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Dr. Achim Gmilkowsky: Vertragsgestaltung für Fotografen, Teil 1
Dr. Eckhard Braun: Prinzipien staatlicher Kunstförderung
1. F 2.8
Prinzipien staatlicher Kunstförderung
Dr. Eckhard Braun
Staatliche Kunstförderung in Deutschland und in den Ländern der EU unterliegt dem jeweils gel-
tenden Verfassungsrecht. Aus ihm lassen sich Prinzipien (Maßstäbe) ableiten, welche sowohl den
Schutzbereich der Kunstfreiheit wie auch Umfang und Maß des Förderauftrags und der Gestal-
tungskompetenz des Staates auf dem Gebiet der Kunst bestimmen. Solche Prinzipien setzen einen
Ordnungsrahmen für die Praxis staatlicher Kunstförderung. Es geht konkret darum, dass staatliches
Handeln angemessen neutral gegenüber den autonomen und pluralen Erscheinungsformen der
Kunst auftritt und gleichzeitig die Interessen des Gemeinwohls verfolgt, weiterhin, dass es subsidiär
ist und bestimmte Standards in Organisation und Verfahren staatlicher Kunstförderung einhält.
Gliederung Seite
1. Einleitung 2
2. Neutralität 5
3. Autonomie 9
4. Pluralität 16
5. Gemeinwohlinteresse und staatlicher Auftrag 19
6. Subsidiarität 24
7. Organisations- und Verfahrensstandards 27
8. Abschluss mit Prüfschema 30
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2. F 2.8 Finanzierung und Förderung
Öffentliche Kulturförderung
1. Einleitung
Staat und Kultur Staatliches Handeln unterliegt dem gesetzten Recht. Dies dient in der
modernen Demokratie der Freiheitssicherung der Individuen und der
gesellschaftlichen Gruppen, die sich freilich nicht gegen den Staat,
sondern in ihm und durch ihn organisieren. Die Kultur einer Gesell-
schaft ist im Idealfall identisch mit der Kultur ihres Staates, die zu
schützen und zu fördern wiederum staatliche Aufgabe ist. Vorausset-
zung dieses Staats- und Gesellschaftsbildes ist, dass der Staat gegen-
über den vielfältigen (pluralen) Erscheinungsformen seiner eigenen
Kultur nicht indifferent oder distanziert, sondern positiv, wohlwollend,
bejahend sowie gegenüber Haltungen, die von den Grund- und Frei-
heitsrechten abweichen, selbstbewusst tolerant auftritt, gegebenenfalls
auch wehrhaft, wenn es um die Verteidigung der auf den Verfas-
sungswerten aufbauenden Rechtskultur geht. Denn der Staat, der die
Werte der Freiheit und der Menschenwürde achtet, ist durch das Tole-
ranzgebot (bspw. Meinungsfreiheit / Art. 5 Abs. 1 GG) verpflichtet,
fremde Meinungen, Lebenseinstellungen und Kulturen zu respektieren
und ihnen Schutz zu gewähren, solange sie nicht aktiv gegen diesen
Staat agieren und seine Gesetze verletzen.
Kunstfreiheitsgarantie Einer der nicht nur (tolerant) zu schützenden, sondern auch aktiv zu
fördernden Freiheitswerte ist die im deutschen Grundgesetz speziell
geregelte Kunstfreiheit gemäß Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG mit dem (hier
verkürzt wiedergegebenen) Wortlaut: „[Die] Kunst [ist] frei“. Diese
Kunstfreiheitsgarantie hat einen besonderen Freiheitsstatus, der durch
allgemeine Gesetze nicht eingeschränkt werden kann. Lediglich die
durch andere Grundrechte entstehenden immanenten Schranken be-
stimmen nach Abwägung betroffener Rechtsgüter die Grenzen künst-
lerischen Handelns, künstlerischer Aussage und Rezeption.1
Inhalt der Kunstfreiheit Nun stellt sich die Frage, was genau durch diese Kunstfreiheit garan-
tiert wird bzw. was konkret geschützt oder gefördert werden muss.
Mit anderen Worten: Was ist Inhalt der Kunstfreiheit? – Danach erst
folgt die Frage, wie dies zu erreichen ist. Der Inhalt der Kunstfreiheit
lässt sich mithilfe der der Kunst immanenten Eigenschaften bestim-
men. Dies sind ihre autonomen (d.h. eigengesetzlichen) und deren
plurale (d.h. vielfältige) Erscheinungsformen. Autonomie und Plurali-
tät der Kunst sind überall, wo Menschen sich künstlerisch betätigen,
zu beobachten. Sie verwahren sich gegen jede Form von Einschrän-
kung und Indoktrination. Nicht-autonome und nicht-plurale Kunstaus-
prägungen (wie sie z.B. in totalitären Staaten und Kulturen erzwungen
werden) sind unfrei. Die Achtung der Autonomie und der Pluralität
der Kunst sind daher grundlegende Voraussetzungen eines ihre Frei-
heit schützenden und fördernden Staatshandelns.
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3. Finanzierung und Förderung F 2.8
Öffentliche Kulturförderung
Wie die Achtung von Autonomie und Pluralität der Kunst gewährleis- Umgang mit der
tet und befördert werden kann, ist eine Frage des Umgangs mit der Kunstfreiheit
Kunst. Wie geht der Staat mit den Erscheinungsformen der Kunst um?
Tritt er ihr (der Kunst) gegenüber autoritär auf, ist er an einen Kanon
gebunden, beachtet er festgelegte inhaltliche, ästhetische, ethische
oder andere Wertmaßstäbe oder ist er in jeder Hinsicht bloß tolerant,
distanziert, uninteressiert oder gar völlig indifferent? Beide Formen
des Umgangs erscheinen nicht wirklich zutreffend. Die Antwort ist –
wie so oft – keine einfache. Sie verweist auf ein differenziertes Sys-
tem von Prinzipien, die von Seiten des Staates zu beachten sind. Dies
wird im Folgenden vorgestellt.
Der o.g. Wortlaut des Artikels 5 Abs. 3 Satz 1 GG könnte zu der An- Das Dilemma staatlicher
sicht verleiten, der Staat habe sich aus allem, was die Kunst betrifft, Kunstförderung
herauszuhalten und habe lediglich für den Schutz vor staatlichen oder
anderen (individuellen oder gesellschaftlichen) Angriffen auf den Frei-
raum der Kunst einzustehen. Doch nach der heute herrschenden An-
sicht ist der Staat darüber hinaus verpflichtet, den Freiheitsraum der
Grundrechte aktiv zu gestalten und Rahmenbedingungen zu schaffen,
die eine Entfaltung und Verwirklichung des Freiheitsrechts gewähr-
leisten. Im Falle der Kunstfreiheit heißt dies, dass der Kunst förderli-
che Rahmenbedingungen bestehen müssen. Kulturpolitiker sprechen
davon, dass eine kulturelle Infrastruktur vorzuhalten sei, mindestens
aber die kulturelle Grundversorgung des Bürgers zu sichern sei, um
den Mindeststandard staatlicher Kunstförderung zu gewährleisten.2
In diesem Zusammenhang muss daran erinnert werden, dass der Staat
Kunst nicht um ihrer selbst willen fördert – also nicht als l’art pour
l’art –, sondern weil sie der individuellen Entfaltung der Menschen
(Persönlichkeitsbildung) dient und einen wesentlichen Beitrag zur
Gestaltung der Kultur von Gesellschaft und Staat (s.o. Einleitung Staat
und Kultur) liefert. Diesem am Gemeinwohl orientierten Staatsinteres-
se dienen zum einen die Förderung der Kunst und des Weiteren auch
alle Aufgaben der allgemeinen Kulturförderung.
Da der Staat jedoch aus tatsächlichen und finanziellen Gründen nicht
jede künstlerische Äußerung fördern kann, muss entschieden werden,
was gefördert und was nicht gefördert werden soll. Dabei findet un-
vermeidlich eine Auswahl statt, beispielsweise hinsichtlich Qualität
und Wert der inhaltlichen Aussagen von Kunstwerken. Eine Bewer-
tung verstößt jedoch potenziell gegen die unbeschränkbare Kunstfrei-
heit nach dem Grundgesetz und dem daraus abgeleiteten Verbot staat-
lichen Kunstrichtertums, denn letztlich ist jede Förderung eine Aus-
wahl und daher mindestens indirekt eine Einflussnahme auf den
Kunstbereich. Damit ist das Dilemma staatlicher Kunstförderung for-
muliert, das sich zwischen dem Wortlaut der Kunstfreiheitgarantie und
dem staatlichen Interesse an der Förderung des Gemeinwohls auftut.3
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4. F 2.8 Finanzierung und Förderung
Öffentliche Kulturförderung
Die Regulierung Staatliches Handeln im Freiheitsbereich der Kunst ist also vor die
des Dilemmas Aufgabe gestellt, zwei gegensätzlichen Forderungen gerecht zu wer-
den: die nach der Freiheit der Kunst und die nach Förderung der
Kunst. Dieses Dilemma verlangt jedoch nicht nach Auflösung, son-
dern nach Regulierung; es verlangt danach, die ihm eigene Spannung
auszubalancieren und beständig zwischen den Anforderungen der
Freiheit und den Zwecken und Zielen der Förderung abzuwägen. Das
ist mit Hilfe der nachfolgend dargestellten Prinzipien möglich, wenn
diese konsequent angewandt werden, weil sie in der Lage sind, der
Ambivalenz dieser Forderungen zu entsprechen und zu gewährleisten,
dass der Staat Schutz und Förderung so erfüllt, dass das Grundrecht
der Kunstfreiheit nicht beschädigt wird, d.h. dass Kunst tatsächlich
gefördert, aber gleichzeitig nicht beschränkt, zumindest nicht in ihrem
Kernbereich verletzt wird.
Die Fülle möglicher In kulturpolitischen Äußerungen und in der rechtstheoretischen Litera-
Prinzipien tur zur Kunstfreiheit findet man eine Fülle grundsätzlicher Anforde-
rungen und Maßstäbe, die für die staatliche Kunstförderung normativ
bedeutend sind. Doch handelt es sich dabei nicht ausschließlich um
Prinzipien staatlicher Kunstförderung, sondern um solche, die das
allgemeine, das gesamte Staatshandeln betreffen. Dazu gehören Ver-
haltensmaßstäbe des „guten“ Staatshandelns
im demokratischen Staat wie Gerechtigkeit,
Toleranz, Verantwortung, Solidarität, Fairness,
Transparenz, Effizienz, Wirtschaftlichkeit
sowie eine Reihe von Verfassungsprinzipien
wie die Achtung der Menschenwürde, das
Demokratie-, Rechts- und Sozialstaatsprinzip,
Jedes staatliche Handeln im Bereich der Kunst die Prinzipien des Föderalismus und der De-
unterliegt den Anforderungen der Kunstfrei- zentralität. Auch das Kulturstaatsprinzip –
heitsgarantie gemäß Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG. soweit man ein solches bejaht – vermittelt
Dies wird auch dann gelten, wenn der Gesetz- keine konkreten, speziell die Kunstfreiheit
geber die Verfassung um eine Kulturförde- betreffenden Handlungsmaßstäbe. Dasselbe
rungs- bzw. Kulturstaatsklausel ergänzen soll- gilt auch für die allgemeinen Verwaltungs-
te. Die aktive staatliche Förderung von Kunst grundsätze der Verhältnismäßigkeit, der
widerspricht dann nicht der Garantie der Kunst-
freiheit, wenn die aus der Freiheitsgarantie zu
Gleichbehandlung und des Willkürverbots
entwickelnden Prinzipien staatlicher Kunstför- sowie die Forderungen nach Kooperation,
derung hinreichend beachtet werden. Partizipation, Offenheit und Transparenz des
Staates.
Spezielle Prinzipien Für die staatliche Kunstförderung gibt es dagegen nur sehr wenige
staatlicher speziell auf sie zutreffende Prinzipien, die geeignet sind, die Beson-
Kunstförderung derheiten der Kunst – auch in Abgrenzung zur allgemeinen Kulturför-
derung – zu berücksichtigen. Das wichtigste Prinzip, nach dem die
Kunstfreiheit verlangt, ist das der Neutralität. Es beschreibt das Ver-
hältnis des Staates zu einem jeweils nach speziellen Regeln zu schüt-
zenden Sach- und Lebensbereich ähnlich wie das zu den Bereichen
der Religionsfreiheit oder der Tarifautonomie. Dort ist ein lediglich
tolerantes Akzeptieren nicht ausreichend, der Staat kann nicht im
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