Viele kleine Schulen auf dem Land sind in ihrer Existenz bedroht. Weil immer weniger Kinder geboren werden und immer mehr Jugendliche auf Realschulen und Gymnasien in den Städten wechseln, droht vielen Grund- und Mittelschulen in der Provinz das Aus. Das Schulsterben ist nur dann aufzuhalten, wenn der Staat neuartige Schulmodelle zulässt.
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Das gesamte Konzept Wohnortnahe Schule
finden Sie auch unter www.bllv.de/wohnortnahe-schule
05 Warum wir wohnortnahe Schulen brauchen
Sie können diese Broschüre kostenlos beim BLLV anfordern.
08 Bayern – das Ende der wohnortnahen Schule?
Bayerischer Lehrer- und Lehrerinnenverband e.V.
Bavariaring 37, 80336 München
Tel. 089 721001-45, Fax 089 721001-37
bllv@bllv.de, www.bllv.de
12 Gegen Auslese – für mehr gemeinsames Lernen
16 Gemeinden brauchen individuelle Lösungen
20 Erfahrungen, Beispiele, Reflexionen
38 Schritte zur Sicherung einer Schule am Ort
Text: DR. FRITZ SCHÄFFER, DR. GERD HÜFNER
Visuelles Konzept und Layout: SONIA HAUPTMANN, grafik1@bllv.de
Fotos: JAN ROEDER, foto@janroeder.de
Druck: OrtmannTeam, www.OrtmannTeam.de
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3. RSE_Brosch_prod_Neuauflage:GYM_Mantel_V1 14.08.2012 9:39 Uhr Seite 4
Warum wir wohnortnahe Schulen brauchen
Der BLLV ist der Überzeugung: Wohnortnähe ist ein Qualitätsmerkmal eines erfolgreichen
Schulsystems. Wohnortnahe Schulen stellen für Kinder, Eltern, Familien und für die Kommu-
nen ein Stück Lebensqualität dar. Ist es nicht trostlos, wenn morgens die Jugend eines Ortes
in Bussen zehn, fünfzehn Kilometer und noch weiter transportiert werden muss? Ist es nicht
eine Verschwendung, wenn Kinder und Jugendliche im Jahr mehr als 300 Stunden in Schul-
bussen vergeuden?
Das Schulsterben ist weniger demografisch bedingt als hausgemacht. Andere Flächenstaa-
ten machen es uns längst vor: Es gibt als Alternativen wohnortnahe Schulangebote, die at-
traktiv sind und mit Erfolg arbeiten. Schleswig-Holstein, Thüringen, Sachsen und Nord-
rhein-Westfalen zum Beispiel machen positive Erfahrungen mit einem zweigliedrigen Schul-
system, in unserem Nachbarland Baden-Württemberg können Gemeinden sich für die Ge-
meinschaftsschule entscheiden. Hohe Akzeptanz bei Eltern, Kinder ohne Übertrittsstress,
zufriedene Kommunen und ein effizienter Einsatz von Steuergeldern im Interesse besserer
Bildung sind die Folge.
Noch ist es möglich, einen neuen pragmatischen Kurs in der bayerischen Schulpolitik einzu-
schlagen. Wir haben zahlreiche Rückmeldungen, dass die Hauptschule durch Namens-
wechsel und Schulverbünde in den Augen der Eltern nicht aufgewertet wird. Manchmal hat
man den Eindruck, diese Reformen sind aus der Zeit gefallen und versuchen ein Strukturmo-
dell gegen alle Erfahrungen durchzusetzen. Extreme demografische Entwicklungen führen
bereits heute in einigen Kreisen zu langen Fahrtwegen zu den Bildungsangeboten. Die Über-
trittsquote steigt weiter und die Schulschließungen gehen trotz der Schulverbünde unge-
bremst weiter. Zugleich steigt der Stress in den Grundschulen, die immer stärker zur
Rennstrecke für die weiterführenden Schularten pervertiert werden.
Der BLLV hat deshalb bereits vor vier Jahren sein Konzept der Regionalen Schulentwicklung
(RSE) vorgelegt, nach dem regional passgenaue Lösungen durch die Integration bisher streng
getrennter Bildungsgänge möglich werden. Verheerend ist die Weigerung des Kultusminis-
teriums, Modellversuche für attraktive wohnortnahe Schulen zuzulassen, für Schulen, in denen
jenseits der starren Trennung der Schularten, jenseits von Auslese und Einsortierung länger
gemeinsam gelernt werden kann. Denn nur praktische Beispiele könnten Lösungsmöglich-
keiten eröffnen. Während Schulversuche zu vielfältigen Themen genehmigt werden, verwei-
gert das Kultusministerium gegen den Willen der örtlichen Eltern, Lehrer und Kommunal-
politiker solche zukunftsfähigen Lösungen mit wenig überzeugenden Schlagworten. Wir brau-
chen aber Pragmatismus und Bürgernähe statt Ideologie und Zentralismus.
Klaus Wenzel Dr. Fritz Schäffer
Präsident des BLLV Leiter der Abteilung Schul- und Bildungspolitik
4 5
4. RSE_Brosch_prod_Neuauflage:GYM_Mantel_V1 14.08.2012 9:39 Uhr Seite 6
„Wenn ich nachmittags mit meinen Freundinnen
spielen will, dann mag ich selber zu Fuß hingehen
und nicht, dass mich die Mama oder der Papa mit
dem Auto fährt und wieder holen muss. Und die
sind dann auch immer ganz genervt, wenn sie mich
in der Gegend rumfahren müssen.“
„Ich möchte, dass meine Schulfreundinnen
aus meinem Dorf kommen.“ Marie, 8, Schülerin
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5. RSE_Brosch_prod_Neuauflage:GYM_Mantel_V1 14.08.2012 9:39 Uhr Seite 8
Bayern – das Ende der wohnortnahen Schule? Szenario 1: Fortschreibung des dreigliedrigen Schulsystems 1.075 Hauptschulen in Bayern 2009
25 3
67
199 173
261
353
Seit 2001 wurden in Bayern 540 Teilhauptschulen und 107 ehemals voll ausgebaute Hauptschulen
422 387
geschlossen. Für das Schuljahr 2009/10 weist die Statistik noch 1.075 Hauptschulen in Bayern aus.
393
Allerdings konnten 107 davon schon nicht mehr auf allen fünf Jahrgangsstufen eine Klasse anbieten.
Demografischer Rückgang und vermehrte Übertritte in Realschulen und Gymnasien werden weitere 408
Schulschließungen bewirken.
363 512
396
Der BLLV hat deshalb die Studie „Die Zukunft der wohnortnahen Schule in Bayern“ erstellt. Sie 247
untersucht, was im Freistaat mit Schulstandorten geschieht, wenn am 91
2009 2015 2020 2030
• dreigliedrigen Schulsystem festgehalten wird (Szenario 1) oder
• Mittel-, Real- und Wirtschaftsschulen zu einer Schulart zusammengeführt werden (Szenario 2) oder
• alle Kinder eine gemeinsame Schule vor Ort besuchen (Szenario 3).
Szenario 2: Zweigliedriges Schulsystem Haupt- und Realschüler besuchen gemeinsam diese 1.075 Schulen
Diese drei Szenarien wurden auf der Basis amtlicher Daten für sämtliche Schulstandorte in allen
25 kreisfreien Städten und 71 Landkreisen in Bayern durchgespielt.
Das Ergebnis: 470 403 424
Sollte am dreigliedrigen Schulsystem festgehalten werden, können 2015 an rund 250 Schulen (23 %) 602
keine siebten und achten Klassen mehr gebildet werden. Diese Schulen sind akut von Schließung
bedroht. 2020 wird die Zahl auf knapp 400 (37 %) anwachsen und 2030 mehr als 500 betragen
(48 %). Besonders stark betroffen sind die kleinen Schulen im ländlichen Raum. 405 396
412
367
In Oberbayern ist die Situation noch relativ günstig: dort sind bis 2020 von 311 ehemaligen Haupt-
schulen 93 gefährdet (30 %). Dramatisch Formen nehmen die drohenden Schulschließungen bis 2020 144 215 200
74
in der Oberpfalz mit 51 Schulen (45 %), in Unterfranken mit 63 Schulen (47 %) und in Oberfranken mit 32 49 52 55
50 Schulen (50 %) an. In Oberfranken sind bis 2030 dann über zwei Drittel der heutigen Schulstand- 2009 2015 2020 2030
orte gefährdet. Von ehemals 101 Hauptschulen bleiben 2030 noch 31 Schulen übrig, die mindestens
eine 7. Klasse bilden können. Acht davon liegen in den vier kreisfreien Städten. Auf die neun Landkreise,
in denen 2009 noch 84 Hauptschulen bestanden, kämen dann noch gerade 23 Schulen, also im
Schnitt etwa zweieinhalb je Landkreis. Szenario 3: Gemeinschaftsschule Alle bayerischen Schüler besuchen gemeinsam diese 1.075 Schulen
Die Studie zeigt aber auch auf, dass diese Entwicklung nicht notwendig so verlaufen muss. In einem
zweigliedrigen System, wie es die CDU in ihrem Leitantrag vorschlägt (Szenario 2), würden nur rund
50 Schulen zu wenige Schüler für eine Klasse pro Jahrgangsstufe aufweisen. Über 800 Schulen könn-
ten auch 2030 noch mit mindestens zwei Parallelklassen geführt werden.
758 715 749
865
Würde eine gemeinsame Schule für alle Schüler nach der Grundschule eingerichtet (Szenario 3),
wären nur 24 der Haupt-/Mittelschulen gefährdet. Mehr als 1.000 Schulen könnten trotz des demo-
grafischen Schülerrückgangs mit mindestens zwei Parallelklassen bestehen.
251 281 257
Nähere Informationen können auf der BLLV Homepage www.bllv.de eingesehen werden. 157
Eine Druckfassung kann bestellt werden beim BLLV, Bavariaring 37, 80336 München. 38 43 55 45
15 23 24 24
2009 2015 2020 2030
zu wenige Schüler für eine Klasse 1 zügig 2 zügig > = 3 zügig
8 9
6. RSE_Brosch_prod_Neuauflage:GYM_Mantel_V1 14.08.2012 9:39 Uhr Seite 10
„Für meine Mannschaft braucht's Spieler, auf die
Verlass ist. Die müssen regelmäßig und selbststän-
dig herkommen können. Wenn zu viele den ganzen
Tag in der Stadt sind, weil sie da auf die Schule
gehen, dann kommen die irgendwann gar nicht
mehr. Und dann kann ich zusperren.“
„Ich will, dass alle ohne Stress ins Training
kommen können.“ Thomas, 25, Fußballtrainer
10
7. RSE_Brosch_prod_Neuauflage:GYM_Mantel_V1 14.08.2012 9:39 Uhr Seite 12
Gegen Auslese – für mehr gemeinsames Lernen
Individuelle Förderung statt Auslese
für das spätere Lernen der Kinder. Je weniger Auslese in der Grundschule, desto mehr Kinder können
Jedes Kind hat ein Recht darauf, dass es in der Schule in seinen Stärken und Schwächen angenommen weniger beschädigt und mit mehr Lernfreude ihren Bildungsweg fortsetzen. Wegen des Übertrittsdrucks
und seine individuelle Persönlichkeit berücksichtigt wird. Unterricht und Lernprozesse müssen auf die erhalten immer mehr Kinder bereits in der Grundschule Nachhilfeunterricht. Dieser nimmt den Kindern
Lernvoraussetzungen des einzelnen Kindes abgestimmt sein. Die bloße Zuweisung zu drei Schularten notwendige Freizeit zu Erholung und freiem Spiel. Und Nachhilfe ist teuer. Kinder aus armen Familien
mit unterschiedlichen Anforderungsniveaus nach der Grundschule bietet eine solche Individualisierung werden dadurch benachteiligt, die soziale Auslese verstärkt.
nicht. Kernaufgabe der Schule ist es, die unterschiedlichen Talente und Potentiale der Kinder zu
fördern, und nicht, sie nach einer vermeintlich mit der Geburt festgelegten und unveränderlichen Be-
gabung zu sortieren. Tatsächlich ist die Auslese auch nicht „begabungsgerecht“. Ziffernnoten in den Lernen ist ein aktiver Prozess
drei Fächern Deutsch, Mathematik und Heimat- und Sachunterricht, die über die Auslese entscheiden,
spiegeln nicht die Vielfalt möglicher Fähigkeiten und Talente einer Schülerin oder eines Schülers. Es hängt zum großen Teil von Art und Qualität des Lernangebotes und dem Lernklima in einer Klasse
Musische und kommunikative Fähigkeiten, soziale und emotionale Kompetenzen spielen bei der Über- ab, ob Schülerinnen und Schüler auch persönliche Fähigkeiten entwickeln, die immer wichtiger werden:
trittsentscheidung kaum eine Rolle. Sie geraten zwangsläufig zum Beiwerk schulischen Lernens. Sich ausdrücken können, Handlungen planen und ausführen, begründet Entscheidungen treffen,
Verantwortung übernehmen, Konflikte lösen. Lernen ist ein Vorgang aktiver Aneignung. Lernformen, die
Für die Lernbiografie eines Kindes sind sie aber von herausragender Bedeutung. Weder kann der Selbsttätigkeit und Selbstständigkeit unterstützen, die handlungsorientiert sind und Schülern die Erfah-
aktuelle Leistungsstand einer Schülerin oder eines Schülers sicher diagnostiziert, noch die Entwicklung rung vermitteln, dass sie etwas bewirken können, fördern Lernmotivation und Lernerfolg. Dabei muss
der zukünftigen Lernfähigkeit zuverlässig prognostiziert werden. Dies zeigt sich an den Ergebnissen der das Lernangebot an den unterschiedlichen individuellen Voraussetzungen anknüpfen. Dies ist unter in-
Auslese: Ein Drittel der in die 5. Klasse an den Gymnasien Eingeschulten muss in Bayern vor dem dividueller Förderung zur verstehen, nicht Nachhilfe oder Einzelunterricht.
Erreichen des Abiturs die Schule wieder verlassen. Und mehr als zehn Prozent erreichen über den
wesentlich schwierigeren Weg der Fach- und Berufsoberschulen die Hochschulreife, obwohl ihnen
dies in der Grundschule nicht zugetraut wurde. Darüber hinaus ist die Zuweisung zu Gymnasien, Lernen erfolgt gemeinsam
Realschulen und Haupt- bzw. Mittelschulen, obwohl auf Noten gestützt, in hohem Maße eine soziale
Auslese. In keinem Land sind die Bildungschancen sozial ungleicher verteilt als in Deutschland. Das Lernen vom Lehrer ist nur ein Teil schulischen Lernens. Schüler lernen auch sehr viel von ihren
Mitschülern. Die Lernforschung hat nachgewiesen, dass schwache Schülerinnen und Schüler in hetero-
genen Lerngruppen besser lernen und gute Schüler nicht schlechter werden, als in vermeintlich homo-
genen Klassen. Schwächere Schüler orientieren sich an den besseren und bessere Schüler können
Auslese schadet Lernen schwächeren helfen, wobei auch sie durch aktives Erklären ihre Kenntnisse und Kompetenzen vertiefen
und erweitern. Lernen geschieht im Kontext sozialer Beziehungen. Diese tragen in großem Umfang zu
Die derzeitige Noten- und Auslesepraxis verführt die Schülerinnen und Schüler dazu, sich kurzfristig Lernerfolgen bei. Wenn aber Kinder auf unterschiedliche Schularten verteilt werden, wechseln sie Schule,
Faktenwissen anzueignen, das bei Prüfungen abgefragt und danach schnell wieder vergessen wird. Es Lehrkräfte sowie die Bezugsgruppe Klasse. Gemeinsames Lernen vor Ort dagegen gewährleistet
ist dies das Gegenteil eines Lernens aus Interesse an den schulischen Themen und Inhalten und das Kontinuität und Vertrauen. Es fördert soziale Integration und hilft, schulfeindliche Jugendkulturen zu
Gegenteil eines vernetzten und nachhaltigen Lernens. Damit Schule wirklich Sinn macht, sollten Schü- verhindern. Unterschiede des familiären Hintergrunds der Schüler ermöglicht ihnen einen Blick über die
lerinnen und Schüler ihr Wissen anwenden, damit Probleme lösen und dabei mit anderen zusammen- Kultur der eigenen Familie hinaus.
arbeiten können, kurz: nutzbare Kompetenzen erwerben. Ein bloßes Lernen für gute Noten gibt ihnen
keine Zeit und keinen Raum zu experimentieren, Fehler zu machen und zu korrigieren, Umwege im
Begreifen zu gehen. Aber nur so lernen Kinder wirklich effektiv und nachhaltig. Nur wenn Leistungs-
feststellung nicht für ein Aussortieren benutzt wird, kann sie echte Rückmeldung an Schüler und Lernen ist ein individueller Prozess
Eltern sein über den Stand der Kenntnisse, und Hinweise geben für nächste Lernschritte. Nur dann
geben sie echte Perpektiven für das weitere Leben. „Es gibt keine wissenschaftlich begründete Typologisierung, die eine Zuordnung von Heranwachsenden
zu einem ganz bestimmten Lernumfeld (Gymnasium, Real- oder Hauptschule) nahe legt. Schüler bringen
Die Entscheidung über die Schullaufbahn nach der 4. Klasse führt bei vielen Grundschülern zu enor- ein unterschiedliches Potenzial mit in die Schule, das sich nicht in Schubladen packen lässt. Um jeden
mem Leistungsdruck und einer ungesunden Lernatmosphäre in den Klassen. Der Übertrittsdruck Schüler »begabungsgerecht« zu fördern, erweist sich die Gliederung des Schulsystems als untaugliches
erzeugt Versagensängste und beeinträchtigt das Selbstwertgefühl. Emotionale Stabilität und Lernmo- Instrument. Die Aufgabe der Lehrer muss vor allem darin bestehen, unterschiedliche Lernangebote
tivation der Kinder sinken dramatisch. Kreatives, ergebnisoffenes Lernen, das Entwickeln von Selbst- innerhalb einer Lerngruppe bereitzustellen, damit jeder Schüler entsprechend seinen Voraussetzungen
vertrauen, all das wird massiv beeinträchtigt. Misserfolge und Frustrationen haben fatale Folgen optimal lernen kann.“ Prof. Dr. Elsbeth Stern Lernpsychologin an der ETH Zürich
12 13
8. RSE_Brosch_prod_Neuauflage:GYM_Mantel_V1 14.08.2012 9:39 Uhr Seite 14
„Es ist echt schlimm: Schon in der dritten Klasse
wird gepaukt ohne Ende, es geht nur noch drum,
wer schafft's aufs Gymnasium oder wenigstens auf
die Realschule. Spaß macht das keinen. Und
dieser Stress macht uns alle ganz fertig.“
„Ich will, dass mein Kind den Übertritt
gelassen nehmen kann“ Petra, 36, Mutter
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9. RSE_Brosch_prod_Neuauflage:GYM_Mantel_V1 14.08.2012 9:39 Uhr Seite 16
Gemeinden brauchen individuelle Lösungen
Das Aus der Schulen auf dem Land
Individualisierung statt Gruppierung
Dem ländlichen Raum in Bayern droht die schulische Verödung: Bis 2030 brechen fast die Hälfte aller
derzeitigen Mittelschulstandorte weg. Gründe sind die demografische Entwicklung und das Schul- Mögen sich mittlerweile das gesamte Ausland und auch alle anderen deutschen Bundesländer vom drei-
wahlverhalten. Wenn das Kultusministerium keine Alternativen zulässt, wird eine zentralisierte Schul- gliedrigen Schulsystem verabschiedet haben – in Bayern hält man unbeirrbar fest daran. Gerechtfertigt
struktur und damit eine erhebliche Schwächung des ländlichen Raumes die Folge sein. wird dies durch die Ideologie von der Begabungsgerechtigkeit der Schularten und der Überlegenheit
homogener Lerngruppen, auch wenn dies wissenschaftlich nicht haltbar ist. Eine solche Pädagogik
Noch sind vor allem Haupt- und Mittelschulen von Schulschließung bedroht. Doch die demografische ersetzt Individualisierung durch Gruppierung. Der einzelne Schüler wird nur mangelhaft gefördert. Die
Entwicklung wird dazu führen, dass in weniger als zwei Jahrzehnten alle Schularten vor der gleichen hohe Zahl von Wiederholern und Schulabbrechern belegen dies. Die saarländische Ministerpräsidentin
Problematik stehen: Der Schülerrückgang wird manchen Neu- und Anbau von Realschulen, selbst von Kramp-Karrenbauer (CDU) stellt nüchtern fest: «Der Kampf um das alte dreigliedrige Schulsystem ist ein
Gymnasien, zur Investitionsruine werden lassen, noch ehe die Schulden dafür abbezahlt sind. Kampf von gestern. Er geht an der Wirklichkeit vorbei».
Ohne Schulen sind Gemeinden für die Neuansiedlung von jungen Familien wenig attraktiv. Wirt- Warum also lässt die bayerische Bildungspolitik nicht ab von der Anmaßung, sie allein kenne die Antwort,
schaftsbetriebe und junge Leute wandern ab, wenn sie am Ort keine Ausbildungs- und Arbeitsplätze mit der sie ihre Bürger zwangsbeglücken muss? Statt sich in ideologischen Grabenkämpfen um zentra-
mehr finden. Zudem verliert die Gemeinde mit der Schule einen bedeutsamen kulturellen Bezugspunkt. listische Lösungen zu verbeißen, sollte sie besser Eltern und Lehrern endlich die Wahlfreiheit geben, wie
Wenn Schüler den Heimatort morgens verlassen und meist erst am späten Nachmittag zurückkehren, sie Schule gestalten wollen. Sie kennen am besten die Verhältnisse an Ort und Stelle. Wenn Gemein-
lässt ihr Engagement in örtlichen Vereinen, im gemeindlichen und kirchlichen Leben zwangsläufig nach. den gemeinsam mit Lehrern und Eltern zu dem Schluss kommen, dass die Mittelschule keine Zukunft hat,
Schließlich bürdet jeder verlorene Schulstandort den Gemeinden zusätzliche Kosten durch Gast- weil Standorte nicht mehr zu halten sind, dann sollen sie andere Wege einschlagen dürfen.
schulbeiträge und Schülerbeförderung auf. Gleichzeitig werden leer stehende, oft erst vor kurzem re-
novierte Schulgebäude zu Investitionsruinen.
Konsens gegen das Dogma
Mittelschulen können Schulsterben nicht aufhalten Die bayerischen Schulstrukturen sind verhärtet wie Beton. Sie aufzubrechen kann nur in einem längeren
Prozess gelingen, der alle Beteiligten mitnimmt und auf Konsens setzt. Die neuen Regierungen in Nord-
Auch die Einführung von Mittelschulen und Schulverbünden kann ein weiteres Schulsterben nicht auf- rhein-Westfalen und Baden-Württemberg haben die Zeichen der Zeit erkannt. Dort werden die alten
halten. Sie haben keinen Einfluss auf die Schulwahl von Eltern. Durch die Umetikettierung von Haupt- Strukturen überwunden – ohne die Schulen, die Eltern oder die Gemeinden zu überfordern. Dort ist zu
in Mittelschulen wurde jedenfalls kein einziger zusätzlicher Schüler gewonnen. Eltern bevorzugen nach besichtigen, wie organische Schulentwicklung aussieht: Die Bildungspolitik stülpt nicht einfach in ge-
wie vor den Mittleren Schulabschluss an der Realschule, der mehr Möglichkeiten bei der Wahl aner- setzgeberischer Selbstherrlichkeit allen ein einheitliches Schulmodell über, sondern hilft den Schulen,
kannter Berufsausbildungen bietet. Es geht nicht um die Rettung bestimmter Schularten. Es geht um die das wünschen, vor Ort bei der Einführung passgenauer Lösungen. So könnte es auch in Bayern ge-
die Stärkung aller bayerischen Gemeinden. Sie müssen vital bleiben und sind auf das Angebot hoch- schehen. Die Betroffenen vor Ort sollen entscheiden, welche Schule sie haben wollen – jenseits der
wertiger und wohnortnaher Schulabschlüsse angewiesen. Strukturfrage. Dazu aber müssten noch mehr Menschen den Mut entwickeln, das Dogma von der Drei-
gliedrigkeit in Frage zu stellen. Die Schulentwicklung muss von ihnen eingefordert und am besten bereits
Die Erkenntnis, dass etwas geschehen muss, breitet sich immer weiter aus. Auch in Bayern suchen tatkräftig begonnen werden.
immer mehr Bürgermeister, Schulleiter, Kollegien und Eltern händeringend nach Lösungen, wie sie
weiter ein attraktives und wohnortnahes Schulangebot in der Sekundarstufe organisieren können. Die
Schulen, die betroffenen Gemeinden, die dort lebenden Eltern und Schüler brauchen eine pragmati-
sche Antwort auf die Herausforderung rückläufiger Schülerzahlen an der Schule ihrer Gemeinde. Ihnen
ist durch ideologischen Streit und politischen Stillstand nicht geholfen.
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10. RSE_Brosch_prod_Neuauflage:GYM_Mantel_V1 14.08.2012 9:40 Uhr Seite 18
„Die Familien ziehen weg, wenn die Schulen
halt anderswo sind. Und dann kommt keiner mehr
hierher zum Einkaufen und ich steh in einem leeren
Laden. Da bricht nicht nur der Umsatz weg, das ist
auch traurig, weil ein Stück Leben verloren geht.“
„Ich will, dass uns unsere treue Kundschaft
bleibt“ Hannelore, 56, Krämerin
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11. RSE_Brosch_prod_Neuauflage:GYM_Mantel_V1 14.08.2012 9:40 Uhr Seite 20
Erfahrungen, Beispiele, Reflexionen
Bestehende bzw. von der Landesregierung angestrebte Schulstruktur in den Bundesländern NRW-Kultusministerin Sylvia Löhrmann (Die Grünen) über einen
anderen Weg, Schulstrukturen zu reformieren
Frau Löhrmann, warum setzt Ihre Regierung auf die Sekundarschule?
Die Sekundarschule ist die Antwort auf zwei Entwicklungen: Zum einen auf die zurückgehenden Schü-
lerzahlen und die Tatsache, dass manchmal auch die letzte weiterführende Schule vor Ort gefährdet
ist. Zum anderen hat sich das Verhalten der Eltern bei der Wahl der weiterführenden Schule verändert:
Schleswig-Holstein Sie wollen eine Schule für ihre Kinder, die die Option auch auf das Abitur länger offen hält.
Hamburg
Wie wollen Sie diese Schulart durchsetzen?
Mecklenburg-Vorpommern
Wir setzen auf eine innovative Schulentwicklung von unten. In Ascheberg im Münsterland haben wir
den ersten Antrag einer Gemeinde auf Gründung einer solchen Schule genehmigt. Mittlerweile wer-
den insgesamt zwölf Sekundarschulen als Modellschulen geführt. Die Schulträger, aber auch die Schu-
Bremen
len selbst, sagen: Wir wollen uns verändern. Eine Strukturveränderung allein reicht aber nicht aus.
Niedersachsen Berlin Deshalb begleiten wir die Schulen bei diesem Versuch. Sie bekommen auf die gesamte Dauer des
Modellversuchs von sechs Jahren eine halbe Stelle und ein zusätzliches Fortbildungsbudget. Diese
Kombination, äußere und innere Reformprozesse gemeinsam anzugehen, kommt gut an.
Brandenburg
Sachsen-Anhalt Der bayerische Kultusminister spricht beharrlich von „Einheitsschulen“.
Wer den Begriff „Einheitsschule“ verwendet, will ideologisch motivierte Kämpfe führen, will innovative
Nordrhein-Westfalen
Schulentwicklungsprozesse verhindern. Wer die Sekundarschule blockiert, stellt die Schulform über
Sachsen das Interesse der Kinder. Die Bewegung hin zur Zweigliedrigkeit ist aber bundesweit nicht mehr auf-
zuhalten.
Thüringen
Hessen
Rheinland-Pfalz
Saarland
Bayern
Baden-Württemberg
Dreigliedrigkeit: Haupt-/Mittelschule + Realschule + Gymnasium
Zweigliedrigkeit: gemeinsame Haupt- und Mittelschule bis Jgst. 10 + Gymnasium
Integrierte Mehrgliedrigkeit: Hauptschule + Realschule (teils mit gym. Oberstufe oder Gemeinschaftsschule) + Gymnasium
Zweigliedrigkeit: gemeinsame Schule bis Jgst. 13 + Gymnasium
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12. RSE_Brosch_prod_Neuauflage:GYM_Mantel_V1 14.08.2012 9:40 Uhr Seite 22
NRW – Pionierschule im Münsterland macht pädagogische Innovation
Die Profilschule Ascheberg im Münsterland (NRW) hat zu Beginn des Schuljahres 2011/2012 für elf tenzraster entwickelt. Wir haben auch das Institut Beatenberg angeschaut, die Urmutter aller Kompetenz-
Jahre ihren Betrieb als Modellschule aufgenommen. Die Nachfrage der Eltern war so groß, dass eine raster-Schulen. Auch mit unserer benachbarten Modellschule in Rheinsberg pflegen wir einen regen Aus-
fünfte Eingangsklasse gebildet werden musste und nunmehr 125 Schüler die münsterländische Schule tausch. Eine SchiLF etwa haben wir zum Thema Lernberichte organisiert. Es gibt eine Portfoliogruppe. Der
besuchen. Profilunterricht wird gerade ausgeweitet. Bisher gab es in Sprachen, MINT und Musik zwei Stunden Pro-
filunterricht pro Woche, in der 6. Jahrgangsstufe kommt dann Theater und darstellendes Gestalten dazu.
Es handelt sich um eine gebundene Ganztagesschule der Sekundarstufe I (Jahrgangsstufen fünf bis
zehn) mit maximal 25 Kindern pro Klasse, die in der Regel gemeinsam unterrichtet werden. Allerdings Eine Mutter war mit auf Exkursikon? Bei Ihrem Schulversuch scheint ein vertrauensvolles
findet in der Unterstufe (Klassen 5 bis 8) eine stundenweise Aufteilung nach begabungsgerechten Verhältnis zu den Eltern eine wichtige Rolle zu spielen.
Profilangeboten (MINT, Musik, Sprache) statt. In der Mittelstufe (Klassen 9 und 10) werden die Fächer Die Eltern sind in der sogenannten Schulpflegeschaft organisiert. Sie können als Experten auftreten,
Deutsch und Englisch sowie Mathematik und Naturwissenschaften in zwei Leistungsstufen unterrich- einer kann zum Beispiel seine Fertigkeiten als Malermeister einbringen. Andere übernehmen Lesepa-
tet. Dem eigenen Leitbild zufolge begreift die Schule die Unterschiede zwischen den Kindern „als Be- tenschaften. Manche gestalten die einstündige Mittagspause mit Basteln.
reicherung“. Es gibt kein Sitzenbleiben, stattdessen reagiere die Schule „flexibel mit individueller
Förderung auf drohende Leistungsschwierigkeiten“. Zum pädagogischen Leitbild gehört das Prinzip Das hört sich nach ungewöhnlich großer Kooperationsbereitschaft an.
einer „Team-Schule“, die Lehrkräfte verstehen sich als „Lernbegleiter“ und „Lernberater“. Außer Zif- Allen Eltern ist bewusst, dass ihre Kinder an einer besonderen Schule sind. Man muss aber nach wie vor
fernnoten dienen der Leistungskontrolle auch „Lernentwicklungsberichte“ und „Portfolios“. Es sind alle Überzeugungsarbeit leisten.
bisherigen Abschlüsse bis zur mittleren Reife möglich, mindestens 60 Prozent der Schüler sollen
jedoch in ein Gymnasium wechseln können und das Abitur erreichen. Inwiefern?
Beispiel Leistungskontrollen. Früher hieß es: Nächste Woche ist dann und dann Klausur. Bei uns gibt es
einen Arbeitsplan und die Schüler melden sich selbst zur Leistungsprüfung.
Es sind natürlich nie alle gleich weit.
Schulleiterin Sylvia Reimann-Perez über erste Erfahrungen
mit der Gemeinschaftsschule Ascheberg Wie organisieren Sie dann die Proben?
Notfalls schreiben auch mal nur fünf Schüler eine Prüfung, oder sogar einer allein. Wir schauen uns alles
BLLV: Frau Reimann-Perez, zur Eröffnung der Gemeinschaftsschule Ascheberg mussten ganz individuell an. So übertragen wir auch Verantwortung auf die Kinder. Aber das alles den Eltern zu
Sie eine ehemalige Hauptschule umstrukturieren und selbst das Personal einstellen. Eine erklären, ist schon schwer.
anspruchsvolle Aufgabe für eine Leiterin – aber auch für ein Team.
Wir sind 14 Lehrkräfte aus allen Schulformen, inklusive Förderbereich. Keiner kommt aus dem reform- Und die Kinder?
pädagogischen Bereich. Alle erarbeiten sich alles. Das ist in der Tat ganz schön anspruchsvoll. Zum Die gehen sehr gut damit um. Manche muss man anhalten zu arbeiten. Andere machen sich fast selbst
Beispiel die Deutschlehrer: Die erarbeiten gemeinsam einen Plan für ein halbes Jahr – den Unterricht, zu viel Druck.
die Arbeitsblätter, die Prüfungen. Jeder übernimmt einen Themenkreis wie Sachtexte oder Märchen.
Wird bei Ihnen nicht nach dem Fachlehrerprinzip unterrichtet?
Jede Lehrkraft unterrichtet, wie die Gymnasiallehrer unter uns, zwei Fakultas. Wir sind aber auch Be-
gleiter in offeneren Lernformen. Da sind die SEGEL-Stunden, in denen selbstgesteuertes Lernen statt-
findet oder der Projektunterricht. Als Klassenlehrer arbeitet man sowieso immer im Team, da sind immer
zwei zusammen.
Das bedeutet für die meisten der Lehrkräfte sicher eine große Umstellung.
Die Bereitschaft, sich fortzubilden und selbst zu lernen, ist groß. Das halbe Team und eine Mutter waren
zum Beispiel zu Gast in der Hamburger Max-Brauer-Schule. Mit deren Hilfe haben wir unsere Kompe-
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13. RSE_Brosch_prod_Neuauflage:GYM_Mantel_V1 14.08.2012 9:40 Uhr Seite 24
„Es ist schon eine ganze Zeit her, dass ich genau
hier zur Schule gegangen bin. Aber ich weiß noch
gut, wie schön es war, dass die Schule gleich um
die Ecke war und sich alle gut ausgekannt haben.
Für die Kinder heute ist auch so schon alles
anonym, die tun mir wirklich leid.“
„Ich will, dass für meine Enkel die Schule
zum Dorf gehört – wie für mich damals“ Irmgard, 78, Oma
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14. RSE_Brosch_prod_Neuauflage:GYM_Mantel_V1 14.08.2012 9:40 Uhr Seite 26
Baden Württemberg – Schulreform von unten
Das Ziel der grün-roten Landesregierung in Baden-Württemberg ist nach den Worten von Kultusmi- Ein solches Konzept stellt ganz neue Anforderungen an die Lehrerprofessionalität. Welche Leh-
nisterin Gabriele Warminski-Leitheußers, „dass die einzelnen Kinder und Jugendlichen so gut wie mög- rer sollen da unterrichten?
lich gefördert werden und so lange wie möglich gemeinsam lernen können.“ Um dieses Ziel umsetzen In der pädagogischen Arbeitsgruppe hatten wir Lehrer aller Schularten und es sollen auch Lehrer aller
zu können, sieht ein von ihr vorgelegter Gesetzentwurf die Einführung von Gemeinschaftsschulen vor. Schularten, von Grund-, Haupt-, Werkrealschule, Realschule und Gymnasium, aber eben auch Förder-
Am 30. Mai 2011 entschied sich die Kommune Ravensburg einstimmig für das Konzept einer „Inklusi- schullehrer arbeiten. Natürlich gibt es bei manchen Lehrern Verunsicherung, aber es gibt auch ein gro-
ven Modellschule", in der Kinder der Jahrgangsstufen eins bis zehn unterrichtet werden sollen. Ra- ßes Interesse. Alle Lehrkräfte an dieser Modellschule werden über schulbezogene Stellenausschrei-
vensburg ist damit die erste Gemeinde, die einen Antrag für eine solche Modellschule eingereicht hat. bungen akquiriert, sie werden also freiwillig dort arbeiten.
Von den 150 bis 200 Schulen, die bisher Interesse bekundet haben, sollen 34 im Schuljahr 2012/2013
starten. Die Gemeinschaftsschule umfasst mindestens die Klassen 5 bis 10. Daran schließt sich Gemeinschaftsschule ist ja gerade für den ländlichen Raum, der vom demografischen Rückgang
entweder an der Schule selbst oder an einem kooperierenden Gymnasium eine gymnasiale Oberstufe betroffen ist, eine Möglichkeit, wohnortnah attraktive Abschlüsse bis hin zum Abitur zu erreichen.
an, die bis zum Abitur führt. Außerdem soll es – wie in Ravensburg – auch Gemeinschaftsschulen ab Ist das auch ein Anliegen, das mit der Einführung einer Gemeinschaftsschule verfolgt wird?
der 1. Klasse geben. Der Unterschiedlichkeit der Schüler will man durch eine Individualisierung des Das ist das Hauptanliegen. Wenn kleine Schulen weiter existieren können, dann ist das ein Gewinn so-
Unterrichts gerecht werden. Hierzu werden alle Gemeinschaftsschulen als Ganztagsschulen geführt, wohl für die Schüler als auch für die Gemeinden. Im anderen Fall, dazu hat auch die Werkrealschule bei-
pro Jahrgang werden 60 zusätzliche Stellen bereitgestellt. getragen, wird eine Hauptschule nach der anderen geschlossen. … der ländliche Raum verödet … Und
die Kinder fahren in die nächstgelegenen Städte, tragen ihr Geld dort ins Kino, sind dort in den Vereinen,
haben ihre Freunde und ihren kulturellen Mittelpunkt dort und nicht mehr in ihren Herkunftsgemeinden.
Wie stehen die Eltern heute zum Gemeinschaftsschul-Modell?
Hauptschulleiter Rudolf Bosch über das Vorbild-Projekt Wir haben mit großem Aufwand einen Elternfragebogen entwickelt, die Tendenz ist klar: Die Eltern be-
Gemeinschaftsschule Baden-Württemberg grüßen den Gedanken des längeren gemeinsamen Lernens, vor allem den Gedanken, dass die Stadt Ra-
vensburg so etwas installiert. Und es kommt sehr differenziert zum Ausdruck, dass man mit vielen
Herr Bosch, Sie und ein paar Mitstreiter hatten schon lange vor dem Regierungswechsel in Zuständen an den jetzigen Schulen nicht zufrieden ist.
ihrem Bundesland die Schulpolitik offen herausgefordert. In welche Richtung sollte sie sich
denn damals verändern?
Weg vom selektiven System, hin zu einem integrativen Schulsystem, das allen Kindern eine Schul-
laufbahn ohne Brüche und ohne Beschämung ermöglicht. Dazu gehören neue Unterrichtsformen, eine
neue Unterrichtskultur aber eben auch eine neue Struktur.
Und wie sieht das pädagogische Konzept nun, nachdem der Traum realisiert werden kann, aus?
Eine Gemeinschaftsschule soll eine inklusive, gebundene Ganztagsschule sein, von Klasse eins bis
Klasse zehn, mit enger Verknüpfung in Richtung Vorschule. Schüler werden in allen Leistungsniveaus
unterrichtet, alle Schularten sollten abgebildet sein. Es soll keine Jahrgangsklassen mehr geben son-
dern jahrgangsübergreifenden Unterricht in insgesamt vier Stufen. Klasse eins bis sechs dreistufig und
zweistufig von sieben bis zehn. Man unterrichtet in Lehrerteams, Individualisierung ist das oberste
Prinzip. In einem gebundenen Ganztagsschulbetrieb soll die Schule bestimmte Profilsäulen ausbilden,
musisch, naturwissenschaftlich und im Bereich der Berufswegefindung.
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„Die Jugendlichen aus unserer Schule, die sich für
Autos interessieren, machen gerne ein Praktikum in
meinem Betrieb. Die kenne ich dann schon ganz gut
und weiß, wen ich einstellen kann. Bei Jugendlichen,
die irgendwo auf die Schule gehen, läuft das
schon mal schief.“
„Ich will wissen, wen ich ausbilde“ Christian, 46, Kfz-Meister
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16. RSE_Brosch_prod_Neuauflage:GYM_Mantel_V1 14.08.2012 9:40 Uhr Seite 30
Schleswig-Holstein – Wie eine Gemeinschaftsschule zum Erfolgsmodell wird
Ein Tisch ist gedeckt. Laura, Merrit und Mads sitzen um ihn herum. Kenja tritt heran. „What would you like Überforderung und Frustration sind die absolute Ausnahme. Die Fokussierung auf Schwächen wird ver-
to drink?", fragt die Schülerin. Die Klasse 7c der Handewitter Gemeinschaftsschule übt sich im Eng- mieden. „Jedes Kind hat irgendwo Stärken", weiß Dr. Hans-Werner Johannsen. „Wenn man da an-
lisch-Unterricht an einem Rollenspiel. Das Klassenzimmer hat sich in ein Restaurant verwandelt. Kenja ist setzt, wirkt sich das irgendwann auch auf die Schwächen positiv aus und die Lust am Lernen wird
die Kellnerin, die anderen die Gäste. Schon in den letzten Tagen haben sie Vokabeln gelernt, Speisekarten erhalten und wieder geweckt." Häufig wird die Partnerarbeit praktiziert. „Davon profitieren beide Sei-
verfasst, sich mit Hilfe des Internets vorbereitet und sogar ein Video gedreht. Nun testen die Schüler ihre ten", erläutert Anke Lache. „Die Leistungsschwächeren lernen von den Leistungsstärkeren. Bei denen
Kenntnisse in kleinen Dialogen. „Manche gehen dabei richtig auf", erzählt Pädagogin Anke Lache. „Bei wiederum festigt sich durch das Erklären das Gelernte." Ein Sonderraum steht für die Gruppenarbeit
Praktikanten machen wir schon einmal den Test und lassen sie raten, welche der Schüler eine Realschul- bereit. Die Klassenarbeiten haben unterschiedliche Schwierigkeitsstufen – je nach Leistungsstand.
Empfehlung haben oder einen sonderpädagogischen Förderbedarf. Oft liegen sie daneben." „Häufiger kommen Schüler zu uns und möchten auch den schweren Test lösen", berichtet Daniela
Schneider.
Es mag merkwürdig klingen, dass Jugendliche, die auch das Gymnasium besuchen könnten, und klassi-
sche Hauptschüler Tischnachbarn sind – im schleswig-holsteinischen Handewitt ist das Schulalltag. Es gibt andere Fächer als früher. Verbraucher-Bildung, Weltkunde oder Naturwissenschaft. Sport kann
2007 startete nur fünf Kilometer südlich der Grenze zu Dänemark eine der ersten sieben Gemein- ab der siebten Klasse als vierstündiges Wahlpflichtfach gewählt werden, ebenso Französisch, Dänisch
schaftsschulen im Land. Das „längere gemeinsame Lernen" wird seitdem intensiv gelebt. oder Technik. Das Wochenpensum liegt bei 30 Stunden in den Jahrgangsstufen fünf und sechs sowie
32 Stunden in den Jahrgangsstufen sieben bis zehn. Viele Schüler bleiben über Mittag. Es gibt eine
Daniela Schneider, die zusammen mit Anke Lache (Realschullehrerin) das Klassenlehrer-Team der 7c bil- Mensa, die täglich rund 200 Essen kocht. Danach beginnt das Kursprogramm der Offenen Ganz-
det, hatte den Auftakt vor über vier Jahren verpasst. Die studierte Hauptschul-Pädagogin war schwan- tagsschule mit ihren rund 50 Angeboten. Sie ist freiwillig für die Schüler, aber Pflicht für eine neue Ge-
ger, pausierte zwei Jahre. Als sie wieder in Handewitt anfing, hatte sie das Gefühl, an „eine ganz neue meinschaftsschule in Schleswig-Holstein.
Schule zu kommen". Die Gemeinde investierte einen zweistelligen Millionenbetrag in die Infrastruktur.
Das Leitbild der Schule, die Philosophie des Lernens und die Unterrichts-Inhalte wurden modifiziert – und Ein wichtiges Element der neuen Schulform ist das kompetenzaufbauende Lernen („Kaul"). Eine Stunde
auch die Motivation der Schüler hat sich verändert. „Es herrscht eine ganz andere Lust am Lernen als frü- in der Woche tagt der Klassenrat, spricht Probleme und Ideen an. An der Wand hängen die Leitlinien:
her an der Hauptschule", sagt Daniela Schneider. „Ich bin höflich und respektvoll" und „Ich verletzte niemanden". Bei größeren Störungen unterstützen
zwei Schulsozialarbeiter. Eine andere Schulstunde ist der Methodik-Lehre gewidmet: Was für ein Lern-
Der Schulstandort Handewitt hat sich gemausert. Die alte Hauptschule drohte auszubluten. Heute zählt typ bin ich? Wie erstelle ich ein Referat? Wie lerne ich effektiv Vokabeln? Wie packe ich meinen Ran-
die Gemeinschaftsschule, an die drei Grundschulen und ein Förderzentrum für Lernbehinderte ange- zen? Häufig wird mit dem Computer gearbeitet. Es gibt einen Informatik-Raum und zwei „mobile
schlossen sind, knapp 1.000 Schüler. Die Jahrgänge fünf bis acht sind fünfzügig. Und eine Klasse pro Klassenräume" mit jeweils 15 Notebooks. Jedes der 35 Klassenzimmer hat ein Aktiv-Board mit Inter-
Altersstufe ist so etwas wie die „Gemeinschaftsschule plus": eine Integrationsklasse. In der 7c sitzen net-Anschluss.
unter den 19 Schülern – die normale Frequenz ist 25 – auch sechs, bei denen ein sonderpädagogischer
Förderbedarf attestiert wurde. Ohne spezielle Unterstützung wären sie früher in die „Sonderschule" Noten sind hingegen Mangelware. Berichtszeugnisse dominieren den Großteil der Schulzeit. Unter
abgerutscht. In Handewitt wird aber alles dafür getan, dass sie in gut zwei Jahren einen normalen Haupt- dem Strich stehen aber Abschluss und Durchschnitts-Note. Am Ende des ersten Halbjahres in Jahr-
schulabschluss schaffen werden. Die „Inklusion" ist ganz im Norden der Republik kein Fremdwort, gangsstufe acht gibt es erstmals eine Schulabschluss-Prognose, die danach jedes Halbjahr überprüft
sondern bereits fester Bestandteil des Konzepts. wird. Nach Klasse neun erfolgt der Haupt-, nach Klasse zehn der Realschul-Abschluss. Das Abitur ist
Handewitt noch nicht möglich. Der Aufbau einer gymnasialen Oberstufe ist aber beantragt.
„Wir sind weg vom Stempel oder einem Gutachten mit IQ-Test", betont Schulleiter Dr. Hans-Werner Jo-
hannsen. Anstelle eines formellen Verfahrens sind ein individueller Lernplan und eine besondere Be- Die Gemeinschaftsschule ist noch zu jung, um handfeste Rückschlüsse auf das Bildungsniveau vor-
treuung, in die nach Möglichkeit die Eltern eingebunden sind, getreten. Unter der Lehrerschaft besteht nehmen zu können. Das Handewitter Kollegium registriert aber bereits erste Trends. „Es gibt mehr
ein Grundkonsens, der skandinavisch angehaucht ist. Die Eckpfeiler: längeres gemeinsames Lernen, ge- Hauptschüler, die sich gut entwickeln, und für einen Realschul-Abschluss in Frage kommen", sind sich
genseitiges Helfen und weniger Druck. „Bei uns wird niemand abgelehnt und niemand abgeschult", er- Daniela Schneider und Anke Lache sicher. Dr. Hans-Werner Johannsen glaubt: „Die Zahl der Bildungs-
klärt Dr. Hans-Werner Johannsen. Verlierer nimmt ab. Mehr Jugendliche schaffen einen Abschluss."
Im Schul-Alltag heißt das: Es wird nicht nach Leistungsstand oder Begabungen sortiert. Alle sitzen ge-
meinsam in einem Klassenraum. Eine innere Differenzierung gibt es aber schon. Es gibt Wahl- und Pflicht-
aufgaben, die zwar die gleichen Themen berühren, sich aber auf unterschiedlichem Niveau bewegen.
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„Den Führerschein hab' ich noch nicht, und wenn
ich nicht hier im Ort meine Mittlere Reife machen
kann, dann sitz' ich verdammt viel im Bus oder schlag
die Zeit tot, weil ich doch oft noch am Nachmittag
Stunden hab'. Da würde ich lieber mit meinen
Kumpels aus dem Dorf kicken.“
„Ich will Mittlere Reife machen – hier
bei uns“ Thilo, 16, Schüler
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Bayern – eine Gemeinde macht sich auf den Weg
Die Gemeinden Frammersbach und Margetshöchheim haben eines gemein: Immer weniger gesamte System überdacht werden. Wenn Schüler wohnortnah unterrichtet werden sollen, müssen wir
Schüler besuchen die örtlichen Mittelschulen. Das ist längst Normalität in Unterfranken. weg von den Vorgaben dieses Schulsystems“. Heute sagt Brohm lapidar: „Als guter Demokrat
Allerdings könnte die Art, damit umzugehen, Schule machen. akzeptiere ich die Ablehnung unseres Antrags – aber wir werden wieder einen Antrag stellen.“
Bereits 2009 schlugen sie Alarm. Frammersbacher und Margetshöchheimer beantragten jeweils, eine Beharrlichkeit ist auch eine Eigenschaft seines Amtskollegen Peter Franz aus Frammersbach, einer
Modellschule gründen zu dürfen, die eine um zwei Jahre verlängerte Grundschulzeit vorsieht, die zur 4.700-Seelen-Gemeinde im Landkreis Main-Spessart. Obwohl sie zunächst Standort eines Haupt-
regulären Mittleren Reife führt, und die als Ganztagesschule ein neues pädagogisches Konzept mit sich schulverbandes wurde und Schüler aus zwei weiteren Ortschaften aufnehmen konnte, ließ sich die
bringen würde. Beide Anträge lehnte das Kultusministerium rundweg ab, doch aufgeben kommt für die Hauptschule nicht mehr halten. Seit dem laufenden Schuljahr fahren die Kinder der örtlichen Grund-
beiden Gemeinden nicht in Frage. Sie halten ihre Pläne in petto, um vielleicht schon bald vom schulpo- schule ins zwölf Kilometer entfernte Lohr, Standort eines Mittelschulverbandes. In Franz' Augen ist für
litischen Tauwetter zu profitieren, das derzeit den gesamten Rest von Deutschland erfasst. diese Entwicklung nicht so sehr das Schrumpfen der Bevölkerungszahlen in seiner Gemeinde verant-
wortlich (minus 1 Prozent), sondern die sechsstufige Realschule und die steigenden Übertrittsquoten.
Eine Lösung muss dringend gefunden werden, denn der Münchener Federstrich durch die Modellschul-
rechnung und der Verweis auf Mittelschulverbände hat kein Problem wirklich gelöst. Zwar wurden die In besseren Zeiten beherbergte die Grund- und Hauptschule fast 700 Schüler und lieferte den
Einzugskreise nominell erweitert, damit aber haben sich erstens die Fahrtzeiten vieler Kinder erheblich Betrieben der Gegend „sehr fleißige, gut ausgebildete und engagierte Mitarbeiter“. Nun aber leiden
verlängert, zum anderen sind die Übertrittsquoten auf Realschule und Gymnasium derart hoch, dass die Franz zufolge sowohl „Einzelhandel, Dienstleister und Vereine unter dieser Situation“. Und auch die Ge-
Zahlen der Mittelschüler in beiden Gemeinden trotz allem auf niedrigem Niveau stagnieren. „Es geht meinde selbst leidet: Wie in Margetshöchheim hat sie als Schulträger ein weitläufiges und aufwändig
längst nicht mehr darum, die Hauptschule zu erhalten“, sagt Waldemar Brohm, Bürgermeister von Mar- renoviertes Gebäude zu unterhalten – ohne mit sicheren Mitteln kalkulieren zu können. Das kommt
getshöchheim und Vorsitzender des Schulverbandes, „es geht um den Erhalt des Standorts“. Durch die Franz umso bitterer an, als die nächstgelegene Realschule in Lohr vor lauter Andrang Klassen ausla-
Verbandlösungen werde nur „das Sterben verlängert“. gern muss – während bei ihm Räume leer stehen.
In Brohms Gemeinde gibt es nur noch wenig mehr als 100 Hauptschüler, ein einzügiger Schulbetrieb Der Antrag für eine Modellschule wurde 2009 ebenso kategorisch abgelehnt wie der in Margets-
kann gerade noch aufrechterhalten werden. An einen M-Zug ist unter diesen Umständen freilich längst höchheim, doch die Pläne liegen weiterhin bereit für bessere Zeiten. Sie sehen einen Modellversuch
nicht mehr zu denken. Dabei lesen sich die Zahlen für den Schulverband, zu dem die Gemeinden Erla- vor in Kooperation mit der Realschule und einem eigenen pädagogischen Konzept in mehr Eigenver-
brunn, Leinach, Margetshöchheim und Zell gehören, gar nicht mal so schlecht. Im Einzugsbereich woh- antwortung. Gymnasiasten könnten nach wie vor bereits nach der vierten Klasse die Schule verlassen,
nen etwa 12.500 Menschen. Rund 440 Grundschüler verteilen sich auf die Volksschule Margetshöchheim Hauptschüler und vermeintliche Realschüler würden in einer zweijährigen Orientierungsstufe gemein-
mit der Außenstelle Erlabrunn, die Grundschule Leinach und die Grundschule Zell am Main. Doch die sam unterrichtet werden, in den Hauptfächern möglicherweise modularisiert. Nach der sechsten Klasse
Übertrittsquote nach der vierten Jahrgangsstufe auf Realschule und Gymnasium ist nach Auskunft von würden sich einige Schüler für den parallel laufenden Realschulzweig empfehlen. Den Unterricht
Brohm auf derzeit 85 Prozent gestiegen. Nach der sechsten, siebten oder spätestens achten Jahr- würden bis zum Abschluss Realschullehrer übernehmen.
gangsstufe wechseln zudem immer mehr Schüler auf Wirtschaftsschulen. Und es lockt die Montessori-
Schule in Zell, die neben dem Qualifizierenden Hauptschulschluss und dem Mittleren Abschluss auch Weil all das im Ganztagsbetrieb organisiert werden soll, haben Vereine bereits ihre Unterstützung im
einen Fachoberschul-Zweig anbietet. sportlichen und musischen Bereich zugesagt. Im modularisierten Ganztagesunterricht können alle
Schüler in Stütz- und Förderkursen Schwächen abbauen und Stärken ausbauen. Nach einer zwei- oder
Der Schulverbandsvorsitzende Brohm sorgt sich also offensichtlich nicht grundlos. Leerstehende dreijährigen Entwicklungsphase würde sich entscheiden, wer in welchem Fach eine Realschulprüfung
Klassenzimmer oder gar Schulgebäude, in die Jahre zuvor noch viel Geld investiert wurde, ärgern den schreibt. Teilzertifikate oder Portfolios sollen neben dem Abschlusszeugnis aussagekräftige, alternative
Kommunalpolitiker schon sehr, was ihn aber richtig wütend macht, ist die mit dem drohenden Verlust des Abschlüsse darstellen, die die Leistung eines Schülers in einzelnen Fächern unterstreichen und die
Hauptschulstandortes einhergehende Entfremdung der Jugendlichen im sozialen Gefüge der Dörfer. Die bei einer Bewerbung von großem Nutzen sein können.
Vereine würden heute schon über Nachwuchsprobleme und die mangelhafte Bindung der Kinder und
Jugendlichen an örtliche Gemeinschaft klagen. Kurzum: Das Konzept wäre nicht nur geeignet, eine Schule zu retten. Es würde einem Teil der Schüler
und Eltern den Übertrittsdruck nehmen. Franz ist sicher: „Schule muss sich den veränderten Voraus-
Günter Stock, Brohms Amtsvorgänger, und seine Kollegen stellten schon im Mai 2008 fest: „Weil in- setzungen anpassen.“
nerhalb des dreigliedrigen Schulsystems keine befriedigenden Lösungen gefunden werden, muss das
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„Das Dorf muss eine gute Lebensqualität bieten,
damit die Leut' nicht wegziehen. Und dazu gehören
halt auch gute Perspektiven für die Kinder. Wenn
die hier nicht nur den Hauptschulabschluss erreichen
können, dann bleiben die Familien im Ort. Sonst
stirbt erst die Schule und dann das Dorf.“
„Ich will, dass unser Ort eine Zukunft hat“ Max, 47, Bürgermeister
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Schritte zur Sicherung einer Schule am Ort
Ausgangspunkt ist eine Initiativgruppe von Interessierten und Betroffenen Befragung, Beschlussfassung, Beantragung
Ziel: Einrichtung einer passgenauen und standortsicheren Schule am Ort Ziel: Sicherung der Akzeptanz des Schulprojekts und Genehmigung durch die Schulbehörde
• Analyse der örtlichen Schulsituation (Geburtenentwicklung, Übertritte, räumliches Schulnetz) • Sicherung der Akzeptanz der geplanten Schule durch Befragung der Grundschuleltern
• Erstellung von Eckpfeilern eines Schulentwicklungsplans (mögliche Abschlüsse, Überlegungen • Gemeinderatsbeschluss zur Unterstützung der Schule
zu Organisation und ggf. Kooperation von Schulstandorten) • Beantragung der Schule als Schulversuch beim Kultusministerium durch die Gemeinde
• Vorgespräche zur Gewinnung von Unterstützern (Bürgermeister, Gemeinderäte,
Schulleitung, Lehrer, Elternbeirat, Eltern, Verbände, Vereine, lokale Wirtschaft)
Umsetzungsplanung des Schulkonzepts durch die Schule
Erarbeitung eines pädagogischen Rahmenkonzepts der Schule Ziel: Projektpläne in einzelnen Handlungsschritten zu Aufbau und Ausgestaltung der Schule
• Konkretisierung der pädagogischen Grundsätze, organisatorischen Strukturen und Differenzierungs-
Ziel: Entwicklung von mehrheitsfähigen Grundvorstellungen einer zukünftigen Schule durch formen (ggf. mit externer Unterstützung)
Interessierte unter Beteiligung von Lehrerkollegium, Elternbeirat, ggf. externer Experten • Beschaffung der erforderlichen finanziellen, materiellen und personellen Ressourcen
• Formulierung der Grundstrukturen der Schule (Formen der Differenzierung, Raumbestand
und -bedarf, Lehrereinsatz)
• Entwurf pädagogischer Grundgedanken (Eckpunkte eines Schulprogramms)
• Schrittweise Konkretisierung des Schulkonzepts Weitere Informationen zur wohnortnahen Schule (pädagogische und organisatorische Konzepte von rea-
lisierten Schulen) und Instrumente zur Vorbereitung und Umsetzung (z. B. einschlägige Elternfragebogen)
finden Sie unter www.regionale-schulentwicklung.bllv.de
Mit den Experten des BLLV können konkrete Konzepte und Vorgehensweisen vor Ort besprochen
Präsentation des Konzepts in der Öffentlichkeit werden, um ein wohnortnahes, den lokalen Verhältnissen angemessenes Schulangebot zu finden.
Ansprechpartner können Sie anfordern unter schulpolitik (at) bllv.de
Ziel: Breite Information und Diskussion der Entwürfe zur Schaffung von
Akzeptanz und Unterstützung; kommunaler Konsens z. B. durch
• Information der Eltern (Zeitungsartikel, persönliche Gespräche, Infobriefe,
Veranstaltungen, Aktionen)
• Gewinnung von Zustimmung von Bürgermeistern, Landrat, Gemeinderäten, Schulverwaltung
• gemeinsamen Besuch von ähnlichen Schulmodellen
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