4. Helden des Alltags
Heinrich Alt,
Vorstand Grundsicherung
Was Sie gerade in der Hand halten, ist ein Buch ternehmern, die ihre Betriebe für sie geöffnet haben. Jahren erreicht wurde und was weiterhin jeden Tag unseren Platz in der Gesellschaft, Arbeit gibt Aner-
über Menschen, die am Existenzminimum gelebt Das Buch mit dem Titel „Wir sind gut“ beschreibt erreicht wird. Dennoch ist die Grundsicherung ein kennung, Arbeit erfüllt, Arbeit macht sichtbar.
und umgangssprachlich ausgedrückt Hartz IV bezo- aus unterschiedlicher Perspektive, was jeden Tag in ungeliebtes Kind. Politisch ist sie eine Vollwaise. Was
gen haben. Ein Buch, das Geschichten erzählt über Deutschland unbemerkt und erfolgreich gelingt. sie braucht, ist mehr Aufmerksamkeit und Anerken- Die meisten Menschen nehmen einen dauerhaften
alltägliche Helden. Es sind keine Menschen, die neue nung. Kurz: Was ihr fehlt, ist gutes Marketing. Transferbezug als entwürdigend wahr. Sie wollen ih-
Weltrekorde aufgestellt, keine, die Medaillen ge- Warum ein Buch über Menschen aus der Mitte der ren Beitrag leisten, Verantwortung übernehmen und
wonnen, keine, über die Illustrierte berichtet haben. Gesellschaft? Menschen, die unsere Freunde, Nach- Dieses Buch ist kein Arbeit ist der eigenen Familie ein Vorbild sein.
Aber es sind Menschen, denen die Gesellschaft auch barn und Kollegen sind oder sein könnten – Men- Adoptionsantrag. Es zeigt mehr als nur
ein Denkmal setzen schen aus Hartz IV? Weil es Mut machen soll, weil es aber, dass es Wege zurück Gelderwerb, Dieses Buch war mir ein persönliches Anliegen. Und
könnte, weil sie sich mit Ein Buch, das Vorbilder zeigen soll, weil es demonstrieren soll, dass in die Gesellschaft gibt. ich bedanke mich, dass viele bekannte Vertreter aus
Geschichten Arbeit erfüllt,
ungeheurer Anstrengung das Bild von Langzeitarbeitslosen und Jobcentern in Wenn man daran glaubt, Politik, aus Wirtschaft, aus Medien oder Wissenschaft
erzählt über Arbeit macht
zurückgekämpft haben in der öffentlichen Wahrnehmung korrigiert werden mit viel Motivation und dieses Buch unterstützt haben. Sie beschreiben, was
Menschen, sichtbar
die Arbeitsgesellschaft. muss. viel Engagement daran Arbeit für sie bedeutet. Und genau das ist es, was
Menschen, die lange die sich ins arbeitet. Es zeigt auch, uns alle vereint. Egal ob arbeitslos oder nicht.
arbeitslos waren, aber Arbeitsleben Ungezählte Debatten haben die Grundsicherung dass es keine hoffnungslosen Fälle gibt. Es braucht
nie aufgegeben haben, zurückgekämpft dahin gebracht, wo sie in der Wahrnehmung der bei dem einen oder anderen Menschen einfach nur Nürnberg, Dezember 2012
an eine neue Chance zu haben Öffentlichkeit jetzt ist – in der Schmuddelecke des mehr Zeit und einen langen Atem. Und das Buch
glauben. Ihre Geschichten Sozialstaates. Es ist nicht gelungen, die Grundsiche- zeigt auch: Es gibt risikobereite Unternehmen, die
erzählen auch von Kolleginnen und Kollegen in Job- rung für Arbeitsuchende als geglückte Reform in der ihre soziale Verantwortung ernst nehmen. Wenn man
centern, die diesen Glauben bestärkt und unterstützt Gesellschaft zu verankern. Deshalb verlieren wir im- die Geschichten liest, wird deutlich, dass Arbeit mehr
haben, und von mutigen Unternehmerinnen und Un- mer wieder aus den Augen, was in den vergangenen ist als nur Gelderwerb. Über Arbeit definieren wir alle
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5. Realitätscheck
Vorurteile gegenüber Hartz IV-Empfängern sind in der Bevölkerung weit verbreitet. Dies ist eines der
zentralen Ergebnisse einer repräsentativen Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach im Auftrag der
Bundesagentur für Arbeit. Untersuchungen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung und der
Bundesagentur für Arbeit zeigen aber: Die Einschätzungen haben mit der Realität wenig gemein.
Irrtum
5
1
Irrtum
37 % der Deutschen glauben:
Hartz IV-Empfänger wollen
3 Irrtum
57 % der Deutschen glauben:
Hartz IV-Empfänger sind bei der
57 % der Deutschen glauben:
Hartz IV-Empfänger sind schlecht
qualifiziert.
Arbeitsuche zu wählerisch.
nicht arbeiten.
Fakt ist:
44 % der Hartz IV-
Fakt ist: Fakt ist: Empfänger verfügen über
71 % der arbeitsuchenden eine abgeschlossene
Für 75 % der Hartz IV- Berufsausbildung.
Empfänger ist Arbeit das Hartz IV-Empfänger würden
Wichtigste im Leben. Arbeit annehmen, für die sie
überqualifiziert sind.
Irrtum
4 55 % der Deutschen glauben:
Hartz IV-Empfänger haben nichts
Irrtum Sinnvolles zu tun.
2 55 % der Deutschen glauben:
Hartz IV-Empfänger suchen
selbst nicht aktiv nach Arbeit. Fakt ist:
62 % der Hartz IV-Empfän-
ger gehen mindestens einer
Fakt ist: gesellschaftlich relevanten
62 % der arbeitsuchenden
Hartz IV-Empfänger klopfen Tätigkeit nach.
direkt beim Arbeitgeber an.
8 9
6. Baden-Württemberg
Baden-Württemberg Aufwand und Ertrag
Alevtina Otto liebt Zahlen und Ordnung. Deshalb wurde sie in Russland Buchhalterin.
Eine Qualifikation, die ihr hierzulande zunächst nichts nützte. Eine Jobsuche aus zwei
Perspektiven.
Dr. Astrid Koberstein-Pes vom Jobcenter Landkreis
Konstanz:
Viele unserer Klienten sind sehr unglücklich mit
ihrer Situation, wenn sie zu uns kommen. Oft
haben sie über die vielen Absagen bei der Jobsuche
den Glauben an ihre Fähigkeiten verloren. Deshalb
helfen wir ihnen zunächst dabei herauszufinden, wo
ihre Stärken liegen – denn Stärken und besondere
Fähigkeiten haben sie alle. Bei Frau Otto war es ganz Nach Jahren wieder im Ausbildungsberuf: Alevtina Otto
ähnlich. In ihrer russischen Heimat hatte sie als Wirt- Praktikumszeugnis war so hervorragend, dass sie
schaftsprüferin gearbeitet, fand aber hier in diesem über unsere Kontakte die Chance erhielt, einige Tage
Bereich keine Anstellung. Um ihre Familie zu versor- in der Buchhaltung des Pestalozzi-Kinderdorfs auf
gen, nahm sie eine Stelle in der Produktion an, bis Probe zu arbeiten. Inzwischen hat sie dort einen Ar-
sie nach vielen Jahren mit knapp 50 arbeitslos wurde. beitsvertrag unterschrieben, ist festangestellt und ihre
Die Kollegen von der Agentur für Arbeit vermittelten Berufsausbildung ist mittlerweile auch anerkannt.“
ihr eine Qualifizierungsmaßnahme im Buchhaltungs-
bereich, die sie mit großem persönlichem Engagement Alevtina Otto über ihren Weg zurück in die Welt
erfolgreich abschloss. Ihre Bewerbungen danach der Zahlen:
blieben jedoch erfolglos. „Mein Problem hier in Deutschland war, dass ich
die Sprache zunächst nicht sprechen konnte. Und
Trotz der Absagen haben wir Frau Otto geraten, an natürlich, dass meine russischen Abschlüsse als
ihrem Berufswunsch festzuhalten, denn wir hatten Buchhalterin und Wirtschaftsprüferin nicht akzep-
in der Beratung festgestellt, dass sie über sehr gutes tiert wurden. Ich muss ehrlich sagen, dass ich die
Fachwissen verfügte. Wir haben dann zusammen mit Hoffnung, irgendwann noch einmal in meinem Beruf
ihr an einer neuen zu arbeiten, bereits aufgegeben hatte. Aber Frau
Bewerbungsstra- Dr. Koberstein-Pes hat mir Mut gemacht – und das
tegie gearbeitet hat mir sehr geholfen. Die Idee, einen Berufseinstieg
und auf Praktika über ein Praktikum zu versuchen, fand ich wunder-
gesetzt, in denen bar. Auch für mich selbst war es der Beweis, dass
sie ihr Wissen un- ich eben doch noch etwas kann. Und dass ich beim
ter Beweis stellen Pestalozzi-Kinderdorf so schnell eine so gute Arbeits-
konnte. Bereits stelle gefunden habe – so viel Glück kann ich
Arbeitsvermittlerin Dr. Astrid Koberstein-Pes ihr erstes manchmal gar nicht fassen.
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7. Baden-WürttemBerg Baden-WürttemBerg
Nur eines von vielen
Aufgabengebieten
des 59-jährigen Vlado Susanne Schulz betreut
Djurak: die Küche Tamara Juhn im Auftrag
Tamara Juhn, 22, Auszubildende als Kauffrau für Bürokommunikation, Rastatt des Jobcenters
Der Mann für alle Fälle „Ihre Leistungen sind spitzenklasse“
34 Jahre in Deutschland, 22 Jahre festangestellt und dann zwölf Jahre arbeitslos. Erst ein Als Alleinerziehende suchte Tamara Juhn lange nach einem Ausbildungsplatz. Bei der
engagierter Arbeitsvermittler brachte Vlado Djurak zurück in das Berufsleben. Deutschen Vermögensberatung Rastatt fand sie endlich, wonach sie suchte und lernt ihren
künftigen Beruf in Teilzeit.
D er Buchsbaum kommt nicht ungeschoren davon,
der Teller nicht ungespült. Als Hausmeistergehil-
fe im Parkhotel Wehrle legt Vlado Djurak dort Hand
Djurak in den Schwarzwald. Hier trifft er auf Hellmut
Kohlermann. Der Arbeitsvermittler engagiert sich sehr
für seinen neuen Kunden. Eigenhändig überbringt er A lleinerziehende Mutter sucht Ausbildung – es
scheint Arbeitgeber zu geben, die von einem
Ihre Ausbildung absolviert sie engagiert und verant-
wortungsbewusst. „Ich bin sehr stolz, ihre Leistun-
an, wo gerade Hilfe gebraucht wird, und genießt dessen Bewerbungsunterlagen potenziellen Arbeit- solchen Wunsch nicht viel halten. Das Gefühl hatte zu- gen sind spitzenklasse“, sagt Susanne Schulz. Die
sein weites Aufgabenfeld – nach zwölf Jahren ohne gebern – unter anderem dem Parkhotel Wehrle in mindest Tamara Juhn, nachdem sie auf ihre Bewerbun- Projektleiterin der BBQ Berufliche Bildung gGmbH
Arbeit. Triberg. Dort erhält Vlado Djurak Gelegenheit, sich gen zunächst nur Absagen bekam. Bis sich schließlich betreut die junge Mutter im Auftrag des Jobcenters.
persönlich vorzustellen. Seine freundliche und zu- Christian Warth von der Deutschen Vermögensbera- Sie steht Tamara Juhn mit Rat und Tat zur Seite. Gibt
1972 kommt Vlado Djurak aus dem damaligen Jugos- vorkommende Art überzeugt sofort. Er erhält eine tung Rastatt bereit erklärt, die 22-Jährige in seiner Firmaes beispielsweise Ärger in der Berufsschule, setzt sich
lawien nach Deutschland. Arbeitskräfte sind gesucht, befristete Anstellung als Gartengehilfe und nutzt zur Kauffrau für Bürokommunikation auszubilden. Der Schulz für sie ein. Gleichzeitig arbeiten die beiden
er findet schnell eine Stelle als Monteur bei einem seine Chance. Direktionsassistentin Vanessa Combes: Familienvater stimmte sogar einer Anstellung in Teilzeit Frauen daran, die junge Mutter auch persönlich wei-
großen Elektronikhersteller. „Vlado ist unheimlich pünktlich, sehr zuverlässig und zu. Für Tamara Juhn ist das ein großes Glück, denn eine ter zu stärken. Denn neben einer soliden beruflichen
22 Jahre lang hat er dort „Ich kann mein erledigt seine Aufgaben selbstständig. Es ist perfekt. Ausbildung in Teilzeit zu finden ist fast unmöglich. Basis geht es bei der ausbildungsbegleitenden Be-
sein Auskommen, dann Leben wieder Wir müssen uns um nichts kümmern.“ treuung auch darum, individuelle Probleme
gerät die Firma in die Krise. genießen“ „Mir hat ihr positives Auftreten gefallen und „Ich bin zu lösen, um so eine dauerhaft erfolgrei-
Entlassungen folgen, auch Vlado Djurak hat es geschafft. Inzwischen ist er ein sie wurde mir wärmstens empfohlen“, be- wieder che Integration in den Arbeitsmarkt zu
der gebürtige Kroate muss gehen. Plötzlich steht er festes Mitglied des Hotelteams. Seine Aufgaben gründet Christian Warth die Entscheidung, jemand in der erreichen.
auf der Straße. findet er nicht mehr nur im Garten. Als Hausmeis- die er bis heute nicht bereut hat. „Es läuft Gesellschaft“
tergehilfe ist er überall im Hotel unterwegs und alles wunderbar“ und schließlich habe er ja Für Tamara Juhn hat sich das jetzt schon
Überall in Deutschland sucht der Monteur nach einer schaut, wer Unterstützung gebrauchen kann. Viel Zeit auch gewusst, worauf er sich einließe. „Wenn das gelohnt: „Ich bin wieder jemand in der Gesell-
neuen Stelle. Sein fortgeschrittenes Alter und seine verbringt er in der Küche, wo er dem Koch zur Hand Kind krank ist, hat das eben Priorität.“ schaft“, sagt sie. Es sei zwar nicht immer einfach,
fehlende Ausbildung machen ihn jedoch für den geht. Der 59-Jährige ist zufrieden: „Ich fühle mich die Ausbildung und das Privatleben unter einen Hut
Arbeitsmarkt unattraktiv. „Ich wollte ja arbeiten. Das jetzt viel besser als während meiner Arbeitslosigkeit Tamara Juhn weiß, dass eine solche Einstellung nicht zu bringen. Aber Tamara Juhn weiß jetzt, dass sie es
Herumsitzen machte mich krank.“ Dennoch, aufge- und kann mein Leben wieder genießen.“ selbstverständlich ist. Sie will ihren Chef auf keinen schaffen kann.
ben kommt für ihn nicht infrage. Er nimmt an Weiter- Fall enttäuschen. Deshalb bleibt sie nur zuhause,
bildungsmaßnahmen teil, beispielsweise zum Gärtner. wenn es wirklich nicht anders geht. Was zum Glück
Nach über zehn Jahren Arbeitslosigkeit zieht Vlado nur selten der Fall ist.
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8. Baden-Württemberg Baden-Württemberg
„Wir profitieren vom Aufschwung“
Thomas Dautel, 48, Geschäftsführer des Jobcenters Schwarzwald-Baar-Kreis, über
konjunkturelle Schwankungen und die größten Herausforderungen in seiner Region.
IT-Fachkraft Adnan
Munawar, 30, (links)
und sein Chef Helmut Herr Dautel, kurz nach dem Einbruch der Wirt-
Hasenhait schaftskrise 2009 lag die Arbeitslosenquote im
Schwarzwald-Baar-Kreis knapp über sechs Pro-
zent. Nun beträgt die Arbeitslosenquote in Ihrer
Erfolg ist nicht programmierbar Region nur noch 3,5 Prozent – und liegt damit
unter der des Bundeslandes Baden-Württemberg
Adnan Munawar wünschte sich einen Job in der IT-Branche. Aber Berufserfahrung hatte er und der Quote auf Bundesebene. Wie ist das
keine. Trotzdem hat er sein Ziel erreicht. gelungen?
Dieser Erfolg hängt sicherlich nicht nur mit
Ü ber hundert Bewerbungen verschickte Adnan
Munawar von September 2009 bis April 2011 –
ohne das erhoffte Ergebnis. „Die Absagen zermür-
GmbH, kennen. Der Personalmanager war nach
einem Gespräch von dem Kandidaten und seinem
selbstsicheren Auftreten angetan: „Herr Munawar ist
der Leistung unseres Jobcenters zusammen,
sondern vor allem mit der Entwicklung der Wirt-
schaftsstruktur und der Konjunktur in unserem
Nutzt die guten wirtschaftlichen Strukturen für seine Klienten:
Thomas Dautel
ben auf Dauer natürlich. Dazu kommt der steigende kompetent, ruhig und freundlich. Darauf kommt es Landkreis. Die Region ist geprägt durch kleine und Die Arbeitgeber im Schwarzwald-Baar-Kreis bie-
Druck, sich vielleicht doch etwas anderes suchen zu bei der Lösung mittelständische Betriebe im gewerblich-technischen ten auch Jobs für geringqualifizierte Arbeitskräfte.
müssen“, sagt er. Aber als Hilfsarbeiter habe er für von Computer- Bereich. Die Metall- und Elektroindustrie sowie der Deshalb haben auch die Klienten des Jobcenters hier
sich keine wirkliche Perspektive gesehen. problemen an.“ Maschinenbau sind bei uns dominierend und wir im Gegensatz zu vielen anderen Regionen gute Aus-
Nach einem haben das Glück, dass einige Automobilzulieferer im sichten auf einen Job. Die Zahl der Arbeitslosen wie
Adnan Munawar setzte alle Hebel in Bewegung, Vorstellungsge- Schwarzwald-Baar-Kreis ansässig sind. auch die Zahl der Leistungsempfänger von Grund-
um seine berufliche Zukunft in dem Feld zu finden, spräch bei einem sicherungsleistungen ging dadurch zuletzt deutlich
in dem er sich auskennt. Zwei PerfectStaff Während der Wirtschaftskrise in den Jahren 2008 zurück.
„Das ist das
Jahre lang hatte er während sei- Kunden von und 2009 hat sich allerdings gezeigt, wie anfällig
Beste, was nes Informatikstudiums an der Getronics diese Branchen für konjunkturelle Schwankungen Eine permanente Herausforderung ist die Vermitt-
ihm passieren Hochschule für Technik Stutt- Alles am richtigen Platz: Auch das Überprüfen Deutschland sind. In dieser Phase lag die Arbeitslosenquote bei lung von Beschäftigungslosen, die seit zwei Jahren
konnte“ gart als studentische Hilfskraft von Servern gehört zum Job GmbH, der für uns über dem Landesdurchschnitt. Aber dafür hat oder länger Leistungen der Grundsicherung nach
gearbeitet. Doch nach dem abgebrochenen Studium ein Projekt in Aalen eine zuverlässige IT-Fachkraft sich der wirtschaftliche Aufschwung danach wieder- dem SGB II beziehen. Wir müssen es schaffen, dass
fehlte es ihm zunächst an Arbeitspraxis. Dennoch suchte, erhielt Munawar im Mai 2011 einen unbefris- um sehr positiv niedergeschlagen. Davon profitieren auch die Langzeitarbeitslosen noch viel stärker am
hielt er an den einmal gesteckten Zielen fest. teten Arbeitsvertrag bei dem IT-Personaldienstleister. wir als Jobcenter natürlich. Und wir versuchen, die wirtschaftlichen Aufschwung teilhaben. Die Teil-
guten wirtschaftlichen Strukturen für unsere Klien- habe dieser Klienten am Arbeitsleben halte ich für
Im April 2011 machte sich sein Durchhaltevermögen Inzwischen ist Adnan Munawar als IT-Fachkraft ten zu nutzen, etwa durch den Arbeitgeberservice, eine der wichtigsten Aufgaben unserer Gesellschaft.
endlich bezahlt. Adnan Munawar bewarb sich auf unentbehrlich. An mehreren Standorten ist er für die den wir gemeinsam mit der örtlichen Agentur für Meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Jobcenter
eine Stelle als Junior-IT-Techniker bei dem IT-Personal- Entstörung von PC- und Druckerproblemen vor Ort Arbeit betreiben. So sind wir immer am Arbeits- leisten einen wichtigen Beitrag dazu, sie wieder in
dienstleister PerfectStaff. Die Anzeige hatte er online bei Kunden von Getronics verantwortlich. markt präsent, um die offenen Stellen mit möglichst Beschäftigung zu bringen und in einen geregel-
auf der Internetseite der Bundesagentur für Arbeit vielen unserer Kunden zu besetzen. Wir konnten im ten Arbeitsalltag zu begleiten.
gefunden. Bei einem Bewerbertag lernte er Helmut vergangenen Jahr etwa 2000 Menschen wieder in
Hasenhait, den Geschäftsführer der PerfectStaff Arbeit bringen.
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9. Bayern
Was bedeutet Ihre Arbeit für Sie?
„Arbeit ist für mich grundsätzlich etwas Posi-
tives. Zu arbeiten bedeutet doch, dass man das
Talent, das man mitbekommen hat, entfalten
kann. Jeder Mensch kann irgendetwas beson-
ders gut. Wenn er diese Begabung in den dafür
passenden Beruf einbringt, bekommt das Ta-
lent des Einzelnen einen übergeordneten Sinn:
Es wird für etwas Produktives zum Einsatz
gebracht – etwas, das anderen zugutekommt.
Wenn ein Bäcker gutes Brot backt, freuen sich
die Kunden. Wenn ein Automechaniker sorg-
Was bedeutet Ihre Arbeit für Sie? fältig arbeitet, trägt er zur Sicherheit auf den
„Arbeit war und ist neben meiner Familie der Straßen bei.“
Inhalt meines Lebens.“ Was bereitet Ihnen daran besondere
Was bereitet Ihnen daran besondere Freude?
Freude? „Ich habe das Glück, einen Beruf auszuüben,
„Der tägliche Kontakt mit Menschen. Die der meinem Wesen entspricht. Der Beruf und
tägliche Möglichkeit, Probleme und Konflikte zu ich – das ist eins: Kochen ist meine Leiden-
lösen und Herausforderungen zu stemmen.“ schaft. Wenn man etwas mit Leidenschaft
Wie gehen Sie mit schwierigen tut, hat man auch die Kraft, dafür sein Bestes
Phasen im Berufsleben um? zu geben. Man hat die Motivation, über sich
„Das Wichtigste ist es, Ruhe zu bewahren, hinauszuwachsen, Herausforderungen anzu-
stets überlegt und im Bewusstsein der eigenen nehmen. Man schaut nicht auf die Probleme,
Verantwortung zu handeln. Dabei helfen mir sondern sucht nach Lösungen. Wenn man eine
meine tiefe Verwurzelung in der Religion und Herausforderung angenommen und gemeistert
hat, wird man mit dem Gefühl belohnt, dass
mein festes Vertrauen in Gott.“
man vor sich selbst nicht davongelaufen ist.
Man hat etwas Neues gelernt und neue Erfah-
Dr. h.c. Charlotte Knobloch rungen gemacht.“
Präsidentin der Israelitischen Kultusgemein- Wie gehen Sie mit schwierigen Phasen im
de München und Oberbayern und Vizepräsi- Berufsleben um?
dentin des Jüdischen Weltkongresses „Ich mag es, wenn man optimistisch eingestellt
ist und nach vorn schaut: Jeder Tag ist eine neue
Chance. In Amerika ist diese positive Haltung
ausgeprägter als bei uns. Wenn mal etwas
schiefläuft, rappelt man sich wieder auf und
fängt von vorne an. Motto: „Niemals aufgeben!“
Alfons Schuhbeck
Koch und Unternehmer
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10. BaYern BaYern
Peter Harvey (Name von
der Redaktion geändert), 55,
Fahrer für die Firma Markus Aschenbrenner,
Breit Transporte, Creußen EDEKA Neukauf Bad Kötzting
Denise Stangl, 26, kann sich nach ihrer Teilzeitarbeit voll ihren Töchtern widmen
Vom Bodensee bis an die Förde Arbeiten im Schlaraffenland
Wie ein gebrochenes Fußgelenk den Biologen Peter Harvey zum LKW-Fahrer machte. Familie und Beruf lassen sich oft schwer vereinbaren. Denise Stangl hat es nach langer
Arbeitslosigkeit geschafft.
D ie Doktorarbeit von Peter Harvey entspricht ihrem ist und ihnen neue Arbeitsperspektiven eröffnen
Umfang und Anspruch nach eigentlich schon
einer Habilitation. Entsprechend viele Jahre hat der
soll. Dazu zählte im Fall Harvey ein Praktikum beim
Umweltschutz-Informationszentrum Lindenhof in
7 Uhr, über der ostbayrischen Stadt Bad Kötzting
hebt sich gemächlich die Sonne. Während die
Kleinstadt langsam erwacht, bringt Denise Stangl
Bewerbungsgesprächen scheiterte der Berufseinstieg
in die Pflege – der Wunsch, die bestmögliche Betreu-
ung ihrer Kinder sicherzustellen, ließ sich nicht mit
Biologe darauf verwendet, seine Forschungsarbeit Bayreuth. In einem nächsten Schritt gab es für Peter ihre beiden sechs und sieben Jahre alten Töchter in Schichtbetrieb und Stundenkontingenten vereinba-
an der Universität Bayreuth voranzutreiben. Der Job Harvey die Möglichkeit, eine berufsbezogene Maß- den Kindergarten und die Schule. Kurz vor halb acht ren. Das Jobcenter bemühte sich um neue Perspek-
als wissenschaftlicher Mitarbeiter war wie für Harvey nahme des Jobcenters im Bereich Gartenbau zu erreicht die Metzgereifachverkäuferin ihren Arbeits- tiven, organisierte Fortbildungen und half mit einer
geschaffen. Den allerdings verlor er, als sein Doktor- starten. Doch kurz vorher brach er sich das Fußge- platz, den EDEKA-Markt. intensiven Recherche.
vater in den Ruhestand ging und Harveys Arbeitsplatz lenk und kam für diese Aufgabe nicht mehr in Frage.
an der Universität eingespart wurde. Es folgte ein „So hab ich mir das immer gewünscht“, sagt Frau Nach fünf Jahren vergeblicher Suche ging dann auf
Taxischein und schließlich die Arbeitslosigkeit – der „Das Wichtigste: Susanne Deitrich-Thimm schlug Stangl mit einem unverwechselbaren Oberpfälzer einmal alles ganz schnell: Im Oktober 2011 stieß die
55-Jährige war zwar hochqualifiziert, aber für die endlich aus der ihm ein Treffen mit Volker Breit Dialekt, „Zuhause, Schule und Arbeit – alles im Radi- Arbeitsvermittlerin in Bad Kötzting auf das Jobange-
Jobs an den Hochschulen zu alt, wurde ihm gesagt. Arbeitslosigkeit vor, der für sein kleines Trans- us von 15 Minuten Fußweg.“ Nach der Ausbildung bot für eine Metzgereifachverkäuferin in Teilzeit. An
heraus“ portunternehmen einen zuver- ließen sich durch die Trennung vom Lebensgefährten einem Dienstag fand das Bewerbungsgespräch statt
„Solange ich noch an meiner Promotion arbeite- lässigen und flexibel einsetz- Vollzeitstelle und Betreuung zweier Kleinkinder nur und noch in derselben Woche
te, habe ich nicht gemerkt, wie der Freundeskreis baren Fahrer suchte. Sie verabredeten eine Probezeit, schwer koordinieren. Obwohl die Arbeitslosenquote war der erste Arbeitstag für „Nach fünf
schrumpfte, aber danach wurde mir sehr deutlich, zu der auch ein Fahrtraining mit Anhänger gehörte. in Bad Kötzting nur bei rund drei Prozent liegt, fand Frau Stangl. „Da habe ich Jahren Stillstand
dass Arbeitslosigkeit schnell isolieren kann“, sagt der Seitdem ist Peter Harvey mit einem Transporter zwi- die alleinerziehende Mutter keine Stelle, um nach der wirklich Glück gehabt“, sagt ging auf einmal
Biologe heute. Umso wichtiger war für ihn der Kon- schen Bodensee und der Flensburger Förde unter- Ausbildung beruflich durchzustarten. sie. Auch ihr Chef sei „groß- alles ganz
takt zum Jobcenter: „Susanne Deitrich-Thimm vom wegs, um Palettenware pünktlich auszuliefern. Dass artig“. Für ihren Arbeitgeber schnell“
Jobcenter Bayreuth hat mit großem Engagement, sein Job nichts mit seinem ursprünglichen Berufsfeld „Ich wollte meinen Kindern aber ein gutes Vorbild ist die Vereinbarkeit von
Einfühlungsvermögen und Verständnis meinen Weg zu tun hat, damit hadert Harvey nicht:„Das eigen- sein“, sagt die 26-jährige Frau. Aus diesem Grund Familie und Beruf eine Selbstverständlichkeit, beson-
zurück in den Arbeitsmarkt begleitet und mir immer ständige Arbeiten und die Verantwortung machen mir nahm sie an einer Arbeitsgelegenheit für den Beruf ders wenn „solch ein Engagement dahintersteckt“,
wieder gute Impulse gegeben.“ Spaß, ich komme rum und habe wieder jede Menge in der Altenpflege teil, die ihr die Arbeitsvermittlerin wie Markus Aschenbrenner vom EDEKA Neukauf Bad
Kontakt zu unterschiedlichsten Menschen. Aber das Simone Aschenbrenner vom Jobcenter Cham an- Kötzting sagt.
Peter Harvey profitierte schließlich von einem Pro- Wichtigste für mich ist: Ich bin endlich aus der Ar- trug und qualifizierte sich weiter. Doch trotz guter
gramm, das speziell für ältere Arbeitslose konzipiert beitslosigkeit heraus.“ Beurteilungen und positiver Rückmeldungen aus
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11. BaYern BaYern
Jeffry Weiß, 21,
Auszubildender zum
Gebäudereiniger, Kerstin Bauer vom Jobcenter
Coburg lieferte Fortbildung, Motivation
Helmut Dittmannsberger, 55, Paketzusteller, Straubing-Bogen und das passende Stellenangebot
„Das ziehe ich jetzt durch“ „Ich kann noch etwas leisten“
Jeffry Weiß hatte jede Menge Schwierigkeiten in seinem Leben. Jetzt soll Schluss Mit 55 Jahren gibt Helmut Dittmannsberger als Paketzusteller nochmal Gas.
damit sein, hat er beschlossen.
D ie Chancen auf einen Ausbildungsplatz standen
nicht gut für Jeffry Weiß. Er hat die Hauptschule
eine Ausbildung zum Gebäudereiniger zu machen. Das
Jobcenter unterstützt die Initiative des Arbeitgebers mit
A m 2. Mai 2012 nimmt das Leben von Helmut
Dittmannsberger endlich eine Wendung. Es ist
sein erster Arbeitstag als Auslieferungsfahrer. Hin-
Für Helmut Dittmannsberger hieß das: sechs Mona-
te die Schulbank drücken. Gar nicht so einfach für
jemanden mit über 50 Jahren. Auch Dittmannsberger
ohne Abschluss verlassen, hat noch nie gearbeitet, sein einem Ausbildungsgutschein. ter dem Steuer seines Lasters empfindet er erstmals musste das Lernen erst wieder lernen. Aber endlich
Vorstrafenregister ist für sein Alter beachtlich, seine seit langem ein Gefühl von Freiheit. Nach Jahren der wieder eine Aufgabe zu haben, das motivierte ihn. Er
familiäre Situation schwierig. „An Arbeit war gar nicht Jeffry Weiß unterschreibt den Vertrag und nimmt sich Arbeitslosigkeit kehren Selbstbewusstsein, Lebensmut schloss die Qualifizierungsmaßnahme mit „gut“ ab
zu denken, als er zu uns kam“, sagt Stefan Trebes, vor: „Das ziehe ich jetzt durch.“ Das sei er auch seiner und Zuversicht zurück. und bestand auch den Führerschein. Helmut Ditt-
Geschäftsführer des Jobcenters Coburg Stadt. Trebes Mutter schuldig, weil er schon viel zu oft „auf anderen mannsberger merkte, „dass ich noch etwas leisten
und seine Kollegen begannen deshalb Wegen gescheitert ist.“ Die Hoffnung auf eine Hinter dem kann“, er baute wieder Selbstbewusstsein auf, er ging
zunächst damit, Struktur in das Leben „In ihm brennt Festanstellung hatte Helmut Steuer seines wieder auf Menschen zu und arbeitete an seinem
von Jeffry Weiß zu bringen und ihm dabei jetzt ein Feuer, Am Anfang war die tägliche Arbeitsroutine Dittmannsberger fast schon Lasters: ein äußeren Erscheinungsbild. Kerstin Bauer nahm die
zu helfen, Balance zu finden. Sie halfen er hat Lust sehr ungewohnt für den Auszubildenden. aufgegeben. Wer sollte den Gefühl von Veränderung deutlich wahr. Und schon nach kurzer
Schulden abzubauen, private Probleme zu arbeiten. Aber mittlerweile hat er sein neues Leben Fachlageristen einstellen? Freiheit Zeit konnte sie ihm dann auch ein Arbeitsangebot
zu lösen, ermöglichten den Einzug in eine Daher wird er gut im Griff, sagt er. Und trotz der langen Mit über 50? Und dazu ohne vorlegen. Damit die Einstellung nicht an der mangeln-
eigene Wohnung und eine Fortbildung die Ausbildung Arbeitstage, der Sozialstunden, die er am Führerschein? Dittmannsberger stellte sich diese Fra- den Mobilität scheiterte, erklärte sich das Jobcenter
zum Gebäudereinigerhelfer. Jeffry Weiß Wochenende ableistet, und der Treffen mit gen beinahe täglich. Und mit jeder Absage, die er auf bereit, im ersten Monat die Kosten für einen Mietwa-
schaffen“
schließt den sechswöchigen Lehrgang seinem Bewährungshelfer ist Weiß davon seine vielen Bewerbungen erhielt, sank sein Selbst- gen zu übernehmen, und weil das Arbeitsverhältnis
erfolgreich ab und absolviert im Anschluss ein Prakti- überzeugt, dass er die drei Ausbildungsjahre durchhält. wertgefühl ein wenig tiefer. Am Ende traute er sich weiter fortbestand, wurde im Anschluss der Kauf eines
kum. Am Anfang war der 21-Jährige alles andere als Damit ihm das gelingt, hat Jeffry Weiß vom Jobcenter selbst kaum noch etwas zu. Autos gefördert. So konnte Helmut Dittmannsberger
begeistert von seiner neuen Tätigkeit. „Ich dachte, ich eine sozialpädagogische Betreuung zur Seite gestellt nur zwei Monate nach der Qualifizierung einen festen
müsste den ganzen Tag nur Klos putzen.“ Im Laufe bekommen. Heute sagt Dittmannsberger, dass es der fehlende Arbeitsvertrag unterschreiben.
der Zeit bekommt er mit, wie vielfältig seine Arbeit in Führerschein war, der es ihm so schwer machte, einen
Wirklichkeit ist. „Es fing an Spaß zu machen“, sagt er. Stefan Trebes ist von der Entwicklung seines Kunden Job zu finden. Das hatte auch seine Fallmanagerin Sein Job als Paketzusteller macht ihm Spaß, die langen
Am besten gefällt ihm das Fensterputzen. Die Motiva- jedenfalls beeindruckt. Er zweifelt nicht an einem Kerstin Bauer vom Jobcenter Straubing-Bogen in Bayern Arbeitstage stören ihn nicht und auch das nicht gera-
tion und seine Fähigkeiten bleiben auch in der Firma erfolgreichen Abschluss der Ausbildung: „In ihm brennt erkannt. Sie bot ihm eine Qualifizierung zur Fachkraft de üppige Gehalt trübt sein neues Lebensgefühl kein
nicht unbemerkt. Aufgrund seiner Leistungen bekommt jetzt ein Feuer, er hat Lust zu arbeiten. Daher schafft er für Kurier-, Express- und Postdienstleistungen an, bei bisschen. Denn Helmut Dittmannsberger hatte schon
er das Angebot, in dem Unternehmen zu bleiben und das auch.“ der er gleichzeitig seinen Führerschein machen konnte. als kleiner Junge einen Traum: Postbote werden.
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12. BaYern BaYern
„Ich fühle mich richtig gut“
Emre Ergenekon war Barmann, Paketfahrer und Pizzabote. Jetzt ist er IT-Systemelektroniker.
Sie haben sich nach dem Abbruch der Fachober- ich zusätzlich Hartz IV beziehen musste. Etwa sechs
schule als Vater von drei Kindern jahrelang mit Jahre habe ich mich so durchgehangelt, dann musste Anette Pappler von der Jugend-
Gelegenheitsjobs über Wasser gehalten. Jetzt sind sich etwas ändern – schließlich hatte ich mittlerweile werkstatt und Arbeitsvermittlerin
David Lang, heute zielstrebiger Schreiner Regina Weissbeck
Sie bei der Deutschen Telekom als IT-Systemelek- drei Kinder. Aber meine Bewerbungen und meine
troniker in Vollzeit mit unbefristetem Arbeitsver- Suche nach einem Ausbildungsplatz waren vergeb-
trag angestellt. Wie ist Ihnen das gelungen, Herr
Ergenekon?
lich. ,Bringt nichts, du bist mit 24 Jahren zu alt‘, das
waren so meine Gedanken.
Mutig genug, an sich zu glauben
Manchmal wundere ich mich selbst über mei- David Lang fand nach der Schule keinen Job. Bis ihm seine Arbeitsvermittlerin einen Deal
nen Weg. Vor drei Jahren hatte ich kein Geld, Doch zusammen mit meinem Arbeitsvermittler vorschlug.
keine Zukunft, und nun nach der Ausbildung habe Jean-Marc Vincent vom Jobcenter München habe ich
ich ein ganz neues Leben. Mein ältester Sohn ist acht
Jahre alt, er ist stolz auf mich. Glück und Wille – bei-
des ist wohl zusammengekommen.
mein Leben gedreht. Ich machte ein Bewerbungs-
training neben meinem Job, und 2009 hatte Herr
Vincent dann die Idee mit der Telekom. Das war wie
D avid Lang war auf dem Weg zum Jobcenter.
Dieses Mal sollte es in dem Gespräch mit seiner
Arbeitsvermittlerin nicht um die Jobsuche gehen, son-
nehmen würde, würde die Finanzierung der eigenen
Wohnung bewilligt. David Lang erklärte sich einver-
standen. Dass die Maßnahme ihn voranbringen könn-
ein Lottogewinn für mich, denn Informationstechno- dern um den Umzug von zu Hause zu seiner Freundin. te, daran glaubte er allerdings nicht. Zu oft hatte er
Nach der mittleren Reife bin ich in München auf die logie (IT) war schon immer mein Ding. Ich hatte bei Dafür benötigte er die finanzielle Unterstützung des sich erfolglos beworben, die Hoffnung auf eine Aus-
Fachoberschule für Wirtschaft gegangen, aber fünf Freunden Computer installiert, Software angepasst– Jobcenters. Geld verdient hatte er in seinem Leben bis bildung hatte er aufgegeben, er fühlte sich zu alt, sein
Monate vor dem Fachabitur habe ich abgebrochen, und nun bekam ich das Angebot einer einjährigen dahin nur sehr wenig. Nach der Schule hatte er sechs Selbstwertgefühl war gering, aber auf einmal ging
weil ich Vater wurde. Es war die dümmste Entschei- Einstiegsqualifizierung bei einem renommierten Jahre vergeblich nach einem Ausbildungsplatz ge- alles ganz schnell. Schon in den ersten zwei Tagen in
dung meines Lebens, aber ich dachte, ich müsste Großunternehmen! Die Telekom hat mich ins erste sucht. Er hatte sich beinahe aufgegeben. der Schreinerei der Jugendwerkstatt machte David
sofort arbeiten gehen und für die Familie sorgen. Ausbildungsjahr zum IT-Systemelektroniker inte- Lang mit seinen Fähigkeiten auf sich aufmerksam. Und
griert, und ich habe mich gefragt, ob ich dort der Seine Arbeitsvermittlerin Regina Weissbeck wechselte daraufhin in eine vom Jobcen-
Ich war Barmann in einem Restaurant, Fahrer bei alte Sonderling sein würde, der es nicht hinkriegt. nahm sein Anliegen ernst. Aber sie wollte Schon in den ter geförderte Einstiegsqualifizierung, an
einem Paketdienst und später Pizzabote, aber mit Doch ich wurde wie ein richtiger Auszubildender auch, dass er die Chance ergreift, selbst ersten zwei deren Anschluss die Möglichkeit einer
den Löhnen konnten wir kaum überleben, so dass behandelt, auch haben die anderen Azubis nicht auf aktiv zu werden. Sie bot ihm das Projekt Schreinerlehre bestand. „Er bekam damit
Tagen fiel sein
mich herabgeschaut. Im Gegenteil – sie haben mich Arbeiten und Lernen in der Jugendwerk- die Chance, die er so dringend brauchte.
Engagement
um Rat gefragt. Ich fühlte mich richtig gut, zuvor statt Langaltenheim an, einem anerkannten Und er war mutig genug, an sich zu glau-
als Hilfskraft wurde ich oft behandelt wie der letzte Innungs- und Ausbildungsbetrieb. Einziger
positiv auf ben“, sagt Anette Pappler, sozialpädagogi-
Dreck. Diese Akzeptanz war sehr wichtig für mich. Unterschied zu einem herkömmlichen sche Betreuerin in der Jugendwerkstatt.
Meine Noten waren dann so gut, dass ich die Ausbil- Betrieb ist die sozialpädagogische Betreuung. „Die
dung auf zweieinhalb Jahre verkürzen konnte. Und Jugendlichen können in einem geschützten Rahmen Und tatsächlich absolvierte Lang das Qualifizierungs-
danach bekam ich eine unbefristete Stelle. Erfahrungen sammeln und auf persönliche Probleme jahr problemlos und wechselte in die Ausbildung. Zwei
wird Rücksicht genommen. Das tut ihnen gut“, erklärt Jahre später machte er die Gesellenprüfung. Mittler-
Jetzt arbeite ich im Kundendienst. Das Jobcenter Regina Weissbeck. weile arbeitet David Lang bei einem alteingesessenen
hat den Weg dorthin freigeräumt, aber die Leistung Familienunternehmen als Schreiner. Und sobald es
musste ich dann schon selbst bringen. Man Um ihn zu motivieren, schlug die Arbeitsvermittlerin seine finanziellen Möglichkeiten erlauben, möchte er
Emre Ergenekon, 28, IT-Systemelektroniker, München muss zupacken. Und das habe ich gemacht. Lang einen Deal vor: Wenn er an dem Projekt teil- die Meisterschule besuchen.
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13. berlin
Berlin
Hier arbeitet Editha
Thiele gerne: Im
andel‘s Hotel
Der Weg ist das Ziel
Schon wieder eine Fördermaßnahme? Gerade ältere Arbeitslose sehen darin oft keinen Sinn
mehr. Editha Thiele aber kam genau dadurch zu ihrem neuen Job.
E ditha Thiele ist keine, die groß drumherumredet.
„Ich stehe vor allem an der Spülmaschine und
reinige das Geschirr. Morgens haben wir durchaus
Euro-Jobs durch. „Jugendklub, Schwimmbad, Bier-
wagen – ich habe fast alles gemacht.“ Eine richtige
Arbeit fand sie nie, weshalb sie 2009 nach Berlin zog.
mal einige Hundert Frühstücke, dann kommt bald
das Mittagessen. Es ist viel Arbeit, die wir leisten. In Berlin schließlich wendet sich das Blatt. Sie qua-
Es ist vielleicht nicht das, wovon ich geträumt habe, lifiziert sich zur Betreuungsassistentin in der Pflege,
aber ich will nicht vom Staat abhängig sein. Und arbeitet in einem Seniorenheim. Nachdem ihre Stelle
zuhause herumsitzen, das wäre das Schlimmste, was gestrichen wird, qualifiziert sie sich über ihr Jobcenter
mir passieren könnte.“ für ein Programm, das sich gezielt an ältere Arbeits-
lose richtet. Sie frischt ihre Computerkenntnisse auf,
Die Küche eines schicken Hotels mitten in Berlin – seit schreibt Bewerbungen, besucht potenzielle Arbeit-
Januar 2011 ist das Editha Thieles Arbeitsplatz. Sie geber. Und setzt sich mit anderen Kursteilnehmern
ist Teil des Stewarding-Teams, unterstützt die Köche. und einer Psychologin zusammen. Der Austausch hat
Spült, putzt, räumt auf. Ein manchmal sehr anstren- ihr gut- getan, sagt sie. Editha Thiele ist engagiert,
gender Job, wie sie sagt. „Aber man geht hier res- fehlt keinen einzigen Tag –
pektvoll miteinander um, das ist mir wichtig. Ich weiß, und bekommt deshalb von „Man geht hier
ohne uns hier würde der Laden schnell zusammenbre- ihrer Betreuerin immer wieder respektvoll
chen. Unsere Arbeit wird hier wirklich gebraucht.“ Jobangebote auf den Tisch. miteinander
Vieles passt nicht. Doch eines um, das ist mir
Textiltechnikerin hatte sie eigentlich gelernt, damals in Tages kommt das Angebot wichtig“
der DDR, arbeitete bis zur Wende in einem Kraftwerk des Hotels, und Editha Thiele
in Cottbus. Später ließ sie sich umschulen, zur Malerin bekommt den Arbeitsvertrag. Zwei Jahre später ist
und Lackiererin, zog in den Westen, um ein Museum sie noch immer dabei und sehr zufrieden. „Ich fühle
zu renovieren. Dann landete sie der Liebe wegen in mich hier richtig wohl“, sagt sie.
der Prignitz, ließ sich erneut umschulen, zur Maschi-
nen- und Anlagenfahrerin. Und schlug sich mit Ein-
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14. BerlIn BerlIn
„Auf der Couch wäre ich gestorben“
Lutz von Schmude wäre an seiner Arbeitslosigkeit fast verzweifelt. Inzwischen gilt der
40-Jährige in seinem neuen Betrieb als Vorzeige-Mitarbeiter.
Gründerin und leiden-
Herr von Schmude, Sie haben schaftliche Bäckerin:
nach Ihrem Realschulabschluss Schicke Kekse als Geschäftsidee Wilma Roth
das Wirtschaftsgymnasium ver-
lassen, um in einer Videothek in
Berlin-Spandau zu jobben. Bei
Ein Souvenir zum Aufessen
aller Liebe zum Film: War das Aus einer guten Idee wird ein Business – und entwickelt sich ganz anders, als gedacht
eine kluge Entscheidung?
„Nun ja, die Eltern wollten natür-
lich, dass ich das Abitur mache.
Aber da hatte ich schon immer
W ilma Roth hat zwei Leidenschaften. Die eine ist
die Fotografie, die andere das Backen. Nach
der Schule machte sie die erste zum Beruf und ließ
es heißt, selbstständig zu sein. Und was ein Gründer
mitbringen muss: „Frau Roth überzeugte mich mit
ihrer kommunikativen und zuverlässigen Art. Ihre
meinen eigenen Kopf. Und letzt- sich zur Fotomedienlaborantin ausbilden – durch die Idee fand ich gut und sie passte zu ihr“, sagt der
lich hat dieser zugegebenermaßen Digitalfotografie inzwischen ein aussterbender Beruf. Arbeitsvermittler.
riskante Schritt zu meinem Einstieg Deshalb machte sich Wilma Roth als Fotodesignerin
in das Geschäftsleben geführt: Stetig wachsendes Berufsfeld: Der Support via Telefon selbstständig. Das klappte gut, bis sie ihren Sohn Kociolek organisierte im März 2012 ein Gründer-
Nachdem mein alter Chef den bekam. coaching für sie, in dessen Rahmen Roth ihren
Laden schließen wollte, habe ich modellen versucht, die leider nich nen. Mit ihr zusammen habe ich Businessplan erarbeitete. Seit Sommer ist Wilma
ihm die Videothek abgekauft und sehr erfolgreich waren. In dieser meine Bewerbungsunterlagen auf- Nach der Elternzeit bewarb sie sich auf Festanstellun- Roth mit City Keks selbstständig und glücklich mit
neu aufgebaut. Es kamen noch Zeit habe ich von meinen Erspar- gefrischt und mich auf etwa zehn gen im Fotobereich und als Bürohilfe. „Als Selbst- dieser Entscheidung. „Es ist immer noch alles im
fünf weitere hinzu, die ich fast nissen gelebt. Die staatliche Unter- Stellenangebote im Callcenter-Be- ständige wieder in die Fotobranche einzusteigen kam Fluss und entwickelt sich. Die angepeilte Zielgruppe
zwanzig Jahre lang erfolgreich als stützung lehnte ich ab, da war ich reich beworben.“ für mich als Alleinerziehende nicht infrage. Der Ber- zum Beispiel hat sich verschoben: Inzwischen wollen
Geschäftsführer leitete. In dieser trotz des angeknacksten Selbstbe- liner Markt ist sehr hart, ich hätte nicht vor allem Unternehmen die City Kekse
Zeit, von 1991 bis 2008, habe ich wusstseins zunächst noch zu stolz. Mit welchem Ergebnis? rentabel arbeiten können“, erklärt Roth Kekse als mit eigenem Logo als Give-away für ihre
meinen ganz persönlichen Traum Stattdessen habe ich zu Hause „Gleich fünf Unternehmen boten ihre Entscheidung. Doch sie fand nichts. Give-away für Kunden. Mein neuester Kunde ist das
gelebt.“ vor mich hingegrübelt. Durch das mir eine Festanstellung an. Ich Schließlich kam ihr die Idee, ihre zweite Unternehmen Kaufhaus Lafayette. Lafayette fragte bei
ständige Rumgammeln auf dem habe mich für Sitel, einem der Leidenschaft beruflich zu nutzen: „Mir mir Weihnachtskekse in Form von Fern-
Wie kam es dann zu Ihrer Ar- Sofa kamen auch noch körperliche weltweit größten Anbieter für te- war oft aufgefallen, wie viele hässliche Souvenirs es sehturm und Eiffelturm an – die konnte ich liefern.“
beitslosigkeit? Beschwerden hinzu.“ lefonischen Support und Backof- in den Touristenshops gab. Ich dachte: Mach doch Die Keksformen lässt sie von einem Metallbildner
„Nachdem ich insgesamt fünf Mal fice-Dienstleistungen entschieden. Kekse in Form von Berliner Wahrzeichen, Souvenirs anfertigen, den Teig produziert und backt ein Bäcker.
überfallen wurde, sagte ich mir, Wie sind Sie aus diesem Loch Ein echter Glücksfall. Die Ausstat- zum Aufessen als Alternative zu Staubfängern.“ Die Das Dekor macht sie selbst – von Hand. Und sie hat
dass es so nicht weitergehen kann. wieder herausgekommen? tung ist modern, die Arbeitszeiten Idee zu City Keks war geboren. noch weitere Ideen. Ihre neueste: Kekse mit Berliner
Hinzu kam die große Schwemme „Irgendwann war kein Geld mehr human. Mittlerweile arbeitet auch Street Art. Damit erschließt sie bereits die nächste
an Raubkopien, die mir das Ge- da und ich musste etwas unter- meine Verlobte dort und wir sind Im Jobcenter traf sie auf Arbeitsvermittler Oliver Zielgruppe.
schäft verhagelte. Danach habe ich nehmen. So lernte ich Frau Heinz- sehr glücklich.“ Kociolek, der bis vor einigen Jahren als freiberuf-
mich an verschiedenen Geschäfts- gen vom hiesigen Jobcenter ken- licher Journalist und Coach tätig war. Er weiß, was
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15. berlin berlin
„Wir wollen Sie!“
Sie ist Fremdsprachenkorrespondentin und spricht vorzüglich Englisch. Trotzdem fand Birgit
Brunner elf Jahre lang keinen richtigen Job. Jetzt hat sie einen.
Wie kam es nach so langer Zeit dazu, dass Sie beitet. Nach der Trennung Ende der 90er Jahre stand
Sindy Jahn und ihr neuer
Arbeitgeber Malik Polte vom doch noch einen Job fanden, Frau Brunner? ich dann da. Das Computerzeitalter war an mir vor-
Steakhaus Maredo Ich sitze acht Stunden täglich am Telefon – das beigezogen und ich hatte keine Berufserfahrung. Ich
ist ganz schön anstrengend. Ich arbeite im Call- habe einen Computerkurs belegt und Bewerbungen
Dem Geschmack treu geblieben center für einen Shoppingkanal, nehme die Bestellun-
gen auf. Nicht selten wollen die Anrufer auch persön-
geschrieben, aber immer hieß es, ich sei zu alt und
hätte keine Ahnung.
Sindy Jahn hatte alle Voraussetzungen, eine Festanstellung zu finden. Dennoch suchte sie liche Ansprache von mir. Es sind oft ältere Damen,
15 Jahre lang danach. Jetzt endlich hat sie es geschafft. aber für mich ist das in Ordnung, zumal die meisten So habe ich seit 2001 von Hartz IV gelebt und Ein-
wirklich nett sind. Euro-Jobs gemacht. Ich habe etwa alte Akten vom
K ellnerin Sindy Jahn hat schon viele Küchen und
hungrige Gäste gesehen. Doch jeder ihrer Gelegen-
heitsjobs endete auch wieder – und die Suche begann
musste dann förmlich um einen Job betteln“, erinnert
sich Sindy Jahn. Dieser Job ist für mich die erste richtige Arbeit seit
elf Jahren, und es war seitdem das erste Mal, dass
Flughafen Tempelhof eingescannt und mit Photoshop
bearbeitet, das hat sogar Spaß gemacht. Ich bin aber
auch ein Jahr lang durch die Straßen gezogen und
von Neuem. Seit Anfang September 2011 arbeitet die Ein Termin mit ihrem Arbeitsvermittler eröffnet neue ein Unternehmen klar gesagt hat: Wir wollen Sie! habe Verkehrsschilder kartiert, für die Schulwegspla-
33-Jährige nun fest in einem Berliner Steakhouse der Perspektiven. Gemeinsam erstellen sie eine Liste mit Das war gut für die Psyche, und auch deshalb habe nung der Stadt. Da fühlte ich mich komplett unterfor-
Restaurantkette Maredo. Adressen potenzieller Arbeitgeber, bei denen sich Sindy ich im Oktober 2012 hier angefangen. Wobei ich dert, aber ich war kein „Zuhause-Hartz-IV-ler“. Das
Jahn bewerben will. Bei Malik Polte, Regionaldirektor eigentlich immer etwas mit Sprachen machen wollte, hätte mir den letzten Nerv geraubt.
Den Traum, im Hotel- und Gastronomiegewerbe zu bei „Maredo“, stoßen ihre Unterlagen auf Interesse. am liebsten im Büro. Ich habe eine Ausbildung zur
arbeiten, hatte Sindy Jahn früh. Mit 16 Jahren schloss Sie treffen sich zu einem Gespräch, es gibt eine Ken- Fremdsprachenkorrespondentin und Englisch auf der Leicht war diese Zeit nicht. Zum Glück neige ich nicht
sie ihre Ausbildung zur Hotelfachfrau ab, nenlernphase und sie bekommt den Job als Fachakademie studiert. zum Grübeln, meine Sorgen habe ich oft weggescho-
die nächsten drei Jahre arbeitete sie in einer „Ich gehe viel Servicekraft. ben, oder ich habe mich hinter einem Buch verkro-
Hotelkette in ihrer Heimatstadt Jena. Ihr selbstbewusster „Frau Jahn war vom ersten Tag an sehr Leider hat es damit nicht geklappt. Nach meiner chen. Irgendwie habe ich immer daran geglaubt, dass
Traum schien sich zu erfüllen, aber persön- durchs Leben“ offen und herzlich und geht auch auf die Ausbildung bin ich von Nürnberg zu meinem Freund es doch noch klappen würde mit einem richtigen Job.
liche Probleme und ein Umzug nach Berlin manchmal sehr speziellen Wünsche unserer nach Berlin gezogen und habe lange gar nicht gear- Einzige Bedingung für mich war eine Arbeit in ge-
brachten massive Veränderungen. Gäste immer freundlich ein. Sie ist belastbar, sympa- schlossenen Räumen, denn ich wollte nicht mehr wie
thisch und engagiert“, sagt Malik Polte. eine Obdachlose durch die Gegend ziehen.
In der Hauptstadt lernte Sindy Jahn die schwierigen
Seiten ihres Berufs kennen. Durch die Wirtschaftskrise Ihr Engagement wird belohnt und durch interne Fortbil- Deshalb war ich auch gleich angetan von dem
blieben die Gäste aus, die Betriebe sparten Personal dungen kommt sie merklich weiter. „Wir lernen auch, Callcenter-Job, von dem ich durch das Jobcenter
ein. „Ich hatte damals das Gefühl, die Gastronomie welcher Wein zu welchem Gericht passt oder wo unser Tempelhof-Schöneberg erfahren habe. Ich habe mich
besteht zu einem großen Teil nur aus Mini- und Gele- Steakfleisch herkommt“, sagt sie. Die Festanstellung vorgestellt, und eine Woche später fing ich an. Es ist
genheitsjobs“, erzählt die junge Frau. Mit ebendiesen hat ihr neuen Mut gegeben: „Ich gehe viel selbstbe- zwar nicht wirklich eine Arbeit mit Fremdsprachen,
Kurzanstellungen schlug sie sich zehn Jahre lang durch, wusster durchs Leben und fühle mich endlich nicht aber vielleicht ist es ein gutes Sprungbrett dorthin.
aufgestockt wurde ihr geringes Einkommen durch mehr so mittellos. Wenn ich abends oder nachts nach Ich werde mich weiter entsprechend bewerben. Aus
Leistungen des Jobcenters. „Es war frustrierend. Ich Hause komme, weiß ich, was ich geleistet habe.“ Alltag im Callcenter: Nicht selten wollen die Anrufer auch persönliche einer festen Arbeit heraus macht das doch einen
habe so viel Kraft in meine Ausbildung gesteckt und Ansprache besseren Eindruck.
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16. berlin
„Wir wollen Vorbild sein“
Er kam aus der Türkei nach Deutschland und arbeitete im Schichtdienst in Dönerläden.
Jetzt betreibt Nuri Gümüsdal mit seiner Frau einen eigenen Kiosk.
Was bedeutet Ihre Arbeit für Sie? Was bedeutet Ihre Arbeit für Sie?
„Arbeit ist neben Familie und Freunden der „Es ist die zwar anstrengendste, aber auch
Sie waren Hartz-IV-Aufstocker. Nun haben Sie gefunden. Wir hatten nichts zu verlieren und haben
zentrale Lebensinhalt für mich. Der alte Streit, befriedigendste Form des Zeitvertreibs. Sie einen eigenen Kiosk. Wie kam es dazu, Herr das Geschäft von unseren Vorgängern übernommen.
ob leben oder arbeiten wichtiger ist, führt in die generiert Wohlstand, Zufriedenheit und Stolz Gümüsdal? Jetzt heißt er Unser Kiosk, und das ist nicht nur ein
Irre. Ein Leben nur für die Arbeit wäre ebenso auf das Erreichte.“ Ich habe jetzt mein eigenes Geschäft, und ich Spruch. Meine Frau und ich – wir ergänzen uns gut.
schrecklich wie ein Leben ganz ohne Arbeit.“ Was bereitet Ihnen daran besondere zahle Steuern. Ich bin ein richtiger Bürger, und Ich bin eher die Autorität und sorge für Ordnung,
Was bereitet Ihnen daran besondere Freude?
Freude? „Jeder Mensch hat den Wunsch, etwas Un-
darauf bin ich wirklich stolz. meine Frau kann wunderbar mit Kunden. Und Tür-
„Freude bereitet es mir, wenn ich Ziele errei- verwechselbares in seinem Leben zu schaffen. kisch spricht sie mittlerweile auch. Zu uns kommen
chen kann und wenn es mir gelingt, Men- Arbeit bietet eine Chance dazu. Die Lebensleis- Ich bin 2005 aus der Türkei nach Deutschland ge- ganz normale Leute, auch viele Familien mit ihren
schen zu motivieren, einen eigenen Beitrag zu tung bemisst sich nicht nach dem Anteil des kommen, weil ich damals meine Frau heiratete. Sie Kindern – Unser Kiosk ist ein richtiger Treffpunkt
leisten.“ Müßiggangs, sondern an Idealen, vollendeten ist Deutsche, und wir haben diverse Jobs gemacht, geworden, mit einer großen Stammkundschaft.
Wie gehen Sie mit schwierigen Plänen und Erfolgen.“
Phasen im Berufsleben um? Wie gehen Sie mit schwierigen
auch in Kiosks, ich selbst habe in türkischen Restau-
„Schwierige Phasen gehören dazu. Die sind Phasen im Berufsleben um? rants oft Döner geschnitten. Das waren gute Jahre, Wir hatten zwar schon ein bisschen Erfahrung, aber
eine Bewährungsprobe. Druck oder Kummer „Niemals hinschmeißen, einen neuen Anlauf weil man viel mit Menschen in Kontakt kam. Aber einen Kiosk zu eröffnen ist trotzdem keine leichte
gilt es auszuhalten und zuzulassen. Ohne nehmen und mich durchbeißen mit der so richtig leben konnten wir davon nicht, weshalb Sache. Dabei hat uns das Jobcenter Tempelhof-Schö-
Täler gibt es keine Gipfel. Und: In schwierigen Philosophie: Ich will und werde gewinnen.“ wir über Hartz IV aufstocken mussten. neberg geholfen. Wir haben unser Geschäft zwar
Phasen lernt man, wer zu einem hält.“
Heinz Buschkowsky selbst geplant und kalkuliert, aber das Jobcenter gab
Dr. Thomas de Maizière Bezirksbürgermeister des
Wir haben relativ bald entschieden, dass wir selbst uns etwas Einstiegsgeld und übernahm in den ersten
Bundesminister der Verteidigung Berliner Bezirks Neukölln einen Kiosk betreiben wollten. Im Frühjahr 2011 Monaten die Miete unserer Wohnung – das hat uns
haben wir dann endlich einen passenden Standort sehr entlastet. Auch konnten wir ein Existenzgrün-
derseminar belegen, wo wir mit Menschen in ähnli-
cher Lage sprechen konnten, was durchaus lehrreich
war. Vor allem aber hat uns der Jobcenter-Betreuer
Was bedeutet Ihre Arbeit Wie gehen Sie mit schwierigen
für Sie? Phasen im Berufsleben um?
Mut gemacht und uns vertraut. Das war die beste
„Arbeit ist die gesellschaftliche „Alltag zu meistern gehört sowohl Unterstützung überhaupt, noch viel wichtiger als
Grundlage des Lebens. Sie ist die im Privaten, wie Familie und Be- das Geld.
Basis des persönlichen Auskom- ziehung, als auch im Öffentlichen,
mens.“ wie Arbeit und Funktion, zu den So hatten wir einen recht guten Start, und schon
Was bereitet Ihnen daran größten Herausforderungen. Wenn
besondere Freude? man sich dem stellt, sind auch
zwei Monate später konnten wir von unserem Kiosk
„Hat man das Glück, seine Stärken Rückschläge gut zu bewältigen und leben. Seitdem beziehen wir kein Geld mehr vom
und Neigungen in seine Ausbildung, in neue Stärken umzuwandeln.“ Staat, und wir arbeiten nach ganz klaren Prinzipien:
Qualifizierung und Arbeit einfließen Wir machen keine Schulden, wir gewinnen Kunden
lassen zu können, macht Arbeit Christian Rach durch Freundlichkeit, hier läuft alles korrekt und
Spaß und ist Teil des erfüllten Koch und Begründer
Alltags.“ der Restaurantschule in
legal. So fühlen wir uns wohl, auch wollen wir Vor-
Hamburg und Berlin bild sein. Wir geben einfach unser Bestes. Und
Nuri Gümüsdal, 25, Kiosk-Betreiber, Berlin demnächst machen wir mal Urlaub.
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