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Paten für Kinder in Esmeraldas/San Lorenzo e.V.
Mönchstr. 43, 33790 Halle IBAN: DE97 4805 1580 0000 0396 85
Tel.: 05201-9892 Swift-BIC: WELADED1HAW
e-mail: Paten-fuer-Kinder@web.de GläubigerIdent.-Nr.: DE33ZZZ00000073580
Links:
https://www.slideshare.net/EcoClub-San-Lorenzo http://vimeo.com/86573541
www.facebook.com/EcoClub.SanLorenzo https://www.bildungsspender.de/ecoclub
II – 2021
Im letzten Rundbrief hatten wir ja schon geschrieben, dass wir nach 25 Jahren die Projektstruktu-
ren und Aktivitäten auf den Prüfstand stellen müssen, um eine auf die heutigen Bedürfnisse und
Lebensrealitäten angepasste Unterstützung und Förderung anbieten zu können.
Ana Luzmélida Ávila Ávila, Walter Iván Carrillo Darquea und unsere Mitarbeiterin Daniela Peña
haben diese Aufgabe übernommen, um einen Plan für die nächsten zwei bis drei Jahre zu entwi-
ckeln, an dem sich unsere Mitarbeiterinnen vor Ort orientieren können. Zuerst haben sie in einer
partizipativen Umfrage unter den Kindern, Jugendlichen, Müttern und Mitarbeiter*innen des Eco-
Clubs Bestandsaufnahme gemacht.
Einige Beiträge und Erkenntnisse daraus geben uns einen tiefen Einblick in die Situation in San
Lorenzo, daher wollen wir sie hier in Auszügen und frei übersetzt wiedergeben.
Unsere Mitarbeiterinnen Sofia und Veronica sagten, dass sich fast 50 % der Familien aufgrund der
Pandemie zurückgezogen haben. Viele von ihnen werden ihrer Einschätzung nach nicht in den
EcoClub zurückkehren, da sie sich Arbeit auf dem Land gesucht und San Lorenzo den Rücken
gekehrt haben – aus der schieren Existenznot, die auch oder insbesondere nicht durch unser Pro-
jekt aufgefangen werden konnte.
Beim darauffolgenden Workshop mit den Müttern des Projektes sollten sie sich nicht nur mit ihrem
Namen vorstellen, sondern auch mit einer ihrer positiven Eigenschaften. Übereinstimmend sagten
viele: „Wir Frauen von San Lorenzo sind Kämpferinnen. Wir geben nicht auf. Es ist schwierig, aber
letztlich hat alles einen gewissen Schwierigkeitsgrad.“
Die Moderatoren des Workshops fragten, wie und warum man den EcoClub stärken sollte. „Auf
diese Weise stärken wir die Familie.“ antwortete eine der Frauen.
Eine Mutter erzählte betroffen, dass ihre Tochter sich mit schlechten Freunden eingelassen hat
und dass sie selbst einen Punkt erreicht hat, dass sie die Hand gegen ihre Tochter erhoben hat.
Diese Geschichte regte alle zum Nachdenken über die Grenzen und die Rollen der einzelnen Fa-
milienmitglieder an.
Die Situation der Familien in San Lorenzo ist komplex, das kann man schon an diesen beiden
Beispielen mit etwas Gänsehaut erkennen.
Die anwesenden Mütter gaben an, dass es eine große Hilfe sei, dem Ecoclub anzugehören.
Als unverzichtbar sehen sie das Mittagessen und die Spiel- und Freizeitaktivitäten.
Für sich selbst wünschen sie sich Fortbildung in Handwerk und Gastronomie und im Bereich
Mikrokredit und möchten weiterhin mit Tanz, Musik und Gestalttherapie lernen, ihre persönlichen
Stärken zu entdecken und zu entfalten.
Die Kinder konnten bei ihren Workshops zwischen drei Gruppen wählen, die sich in den Aus-
drucksmöglichkeiten unterschieden:
Eine Gruppe hat ein Plakat gestaltet. Zu sehen sind Tänzer und Musiker, denn diese Aktivitäten
genießen sie besonders. Die Monate des Lockdowns waren für ihre Familien sehr schwierig, wie
sie beschrieben, und sie hoffen, dass der EcoClub mit dem Mittagstisch wieder öffnet. Eines der
Mädchen sagte, dass alle Workshops, die im EcoClub angeboten werden, wertvoll für die Ge-
meinschaft sind.
Workshop für die Kinder Sonne der guten Wünsche
Die zweite Gruppe hat mit einer Sonne der Wünsche versucht, die Emotionen in Bezug auf ihren
Lebensalltag und auf den Ecoclub, darzustellen. Dabei haben die Kinder im ersten Schritt die
Probleme benannt:
- Junge Menschen, die Drogen konsumieren
- Alkoholismus in der Familie
- Menschen verschmutzen den Fluss und werfen ihren Müll überall hin
- viele Diebstähle
- Menschen werden bedroht
- Es fehlt das Mittagessen, das sie früher im EcoClub erhielten
- Freunde haben die Schule aus finanziellen Gründen oder mangelnder Motivation abgebro-
chen
Im zweiten Schritt formulierten sie ihre Wünsche:
- Glücklichere Familien
- Die Raucher und Drogenabhängigen sollen verschwinden
- Kein Alkohol mehr
- Ein sauberer Fluss, in dem man schwimmen kann
- Dass junge Menschen gefördert werden und sich nicht selbst mit Alkohol und Drogen schä-
digen
- Weiter lernen und studieren
- Marimba und Tanz im EcoClub fortführen
Die dritte Gruppe arbeitete in Form einer Radiosendung und führte Interviews durch.
Diese Gruppe hat sich bewusst dieses Format ausgesucht und sehr konkrete Vorschläge für Akti-
vitäten in diese Richtung: Weiterbildung in Fotografie, Audio- und Videobearbeitung sowie Tipps
und Beratung, wie man in den sozialen Medien kommuniziert und veröffentlicht. Was sie dafür
benötigen, stellten sie auch direkt in einer Liste zusammen: einen Computer, eine Kamera sowie
ein Computerprogramm für Audio- und Videobearbeitung.
Alle drei Arbeitsgruppen hoben die Bedeutung der musischen und künstlerischen Arbeit im Eco-
Club hervor. Platz zu haben, um Freunde und Bekannte zu treffen oder neu zu finden und ge-
meinsam Musik- und Kunstprojekte zu realisieren, das ist in ihren Augen das Wertvollste am Eco-
Club.
Gleichzeitig beschreiben sie, dass sie sich teilweise ziellos fühlen und nicht motiviert, ihre Schul-
laufbahn fortzusetzen. Kritisch beschreiben sie ihre Lehrer*innen, die sie manchmal auch körper-
lich zurechtweisen, wenn sie z.B. ihre Hausaufgaben nicht machen.
Was kann man aus diesen - und vielen anderen Aussagen und Beiträgen nun für konkrete Er-
kenntnisse gewinnen, wenn es darum geht, Potenziale, Bedürfnisse und bestehende Probleme zu
ermitteln und daraus grundlegende Entscheidungen für die Entwicklung des Projekts zu treffen?
Bestätigt wurde noch einmal: Der Ecoclub ist zu einem sicheren Raum und einem Treffpunkt für
die Kinder geworden. Am meisten begeistern Tanz, Musik und Kunst.
Wie gut das Musikprojekt läuft, haben wir immer wieder gesehen und berichtet. Am 25. Juni wurde
die Marimbagruppe zu einem Auftritt bei der Gastronomie Messe im Stadtzentrum eingeladen und
hat als Dank Präsentkörbe bekommen. Eine weitere Einladung zu den Festivitäten am Unabhän-
gigkeitstag folgte und die Kinder waren sehr stolz, dass sie sogar den Bürgermeister und die Vi-
zebürgermeisterin von San Lorenzo vor großem Publikum mit ihrer Vorführung von den Sitzen
gerissen hat und beide zu einer Tanzeinlage verführt haben.
Und das war nur die Generalprobe, denn im Oktober wird nun tatsächlich ein kleiner Traum wahr:
Die Kinder und Jugendlichen werden nach Quito fahren und auf ganz großer Bühne Marimba tan-
zen und Musik machen. Pablo Hermida, der damals den Bau des EcoClub federführend geleitet
hat und jetzt beim Dreh der Videos wieder in San Lorenzo war, hat ein vom ecuadorianischen
Staat ausgeschriebenes Budget bewilligt bekommen und in seinem Antrag diesen Auftritt mit ein-
geschlossen. Das wird wohl ein Ereignis, dass die Teilnehmenden ihr Leben lang nicht vergessen!
Die Videos aus dem Frühjahr sollen darüber hinaus zur Wiederbelebung des kulturellen und histo-
rischen Gedächtnisses von San Lorenzo beitragen und die reiche Tradition an Tänzen, Sagen und
Bräuchen im Ort und darüber hinaus bekannt machen.
Überraschender in allen intensiven Reflexionsprozessen war für uns, dass empfohlen wird, den
Mittagstisch und die Unterstützung beim schulischen Lernen quasi unverändert fortzuführen. Na-
hegelegt wird allerdings die Gruppengröße auf 15-20 Kinder jeweils morgens und nachmittags zu
verkleinern, damit die Betreuung individueller und engmaschiger erfolgen kann.
Hingewiesen wurde darauf, dass ein für alle eindeutiges und verbindliches Regelwerk zum Verhal-
ten und zur Organisation im EcoClub fehlt. Schwarz auf weiß muss dort z.B. definiert sein, dass
der EcoClub ein absolut gewaltfreier Ort ist, Gewalt von keiner Seite und unter keinen Umständen
toleriert wird und der EcoClub eine Kultur der Harmonie, des friedlichen Miteinanders und der
Umarmung lebt.
Wer sich nicht an die Regeln hält, muss aufgefordert werden, den EcoClub zu verlassen. Das
Verhalten der einzelnen Mitglieder soll mit Hilfe von Kritik und Selbstkritik reflektiert werden. Mit
der Erstellung des Regelwerks wird im September begonnen. Hintergrund sind nicht konkrete
Probleme im EcoClub, sondern dass gegen alle Formen der Gewalt viel strikter durch ein für alle
sichtbares Regelwerk sensibilisiert werden soll.
Weitere Resultate der Erhebungen:
Zum Erwerb von Wissen, Kenntnissen und Fertigkeiten u.a. für die Arbeitswelt muss noch mehr in
Fort- und Weiterbildung investiert werden. Dafür soll die Bandbreite an Kursen erweitert werden,
etwa mit Pädagogik, Kunsthandwerk und Nähen. Andererseits soll die persönliche Entwicklung
und die Entwicklung von Lebenskompetenzen nicht zu kurz kommen, die durch Kunst- und Ge-
stalttherapie, Marimba-, Percussion- und Tanzworkshops angeregt wird. Diana und Malena haben
nach den bedauerlichen Erlebnissen im Frühjahr zunächst eine Testphase von vier Monaten an-
gedacht. Am Jahresende entscheiden sie dann, ob daraus ein weiteres Jahr wird.
Nach beinahe fünf Jahren wird unsere Mitarbeiterin Daniela Peña den EcoClub verlassen.
Die Tätigkeit hat sie in den letzten Jahren viel Energie, Kraft und Zeit gekostet und ist peu á peu
deutlich über eine halbe Stelle hinausgewachsen. Aufgrund ihres Engagements und ihrer Fähig-
keiten im musischen Bereich hat sie dem EcoClub einen deutlichen Schub in diese Richtung ge-
geben und ihn so geprägt, wie wir ihn jetzt sehen. Dank ihrer Kompetenz hat sie überaus effizient
und wirksam gearbeitet.
Kritisch ist aber zu sehen, wie viel Verantwortung und Arbeitslast hier bei einer einzigen Person
liegt. Die Berater merken an, dass die verantwortliche Leitung notwendigerweise bei den einzel-
nen Personen liegen muss, die für eine Gruppe von Kindern und Jugendlichen zuständig sind. Sie
sind in ihrem Rahmen die Leiter ihrer Gruppen und als solche sollten sie auch agieren, selber kre-
ativ und engagiert sein und die Beteiligung anderer fördern. Um Überlastung und Überforderung
einzelner Personen zu vermeiden, ist kollektive Führung und Teamarbeit von zentraler Bedeutung.
Dies setzt einen organisatorischen Kontext voraus, der die Beteiligung aller begünstigt. In diesem
neuen Konzept sind Führung und Organisation untrennbare Faktoren für das Funktionieren der
Gemeinschaftsorganisation EcoClub.
Dafür bedarf es Fortbildung – und einer gemeinsamen Vision. Es muss ein gemeinsamer Traum
sein, der auf dem festen Glauben an eine mögliche Veränderung im Leben der Ecoclub-Mitglieder
beruht und nicht ein fatales und deterministisches Schicksal akzeptiert. Da setzen wir auf die Müt-
ter, die kämpferischen Frauen aus San Lorenzo, die nicht aufgeben.
Just beim Fertigstellen dieses sehr umfangreichen Berichtes haben wir ein ganz wundervolles
Gespräch mit allen unseren Mitarbeitenden in San Lorenzo gehabt und sind nun voll positiver
Emotion, dass sich das oben Geschilderte in der mittelfristigen Zukunft umsetzen lassen wird.
„Die menschliche Welt ist eine Welt der Kommunikation.“ steht im Bericht der Berater. Auch in
diesem Feld war Daniela bisher mehr oder weniger als Einzelkämpferin tätig und hat den Face-
book Account immer wieder aktualisiert und mit Fotos bestückt. Hier ist ebenfalls mehr Beteiligung
gefragt: „Kommunikation findet nur in der Mitwirkung der Subjekte statt, sonst degradiert sie sie zu
Objekten, die durch Strategien oder Werbung manipuliert werden und nicht in der Lage sind, ihre
eigenen Gedanken, Gefühle und Handlungen zu äußern.“ schrieben die Berater in ihrem Bericht.
„Entwerfen Sie eine kommunale Werbetafel. Gestalten Sie eine Seite in sozialen Netzwerken, Fa-
cebook, Instagram ...“
Prädestiniert ist die dritte Gruppe der Kinder und Jugendlichen, die starkes Interesse für Foto, Au-
dio und Video geäußert hat und sich nach Weiterbildung in diesem Bereich austoben kann.
Es gibt also viele neue Ansätze und Impulse und es bleibt spannend!
Wir sind froh, dass Sie dabei sind!
Viele Grüße
Anne Mette und Marion Weeke

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  • 1. Paten für Kinder in Esmeraldas/San Lorenzo e.V. Mönchstr. 43, 33790 Halle IBAN: DE97 4805 1580 0000 0396 85 Tel.: 05201-9892 Swift-BIC: WELADED1HAW e-mail: Paten-fuer-Kinder@web.de GläubigerIdent.-Nr.: DE33ZZZ00000073580 Links: https://www.slideshare.net/EcoClub-San-Lorenzo http://vimeo.com/86573541 www.facebook.com/EcoClub.SanLorenzo https://www.bildungsspender.de/ecoclub II – 2021 Im letzten Rundbrief hatten wir ja schon geschrieben, dass wir nach 25 Jahren die Projektstruktu- ren und Aktivitäten auf den Prüfstand stellen müssen, um eine auf die heutigen Bedürfnisse und Lebensrealitäten angepasste Unterstützung und Förderung anbieten zu können. Ana Luzmélida Ávila Ávila, Walter Iván Carrillo Darquea und unsere Mitarbeiterin Daniela Peña haben diese Aufgabe übernommen, um einen Plan für die nächsten zwei bis drei Jahre zu entwi- ckeln, an dem sich unsere Mitarbeiterinnen vor Ort orientieren können. Zuerst haben sie in einer partizipativen Umfrage unter den Kindern, Jugendlichen, Müttern und Mitarbeiter*innen des Eco- Clubs Bestandsaufnahme gemacht. Einige Beiträge und Erkenntnisse daraus geben uns einen tiefen Einblick in die Situation in San Lorenzo, daher wollen wir sie hier in Auszügen und frei übersetzt wiedergeben. Unsere Mitarbeiterinnen Sofia und Veronica sagten, dass sich fast 50 % der Familien aufgrund der Pandemie zurückgezogen haben. Viele von ihnen werden ihrer Einschätzung nach nicht in den EcoClub zurückkehren, da sie sich Arbeit auf dem Land gesucht und San Lorenzo den Rücken gekehrt haben – aus der schieren Existenznot, die auch oder insbesondere nicht durch unser Pro- jekt aufgefangen werden konnte. Beim darauffolgenden Workshop mit den Müttern des Projektes sollten sie sich nicht nur mit ihrem Namen vorstellen, sondern auch mit einer ihrer positiven Eigenschaften. Übereinstimmend sagten viele: „Wir Frauen von San Lorenzo sind Kämpferinnen. Wir geben nicht auf. Es ist schwierig, aber letztlich hat alles einen gewissen Schwierigkeitsgrad.“ Die Moderatoren des Workshops fragten, wie und warum man den EcoClub stärken sollte. „Auf diese Weise stärken wir die Familie.“ antwortete eine der Frauen. Eine Mutter erzählte betroffen, dass ihre Tochter sich mit schlechten Freunden eingelassen hat und dass sie selbst einen Punkt erreicht hat, dass sie die Hand gegen ihre Tochter erhoben hat. Diese Geschichte regte alle zum Nachdenken über die Grenzen und die Rollen der einzelnen Fa- milienmitglieder an. Die Situation der Familien in San Lorenzo ist komplex, das kann man schon an diesen beiden Beispielen mit etwas Gänsehaut erkennen. Die anwesenden Mütter gaben an, dass es eine große Hilfe sei, dem Ecoclub anzugehören. Als unverzichtbar sehen sie das Mittagessen und die Spiel- und Freizeitaktivitäten. Für sich selbst wünschen sie sich Fortbildung in Handwerk und Gastronomie und im Bereich Mikrokredit und möchten weiterhin mit Tanz, Musik und Gestalttherapie lernen, ihre persönlichen Stärken zu entdecken und zu entfalten. Die Kinder konnten bei ihren Workshops zwischen drei Gruppen wählen, die sich in den Aus- drucksmöglichkeiten unterschieden: Eine Gruppe hat ein Plakat gestaltet. Zu sehen sind Tänzer und Musiker, denn diese Aktivitäten genießen sie besonders. Die Monate des Lockdowns waren für ihre Familien sehr schwierig, wie sie beschrieben, und sie hoffen, dass der EcoClub mit dem Mittagstisch wieder öffnet. Eines der Mädchen sagte, dass alle Workshops, die im EcoClub angeboten werden, wertvoll für die Ge- meinschaft sind.
  • 2. Workshop für die Kinder Sonne der guten Wünsche Die zweite Gruppe hat mit einer Sonne der Wünsche versucht, die Emotionen in Bezug auf ihren Lebensalltag und auf den Ecoclub, darzustellen. Dabei haben die Kinder im ersten Schritt die Probleme benannt: - Junge Menschen, die Drogen konsumieren - Alkoholismus in der Familie - Menschen verschmutzen den Fluss und werfen ihren Müll überall hin - viele Diebstähle - Menschen werden bedroht - Es fehlt das Mittagessen, das sie früher im EcoClub erhielten - Freunde haben die Schule aus finanziellen Gründen oder mangelnder Motivation abgebro- chen Im zweiten Schritt formulierten sie ihre Wünsche: - Glücklichere Familien - Die Raucher und Drogenabhängigen sollen verschwinden - Kein Alkohol mehr - Ein sauberer Fluss, in dem man schwimmen kann - Dass junge Menschen gefördert werden und sich nicht selbst mit Alkohol und Drogen schä- digen - Weiter lernen und studieren - Marimba und Tanz im EcoClub fortführen Die dritte Gruppe arbeitete in Form einer Radiosendung und führte Interviews durch. Diese Gruppe hat sich bewusst dieses Format ausgesucht und sehr konkrete Vorschläge für Akti- vitäten in diese Richtung: Weiterbildung in Fotografie, Audio- und Videobearbeitung sowie Tipps und Beratung, wie man in den sozialen Medien kommuniziert und veröffentlicht. Was sie dafür benötigen, stellten sie auch direkt in einer Liste zusammen: einen Computer, eine Kamera sowie ein Computerprogramm für Audio- und Videobearbeitung. Alle drei Arbeitsgruppen hoben die Bedeutung der musischen und künstlerischen Arbeit im Eco- Club hervor. Platz zu haben, um Freunde und Bekannte zu treffen oder neu zu finden und ge- meinsam Musik- und Kunstprojekte zu realisieren, das ist in ihren Augen das Wertvollste am Eco- Club. Gleichzeitig beschreiben sie, dass sie sich teilweise ziellos fühlen und nicht motiviert, ihre Schul- laufbahn fortzusetzen. Kritisch beschreiben sie ihre Lehrer*innen, die sie manchmal auch körper- lich zurechtweisen, wenn sie z.B. ihre Hausaufgaben nicht machen.
  • 3. Was kann man aus diesen - und vielen anderen Aussagen und Beiträgen nun für konkrete Er- kenntnisse gewinnen, wenn es darum geht, Potenziale, Bedürfnisse und bestehende Probleme zu ermitteln und daraus grundlegende Entscheidungen für die Entwicklung des Projekts zu treffen? Bestätigt wurde noch einmal: Der Ecoclub ist zu einem sicheren Raum und einem Treffpunkt für die Kinder geworden. Am meisten begeistern Tanz, Musik und Kunst. Wie gut das Musikprojekt läuft, haben wir immer wieder gesehen und berichtet. Am 25. Juni wurde die Marimbagruppe zu einem Auftritt bei der Gastronomie Messe im Stadtzentrum eingeladen und hat als Dank Präsentkörbe bekommen. Eine weitere Einladung zu den Festivitäten am Unabhän- gigkeitstag folgte und die Kinder waren sehr stolz, dass sie sogar den Bürgermeister und die Vi- zebürgermeisterin von San Lorenzo vor großem Publikum mit ihrer Vorführung von den Sitzen gerissen hat und beide zu einer Tanzeinlage verführt haben. Und das war nur die Generalprobe, denn im Oktober wird nun tatsächlich ein kleiner Traum wahr: Die Kinder und Jugendlichen werden nach Quito fahren und auf ganz großer Bühne Marimba tan- zen und Musik machen. Pablo Hermida, der damals den Bau des EcoClub federführend geleitet hat und jetzt beim Dreh der Videos wieder in San Lorenzo war, hat ein vom ecuadorianischen Staat ausgeschriebenes Budget bewilligt bekommen und in seinem Antrag diesen Auftritt mit ein- geschlossen. Das wird wohl ein Ereignis, dass die Teilnehmenden ihr Leben lang nicht vergessen! Die Videos aus dem Frühjahr sollen darüber hinaus zur Wiederbelebung des kulturellen und histo- rischen Gedächtnisses von San Lorenzo beitragen und die reiche Tradition an Tänzen, Sagen und Bräuchen im Ort und darüber hinaus bekannt machen. Überraschender in allen intensiven Reflexionsprozessen war für uns, dass empfohlen wird, den Mittagstisch und die Unterstützung beim schulischen Lernen quasi unverändert fortzuführen. Na- hegelegt wird allerdings die Gruppengröße auf 15-20 Kinder jeweils morgens und nachmittags zu verkleinern, damit die Betreuung individueller und engmaschiger erfolgen kann. Hingewiesen wurde darauf, dass ein für alle eindeutiges und verbindliches Regelwerk zum Verhal- ten und zur Organisation im EcoClub fehlt. Schwarz auf weiß muss dort z.B. definiert sein, dass der EcoClub ein absolut gewaltfreier Ort ist, Gewalt von keiner Seite und unter keinen Umständen toleriert wird und der EcoClub eine Kultur der Harmonie, des friedlichen Miteinanders und der Umarmung lebt. Wer sich nicht an die Regeln hält, muss aufgefordert werden, den EcoClub zu verlassen. Das Verhalten der einzelnen Mitglieder soll mit Hilfe von Kritik und Selbstkritik reflektiert werden. Mit
  • 4. der Erstellung des Regelwerks wird im September begonnen. Hintergrund sind nicht konkrete Probleme im EcoClub, sondern dass gegen alle Formen der Gewalt viel strikter durch ein für alle sichtbares Regelwerk sensibilisiert werden soll. Weitere Resultate der Erhebungen: Zum Erwerb von Wissen, Kenntnissen und Fertigkeiten u.a. für die Arbeitswelt muss noch mehr in Fort- und Weiterbildung investiert werden. Dafür soll die Bandbreite an Kursen erweitert werden, etwa mit Pädagogik, Kunsthandwerk und Nähen. Andererseits soll die persönliche Entwicklung und die Entwicklung von Lebenskompetenzen nicht zu kurz kommen, die durch Kunst- und Ge- stalttherapie, Marimba-, Percussion- und Tanzworkshops angeregt wird. Diana und Malena haben nach den bedauerlichen Erlebnissen im Frühjahr zunächst eine Testphase von vier Monaten an- gedacht. Am Jahresende entscheiden sie dann, ob daraus ein weiteres Jahr wird. Nach beinahe fünf Jahren wird unsere Mitarbeiterin Daniela Peña den EcoClub verlassen. Die Tätigkeit hat sie in den letzten Jahren viel Energie, Kraft und Zeit gekostet und ist peu á peu deutlich über eine halbe Stelle hinausgewachsen. Aufgrund ihres Engagements und ihrer Fähig- keiten im musischen Bereich hat sie dem EcoClub einen deutlichen Schub in diese Richtung ge- geben und ihn so geprägt, wie wir ihn jetzt sehen. Dank ihrer Kompetenz hat sie überaus effizient und wirksam gearbeitet. Kritisch ist aber zu sehen, wie viel Verantwortung und Arbeitslast hier bei einer einzigen Person liegt. Die Berater merken an, dass die verantwortliche Leitung notwendigerweise bei den einzel- nen Personen liegen muss, die für eine Gruppe von Kindern und Jugendlichen zuständig sind. Sie sind in ihrem Rahmen die Leiter ihrer Gruppen und als solche sollten sie auch agieren, selber kre- ativ und engagiert sein und die Beteiligung anderer fördern. Um Überlastung und Überforderung einzelner Personen zu vermeiden, ist kollektive Führung und Teamarbeit von zentraler Bedeutung. Dies setzt einen organisatorischen Kontext voraus, der die Beteiligung aller begünstigt. In diesem neuen Konzept sind Führung und Organisation untrennbare Faktoren für das Funktionieren der Gemeinschaftsorganisation EcoClub. Dafür bedarf es Fortbildung – und einer gemeinsamen Vision. Es muss ein gemeinsamer Traum sein, der auf dem festen Glauben an eine mögliche Veränderung im Leben der Ecoclub-Mitglieder beruht und nicht ein fatales und deterministisches Schicksal akzeptiert. Da setzen wir auf die Müt- ter, die kämpferischen Frauen aus San Lorenzo, die nicht aufgeben. Just beim Fertigstellen dieses sehr umfangreichen Berichtes haben wir ein ganz wundervolles Gespräch mit allen unseren Mitarbeitenden in San Lorenzo gehabt und sind nun voll positiver Emotion, dass sich das oben Geschilderte in der mittelfristigen Zukunft umsetzen lassen wird. „Die menschliche Welt ist eine Welt der Kommunikation.“ steht im Bericht der Berater. Auch in diesem Feld war Daniela bisher mehr oder weniger als Einzelkämpferin tätig und hat den Face- book Account immer wieder aktualisiert und mit Fotos bestückt. Hier ist ebenfalls mehr Beteiligung gefragt: „Kommunikation findet nur in der Mitwirkung der Subjekte statt, sonst degradiert sie sie zu Objekten, die durch Strategien oder Werbung manipuliert werden und nicht in der Lage sind, ihre eigenen Gedanken, Gefühle und Handlungen zu äußern.“ schrieben die Berater in ihrem Bericht. „Entwerfen Sie eine kommunale Werbetafel. Gestalten Sie eine Seite in sozialen Netzwerken, Fa- cebook, Instagram ...“ Prädestiniert ist die dritte Gruppe der Kinder und Jugendlichen, die starkes Interesse für Foto, Au- dio und Video geäußert hat und sich nach Weiterbildung in diesem Bereich austoben kann. Es gibt also viele neue Ansätze und Impulse und es bleibt spannend! Wir sind froh, dass Sie dabei sind! Viele Grüße Anne Mette und Marion Weeke