI®
biographischer Ansatz und Eigen-
schaftsansatz) werden derart mit-
Bewertung
einander kombiniert, dass die je-
1. Gesprächsbeginn –
weiligen Vorzüge maximiert und
2. Selbstvorstellung BOS
die Beschränkungen einzelner Zu-
3. Freie Fragen RS
gänge kompensiert werden. Dem
4. Berufs- und Organisationswahl BARS
Eigenschaftsansatz wird im vorlie-
genden System primär durch den 5. Erfahrungen und Interessen BARS
spezifisch entwickelten Persönlich- 6. Realistische Tätigkeitsinformationen –
keitstest Rechnung getragen, wenn- 7. Situative Fragen BARS
gleich Teile der traitorientierten 8. Gesprächsabschluss –
Das Multimodale Interview MMI® ist marken- und urheberrechtlich geschützt.
Messung auch im Multimodalen
Interview MMI® geleistet werden.
Beim MMI® werden in einem ein-
zigen Instrument alle drei Ansätze der Praktikabilität. In den situati- vorgelagerte OA und das Telefo-
integriert und damit nicht nur eine ven Fragen des MMI® werden ninterview entfällt die Notwendig-
überaus valide (metaanalytisch „mentale Arbeitsproben“ vorgege- keit einer frühzeitigen Anreise.
r=.51; zum Vergleich: Das meta- ben und die Antworten der Bewer- Auch die Bewerber profitieren von
analytische r für Assessment Cen- ber mit Hilfe von BARS (Behavi- dem „hinter“ dem Auswahlsystem
ter beträgt r=.37 nach Schmidt & orally Anchored Rating Scales) be- aufgesetzten schlanken Prozess und
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4. der Systemunterstützung, mit Hil- Items je Seite und die technische tersuchungen wird dieser Fra-
fe derer die Durchlaufzeiten ein- Verhinderung des Vor- und Zurück- gestellung nachgegangen; bezogen
zelner Bewerbungen drastisch ver- blätterns während der Bearbeitung. auf den aktuell vorliegenden Test
ringert werden konnten und gleich- Fehlende Werte in der Testbearbei- kann vorsichtig von einer Äquiva-
zeitig eine Qualitätssteigerung der tung können so nicht auftreten, Fol- lenz des Verfahrensergebnisses aus-
Auswahlentscheidungen einher- ge ist eine Erhöhung der Test-Re- gegangen werden; hierfür sprechen
geht. Sowohl im Rahmen der Ver- liabilität. auch die weiteren psychometri-
fahrensentwicklung als auch beim Kritisch diskutiert wurde im Vor- schen Merkmale beider Darbie-
Einsatz des Online-Tests wurde dar- feld die Frage, ob die Onlinedar- tungsformen.
über hinaus der Akzeptabilität des bietung dieses Persönlichkeitstests
Systems bei den Bewerbern höchs- zu gleichen Ergebnissen führen
würde wie die Papierversion, und ob Ausblick
die Darbietungsform einen Einfluss
Abb.5: Pausenfüller: auf das Ausmaß sozial erwünschter Derzeitig wird SEARCH auf alle
Zweimal während des Tests Antworten hat – mithin ob Bewer- Divisionen der CSFS ausgeweitet.
können die Bewerber sich ber sich im Internet besser darstel- Für Tätigkeitsgruppen, die in der
entspannen. len als auf Papier. Eine konkrete bisherigen Organisationsform nicht
Hypothesenbildung war schwierig, vertreten waren, werden Ergän-
da zwar aus der Online-Forschung zungsmodule entwickelt; dies gilt
mit allgemeinen Persönlichkeits- insbesondere für Gruppen von
tests bekannt ist, dass soziale Er- Auszubildenden und Hochschulab-
wünschtheit im Internet aufgrund solventen.
der perzipierten Anonymität der
Erhebungssituation geringer ist; al- Autoren-Kontakt:
lerdings lagen bisher keine Unter- info@personalpsychologie.de
suchungen über den Einsatz von Tel. 0711-486020-0
Auswahlverfahren in realen Aus-
wahlsituationen vor. Ein Vergleich
von N=108 Datensätzen der pa-
pierbasierten Erprobungsversion Literatur:
te Bedeutsamkeit beigemessen. Schuler, H. (2000). Psychologische
Durchgeführte Bewerberbefragun- Abb.6: Beispiel-Item mit Personalauswahl. Göttingen: Hogre-
gen ergaben hohe Zufriedenheits- interaktiver Skala. fe.
werte für alle Bestandteile der Kas- Schuler, H. (Hrsg.) (2001). Lehrbuch
kade. der Personalpsychologie. Göttingen:
Das OA besteht aus insgesamt 150 Hogrefe.
Items, die allesamt auf einer Skala
von 1-7 zu bewerten sind (vgl. Abb.
6). Aus Gründen des Verfahrens-
schutzes werden sie vor jeder Ver-
fahrensdurchführung durch einen
Zufallsgenerator neu gemischt; so Kurzfassung
erhält jeder Bewerber eine eigene
Version des Fragebogens. Auch die Bei der Credit Suisse Financial
Vergabe eines nur einmalig funk- Services wird eine Auswahlkas-
tionierenden Passworts an die Be- des Verfahrens mit N=434 online er- kade eingesetzt, deren zentrales
werber und die zeitliche Limitie- hobenen Datensätzen – beide Da- Element ein internetbasierter
rung der Zugriffsmöglichkeit die- tenerhebungen dienten der Bewer- Persönlichkeitstest bildet. Hier
nen dem Schutz des aufwendigen bervorauswahl – erbrachte einen werden das Auswahlsystem und
Verfahrens gegen vorschnelle „Ab- leicht geringeren Zusammenhang die verwendeten Verfahrensty-
nutzung“. Sollte während der Bear- des Gesamtwerts des OA mit einer pen vorgestellt sowie methodi-
beitung des OA ein technisches Pro- parallel eingesetzten Skala zur Er- sche Aspekte der webbasierten
blem seitens der Bewerber auftre- fassung sozial erwünschten Ant- Personalvorauswahl knapp dis-
ten, kann einmalig wieder in das wortverhaltens im Rahmen der kutiert. Die Methodik der multi-
Verfahren eingestiegen werden. webbasierten Erhebung. Der Un- modalen Eignungsdiagnostik
Der Verbesserung psychometri- terschied zwischen den beiden Dar- und das Multimodale Interview
scher Parameter des Verfahrens bietungsformen ist jedoch nicht sig- MMI® werden dargestellt.
dient die Darstellung nur eines nifikant. Im Rahmen weiterer Un-
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