1. Presseinformation
Berlin, 4. August 2009
Alkoholvergiftung schreckt Jugendliche kaum ab
Krankenhauseinweisungen wegen einer Alkoholvergiftung wirken auf Jugendliche
kaum abschreckend. Darauf deutet eine Befragung des Hannoveraner Instituts für
Sozialmedizin, Epidemiologie und Gesundheitssystemforschung (ISEG) im Rahmen
des aktuellen GEK-Report "Krankenhaus 2009" hin. Rund 17 Prozent der Interviewten
geben an, nach einem Klinikaufenthalt wegen Alkoholvergiftung ihr Trinkverhalten
beizubehalten oder zu steigern. 83 Prozent der Jugendlichen trinken eigenen Angaben
zufolge zwar weniger, konsumieren aber immer noch erheblich häufiger und mehr
Alkohol als Jugendliche mit gemäßigtem Alkoholkonsum.
Die Wissenschaftler des ISEG haben 1168 Jugendliche im Alter zwischen 14 und 20 Jahren befragt,
die bei der GEK versichert sind und in den letzten drei Jahren mindestens einmal wegen einer
Alkoholvergiftung im Krankenhaus waren. Außerdem wurde eine repräsentative Vergleichsgruppe aus
1757 Jugendlichen dieser Altersgruppe ohne entsprechende Erfahrung einbezogen. Auswertbare
Fragebögen liegen von insgesamt 577 Jugendlichen (19,8 Prozent) vor.
Wichtigstes Ergebnis des GEK-Report: Krankenhausaufenthalte wegen Alkoholmissbrauch haben nur
begrenzte Effekte auf das anschließende Trinkverhalten. Zwar gaben 83 Prozent der Jugendlichen an,
ihren Alkoholkonsum zu reduzieren. Im Vergleich zur anderen Gruppe trinken sie allerdings immer
noch weit mehr und häufiger: In den letzten 30 Tagen hatten sie deutlich häufiger getrunken (10,5 mal
zu 6,2 mal), pro Trinkgelegenheit mehr alkoholische Getränke konsumiert und exzessives Trinken, so
genanntes "Binge Drinking", häufiger praktiziert (32,4 Prozent zu 13,0 Prozent). Weitere
Charakteristika: Alkohol wird viel öfters bereits vor dem 12. Lebensjahr konsumiert (19,6 Prozent zu
7,5 Prozent) und spielt im Freundeskreis eine zentrale Rolle. Entsprechend nehmen in dieser Gruppe
Partyaktivitäten einen höheren Stellenwert ein. Dr. Eva Bitzer, Autorin des Reports, resümiert:
"Krankenhausaufenthalte haben kaum abschreckende Wirkung."
Die Untersuchung der langfristigen Entwicklung zeigt: Die Behandlungsraten von Mädchen und
Jungen im Alter von 15 bis 19 Jahren weisen seit 1990 kontinuierlich nach oben. Der Anteil der wegen
Alkoholproblemen behandelten Jugendlichen hat sich zwischen 2002 und 2008 verdoppelt - bei
Mädchen stieg die Behandlungsrate von 18 auf 37 pro 10.000 Versicherte, bei gleichaltrigen Jungen
von 24 auf 52 pro 10.000 Versicherte. Seit 1990 stieg die Behandlungsrate von Jungen sogar um den
Faktor 5,5, bei Mädchen um den Faktor 4,8.
Laut Bitzer lässt sich der drastische Anstieg nicht allein dadurch erklären, dass heute Krankenhäuser
schneller in Anspruch genommen werden: "Die Zahlen und Befragungsergebnisse belegen einen
komplexen Trend, der durch die bisherige Diskussion oder vereinzelte gesetzgeberische Maßnahmen
wie die Alkopopsteuer im Jahr 2004 weder gebremst noch umgekehrt werden konnte. Einfache
Präventionsansätze greifen hier zu kurz."
Geplante Alkoholverbote in Innenstädten und Verkaufseinschränkungen bei Tankstellenshops
bewertet GEK Chef Dr. Rolf-Ulrich Schlenker zurückhaltend: "Rauschtrinken darf nicht Trendsport
werden. Einseitige Verbotsstrategien helfen aber auf Dauer nicht weiter. Wir sollten lieber die
Präventionskultur als ein Verbotsklima fördern. Die GEK setzt deshalb auf einen Mix aus
jugendgerechter Information, Sportförderung und jugendärztlicher Betreuung." Schlenker verweist auf
verschiedene Förderprojekte, die Kinder und Jugendliche im eigenen Freizeitumfeld kreativ
ansprechen und positive Erlebnisse jenseits der eigenen oder familiären Suchtproblematik
ermöglichen. Er fordert eine noch engere Zusammenarbeit zwischen Kommunen, Ärzten und
Krankenkassen und regt eine nationale Aufklärungskampagne gegen das Rauschtrinken an.
2. Der diesjährige GEK-Report Krankenhaus belegt auch die anhaltende Entwicklung zu immer kürzeren
Verweildauern und steigenden Fallzahlen im Krankenhaus. Lag der Patient 1990 durchschnittlich
mehr als 13 Tage im Krankenhaus, waren es 2008 nur noch 8,6 Tage - ein Rückgang um mehr als ein
Drittel. Dieser geht vorrangig auf die sinkenden Behandlungszeiten von Krankheiten des Herz-
Kreislauf-Systems zurück, die sich seit 1990 um 41 Prozent reduziert haben. Ein gegenläufiger Trend
zeigt sich allein bei den stationären Behandlungszeiten psychischer Erkrankungen, zu denen auch der
Krankenhausaufenthalt wegen Alkoholvergiftung zählt: Hier ist seit 1990 eine Zunahme von 44
Prozent zu verzeichnen. Bitzer: "Der Strukturwandel im Krankenhaus seit den 1990er Jahren ist
beachtlich, erst recht, wenn wir den Sondereffekt bei den psychischen Störungen aus der Statistik
herausrechnen." Auf die Diagnosen der psychischen Störungen entfielen 2008 16 Prozent aller
stationären Behandlungstage. 1990 hatte ihr Anteil noch 8 Prozent betragen.
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