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GfK SE
Consumer Panels │Consumer Experiences
August 2013
Shopper-Verhalten im Umbruch –
die Entstehung eines neuen FMCG Shopper-Typen
2
Die GfK ist eines der größten Marktforschungsunternehmen weltweit. Ihre mehr als 11.500
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter erforschen, wie Menschen leben, denken und konsumieren. Dabei
setzt die GfK auf permanente Innovation und intelligente Lösungen. So liefert die GfK in über 100
Ländern das Wissen, das Unternehmen benötigen, um die für sie wichtigsten Menschen zu
verstehen: ihre Kunden.
3
Shopper-Verhalten im Umbruch –
die Entstehung eines neuen FMCG Shopper-Typen
Dr. Robert Kecskes
______________________
August 2013
4
© 2013 by GfK SE
Alle Rechte vorbehalten
5
Inhalt
1. Das Ende des Mengenwachstums ………………………………………… 6
2. Der Rückgang stationärer FMCG Shopping Trips ……………………….. 8
3. Die Entstehung eines neuen Shopper-Typen..………………………….... 27
4. Die Verknüpfung von physischer und virtueller Welt …………………….. 37
6
1. Das Ende des Mengenwachstums
Seit einigen Jahren ist für den FMCG-Einzelhandel ein Rückgang der gekauften Mengen zu
beobachten. So wurde zwischen 2006 und 2011 zwei Prozent weniger Menge abgesetzt und
zwischen 2011 und 2012 waren es noch einmal knapp ein Prozent (Abbildung 1). Dieser Rückgang
ist nicht auf den Bevölkerungsrückgang in Deutschland zurückzuführen, denn die dadurch
verlorenen Konsummengen werden durch den Gegentrend der Zunahme von Haushalten mehr als
kompensiert. Tatsächlich haben wir in Deutschland die paradox erscheinende Situation einer Bevöl-
kerungsabnahme bei gleichzeitiger Zunahme der Anzahl der Haushalte. Dies liegt natürlich daran,
dass die Haushalte immer kleiner werden und der Anteil von Ein- und Zwei-Personenhaushalten
deutlich zunimmt. Es lässt sich nun zeigen, dass zwei Ein-Personenhaushalte, die die gleiche sozio-
demographische Struktur aufweisen wie ein Zwei-Personenhaushalt, einen um ca. 14% höheren
Mengenkonsum haben. Der Mengenrückgang hat also andere Gründe.
Abbildung 1: Veränderung der Absatzmengen der FMCG-Einzelhändler (Lebensmitteleinzelhandel
inklusive Drogeriemärkte)
Quelle: GfK Consumer Scan
Neben steigenden Lebensmittelpreisen ist für den Mengenrückgang ein gesellschaftlicher Trend
verantwortlich, den wir als Flexibilisierung bezeichnen. Die hohen Flexibilitätsanforderungen, die
heute vor allem, aber nicht nur, an die jüngeren Erwerbstätigen gestellt werden, führen dazu, dass
sie immer weniger Zeit für Routinehandlungen wie zum Beispiel den Einkauf von Gütern des
täglichen Bedarfs haben. Damit sinken die Einkaufslust und die Einkaufsfrequenz, was wiederum
dazu führt, dass weniger Impulskäufe am „Point of Sale“ stattfinden. Aber auch gesellige, private
7
Treffen mit Freunden, Nachbarn oder Verwandten werden dadurch seltener, denn es ist inzwischen
ein logistisches Problem, die Personen zu einem bestimmten Datum zusammenzubekommen.
Der Mengenrückgang im FMCG-Einzelhandel ist aber nicht gleichbedeutend mit einem Rückgang
des Konsums. Der Großteil der Einkäufe beim FMCG-Einzelhändler wird für den privaten Konsum
zu Hause gekauft. Dieser Konsum geht aufgrund der Flexibilisierungsanforderungen an die erwerbs-
tätigen Menschen tatsächlich deutlich zurück. Doch er wird vor allem außer Haus verlagert. Heute
essen und trinken die Menschen viel mehr außer Haus, in Kantinen, Mensen, (Schnell-) Restaurants
oder direkt auf der Straße als noch vor zehn Jahren. Das Mittagessen zu Hause findet immer
seltener statt, vor allem in der Woche. Nun könnte eingewendet werden, dass die Erwerbstätigen
doch schon immer tagsüber an ihrem Arbeitsplatz waren und nicht zu Hause zu Mittag gegessen
haben. Dies ist völlig richtig, doch waren es zunächst vor allem die Männer, die mittags nicht zu
Hause waren, sind es durch die zunehmende Berufstätigkeit der Frau heute eben auch viele
Frauen. Und weil diese Doppelverdiener-Haushalte häufig auch Kinder haben – heute eher ein als
zwei oder drei – findet auch das heimische Mittagessen der Kinder in der Woche nur noch selten
statt. Ganztagsbetreuungen in Kindergärten und Schulen bieten den Kindern in der Woche in der
Regel das Mittagessen an.
Die Händler haben auf diese Trends reagiert, zum Beispiel mit „Convenience“-Konzepten. Und auch
der mit den Trends verbundenen qualitative Wandel, wie sich wandelnden Bedürfnisse und Anfor-
derungen an Waren und Händler, wurde von einigen Händlern erfolgreich aufgenommen. Diese
durchaus erfolgreichen Konzepte beziehen sich jedoch ausnahmslos auf den stationären Handel.
Hinsichtlich des Online-Handels besteht zwar Einigkeit darüber, dass man sich hier platzieren muss,
doch ebenso gemeinsam ist die Unsicherheit, wie dieses geschehen kann. Viele Konzepte und
Ideen wurden als Piloten schon getestet, so richtig gezündet haben sie noch nicht.
Mit dieser kleinen Broschüre möchten wir die Diskussion weiter voran bringen. Wir haben dabei die
feste Überzeugung, dass ein erfolgreicher FMCG e-Commerce auftritt nur dann wahrscheinlich ist,
wenn das stationäre Einkaufsverhalten verstanden wird. Dieses – genau wie das heute schon zu
beobachtende e-Commerce Verhalten – wiederum lässt sich nur verstehen, wenn es im Kontext des
gesellschaftlichen Wandels betrachtet wird. Aus diesem Verständnis lassen sich dann Ideen für den
e-Commerce Auftritt ableiten.
Daher werden wir uns zunächst dem stationären Einkaufsverhalten zuwenden und einige
Erklärungen des Wandels aus den gesellschaftlichen Trends ableiten. Dann wenden wir uns dem
Aufstieg eines neuen Shoppertypen zu, um schließlich einige Grundätze und praktische Ideen für
den e-Commerce Handel abzuleiten.
8
2. Der Rückgang stationärer FMCG Shopping Trips
Die Bevölkerung in Deutschland hat immer weniger Lust, Fast Moving Consumer Goods (stationär)
einzukaufen. Grund hierfür ist nicht ein zunehmendes Desinteresse an den Produkten, denn die
Ansprüche an Produktqualität steigen seit einigen Jahren wieder, es geht vielmehr um den Akt des
Einkaufens selbst. Sagten 2006 ein Viertel aller Haushaltsführer, dass ihnen das Einkaufen lästig
sei, waren es 2012 ein Drittel (siehe Abbildung 2). Somit ist in Deutschland der Anteil an Haus-
halten, denen das stationäre Einkaufen von FMCG lästig ist, um gut 30% gestiegen.
Entstrukturierung, Flexibilisierung und Digitalisierung erhöhen den Zeit-
stress und verstärken die Unlust an unerlässlichen Routinehandlungen
wie den stationären Einkauf von Gütern des täglichen Bedarfs
Die zunehmende Unlust erklärt sich aus der Beschleunigung des gesellschaftlichen Lebens. Ent-
strukturierungsprozesse und Flexibilisierungsanforderungen, gepaart mit einer rasanten Entwicklung
von elektronischen, digitalen und damit vernetzten Kommunikationsmöglichkeiten, deren Ent-
wicklungsgeschwindigkeit weit schneller voranschreitet als die Fähigkeiten der individuellen Verar-
beitungskapazitäten, sind die Treiber für die zunehmende Unlust, Güter des täglichen Bedarfs
stationär einzukaufen. Die Nicht-Synchronität von Ausbreitung der Kommunikationsvielfalt und der
Entwicklung weiterer kognitiv notwendiger Verarbeitungskapazitäten führt dazu, dass wir keine Zeit
mehr haben, obwohl wir sie im Überfluss gewinnen.
1
Zeitstress wird damit zu einem breite
Bevölkerungsschichten umschließenden Phänomen. Vor allem jüngere Menschen klagen über zu
wenig Zeit (für sich und andere). Wie wir in der GfK Studie „Auf der Suche nach einem kohärenten
Qualitätsversprechen“ zeigen konnten, ist dieser Zeit- und auch der damit verbundene Sozialstress
ein Grund, für die stark zunehmende Qualitätsorientierung, die sich u.a. in einer zunehmenden
Frischeorientierung und der Suche nach mehr Natürlichkeit äußert.
1
Vgl. Hartmut Rosa: Beschleunigung. Die Veränderung der Zeitstruktur in der Modernen. Frankfurt am Main, 2005.
9
Abbildung 2: Entwicklung der Einkaufslust bezogen auf den stationären FMCG Handel (Zustimmung
in Prozent)
Quelle: GfK ConsumerScan
Auf der anderen Seite schmälert der zunehmende Zeitstress aber die Lust, notwendige, habi-
tualisierte Handlungen auszuführen. Ein FMCG-Einkauf muss halt sein, wenn man nicht verdursten
oder verhungern will. Leider – aus Sicht der zeitknappen Haushalte – haben befristete Haltbar-
keitsdaten für Nahrungsmittel und Platzrestriktionen in der Küche und im Badezimmer zur Folge,
dass in einem relativ kurzen Turnus die Einkaufstätigkeit wiederholt werden muss. Und wenn der
Einkauf keinen besonderen Erlebniswert aufweist und auch keine Ungeduld besteht, ein geliebtes
Produkt endlich (wieder) zu kaufen, dann wird der Einkaufsakt nicht nur notwendig, sondern auch
zur Routine. Nun sind aber Routinehandlungen in den seltensten Fällen aufregend. Vor dem
Hintergrund zunehmender Zeitrestriktionen werden sie als zunehmend belastend empfunden und
steigern die Unlust an der Ausführung der Handlung.
Eine Folge dieses strukturellen Wandels ist der Rückgang der stationären Shopping Trips (Abbil-
dung 3)
2
; sie sind zwischen 2003 und 2012 von durchschnittlich 270 auf durchschnittlich 220 Trips
gesunken, d.h. um -19%. Werden die Haushaltsführenden nach ihrem Lebensalter differenziert,
zeigt sich, dass die jüngeren Lebenswelten, die schon 2006 die wenigsten Shopping Trips
2
Ein Shopping Trip ist der Besuch eines Händlers. Werden an einem Tag zwei Händler aufgesucht, handelt es sich um zwei
Shopping Trips. Shopping Trips sind damit nicht zu verwechseln mit der Anzahl der Einkaufstage, die niedriger ist.
10
aufwiesen, bis 2012 noch einmal am stärksten reduziert haben (Abbildung 4). Konkret bedeutet
dies, dass die Shopper generell und die jüngeren Shopper im Speziellen immer seltener am „Point
of Sale“ anzutreffen sind. Handel und Hersteller müssen sich vor diesem Hintergrund fragen,
inwieweit bei „Point of Sale“ Verkaufsmaßnahmen jüngere Shopper überhaupt noch erreicht werden.
Abbildung 3: Durchschnittliche Anzahl Shopping Trips der Haushalte 2003 bis 2012
Quelle: ConsumerScan
Werden junge Shopper-Haushalte am Point of Sale überhaupt noch
erreicht?
11
Abbildung 4: Entwicklung der Anzahl Shopping Trips nach jungen, mittelalten und älteren Shoppern
Wie stark die zunehmenden Flexibilisierungsanforderungen und Entstrukturierungsprozesse das
stationäre FMCG-Einkaufsverhalten beeinflussen, zeigt auch eine multivariate statistische Analyse
von Einflüssen auf die Häufigkeit der Shopping Trips von Haushalten. In die Analyse gingen fünf
Dimensionen als Einflussfaktoren auf die Shopping Trips ein: Sozio-demographie, Moral, Raum,
Promotion und Entstrukturierung. Die Analyse kommt vor dem Hintergrund des Rückgangs der
Shopping Trips zu dem überraschenden Ergebnis, dass viele gesellschaftliche Trends die Anzahl
der Shopping Trips eigentlich erhöhen sollten. Neben der abnehmenden Haushaltsgröße wirken nur
die den Zeitstress erhöhenden Trends negativ auf die Anzahl der Shopping Trips. Aber wir wollen
die Trends und ihre Einflüsse auf die Shopping Trips im Einzelnen betrachten. Das Gesamtergebnis
der multivariaten Regressionsanalyse ist am Ende dieses Abschnitts in Abbildung 10 zusammen-
gefasst.
12
Sozio-demographie
Über demographische Entwicklungen muss nicht mehr viel geschrieben werden. Allen ist inzwischen
der Prozess der Alterung der deutschen Gesellschaft bekannt. Damit verbunden ist natürlich auch
eine Abnahme der Haushaltsgrößen, denn ältere Menschen leben in der Regel in Ein- bis Zwei-
Personenhaushalten, während jüngere Menschen häufiger in Zwei-Personenhaushalten und
größeren Haushalten leben. Allein dadurch verringert sich im Zuge der Alterung der Gesellschaft die
durchschnittliche Haushaltsgröße in Deutschland.
Festzuhalten ist aber, dass in Deutschland seit Jahren die Anzahl der Haushalte schneller zunimmt
als die Abnahme der Bevölkerungszahl. Dies deutet an, dass neben der Alterung der Gesellschaft
weitere Faktoren die abnehmende Haushaltsgröße erklären. Und schaut man sich die Daten
genauer an, stellt man fest, dass die Anzahl an Ein-Personenhaushalten auch in den jüngeren
Altersgruppen zunimmt. Vor allem die Altersgruppe, die voll im Erwerbsleben steht, weist einen
deutlichen Zuwachs der Lebensform „alleinlebend“ auf. Dies muss nicht bedeuten, dass die
Personen partnerlos leben. Immer häufiger lebt man, zumindest temporär, vom Partner räumlich
getrennt. Die Lebensform ist im anglo-amerikanischen Sprachraum als „Living Apart Together“
(LAT) bekannt.
Die Anzahl kleiner Haushalte steigt nicht nur aufgrund der Alterung der
Gesellschaft, auch das räumlich getrennte Zusammenleben („Living
Apart Together“) wird weiter zunehmen.
Beide Trends, Alterung und Zunahme der Ein-Personenhaushalte in den voll erwerbstätigen Alters-
gruppen, zeigen sich deutlich in unseren Prognosen der Entwicklung der Familienlebenswelten, die
wir auf Basis der Daten des Statistischen Bundesamtes erstellt haben (Abbildung 5). Die Haushalte,
in denen keine Haushaltsmitglieder mehr im Erwerbsleben stehen, nehmen stark an quantitativer
Bedeutung zu, während die Familien mit Kindern an Gewicht verlieren. Zunehmen wird aber auch
die Gruppe der „Berufstätig Alleinlebenden“. Genau dies ist die Bevölkerungsgruppe, in denen die
Lebensform „Living Apart Together“ zu finden ist.
13
Abbildung 5: Prognose der Entwicklung der Familienlebenswelten bis 2025
Ältere Menschen gehen häufiger einkaufen, kleinere Haushalte weisen
weniger Shopping Trips auf.
Die sozio-demographischen Entwicklungen haben (nach statistischer Kontrolle der weiteren Ein-
flussfaktoren) gegenläufige Effekte auf die Shopping Trips. Die Analyse zeigt, dass mit zunehmen-
dem Alter die Anzahl der Shopping Trips steigt und mit abnehmender Haushaltsgröße die Anzahl
der Shopping Trips abnimmt. Der demographische Trend der Alterung der Gesellschaft führt also zu
einer Zunahme der stationären Shopping Trips, die Abnahme der Haushaltsgröße senkt die Anzahl
der Trips.
14
Ethik und Konsum
In den Analysen für das 32. Unternehmergespräch der GfK Consumer Panels im Januar 2013
konnten wir einen Trend nachweisen, den wir in Anlehnung an die wissenschaftlichen Analysen von
Nico Stehr
3
„Moralisierung der Märkte“ genannt haben. Damit gemeint ist eine Zunahme ethischer
Kriterien bei der Kaufentscheidung für FMCG. Deutlich wird dieser Trend zum Beispiel in der
Zunahmen des „Lifestyle of Health and Sustainability“ (LOHAS). Im den GfK Verbraucherpanels wird
die Verbundenheit mit diesem Lebensstil seit 2007 ermittelt. Wir unterscheiden in dieser Typologie
vier LOHAS-Typen: die LOHAS-Kerngruppe, die LOHAS-Randgruppe, die Indifferenten und die
Unbedachten. Von der LOHAS-Kerngruppe bis zu den Unbedachten nimmt die Zentralität des
Lebensstils ab. Während für die LOHAS-Kerngruppe Themen wie Ursprünglichkeit, Nachhaltigkeit
und soziale Gerechtigkeit einen sehr hohen Stellenwert im Einkaufsverhalten einnehmen, spielen
diese Inhalte bei den Unbedachten so gut wie keine Rolle. Gleichzeitig will die LOHAS-Kerngruppe
aber ebenso wenig wie die anderen Gruppen auf Genuss verzichten.
"Von unterschiedlichen Niveaus ausgehend, ist in ganz Europa eine
Stärkung des Nachhaltigkeitsgedankens in der Ernährungsindustrie
und im Lebensmittelhandel zu beobachten." David Bosshart, 2011: The Age of
Less. Murmann Verlag: Hamburg (Dr. David Bosshart ist Geschäftsführer des Gottlieb-Duttweiler-
Instituts für Wirtschaft und Gesellschaft in Rüschlikon/Zürich)
Die Typologie ist hinsichtlich des faktischen Kaufverhaltens von Nahrungsmitteln, Getränken und
Drogeriemarktprodukten äußerst trennscharf, d.h. in allen Bereichen und Warengruppen sind die
LOHAS die Träger von Natur-, Regional- und Sozialkonzepten. Im Zeitvergleich nimmt nun vor allem
der Anteil der LOHAS-Kerngruppe deutlich zu (Abbildung 6). Betrug der Anteil 2007 noch knapp
10% stieg er bis 2012 auf gut 14%. Dies ist ein Indikator der „Moralisierung der Märkte“. Es gibt
weitere Indikatoren, wie die zunehmende Bedeutung regionaler und frischer Produkte.
3
Nico Stehr: Die Moralisierung der Märkte. Frankfurt am Main, 2007.
15
Abbildung 6: Die Zunahme der LOHAS-Kerngruppe
Quelle: GfK ConsomerScan
Verbunden mit dem „Lifestyle of Health and Sustainability” ist die Achtung der endlichen Ressour-
cen. Dies führt zum Beispiel dazu, dass die LOHAS-Kerngruppe bestrebt ist, möglichst nichts an
eingekauften Lebensmitteln wegschmeißen zu müssen. Es wird lieber einmal mehr eingekauft als zu
viel. Damit müsste aber mit der „Moralisierung der Märkte“ die Anzahl der Shopping Trips
zunehmen. Und tatsächlich zeigt unsere Analyse, dass kritische Ökologen und Menschen, die
möglichst keine Lebensmittel wegschmeißen möchten, häufiger einkaufen als Menschen, denen
diese „ethischen Aspekte“ weniger wichtig sind. Mit der „Moralisierung der Märkte“ haben wir es also
mit einem gesellschaftlichen Trend zu tun, der die Anzahl der stationären Shopping Trips eigentlich
erhöhen sollte.
Mit der „Moralisierung der Märkte“ steigt die Anzahl der stationären
Shopping Trips, da pro Einkaufsakt nicht mehr eingekauft wird als
tatsächlich benötigt.
16
Urbanität
Im Ländervergleich ist in Deutschland die Dichte an Lebensmitteleinzelhändlern und Drogerie-
märkten mit am höchsten. Sehr viele Menschen können einen Lebensmittelhändler und
Drogeriemarkt zu Fuß erreichen. Diese Dichte hat sich in den letzten Jahren tendenziell weiter
erhöht. Heute erreicht ein durchschnittlicher Haushalt in Deutschland innerhalb von fünf Minuten
Fahrzeit 6,2 FMCG-Einzelhändler (Lebensmitteleinzelhändler inklusive Drogeriemärkte). Innerhalb
von zehn Minuten Fahrzeit sind es 28 Geschäfte. Für einen großen Teil der Bevölkerung ist es also
möglich, schnell einmal etwas einkaufen zu gehen, sei es der gewöhnliche Einkauf oder das
Nachkaufen von vergessenen Produkten. Allein aufgrund dieser Dichte an Einkaufsstätten sollte die
Anzahl der Shopping Trips relativ hoch sein.
Aber natürlich variiert die Einkaufsstättendichte auch in Deutschland. Im ländlichen Raum ist es sehr
viel unwahrscheinlicher, einen stationären Händler in der Nachbarschaft zu finden als im städtischen
Raum. Vor allem in den inzwischen teilweise bevölkerungsentleerten, strukturschwachen Gebieten
in Ostdeutschland kommt man ohne Auto kaum noch aus. Dort ist es nicht möglich, einmal schnell
etwas nachzukaufen.
Die Kehrseite einer „Bevölkerungsentleerung“ von strukturschwachen, ländlichen Regionen ist die
Dynamik einer weiteren Urbanisierung in Deutschland. Laut Institut der Deutschen Wirtschaft weisen
in Deutschland die Ballungsräume fast ununterbrochen steigende Einwohnerzahlen auf, während
ländliche Gegenden permanent an Bevölkerung verlieren.
4
Und das Berlin Institut für Bevölkerung
und Entwicklung geht in einer Prognose bis zum Jahr 2025 davon aus, dass dieser
Urbanisierungstrend anhält.
5
Die stark steigenden Immobilien- und Mietpreise in den deutschen
Ballungsgebieten sind hierfür deutliche Indikatoren.
Schließlich gaben in einer Untersuchung des Unternehmens immowelt
6
im Jahr 2012 65% der
Kleinstadt- und Landbewohner mit Kindern an, sich einen Umzug in die Großstadt vorstellen zu
können. Im Jahr 2009 konnten es sich hingegen nur 40% vorstellen. In der gleichen Studie konnte
gezeigt werden, dass auch ein nicht unerheblicher Anteil der über 50jährigen Land- und
Kleinstadtbewohner meint, im Alter sei man in der Großstadt besser aufgehoben. 90% gaben als
Grund hierfür kürzere Wege, z.B. zum Einkaufen an. Die Urbanisierung hat in den letzten Jahren
also in Deutschland weiter zugenommen und wird dies wohl auch in Zukunft tun. Selbst die
4
http://www.iwkoeln.de/de/infodienste/iwd/archiv/beitrag/27780; download: 03.06.2013
5
31. Unternehmergespräch Kronberg 2012 , Wertschöpfung statt Mengenwachstum – Die neuen Bausteine des Konsums.
Eine Publikation von GfK Consumer Panels Deutschland und GfK Verein, Mai 2012
6
http://presse.immowelt.de/studien/urbanisierungsstudie-2012/gesamtreport-urbanisierungsstudie-2012/artikel/studie-zur-
urbanisierung-in-deutschland-2012.html; download: 03.06.2013
17
Hypothese eines „back to the city movements“ der Babyboomer-Generation, des Ruckzuges in die
Städte nachdem die Kinder den Haushalt verlassen, ist nicht allzu gewagt.
Vor diesem Hintergrund – und dem oben beschriebenen zunehmenden Zeitstress, zu dem auch das
urbane Leben beiträgt – ist es nicht mehr überraschend, dass mehr und mehr Einkäufe in den
Nahbereich verlagert werden (Abbildung 7). Vor allem die LEH-Vollsortimenter profitieren hiervon.
Wir werden etwas später noch sehen, dass sie hierfür auch einiges getan haben. Insofern sind die
LEH-Vollsortimenter die Profiteure und Treiber der Verlagerung von Einkäufen im Nahbereich. Doch
an dieser Stelle soll der Nachweis der Verlagerung der Einkäufe in den Nahbereich ausreichen. Die
sich gegenseitig verstärkenden Mechanismen werden später noch einmal aufgenommen.
Abbildung 7: Die Verlagerung der Shopping Trips in den Nahbereich (Umsatzanteile nach Ent-
fernungszone, in Prozent)
Quelle: GfK ConsumerScan
Die Analyse der raumbezogenen Einflüsse auf die Anzahl der Shopping Trips zeigen, dass die
Anzahl der Shopping Trips mit zunehmendem Urbanisierungsgrad und dem Einkauf im Nahbereich
zunimmt. Menschen, die in Großstädten leben weisen signifikant mehr Shopping Trips auf als
Mensch, die auf dem Land Leben. Und mit zunehmenden Einkäufen im Nahbereich nimmt auch die
Anzahl der Shopping Trips zu. Mit den gesellschaftlichen Trends „Urbanisierung“ und „Einkäufe im
Nahbereich“ haben wir es wiederum mit Entwicklungen zu tun, die zu einer Zunahme an Shopping
Trips führen.
18
Promotion
Promotion, kommuniziert über Handzettel, sind die stärksten Treiber von zusätzlichen Shopping
Trips. Dies zeigt auch unsere Analyse; je höher die Bedarfsdeckung über Promotion bei den Haus-
halten, desto mehr Shopping Trips. Es gibt sie wirklich, die Promotion-Hopper, die die Einkaufs-
stätten wechseln, um möglichst preisgünstig einzukaufen. Allerdings scheint ihr Anteil rückläufig,
denn seit 2008 stimmen immer weniger Haushaltsführende der Aussage zu, dass sie bei einem
besonders günstigen Angebot in Geschäften kaufen, in denen sie normalerweise nicht einkaufen.
Stimmten 2008 noch 61% zu, waren es 2012 nur noch 55%. Damit deutet sich ein Trend zu einer
stärkeren Loyalität zur erstpräferierten Einkaufsstätte an. Wir werden hierauf weiter unten noch
einmal zurückkommen.
Promotion sind nach wie vor der stärkste Treiber zusätzlicher sta-
tionärer Shopping Trips.
Die Promotionumsätze nehmen nun schon seit Jahren zu (Abbildung 8). Lag der Umsatzanteil der
Promotion 2001 noch bei knapp 9%, stieg er bis 2012 auf 19% an, eine Steigerung von 124%! In
Bezug auf die Shopping Trips heißt dies, dass diese eigentlich zunehmen sollten.
Abbildung 8: Entwicklung der Promotionumsätze (Prozent am Gesamtumsatz)
Quelle: GfK ConsumerScan
Damit haben wir bis zu dieser Stelle der Analyse der Treiber von Shopping Trips mit Ausnahme der
Entwicklung der Haushaltsgröße nur Trends gefunden, die die Anzahl der Shopping Trips erhöhen
sollten. Und trotzdem nimmt die Anzahl der Shopping Trips seit Jahren ab. Hierfür ist ein Zusam-
menspiel von zunehmenden Flexibilisierungsanforderungen und Entstrukturierungsprozessen auf
Seiten der Shopper und der Ausweitung der Sortimente durch den Handel verantwortlich. Auf dieses
Zusammenspiel von Nachfrage und Angebot, das letztlich den Rückgang der Shopping Trips erklärt,
wird im Folgenden eingegangen.
19
Zeitstress
Der zunehmende Zeitstress als gesellschaftlicher Trend wird in der Regel mit der Digitalisierung in
Verbindung gebracht. Die Entwicklung der Informationstechnologie verläuft schneller als die
Entwicklung der menschlichen Verarbeitungskapazitäten. Damit erfinden wir permanent neue
Instrumente, die uns helfen sollen, Zeit zu sparen, die uns aber faktisch immer stärker unter
Zeitdruck setzen.
Doch auch in der „klassisch analogen Welt“ sehen wir Entwicklungen, die den Zeitstress erhöhen.
Die zunehmende Erwerbstätigkeit von Mann und Frau (Abbildung 9) hat zur Folge, dass in immer
mehr partnerschaftlichen Haushalten mit und ohne Kinder, beide erwachsene Haushaltsmitglieder
berufstätig sind. Gepaart mit der zunehmenden Flexibilisierung von Arbeitszeiten macht dies die
Planung des Tagesablaufs immer schwieriger. Leben Kinder mit im Haushalt, kommt die soge-
nannte Verinselung der Aktionsräume der Kinder erschwerend hinzu. Mehr und mehr Aktionsräume
von Kindern verteilen sich über Orte, die wie Inseln verstreut liegen. Der Kindergarten liegt in einem
anderen Viertel als der Turnverein und die frühkindliche Musikerziehung befindet sich in einem
dritten Stadtviertel. Solang das Kind noch nicht selbst von Insel zu Insel fahren kann, müssen die
Eltern als Chauffeure fungieren. Sind beide Elternteile aber berufstätig, wird dies zu einer logis-
tischen Herausforderung.
Aber nicht nur die Erwerbstätigkeit nimmt zu, auch die „flexibilisierten“ Erwerbsformen nehmen an
Bedeutung zu. Laut der Bundesagentur für Arbeit hat sich der Anteil der geringfügig Beschäftigten
im Nebenjob („Zweitjob“) an allen sozialversicherungspflichtig Beschäftigen von vier Prozent im Jahr
2003 auf neun Prozent im Jahr 2012 erhöht und damit mehr als verdoppelt.
7
Schließlich trägt auch das urbane Leben zum Gefühl des gehetzt seins bei. Schon Anfang des
letzten Jahrhunderts beschrieb Georg Simmel in seinem noch heute lesenswerten Essay „Die
Großstädte und das Geistesleben“ wie immer neue Reize, denen die Stadtbewohner pausenlos
ausgesetzt sind, die Menschen unter Stress setzen. Heute, im Zeitalter der Beschleunigung,
Flexibilisierung und Digitalisierung hat sich die permanente Reizung des Nervensystems der Städter
weiter verstärkt und führt zu einen Gefühl, nie etwas abgeschlossen zu haben, dem Hauptgrund für
Zeitstress.
8
7
http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/arbeitsmarkt-der-trend-geht-zum-zweitjob-11914500.html; download: 03.06.2013
8
Byung-Chul Han: Bitte Augen schließen. Auf der Suche nach einer anderen Zeit. Berlin 2013
20
Abbildung 9: Entwicklung des Anteils Erwerbstätiger zwischen 15 und 65 Jahren an der Bevölkerung
zwischen 15 und 65 Jahren nach Geschlecht [in %]
Quelle: Mikrozensus Deutschland, Statistisches Bundesamt, Wiesbaden 2013, Stand: 14.05.2013
Die Erwerbstätigkeit von Männern und Frauen und der Zeitstress wirken negativ auf die Anzahl der
Shopping Trips. Erwerbstätige und Menschen, die über Zeitstress klagen, gehen signifikant seltener
einkaufen als Menschen, die nicht erwerbstätig sind und Menschen, die nicht über Zeitstress klagen.
Erinnert werden soll hier noch einmal daran, dass es sich bei dem Ergebnis um das Resultat einer
multivariaten Analyse handelt, bei der u.a. das Lebensalter kontrolliert wird. Der negative Effekt von
Erwerbstätigkeit und Zeitstress kann nicht auf das Alter der Menschen zurückgeführt werden. Die
Aussage lautet: vergleichen wir Menschen gleichen Alters, gleichen Einkommens, die in gleich
großen Haushalten im selben urbanen Raum leben, dann geht die erwerbstätige/zeitgestresste
Person seltener einkaufen als die nicht-erwerbstätige/nicht-zeitgestresste Person.
Zunehmende Berufstätigkeit, Zunahme der Zweitjobs, „Verinselung“ der
Aktionsräume von Kindern, alles Trends, die die Haushalte vor Heraus-
forderungen der Zeitlogistik stellen.
21
Zwischenfazit: Treiber der stationären Shopping Trips
Die Ergebnisse der Analyse der Treiber von Shopping Trips aus Perspektive der Nachfrageseite
sind in Abbildung 10 noch einmal zusammenfassend dargestellt. Interessant ist, dass nur ein
gesellschaftlicher Trend eindeutig negativ auf die Shopping Trips wirkt; der zunehmende Zeitstress.
Die „Moralisierung der Märkte“, die „Urbanisierung“ und die zunehmenden Promotion wirken
dagegen positiv auf die Anzahl Shopping Trips. Der sozio-demographische Wandel wirkt schließlich
zum einen steigernd – die Alterung der Gesellschaft – und zum anderen dämpfend – die Abnahme
der Haushaltsgrößen. Die den Zeitstress antreibenden Flexibilierungs- und Entstrukturierungs-
prozesse scheinen damit so schnell vor sich zu gehen, dass sie die gegenläufigen Effekte auf die
Anzahl der Shopping Trips mehr als kompensieren.
Abbildung 10: Treiber der Shopping Trips
Prozesse der Entstrukturierung von Tages- und Wochenabläufen und
der damit verbundene Zeitstress, sind auf Seiten der Shopper die
Hauptgründe für den Rückgang von Shopping Trips.
22
Der Handel
Die Nachfrageseite ist jedoch nur eine Seite der Medaille. Auf der anderen Seite steht der Handel,
der diesen Trend der zunehmenden Zeitrestriktionen der Menschen aufgenommen hat und den
Rückgang der Shopping Trips dadurch von Seiten des Angebots verstärkt. Der FMCG-Einzelhandel
hat auf den Trend der Einkaufsunlust reagiert und sein Sortiment erweitert (Abbildung 11), so dass
der „einkaufsunwillige“ Shopper nun alles während eines Einkaufsaktes bei einem Händler erhalten
kann. So wurden Backstationen und Metzgereien integriert – klassische Domänen des Fachhandels.
Vor allem der LEH-Vollsortimenter, der klassische Nahversorger, war hier in den letzten Jahren sehr
aktiv. Die Anzahl seiner Warengruppen hat er zwischen 2007 und 2012 um fast 10% erweitert.
Zudem wurden die eigenen Händlermarken preislich (Preiseinstieg) und qualitativ (Mehrwert) so
platziert, dass sowohl preisaffine als auch qualitätsorientierte Shopper angesprochen wurden. Und
es wurden in der Kommunikation verstärkt ethische Inhalte transportiert, sodass sich auch die
wachsende Gruppe der LOHAS beim Einkauf in den LEH-Vollsortimentern gut fühlen kann. Für viele
Menschen mit unterschiedlichen Ansprüchen an den Handel ist es dadurch nicht mehr notwendig,
die langen Wege zum SB-Warenhaus auf sich zu nehmen, sie finden das gesamte Angebot an
günstigen und an qualitativ hochwertigen Produkten jetzt auch bei ihren Händler im Nahbereich.
Abbildung 11: Sortimentserweiterung im Handel zwischen 2007 und 2012
Quelle: GfK ConsumerScan
23
Wir hatten schon gesehen, dass die FMCG-Einkäufe im Nahbereich vor allem bei den LEH-
Vollsortimentern zunehmen (siehe Abbildung 7). Wie eine Analyse der Shopping Missions nach-
weist, handelt es sich bei den zunehmenden Einkäufen im Nahbereich nicht um „kleine Trips“. Vor
allem in den LEH-Vollsortimentern und in den Drogeriemärkten nimmt die relative Umsatzbedeutung
von Großeinkäufen deutlich zu, während die Bedeutung von Kleineinkäufen ebenso deutlich
abnimmt (Abbildung 12). Der Nahversorger wird damit mehr und mehr zum Vollversorger und damit
zum Konkurrenten der SB-Warenhäuser. Durch die Einbettung in die Wohngebiete und durch einen
kohärenten Dreiklang des Marketings von Händlermarke, Ethik und besten Preis gelingt es den
LEH-Vollsortimentern Rewe und Edeka die emotionale Bindung der Shopper zu stärken, während
es den SB-Warenhäusern, denen allein aufgrund des hohen Flächenbedarfs eine Einbettung des
Geschäfts in die Wohnnachbarschaft nicht möglich ist, sehr viel schwerer fällt, diese Bindung aufzu-
bauen.
Ein Erfolgsfaktor der LEH-Vollsortimenter ist ihre Einbettung in die
Wohnnachbarschaft. Durch die Aufladung mit funktionalen, ethischen
und emotionalen Inhalten entsteht eine enge Beziehung zwischen
Händler und Nachbarschaft.
Bevor wir jedoch diese Entwicklungen näher interpretieren, ist zum Verständnis der Shopping
Missions eine kurze Erläuterung notwendig. Basis der Shopping Missions sind die individuellen
Shopping Trips. Jeder Trip wird einer der sechs möglichen Missions zugeordnet. Ein Kleineinkauf
liegt vor, wenn Produkte aus maximal drei Warengruppen im Einkaufskorb liegen und der
Promotionanteil dieser Produkte nicht höher ist als der übliche Promotionanteil der Einkäufe des
Haushalts in der betreffenden Vertriebsschiene. Beim Rosinenpick liegen ebenfalls Produkte aus
maximal nur drei Warengruppen im Einkaufskorb, doch ist der Promotionanteil dieser Produkte
höher als der übliche Promotionanteil der Einkäufe des Haushalts in der betreffenden
Vertriebsschiene. Beim Frischeeinkauf liegen maximal sieben Warengruppen im Einkaufskorb und
der Umsatzanteil von Frischeprodukten im Einkaufskorb liegt bei mindestens 40%.
Versorgungseinkäufe liegen vor, wenn Produkte aus vier bis elf Warengruppen im Einkaufswagen
liegen. Die Unterscheidung von unüblichem und Routine-Versorgungskauf findet durch die
Betrachtung von Einkaufsstätte, Bonsumme und Wochentag statt. Wenn der Shopper bei zwei der
drei Kriterien seinen üblichen Routinen folgt, handelt es sich um einen Routine-Versorgungskauf.
Weicht er dagegen bei mindestens zwei der drei Kriterien von seinem üblichen Einkaufsverhalten
24
ab, dann handelt es sich um einen unüblichen Versorgungskauf. Ein Großeinkauf liegt
schließlich dann vor, sobald Produkte aus zwölf und mehr Warengruppen im Einkaufswagen liegen.
Abbildung 12: Die Entwicklung der Umsatzbedeutung der Shopping Missions zwischen 2008 und
2012 nach Vertriebskanal
Interessant ist, dass bei den beiden größten LEH-Vollsortimentern das stärkere Gewicht der
Großeinkäufe nicht zu einer Abnahme der Anzahl der Einkaufsakte führt. Im Gegenteil, die Anzahl
der Einkaufsakte nimmt zu. Da aber die Einkaufsfrequenz je Käufer nicht zunimmt, lässt sich dies
nur durch einen Gewinn an neuen Käuferhaushalten erklären. Da auf der anderen Seite die
Rückgänge der Anzahl Einkaufsakte mit Ausnahme Kaufland bei den SB-Warenhäusern am größten
sind, deutet vieles darauf hin, dass eine zunehmende Anzahl an Haushalten ihre Großeinkäufe nicht
mehr (nur) im SB-Warenhaus tätigt, sondern (auch) im räumlich näheren LEH-Vollsortimenter,
dessen Produktauswahl inzwischen breit genug für einen Großeinkauf ist. Zudem haben die beiden
großen LEH-Vollsortimenter sich in den letzten Jahren als Dachmarken positioniert, die sowohl die
Bedürfnisse qualitativ anspruchsvoller und ethisch-orientierter Shopper als auch die Bedürfnisse
sehr preissensibler Käufer ansprechen.
Abnehmende Shopping Trips bei relativ häufigerem Aufsuchen des Nahversorgers, bei dem dann
öfter Großeinkäufe getätigt werden, lassen auf eine zunehmende Fokussierung der Shopper auf
wenige Einkaufsstätten schließen. Damit sollte dann auch die Loyalität zu dem erstpräferierten
Händler zunehmen. Und tatsächlich zeigt sich im Zeitverlauf dieser Trend. So sinkt pro Haushalt die
durchschnittliche Anzahl im Jahr besuchter LEH-Einkaufsstätten. Und umgekehrt steigt die durch-
schnittliche Bedarfsdeckung über die erstpräferierte Einkaufsstätte im LEH (Abbildung 13).
25
Der Wettbewerb unter den Händlern um den „first choice“-Shopper hat damit in den letzten Jahren
stark zugenommen. Als erfolgreich erwies sich eine holistische Kommunikation – vor allem von
Drogeriemärkten und LEH-Vollsortimentern – aus dem Dreiklang des Aufbaus der Händlermarke mit
ethischem Image und guten Preisen. In dieser Kommunikation spielen die eigenen Marken –
Preiseinstiegs- und Mehrwert-Handelsmarken – eine zentrale Rolle.
Aber auch ohne holistische Kommunikation ist es möglich, mit einem gezielten Einsatz seiner
Handelsmarken im Markt zu wachsen, wie es einige SB-Warenhäuser und Discounter zeigen. Damit
aber gewinnt die (Neu-) Gewichtung von Handelsmarken und Herstellermarken im stationären
Handel zunehmend an Relevanz.
Abbildung 13: Die Fokussierung der Haushalte auf weniger Händler nimmt zu
Quelle: GfK ConsumerScan
Das Verhältnis von Preiseinstiegs-, Mehrwerthandelsmarken, Mitte-
und Premiummarken, verbunden mit gezielter Promotion wird für den
Erfolg des stationären Händlers immer wichtiger.
26
Das Zusammenspiel von Angebot und Nachfrage
Zusammenfassend lässt sich bis hierhin festhalten, dass die gesellschaftlichen Trends einen
Wandel des Shopperverhaltens bewirken. Zeitstress führt zu Einkaufsunlust und vermindert die
Anzahl der individuell durchgeführten Shopping Trips. Gleichzeitig werden neue Ansprüche an den
Händler gestellt. Dies sind vor allem ethische Ansprüche, die sich auch in den zunehmenden
Bedürfnissen nach Regionalität, Frische und Natur äußern. Beide Bedürfnisse – Zeitersparnis beim
Einkauf bei hoher (ethischer) Qualität der Produkte und damit des Händlers selbst – plus der
Wunsch nach guten (nicht billigen!) Preisen, wurden von den beiden großen LEH-Vollsortimentern
erfolgreich aufgenommen. Ihre Position als Nahversorger hat zudem den strukturellen Vorteil, dass
sie stärker als SB-Warenhäuser als Nachbarschaftshändler (Thema Regionalität-Ethik) wahrge-
nommen werden und dass die räumliche Nähe zu den Wohnorten den Shoppern hilft, Zeit zu sparen
(Thema Zeitstress-Raum).
Ein kohärenter Dreiklang aus Händler als Dachmarke, einem mora-
lisch-ethischem positiven Image und fairen Preisen bei gleichzeitiger
Einbettung in die Wohnnachbarschaft machen Wachstum auch in
Zeiten von stationärer Einkaufsunlust möglich.
Damit werden durch die LEH-Vollsortimenter viele Bedürfnisse, die sich heute auf den stationären
FMCG-Einkauf beziehen – große Auswahl, gute Preise, hohe Qualität, ethische Ansprüche,
räumliche Nähe – erfüllt. Die SB-Warenhäuser haben es dagegen schon strukturell schwerer, da sie
in der Regel nicht in der Nachbarschaft integriert sind. Aufgrund ihrer reinen Verkaufsfläche liegen
sie häufiger am Rand oder abseits der Wohnnachbarschaft. Zudem wirken zu große
Verkaufsflächen mit zu breitem Angebot in der Regel nicht ent-, sondern belastend. Schließlich
schafft der Versuch einer rein instrumentellen Entlastung durch Menge keine emotionale Beziehung,
sondern verstärkt eher die Einkaufsunlust.
27
3. Die Entstehung eines neuen Shopper-Typen
Die Analysen einiger Aspekte des stationären Einkaufs haben gezeigt, dass Reichweiten- und
Umsatzsteigerungen auch in Zeiten des Endes des Mengenwachstums und in einer Zeit
zunehmenden Zeitstresses und zunehmender stationärer Einkaufsunlust möglich sind.
- Die Bereitstellung eines Sortiments, das Großeinkäufe möglich macht,
- die Einbettung des Händlers in einen nachbarschaftlichen Kontext,
- die richtige Zusammenstellung des Sortiments von Preiseinstieg bis zu Premium,
- die Verankerung des Händlers als Dachmarke mit einem ethischen Image und einem Gefühl
des „aufgehoben seins“
sind Faktoren, die eine starke Bindung des Shoppers zum stationären Händler aufbauen. Es ist
damit das Zusammenspiel der Befriedigung von stärker materialistischen Bedürfnissen wie
Sortiment und Preise mit eher post-materialistischen Bedürfnissen wie Einbettung in den nachbar-
schaftlichen Kontext und ethischen Fragen, das die Loyalität der Menschen zum Händler steigert.
Die Befriedigung nur einer Dimension, nur günstig oder nur ethisch, ist nicht ausreichend.
Allerdings kann auch bei zunehmender Loyalität die Einkaufsfrequenz nicht erhöht werden. Auch bei
heute sehr erfolgreichen stationären Händlern ist damit das baldige Ende des Wachstums
abzusehen. Erschwerend kommt die zunehmende Konkurrenz durch Online-Händler hinzu. Doch
sollte der Online-Vertriebskanal für die etablierten stationären Händler weniger eine Gefahr als eine
Chance sein, das langsam an eine Grenze geratene stationäre Geschäft zu ergänzen.
Im Bereich FMCG steckt e-Commerce, das Kaufen via Internet, zwar noch in den Kinderschuhen,
aber schon heute lässt sich relativ klar bestimmen, wohin es in Zukunft gehen wird, die
Wachstumstendenzen sind deutlich zu erkennen. Vor allem, wenn man ins Ausland schaut. Aber
auch in Deutschland gewinnt der Kanal langsam an Bedeutung.
In einer von der GfK durchgeführten internationalen Studie wurde im Rahmen der Analyse von
Online-Käufen ein Shopper-Typ identifiziert, der sich in allen Ländern – auf unterschiedlichen
Niveaus – ausbreitet. In einer vertiefenden Studie in Deutschland wird dieser Shopper-Typ als
„Multi-Channel Shopper“ bezeichnet. Dieser Shopper-Typ ist von seiner quantitativen Bedeutung
heute noch relativ selten, doch weist sein Einkaufsverhalten alle Anzeichen eines kommenden
Trends auf. Daher lohnt es sich, diesen Shopper-Typen genauer zu betrachten, denn es ist der
Shopper-Typ der Zukunft. Heute sind es nur sechs bis acht Prozent aller Haushaltsführenden in
Deutschland, doch in naher Zukunft werden sie den Standard des Einkaufsverhaltens darstellen.
Nicht nur, weil jüngere Haushaltsführende „nachwachsen“, sondern auch, weil sich das FMCG-Kauf-
verhalten dieses Shopper-Typen in Form der Diffusion von Innovation auch in ältere, weniger e-
Commerce affine Haushaltstypen ausweiten wird. Was zeichnet den Multi-Channel Shopper aus?
28
Die Multi-Channel Shopper
Wir haben den neuen Shopper-Typen den Namen „Multi-Channel Shopper“ gegeben, weil für diesen
Shoppertypen online wie offline Einkaufskanäle wichtig sind und weil der Shoppertyp alle digitalen
Zugangskanäle – stationäre wie mobile – überdurchschnittlich zur Kommunikation, zur Informations-
suche und zum Einkaufen nutzt. Vor allem aber ist es der Shoppertyp mit den höchsten Online-
FMCG-Ausgaben. Diesen Shoppertypen zu kennen, heißt einen Eindruck von der Zukunft des
FMCG e-Commerce zu erhalten. Abbildung 14 gibt ein zusammenfassendes Bild des Multi-Channel
Shoppers.
Abbildung 14: „Paint a Picture“ des Multi-Channel Shoppers
Der Multi-Channel Shopper ist der jüngste Online-Shoppertyp, 47% der Haushaltsführenden sind
jünger als 40 Jahre. Daher überrascht es auch nicht, dass es der innovativste Shoppertyp ist. Die
Haushalte sind offen für neues, sowohl in Bezug auf FMCGs als auch in Bezug auf digitale
„Devices“ und „Gadgets“. So ist der Anteil der Smartphone- und Tablet-Nutzer in dieser Gruppe am
höchsten. Vor allem das Tablet wird verstärkt für die Suche nach und den Kauf von Produkten
genutzt. Ebenfalls nicht überraschend ist, dass die durchschnittliche Anzahl an stationären Shopping
Trips am geringsten ist. Überraschend ist jedoch, dass die geringe Anzahl an Shopping Trips nicht
29
mit der Unlust am stationären Einkaufen erklärt werden kann; während die Anzahl der stationären
Shopping Trips am geringsten ist, haben die Multi-Channel Shopper überdurchschnittlich Spaß am
stationären Einkauf (Abbildung 16).
Warum also die geringeren Anzahl Shopping Trips? Den Multi-Channel Shoppern fehlt ganz einfach
häufig die Zeit zum stationären Einkauf. Im GfK ConsumerScan Panel benutzen wir eine Zeitstress-
Skala um das Ausmaß der Zeitrestriktionen zu messen. Diese Zeitstress-Skala wird gebildet durch
den Grad der Zustimmung bzw. der Ablehnung folgender Aussagen:
- Die täglichen Anforderungen lassen mir kaum Freizeit übrig
- Ich habe tagtäglich einfach zu viele Aufgaben zu erledigen
- Ich würde gern mehr Zeit und weniger Hektik in meinem Tagesablauf haben
- Ich finde, dass meine Freizeit zu knapp ist
Abbildung 15 zeigt deutlich, dass die Multi-Channel Shopper am stärksten über Zeitknappheit
(Zeitstress) klagen; 42% der Multi-Channel Shopper fühlen einen sehr starken oder starken
Zeitstress, unter allen Onlinern sind es nur 27% (und würde man die Multi-Channel Shopper aus
dem Total herausrechnen, wäre der Wert noch etwas niedriger).
Abbildung 15: Zeitstress der Multi-Channel Shopper
Dieser starke Zeitstress ist der wichtigste Grund für den Online-Einkauf, die Multi-Channel Shopper
verbinden mit dem Online-Einkauf Zeitersparnis (vgl. Abbildung 16). Das Internet als Einkaufskanal
hat für sie damit zunächst einen stark entlastenden Nutzen.
30
Abbildung 16: Shopping Trips, stationäre Einkaufslust und Online-Einkaufsgrund
Zeitersparnis heißt beim Multi-Channel Shopper aber nicht unbedingt „schneller“ einkaufen, sondern
geplanter und seltener. Vor und während des seltenen FMCG-Einkaufs informiert sich der Multi-
Channel Shopper über viele Kanäle. Online sind die Multi-Channel Shopper vor ihren Einkäufen
bedeutend aktiver als andere Shopper. 60% der Multi-Channel Shopper vergleichen online Preise,
unter allen Onlinern (Haushaltsführung) sind es nur gut 30%. Und es wird sich in der Gruppe der
Multi-Channel Shopper häufig digital über Erfahrungen mit Produkten ausgetauscht. Immerhin 26%
der Multi-Channel Shopper nutzen dazu Foren und Produkt-Communities. Unter allen Onlinern sind
es nur sechs Prozent.
Für den Bereich Körperpflege haben wir gefragt, welche Informationsquellen (Touchpoints) vor
einem Kauf genutzt werden. Die fünfstufige Skala verlief von „nie“ bis „sehr häufig“. In der Abbildung
17 sind die Anteile derjenigen aufgelistet, die die jeweilige Informationsquelle nutzen. Deutlich wird
sofort, dass die Kurve der Multi-Channel Shopper durchgehend über der Kurve für alle Befragten
verläuft. Multi-Channel Shopper nutzen damit jeden Touchpoint – online wie offline Touchpoints –
vor einem Kauf von Körperpflegeprodukten häufiger als der Durchschnitt aller Onliner (Basis:
Haushaltsführung). Damit sind zumindest für Körperpflegeprodukte die Multi-Channel Shopper über
alle Touchpoints – neue, digitale genauso wie alte, physische – vor einem Besuch des Händlers
sehr gut zu erreichen.
31
Abbildung 17: Die Touchpoints vor einem Kauf von Körperpflegeprodukten
Der Online-Kanal ist damit für den Multi-Channel Shopper auch für FMCGs ein Einkaufskanal, der in
der näheren Zukunft weiter an Relevanz gewinnen wird. Fast 60% von ihnen können sich schon
heute vorstellen, in Zukunft alles nur noch online einzukaufen. Klingt wie der kommende Online-
Shopper und nicht wie der kommende Multi-Channel Shopper. Doch hier taucht eine Paradoxie auf,
die mit ausschließlich quantitativem Material nicht sichtbar wird. Daher greifen wir hier auf die
Ergebnisse einer qualitativen GfK Studie zurück. Diese hat zwar die „Digital Natives“ im Fokus und
damit eine Generation, die noch keine eigenen Haushalte gegründet hat, doch zeigt die Studie,
welche Bedürfnisse in den nächsten Jahren stärker „auf den Markt drängen“. Die Multi-Channel
Shopper sind Vorboten dieser kommenden Generation. In der Studie konnte gezeigt werden, dass
der Einkauf für die „Digital Natives“ am Erlebnis orientiert ist. Der Prozess des Einkaufens erfüllt für
sie soziale Bedürfnisse. In der Studie heißt es:
„Betrachtet man den idealen Einkauf für die Digital Natives, so zeigt sich, dass dieses Ideal meist
am Erlebnis orientiert ist. Der Prozess des Einkaufens erfüllt zuallererst wichtige soziale Bedürfnisse
und macht das Produkt mit allen Sinnen erlebbar. Der Spaß beim Einkaufen selbst, Wohlfühlen im
Laden sowie das Im-Mittelpunkt-Stehen der eigenen Person (Egozentrismus) machen dieses
Erlebnis dabei aus.
32
Das Einkaufsergebnis ist in dieser Idealvorstellung meist zweitrangig, spielt aber bei einem
nutzenorientierten Einkauf eine größere Rolle. Hier kommt es dann vor allem auf Faktoren wie
Convenience, Verfügbarkeit und Schnelligkeit an.“
9
Obwohl also 60% der Multi-Channel Shopper sich vorstellen können, in Zukunft alles nur noch
online einzukaufen, sind ihnen physische Erfahrungen und soziale Erlebnisse beim Einkauf
ebenfalls wichtiger als anderen Shoppertypen. Faktisch sind die Multi-Channel Shopper die
flexibelsten Menschen. Dies betrifft alle Bereiche des Lebens, und damit eben auch den Einkauf von
Lebensmitteln und Drogeriemarktprodukten. Sie nutzen alle Kanäle und tauschen sich über diese
hinsichtlich ihrer Erfahrungen aus. Kurz: sie üben eine starke Kontrolle aus und weisen ein hybrides
Shopper-Verhalten auf (Abbildung 18).
Abbildung 18: Der Multi-Channel Shopper mit starker Kontrolle und hybridem Verhalten
Quelle: GfK ConsumerScan
Der Shopper der Zukunft wird die Funktionalität des Online-Kaufes mit
der Sozialität des stationären Kaufes verbinden wollen.
9
GfK SE, Psychologie: Wie ticken „Digital Natives“? Nürnberg, September 2012
33
„Vireality“
Sich vorstellen können, alles online zu kaufen und trotzdem physische Erfahrungen/Erlebnisse zu
machen, dieser vermeintliche Widerspruch ist nur aufzuklären, wenn wir die Multi-Channel Shopper
noch etwas näher kennenlernen. Als jüngster Shopper-Typ gehören sie der flexiblen Generation an,
einer Generation, an die Anforderungen gestellt werden, mobil zu sein, sich nicht festzulegen, sich
nicht zu stark an etwas oder jemanden zu binden, um schnell Änderungen vornehmen zu können.
Ihr weiterer Lebensweg ist viel weniger determiniert als es noch in den älteren Generationen der Fall
war. Die meisten jungen Menschen der flexiblen Generation wissen heute nicht, wie ihre weitere
Biographie Aussehen und wo sie enden wird. Kontinuität und Linearität biographischer Verläufe
gehen verloren, stattdessen springt man von Punkt zu Punkt anstatt einem Pfad zu Folgen. Der
Sozialwissenschaftler Zygmunt Bauman spricht von einer pointillistischen Biographie, deren
Verständlichkeit und Ordnung erst – wenn überhaupt – am Ende der biographischen Karriere
Konturen zeigt. Eine biographische Voraussicht ist kaum noch möglich, denn das Leben, individuell
wie gesellschaftlich, wird zu einer Abfolge von Gegenwart, eine Verknüpfung von Augenblicken, die
mehr oder weniger intensiv erlebt werden.
10
Ein Ankommen ist nicht mehr möglich und die
Sicherheit über das, was als Nächstes kommt, geht verloren. Der Verlust der Sicherheit führt dazu,
ständig noch ein wenig besser, schlauer, schöner zu werden, als Vorbereitung des nächsten
Schritts, dessen Richtung jedoch noch gar nicht bekannt ist. Aber man muss gewappnet sein. Nichts
verspricht Dauer und Bestand.
11
Einige nennen es lebenslanges Lernen, aber es hat wenig mit
Lernen im Sinne von tieferer Erkenntnis zu tun, sondern eher etwas mit oberflächlicher Fitness.
Daher nennen wir es permanente Inszenierung.
Dieses flexibilisierte Leben, das nach jeder Entscheidung weitere Optionen offen hält, die einen
Fragen lassen, ob a) die getätigte Entscheidung die richtige war und b) welcher Schritt als nächstes
gegangen werden soll (ob sogar ein temporärer „Rückschritt“ notwendig ist), ist sehr anstrengend.
Entscheidung, Zweifel, weitere Suche lassen einen „Erschöpfungsstolz“ zu, wie Stephan Grünewald
schreibt
12
, doch vor allem entwickelt sich ein starkes Bedürfnis nach biographischer Sicherheit. In
kurzen, klaren Worten hat Nina Pauer es so ausgedrückt: „Wenn wir ehrlich sind, haben wir nämlich
mittlerweile überhaupt keine Lust mehr auf Suchen. Wir wollen endlich finden. Wir wollen zur Ruhe
kommen. Uns endlich einmal entscheiden.“
13
Oder noch kürzer: es geht um das Ankommen.
Dies letzte Zitat drückt aus, dass sich als Folge permanenter Inszenierung ein Bedürfnis nach Ruhe
und Ursprünglichkeit in der flexiblen Generation breit macht. Dieses Bedürfnis zeigt sich auch in der
10
Siehe dazu Zygmunt Baumann: Leben als Konsum. Hamburg 2009, S. 46f.
11
Vgl. Byung-Chul Han: Müdigkeitsgesellschaft. Berlin 2013.
12
Stephan Grünewald: Die erschöpfte Gesellschaft.
13
Nina Pauer: Wir haben keine Angst. Frankfurt am Main 2011, S. 78f.
34
zunehmenden Bedeutung von Familien- und Gemeinschaftswerten und dem Bedürfnis nach mehr
sozialer Anerkennung
14
, speziell in der jüngeren Generation. Die Wiederentdeckung traditioneller
Werte ist allerdings kein zurückfallen in einen Konservatismus, dem Wunsch nach einem Zurück „in
die gute alte Zeit“. Die flexible Generation lebt diesen Konflikt von Inszenierung und Authentizität
aus. Die jungen Menschen wissen, welche Anforderungen im öffentlichen Raum an sie gestellt
werden und dass sie diesen nicht entkommen können. Parallel dazu wird aber in einem privaten
Raum versucht, zu entschleunigen, soziale Nähe zu finden, Ursprünglichkeit zu entdecken (siehe
Abbildung 19). „Sharing economy“ und „urban gardening“ sind nur zwei Trends, die diesem Versuch
Ausdruck verleihen. Einem Versuch die Vita activa und die Vita comtemplativa parallel zu leben, die
eine im öffentlichen, die andere im privaten Raum. Dementsprechend versuchen viele der Multi-
Channel Shopper einen „Lifestyle of Health and Sustainability“ (LOHAS) zu leben.
Abbildung 19: Öffentliche Inszenierung und das Bedürfnis nach Authentizität im privaten Raum
Quelle: GfK Consumer Panels
Wie wenig dabei auf die physisch erlebbaren Lebensbereiche verzichtet werden kann, zeigen die
Ergebnisse unserer Analysen zum Sozialstress. Sozialstress wird hier verstanden als das Fehlen
von physischen Kontakten zu anderen Menschen. Wie zur Ermittlung des Zeitstress, haben wir zur
Ermittlung des Sozialstress eine Skala aus der Zustimmung/Ablehnung zu fünf Aussagen gebildet:
14
Vgl. Peter Wippermann und Jens Krüger: Werte-Index 2012.
35
- Ich würde gern in meiner Freizeit mehr unternehmen
- Es gibt oft Zeiten, zu denen ich zu viel allein bin
- Ich wünsche mir mehr gemeinsame Aktivitäten mit Anderen
- Ich bekomme zu wenig Anerkennung für meine Leistung
- Ich bedaure, dass sich unsere Familie nicht öfter zu gemeinsamen Anlässen (Weihnachten,
Geburtstag usw.) trifft
Unsere Hypothese war, dass die älteren Menschen am stärksten unter dieser Art von Sozialstress
leiden. Umso überraschter waren wir, als sich zeigte, dass es häufiger die jungen Menschen sind,
die Sozialstress wahrnehmen. Und so sind es auch die Multi-Channel Shopper, die am häufigsten
über Sozialstress klagen (Abbildung 20). Während 47% der Multi-Channel Shopper sehr starken
oder starken Sozialstress empfinden, sind es unter allen Onlinern nur 32% (jeweils Haushalts-
führung). Damit sind es diejenigen mit den meisten Kontakten in den digitalen sozialen Netzwerken,
die sich über zu wenig soziale Anerkennung und zu wenig gemeinsame Aktivitäten beklagen. Die
virtuelle Welt der Interaktionen ist also kein Ersatz für die physische Welt, allenfalls eine Ergänzung.
Abbildung 20: Sozialstress der Multi-Channel Shopper
Wir hatten gesagt, dass die Multi-Channel Shopper die Shopper der Zukunft sein werden. Doch
obwohl viele von ihnen es sich vorstellen können, bald nur noch online einzukaufen, weisen die
Analysen zu den Anforderungen an die Generation und ihren Bedürfnissen auf ein anderes
Shopperverhalten hin. Die Multi-Channel Shopper werden mit einer Ausweitung ihrer Online-
Einkäufe, die ohne Zweifel stattfinden wird, weiter auch die stationären Händler (auf)suchen, denn
36
physische Erlebnisse und soziale Interaktionen werden mit der Ausweitung „kalter“ Online-Einkäufe
nicht unwichtiger, sondern wichtiger.
Damit haben wir es wiederum mit einer Paradoxie zu tun: mit zunehmendem Gewicht der Online-
Einkäufe wird der stationäre Handel bei den Shoppern (wieder) an Bedeutung gewinnen. Letzterer
Kanal ist nicht mehr alternativlos und kann daher verlassen werden. Gleichzeitig aber wird seine
Bedeutung als Bestandteil unseres täglichen Lebens, unseres Aktionsraumes und Interaktions-
raumes wieder virulent. Alles immer Dagewesene wird erst dann vermisst, wenn es verschwunden
ist. Nun wird der stationäre Handel nicht verschwinden.
Das Bedürfnis nach echten sozialen Kontakten auch beim Shoppen, wird jedoch die Online-
Einkäufe nicht eindämmen. Um zu wachsen, muss der Handel beide Welten zusammenbringen. Wir
bezeichnen dieses Zusammenbringen als „vireality“, reale und virtuelle Welt müssen ineinander
greifen. Dies gilt für den eben beschriebenen neuen Shopper-Typen und es gilt für die quantitativ so
mächtige Gruppe der älteren Haushalte, denn in zehn Jahren werden alle Haushalte in Deutschland
privaten Online-Zugang haben, auch die dann über 70jährigen. Sie wegen des Aufstiegs des neuen
Shopper-Typen zu vernachlässigen wäre fahrlässig. Ein paar Ideen der Verbindung von physischer
und virtueller „Shopper Welt“ werden im abschließenden Teil angerissen.
37
4. Die Verknüpfung von physischer und virtueller Welt
Die Heranführung der jungen Multi-Channel Shopper und der älteren Shopper an den FMCG e-
Commerce wird im Detail sehr unterschiedlich sein müssen, hat jedoch für den heute stationären
Händler in beiden Fällen die gleiche Grundvoraussetzung, die wir als „physische Einbettung“
bezeichnen. Aufgrund seiner räumlichen Verortung hat der stationäre Handel beste Chancen, sich
im e-Commerce Markt zu etablieren, denn die physische Einbettung ist im Kampf um Online-
Marktanteile ein deutlicher Wettbewerbsvorteil. Allerdings nur, wenn die Verknüpfung von
physischer Einbettung und virtueller Relevanz gelingt. Was ist also mit „physischer Einbettung“
gemeint?
15
Wir hatten den derzeitigen Erfolg der LEH-Vollsortimenter auch mit seiner räumlichen Verankerung
in der Wohnnachbarschaft erklärt. Der LEH-Vollsortimenter ist schnell zu erreichen und hat
inzwischen ein Sortiment, das Großeinkäufe ermöglicht. Zudem gibt es dort günstige und qualitativ
hochwertige Handelsmarken und Premiummarken, die häufig zum Sonderangebot zu haben sind.
Neben diesen eher funktionalen Argumenten für das Aufsuchen eines Händlers, haben die beiden
großen LEH-Vollsortimenter zudem an einem ethisch-moralischen Dachmarkenimage gearbeitet
und damit eine an Werte orientierte emotionale Bindung zu den Menschen aufgebaut.
Diese Bindung lässt sich durch konkrete Nachbarschaftsaktionen ausbauen. Soziales nachbar-
schaftliches Engagement des Händlers kann starke Bindungen zu den Bewohnern fördern. Aber
auch schon Sticker-/Sammelbildtauschaktionen in den Räumlichkeiten des stationären Händlers
können diesen Effekt haben. Hier treffen sich die Kinder und die Eltern der Nachbarschaft, um die
gesammelten Sticker zu tauschen. Der Händler wird damit Teil der aktiven sozialen Nachbar-
schaftsinteraktion. Man lernt sich kennen, spricht miteinander und vielleicht entstehen neue
Bekanntschaften oder Freundschaften. Der Besuch des Händlers wandelt sich damit von einem
funktionalen Verhalten, dem Einkaufsverhalten, zu einer sozialen Handlung, den Austausch mit
anderen. Der Händler wird zumindest temporär zur funktionalen und sozialen Bereicherung. Er
bettet sich physisch in die Nachbarschaft ein.
Ein sehr schönes Beispiel einer starken (temporären) lokalen Einbettung des Händlers ist die
Sticker-Aktion eines Rewe Händlers in Rhede. Dieser hat auf den Stickern die Konterfeis aller
15
Das Konzept der „Einbettung“ ist in der Wirtschaftstheorie nicht neu, firmiert allerdings unter dem englischen Begriff
„embeddedness“, der folgendermaßen definiert werden kann: „in der relationalen Wirtschaftsgeographie verwendeter Begriff
für die Einbettung ökonomischer Aktivitäten in soziokulturelle Beziehungssysteme bzw. eines Unternehmens in sein
soziokulturelles Umfeld.“ (zitiert aus Springer Gabler Verlag (Herausgeber), Gabler Wirtschaftslexikon, Stichwort:
Embeddedness, online im Internet: http://wirtschaftslexikon.gabler.de/Archiv/9040/embeddedness-v6.html. Gundlegend der
Aufsatz von Mark Granovetter: Economic Action and Social Structure. The Problem of Embeddedness. American Journal of
Sociology, 91/1985, S. 481-510.
38
Fußballer des VFL Rhede abbilden lassen, sodass nicht national bekannte Stars gesammelt
wurden, sondern die Spieler des lokalen Fußballvereins. Ergebnis: „Obwohl die örtlichen Balltreter
nie über die Oberliga hinausgekommen waren, veranstalteten die Konsumenten in dem
münsterländischen Ort einen regelrechten Run auf die eigens produzierten Lokalhelden-Sticker in
Sammeltüten. … Im Rewe-Markt und drumherum kam es nach Aktionsbeginn zu manch
ungewöhnlich-originellem Dialog: ‚Ich hab Deinen Vadder!‘. ‚Ich hab Dich‘ – ‚Cool, tauschst Du
mich?‘ oder Ähnliches war da zu hören.“
16
Diese sozial-räumliche Einbettung schafft strukturelle Vorteile für den stationären FMCG Händler
gegenüber reinen Online-Händlern im Wettbewerb um e-Commerce Marktanteile, denn durch die
Einbettung wird Vertrauen gebildet und das Vertrauen in den Händler ist die Basis für ein erfolg-
reiches Online-Geschäft. Sie muss sich nicht auf den nachbarschaftlichen Kontext am Wohnort der
Menschen beschränken; ebenso denkbar – und für hoch mobile, flexible Bevölkerungsgruppen
mindestens ebenso wichtig – ist die sozial-räumliche Einbettung am Arbeitsplatzkontext und an
räumlichen Knotenpunkten der Mobilität. Hier mit der Bereitstellung von Konsum- und Erlebnis-
welten die Bedürfnisse der jeweiligen Verfassung zu befriedigen, hilft das Kerngeschäft am Wohnort
der Menschen zu stärken. Wird das multi-stationäre Konzept mit der digitalen Welt verbunden,
betreiben wir mobiles Verfassungsmarketing. Wie dies geschehen kann, wird gleich klarer.
So paradox es klingen mag, der Erfolg der stationären FMCG Händler
im e-Commerce Markt geht nur über das „Prinzip der Lokalität“.
Betrachtet man die heutigen Online-Auftritte der stationären Händler – und vor allem der FMCG
Händler – erhärtet sich die Hypothese, dass anscheinend von vielen Händlern die reale, stationäre
und die virtuelle Welt als zwei vollständig separate Erlebniswelten gesehen werden. Natürlich gibt es
heute online Hinweise auf den nächsten stationären Shop und umgekehrt wird stationär auf die
Internetadresse verwiesen. Als Bestandteile eines zusammenhängenden Erlebnisraums, in dem an
den verschiedenen Touchpoints (Kanälen) unterschiedliche Bedürfnisse einer Erlebniswelt erfüllt
werden müssen, um erfolgreich zu sein, werden stationärer und digitaler Touchpoint aber
anscheinend nicht gesehen. Um online erfolgreich zu sein, müssen daher zunächst die heutigen und
– als Kür – die kommenden Bedürfnisse der Menschen ermittelt werden, um dann in einem
16
Lebensmittel Zeitung.net, http://www.lebensmittelzeitung.net/business/themen/messen-events/Salescup_959_14774.html,
download 24.07.2013.
39
ganzheitlichem Verständnis zu prüfen, wie diese über die unterschiedlichen Kanäle befriedigt
werden können.
Nun bleibt dieses Erfordernis ein Allgemeinplatz, wenn es nicht mit Ideen gefüllt wird. Daher hier
abschließend ein paar Anregungen. Beginnen wir mit der flexiblen Generation: Wir haben bei der
Analyse des neuen Shopper-Typen gesehen, dass der stationäre Händler weiter von großer
Bedeutung bleibt, da diesen Shoppern ein physischer Erlebnisraum wichtig ist. Vor allem Zeitstress
macht für sie aber den Online-Kanal attraktiv. Im Internet kennt er sich aus und nutzt die neusten
technischen Innovationen, wie – Stand heute – Smartphones und Tablets. Der Multi-Channel
Shopper zeichnet sich aber noch durch weitere wichtige Merkmale aus. So verlagert er zum Beispiel
mehr und mehr seines FMCG-Konsums außer Haus. Vor allem das Mittagessen, aber teilweise
auch das Frühstück werden immer häufiger nicht mehr zu Hause zubereitet und konsumiert,
sondern außerhalb der eigenen Wohnung. Das kann in der Kantine sein oder im Restaurant –
inklusive Schnellrestaurant und Imbiss – oder auf der Straße (‚to go‘). Häufig muss es dabei sehr
schnell gehen (‚convenience‘), aber das Essen sollte doch ein gewisses Qualitätsniveau nicht unter-
schreiten und möglichst frisch und gesund sein. Ein Händler, der mit seinen stationären Filialen
versucht, diese Bedürfnisse zu befriedigen, wird viele dieser flexiblen Menschen ansprechen.
Die jungen, hoch flexiblen, jungen Menschen im erwerbsfähigen Alter treten verstärkt in den Städten
des Landes auf und verbringen dort tagsüber – aufgrund der Arbeitsstellen – und abends – aufgrund
ihrer kulturellen Präferenzen – viel Zeit im innerstädtischen Raum. Auf den Wohnort dieser
Menschen bezogene Konzepte sind hier zwar weiter sehr wichtig, doch aufgrund des großen
Aktionsraumes und der dadurch am Wohnort relativ kurz verbrachten Zeit, ist es zudem wichtig
ihnen am Arbeitsort und an den wichtigsten Mobilitätsknotenpunkten ebenfalls Angebote zu
machen. Das „Prinzip der Lokalität“ muss zur Erreichung dieser flexiblen Generation durch den
Plural ersetzt, also zum „Prinzip der Lokalitäten“ werden.
Es wurde schon von der Verinselung der Aktionsräume von Kindern gesprochen, im Prinzip haben
wir es hier mit einer ähnlichen Verinselung des modernen Stadtmenschen zu tun. Auf jeder der
Inseln dominieren andere Bedürfnisse. Daher können wir die Aufgabe der stationären Bedürf-
niserfüllung als sozial-räumliches Inselmarketing bezeichnen, das auf die jeweilige Verfassung auf
den Inseln fokussiert. Dieses erfolgreiche Inselmarketing muss heute bzw. in der nahen Zukunft
durch die Verbindung zur digitalen Welt ergänzt und zum mobilen Verfassungsmarketing ausgebaut
werden. Es geht um eine ganzheitliche Betreuung dieser modernen, städtischen Menschen durch
den Händler. Und eine ganzheitliche Betreuung verknüpft die physische mit der virtuellen Welt.
Für den Einkauf des Konsums am Wohnort bleibt der flexiblen Generation häufig wenig Zeit. Nun
könnte es eine Entlastung für diese Menschen sein, wenn an wohnortfernen Inseln, zum Beispiel
dort, wo tagsüber gegessen wird, digitale Touchpoints eingerichtet werden, mit denen der Einkauf
für den eigenen Haushalt vorgenommen werden kann. So könnten zum Beispiel in Restaurants und
40
Bistros Tablets zu Verfügung gestellt werden, mit denen während der Mittagspause die Einkäufe
online getätigt werden können. Diese Einkäufe werden in einen Einkaufswagen deponiert, der
täglich weiter gefüllt und dann am Wochenende, Freitag und Samstag, in der Filiale am Wohnort
abgeholt werden können.
Während der Mittagspause steht der „frame“ auf Speisen und Getränke. Damit ist eine Verbindung
zur Bestellung von Nahrungsmittel für den privaten Konsum hergestellt. Während auf das bestellte
Essen gewartet wird, kann über das Tablet der Online-Einkauf beim Händler stattfinden. Wenn
einem zum Beispiel nach der Bestellung eines Nudelgerichtes einfällt, dass man zu Hause keine
Nudeln mehr vorrätig hat, werden diese schnell beim Händler online geordert und in den Warenkorb
für den stationären Wocheneinkauf gelegt. Dieser Vorgang kann bis zum Abholtermin beim
stationären Händler zu jeder Zeit und von allen Orten mit Online-Zugang wiederholt werden. Am
Ende der Woche kann sich der Shopper dann seine gesammelten Bestellungen in der Filiale seines
Wohnortes abholen. Eine ausgedruckte Liste der Produkte des Warenkorbes hilft ihm bei der
Ergänzung der Einkäufe während seines Besuches in der stationären Filiale.
Der zeitgestresste Shopper wird dadurch stark entlastet. Seine wichtigsten Einkäufe hat er schon
während der Woche getätigt, er muss sie nur noch in seiner Filiale abholen. Dadurch spart er am
Wochenende erheblich Zeit, die zur Verlängerung der Mußezeit genutzt werden kann. Durch das
Abholen der Waren in der stationären Filiale besteht zudem die Möglichkeit, doch noch vergessene
Produkte schnell noch nachzukaufen. Dafür wird aber kein großer Einkaufswagen mehr notwendig
sein, ein kleiner Korb reicht aus. Extra eingerichtete Kassen für Online-Besteller könnten die
Wartezeit an der Kasse zur Bezahlung der „Nachkäufe“ minimieren.
Der neue Shopper-Typ, den wir oben als Multi-Channel Shopper bezeichnet haben, kann somit alle
entlastenden Annehmlichkeiten des Online-Kaufes mit den sozialen Aspekten des Kaufes beim
stationären Händler verbinden. Die Attraktivität der Online-Bestellung kann für ihn noch gesteigert
werden, wenn für die Online-Bestellung jeden Tag ein Sonderangebot des Tages ausgewiesen wird,
das nur zu dem bestimmten Tag als Sonderangebot gekauft werden kann, aber wenn es online
bestellt wurde, erst am Wochenende abgeholt werden muss. Bei diesen Angeboten des Tages sollte
es sich natürlich um Produkte handeln, die für die Zielgruppe des modernen, flexiblen Menschen
hoch attraktiv sind.
Dies ist nur eine Idee der Ansprache der jungen, flexiblen Generation. Natürlich muss hier noch
weiter ins Detail gegangen werden – hinsichtlich der Verbreitung der Tablets, des Ladens einer App
zum Bestellen vom eigenen, privaten Tablet und der Bezahlmodalitäten bei Bestellung –, das Bei-
spiel sollte aber veranschaulicht haben, wie physische und digitale Welt einen Erlebnisraum bilden
und ineinandergreifen sollten, um sowohl den stationären als auch den Online-Handel voranzu-
bringen.
41
Die Hinführung der älteren, nicht mehr erwerbstätigen Bevölkerung zum e-Commerce muss
dagegen anders ansetzen, vor allem, wenn wir über die über 70jährigen sprechen. Wie bei der
flexiblen Generation müssen wir zunächst Klarheit darüber gewinnen, was die ältere Generation
auszeichnet und auszeichnen wird. Zunächst einmal werden in Deutschland immer mehr Menschen
im Alter von 70+ leben und allein aufgrund dieser quantitativen Zunahme, wird der Nahversorger
immer wichtiger. Der sozial-räumliche Kontext der Wohnnachbarschaft ist zentraler Aktionsraum der
über 70jährigen, da innerhalb dieses Kontextes die meiste Zeit verbracht wird. Die Stärkung nach-
barschaftlicher Beziehungen ist für diese Generation daher sehr wichtig. Die Knüpfung eines
nachbarschaftlichen Hilfeleistungsnetzwerkes bietet ihnen Geborgenheit.
Im Gegensatz zur flexiblen Generation haben die älteren Haushalte Zeit, sie benötigen den Internet-
kanal nicht, um Zeit zu sparen. Für sie sind physische Entlastungen beim Einkauf sehr viel wichtiger.
Ein Service, der die zunächst noch stationär getätigten Einkäufe in die Wohnungen der älteren
Menschen bringt, würde für viele Haushalte der älteren Generation sicher sehr attraktiv sein. Dieser
Service sollte nachbarschaftlich organisiert sein, sodass er zur Stärkung des nachbarschaftlichen
Hilfeleistungsnetzwerkes beiträgt. So könnte der Händler zusammen mit lokalen Institutionen wie
der ansässigen Kirchengemeinde diesen Service aufbauen. Sobald der Service nicht nur die älteren
Bewohner entlastet, sondern auch diejenigen, die die Einkäufe bringen, aus der Nachbarschaft
stammen, sind die Nutzer des Services eher bereit für den Service etwas zusätzlich zu zahlen. Ein
in dieser Art funktionierender Service würde das Vertrauen der älteren Menschen in den Händler
festigen.
Heute verfügt ein erheblicher Anteil der über 70jährigen über keinen privaten Internetzugang. In
zehn Jahren werden aber fast alle der dann über 70jährigen über einen Internetzugang verfügen.
Trotzdem werden viel stärkere Unsicherheiten bei der Nutzung des Internets als Transaktionskanal
vorherrschen als bei der jungen, flexiblen Generation. Ein starkes Vertrauen in den Online-Händler
ist damit Grundvoraussetzung für den Online-Kauf. Der Bring-Service der stationären Einkäufe baut
dieses Vertrauen auf. Hat es sich verfestigt, kann darauf hingewiesen werden, dass der gesamte
Einkauf von zu Hause durchgeführt werden kann, wenn ein Internetzugang vorhanden ist. Der
Bezahlvorgang müsste in diesem Fall gar nicht online stattfinden, denn da die Einkäufe weiter
angeliefert werden, weiter von anderen Bewohnern der Nachbarschaft, könnte die Bezahlung bar
oder mit ec-Karte stattfinden.
Auch diese Idee zur Heranführung älterer, über 70jähriger Menschen an Online-Einkäufen soll nur
illustrieren, wie stationärer Handel und digitale Einkäufe verknüpft werden können und sollten, vor
allem, wenn es um Güter des täglichen Bedarfs geht. Nur durch die Überwindung der inzwischen
künstlichen Trennung von physischer und virtueller Welt können die FMCG Online-Einkäufe zu
einem ähnlich habitualisierten Verhalten werden, wie es die stationären Einkäufe sind.
42
In dieser Reihe außerdem erschienen:
2012
Auf der Suche nach einem kohärenten Qualitätsversprechen. Die junge, flexible Generation
zwischen öffentlicher Inszenierung und privater Authentizitätssuche
Weitere Informationen bei:
Dr. Robert Kecskes
Manager Strategic Customer Development
Consumer Panels │ Consumer Experiences
Tel.: 0211 / 93 65 32 10
robert.kecskes@gfk.com

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Shopperverhalten im Umbruch

  • 1. GfK SE Consumer Panels │Consumer Experiences August 2013 Shopper-Verhalten im Umbruch – die Entstehung eines neuen FMCG Shopper-Typen
  • 2. 2 Die GfK ist eines der größten Marktforschungsunternehmen weltweit. Ihre mehr als 11.500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter erforschen, wie Menschen leben, denken und konsumieren. Dabei setzt die GfK auf permanente Innovation und intelligente Lösungen. So liefert die GfK in über 100 Ländern das Wissen, das Unternehmen benötigen, um die für sie wichtigsten Menschen zu verstehen: ihre Kunden.
  • 3. 3 Shopper-Verhalten im Umbruch – die Entstehung eines neuen FMCG Shopper-Typen Dr. Robert Kecskes ______________________ August 2013
  • 4. 4 © 2013 by GfK SE Alle Rechte vorbehalten
  • 5. 5 Inhalt 1. Das Ende des Mengenwachstums ………………………………………… 6 2. Der Rückgang stationärer FMCG Shopping Trips ……………………….. 8 3. Die Entstehung eines neuen Shopper-Typen..………………………….... 27 4. Die Verknüpfung von physischer und virtueller Welt …………………….. 37
  • 6. 6 1. Das Ende des Mengenwachstums Seit einigen Jahren ist für den FMCG-Einzelhandel ein Rückgang der gekauften Mengen zu beobachten. So wurde zwischen 2006 und 2011 zwei Prozent weniger Menge abgesetzt und zwischen 2011 und 2012 waren es noch einmal knapp ein Prozent (Abbildung 1). Dieser Rückgang ist nicht auf den Bevölkerungsrückgang in Deutschland zurückzuführen, denn die dadurch verlorenen Konsummengen werden durch den Gegentrend der Zunahme von Haushalten mehr als kompensiert. Tatsächlich haben wir in Deutschland die paradox erscheinende Situation einer Bevöl- kerungsabnahme bei gleichzeitiger Zunahme der Anzahl der Haushalte. Dies liegt natürlich daran, dass die Haushalte immer kleiner werden und der Anteil von Ein- und Zwei-Personenhaushalten deutlich zunimmt. Es lässt sich nun zeigen, dass zwei Ein-Personenhaushalte, die die gleiche sozio- demographische Struktur aufweisen wie ein Zwei-Personenhaushalt, einen um ca. 14% höheren Mengenkonsum haben. Der Mengenrückgang hat also andere Gründe. Abbildung 1: Veränderung der Absatzmengen der FMCG-Einzelhändler (Lebensmitteleinzelhandel inklusive Drogeriemärkte) Quelle: GfK Consumer Scan Neben steigenden Lebensmittelpreisen ist für den Mengenrückgang ein gesellschaftlicher Trend verantwortlich, den wir als Flexibilisierung bezeichnen. Die hohen Flexibilitätsanforderungen, die heute vor allem, aber nicht nur, an die jüngeren Erwerbstätigen gestellt werden, führen dazu, dass sie immer weniger Zeit für Routinehandlungen wie zum Beispiel den Einkauf von Gütern des täglichen Bedarfs haben. Damit sinken die Einkaufslust und die Einkaufsfrequenz, was wiederum dazu führt, dass weniger Impulskäufe am „Point of Sale“ stattfinden. Aber auch gesellige, private
  • 7. 7 Treffen mit Freunden, Nachbarn oder Verwandten werden dadurch seltener, denn es ist inzwischen ein logistisches Problem, die Personen zu einem bestimmten Datum zusammenzubekommen. Der Mengenrückgang im FMCG-Einzelhandel ist aber nicht gleichbedeutend mit einem Rückgang des Konsums. Der Großteil der Einkäufe beim FMCG-Einzelhändler wird für den privaten Konsum zu Hause gekauft. Dieser Konsum geht aufgrund der Flexibilisierungsanforderungen an die erwerbs- tätigen Menschen tatsächlich deutlich zurück. Doch er wird vor allem außer Haus verlagert. Heute essen und trinken die Menschen viel mehr außer Haus, in Kantinen, Mensen, (Schnell-) Restaurants oder direkt auf der Straße als noch vor zehn Jahren. Das Mittagessen zu Hause findet immer seltener statt, vor allem in der Woche. Nun könnte eingewendet werden, dass die Erwerbstätigen doch schon immer tagsüber an ihrem Arbeitsplatz waren und nicht zu Hause zu Mittag gegessen haben. Dies ist völlig richtig, doch waren es zunächst vor allem die Männer, die mittags nicht zu Hause waren, sind es durch die zunehmende Berufstätigkeit der Frau heute eben auch viele Frauen. Und weil diese Doppelverdiener-Haushalte häufig auch Kinder haben – heute eher ein als zwei oder drei – findet auch das heimische Mittagessen der Kinder in der Woche nur noch selten statt. Ganztagsbetreuungen in Kindergärten und Schulen bieten den Kindern in der Woche in der Regel das Mittagessen an. Die Händler haben auf diese Trends reagiert, zum Beispiel mit „Convenience“-Konzepten. Und auch der mit den Trends verbundenen qualitative Wandel, wie sich wandelnden Bedürfnisse und Anfor- derungen an Waren und Händler, wurde von einigen Händlern erfolgreich aufgenommen. Diese durchaus erfolgreichen Konzepte beziehen sich jedoch ausnahmslos auf den stationären Handel. Hinsichtlich des Online-Handels besteht zwar Einigkeit darüber, dass man sich hier platzieren muss, doch ebenso gemeinsam ist die Unsicherheit, wie dieses geschehen kann. Viele Konzepte und Ideen wurden als Piloten schon getestet, so richtig gezündet haben sie noch nicht. Mit dieser kleinen Broschüre möchten wir die Diskussion weiter voran bringen. Wir haben dabei die feste Überzeugung, dass ein erfolgreicher FMCG e-Commerce auftritt nur dann wahrscheinlich ist, wenn das stationäre Einkaufsverhalten verstanden wird. Dieses – genau wie das heute schon zu beobachtende e-Commerce Verhalten – wiederum lässt sich nur verstehen, wenn es im Kontext des gesellschaftlichen Wandels betrachtet wird. Aus diesem Verständnis lassen sich dann Ideen für den e-Commerce Auftritt ableiten. Daher werden wir uns zunächst dem stationären Einkaufsverhalten zuwenden und einige Erklärungen des Wandels aus den gesellschaftlichen Trends ableiten. Dann wenden wir uns dem Aufstieg eines neuen Shoppertypen zu, um schließlich einige Grundätze und praktische Ideen für den e-Commerce Handel abzuleiten.
  • 8. 8 2. Der Rückgang stationärer FMCG Shopping Trips Die Bevölkerung in Deutschland hat immer weniger Lust, Fast Moving Consumer Goods (stationär) einzukaufen. Grund hierfür ist nicht ein zunehmendes Desinteresse an den Produkten, denn die Ansprüche an Produktqualität steigen seit einigen Jahren wieder, es geht vielmehr um den Akt des Einkaufens selbst. Sagten 2006 ein Viertel aller Haushaltsführer, dass ihnen das Einkaufen lästig sei, waren es 2012 ein Drittel (siehe Abbildung 2). Somit ist in Deutschland der Anteil an Haus- halten, denen das stationäre Einkaufen von FMCG lästig ist, um gut 30% gestiegen. Entstrukturierung, Flexibilisierung und Digitalisierung erhöhen den Zeit- stress und verstärken die Unlust an unerlässlichen Routinehandlungen wie den stationären Einkauf von Gütern des täglichen Bedarfs Die zunehmende Unlust erklärt sich aus der Beschleunigung des gesellschaftlichen Lebens. Ent- strukturierungsprozesse und Flexibilisierungsanforderungen, gepaart mit einer rasanten Entwicklung von elektronischen, digitalen und damit vernetzten Kommunikationsmöglichkeiten, deren Ent- wicklungsgeschwindigkeit weit schneller voranschreitet als die Fähigkeiten der individuellen Verar- beitungskapazitäten, sind die Treiber für die zunehmende Unlust, Güter des täglichen Bedarfs stationär einzukaufen. Die Nicht-Synchronität von Ausbreitung der Kommunikationsvielfalt und der Entwicklung weiterer kognitiv notwendiger Verarbeitungskapazitäten führt dazu, dass wir keine Zeit mehr haben, obwohl wir sie im Überfluss gewinnen. 1 Zeitstress wird damit zu einem breite Bevölkerungsschichten umschließenden Phänomen. Vor allem jüngere Menschen klagen über zu wenig Zeit (für sich und andere). Wie wir in der GfK Studie „Auf der Suche nach einem kohärenten Qualitätsversprechen“ zeigen konnten, ist dieser Zeit- und auch der damit verbundene Sozialstress ein Grund, für die stark zunehmende Qualitätsorientierung, die sich u.a. in einer zunehmenden Frischeorientierung und der Suche nach mehr Natürlichkeit äußert. 1 Vgl. Hartmut Rosa: Beschleunigung. Die Veränderung der Zeitstruktur in der Modernen. Frankfurt am Main, 2005.
  • 9. 9 Abbildung 2: Entwicklung der Einkaufslust bezogen auf den stationären FMCG Handel (Zustimmung in Prozent) Quelle: GfK ConsumerScan Auf der anderen Seite schmälert der zunehmende Zeitstress aber die Lust, notwendige, habi- tualisierte Handlungen auszuführen. Ein FMCG-Einkauf muss halt sein, wenn man nicht verdursten oder verhungern will. Leider – aus Sicht der zeitknappen Haushalte – haben befristete Haltbar- keitsdaten für Nahrungsmittel und Platzrestriktionen in der Küche und im Badezimmer zur Folge, dass in einem relativ kurzen Turnus die Einkaufstätigkeit wiederholt werden muss. Und wenn der Einkauf keinen besonderen Erlebniswert aufweist und auch keine Ungeduld besteht, ein geliebtes Produkt endlich (wieder) zu kaufen, dann wird der Einkaufsakt nicht nur notwendig, sondern auch zur Routine. Nun sind aber Routinehandlungen in den seltensten Fällen aufregend. Vor dem Hintergrund zunehmender Zeitrestriktionen werden sie als zunehmend belastend empfunden und steigern die Unlust an der Ausführung der Handlung. Eine Folge dieses strukturellen Wandels ist der Rückgang der stationären Shopping Trips (Abbil- dung 3) 2 ; sie sind zwischen 2003 und 2012 von durchschnittlich 270 auf durchschnittlich 220 Trips gesunken, d.h. um -19%. Werden die Haushaltsführenden nach ihrem Lebensalter differenziert, zeigt sich, dass die jüngeren Lebenswelten, die schon 2006 die wenigsten Shopping Trips 2 Ein Shopping Trip ist der Besuch eines Händlers. Werden an einem Tag zwei Händler aufgesucht, handelt es sich um zwei Shopping Trips. Shopping Trips sind damit nicht zu verwechseln mit der Anzahl der Einkaufstage, die niedriger ist.
  • 10. 10 aufwiesen, bis 2012 noch einmal am stärksten reduziert haben (Abbildung 4). Konkret bedeutet dies, dass die Shopper generell und die jüngeren Shopper im Speziellen immer seltener am „Point of Sale“ anzutreffen sind. Handel und Hersteller müssen sich vor diesem Hintergrund fragen, inwieweit bei „Point of Sale“ Verkaufsmaßnahmen jüngere Shopper überhaupt noch erreicht werden. Abbildung 3: Durchschnittliche Anzahl Shopping Trips der Haushalte 2003 bis 2012 Quelle: ConsumerScan Werden junge Shopper-Haushalte am Point of Sale überhaupt noch erreicht?
  • 11. 11 Abbildung 4: Entwicklung der Anzahl Shopping Trips nach jungen, mittelalten und älteren Shoppern Wie stark die zunehmenden Flexibilisierungsanforderungen und Entstrukturierungsprozesse das stationäre FMCG-Einkaufsverhalten beeinflussen, zeigt auch eine multivariate statistische Analyse von Einflüssen auf die Häufigkeit der Shopping Trips von Haushalten. In die Analyse gingen fünf Dimensionen als Einflussfaktoren auf die Shopping Trips ein: Sozio-demographie, Moral, Raum, Promotion und Entstrukturierung. Die Analyse kommt vor dem Hintergrund des Rückgangs der Shopping Trips zu dem überraschenden Ergebnis, dass viele gesellschaftliche Trends die Anzahl der Shopping Trips eigentlich erhöhen sollten. Neben der abnehmenden Haushaltsgröße wirken nur die den Zeitstress erhöhenden Trends negativ auf die Anzahl der Shopping Trips. Aber wir wollen die Trends und ihre Einflüsse auf die Shopping Trips im Einzelnen betrachten. Das Gesamtergebnis der multivariaten Regressionsanalyse ist am Ende dieses Abschnitts in Abbildung 10 zusammen- gefasst.
  • 12. 12 Sozio-demographie Über demographische Entwicklungen muss nicht mehr viel geschrieben werden. Allen ist inzwischen der Prozess der Alterung der deutschen Gesellschaft bekannt. Damit verbunden ist natürlich auch eine Abnahme der Haushaltsgrößen, denn ältere Menschen leben in der Regel in Ein- bis Zwei- Personenhaushalten, während jüngere Menschen häufiger in Zwei-Personenhaushalten und größeren Haushalten leben. Allein dadurch verringert sich im Zuge der Alterung der Gesellschaft die durchschnittliche Haushaltsgröße in Deutschland. Festzuhalten ist aber, dass in Deutschland seit Jahren die Anzahl der Haushalte schneller zunimmt als die Abnahme der Bevölkerungszahl. Dies deutet an, dass neben der Alterung der Gesellschaft weitere Faktoren die abnehmende Haushaltsgröße erklären. Und schaut man sich die Daten genauer an, stellt man fest, dass die Anzahl an Ein-Personenhaushalten auch in den jüngeren Altersgruppen zunimmt. Vor allem die Altersgruppe, die voll im Erwerbsleben steht, weist einen deutlichen Zuwachs der Lebensform „alleinlebend“ auf. Dies muss nicht bedeuten, dass die Personen partnerlos leben. Immer häufiger lebt man, zumindest temporär, vom Partner räumlich getrennt. Die Lebensform ist im anglo-amerikanischen Sprachraum als „Living Apart Together“ (LAT) bekannt. Die Anzahl kleiner Haushalte steigt nicht nur aufgrund der Alterung der Gesellschaft, auch das räumlich getrennte Zusammenleben („Living Apart Together“) wird weiter zunehmen. Beide Trends, Alterung und Zunahme der Ein-Personenhaushalte in den voll erwerbstätigen Alters- gruppen, zeigen sich deutlich in unseren Prognosen der Entwicklung der Familienlebenswelten, die wir auf Basis der Daten des Statistischen Bundesamtes erstellt haben (Abbildung 5). Die Haushalte, in denen keine Haushaltsmitglieder mehr im Erwerbsleben stehen, nehmen stark an quantitativer Bedeutung zu, während die Familien mit Kindern an Gewicht verlieren. Zunehmen wird aber auch die Gruppe der „Berufstätig Alleinlebenden“. Genau dies ist die Bevölkerungsgruppe, in denen die Lebensform „Living Apart Together“ zu finden ist.
  • 13. 13 Abbildung 5: Prognose der Entwicklung der Familienlebenswelten bis 2025 Ältere Menschen gehen häufiger einkaufen, kleinere Haushalte weisen weniger Shopping Trips auf. Die sozio-demographischen Entwicklungen haben (nach statistischer Kontrolle der weiteren Ein- flussfaktoren) gegenläufige Effekte auf die Shopping Trips. Die Analyse zeigt, dass mit zunehmen- dem Alter die Anzahl der Shopping Trips steigt und mit abnehmender Haushaltsgröße die Anzahl der Shopping Trips abnimmt. Der demographische Trend der Alterung der Gesellschaft führt also zu einer Zunahme der stationären Shopping Trips, die Abnahme der Haushaltsgröße senkt die Anzahl der Trips.
  • 14. 14 Ethik und Konsum In den Analysen für das 32. Unternehmergespräch der GfK Consumer Panels im Januar 2013 konnten wir einen Trend nachweisen, den wir in Anlehnung an die wissenschaftlichen Analysen von Nico Stehr 3 „Moralisierung der Märkte“ genannt haben. Damit gemeint ist eine Zunahme ethischer Kriterien bei der Kaufentscheidung für FMCG. Deutlich wird dieser Trend zum Beispiel in der Zunahmen des „Lifestyle of Health and Sustainability“ (LOHAS). Im den GfK Verbraucherpanels wird die Verbundenheit mit diesem Lebensstil seit 2007 ermittelt. Wir unterscheiden in dieser Typologie vier LOHAS-Typen: die LOHAS-Kerngruppe, die LOHAS-Randgruppe, die Indifferenten und die Unbedachten. Von der LOHAS-Kerngruppe bis zu den Unbedachten nimmt die Zentralität des Lebensstils ab. Während für die LOHAS-Kerngruppe Themen wie Ursprünglichkeit, Nachhaltigkeit und soziale Gerechtigkeit einen sehr hohen Stellenwert im Einkaufsverhalten einnehmen, spielen diese Inhalte bei den Unbedachten so gut wie keine Rolle. Gleichzeitig will die LOHAS-Kerngruppe aber ebenso wenig wie die anderen Gruppen auf Genuss verzichten. "Von unterschiedlichen Niveaus ausgehend, ist in ganz Europa eine Stärkung des Nachhaltigkeitsgedankens in der Ernährungsindustrie und im Lebensmittelhandel zu beobachten." David Bosshart, 2011: The Age of Less. Murmann Verlag: Hamburg (Dr. David Bosshart ist Geschäftsführer des Gottlieb-Duttweiler- Instituts für Wirtschaft und Gesellschaft in Rüschlikon/Zürich) Die Typologie ist hinsichtlich des faktischen Kaufverhaltens von Nahrungsmitteln, Getränken und Drogeriemarktprodukten äußerst trennscharf, d.h. in allen Bereichen und Warengruppen sind die LOHAS die Träger von Natur-, Regional- und Sozialkonzepten. Im Zeitvergleich nimmt nun vor allem der Anteil der LOHAS-Kerngruppe deutlich zu (Abbildung 6). Betrug der Anteil 2007 noch knapp 10% stieg er bis 2012 auf gut 14%. Dies ist ein Indikator der „Moralisierung der Märkte“. Es gibt weitere Indikatoren, wie die zunehmende Bedeutung regionaler und frischer Produkte. 3 Nico Stehr: Die Moralisierung der Märkte. Frankfurt am Main, 2007.
  • 15. 15 Abbildung 6: Die Zunahme der LOHAS-Kerngruppe Quelle: GfK ConsomerScan Verbunden mit dem „Lifestyle of Health and Sustainability” ist die Achtung der endlichen Ressour- cen. Dies führt zum Beispiel dazu, dass die LOHAS-Kerngruppe bestrebt ist, möglichst nichts an eingekauften Lebensmitteln wegschmeißen zu müssen. Es wird lieber einmal mehr eingekauft als zu viel. Damit müsste aber mit der „Moralisierung der Märkte“ die Anzahl der Shopping Trips zunehmen. Und tatsächlich zeigt unsere Analyse, dass kritische Ökologen und Menschen, die möglichst keine Lebensmittel wegschmeißen möchten, häufiger einkaufen als Menschen, denen diese „ethischen Aspekte“ weniger wichtig sind. Mit der „Moralisierung der Märkte“ haben wir es also mit einem gesellschaftlichen Trend zu tun, der die Anzahl der stationären Shopping Trips eigentlich erhöhen sollte. Mit der „Moralisierung der Märkte“ steigt die Anzahl der stationären Shopping Trips, da pro Einkaufsakt nicht mehr eingekauft wird als tatsächlich benötigt.
  • 16. 16 Urbanität Im Ländervergleich ist in Deutschland die Dichte an Lebensmitteleinzelhändlern und Drogerie- märkten mit am höchsten. Sehr viele Menschen können einen Lebensmittelhändler und Drogeriemarkt zu Fuß erreichen. Diese Dichte hat sich in den letzten Jahren tendenziell weiter erhöht. Heute erreicht ein durchschnittlicher Haushalt in Deutschland innerhalb von fünf Minuten Fahrzeit 6,2 FMCG-Einzelhändler (Lebensmitteleinzelhändler inklusive Drogeriemärkte). Innerhalb von zehn Minuten Fahrzeit sind es 28 Geschäfte. Für einen großen Teil der Bevölkerung ist es also möglich, schnell einmal etwas einkaufen zu gehen, sei es der gewöhnliche Einkauf oder das Nachkaufen von vergessenen Produkten. Allein aufgrund dieser Dichte an Einkaufsstätten sollte die Anzahl der Shopping Trips relativ hoch sein. Aber natürlich variiert die Einkaufsstättendichte auch in Deutschland. Im ländlichen Raum ist es sehr viel unwahrscheinlicher, einen stationären Händler in der Nachbarschaft zu finden als im städtischen Raum. Vor allem in den inzwischen teilweise bevölkerungsentleerten, strukturschwachen Gebieten in Ostdeutschland kommt man ohne Auto kaum noch aus. Dort ist es nicht möglich, einmal schnell etwas nachzukaufen. Die Kehrseite einer „Bevölkerungsentleerung“ von strukturschwachen, ländlichen Regionen ist die Dynamik einer weiteren Urbanisierung in Deutschland. Laut Institut der Deutschen Wirtschaft weisen in Deutschland die Ballungsräume fast ununterbrochen steigende Einwohnerzahlen auf, während ländliche Gegenden permanent an Bevölkerung verlieren. 4 Und das Berlin Institut für Bevölkerung und Entwicklung geht in einer Prognose bis zum Jahr 2025 davon aus, dass dieser Urbanisierungstrend anhält. 5 Die stark steigenden Immobilien- und Mietpreise in den deutschen Ballungsgebieten sind hierfür deutliche Indikatoren. Schließlich gaben in einer Untersuchung des Unternehmens immowelt 6 im Jahr 2012 65% der Kleinstadt- und Landbewohner mit Kindern an, sich einen Umzug in die Großstadt vorstellen zu können. Im Jahr 2009 konnten es sich hingegen nur 40% vorstellen. In der gleichen Studie konnte gezeigt werden, dass auch ein nicht unerheblicher Anteil der über 50jährigen Land- und Kleinstadtbewohner meint, im Alter sei man in der Großstadt besser aufgehoben. 90% gaben als Grund hierfür kürzere Wege, z.B. zum Einkaufen an. Die Urbanisierung hat in den letzten Jahren also in Deutschland weiter zugenommen und wird dies wohl auch in Zukunft tun. Selbst die 4 http://www.iwkoeln.de/de/infodienste/iwd/archiv/beitrag/27780; download: 03.06.2013 5 31. Unternehmergespräch Kronberg 2012 , Wertschöpfung statt Mengenwachstum – Die neuen Bausteine des Konsums. Eine Publikation von GfK Consumer Panels Deutschland und GfK Verein, Mai 2012 6 http://presse.immowelt.de/studien/urbanisierungsstudie-2012/gesamtreport-urbanisierungsstudie-2012/artikel/studie-zur- urbanisierung-in-deutschland-2012.html; download: 03.06.2013
  • 17. 17 Hypothese eines „back to the city movements“ der Babyboomer-Generation, des Ruckzuges in die Städte nachdem die Kinder den Haushalt verlassen, ist nicht allzu gewagt. Vor diesem Hintergrund – und dem oben beschriebenen zunehmenden Zeitstress, zu dem auch das urbane Leben beiträgt – ist es nicht mehr überraschend, dass mehr und mehr Einkäufe in den Nahbereich verlagert werden (Abbildung 7). Vor allem die LEH-Vollsortimenter profitieren hiervon. Wir werden etwas später noch sehen, dass sie hierfür auch einiges getan haben. Insofern sind die LEH-Vollsortimenter die Profiteure und Treiber der Verlagerung von Einkäufen im Nahbereich. Doch an dieser Stelle soll der Nachweis der Verlagerung der Einkäufe in den Nahbereich ausreichen. Die sich gegenseitig verstärkenden Mechanismen werden später noch einmal aufgenommen. Abbildung 7: Die Verlagerung der Shopping Trips in den Nahbereich (Umsatzanteile nach Ent- fernungszone, in Prozent) Quelle: GfK ConsumerScan Die Analyse der raumbezogenen Einflüsse auf die Anzahl der Shopping Trips zeigen, dass die Anzahl der Shopping Trips mit zunehmendem Urbanisierungsgrad und dem Einkauf im Nahbereich zunimmt. Menschen, die in Großstädten leben weisen signifikant mehr Shopping Trips auf als Mensch, die auf dem Land Leben. Und mit zunehmenden Einkäufen im Nahbereich nimmt auch die Anzahl der Shopping Trips zu. Mit den gesellschaftlichen Trends „Urbanisierung“ und „Einkäufe im Nahbereich“ haben wir es wiederum mit Entwicklungen zu tun, die zu einer Zunahme an Shopping Trips führen.
  • 18. 18 Promotion Promotion, kommuniziert über Handzettel, sind die stärksten Treiber von zusätzlichen Shopping Trips. Dies zeigt auch unsere Analyse; je höher die Bedarfsdeckung über Promotion bei den Haus- halten, desto mehr Shopping Trips. Es gibt sie wirklich, die Promotion-Hopper, die die Einkaufs- stätten wechseln, um möglichst preisgünstig einzukaufen. Allerdings scheint ihr Anteil rückläufig, denn seit 2008 stimmen immer weniger Haushaltsführende der Aussage zu, dass sie bei einem besonders günstigen Angebot in Geschäften kaufen, in denen sie normalerweise nicht einkaufen. Stimmten 2008 noch 61% zu, waren es 2012 nur noch 55%. Damit deutet sich ein Trend zu einer stärkeren Loyalität zur erstpräferierten Einkaufsstätte an. Wir werden hierauf weiter unten noch einmal zurückkommen. Promotion sind nach wie vor der stärkste Treiber zusätzlicher sta- tionärer Shopping Trips. Die Promotionumsätze nehmen nun schon seit Jahren zu (Abbildung 8). Lag der Umsatzanteil der Promotion 2001 noch bei knapp 9%, stieg er bis 2012 auf 19% an, eine Steigerung von 124%! In Bezug auf die Shopping Trips heißt dies, dass diese eigentlich zunehmen sollten. Abbildung 8: Entwicklung der Promotionumsätze (Prozent am Gesamtumsatz) Quelle: GfK ConsumerScan Damit haben wir bis zu dieser Stelle der Analyse der Treiber von Shopping Trips mit Ausnahme der Entwicklung der Haushaltsgröße nur Trends gefunden, die die Anzahl der Shopping Trips erhöhen sollten. Und trotzdem nimmt die Anzahl der Shopping Trips seit Jahren ab. Hierfür ist ein Zusam- menspiel von zunehmenden Flexibilisierungsanforderungen und Entstrukturierungsprozessen auf Seiten der Shopper und der Ausweitung der Sortimente durch den Handel verantwortlich. Auf dieses Zusammenspiel von Nachfrage und Angebot, das letztlich den Rückgang der Shopping Trips erklärt, wird im Folgenden eingegangen.
  • 19. 19 Zeitstress Der zunehmende Zeitstress als gesellschaftlicher Trend wird in der Regel mit der Digitalisierung in Verbindung gebracht. Die Entwicklung der Informationstechnologie verläuft schneller als die Entwicklung der menschlichen Verarbeitungskapazitäten. Damit erfinden wir permanent neue Instrumente, die uns helfen sollen, Zeit zu sparen, die uns aber faktisch immer stärker unter Zeitdruck setzen. Doch auch in der „klassisch analogen Welt“ sehen wir Entwicklungen, die den Zeitstress erhöhen. Die zunehmende Erwerbstätigkeit von Mann und Frau (Abbildung 9) hat zur Folge, dass in immer mehr partnerschaftlichen Haushalten mit und ohne Kinder, beide erwachsene Haushaltsmitglieder berufstätig sind. Gepaart mit der zunehmenden Flexibilisierung von Arbeitszeiten macht dies die Planung des Tagesablaufs immer schwieriger. Leben Kinder mit im Haushalt, kommt die soge- nannte Verinselung der Aktionsräume der Kinder erschwerend hinzu. Mehr und mehr Aktionsräume von Kindern verteilen sich über Orte, die wie Inseln verstreut liegen. Der Kindergarten liegt in einem anderen Viertel als der Turnverein und die frühkindliche Musikerziehung befindet sich in einem dritten Stadtviertel. Solang das Kind noch nicht selbst von Insel zu Insel fahren kann, müssen die Eltern als Chauffeure fungieren. Sind beide Elternteile aber berufstätig, wird dies zu einer logis- tischen Herausforderung. Aber nicht nur die Erwerbstätigkeit nimmt zu, auch die „flexibilisierten“ Erwerbsformen nehmen an Bedeutung zu. Laut der Bundesagentur für Arbeit hat sich der Anteil der geringfügig Beschäftigten im Nebenjob („Zweitjob“) an allen sozialversicherungspflichtig Beschäftigen von vier Prozent im Jahr 2003 auf neun Prozent im Jahr 2012 erhöht und damit mehr als verdoppelt. 7 Schließlich trägt auch das urbane Leben zum Gefühl des gehetzt seins bei. Schon Anfang des letzten Jahrhunderts beschrieb Georg Simmel in seinem noch heute lesenswerten Essay „Die Großstädte und das Geistesleben“ wie immer neue Reize, denen die Stadtbewohner pausenlos ausgesetzt sind, die Menschen unter Stress setzen. Heute, im Zeitalter der Beschleunigung, Flexibilisierung und Digitalisierung hat sich die permanente Reizung des Nervensystems der Städter weiter verstärkt und führt zu einen Gefühl, nie etwas abgeschlossen zu haben, dem Hauptgrund für Zeitstress. 8 7 http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/arbeitsmarkt-der-trend-geht-zum-zweitjob-11914500.html; download: 03.06.2013 8 Byung-Chul Han: Bitte Augen schließen. Auf der Suche nach einer anderen Zeit. Berlin 2013
  • 20. 20 Abbildung 9: Entwicklung des Anteils Erwerbstätiger zwischen 15 und 65 Jahren an der Bevölkerung zwischen 15 und 65 Jahren nach Geschlecht [in %] Quelle: Mikrozensus Deutschland, Statistisches Bundesamt, Wiesbaden 2013, Stand: 14.05.2013 Die Erwerbstätigkeit von Männern und Frauen und der Zeitstress wirken negativ auf die Anzahl der Shopping Trips. Erwerbstätige und Menschen, die über Zeitstress klagen, gehen signifikant seltener einkaufen als Menschen, die nicht erwerbstätig sind und Menschen, die nicht über Zeitstress klagen. Erinnert werden soll hier noch einmal daran, dass es sich bei dem Ergebnis um das Resultat einer multivariaten Analyse handelt, bei der u.a. das Lebensalter kontrolliert wird. Der negative Effekt von Erwerbstätigkeit und Zeitstress kann nicht auf das Alter der Menschen zurückgeführt werden. Die Aussage lautet: vergleichen wir Menschen gleichen Alters, gleichen Einkommens, die in gleich großen Haushalten im selben urbanen Raum leben, dann geht die erwerbstätige/zeitgestresste Person seltener einkaufen als die nicht-erwerbstätige/nicht-zeitgestresste Person. Zunehmende Berufstätigkeit, Zunahme der Zweitjobs, „Verinselung“ der Aktionsräume von Kindern, alles Trends, die die Haushalte vor Heraus- forderungen der Zeitlogistik stellen.
  • 21. 21 Zwischenfazit: Treiber der stationären Shopping Trips Die Ergebnisse der Analyse der Treiber von Shopping Trips aus Perspektive der Nachfrageseite sind in Abbildung 10 noch einmal zusammenfassend dargestellt. Interessant ist, dass nur ein gesellschaftlicher Trend eindeutig negativ auf die Shopping Trips wirkt; der zunehmende Zeitstress. Die „Moralisierung der Märkte“, die „Urbanisierung“ und die zunehmenden Promotion wirken dagegen positiv auf die Anzahl Shopping Trips. Der sozio-demographische Wandel wirkt schließlich zum einen steigernd – die Alterung der Gesellschaft – und zum anderen dämpfend – die Abnahme der Haushaltsgrößen. Die den Zeitstress antreibenden Flexibilierungs- und Entstrukturierungs- prozesse scheinen damit so schnell vor sich zu gehen, dass sie die gegenläufigen Effekte auf die Anzahl der Shopping Trips mehr als kompensieren. Abbildung 10: Treiber der Shopping Trips Prozesse der Entstrukturierung von Tages- und Wochenabläufen und der damit verbundene Zeitstress, sind auf Seiten der Shopper die Hauptgründe für den Rückgang von Shopping Trips.
  • 22. 22 Der Handel Die Nachfrageseite ist jedoch nur eine Seite der Medaille. Auf der anderen Seite steht der Handel, der diesen Trend der zunehmenden Zeitrestriktionen der Menschen aufgenommen hat und den Rückgang der Shopping Trips dadurch von Seiten des Angebots verstärkt. Der FMCG-Einzelhandel hat auf den Trend der Einkaufsunlust reagiert und sein Sortiment erweitert (Abbildung 11), so dass der „einkaufsunwillige“ Shopper nun alles während eines Einkaufsaktes bei einem Händler erhalten kann. So wurden Backstationen und Metzgereien integriert – klassische Domänen des Fachhandels. Vor allem der LEH-Vollsortimenter, der klassische Nahversorger, war hier in den letzten Jahren sehr aktiv. Die Anzahl seiner Warengruppen hat er zwischen 2007 und 2012 um fast 10% erweitert. Zudem wurden die eigenen Händlermarken preislich (Preiseinstieg) und qualitativ (Mehrwert) so platziert, dass sowohl preisaffine als auch qualitätsorientierte Shopper angesprochen wurden. Und es wurden in der Kommunikation verstärkt ethische Inhalte transportiert, sodass sich auch die wachsende Gruppe der LOHAS beim Einkauf in den LEH-Vollsortimentern gut fühlen kann. Für viele Menschen mit unterschiedlichen Ansprüchen an den Handel ist es dadurch nicht mehr notwendig, die langen Wege zum SB-Warenhaus auf sich zu nehmen, sie finden das gesamte Angebot an günstigen und an qualitativ hochwertigen Produkten jetzt auch bei ihren Händler im Nahbereich. Abbildung 11: Sortimentserweiterung im Handel zwischen 2007 und 2012 Quelle: GfK ConsumerScan
  • 23. 23 Wir hatten schon gesehen, dass die FMCG-Einkäufe im Nahbereich vor allem bei den LEH- Vollsortimentern zunehmen (siehe Abbildung 7). Wie eine Analyse der Shopping Missions nach- weist, handelt es sich bei den zunehmenden Einkäufen im Nahbereich nicht um „kleine Trips“. Vor allem in den LEH-Vollsortimentern und in den Drogeriemärkten nimmt die relative Umsatzbedeutung von Großeinkäufen deutlich zu, während die Bedeutung von Kleineinkäufen ebenso deutlich abnimmt (Abbildung 12). Der Nahversorger wird damit mehr und mehr zum Vollversorger und damit zum Konkurrenten der SB-Warenhäuser. Durch die Einbettung in die Wohngebiete und durch einen kohärenten Dreiklang des Marketings von Händlermarke, Ethik und besten Preis gelingt es den LEH-Vollsortimentern Rewe und Edeka die emotionale Bindung der Shopper zu stärken, während es den SB-Warenhäusern, denen allein aufgrund des hohen Flächenbedarfs eine Einbettung des Geschäfts in die Wohnnachbarschaft nicht möglich ist, sehr viel schwerer fällt, diese Bindung aufzu- bauen. Ein Erfolgsfaktor der LEH-Vollsortimenter ist ihre Einbettung in die Wohnnachbarschaft. Durch die Aufladung mit funktionalen, ethischen und emotionalen Inhalten entsteht eine enge Beziehung zwischen Händler und Nachbarschaft. Bevor wir jedoch diese Entwicklungen näher interpretieren, ist zum Verständnis der Shopping Missions eine kurze Erläuterung notwendig. Basis der Shopping Missions sind die individuellen Shopping Trips. Jeder Trip wird einer der sechs möglichen Missions zugeordnet. Ein Kleineinkauf liegt vor, wenn Produkte aus maximal drei Warengruppen im Einkaufskorb liegen und der Promotionanteil dieser Produkte nicht höher ist als der übliche Promotionanteil der Einkäufe des Haushalts in der betreffenden Vertriebsschiene. Beim Rosinenpick liegen ebenfalls Produkte aus maximal nur drei Warengruppen im Einkaufskorb, doch ist der Promotionanteil dieser Produkte höher als der übliche Promotionanteil der Einkäufe des Haushalts in der betreffenden Vertriebsschiene. Beim Frischeeinkauf liegen maximal sieben Warengruppen im Einkaufskorb und der Umsatzanteil von Frischeprodukten im Einkaufskorb liegt bei mindestens 40%. Versorgungseinkäufe liegen vor, wenn Produkte aus vier bis elf Warengruppen im Einkaufswagen liegen. Die Unterscheidung von unüblichem und Routine-Versorgungskauf findet durch die Betrachtung von Einkaufsstätte, Bonsumme und Wochentag statt. Wenn der Shopper bei zwei der drei Kriterien seinen üblichen Routinen folgt, handelt es sich um einen Routine-Versorgungskauf. Weicht er dagegen bei mindestens zwei der drei Kriterien von seinem üblichen Einkaufsverhalten
  • 24. 24 ab, dann handelt es sich um einen unüblichen Versorgungskauf. Ein Großeinkauf liegt schließlich dann vor, sobald Produkte aus zwölf und mehr Warengruppen im Einkaufswagen liegen. Abbildung 12: Die Entwicklung der Umsatzbedeutung der Shopping Missions zwischen 2008 und 2012 nach Vertriebskanal Interessant ist, dass bei den beiden größten LEH-Vollsortimentern das stärkere Gewicht der Großeinkäufe nicht zu einer Abnahme der Anzahl der Einkaufsakte führt. Im Gegenteil, die Anzahl der Einkaufsakte nimmt zu. Da aber die Einkaufsfrequenz je Käufer nicht zunimmt, lässt sich dies nur durch einen Gewinn an neuen Käuferhaushalten erklären. Da auf der anderen Seite die Rückgänge der Anzahl Einkaufsakte mit Ausnahme Kaufland bei den SB-Warenhäusern am größten sind, deutet vieles darauf hin, dass eine zunehmende Anzahl an Haushalten ihre Großeinkäufe nicht mehr (nur) im SB-Warenhaus tätigt, sondern (auch) im räumlich näheren LEH-Vollsortimenter, dessen Produktauswahl inzwischen breit genug für einen Großeinkauf ist. Zudem haben die beiden großen LEH-Vollsortimenter sich in den letzten Jahren als Dachmarken positioniert, die sowohl die Bedürfnisse qualitativ anspruchsvoller und ethisch-orientierter Shopper als auch die Bedürfnisse sehr preissensibler Käufer ansprechen. Abnehmende Shopping Trips bei relativ häufigerem Aufsuchen des Nahversorgers, bei dem dann öfter Großeinkäufe getätigt werden, lassen auf eine zunehmende Fokussierung der Shopper auf wenige Einkaufsstätten schließen. Damit sollte dann auch die Loyalität zu dem erstpräferierten Händler zunehmen. Und tatsächlich zeigt sich im Zeitverlauf dieser Trend. So sinkt pro Haushalt die durchschnittliche Anzahl im Jahr besuchter LEH-Einkaufsstätten. Und umgekehrt steigt die durch- schnittliche Bedarfsdeckung über die erstpräferierte Einkaufsstätte im LEH (Abbildung 13).
  • 25. 25 Der Wettbewerb unter den Händlern um den „first choice“-Shopper hat damit in den letzten Jahren stark zugenommen. Als erfolgreich erwies sich eine holistische Kommunikation – vor allem von Drogeriemärkten und LEH-Vollsortimentern – aus dem Dreiklang des Aufbaus der Händlermarke mit ethischem Image und guten Preisen. In dieser Kommunikation spielen die eigenen Marken – Preiseinstiegs- und Mehrwert-Handelsmarken – eine zentrale Rolle. Aber auch ohne holistische Kommunikation ist es möglich, mit einem gezielten Einsatz seiner Handelsmarken im Markt zu wachsen, wie es einige SB-Warenhäuser und Discounter zeigen. Damit aber gewinnt die (Neu-) Gewichtung von Handelsmarken und Herstellermarken im stationären Handel zunehmend an Relevanz. Abbildung 13: Die Fokussierung der Haushalte auf weniger Händler nimmt zu Quelle: GfK ConsumerScan Das Verhältnis von Preiseinstiegs-, Mehrwerthandelsmarken, Mitte- und Premiummarken, verbunden mit gezielter Promotion wird für den Erfolg des stationären Händlers immer wichtiger.
  • 26. 26 Das Zusammenspiel von Angebot und Nachfrage Zusammenfassend lässt sich bis hierhin festhalten, dass die gesellschaftlichen Trends einen Wandel des Shopperverhaltens bewirken. Zeitstress führt zu Einkaufsunlust und vermindert die Anzahl der individuell durchgeführten Shopping Trips. Gleichzeitig werden neue Ansprüche an den Händler gestellt. Dies sind vor allem ethische Ansprüche, die sich auch in den zunehmenden Bedürfnissen nach Regionalität, Frische und Natur äußern. Beide Bedürfnisse – Zeitersparnis beim Einkauf bei hoher (ethischer) Qualität der Produkte und damit des Händlers selbst – plus der Wunsch nach guten (nicht billigen!) Preisen, wurden von den beiden großen LEH-Vollsortimentern erfolgreich aufgenommen. Ihre Position als Nahversorger hat zudem den strukturellen Vorteil, dass sie stärker als SB-Warenhäuser als Nachbarschaftshändler (Thema Regionalität-Ethik) wahrge- nommen werden und dass die räumliche Nähe zu den Wohnorten den Shoppern hilft, Zeit zu sparen (Thema Zeitstress-Raum). Ein kohärenter Dreiklang aus Händler als Dachmarke, einem mora- lisch-ethischem positiven Image und fairen Preisen bei gleichzeitiger Einbettung in die Wohnnachbarschaft machen Wachstum auch in Zeiten von stationärer Einkaufsunlust möglich. Damit werden durch die LEH-Vollsortimenter viele Bedürfnisse, die sich heute auf den stationären FMCG-Einkauf beziehen – große Auswahl, gute Preise, hohe Qualität, ethische Ansprüche, räumliche Nähe – erfüllt. Die SB-Warenhäuser haben es dagegen schon strukturell schwerer, da sie in der Regel nicht in der Nachbarschaft integriert sind. Aufgrund ihrer reinen Verkaufsfläche liegen sie häufiger am Rand oder abseits der Wohnnachbarschaft. Zudem wirken zu große Verkaufsflächen mit zu breitem Angebot in der Regel nicht ent-, sondern belastend. Schließlich schafft der Versuch einer rein instrumentellen Entlastung durch Menge keine emotionale Beziehung, sondern verstärkt eher die Einkaufsunlust.
  • 27. 27 3. Die Entstehung eines neuen Shopper-Typen Die Analysen einiger Aspekte des stationären Einkaufs haben gezeigt, dass Reichweiten- und Umsatzsteigerungen auch in Zeiten des Endes des Mengenwachstums und in einer Zeit zunehmenden Zeitstresses und zunehmender stationärer Einkaufsunlust möglich sind. - Die Bereitstellung eines Sortiments, das Großeinkäufe möglich macht, - die Einbettung des Händlers in einen nachbarschaftlichen Kontext, - die richtige Zusammenstellung des Sortiments von Preiseinstieg bis zu Premium, - die Verankerung des Händlers als Dachmarke mit einem ethischen Image und einem Gefühl des „aufgehoben seins“ sind Faktoren, die eine starke Bindung des Shoppers zum stationären Händler aufbauen. Es ist damit das Zusammenspiel der Befriedigung von stärker materialistischen Bedürfnissen wie Sortiment und Preise mit eher post-materialistischen Bedürfnissen wie Einbettung in den nachbar- schaftlichen Kontext und ethischen Fragen, das die Loyalität der Menschen zum Händler steigert. Die Befriedigung nur einer Dimension, nur günstig oder nur ethisch, ist nicht ausreichend. Allerdings kann auch bei zunehmender Loyalität die Einkaufsfrequenz nicht erhöht werden. Auch bei heute sehr erfolgreichen stationären Händlern ist damit das baldige Ende des Wachstums abzusehen. Erschwerend kommt die zunehmende Konkurrenz durch Online-Händler hinzu. Doch sollte der Online-Vertriebskanal für die etablierten stationären Händler weniger eine Gefahr als eine Chance sein, das langsam an eine Grenze geratene stationäre Geschäft zu ergänzen. Im Bereich FMCG steckt e-Commerce, das Kaufen via Internet, zwar noch in den Kinderschuhen, aber schon heute lässt sich relativ klar bestimmen, wohin es in Zukunft gehen wird, die Wachstumstendenzen sind deutlich zu erkennen. Vor allem, wenn man ins Ausland schaut. Aber auch in Deutschland gewinnt der Kanal langsam an Bedeutung. In einer von der GfK durchgeführten internationalen Studie wurde im Rahmen der Analyse von Online-Käufen ein Shopper-Typ identifiziert, der sich in allen Ländern – auf unterschiedlichen Niveaus – ausbreitet. In einer vertiefenden Studie in Deutschland wird dieser Shopper-Typ als „Multi-Channel Shopper“ bezeichnet. Dieser Shopper-Typ ist von seiner quantitativen Bedeutung heute noch relativ selten, doch weist sein Einkaufsverhalten alle Anzeichen eines kommenden Trends auf. Daher lohnt es sich, diesen Shopper-Typen genauer zu betrachten, denn es ist der Shopper-Typ der Zukunft. Heute sind es nur sechs bis acht Prozent aller Haushaltsführenden in Deutschland, doch in naher Zukunft werden sie den Standard des Einkaufsverhaltens darstellen. Nicht nur, weil jüngere Haushaltsführende „nachwachsen“, sondern auch, weil sich das FMCG-Kauf- verhalten dieses Shopper-Typen in Form der Diffusion von Innovation auch in ältere, weniger e- Commerce affine Haushaltstypen ausweiten wird. Was zeichnet den Multi-Channel Shopper aus?
  • 28. 28 Die Multi-Channel Shopper Wir haben den neuen Shopper-Typen den Namen „Multi-Channel Shopper“ gegeben, weil für diesen Shoppertypen online wie offline Einkaufskanäle wichtig sind und weil der Shoppertyp alle digitalen Zugangskanäle – stationäre wie mobile – überdurchschnittlich zur Kommunikation, zur Informations- suche und zum Einkaufen nutzt. Vor allem aber ist es der Shoppertyp mit den höchsten Online- FMCG-Ausgaben. Diesen Shoppertypen zu kennen, heißt einen Eindruck von der Zukunft des FMCG e-Commerce zu erhalten. Abbildung 14 gibt ein zusammenfassendes Bild des Multi-Channel Shoppers. Abbildung 14: „Paint a Picture“ des Multi-Channel Shoppers Der Multi-Channel Shopper ist der jüngste Online-Shoppertyp, 47% der Haushaltsführenden sind jünger als 40 Jahre. Daher überrascht es auch nicht, dass es der innovativste Shoppertyp ist. Die Haushalte sind offen für neues, sowohl in Bezug auf FMCGs als auch in Bezug auf digitale „Devices“ und „Gadgets“. So ist der Anteil der Smartphone- und Tablet-Nutzer in dieser Gruppe am höchsten. Vor allem das Tablet wird verstärkt für die Suche nach und den Kauf von Produkten genutzt. Ebenfalls nicht überraschend ist, dass die durchschnittliche Anzahl an stationären Shopping Trips am geringsten ist. Überraschend ist jedoch, dass die geringe Anzahl an Shopping Trips nicht
  • 29. 29 mit der Unlust am stationären Einkaufen erklärt werden kann; während die Anzahl der stationären Shopping Trips am geringsten ist, haben die Multi-Channel Shopper überdurchschnittlich Spaß am stationären Einkauf (Abbildung 16). Warum also die geringeren Anzahl Shopping Trips? Den Multi-Channel Shoppern fehlt ganz einfach häufig die Zeit zum stationären Einkauf. Im GfK ConsumerScan Panel benutzen wir eine Zeitstress- Skala um das Ausmaß der Zeitrestriktionen zu messen. Diese Zeitstress-Skala wird gebildet durch den Grad der Zustimmung bzw. der Ablehnung folgender Aussagen: - Die täglichen Anforderungen lassen mir kaum Freizeit übrig - Ich habe tagtäglich einfach zu viele Aufgaben zu erledigen - Ich würde gern mehr Zeit und weniger Hektik in meinem Tagesablauf haben - Ich finde, dass meine Freizeit zu knapp ist Abbildung 15 zeigt deutlich, dass die Multi-Channel Shopper am stärksten über Zeitknappheit (Zeitstress) klagen; 42% der Multi-Channel Shopper fühlen einen sehr starken oder starken Zeitstress, unter allen Onlinern sind es nur 27% (und würde man die Multi-Channel Shopper aus dem Total herausrechnen, wäre der Wert noch etwas niedriger). Abbildung 15: Zeitstress der Multi-Channel Shopper Dieser starke Zeitstress ist der wichtigste Grund für den Online-Einkauf, die Multi-Channel Shopper verbinden mit dem Online-Einkauf Zeitersparnis (vgl. Abbildung 16). Das Internet als Einkaufskanal hat für sie damit zunächst einen stark entlastenden Nutzen.
  • 30. 30 Abbildung 16: Shopping Trips, stationäre Einkaufslust und Online-Einkaufsgrund Zeitersparnis heißt beim Multi-Channel Shopper aber nicht unbedingt „schneller“ einkaufen, sondern geplanter und seltener. Vor und während des seltenen FMCG-Einkaufs informiert sich der Multi- Channel Shopper über viele Kanäle. Online sind die Multi-Channel Shopper vor ihren Einkäufen bedeutend aktiver als andere Shopper. 60% der Multi-Channel Shopper vergleichen online Preise, unter allen Onlinern (Haushaltsführung) sind es nur gut 30%. Und es wird sich in der Gruppe der Multi-Channel Shopper häufig digital über Erfahrungen mit Produkten ausgetauscht. Immerhin 26% der Multi-Channel Shopper nutzen dazu Foren und Produkt-Communities. Unter allen Onlinern sind es nur sechs Prozent. Für den Bereich Körperpflege haben wir gefragt, welche Informationsquellen (Touchpoints) vor einem Kauf genutzt werden. Die fünfstufige Skala verlief von „nie“ bis „sehr häufig“. In der Abbildung 17 sind die Anteile derjenigen aufgelistet, die die jeweilige Informationsquelle nutzen. Deutlich wird sofort, dass die Kurve der Multi-Channel Shopper durchgehend über der Kurve für alle Befragten verläuft. Multi-Channel Shopper nutzen damit jeden Touchpoint – online wie offline Touchpoints – vor einem Kauf von Körperpflegeprodukten häufiger als der Durchschnitt aller Onliner (Basis: Haushaltsführung). Damit sind zumindest für Körperpflegeprodukte die Multi-Channel Shopper über alle Touchpoints – neue, digitale genauso wie alte, physische – vor einem Besuch des Händlers sehr gut zu erreichen.
  • 31. 31 Abbildung 17: Die Touchpoints vor einem Kauf von Körperpflegeprodukten Der Online-Kanal ist damit für den Multi-Channel Shopper auch für FMCGs ein Einkaufskanal, der in der näheren Zukunft weiter an Relevanz gewinnen wird. Fast 60% von ihnen können sich schon heute vorstellen, in Zukunft alles nur noch online einzukaufen. Klingt wie der kommende Online- Shopper und nicht wie der kommende Multi-Channel Shopper. Doch hier taucht eine Paradoxie auf, die mit ausschließlich quantitativem Material nicht sichtbar wird. Daher greifen wir hier auf die Ergebnisse einer qualitativen GfK Studie zurück. Diese hat zwar die „Digital Natives“ im Fokus und damit eine Generation, die noch keine eigenen Haushalte gegründet hat, doch zeigt die Studie, welche Bedürfnisse in den nächsten Jahren stärker „auf den Markt drängen“. Die Multi-Channel Shopper sind Vorboten dieser kommenden Generation. In der Studie konnte gezeigt werden, dass der Einkauf für die „Digital Natives“ am Erlebnis orientiert ist. Der Prozess des Einkaufens erfüllt für sie soziale Bedürfnisse. In der Studie heißt es: „Betrachtet man den idealen Einkauf für die Digital Natives, so zeigt sich, dass dieses Ideal meist am Erlebnis orientiert ist. Der Prozess des Einkaufens erfüllt zuallererst wichtige soziale Bedürfnisse und macht das Produkt mit allen Sinnen erlebbar. Der Spaß beim Einkaufen selbst, Wohlfühlen im Laden sowie das Im-Mittelpunkt-Stehen der eigenen Person (Egozentrismus) machen dieses Erlebnis dabei aus.
  • 32. 32 Das Einkaufsergebnis ist in dieser Idealvorstellung meist zweitrangig, spielt aber bei einem nutzenorientierten Einkauf eine größere Rolle. Hier kommt es dann vor allem auf Faktoren wie Convenience, Verfügbarkeit und Schnelligkeit an.“ 9 Obwohl also 60% der Multi-Channel Shopper sich vorstellen können, in Zukunft alles nur noch online einzukaufen, sind ihnen physische Erfahrungen und soziale Erlebnisse beim Einkauf ebenfalls wichtiger als anderen Shoppertypen. Faktisch sind die Multi-Channel Shopper die flexibelsten Menschen. Dies betrifft alle Bereiche des Lebens, und damit eben auch den Einkauf von Lebensmitteln und Drogeriemarktprodukten. Sie nutzen alle Kanäle und tauschen sich über diese hinsichtlich ihrer Erfahrungen aus. Kurz: sie üben eine starke Kontrolle aus und weisen ein hybrides Shopper-Verhalten auf (Abbildung 18). Abbildung 18: Der Multi-Channel Shopper mit starker Kontrolle und hybridem Verhalten Quelle: GfK ConsumerScan Der Shopper der Zukunft wird die Funktionalität des Online-Kaufes mit der Sozialität des stationären Kaufes verbinden wollen. 9 GfK SE, Psychologie: Wie ticken „Digital Natives“? Nürnberg, September 2012
  • 33. 33 „Vireality“ Sich vorstellen können, alles online zu kaufen und trotzdem physische Erfahrungen/Erlebnisse zu machen, dieser vermeintliche Widerspruch ist nur aufzuklären, wenn wir die Multi-Channel Shopper noch etwas näher kennenlernen. Als jüngster Shopper-Typ gehören sie der flexiblen Generation an, einer Generation, an die Anforderungen gestellt werden, mobil zu sein, sich nicht festzulegen, sich nicht zu stark an etwas oder jemanden zu binden, um schnell Änderungen vornehmen zu können. Ihr weiterer Lebensweg ist viel weniger determiniert als es noch in den älteren Generationen der Fall war. Die meisten jungen Menschen der flexiblen Generation wissen heute nicht, wie ihre weitere Biographie Aussehen und wo sie enden wird. Kontinuität und Linearität biographischer Verläufe gehen verloren, stattdessen springt man von Punkt zu Punkt anstatt einem Pfad zu Folgen. Der Sozialwissenschaftler Zygmunt Bauman spricht von einer pointillistischen Biographie, deren Verständlichkeit und Ordnung erst – wenn überhaupt – am Ende der biographischen Karriere Konturen zeigt. Eine biographische Voraussicht ist kaum noch möglich, denn das Leben, individuell wie gesellschaftlich, wird zu einer Abfolge von Gegenwart, eine Verknüpfung von Augenblicken, die mehr oder weniger intensiv erlebt werden. 10 Ein Ankommen ist nicht mehr möglich und die Sicherheit über das, was als Nächstes kommt, geht verloren. Der Verlust der Sicherheit führt dazu, ständig noch ein wenig besser, schlauer, schöner zu werden, als Vorbereitung des nächsten Schritts, dessen Richtung jedoch noch gar nicht bekannt ist. Aber man muss gewappnet sein. Nichts verspricht Dauer und Bestand. 11 Einige nennen es lebenslanges Lernen, aber es hat wenig mit Lernen im Sinne von tieferer Erkenntnis zu tun, sondern eher etwas mit oberflächlicher Fitness. Daher nennen wir es permanente Inszenierung. Dieses flexibilisierte Leben, das nach jeder Entscheidung weitere Optionen offen hält, die einen Fragen lassen, ob a) die getätigte Entscheidung die richtige war und b) welcher Schritt als nächstes gegangen werden soll (ob sogar ein temporärer „Rückschritt“ notwendig ist), ist sehr anstrengend. Entscheidung, Zweifel, weitere Suche lassen einen „Erschöpfungsstolz“ zu, wie Stephan Grünewald schreibt 12 , doch vor allem entwickelt sich ein starkes Bedürfnis nach biographischer Sicherheit. In kurzen, klaren Worten hat Nina Pauer es so ausgedrückt: „Wenn wir ehrlich sind, haben wir nämlich mittlerweile überhaupt keine Lust mehr auf Suchen. Wir wollen endlich finden. Wir wollen zur Ruhe kommen. Uns endlich einmal entscheiden.“ 13 Oder noch kürzer: es geht um das Ankommen. Dies letzte Zitat drückt aus, dass sich als Folge permanenter Inszenierung ein Bedürfnis nach Ruhe und Ursprünglichkeit in der flexiblen Generation breit macht. Dieses Bedürfnis zeigt sich auch in der 10 Siehe dazu Zygmunt Baumann: Leben als Konsum. Hamburg 2009, S. 46f. 11 Vgl. Byung-Chul Han: Müdigkeitsgesellschaft. Berlin 2013. 12 Stephan Grünewald: Die erschöpfte Gesellschaft. 13 Nina Pauer: Wir haben keine Angst. Frankfurt am Main 2011, S. 78f.
  • 34. 34 zunehmenden Bedeutung von Familien- und Gemeinschaftswerten und dem Bedürfnis nach mehr sozialer Anerkennung 14 , speziell in der jüngeren Generation. Die Wiederentdeckung traditioneller Werte ist allerdings kein zurückfallen in einen Konservatismus, dem Wunsch nach einem Zurück „in die gute alte Zeit“. Die flexible Generation lebt diesen Konflikt von Inszenierung und Authentizität aus. Die jungen Menschen wissen, welche Anforderungen im öffentlichen Raum an sie gestellt werden und dass sie diesen nicht entkommen können. Parallel dazu wird aber in einem privaten Raum versucht, zu entschleunigen, soziale Nähe zu finden, Ursprünglichkeit zu entdecken (siehe Abbildung 19). „Sharing economy“ und „urban gardening“ sind nur zwei Trends, die diesem Versuch Ausdruck verleihen. Einem Versuch die Vita activa und die Vita comtemplativa parallel zu leben, die eine im öffentlichen, die andere im privaten Raum. Dementsprechend versuchen viele der Multi- Channel Shopper einen „Lifestyle of Health and Sustainability“ (LOHAS) zu leben. Abbildung 19: Öffentliche Inszenierung und das Bedürfnis nach Authentizität im privaten Raum Quelle: GfK Consumer Panels Wie wenig dabei auf die physisch erlebbaren Lebensbereiche verzichtet werden kann, zeigen die Ergebnisse unserer Analysen zum Sozialstress. Sozialstress wird hier verstanden als das Fehlen von physischen Kontakten zu anderen Menschen. Wie zur Ermittlung des Zeitstress, haben wir zur Ermittlung des Sozialstress eine Skala aus der Zustimmung/Ablehnung zu fünf Aussagen gebildet: 14 Vgl. Peter Wippermann und Jens Krüger: Werte-Index 2012.
  • 35. 35 - Ich würde gern in meiner Freizeit mehr unternehmen - Es gibt oft Zeiten, zu denen ich zu viel allein bin - Ich wünsche mir mehr gemeinsame Aktivitäten mit Anderen - Ich bekomme zu wenig Anerkennung für meine Leistung - Ich bedaure, dass sich unsere Familie nicht öfter zu gemeinsamen Anlässen (Weihnachten, Geburtstag usw.) trifft Unsere Hypothese war, dass die älteren Menschen am stärksten unter dieser Art von Sozialstress leiden. Umso überraschter waren wir, als sich zeigte, dass es häufiger die jungen Menschen sind, die Sozialstress wahrnehmen. Und so sind es auch die Multi-Channel Shopper, die am häufigsten über Sozialstress klagen (Abbildung 20). Während 47% der Multi-Channel Shopper sehr starken oder starken Sozialstress empfinden, sind es unter allen Onlinern nur 32% (jeweils Haushalts- führung). Damit sind es diejenigen mit den meisten Kontakten in den digitalen sozialen Netzwerken, die sich über zu wenig soziale Anerkennung und zu wenig gemeinsame Aktivitäten beklagen. Die virtuelle Welt der Interaktionen ist also kein Ersatz für die physische Welt, allenfalls eine Ergänzung. Abbildung 20: Sozialstress der Multi-Channel Shopper Wir hatten gesagt, dass die Multi-Channel Shopper die Shopper der Zukunft sein werden. Doch obwohl viele von ihnen es sich vorstellen können, bald nur noch online einzukaufen, weisen die Analysen zu den Anforderungen an die Generation und ihren Bedürfnissen auf ein anderes Shopperverhalten hin. Die Multi-Channel Shopper werden mit einer Ausweitung ihrer Online- Einkäufe, die ohne Zweifel stattfinden wird, weiter auch die stationären Händler (auf)suchen, denn
  • 36. 36 physische Erlebnisse und soziale Interaktionen werden mit der Ausweitung „kalter“ Online-Einkäufe nicht unwichtiger, sondern wichtiger. Damit haben wir es wiederum mit einer Paradoxie zu tun: mit zunehmendem Gewicht der Online- Einkäufe wird der stationäre Handel bei den Shoppern (wieder) an Bedeutung gewinnen. Letzterer Kanal ist nicht mehr alternativlos und kann daher verlassen werden. Gleichzeitig aber wird seine Bedeutung als Bestandteil unseres täglichen Lebens, unseres Aktionsraumes und Interaktions- raumes wieder virulent. Alles immer Dagewesene wird erst dann vermisst, wenn es verschwunden ist. Nun wird der stationäre Handel nicht verschwinden. Das Bedürfnis nach echten sozialen Kontakten auch beim Shoppen, wird jedoch die Online- Einkäufe nicht eindämmen. Um zu wachsen, muss der Handel beide Welten zusammenbringen. Wir bezeichnen dieses Zusammenbringen als „vireality“, reale und virtuelle Welt müssen ineinander greifen. Dies gilt für den eben beschriebenen neuen Shopper-Typen und es gilt für die quantitativ so mächtige Gruppe der älteren Haushalte, denn in zehn Jahren werden alle Haushalte in Deutschland privaten Online-Zugang haben, auch die dann über 70jährigen. Sie wegen des Aufstiegs des neuen Shopper-Typen zu vernachlässigen wäre fahrlässig. Ein paar Ideen der Verbindung von physischer und virtueller „Shopper Welt“ werden im abschließenden Teil angerissen.
  • 37. 37 4. Die Verknüpfung von physischer und virtueller Welt Die Heranführung der jungen Multi-Channel Shopper und der älteren Shopper an den FMCG e- Commerce wird im Detail sehr unterschiedlich sein müssen, hat jedoch für den heute stationären Händler in beiden Fällen die gleiche Grundvoraussetzung, die wir als „physische Einbettung“ bezeichnen. Aufgrund seiner räumlichen Verortung hat der stationäre Handel beste Chancen, sich im e-Commerce Markt zu etablieren, denn die physische Einbettung ist im Kampf um Online- Marktanteile ein deutlicher Wettbewerbsvorteil. Allerdings nur, wenn die Verknüpfung von physischer Einbettung und virtueller Relevanz gelingt. Was ist also mit „physischer Einbettung“ gemeint? 15 Wir hatten den derzeitigen Erfolg der LEH-Vollsortimenter auch mit seiner räumlichen Verankerung in der Wohnnachbarschaft erklärt. Der LEH-Vollsortimenter ist schnell zu erreichen und hat inzwischen ein Sortiment, das Großeinkäufe ermöglicht. Zudem gibt es dort günstige und qualitativ hochwertige Handelsmarken und Premiummarken, die häufig zum Sonderangebot zu haben sind. Neben diesen eher funktionalen Argumenten für das Aufsuchen eines Händlers, haben die beiden großen LEH-Vollsortimenter zudem an einem ethisch-moralischen Dachmarkenimage gearbeitet und damit eine an Werte orientierte emotionale Bindung zu den Menschen aufgebaut. Diese Bindung lässt sich durch konkrete Nachbarschaftsaktionen ausbauen. Soziales nachbar- schaftliches Engagement des Händlers kann starke Bindungen zu den Bewohnern fördern. Aber auch schon Sticker-/Sammelbildtauschaktionen in den Räumlichkeiten des stationären Händlers können diesen Effekt haben. Hier treffen sich die Kinder und die Eltern der Nachbarschaft, um die gesammelten Sticker zu tauschen. Der Händler wird damit Teil der aktiven sozialen Nachbar- schaftsinteraktion. Man lernt sich kennen, spricht miteinander und vielleicht entstehen neue Bekanntschaften oder Freundschaften. Der Besuch des Händlers wandelt sich damit von einem funktionalen Verhalten, dem Einkaufsverhalten, zu einer sozialen Handlung, den Austausch mit anderen. Der Händler wird zumindest temporär zur funktionalen und sozialen Bereicherung. Er bettet sich physisch in die Nachbarschaft ein. Ein sehr schönes Beispiel einer starken (temporären) lokalen Einbettung des Händlers ist die Sticker-Aktion eines Rewe Händlers in Rhede. Dieser hat auf den Stickern die Konterfeis aller 15 Das Konzept der „Einbettung“ ist in der Wirtschaftstheorie nicht neu, firmiert allerdings unter dem englischen Begriff „embeddedness“, der folgendermaßen definiert werden kann: „in der relationalen Wirtschaftsgeographie verwendeter Begriff für die Einbettung ökonomischer Aktivitäten in soziokulturelle Beziehungssysteme bzw. eines Unternehmens in sein soziokulturelles Umfeld.“ (zitiert aus Springer Gabler Verlag (Herausgeber), Gabler Wirtschaftslexikon, Stichwort: Embeddedness, online im Internet: http://wirtschaftslexikon.gabler.de/Archiv/9040/embeddedness-v6.html. Gundlegend der Aufsatz von Mark Granovetter: Economic Action and Social Structure. The Problem of Embeddedness. American Journal of Sociology, 91/1985, S. 481-510.
  • 38. 38 Fußballer des VFL Rhede abbilden lassen, sodass nicht national bekannte Stars gesammelt wurden, sondern die Spieler des lokalen Fußballvereins. Ergebnis: „Obwohl die örtlichen Balltreter nie über die Oberliga hinausgekommen waren, veranstalteten die Konsumenten in dem münsterländischen Ort einen regelrechten Run auf die eigens produzierten Lokalhelden-Sticker in Sammeltüten. … Im Rewe-Markt und drumherum kam es nach Aktionsbeginn zu manch ungewöhnlich-originellem Dialog: ‚Ich hab Deinen Vadder!‘. ‚Ich hab Dich‘ – ‚Cool, tauschst Du mich?‘ oder Ähnliches war da zu hören.“ 16 Diese sozial-räumliche Einbettung schafft strukturelle Vorteile für den stationären FMCG Händler gegenüber reinen Online-Händlern im Wettbewerb um e-Commerce Marktanteile, denn durch die Einbettung wird Vertrauen gebildet und das Vertrauen in den Händler ist die Basis für ein erfolg- reiches Online-Geschäft. Sie muss sich nicht auf den nachbarschaftlichen Kontext am Wohnort der Menschen beschränken; ebenso denkbar – und für hoch mobile, flexible Bevölkerungsgruppen mindestens ebenso wichtig – ist die sozial-räumliche Einbettung am Arbeitsplatzkontext und an räumlichen Knotenpunkten der Mobilität. Hier mit der Bereitstellung von Konsum- und Erlebnis- welten die Bedürfnisse der jeweiligen Verfassung zu befriedigen, hilft das Kerngeschäft am Wohnort der Menschen zu stärken. Wird das multi-stationäre Konzept mit der digitalen Welt verbunden, betreiben wir mobiles Verfassungsmarketing. Wie dies geschehen kann, wird gleich klarer. So paradox es klingen mag, der Erfolg der stationären FMCG Händler im e-Commerce Markt geht nur über das „Prinzip der Lokalität“. Betrachtet man die heutigen Online-Auftritte der stationären Händler – und vor allem der FMCG Händler – erhärtet sich die Hypothese, dass anscheinend von vielen Händlern die reale, stationäre und die virtuelle Welt als zwei vollständig separate Erlebniswelten gesehen werden. Natürlich gibt es heute online Hinweise auf den nächsten stationären Shop und umgekehrt wird stationär auf die Internetadresse verwiesen. Als Bestandteile eines zusammenhängenden Erlebnisraums, in dem an den verschiedenen Touchpoints (Kanälen) unterschiedliche Bedürfnisse einer Erlebniswelt erfüllt werden müssen, um erfolgreich zu sein, werden stationärer und digitaler Touchpoint aber anscheinend nicht gesehen. Um online erfolgreich zu sein, müssen daher zunächst die heutigen und – als Kür – die kommenden Bedürfnisse der Menschen ermittelt werden, um dann in einem 16 Lebensmittel Zeitung.net, http://www.lebensmittelzeitung.net/business/themen/messen-events/Salescup_959_14774.html, download 24.07.2013.
  • 39. 39 ganzheitlichem Verständnis zu prüfen, wie diese über die unterschiedlichen Kanäle befriedigt werden können. Nun bleibt dieses Erfordernis ein Allgemeinplatz, wenn es nicht mit Ideen gefüllt wird. Daher hier abschließend ein paar Anregungen. Beginnen wir mit der flexiblen Generation: Wir haben bei der Analyse des neuen Shopper-Typen gesehen, dass der stationäre Händler weiter von großer Bedeutung bleibt, da diesen Shoppern ein physischer Erlebnisraum wichtig ist. Vor allem Zeitstress macht für sie aber den Online-Kanal attraktiv. Im Internet kennt er sich aus und nutzt die neusten technischen Innovationen, wie – Stand heute – Smartphones und Tablets. Der Multi-Channel Shopper zeichnet sich aber noch durch weitere wichtige Merkmale aus. So verlagert er zum Beispiel mehr und mehr seines FMCG-Konsums außer Haus. Vor allem das Mittagessen, aber teilweise auch das Frühstück werden immer häufiger nicht mehr zu Hause zubereitet und konsumiert, sondern außerhalb der eigenen Wohnung. Das kann in der Kantine sein oder im Restaurant – inklusive Schnellrestaurant und Imbiss – oder auf der Straße (‚to go‘). Häufig muss es dabei sehr schnell gehen (‚convenience‘), aber das Essen sollte doch ein gewisses Qualitätsniveau nicht unter- schreiten und möglichst frisch und gesund sein. Ein Händler, der mit seinen stationären Filialen versucht, diese Bedürfnisse zu befriedigen, wird viele dieser flexiblen Menschen ansprechen. Die jungen, hoch flexiblen, jungen Menschen im erwerbsfähigen Alter treten verstärkt in den Städten des Landes auf und verbringen dort tagsüber – aufgrund der Arbeitsstellen – und abends – aufgrund ihrer kulturellen Präferenzen – viel Zeit im innerstädtischen Raum. Auf den Wohnort dieser Menschen bezogene Konzepte sind hier zwar weiter sehr wichtig, doch aufgrund des großen Aktionsraumes und der dadurch am Wohnort relativ kurz verbrachten Zeit, ist es zudem wichtig ihnen am Arbeitsort und an den wichtigsten Mobilitätsknotenpunkten ebenfalls Angebote zu machen. Das „Prinzip der Lokalität“ muss zur Erreichung dieser flexiblen Generation durch den Plural ersetzt, also zum „Prinzip der Lokalitäten“ werden. Es wurde schon von der Verinselung der Aktionsräume von Kindern gesprochen, im Prinzip haben wir es hier mit einer ähnlichen Verinselung des modernen Stadtmenschen zu tun. Auf jeder der Inseln dominieren andere Bedürfnisse. Daher können wir die Aufgabe der stationären Bedürf- niserfüllung als sozial-räumliches Inselmarketing bezeichnen, das auf die jeweilige Verfassung auf den Inseln fokussiert. Dieses erfolgreiche Inselmarketing muss heute bzw. in der nahen Zukunft durch die Verbindung zur digitalen Welt ergänzt und zum mobilen Verfassungsmarketing ausgebaut werden. Es geht um eine ganzheitliche Betreuung dieser modernen, städtischen Menschen durch den Händler. Und eine ganzheitliche Betreuung verknüpft die physische mit der virtuellen Welt. Für den Einkauf des Konsums am Wohnort bleibt der flexiblen Generation häufig wenig Zeit. Nun könnte es eine Entlastung für diese Menschen sein, wenn an wohnortfernen Inseln, zum Beispiel dort, wo tagsüber gegessen wird, digitale Touchpoints eingerichtet werden, mit denen der Einkauf für den eigenen Haushalt vorgenommen werden kann. So könnten zum Beispiel in Restaurants und
  • 40. 40 Bistros Tablets zu Verfügung gestellt werden, mit denen während der Mittagspause die Einkäufe online getätigt werden können. Diese Einkäufe werden in einen Einkaufswagen deponiert, der täglich weiter gefüllt und dann am Wochenende, Freitag und Samstag, in der Filiale am Wohnort abgeholt werden können. Während der Mittagspause steht der „frame“ auf Speisen und Getränke. Damit ist eine Verbindung zur Bestellung von Nahrungsmittel für den privaten Konsum hergestellt. Während auf das bestellte Essen gewartet wird, kann über das Tablet der Online-Einkauf beim Händler stattfinden. Wenn einem zum Beispiel nach der Bestellung eines Nudelgerichtes einfällt, dass man zu Hause keine Nudeln mehr vorrätig hat, werden diese schnell beim Händler online geordert und in den Warenkorb für den stationären Wocheneinkauf gelegt. Dieser Vorgang kann bis zum Abholtermin beim stationären Händler zu jeder Zeit und von allen Orten mit Online-Zugang wiederholt werden. Am Ende der Woche kann sich der Shopper dann seine gesammelten Bestellungen in der Filiale seines Wohnortes abholen. Eine ausgedruckte Liste der Produkte des Warenkorbes hilft ihm bei der Ergänzung der Einkäufe während seines Besuches in der stationären Filiale. Der zeitgestresste Shopper wird dadurch stark entlastet. Seine wichtigsten Einkäufe hat er schon während der Woche getätigt, er muss sie nur noch in seiner Filiale abholen. Dadurch spart er am Wochenende erheblich Zeit, die zur Verlängerung der Mußezeit genutzt werden kann. Durch das Abholen der Waren in der stationären Filiale besteht zudem die Möglichkeit, doch noch vergessene Produkte schnell noch nachzukaufen. Dafür wird aber kein großer Einkaufswagen mehr notwendig sein, ein kleiner Korb reicht aus. Extra eingerichtete Kassen für Online-Besteller könnten die Wartezeit an der Kasse zur Bezahlung der „Nachkäufe“ minimieren. Der neue Shopper-Typ, den wir oben als Multi-Channel Shopper bezeichnet haben, kann somit alle entlastenden Annehmlichkeiten des Online-Kaufes mit den sozialen Aspekten des Kaufes beim stationären Händler verbinden. Die Attraktivität der Online-Bestellung kann für ihn noch gesteigert werden, wenn für die Online-Bestellung jeden Tag ein Sonderangebot des Tages ausgewiesen wird, das nur zu dem bestimmten Tag als Sonderangebot gekauft werden kann, aber wenn es online bestellt wurde, erst am Wochenende abgeholt werden muss. Bei diesen Angeboten des Tages sollte es sich natürlich um Produkte handeln, die für die Zielgruppe des modernen, flexiblen Menschen hoch attraktiv sind. Dies ist nur eine Idee der Ansprache der jungen, flexiblen Generation. Natürlich muss hier noch weiter ins Detail gegangen werden – hinsichtlich der Verbreitung der Tablets, des Ladens einer App zum Bestellen vom eigenen, privaten Tablet und der Bezahlmodalitäten bei Bestellung –, das Bei- spiel sollte aber veranschaulicht haben, wie physische und digitale Welt einen Erlebnisraum bilden und ineinandergreifen sollten, um sowohl den stationären als auch den Online-Handel voranzu- bringen.
  • 41. 41 Die Hinführung der älteren, nicht mehr erwerbstätigen Bevölkerung zum e-Commerce muss dagegen anders ansetzen, vor allem, wenn wir über die über 70jährigen sprechen. Wie bei der flexiblen Generation müssen wir zunächst Klarheit darüber gewinnen, was die ältere Generation auszeichnet und auszeichnen wird. Zunächst einmal werden in Deutschland immer mehr Menschen im Alter von 70+ leben und allein aufgrund dieser quantitativen Zunahme, wird der Nahversorger immer wichtiger. Der sozial-räumliche Kontext der Wohnnachbarschaft ist zentraler Aktionsraum der über 70jährigen, da innerhalb dieses Kontextes die meiste Zeit verbracht wird. Die Stärkung nach- barschaftlicher Beziehungen ist für diese Generation daher sehr wichtig. Die Knüpfung eines nachbarschaftlichen Hilfeleistungsnetzwerkes bietet ihnen Geborgenheit. Im Gegensatz zur flexiblen Generation haben die älteren Haushalte Zeit, sie benötigen den Internet- kanal nicht, um Zeit zu sparen. Für sie sind physische Entlastungen beim Einkauf sehr viel wichtiger. Ein Service, der die zunächst noch stationär getätigten Einkäufe in die Wohnungen der älteren Menschen bringt, würde für viele Haushalte der älteren Generation sicher sehr attraktiv sein. Dieser Service sollte nachbarschaftlich organisiert sein, sodass er zur Stärkung des nachbarschaftlichen Hilfeleistungsnetzwerkes beiträgt. So könnte der Händler zusammen mit lokalen Institutionen wie der ansässigen Kirchengemeinde diesen Service aufbauen. Sobald der Service nicht nur die älteren Bewohner entlastet, sondern auch diejenigen, die die Einkäufe bringen, aus der Nachbarschaft stammen, sind die Nutzer des Services eher bereit für den Service etwas zusätzlich zu zahlen. Ein in dieser Art funktionierender Service würde das Vertrauen der älteren Menschen in den Händler festigen. Heute verfügt ein erheblicher Anteil der über 70jährigen über keinen privaten Internetzugang. In zehn Jahren werden aber fast alle der dann über 70jährigen über einen Internetzugang verfügen. Trotzdem werden viel stärkere Unsicherheiten bei der Nutzung des Internets als Transaktionskanal vorherrschen als bei der jungen, flexiblen Generation. Ein starkes Vertrauen in den Online-Händler ist damit Grundvoraussetzung für den Online-Kauf. Der Bring-Service der stationären Einkäufe baut dieses Vertrauen auf. Hat es sich verfestigt, kann darauf hingewiesen werden, dass der gesamte Einkauf von zu Hause durchgeführt werden kann, wenn ein Internetzugang vorhanden ist. Der Bezahlvorgang müsste in diesem Fall gar nicht online stattfinden, denn da die Einkäufe weiter angeliefert werden, weiter von anderen Bewohnern der Nachbarschaft, könnte die Bezahlung bar oder mit ec-Karte stattfinden. Auch diese Idee zur Heranführung älterer, über 70jähriger Menschen an Online-Einkäufen soll nur illustrieren, wie stationärer Handel und digitale Einkäufe verknüpft werden können und sollten, vor allem, wenn es um Güter des täglichen Bedarfs geht. Nur durch die Überwindung der inzwischen künstlichen Trennung von physischer und virtueller Welt können die FMCG Online-Einkäufe zu einem ähnlich habitualisierten Verhalten werden, wie es die stationären Einkäufe sind.
  • 42. 42 In dieser Reihe außerdem erschienen: 2012 Auf der Suche nach einem kohärenten Qualitätsversprechen. Die junge, flexible Generation zwischen öffentlicher Inszenierung und privater Authentizitätssuche Weitere Informationen bei: Dr. Robert Kecskes Manager Strategic Customer Development Consumer Panels │ Consumer Experiences Tel.: 0211 / 93 65 32 10 robert.kecskes@gfk.com