Programmheft_10-05-25_Academy of St Martin, Perahia.pdf
Musik und Theater ch
1. s t u d i o 61
Das hätte man nun am wenigsten
erwartet: dass Altmeister Nikolaus
Harnoncourt, dem es – laut dem Ti-
tel seines neuesten Buchs – immer
nur um Musik ging, sich mit Lang
Lang, dem wohl populärsten Super-
star der Klassikszene, zusammen-
tut. Und das für zwei Klavierkonzerte
von Mozart, und erst noch zusam-
men mit den Wiener Philharmoni-
kern. Doch schon von den ersten
Takten an wird klar: Beide verstehen
sich vorzüglich, hier geht es in der
Tat um Musik – und um Mozart. Und
beide sind mit einem Feuereifer und
vitalen Impetus bei der Sache, dass
man sich unwillkürlich fragt, wer
eigentlich der Jüngere ist. Harnon-
courts Neigung, den musikalischen
Text mit Affekten aufzuladen und die
Musik mit Leben zu füllen, kommt
dem Ansatz von Lang Lang ideal
entgegen. Umgekehrt strahlt der
Ernst von Harnoncourts Musizieren
(besonders eindrücklich im c-Moll-
Konzert) auch auf den jungen Pia-
nisten ab, der sich von allen ihm oft
angekreideten, effekthascherisch
verspielten Eskapaden fernhält und
sozusagen auf Mozart pur setzt.
Gelegentliche Rubati oder eine un-
erwartete Akzentsetzung dürften
zweifellos Harnoncourts Miteinver-
ständnis haben. Etwas eindimensio-
naler wirkt Lang Langs Mozart allein
in den relativ frühen Klaviersonaten
Nr. 4, 5 und 8. Viel jeu perlé, was
an sich nicht falsch ist, aber etwas
wenig Tiefgang, was vielleicht ein
bisschen auch an den Werken liegt.
Werner Pfister
Mozart: Klavierkonzerte KV 453 und 491,
Klaviersonaten KV 282, 283 und 310.
Lang Lang (Klavier), Wiener Philharmoni-
ker, Nikolaus Harnoncourt.
Sony 88843082522 (2 CDs)
Als neuer Stern am Geigerhimmel
leuchtet der erst 19-jährige Ameri-
kaner Chad Hoopes. In den Staaten
gilt er schon seit Jahren als ech-
tes «Wunderkind» und seit seinem
Debüt beim Gstaader Menuhin
Festival 2009 eroberte er auch die
europäischen Konzertsäle. Mit den
Rundfunk-Sinfonikern des MDR und
deren neuem Chef Kristjan Järvi
hat Hoopes seine Debüt-CD jetzt
mit zwei unterschiedlichen Violin-
konzerten bestückt, die auch seine
stilistische Bandbreite abstecken:
Neben Mendelssohns populärem e-
Moll-Konzert brilliert er mit atembe-
raubender Virtuosität in dem 1993
entstandenen Violinkonzert des
amerikanischen Minimalisten John
Adams. Während er hier oft genug
als einsamer Held gegen die repe-
titiven Strukturen des Orchesters
ankämpfen muss, kann er seinen
wunderbar warmen, leidenschaft-
lich-glühenden Ton in Mendels-
sohns emphatischem Meisterwerk
ungehindert entfalten, sodass man
schon nach wenigen Takten seinem
jugendlichen Feuer, seinem drän-
genden Pathos, seinem fast altmo-
dischen Charisma erliegt. Man spürt
hinter jedem kleinsten Detail seine
grosse, starke Persönlichkeit, sei-
ne gestalterische Souveränität und
eine künstlerische und geigerische
Reife, die den jungen Mann schon
jetzt weit abheben von dem, was
man sonst unter einem «grossen
Talent» versteht. Chad Hoopes ist
jetzt schon ein ganz Grosser.
Attila Csampai
Mendelssohn: Violinkonzert e-Moll, Adams,
Violinkonzert. Chad Hoopes (Violine), MDR-
Sinfonieorchester, Kristjan Järvi.
Naive V 5368
«Die Strassen waren schwarz nicht
vom Dunkel der Nacht allein» raun-
te Kriminalschriftsteller Raymond
Chandler über den metaphysischen
Zustand von Los Angeles. Die Stadt
der oftmals bösen Engel ist fester
Bestandteil der amerikanischen Kul-
turgeschichte, Tatort und Lebensart
zugleich. «City Noir» ist die Musik
zum imaginären Film Noir, den John
Adams in seinem Kopf drehte als er
Kevin Starrs Kulturgeschichte Kali-
forniens las. Sein dreiteiliges, gross
besetztes Orchesterstück ist vieles
zugleich: Komplexes Schaustück,
Hommage an den körnigen, schrill-
schmutzigen Filmjazz der 1940er-
Jahre und grosses John Adams-Ki-
no. Kino? Seine Musik hat nichts mit
Filmmusik zu tun, auch wenn hin
und wieder eine coole schattenhafte
Jazzphrase über die windige Stras-
se weht. Blechern wuchtig, nervös
und schillernd wie ein filmisch ver-
folgter Spaziergang über den Sunset
Boulevard oder durch Bunker Hill in
den späten 40er-Jahren, zieht das
Stück in den Bann und schlängelt
sich auf 35 Minuten zum furiosen,
wirklich atemberaubenden Finale.
«City Noir» ist Teil eines Triptychons,
das mit Adams Orchesterfantasien
«El Dorado» und «The Dharma at
Big Sur» so etwas wie eine klingen-
de Reise zu den popkulturellen und
geschichtlichen Orten Kaliforniens.
Wie bestellt dazu: Das elegante und
virtuose Saxophonkonzert spielt mit
den Farben, Skalen und bluesigen
Temperament des sonoren Grenz-
gängers aus Jazz und Klassik.
Sven Ahnert
John Adams: «City Noir». Saxophonkonzert.
Timothy McAllister (Saxophon), St. Louis
Symphony, David Robertson
Warner Music 0075597956443
Gekonnt gestriegelt, aber wider-
borstig ist die Kammermusik für
Cello von Paul Hindemith, nicht
unbedingt der Form nach, sondern
in Tongebung und Stimmführung.
An diesem Klangtemperament ori-
entiert sich Judith Ermert, indem
sie burleske Elemente im Capriccio
und erst recht rustikale Timbres im
Scherzo der «Drei Stücke für Cello
und Klavier» op. 8 (1917) akzentu-
iert, von Daan Vandewalle gerade in
der Cello-Kantilene à la Chanson des
Fantasiestücks adäquat dialogisch
ergänzt. Dichte Cello-Motivnetze
der Sonate op. 11 (1919) kommen
so gerade wegen des verzwickten
Klavierparts in aufregende Vibrati-
onen. Noch gesteigert in den selt-
sam-pittoresken Variationen zum
alt-englischen Kinderlied «A frog he
went a-courting» (1941) mit extre-
men Kontrasten von provokantem,
lyrischem und desperatem Duktus.
Ein Charakteristikum auch in der
Sonate für Solo-Cello (1922), deren
verschlungenen Klangdschungel
etwa in den Rubato-Wankungen
des zweiten und dem intensiven La-
mento des dritten Satzes Judith Er-
mert sehr sicher und sonor intoniert.
Das Spektrum von neobarocker bis
progressiver Stilistik an der Grenze
zur Avantgarde ist in diesem eigen-
willigen Cello-Repertoire vorzüglich
balanciert und perfekt dargestellt.
Hans-Dieter Grünefeld
Paul Hindemith: Werke für Cello solo und
Cello und Klavier. Judith Ermert (Cello),
Daan Vandewalle (Klavier).
Fuga Libera 713
Lang Lang meets
Harnoncourt
Sensationelles Debüt Ganz schön dunkel Widerborstig