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Apostel
inhalt
Zeitschrift der Arnsteiner Patres Ausgabe 4/2012
Öffnet Fenster und Türen …
Das Zweite Vatikanische Konzil – Bericht eines Zeitzeugen
Weitere Themen Mit Kindern über Gott reden: SSCC in Frankreich: Bericht
Die Weihnachtskrippe aus dem Fußball-Internat
4. mit kindern über gott reden
Wie kommt die Kuh ans »Krippchen«?
Mit Kindern die Weihnachtszeit gestalten
Wir Erwachsenen begegnen den
Figuren der Weihnachtskrippe
mit einem Blick, der von Ge-
schichten und Traditionen ge-
prägt ist. Kinder betrachten
eine Krippe oftmals zum ers-
ten Mal und staunen vielleicht
über diese für sie fremde
Welt. Da werden dann auch
schon mal ungewöhnliche
Fragen gestellt: »Wie kommt
die Kuh ans Krippchen?« Was
würden Sie antworten?
Krippchen schauen
Krippchen betrachten kann ein schöner Zeitvertreib
für Kinder sein und ist gleichzeitig auch eine ausge
zeichnete Gelegenheit, den Glauben auf anschauliche
Weise zu verkünden. Ein paar Grundregeln sollten Sie
dabei beachten: Nehmen Sie sich Zeit für die Krippen
Tour, laden Sie Freundinnen und Freunde ihrer Kinder
ein, gestalten Sie es spannend, indem Sie sich ein paar
Fragen überlegen: Welche Tiere stehen an der Krippe?
Was heißt Gloria? Wer ist die Frau im blauen Kleid?
Machen Sie eine Nachbereitung, mit Kakao, Plätzchen
und noch ein paar Fragen zum Gesehenen: Ich sah
einen Hirten, der spielte welches Musikinstrument?
Wenn Sie die Kinder von vornherein über das kom
mende Fragespiel informieren, hören sie vielleicht ge Hirten
nauer zu. Eines wird hierbei schon deutlich: Man sollte Ochs und Esel sind keine besonders hoch angesehenen
sich gut vorbereiten. Beginnen wir mit der Ausgangs Tiere, ebenso genossen die Hirten kein besonders gutes
frage: »Was macht die Kuh an der Krippe?« Ansehen in Israel. Sie galten als ungebildet, dreckig
und arm, und keiner wollte mit ihnen etwas zu tun
Ochs und Esel haben. Sie waren draußen auf dem Feld, während die
Kinder kennen keine Ochsen mehr, also muss man Leute in Bethlehem im sicheren Haus schliefen. Dass
ihnen erklären, dass die Kuh ein Ochse ist und Ochsen sie Jesus als Erste zu sehen bekamen, zeigt uns die
früher das machten, was heute ein Traktor erledigt. Sie Grundbotschaft des Neuen Testamentes, die Jesus so
zogen den Pflug, bewegten den Mühlstein und zogen zusammengefasst hat: »Ich bin gekommen, um den
schwere Lasten, weil sie viel stärker als ein Esel sind. Armen die frohe Botschaft zu bringen.« (Luk 4,18)
Sie gehörten auf jeden Bauernhof, genauso wie der Ich halte es für wichtig, schon Kindern an der Krippe
Esel, der als Tragetier alles schleppte: Brennholz und diesen speziellen Blickwinkel des Evangeliums nahezu
Wassersäcke, Körbe mit Oliven und Säcke mit Mehl, bringen: Jesus Christus ist der Freund der Armen und
aber auch Menschen durften auf ihnen reiten. Ochs Sünder. Den Armutsgedanken können Sie nun weiter
und Esel sind friedliche Tiere, sie helfen dem Men führen und die Kinder fragen, ob sie noch weitere arme
schen, und deswegen passen sie zu Jesus. Beide Tiere Leute entdecken. Ich bin mir nicht ganz sicher, ob sie
gelten als dumm, aber sie sind klüger als einige Men dann auf Maria und Josef stoßen, aber die beiden müs
schen, denn sie dienen dem göttlichen Kind, während sen hier eingeordnet werden, auch sie zählen in den
die »Schlaumeier« in Jerusalem – Herodes und die Augen der biblischen Verfasser zu den Schwachen, die
Schriftgelehrten – den Weg nicht finden (Jes 1,3). Gott »ausgewählt hat« (1 Kor 1,27).
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7. vatikanum
Dadurch weitete sich der Horizont, miteinander beraten. Dies fand Verkündigung und sakramentaler
es ging um das Bewusstmachen der Unterstützung, und so wurden die Feier und die aktive Teilnahme der
anstehenden Fragen und Probleme, Kommissionswahlen verschoben Menschen am Gottesdienst. Jetzt
um die Diskussion neuer theologi und neue Verfahren hierfür verein konnten viele Menschen zum ers
scher Ansätze. Aber es ging auch bart. Damit war die Strategie der ten Mal wirklich bewusst nachvoll
um konkrete Kirchenpolitik: Wie Kurie erst mal durchkreuzt, und im ziehen, was in der Eucharistie ge
und mit wem können wir Allian- Ergebnis kamen andere Zusam schieht, Gott bewusst antworten auf
zen schmieden, um bestimmte mensetzungen der Kommissionen das, was er uns im Sakrament zu
Beschlüsse zu verhindern, andere zustande, als von der Kurie geplant. spricht. Und hier wurde deutlich –
durchzubringen. Das Konzil wurde sich sozusagen und dies gilt natürlich auch weiter
seiner selbst bewusst. Man war hin –, wenn die Kirche die be
Ist es nicht dennoch ein Wunder, nicht Handlanger oder Ausfüh freiende Botschaft Jesu weitersagen
dass das Konzil bei so vielen rungsorgan der Kurie, sondern be will, dann muss sie dies in einer für
traditionellen, auf Beharrung stimmte seine Leitung selber. Es die Adressaten auch verständlichen
setzenden Bischöfen aus der entstand eine eigene Dynamik. Form tun.
Kurie oder aus Italien und Manche am Ende verabschiedeten Ich kann die nostalgische Sehn
Spanien solch eine Entwicklung Konzilserklärungen haben das sucht nach der tridentinischen
nahm? Konzil über Jahre beschäftigt, Messe absolut nicht verstehen.
Ja, dass so viel herauskam, das durchliefen viele Etappen der Weder diese Hochämter, bei denen
kann man nur mit dem Wirken des Transformation, sodass manchmal es nicht erwünscht war, die Kom
Heiligen Geistes erklären. Denn nichts mehr vom ursprünglichen munion zu empfangen, um die
man muss wissen, dass die Kurie Entwurf übrig blieb. Es war span Feier nicht zu stören, noch erst
alles so detailliert vorbereitet hatte, nend für uns in Rom lebende Theo recht die Messen, bei denen man
Öffnung zur Welt • Interreligiöser Dialog • Den Menschen in den Mittelpunkt stellen •
Jeder ist berufen, jeder ist wichtig • Zeichen der Zeit erkennen
dass sie meinte, die Konzilsväter logen, diesen Prozess mitzubekom neben dem Hochaltar noch parallel
müssten eigentlich die vorberei men. Wir erlebten, was die theolo vier oder fünf »stille Messen« in 20
teten Beschlüsse nur abstimmen – gische und was diplomatische und Minuten abfeierte. Das empfand
ohne Diskussion –, und in vier politische Auseinandersetzungen ich als unwürdig. Und ich bin
Wochen könne das Konzil schon waren. Das ging so weit, dass zum jeden Tag dafür dankbar, dass wir
beendet sein. Denn alles, was in der Beispiel eine Bischofskonferenz auf die Möglichkeit zu wirklich würdi
Kirche wahr und wichtig ist, hatte dem Petersplatz mit gedruckten gen Messfeiern erhielten, bei denen
man ja zusammengestellt – das war Blättern für bestimmte Formulie sich die Menschen einbringen und
damals die vorherrschende Menta rungen warb und diese verteilte mitfeiern können, wo das Geheim
lität in der Kirche. und Mitarbeiter der Kurie versuch nis bewahrt, aber auch vermittelt
Bei der ersten Sitzung des Konzils ten, dies zu verhindern und rasch werden kann.
geschah dann etwas Unerhörtes: Es alles wieder einzusammeln, damit Das Zweite, was der Liturgiereform
ging um die Wahlen für die Zusam bestimmte Positionen nicht unters eigentlich vorausgeht, ist eine neue
mensetzung der Kommissionen, Volk kamen. Sicht, ein neues Verständnis von
die die Kurie offensichtlich schon Kirche. Diese neue Sicht ist so
nach ihren Interessen – also mög Was waren aus Ihrer Sicht die etwas wie eine kopernikanische
lichst keine Veränderungen – vor wichtigsten Veränderungen, die Wende nicht nur kirchenrechtlich,
bereitet hatte. Da erklärten die das Zweite Vatikanische Konzil sondern auch theologisch. Aus
deutschen und französischen Bi auf Dauer bewirkt hat – inner gangspunkt ist nicht mehr ein hie
schöfe sinngemäß: Wir treffen hier kirchlich wie auch im Verhältnis rarchisches Verständnis von oben
zum ersten Mal zusammen, und der Kirche zur Welt? nach unten, sondern das, was dem
die meisten kennen sich bisher Das für die meisten Katholiken Volk Gottes gemeinsam ist, die
nicht. Bevor wir eine so wichtige Wichtigste und nach außen Sicht Taufe. Dass das Konzil die Kirchen
Sache wie die Wahl der Kommis barste war die Erneuerung der konstitution in einem langen Pro
sionen durchführen, wollen wir Liturgie: die Einführung der Mut zess faktisch vom Kopf auf die
uns erst einmal kennenlernen und tersprache, die Verbindung von Füße gestellt hat, nicht nur redak
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8. vatikanum
tionelle Veränderungen vorgenommen hat, sondern aus seiner Erfahrung noch etwas beisteuern. Und nur
das grundlegende Verständnis von Kirche – vom Evan wenn alle Aspekte zusammenkommen, ist der ganze
gelium her – neu formulierte, ist für mich das grund Reichtum sichtbar. Doch der Einzelne muss sich immer
legendste Ergebnis des Konzils. nur mit einem Stück der Wahrheit begnügen. Diese
Am Anfang steht das, was allen gemeinsam ist, die Be Erkenntnis bewahrt uns vor Allmachtsfantasien und
rufung zum Glauben, die Taufe. Größeres als die Taufe davor, zu meinen, die Wahrheit könnte in kleine Käst
gibt es nicht. Sie verbindet uns mit Christus, sie macht chen gut verpackt werden ein für alle Mal. Diese Ein
uns zu Gliedern der Kirche, und alles andere kommt sicht war für mich sehr befreiend, aber sie ist natürlich
danach. Es gibt nur Priester und Bischöfe, weil es die auch schwerer zu leben, weil es immer offene Fragen
Getauften gibt. Die Ämter stehen im Dienst an den Ge gibt. Wenn ich meine, ich habe die vollständige Wahr
tauften – als Verkündiger, als Hirten –, aber nur weil sie heit, dann brauche ich nicht mehr in einen Dialog
selbst Getaufte sind. Auch ein Priester oder Bischof ist einzutreten. Ein wirklicher Dialog macht mir dann eher
zuerst ein Hörer des Wortes, auch als Verkündiger Angst, ich könnte verunsichert werden, etwas schein
bleibt er Hörer, auch als Spender der Sakramente bleibt bar Sicheres zu verlieren.
er Empfänger des Sakramentes. Ich jedenfalls bin dankbar für diese neue Weltsicht, die
Für mich persönlich war zudem eine gewisse Befreiung mir durch das Zweite Vatikanum vermittelt wurde. Ich
in der Theologie sehr wichtig. Die Erkenntnis, es gibt persönlich komme ja von der Philosophie her, und in
nicht eine einzig wahre theologische Schule, nur einen jeder Zeit gibt es neue philosophische Ansätze. Wenn
Weg zur Wahrheit, sondern viele Zugänge. Und: Wir man also das Evangelium heute für die Menschen über
brauchen und wir können nicht alles wissen. Ich habe setzen will, dann muss man schauen, was heute ge
meinen Studenten immer zu vermitteln versucht: Wir dacht wird, wo die Anknüpfungspunkte sind. Das
können immer nur einen kleinen Teil der Wahrheit Evangelium ist ja keine Tonbandaufnahme, die vor
begreifen, unsere Erkenntnis bleibt immer fragmenta 2.000 Jahren entstanden ist, und die man einfach
risch, und auch Jahrhunderte theologischer Forschung immer nur abspielen könnte, und jeder könnte sie
werden immer ein Fragment bleiben. Wir können ein dann kapieren. Nein, jede philosophische Strömung
mal gewonnene Erkenntnisse nicht einfrieren, denn stellt auch eine Möglichkeit dar, zur Brücke – zum
jede Generation, jede Kultur und jeder Mensch kann Transfer – theologischen Denkens zu werden. So bieten
sich viele Anknüpfungspunkte für die Verkündigung,
und es gibt nicht nur eine einzige Form – es gibt nicht
Offener Dialog: Papst Johannes XXIII. (r.) mit Roger Schütz (2. v. l),
nur den römischen Katechismus – als Antwort auf die
damals Prior der Gemeinschaft von Taizé, und Max Thurian, die als
Fragen der Menschen.
Beobachter am Konzil teilnahmen, und Kardinal Bea (2. v. r), dem
Das war es wohl, was Papst Johannes XXIII. bewegt hat.
ersten Präsidenten des Sekretariates für die Einheit der Christen
Er sagte, wir sind im Grunde verpflichtet, nicht nur die
Fragen der Menschen wahrzunehmen, sondern auch
zu versuchen, darauf Antworten zu geben. Antworten
für die Fragen von heute. Dazu haben wir das Evange
lium, dazu ist Jesus Mensch geworden.
War das, was für Sie befreiend war, für andere
nicht eher angstbesetzt? Sichere, einbetonierte
»Wahrheiten« gerieten nun ja ins Wanken; statt
sich ohne Fragen an die Vorgaben der Kirche zu
halten, sollte man nun zum mündigen Christen
werden.
Ja, für viele unserer Professoren, aber auch Priester,
deren Studium bereits abgeschlossen war, stellten diese
Anforderungen nicht nur Herausforderungen, sondern
auch Gefährdungen dar. Sie hatten ihr festes Weltbild, da
kannten sie sich aus, darauf hatten sie ihr Leben gegrün
det. Ich kenne auch einige Mitbrüder, die nur ein paar
Jahre älter waren als ich. Sie hatten ihr Theologiestudium
bereits abgeschlossen und spürten auf einmal, dass das,
was sie zu besitzen glaubten, nicht mehr das Einzige war,
dass man es auch anders sehen konnte, andere Zugänge
möglich waren. Sie fühlten auf einmal ihren Sicherheits
gurt weichen und sich in Herausforderungen einbezo
gen, die sie mit dem bisherigen Handwerkszeug nicht so
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9. vatikanum
einfach bewältigen konnten. Und
bei nicht wenigen gab es so eine Ein
stellung: Ich habe meine Ausbildung
abgeschlossen, das reicht. Weiter
bildung bedeutet nur Gefahr, da
müsste ich mich ja ändern.
Allerdings kenne ich auch viele Äl
tere, die in sich eine Unruhe gespürt
hatten, die merkten, dass diese fest
betonierten Antworten auf neue
Fragen einfach nicht mehr stimm
ten. Für diese war es wie eine Be
freiung, endlich wird konstatiert:
Man kann, ja man muss auch andere
Wege gehen.
Welche Veränderungen hat das
Konzil für die Ordensgemein
schaften gebracht?
Viele Ordensgemeinschaften haben
Die Zusammenkunft von 2.498 Bischöfen, den sogenannten Konzilsvätern, mit weiteren
sich infolge des Konzils grund
knapp 550 Beratern und Beobachtern führte zu einer kopernikanischen Wende nicht nur
legend erneuert. Auch die Orden
kirchenrechtlich sondern auch theologisch
waren in den Formen des 19. Jahr
hunderts erstarrt. Man beschäftigte sich wieder mit den Evangelium zu begreifen und den Menschen von heute
eigenen Wurzeln, mit dem Geist der Stifter, mit den näherzubringen, werden von vorneherein die Anten
Forderungen, die aus dem Evangelium entspringen. nen des Misstrauens ausgefahren. Angst, dass man
Das bedeutet nicht zuerst den Gang ins Archiv, um nicht mehr alles kontrollieren kann, anstatt Vertrauen
wörtliche Formulierungen der Stifter zu finden. Es ging in den Heiligen Geist bestimmt die Kirche, so jedenfalls
vielmehr darum, zu erkunden, wie die Stifter damals ist mein Eindruck. Doch dies kann die Sendung der
auf neue Situationen, auf neue Herausforderungen Kirche in der heutigen Zeit nicht sein.
reagiert haben und was dies für uns heute bedeutet. Es
heißt also nicht Konservierung, sondern Tradition Wie beurteilen Sie vor diesem Hintergrund den
bedeutet Weitergabe. Für uns damals junge Ordensmit Versuch eines Annäherungsprozesses zwischen der
glieder hat diese Sichtweise neue Horizonte eröffnet, Kurie und der Piusbruderschaft?
neue Zugänge für die Pastoral, für die Theologie, für die Ich verfolge dies mit ganz großer Sorge. Ich habe Erzbi
Erneuerung des Ordenslebens und die Sendung unse schof Lefevre schon während des Konzils erlebt. Da muss
rer jeweiligen Gemeinschaft. man sich ganz klar darüber sein: Den Piusbrüdern – und
in abgeschwächter Form auch Gemeinschaften wie der
Für heutige Ohren klingen ihre hoffnungsvollen Petrusgemeinschaft – geht es nicht um die Liturgie.
Formulierungen fast wie Geschichten aus einer Denen geht es um das ganze Konzil. Für sie ist das Konzil
fernen Zeit. Viele haben das Gefühl, die Kirche nicht nur ein Betriebsunfall, sondern »der Einbruch des
versuche derzeit wieder eine kopernikanische Satans in die Kirche«. Sie lehnen die Religionsfreiheit ab,
Wende rückwärts. für sie ist unsere Heilige Messe keine gültige Messe, sie
Ja, da wird systematisch etwas abgeschliffen, soll wie lehnen die ganze Konstitution der Kirche nach dem
der zurückgedreht, kleingehalten werden. Nicht mehr Zweiten Vatikanum ab. Wenn man mit dieser Gruppe
das Gemeinsame – die Anerkenntnis, dass jeder Ge einen Kompromiss anstrebt, muss man wesentliche Teile
taufte den Geist empfangen hat und dass dieser Geist des Konzils aufgeben. Man kann hier nicht Einheit her
wirkt und dass jeder ein Charisma erhalten hat – ist der stellen um den Preis, das eigene zentrale Verständnis von
Ausgangspunkt. Stattdessen hat wieder ein Klerikalis Kirche aufzugeben. Ich wundere mich, dass sich hierzu
mus Einzug gehalten. Viele Bischöfe suchen nicht nach nicht viel mehr Bischöfe zu Wort melden und klar Posi
den Gnadengaben und wo sie eingebracht werden tion beziehen. Bei irgendwelchen Formelkompromissen
könnten, sondern erst mal wird alles mit Misstrauen habe ich die Befürchtung, dass insbesondere die Reli
betrachtet. Es wird zwar immer um den Geist gebetet, gionsfreiheit wieder zur Disposition gestellt wird. Der
dass er uns aufrüttelt, dass er Neues schafft, aber wehe, ideologische Hintergrund ist – damals wie heute – die
es zeigt sich etwas Neues. Dann wird es sofort domes These: »Die Wahrheit hat alles Recht, der Irrtum hat kein
tiziert. Anstatt sich zu freuen, dass Menschen sich en Recht, er kann höchstens, wenn es opportun ist, gedul
gagieren, selber denken und versuchen, tiefer das det werden.«
4/2012 apostel 9
10. vatikanum
kratie« entmutigen lassen. Denn: Durch die Taufe sind
erst mal alle Christen gleich. Und wie dann die ver
schiedenen Dienste organisiert werden, muss man dann
klären. Allerdings: In der alten Kirche sind die Bischöfe
vom Volk gewählt worden, und heute tut man so, als ob
es dies nicht gegeben hätte.
Eine weitere zentrale Aufgabe sehe ich auch darin, auf
die vielen zuzugehen, die am Rande stehen, die auf der
Suche sind, aber von der Kirche nicht mehr erreicht
werden. Hier muss Kirche wirklich missionarische, eine
einladende Kirche werden. Es gilt, neue Zugänge zu
entwickeln, etwa bei Todesfällen oder an Weihnachten,
wie es beispielsweise Bischof Warnke im Bistum Erfurt
versucht hat. Jesus hat seine Jünger zu den Menschen in
die Dörfer gesandt. Wir müssen auf diese Menschen
zugehen, mit ihnen offen ins Gespräch kommen.
Pater Gabriel Simon SSCC
Bieten Sie persönlich oder Ihre Gemeinschaft in
Der 1937 in der Eifel geborene Arnsteiner Pater
dieser Beziehung etwas an?
besuchte die Schule und das Internat des Ordens in
Wir sind ja nur eine kleine Gemeinschaft und bieten
Lahnstein. 1957 trat er ins Noviziat ein, studierte von
ganz bescheiden einmal im Monat eine Früh und eine
1958 bis 1967 in Rom und wurde 1965 zum Priester
geweiht. Pater Simon unterrichtete von 1967 bis zum
Spätschicht hier in unserem Haus an. Hier ist jede und
Jahr 2006 zunächst an der ordenseigenen Hochschule jeder eingeladen, gleich ob katholisch, evangelisch oder
in Simpelveld und ab 1980 an der Hochschule der konfessionslos. Das ist keine Messfeier, sondern eine
Franziskaner und Kapuziner in Münster als Professor Meditationsbetrachtung, und anschließend laden wir
für Philosophie. Unterbrochen wurde die Lehrtätigkeit zum Gespräch ein. Das dauert dann meist doppelt so
durch seine Zeit als Provinzial der Deutschen Provinz lange wie die geistliche Betrachtung. Es ist ein Forum
SSCC von 1982 bis 1991. Pater Simon lebt im Konvent für jüngere und ältere Menschen, die auf der Suche
der Gemeinschaft in Münster und widmet sich sind, teils alleinstehend, manche ohne geistliche Behei
ordensgeschichtlichen Studien. matung. Für einige ist dies ein fester Bezugspunkt über
Jahre hin, von dem sie sagen, dass sie nun wieder eine
Zeit lang daraus schöpfen können.
Dann gibt es keinen ideologischen Unterschied Darüber hinaus sind wir ein eingetragenes Jakobspilger
mehr zu den Ayatollahs im Iran oder ähnlichen refugium. Im Schnitt kommen im Jahr 50 Jakobspilger
islamistischen Gruppen? hier zu uns nach Münster. Wir bieten ihnen außer
So ist es. Und heute drückt sich das in solchen Stamm Unterkunft und Verpflegung abends ein Gespräch an
tischparolen aus: Wenn in der Türkei oder Saudi und laden sie morgens zu unserer Laudes ein. Auch hier
Arabien keine Kirchen gebaut werden dürfen, dann fragen wir nicht nach der Konfession. Viele sind kon
darf es bei uns auch keine Moscheen geben. Ich denke fessionslos, besonders wenn sie aus den neuen Bundes
mit Grauen daran, dass solche Denkmuster die Kirche ländern kommen. Sie machen sich aus den verschie
wieder prägen könnten. densten Gründen auf den Weg, und vielen tun die Ge
spräche gut, wenn sie sich einmal aussprechen können.
Was wäre heute aus Ihrer Sicht in der Kirche nötig, Das Pilgern hat ja schon vieles in Bewegung gebracht.
um 50 Jahre nach Beginn des Zweiten Vatikani Das sind Angebote, bei denen man keine statistischen
schen Konzils die hoffnungsvollen Aufbrüche des Erfolge vorweisen kann, die mühsam sind, die aber den
Konzils wieder mit Leben zu füllen? Pilgern und auch uns guttun.
Ich würde vor allem zwei Dimensionen sehen. Zum Für mich ist das Konzil das prägende Ereignis meines
einen die Kirchenkonstitution, dass man endlich das Lebens, und dies möchte ich weitergeben. Deshalb
gemeinsame Priestertum aller Getauften ernst nimmt, halte ich Vorträge auch bei kleinen Gruppen. Denn ich
dass die Taufe das grundlegende Sakrament ist und dass möchte helfen, dass dieser Aufbruch nicht einfach ver
es deshalb Priester und Bischöfe nur gibt als Dienst an sandet, sondern weitergeht. Ich möchte, dass der Geist
den Getauften. Dazu gehört, dass die synodalen Gre des Konzils wachgehalten wird, dass die Erneuerung
mien wirklich ernst genommen werden, zunächst in weitergeht. Und ich spüre, das Gespräch hierüber, die
der Pfarrei, aber auch auf allen anderen Ebenen, denn Beschäftigung damit kann für alle wohltuend und
wir haben es hier mit mündigen Bürgern und mündi befreiend wirken, und dafür lohnt sich der Einsatz
gen Christen zu tun. Dabei sollte man sich nicht von allemal. ■
dem Totschlagargument »Die Kirche ist keine Demo interview: thomas meinhardt
10 apostel 4/2012
15. porträt
Marianne Cope wurde
am 21. Oktober 2012
von Papst Benedikt XVI.
heilig
gesprochen. Vielen
unserer Lese innen und
r
Lesern wird sie als Schwester
am Totenbett von Pater Damian
in Erinne ung sein. Ob dem
r
Arzt der Aus ätzigen iedung,
s s l
Dr. Sidney Bourne Swift, der
Gedanke kam, dass er mit seiner
Aufnahme zwei spätere Heilige
abbildete?
Die heilige »Marianne von Molokai«
Porträt einer aus Deutschland stammenden Ordensfrau
Barbara Maria Anna Koob wurde im Januar 1838 in Ihre Heimatstadt Syracuse spielte eine bedeutsame
Heppenheim an der Bergstraße geboren, als Tochter Rolle im Kampf um die Abschaffung der Sklaverei
einer Bauernfamilie, die ein Jahr später in die USA und war eine wichtige Station für die »Underground
auswanderte, weil hier mit der Landwirtschaft keine Railway«, die Untergrundbahn zur Freiheit, ein weit
Zukunft zu sichern war. Schließlich werden es zehn verzweigtes Netz von Fluchthelfern für Schwarze.
Kinder sein. Eine typische Migrantenfamilie, die Diese Erfahrung und das geistliche Erbe ihres Or
sich schnell und geräuschlos eingliedert bis hin zum densvaters Franziskus führten Schwester Marianne
Namen, der, wenn englisch ausgesprochen, an coop zum Einsatz für die Armen jeder Art. Gelegentlich
erinnert, was Hühnerstall, Fischkorb, Kabuff, Knast warf man ihr vor, sie beschäftige sich zu viel mit
bedeutet. Cope dagegen heißt: kämpfen, etwas zu Randexistenzen, Alkoholikern und dergleichen.
stande bringen, meistern. Die Familie landet schließ
lich in Syracuse im Staat New York, auf halbem Weg Sie arbeitete in der praktischen Krankenpflege und
zwischen der Stadt New York und dem kanadischen half mit bei der Entwicklung von neuen Behand
Montreal. lungsmethoden auf Universitätsebene. Sie gründete
das erste öffentliche Krankenhaus in Syracuse. Im
Mit 15 Jahren verspürt Barbara den Ruf, ins Kloster Zeitalter, in dem man die Bedeutung von Bazillen,
zu gehen. Doch die Mutter stirbt, der Vater wird Viren und Bakterien entdeckte, gewann sie bald eine
krank und kann nicht mehr arbeiten. Barbara über Grundeinsicht, die sie später in Molokai bei allem
nimmt deren Rolle für die jüngeren Geschwister, leiten sollte: Eine strenge Hygiene bedeutet schon
verdient ihren Lebensunterhalt in einer Wollfabrik die halbe Heilung.
und im Krankenhaus.
Anfang Juni 1883 erhielt Mutter Marianne, inzwi
Sie stellt ihren Klosterwunsch fast zehn Jahre zurück schen schon höhere Oberin, einen Brief von Pater
und lernt, mit Menschen und Dingen umzugehen. Léonor Fouesnel, einem Mitbruder Pater Damians
Sie wird eine entschiedene »Macherin« mit Herz und Provinzial SSCC von Hawaii. Er suchte Schwes
sein. Nach dem Noviziat bei den Franziskanerinnen tern, Pflegepersonal und Lehrerinnen zur Verstär
von Syracuse und der Profess 1863 wollte sie, die kung der katholischen Mission in Hawaii. In seinem
den Ordensnamen Marianne angenommen hatte, Brief schrieb er: »Mein Bischof Hermann (Köckemann
eigentlich Lehrerin werden. Aber schon bald wurde SSCC) hat mich auf Ersuchen des Königs und seiner
sie mit allerlei Leitungsaufgaben betraut, schließlich Regierung in dieses Land geschickt, um Schwestern zu
sogar zur Generaloberin gewählt. suchen, die bereit wären, die Leitung unserer Kranken
4/2012 apostel 15
16. porträt
häuser und vielleicht auch unserer
Schulen zu übernehmen. Wenn Sie
mir ein wenig Hoffnung geben,
Schwestern davon zu überzeugen,
werde ich sogleich zu Ihnen kom
men und Ihnen alles Weitere er
klären.« Der erwähnte Bischof
Köcke ann stammte aus dem
m
Münsterland und gehörte, wie
das ganze Missionspersonal, zur
Ordensgemeinschaft von den
Heiligsten Herzen.
In ihrer Antwort vom 5. Juni 1883 Mutter Marianne, im Rollstuhl, kurz vor ihrem Tod
bittet Mutter Marianne um wei
tere Informationen. Daraufhin
besuchte Pater Fouesnel im Juli 1883 die Schwes ren Schwestern, Leopoldina Burns und Vincentia
tern in Syracuse. Der massige Missionar mit weißem McCormick, kam Schwester Marianne am 14. No
Vollbart im weißen Ordensgewand, eine Ehrfurcht vember 1888 nach Kalaupapa, vier Monate vor Da
gebietende Erscheinung, muss einen großen Ein mians Tod. Die Schwestern übernahmen die Leitung
druck auf die Schwestern gemacht haben, als er von des Waisenhauses für Jungen in Kalawao, dem ande
seiner Arbeit in Hawaii berichtete und die verzwei ren, fünf Kilometer entfernten Dorf, wo auch Pater
felte Lage der Aussätzigen schilderte. Mutter Mari Damian lebte. In den Tod begleiteten ihn zwei Deut
anne befragte ihre Schwestern und gab Pater Foues sche: Pater Wendelin Möllers SSCC und Mutter
nel eine begeisterte Antwort: »Ich habe regelrecht Marianne Cope OSF .
Hunger auf diese Arbeit und wünsche von Herzen, eine
der Auserwählten zu sein, die das Vorrecht haben, sich 1895 kamen neue Mitbrüder nah Molokai, und die
für die Seelen der armen Inselbewohner aufzuopfern. Schwestern zogen sich zurück. Mutter Marianne
Ich habe keine Angst davor, ganz gleich vor welcher hatte zuvor einmal gesagt, dass sich keine ihrer
Krankheit. Es wird also meine größte Freude sein, den Schwestern anstecken würde. Und so kam es auch.
verlassenen Aussätzigen zu dienen.« Gewiss auch eine Folge ihrer strengen Hygiene. In
den Berichten der Gesundheitsbehörde ist immer
wieder davon die Rede: »Alles ist zweckmäßig ein
gerichtet und verrät eine geradezu peinliche Sauber
keit.«
Mutter Marianne blieb bis zu ihrem Tod Seele und
Vorbild für viele. Eine freundliche, kluge und prak
tische Frau. Sie starb 1918, verbraucht und ausge
zehrt, 80 Jahre alt, und wurde in Kalaupapa begra
ben. Ihre sterblichen Überreste wurden aus Anlass
ihrer Seligsprechung im Jahre 2005 nach Syracuse
Marianne Cope am Anfang ihrer Ordenszeit übergeführt.
Vier Monate später war es dann so weit. Marianne Am 21. Oktober 2012 wurde sie mit sechs anderen
und sechs weitere Schwestern machten sich auf den auf dem Petersplatz in Rom von Papst Benedikt XVI.
Weg nach Hawaii. Einmal quer durch den Konti heiliggesprochen. Pater Damian und Mutter Mari
nent. Sechs Tage mit der Eisenbahn bis San Francis anne von Molokai werden auch von der Episkopal
co und dann noch einmal sieben Tage mit dem kirche, den Anglikanern der USA, verehrt. Ihr ge
Schiff. Marianne litt fürchterlich unter der Seekrank meinsamer Gedenktag ist der 15. April, Damians To
heit. Am 8. November 1883 landeten sie in Honolulu. destag.
Dort übernahmen sie zunächst das Branch Hospital
in Kakaako, nahe der Hauptstadt. Erst fünf Jahre Am Ende ist sie nicht mehr Marianne Koob oder
später wagten sie sich in die Höhle des Löwen nach Cope, sondern »Marianne von Molokai«, geadelt
Molokai. Die Entscheidung für die Quarantäne-Insel durch 35 Jahre Dienst für die Ärmsten der Armen. ■
des Todes war selbst für sie schwer. Mit zwei ande friedhelm geller sscc
16 apostel 4/2012
17. symbole der kirche – kurz erklärt
eine und auch die andere Rich
tung. Es kann aber auch eine
Sackgasse sein – wie beim Fuß
ball. Da geht es nicht weiter. Der
Ball endet im Netz, bedeutet Sieg
oder Niederlage. Eine Haustür
öffnet sich für gewöhnlich nach
innen. Sie ist Einladung. Der von
außen kommt, bittet um Einlass.
Wer willkommen ist, wird her
eingebeten, dem wird das Haus
geöffnet. Die Tür ist ein Symbol
der Gnade.
Gott kann durch mancherlei
Türen und auf verschiedene Wei
sen kommen. Als der große Herr
scher, für den die Wege erweitert
und die Tore gehoben werden
müssen. Gleichsam ein überwirk
Die Fenster zu und alle Türen offen?
Der Film »Liebe« von Michael wird der Mann vom Land grei licher SchwerTransporter, der
Haneke (2012) schildert in berüh senhaft kindisch und verbündet nicht überholt werden kann. Wie
renden Bildern die innige Zunei sich mit den Flöhen im Pelz in Psalm 24,7 beschrieben: »Ma
gung von Anne und Georges, die kragen des Türstehers, damit die chet die Tore weit und die Türen
sie auch mit über achtzig Jahren ihren Herrn überreden, den Weg hoch in der Welt, dass der König
verbindet. Sie sind ihrer großen zum Gesetz freizugeben. der Ehre einziehe.«
Liebe treu geblieben – bis zum
Ende. Das Geschehen spielt in Alles zwecklos. Der Mann vom Oder eher still. Hat ER nicht ge
einer gutbürgerlichen Pariser Land stirbt, und der Türhüter sagt: »Ich bin die Tür«? Früher
Wohnung, die Welt bleibt außen brüllt in sein vergehendes Gehör: gab es zum Beginn der Ostermette
vor. Die Geschichte beginnt mit »Hier konnte niemand sonst Ein den Ritus, dass der Priester drei
dem Einschlagen der Etagentür. lass erhalten, denn dieser Ein Mal um die geschlossene Kirche
Immer wieder gleitet dann das gang war nur für dich bestimmt. ging und jedes Mal mit einem
Auge der Kamera durch verschie Ich gehe jetzt und schließe ihn.« Kruzifi x an die Eingangstür
dene Räume der Wohnung, Sein ganzes Leben hat er vor der schlug, um für den auferstande
schiebt sich durch Türrahmen, Tür gewartet. Nun wird er einge nen Herrn um Einlass zu bitten.
öffnet Türen, macht vor ver lassen, und die Tür schließt sich Dann wurde die Tür geöffnet und
schlossenen Türen halt. Als ob hinter ihm. Mit einem flüchtigen der Gekreuzigte mit Jubelliedern
dahinter ein Geheimnis verbor Blick hat er schon vorher gese begrüßt.
gen, die entscheidende Antwort hen, dass ihn in dem »Gesetz«
zu finden sei. Die Tür als Frage. noch grauenvollere Türsteher er Vielleicht ist das heute für uns
warten. Die Tür als Strafe. und für die Kirche der bessere
In einer Erzählung (1915) von Weg. Nicht »Reiß ab vom Him
Franz Kafka gibt es diesen Mann Und dann haben wir den Advent, mel Tür und Tor«, sondern, wie
vom Land, der vor dem Gesetz wo es von Türen gleichsam wim im letzten Buch der Bibel zu
steht und hineinwill. Ein Tür melt. »Macht hoch die Tür«, der lesen: »Ich stehe vor der Tür und
hüter verwehrt ihm den Zugang. Adventskalender mit vierund klopfe an. Wer meine Stimme
Der Mann vom Land setzt sich zwanzig Türchen, »denn ver hört und die Tür öffnet, bei dem
auf einen Schemel und wartet schlossen war das Tor.« »Reiß ab werde ich eintreten, und wir wer
viele Jahre. Immer wieder will er vom Himmel Tor und Tür.« Ein den Mahl halten, ich mit ihm und
den Türsteher bestechen, aber Tor ist ein Durchlass, von einem er mit mir.« (Offb 3,20) ■
der andere bleibt hart. Am Ende Raum in einen anderen, in die friedhelm geller sscc
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Fußball – Schule fürs Leben
Ein Besuch beim Fußball-Projekt der französischen Ordensprovinz SSCC
»Alles, was ich über Moral und die Verpflichtun- Im August, wenn die Franzosen alle gleichzeitig
gen von Männern weiß, habe ich beim Fußball Urlaub machen, zieht es viele stressgeplagte Groß
gelernt«, soll der französische Philosoph städter in die ländlichen Regionen ihrer Heimat.
Albert Camus gesagt haben. Der Eines der Reiseziele ist die wildromantische Land
ehemalige Fußballprofi und schaft im dünn besiedelten Département Aveyron im
Priester Bertrand Cherrier Süden des Landes. Das Städtchen Villefranche-de-
SSCC versucht seit einigen Rouergue ist bei Touristen wegen des mittelalter
Jahren, straffällig gewor- lichen Charmes seiner finsteren Fassaden und engen
dene Jugendliche mit den Gassen sehr beliebt. Außerhalb der Saison ist hier
einfachen Regeln des Fuß- jedoch nicht viel los. Der Trubel von Toulouse, der
balls wieder in die Gesell- viertgrößten Stadt Frankreichs im Schatten der Pyre
schaft zu integrieren. näen, ist rund zwei Autostunden entfernt. Für die
Jugendlichen der Stadt ist Villefranche vermutlich
ein ödes Provinznest – für die Jugendlichen im Pro
jekt »Le Penalty« hingegen ist der Ort so etwas wie
eine letzte Chance.
Auf einer Anhöhe über der Stadt liegt das Château
de Graves, ein kleines Schloss aus dem 16. Jahrhun
dert. An diesem außergewöhnlichen Ort unterhält
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die französische Provinz der Kongregation der Hei als Problemkinder bezeichnet, erntet sofort hefti en
g
ligsten Herzen seit über 100 Jahren verschiedene pä Widerspruch: »Diese Jungs sind ganz normal,
dagogische Einrichtungen, darunter ein Internat schwierig sind nur die Umstände, unter denen sie
sowie eine Kinder- und Jugendwohnstätte. Vor eini aufgewachsen sind«, sagt Pater Bertrand, der Initia
gen Jahren wurde hier ein neues Projekt ins Leben tor und Leiter des Projekts Penalty.
gerufen: »Le Penalty« – so heißt im Französischen
der Strafstoß beim Fußball – ist ein Angebot für Ju »Morgen ist das schlimmere Heute«
gendliche und junge Männer im Alter zwischen 15 Bertrand Cherrier SSCC, Priester und seit 1987 Mit
und 21 Jahren, die entweder keine Eltern mehr glied der Kongregation der Heiligsten Herzen, war
haben oder deren Eltern nicht im Land leben und selbst Profifußballer. In seiner aktiven Zeit spielte
sich deshalb nicht um ihre Kinder kümmern der heute 53-Jährige für Girondins de Bordeaux in
können. der ersten französischen Liga. Der ehemalige Vertei
diger ist klein, aber ein Kraftpaket mit urwüchsiger
Fünf der momentan im Penalty lebenden Jugendli Energie – jener Art positiver Energie, die auf seine
chen sind illegal eingewandert. Da sie minderjährig Mitmenschen abfärbt. »Ich erinnere mich an ein
sind, verlangt das französische Recht eine Vormund Graffiti, das ich vor Jahren in einer Umkleidekabine
schaft durch das Jugendamt. Weil zu viele Minder gesehen habe«, erzählt Pater Bertrand: »Morgen ist
jährige illegal nach Frankreich kommen, sind staat das schlimmere Heute.« Seine Motivation für das
liche Institutionen längst an ihre Grenzen gestoßen. Projekt Penalty ist damit auf den Punkt gebracht:
Jugendlichen, die aus verschiedenen Gründen an
den Rand der Gesellschaft geraten sind, Hoffnung
auf eine bessere Zukunft zu geben.
Vor acht Jahren trainierte Pater Bertrand eine Ju
gendfußballmannschaft in Villefranche. Damals bat
ihn ein befreundeter Sozialpädagoge, einen als »ver
haltensauffällig« geltenden 17-Jährigen in sein Team
aufzunehmen. Zwei Jahre lang spielte dieser junge
Mann mit und wurde sportlich zu einer Stütze der
Mannschaft. Probleme bereitete er keine. Schließlich
fragte jener Freund Pater Bertrand, ob er nach die
sem ermutigenden Beispiel nicht Lust hätte, ein
Fußball-Projekt für sozial ausgegrenzte Jugendliche
Das gesamte Team des Penalty - die Jugendlichen und ihre zu starten. Die Idee für »Le Penalty« war geboren.
Betreuer - beim Tag der offenen Tür im Juni 2012 Der Orden unterstützte das Vorhaben, stellte perso
nelle und finanzielle Mittel sowie ein kleines Haus
auf dem Schlossgelände zur Verfügung, das aller
dings renoviert und umgebaut werden musste. Bevor
es richtig losgehen konnte, vergingen zwei Jahre,
auch weil die Genehmigung von staatlicher Seite
lange auf sich warten ließ. Das Modell, eine kleine
Gruppe mit je einem Betreuer für zwei Jugendliche
in einer Art Wohngemeinschaft unterzubringen,
ist in Frankreich eine Ausnahme. Üblich ist hier
die Unterbringung in Familien oder in größeren
Heimen.
Die meisten der momentan neun Teilnehmer des Pe
nalty stammen ursprünglich nicht aus Frankreich.
Bei der Halbzeitansprache von Pater Bertrand geht es vor Wie der 19-jährige Ari, der vor ein paar Jahren von
allem um die Einstellung, weniger um Taktik und Technik angeblichen Talentsuchern in Kamerun angespro
chen und mit dem Versprechen nach Frankreich ge
Die Jugendlichen im Projekt Penalty sind zudem lockt wurde, dort bei einem Profiklub viel Geld ver
früh mit dem Gesetz in Konflikt geraten. Diebstähle, dienen zu können. Diese einmalige Chance, seine
Drogendelikte oder Schlägereien haben sie hier her Familie zu ernähren, wollte Ari wahrnehmen. Seine
geführt. Die meisten sind schon mehrfach von der Eltern musste er in Kamerun zurücklassen. Die
Schule geflogen. Wer sie deshalb als schwierig oder Agenten gaben ihm falsche Papiere, und als es mit
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einem Vertrag bei einem großen Verein nichts wurde, »Mit den anderen Jungs gab es ab und zu Schwierig
tauchten sie ab und ließen ihn im Stich. »Es war sehr keiten.« Welche Schwierigkeiten er genau meint, ist
hart am Anfang, ganz allein in einem fremden Land ihm nicht zu entlocken. Aber mittlerweile sei sowie
und ohne Orientierung«, flüstert Ari während unse so alles viel besser geworden, weil die Erzieher ihm
res Gesprächs. Eine Sozialarbeiterin in dem Pariser sehr geholfen hätten, sagt Steven noch schnell, bevor
Vorort, wo er letztlich landete, vermittelte ihn nach er sich eilig zu einer Verabredung aus dem Staub
Villefranche zu Pater Bertrand. Hier möchte er sei macht.
nen Schulabschluss machen und anschließend
Landwirtschaftstechnik studieren. Ob er nicht mal Ohne Regeln geht es nicht
daran gedacht habe, nach Afrika zurückzugehen? »Vielen der Jungs merkt man an, dass sie entweder
»Immer denke ich daran, aber ich will bleiben und ganz ohne Vater aufgewachsen sind oder der Vater
kämpfen«, sagt Ari. Er klingt jetzt entschlossener. seine Rolle nicht ausgefüllt hat«, erklärt Arnaud.
Im Moment kann er aber sowieso nicht mit den an »Ihnen wurden einfach keine oder zu wenige Gren
deren kicken, eine komplizierte Verletzung am Knie zen gesetzt.« Arnaud, der in erster Linie Sporterzie
zwingt ihn zum Zuschauen.
Spaß ist wichtiger als Talent
Regelmäßig trainieren die Jugendlichen abends,
wenn sie aus der Schule oder von der Arbeit nach
Hause kommen, auf dem kleinen Kunstrasenplatz
hinter dem Haus. Manchmal spielen sie auch Futsal,
eine in Deutschland noch wenig populäre Variante
des Fußballs, die mit einem kleineren Ball auf klei
nere Tore in der Halle gespielt wird. Dabei sind nicht
alle so talentiert wie Ari. »Es kommen manchmal
auch Jugendliche mit zwei linken Füßen, die wenig
Talent haben – das macht aber nichts, solange sie
trotzdem Spaß am Fußballspielen haben«, betont
Arnaud Viargues. Er ist einer von fünf Erzieherinnen
und Erziehern, die die Gruppe pädagogisch betreuen.
»Der Fußball ist eine Art Vehikel, um gemeinschaft
liche Werte zu vermitteln wie Respekt, gegenseitige
Achtung und einen guten Umgang mit Widerspruch
und Aggressionen. Die Jugendlichen sollen dagegen
gewappnet werden«, sagt Arnaud. Auf dem Gelände
der Kongregation steht für die Jugendlichen ein klei
nes Haus zur Verfügung. Im oberen Stock haben sie
ben von ihnen ihr eigenes Zimmer, zwei weitere
leben aus Platzgründen in Wohnungen in der Stadt.
Im Erdgeschoss des offenen und hellen Gebäudes
befinden sich die gemeinsame Küche, ein Compu Pater Betrand Cherrier, 53, war selbst Profifußballer und
terzimmer, Büros, ein Billardtisch und ein Raum mit spielte in der ersten französischen Liga für Girondins
Spielkonsole und Bildschirm. Auch hier rollt meis Bordeaux
tens der Ball entweder beim Videospiel oder wenn,
wie zuletzt bei der Europameisterschaft, Fußball im her ist, kannte Pater Bertrand vom Fußballklub der
Fernsehen auf der Tagesordnung steht. Das Wich Stadt und war damals, als dieser ihm von der Idee für
tigste im Penalty aber ist das persönliche Ziel, das das Projekt erzählte, sofort begeistert. »Das Verhält
jeder Jugendliche vor seiner Aufnahme in das Pro nis zu den Jugendlichen ist manchmal wie die Bezie
jekt selber formulieren muss. Manche streben wäh hung zu Kindern, weil sie aufgrund der Umstände in
rend ihrer Zeit in Villefranche den Schulabschluss ihrer persönlichen Entwicklung oft nicht so weit
an, andere möchten eine Ausbildung beenden. fortgeschritten sind wie Gleichaltrige«, sagt Arnaud.
Steven ist seit zweieinhalb Jahren hier, er hat meh Jeder Betreuer übernimmt die administrative Verant
rere Praktika ausprobiert und sich gerade für eine wortung für jeweils einen Jugendlichen, kümmert
Metzgerlehre entschieden. »Anfangs hatte ich Pro sich also zum Beispiel um die Kontakte zur Familie
bleme, mich einzuleben«, gibt der Blondschopf zu. und zum Jugendamt. Im Alltag sind dann alle Be
Etwas lustlos räkelt er sich während unseres Ge treuer Ansprechpartner für die großen und kleinen
sprächs auf der bequemen Couch in der Sitzecke. Probleme des Lebens, das durch einige feste Regeln
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wie Essenszeiten oder die Nachtruhe geregelt ist. liche Nachbarschaft zu einem Konvent der Kongre
»Die Atmosphäre ist trotzdem familiär, nicht pater gation ermöglicht es zudem den Jugendlichen und
nalistisch«, findet Arnaud. »Es geht darum, gemein den Erziehern, auch über geistliche oder religiöse
sam mit den Jugendlichen an ihren Zielen zu arbei Themen zu sprechen und so auch im spirituellen Be
ten und Werte zu vermitteln, die sie an ihre eigenen reich zu wachsen. Das stellt einen wichtigen Teil des
Kinder, an Freunde oder auch in ihrer Familie wei persönlichen Wachstums dar. Es gab und gibt im
tergeben können.« In Frankreich, wo Kirche und Projekt viele muslimische Jugendliche, und oft gab
Staat traditionell strikt getrennt werden, sind Erzie es intensive Gespräche über religiöse Themen. Das
hungsaufgaben entsprechend staatlich-laizistisch or ist ein großer Vorteil gegenüber vergleichbaren staat
ganisiert, mitunter sogar durch antireligiöse Gefühle lichen Einrichtungen.«
geprägt. Das erschwerte anfangs die Genehmigung
für das Projekt, das ohne die finanzielle Unterstüt Sommer in Südfrankreich. Es ist bereits nach 22 Uhr,
zung des Sozialministeriums, das den größten Teil aber immer noch sehr warm. Auf der Terrasse eines
der Kosten für den Lebensunterhalt und die Unter Lokals im Zentrum von Villefranche erzählt Pater
Das Schloss Graves in Villefranche-de-Rouergue. Die französische Zweig des Ordens betreibt hier unter anderem ein
Internat und seit 2005 auch das Fußball-Projekt »Penalty«
Bertrand aus seinem Leben und von den Erfahrun
gen im Projekt. »Im Penalty gilt die Achtung vor der
Verschiedenheit der Personen und ihres Glaubens«,
sagt er. »Und um Unterschiede res ektieren zu kön
p
nen, muss man diese Unterschiede überhaupt erst
einmal kennen.«
Zwischendurch kommen andere Gäste an den Tisch;
hier ein kleiner Scherz oder eine kurze Begrüßung,
dort schnell ein paar Neuigkeiten ausgetauscht.
Pater Bertrand ist in Villefranche bekannt und offen
bar sehr beliebt. »Insgesamt 20 Jugendliche sind seit
dem Start vor fünf Jahren hier gewesen, nur ein paar
Vier der insgesamt neun Jugendlichen, die derzeit im haben ihr zuvor festgelegtes Ziel nicht erreicht oder
»Penalty« leben das Projekt vorzeitig abgebrochen«, sagt er. Die
Mehrheit aber hat Villefranche mit einem Schulab
bringung der Jugendlichen trägt, nicht existieren schluss oder einer Ausbildung in der Tasche wieder
könnte. Heute empfindet Arnaud es als große Berei verlassen. Jeder Einzelne von ihnen ist ein Sieg für
cherung, dass der Projektleiter katholischer Priester Pater Bertrand und sein Team. ■
ist: »Einerseits ist Bertrand jemand, der für die Tren text: andré madaus
nung von Kirche und Staat eintritt. Aber die räum übersetzung vor ort: ludger widmaier sscc
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