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© Matthias Schulze-Böing, Research, Beratung, Projektmanagement 10.11.2023
Von „Hartz 4“ zum
Bürgergeld – aktivierende
Grundsicherung
weiterdenken
VHN-Praxistage 2023
Heilbad Heiligenstadt, 9.-10. November 2023
Matthias Schulze-Böing
1
© Matthias Schulze-Böing, Research, Beratung, Projektmanagement 10.11.2023
Struktur
1. Gefährdeter Zusammenhalt in der Gesellschaft?
2. Sozialpolitik und Umverteilung als Ergebnis und
Voraussetzung des Zusammenhalts
3. Die Grundsicherung für Arbeitsuchende – von „Hartz
4“ zum „Bürgergeld“
4. Auf die Umsetzung kommt es an – Defizite,
Herausforderungen, Chancen
2
© Matthias Schulze-Böing, Research, Beratung, Projektmanagement 10.11.2023
1. Gesellschaftlicher Zusammenhalt
3
© Matthias Schulze-Böing, Research, Beratung, Projektmanagement 10.11.2023
4
Sozialer
Zusammenhalt Sozialer
Zusammenhalt
Sozialer
Zusammenhalt
Sozialer
Zusammenhalt
Sozialer
Zusammenhalt
Sozialer
Zusammenhalt
Sozialer
Zusammenhalt
Gesellschaftlicher Zusammenhalt und
sozialer Zusammenhalt
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5
Gesellschaftlicher Zusammenhalt bezieht sich
auf den Zusammenhalt über soziale Schichten,
Milieus, Kulturen und Regionen hinweg
© Matthias Schulze-Böing, Research, Beratung, Projektmanagement 10.11.2023
6
… und wurde bisher vor allem
im nationalen Rahmen realisiert
(Rechtseinheit, Wohlfahrtsstaat,
Zivilgesellschaft …)
© Matthias Schulze-Böing, Research, Beratung, Projektmanagement 10.11.2023
Gesellschaftlicher Zusammenhalt
Die aktuellen „Transformationen“ setzen bestehende Formen
des Zusammenhalts unter Druck
• Decarbonisierung
• Digitalisierung
• Diversität / „Postmigrantische“ Gesellschaft, soziale
Ungleichheit, Kämpfe um Anerkennung
• Bedeutungsverlust des Nationalstaats („neo-medieval
order“)
7
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2. Sozialpolitik und Umverteilung als
Ergebnis und Voraussetzung des
Zusammenhalts
8
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9
Der Sozialstaat - Ergebnis und Voraussetzung
gesellschaftlichen Zusammenhalts
Bundeshaushalt 2023: 476 Mrd.
BMAS: 166 Mrd.
Ausgaben für SGB II
insgesamt: ca. 47 Mrd
© Matthias Schulze-Böing, Research, Beratung, Projektmanagement 10.11.2023
Gesellschaftliche Voraussetzungen des
Sozialstaats
• Finanzierbarkeit (wachsende Wirtschaft)
• Akzeptanz von Umverteilung
Voraussetzungen der Akzeptanz von Sozialleistungen
• Control: Armut selbst verschuldet oder unverschuldet?
• Attitude: Halten die Empfänger von Leistungen die Regeln ein?
• Reciprocity: Gibt es eine Gegenleistung?
• Identity: Ist der Empfänger „einer von uns“?
• Need: Liegt wirklich Bedürftigkeit vor?
Nach Wim van Oorschot (2000): Who should get what, and why? On deservingness criteria and the conditionality of
solidarity among the public
10
© Matthias Schulze-Böing, Research, Beratung, Projektmanagement 10.11.2023
Grundsicherungssysteme als Kernbestandteil
gesellschaftlicher Solidarität – globale Trends
• „European Pillar of Social Rights“ (Europäische Union, 2017)
• Mindestsicherungssysteme als Elemente der
Krisenresilienz in Europa (Gutachten für das BMAS, 2023)
• Empfehlungen des Rats der Europäischen Union zur
Ausgestaltung von Grundsicherungssystemen (2022)
- „Benefits of last resort“
- Individualisiert
- Sprungbrett zur Integration in den Arbeitsmarkt
- Balance von Rechten und Pflichten
- Eingebettet in ein System sozialer und
arbeitsmarktpolitischer Qualitätsdienstleistungen
11
© Matthias Schulze-Böing .2021
SchulzeBoeing_Projekte © Matthias Schulze-Böing 2022
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3. Von „Hartz 4“ zum Bürgergeld
13
© Matthias Schulze-Böing, Research, Beratung, Projektmanagement 10.11.2023
Rückblick: „Hartz 4“ – eine Erfolgsgeschichte
• Überwindung von Politikblockaden, z. B. „Institutionelle
Zersplitterung“, „Verschiebebahnhöfe“, Überlastung der
Kommunen
• Umsetzung des „Activation Turn“ der Sozialpolitik in den
1990er und 2000er Jahren
• Realisierung eines integrierten und ganzheitlichen
Systems
14
© Matthias Schulze-Böing .2021
SchulzeBoeing_Projekte © Matthias Schulze-Böing 2022
© Matthias Schulze-Böing .2021
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Deutschland
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Systemarchitektur des SGB II
• Ganzheitlicher Klientenbezug – Prinzip
Bedarfsgemeinschaft
• Integration „passiver“ und „aktiver“ Leistungen
• Verknüpfung der Grundsicherung mit der Arbeitsförderung
• Integration sozialer Teilhabe
• Verbindung von Aktivierung und Befähigung
• Einbindung der kommunalen Ebene
• Komplexes, aber inkludierendes Governancesystem
• Vorbildliches Steuerungssystem / Management by Results
19
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Defizite in der Umsetzung des SGB II:
• Bedeutung der Qualitätsentwicklung lange unterschätzt
• Zunehmende Komplexität des Rechts
• Balance von zentraler Koordination und dezentraler
Umsetzung nicht immer gesichert
• Balance von „passiven“ und „aktiven“ Leistungen nicht
erreicht
• (….)
20
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21
Quelle: Bundesagentur für Arbeit
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22
Quelle: Bundesagentur für Arbeit
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23
Quelle: BIAJ
© Matthias Schulze-Böing, Research, Beratung, Projektmanagement 10.11.2023
24
Quelle: Bundesagentur für Arbeit
© Matthias Schulze-Böing, Research, Beratung, Projektmanagement 10.11.2023
Chancen beim Übergang zum Bürgergeld:
• Sanktionsregime schlüssiger und rechtlich besser
abgesichert (Leistungsminderungen)
• Entkrampfung des (Ko-)Produktionsmodells (von EGV zu
Kooperationsplan)
• Verbesserte Anrechnungsregelungen für
Erwerbseinkommen
• Impulse für Impact:
- Stärkung Weiterbildung
- Ganzheitliche Fallbetrachtung
- Entfristung Sozialer Arbeitsmarkt
• (…)
25
© Matthias Schulze-Böing, Research, Beratung, Projektmanagement 10.11.2023
Risiken beim Übergang zum Bürgergeld:
• Verschiebung des Schwerpunkts des Systems von „aktiv“
zu „passiv“
• Schwächung von Anreizen zur Aufnahme von
Erwerbsarbeit, Verletzung des „Last-Resort“-Prinzips
(Freilassung von Vermögen, Karenzzeit bei KdU)
• Erweiterung des (gefühlten) Mandats des SGB II, Verlust
des Fokus
• Keine Impulse für Qualitätsentwicklung
• Verlust von Impact
• (….)
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27
Quelle: Bundesagentur für Arbeit, eigene Berechnungen
© Matthias Schulze-Böing, Research, Beratung, Projektmanagement 10.11.2023
Risiken bei der Umsetzung des Bürgergeldes:
• Austrocknung des Aktivierungsansatzes durch Kürzungen
im EGT
• Beendung des Sozialen Arbeitsmarktes
• Auflösung des Konzepts „Hilfen aus einer Hand“
- Verlagerung U25
- Kindergrundsicherung
- Verlagerung FbW
• Ad hoc – Politik ohne strategische Perspektive des
Bundes (Beispiel „Jobturbo“ / „Flüchtlingsturbo“)
28
© Matthias Schulze-Böing, Research, Beratung, Projektmanagement 10.11.2023
4. Auf die Umsetzung kommt es an –
Defizite, Herausforderungen,
Chancen
29
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Gestaltungsaufgabe Bürgergeld:
a. Organisations- und Qualitätsentwicklung in
Jobcentern weiter im Fokus
b. Qualitätsprozesse im
„arbeitsmarktpolitischen Dreieck“
organisieren
c. Bessere Integration kommunaler Dienste
d. Netzwerke, Ko-Produktion und Kollaboration
e. Gesamthafter Planungs- und
Managementansatz vor Ort
30
© Matthias Schulze-Böing, Research, Beratung, Projektmanagement 10.11.2023
Organisations- und
Qualitätsentwicklung in Jobcentern:
• Weiterentwicklung von Beratungsqualität
• Entwicklung der Leistungsberatung- und
Verknüpfung von Arbeits-, Sozial- und
Leistungsberatung
• Entwicklung neuer Beratungsformate
- Systemische Beratung
- Aufsuchende Beratung
- Sozialraumorientierte Beratung
• Zeitoptimierung
31
© Matthias Schulze-Böing, Research, Beratung, Projektmanagement 10.11.2023
32
Zeitoptimierung (Beispiel)
Von
Zu
© Matthias Schulze-Böing, Research, Beratung, Projektmanagement 10.11.2023
Qualität im „arbeitsmarktpolitischen
Dreieck“:
• Innovationstreiber
• Impactorientierung
• Kollaboration und Ko-Produktion
• Weiterentwicklung von Netzwerkkomptenz
33
© Matthias Schulze-Böing, Research, Beratung, Projektmanagement 10.11.2023
Integration von kommunalen sozialen
Diensten:
• Dienste oft noch fragmentiert, trotz
unablässiger Ganzheitlichkeitsschwüre
• Silodenken
• Dienste-Integration - eine kommunale
Führungsaufgabe
• Verbindung von Bottom-Up und Top-Down-
Ansätzen
34
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35
Quelle: Bundesagentur für Arbeit
© Matthias Schulze-Böing, Research, Beratung, Projektmanagement 10.11.2023
Netzwerke und Kollaboration:
• Auf dem Weg zu einem „relationalen
Sozialstaat“?
• Netzwerke über die etablierten Stakeholder
hinaus entwickeln, z. B.
- zivilgesellschaftliche Organisationen
- Migrantenorganisationen
- Quartiere
• Informalität als Ressource für
Problemlösungen
• Management von Informalität
36
© Matthias Schulze-Böing, Research, Beratung, Projektmanagement 10.11.2023
Gesamthafter Planungs- und
Managementansatz:
• Organisationsübergreifende
Leistungsprozesse planen und steuern
• Mix von Beratungsmethoden optimieren
• Aktivierung, Befähigung und Qualifizierung zu
einem wirksamen Produktionsmodell
verknüpfen
• Trotz erweitertem Mandat den Fokus des
Systems stabilisieren
37
© Matthias Schulze-Böing, Research, Beratung, Projektmanagement 10.11.2023
Weitere zentrale Themen:
• Berufliche Bildung und Weiterbildung
adressatengerecht gestalten (Aufgabe der
Arbeitsagenturen?)
• Neue Maßnahmestrukturen
- regional / überregional
- digital / analog / hybrid
- Zeitoptimierte Maßnahmebündel
• Maßnahmemanagement / Ausschöpfung der
Kapazitäten
• Sozialer Arbeitsmarkt
38
© Matthias Schulze-Böing, Research, Beratung, Projektmanagement 10.11.2023
FAZIT:
• Bürgergeld: kein Paradigmenwechsel im SGB II
• Enthält Chancen und Risiken
• Erweitert das Konzept einer sozialen
Grundsicherung
• Wird aber nur dann dauerhaft Akzeptanz finden
und den Zusammenhalt stärken, wenn es als
System der Integration in Erwerbsarbeit „liefert“
• und die schleichende Transformation in eine
„bedingungsarme Grundsicherung“ (Jürgen
Schupp, DIW) gestoppt wird.
39
© Matthias Schulze-Böing, Research, Beratung, Projektmanagement 10.11.2023
40
SchulzeBoeing_Research, Beratung, Projekte
Publikationen, Papiere, Analysen:
www.schulzeboeing.de (Downloads) und
www.researchgate.net
Dr. Matthias Schulze-Böing
info@schulzeboeing.de

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  • 2. © Matthias Schulze-Böing, Research, Beratung, Projektmanagement 10.11.2023 Struktur 1. Gefährdeter Zusammenhalt in der Gesellschaft? 2. Sozialpolitik und Umverteilung als Ergebnis und Voraussetzung des Zusammenhalts 3. Die Grundsicherung für Arbeitsuchende – von „Hartz 4“ zum „Bürgergeld“ 4. Auf die Umsetzung kommt es an – Defizite, Herausforderungen, Chancen 2
  • 3. © Matthias Schulze-Böing, Research, Beratung, Projektmanagement 10.11.2023 1. Gesellschaftlicher Zusammenhalt 3
  • 4. © Matthias Schulze-Böing, Research, Beratung, Projektmanagement 10.11.2023 4 Sozialer Zusammenhalt Sozialer Zusammenhalt Sozialer Zusammenhalt Sozialer Zusammenhalt Sozialer Zusammenhalt Sozialer Zusammenhalt Sozialer Zusammenhalt Gesellschaftlicher Zusammenhalt und sozialer Zusammenhalt
  • 5. © Matthias Schulze-Böing, Research, Beratung, Projektmanagement 10.11.2023 5 Gesellschaftlicher Zusammenhalt bezieht sich auf den Zusammenhalt über soziale Schichten, Milieus, Kulturen und Regionen hinweg
  • 6. © Matthias Schulze-Böing, Research, Beratung, Projektmanagement 10.11.2023 6 … und wurde bisher vor allem im nationalen Rahmen realisiert (Rechtseinheit, Wohlfahrtsstaat, Zivilgesellschaft …)
  • 7. © Matthias Schulze-Böing, Research, Beratung, Projektmanagement 10.11.2023 Gesellschaftlicher Zusammenhalt Die aktuellen „Transformationen“ setzen bestehende Formen des Zusammenhalts unter Druck • Decarbonisierung • Digitalisierung • Diversität / „Postmigrantische“ Gesellschaft, soziale Ungleichheit, Kämpfe um Anerkennung • Bedeutungsverlust des Nationalstaats („neo-medieval order“) 7
  • 8. © Matthias Schulze-Böing, Research, Beratung, Projektmanagement 10.11.2023 2. Sozialpolitik und Umverteilung als Ergebnis und Voraussetzung des Zusammenhalts 8
  • 9. © Matthias Schulze-Böing, Research, Beratung, Projektmanagement 10.11.2023 9 Der Sozialstaat - Ergebnis und Voraussetzung gesellschaftlichen Zusammenhalts Bundeshaushalt 2023: 476 Mrd. BMAS: 166 Mrd. Ausgaben für SGB II insgesamt: ca. 47 Mrd
  • 10. © Matthias Schulze-Böing, Research, Beratung, Projektmanagement 10.11.2023 Gesellschaftliche Voraussetzungen des Sozialstaats • Finanzierbarkeit (wachsende Wirtschaft) • Akzeptanz von Umverteilung Voraussetzungen der Akzeptanz von Sozialleistungen • Control: Armut selbst verschuldet oder unverschuldet? • Attitude: Halten die Empfänger von Leistungen die Regeln ein? • Reciprocity: Gibt es eine Gegenleistung? • Identity: Ist der Empfänger „einer von uns“? • Need: Liegt wirklich Bedürftigkeit vor? Nach Wim van Oorschot (2000): Who should get what, and why? On deservingness criteria and the conditionality of solidarity among the public 10
  • 11. © Matthias Schulze-Böing, Research, Beratung, Projektmanagement 10.11.2023 Grundsicherungssysteme als Kernbestandteil gesellschaftlicher Solidarität – globale Trends • „European Pillar of Social Rights“ (Europäische Union, 2017) • Mindestsicherungssysteme als Elemente der Krisenresilienz in Europa (Gutachten für das BMAS, 2023) • Empfehlungen des Rats der Europäischen Union zur Ausgestaltung von Grundsicherungssystemen (2022) - „Benefits of last resort“ - Individualisiert - Sprungbrett zur Integration in den Arbeitsmarkt - Balance von Rechten und Pflichten - Eingebettet in ein System sozialer und arbeitsmarktpolitischer Qualitätsdienstleistungen 11
  • 12. © Matthias Schulze-Böing .2021 SchulzeBoeing_Projekte © Matthias Schulze-Böing 2022
  • 13. © Matthias Schulze-Böing, Research, Beratung, Projektmanagement 10.11.2023 3. Von „Hartz 4“ zum Bürgergeld 13
  • 14. © Matthias Schulze-Böing, Research, Beratung, Projektmanagement 10.11.2023 Rückblick: „Hartz 4“ – eine Erfolgsgeschichte • Überwindung von Politikblockaden, z. B. „Institutionelle Zersplitterung“, „Verschiebebahnhöfe“, Überlastung der Kommunen • Umsetzung des „Activation Turn“ der Sozialpolitik in den 1990er und 2000er Jahren • Realisierung eines integrierten und ganzheitlichen Systems 14
  • 15. © Matthias Schulze-Böing .2021 SchulzeBoeing_Projekte © Matthias Schulze-Böing 2022
  • 16. © Matthias Schulze-Böing .2021 SchulzeBoeing_Projekte © Matthias Schulze-Böing 2022 Deutschland
  • 17. © Matthias Schulze-Böing .2021 SchulzeBoeing_Projekte © Matthias Schulze-Böing 2022
  • 18. © Matthias Schulze-Böing, Research, Beratung, Projektmanagement 10.11.2023 18
  • 19. © Matthias Schulze-Böing, Research, Beratung, Projektmanagement 10.11.2023 Systemarchitektur des SGB II • Ganzheitlicher Klientenbezug – Prinzip Bedarfsgemeinschaft • Integration „passiver“ und „aktiver“ Leistungen • Verknüpfung der Grundsicherung mit der Arbeitsförderung • Integration sozialer Teilhabe • Verbindung von Aktivierung und Befähigung • Einbindung der kommunalen Ebene • Komplexes, aber inkludierendes Governancesystem • Vorbildliches Steuerungssystem / Management by Results 19
  • 20. © Matthias Schulze-Böing, Research, Beratung, Projektmanagement 10.11.2023 Defizite in der Umsetzung des SGB II: • Bedeutung der Qualitätsentwicklung lange unterschätzt • Zunehmende Komplexität des Rechts • Balance von zentraler Koordination und dezentraler Umsetzung nicht immer gesichert • Balance von „passiven“ und „aktiven“ Leistungen nicht erreicht • (….) 20
  • 21. © Matthias Schulze-Böing, Research, Beratung, Projektmanagement 10.11.2023 21 Quelle: Bundesagentur für Arbeit
  • 22. © Matthias Schulze-Böing, Research, Beratung, Projektmanagement 10.11.2023 22 Quelle: Bundesagentur für Arbeit
  • 23. © Matthias Schulze-Böing, Research, Beratung, Projektmanagement 10.11.2023 23 Quelle: BIAJ
  • 24. © Matthias Schulze-Böing, Research, Beratung, Projektmanagement 10.11.2023 24 Quelle: Bundesagentur für Arbeit
  • 25. © Matthias Schulze-Böing, Research, Beratung, Projektmanagement 10.11.2023 Chancen beim Übergang zum Bürgergeld: • Sanktionsregime schlüssiger und rechtlich besser abgesichert (Leistungsminderungen) • Entkrampfung des (Ko-)Produktionsmodells (von EGV zu Kooperationsplan) • Verbesserte Anrechnungsregelungen für Erwerbseinkommen • Impulse für Impact: - Stärkung Weiterbildung - Ganzheitliche Fallbetrachtung - Entfristung Sozialer Arbeitsmarkt • (…) 25
  • 26. © Matthias Schulze-Böing, Research, Beratung, Projektmanagement 10.11.2023 Risiken beim Übergang zum Bürgergeld: • Verschiebung des Schwerpunkts des Systems von „aktiv“ zu „passiv“ • Schwächung von Anreizen zur Aufnahme von Erwerbsarbeit, Verletzung des „Last-Resort“-Prinzips (Freilassung von Vermögen, Karenzzeit bei KdU) • Erweiterung des (gefühlten) Mandats des SGB II, Verlust des Fokus • Keine Impulse für Qualitätsentwicklung • Verlust von Impact • (….) 26
  • 27. © Matthias Schulze-Böing, Research, Beratung, Projektmanagement 10.11.2023 27 Quelle: Bundesagentur für Arbeit, eigene Berechnungen
  • 28. © Matthias Schulze-Böing, Research, Beratung, Projektmanagement 10.11.2023 Risiken bei der Umsetzung des Bürgergeldes: • Austrocknung des Aktivierungsansatzes durch Kürzungen im EGT • Beendung des Sozialen Arbeitsmarktes • Auflösung des Konzepts „Hilfen aus einer Hand“ - Verlagerung U25 - Kindergrundsicherung - Verlagerung FbW • Ad hoc – Politik ohne strategische Perspektive des Bundes (Beispiel „Jobturbo“ / „Flüchtlingsturbo“) 28
  • 29. © Matthias Schulze-Böing, Research, Beratung, Projektmanagement 10.11.2023 4. Auf die Umsetzung kommt es an – Defizite, Herausforderungen, Chancen 29
  • 30. © Matthias Schulze-Böing, Research, Beratung, Projektmanagement 10.11.2023 Gestaltungsaufgabe Bürgergeld: a. Organisations- und Qualitätsentwicklung in Jobcentern weiter im Fokus b. Qualitätsprozesse im „arbeitsmarktpolitischen Dreieck“ organisieren c. Bessere Integration kommunaler Dienste d. Netzwerke, Ko-Produktion und Kollaboration e. Gesamthafter Planungs- und Managementansatz vor Ort 30
  • 31. © Matthias Schulze-Böing, Research, Beratung, Projektmanagement 10.11.2023 Organisations- und Qualitätsentwicklung in Jobcentern: • Weiterentwicklung von Beratungsqualität • Entwicklung der Leistungsberatung- und Verknüpfung von Arbeits-, Sozial- und Leistungsberatung • Entwicklung neuer Beratungsformate - Systemische Beratung - Aufsuchende Beratung - Sozialraumorientierte Beratung • Zeitoptimierung 31
  • 32. © Matthias Schulze-Böing, Research, Beratung, Projektmanagement 10.11.2023 32 Zeitoptimierung (Beispiel) Von Zu
  • 33. © Matthias Schulze-Böing, Research, Beratung, Projektmanagement 10.11.2023 Qualität im „arbeitsmarktpolitischen Dreieck“: • Innovationstreiber • Impactorientierung • Kollaboration und Ko-Produktion • Weiterentwicklung von Netzwerkkomptenz 33
  • 34. © Matthias Schulze-Böing, Research, Beratung, Projektmanagement 10.11.2023 Integration von kommunalen sozialen Diensten: • Dienste oft noch fragmentiert, trotz unablässiger Ganzheitlichkeitsschwüre • Silodenken • Dienste-Integration - eine kommunale Führungsaufgabe • Verbindung von Bottom-Up und Top-Down- Ansätzen 34
  • 35. © Matthias Schulze-Böing, Research, Beratung, Projektmanagement 10.11.2023 35 Quelle: Bundesagentur für Arbeit
  • 36. © Matthias Schulze-Böing, Research, Beratung, Projektmanagement 10.11.2023 Netzwerke und Kollaboration: • Auf dem Weg zu einem „relationalen Sozialstaat“? • Netzwerke über die etablierten Stakeholder hinaus entwickeln, z. B. - zivilgesellschaftliche Organisationen - Migrantenorganisationen - Quartiere • Informalität als Ressource für Problemlösungen • Management von Informalität 36
  • 37. © Matthias Schulze-Böing, Research, Beratung, Projektmanagement 10.11.2023 Gesamthafter Planungs- und Managementansatz: • Organisationsübergreifende Leistungsprozesse planen und steuern • Mix von Beratungsmethoden optimieren • Aktivierung, Befähigung und Qualifizierung zu einem wirksamen Produktionsmodell verknüpfen • Trotz erweitertem Mandat den Fokus des Systems stabilisieren 37
  • 38. © Matthias Schulze-Böing, Research, Beratung, Projektmanagement 10.11.2023 Weitere zentrale Themen: • Berufliche Bildung und Weiterbildung adressatengerecht gestalten (Aufgabe der Arbeitsagenturen?) • Neue Maßnahmestrukturen - regional / überregional - digital / analog / hybrid - Zeitoptimierte Maßnahmebündel • Maßnahmemanagement / Ausschöpfung der Kapazitäten • Sozialer Arbeitsmarkt 38
  • 39. © Matthias Schulze-Böing, Research, Beratung, Projektmanagement 10.11.2023 FAZIT: • Bürgergeld: kein Paradigmenwechsel im SGB II • Enthält Chancen und Risiken • Erweitert das Konzept einer sozialen Grundsicherung • Wird aber nur dann dauerhaft Akzeptanz finden und den Zusammenhalt stärken, wenn es als System der Integration in Erwerbsarbeit „liefert“ • und die schleichende Transformation in eine „bedingungsarme Grundsicherung“ (Jürgen Schupp, DIW) gestoppt wird. 39
  • 40. © Matthias Schulze-Böing, Research, Beratung, Projektmanagement 10.11.2023 40 SchulzeBoeing_Research, Beratung, Projekte Publikationen, Papiere, Analysen: www.schulzeboeing.de (Downloads) und www.researchgate.net Dr. Matthias Schulze-Böing info@schulzeboeing.de