2. 1. Die Schweiz ist ein mehrsprachiger Staat
1.1 Sprachenvielfalt
1.2 Deutschschweiz
2. Allgemeine Charakteristika der Situation
2.1 Innere Zweisprachigkeit
2.2 Mediale Diglossie
2.3 Eine brisante Mischung
3. Hochdeutsch in einer Schweizer Form
3.1 Das Schweizerhochdeutsch
3.2 Besonderheiten im Lexikon
3.3 Varianten in der Aussprache
3.4 Graphie, Syntax und Morphologie
3.5 Unterschiede im Sprachgebrauch
4. Einstellungsprobleme- Hochdeutsch als vermeintliche „Fremdsprache“
4.1 Zur Rolle der Schule
4.2 Mundarten und Hochdeutsch im Spannungsverhältnis
5. Schlussfolgerungen
Katalin Szam: Das Deutsche in der Schweiz
2
3. 1.1 Sprachenvielfalt
„Deutsch, Französisch,
Italienisch, und Rätoromanisch
sind die Landessprachen der
Schweiz.“ ( Art.116 der
schweizerischen Bundesverfassung
im 1. Abschnitt)
„Bund und Kantone fördern Die
Verständigung und den Austausch
unter den
Sprachengemeinschaften“ (die
Verfassungsänderung, die 1996 in
einer Volksabstimmung
gutgeheißen wurde, Art. 116/2)
Katalin Szam: Das Deutsche in der Schweiz
3
5. 1.2 Deutschschweiz
Was gesprochen wird, klingt für deutsche
Ohren verständlich, aber fallen einige
Eigenheiten auf.
Die Deutschschweiz gehört zum
deutschsprachigen Kulturraum.
Die reiche Literatur aus der
Deutschschweiz ist „ Blick aus der Fremde“.
„Wir sind zweisprachig innerhalb der
eigenen Sprache“ (Deutschschweizer
Schriftsteller Hugo Loetscher).
Hugo Loetscher
Katalin Szam: Das Deutsche in der Schweiz
5
6. 2.1 Innere Zweisprachigkeit
Auffälligste Merkmal der Deutschschweizer Sprachsituation ist die
ständige Präsenz zweier Varietäten der deutschen Sprache: das Schweizer
Hochdeutsch als Standardsprache und die Deutschschweizer Dialekte oder
Mundarten (Schwyzerdütsch)
Schwyzerdütsch: ein Sammelname für eine Vielfalt von unterschiedlich
kleinräumigen regionalen Sprachenvarietäten der Deutschschweiz.
Das Nebeneinander von Mundarten und Standardsprache ist tatsächlich
im Wortsinn zu verstehen: - Mundarten mit markanten lokalen
Unterschiede, trotz eine starke Tendenz zur Entwicklung von
großräumigeren Mundarten zu erkennen ist.
auf der anderen Seite steht Standardsprache.
Die Deutschschweiz war an der Herausbildung der neuhochdeutschen
Standardsprache nicht maßgeblich beteiligt.
Katalin Szam: Das Deutsche in der Schweiz
6
7. 2.2 Mediale Diglossie
In der Deutschschweiz schreibt man –prinzipiell-
Standardsprache, und man spricht –ebenso
prinzipiell- die Mundarten. Im privaten Bereich, in
der Mundartliteratur und in emotionalisierten
Rubiken der Presse gibt es auch dialektales
Schreiben.
In der Deutschschweiz zwischen den Mundarten
und der Standardsprache hat sich keine
Umgangssprache entwickelt. ( im Gegensatz zu
allen anderen deutschsprachigen Gebieten)
Die Mundarten sind tauglich genug die Funktion
einer Umgangssprache zu übernehmen.
Polydialekter Dialog ist ein Terminus für
„üblichen Kommunikationsform über die
Dialektgrenzen hinweg“. Jeder Deutschschweizer
spricht mit anderen Deutschschweizern Mundart,
und die sprachliche Verständigung ist dabei
gewährleistet.
Katalin Szam: Das Deutsche in der Schweiz
“Polydialekter Dialog“
nach Ulrich Ammon
7
8. 2.3 Eine brisante Mischung
In unterschiedlicher Weise haben sich für
die Wahl der Sprachform in Institutionen
typische Traditionen gebildet: - die zu einem
Institutionen-spezifischen Sprachgebrauch
geführt haben,
o wie formell bzw. informell das Verhältnis
innerhalb der Institution von den Beteiligten
gesehen wird
o auch durch situative und mediale Faktoren
bestimmt.
Katalin Szam: Das Deutsche in der Schweiz
8
9. 3.1 Das Schweizerhochdeutsch (1.)
„eine Variante der deutschen Standardsprache mit
lautlichen, orthographischen, grammatikalischen und
Wortschatz-Eigenheiten, die in der Schweiz… oder darüber
hinaus…in Süddeutschland und Österreich gelten, aber nicht
der (binnendeutschen) Einheitsnorm entsprechen.“ (Meyer,
1989)
Ulrich Ammon stellte Materialien für das Desiderat
eines Schweizer Binnenkodexes aus der einschlägigen
Literatur zusammen, so ist es eine differenzierte
linguistische Auseinandersetzung mit schweizerischen
Formen des Hochdeutschen greifbar geworden.
Ammon hat sich „der Plurinationalität des Deutschen
Ulrich Ammon
wissenschaftlich gründlicher zu befassen“ der
Diskussion um den Status des Schweizer Hochdeutschen
neue Impulse gegeben.
Katalin Szam: Das Deutsche in der Schweiz
9
10. 3.1 Das Schweizerhochdeutsch (2.)
Dies dürfte das Prestige und der Stellenwert der
nationalen Varietät „Schweizerhochdeutsch“ auf
Grund der starken Stellung der Dialekte sichern,
aber im allgemeinen bei der Wahl von Wörtern wird
bei vielen Deutschschweizern eine
Vermeidungsstrategie sichtbar, die den Texten jenes
Kolorit raubt.
Dahinter steht: die Vorstellung von einem reinen
Deutsch (die hochdeutsche Sprache), dem vor allem
etwas keinesfalls anhaften darf (der Geruch oder auch
nur der Hauch von etwas Helvetischem).
Günter Grass
Schweizer Schriftsteller „alles zu hochdeutsch
schrieben“…“sie würden sich als Schreibende
zeitlebens wie guterzogene Schüler verhalten“
(Günter Grass)
Katalin Szam: Das Deutsche in der Schweiz
10
11. 3.2 Besonderheiten im Lexikon
Schweizerhochdeutsch ist das Vorhandensein von spezifischem Wortgut in der
Standardsprache der Deutschschweiz. Helvetismen (schweizerische
Spracheigentümlichkeiten) sind nicht gesamthaft offiziell kodifiziert, aber schon seit der 10.
Auflage des Rechtschreibdudens (1929) werden spezifisch schweizerische Wörter
anerkannt.
Helvetismen:
„lexikalische“ Helvetismen: ausschließlich in der Schweiz gebräuchliches Wortgut z.B.
Estrich- Dachboden, tischen- abtischen den Tisch decken- abräumen
„semantische“ Helvetismen: in der Schweiz spezifische Bedeutung eines im gesamten
deutschsprachigen Raum gebräuchlichen Wortes z.B. Vortritt- Vorfahrt, das Licht
anzünden- einschalten
„hergestellte“ Helvetismen: Wörter, die von zentralen Instanzen ausdrücklich für diesen
Staat geschaffen z.B. Identitätskarte- Personalausweis, Fahrausweis- Führerschein
„Frequenzhelvetismen“: in schweizerischen Texten gehäuft anzutreffende Wörter und
Wendungen, die außerhalb der Schweiz wenig gebräuchlich sind z.B. selber, allfällig,
angriff
Der unklaren Status von Helvetismus hängt auch damit zusammen, dass
-viele Helvetismen den Deutschschweizern kaum bewusst sind, sie werden erst bei
intensiven Kontakten mit Bundesdeutschen offenbar.
-die zumindest schulische Unkenntnis der Eigenheiten von schweizerischem
Hochdeutsch eine mögliche Unsicherheit im Umgang mit dem Wortschatz macht.
Katalin Szam: Das Deutsche in der Schweiz
11
12. 3.3 Varianten in der Aussprache (1.)
Standardsprache erschien in der Deutschschweiz lange
vorwiegend in ihrer geschriebenen Form, sie war als gesprochene
Sprache auf offizielle Kontexte beschränkt.
Dies hat sich mit den audiovisuellen Medien grundsätzlich
geändert. Viele Schweizer sprechen heute ein Hochdeutsch, das
kaum mehr deutliche Mundartmerkmale erkennen lässt.
Die 1995 vom schweizerischen Radio DRS herausgegebene
Schrift Deutsch sprechen am Radio (Burri u.a. 1995) ist im
Moment wohl die wichtigste Reverenz für die Aussprache des
Hochdeutschen in der Schweiz.
Katalin Szam: Das Deutsche in der Schweiz
12
13. 3.3 Varianten in der Aussprache (2.)
Auffällige Unterschiede in der Aussprache des Deutschen in der Schweiz:
o
Betonungen: häufig sind die Wörter im Schweizerhochdeutsch erstbetont (wo
in Deutschland Zweit- oder Drittsilberbetonung vorliegt z.B. eigentümlich,
ausführlich…und viele Abkürzungen tragen die Betonung auf der ersten Silbe
o
Vokale: werden anders gesprochen, lang in brachte, Nachbar…kurz in Städte,
Jagd…
o
Die Endsilbe –el, -em, -en, -er werden meist gesprochen z.B. Brezel, Atem, machen…
o
Y wird in eingebürgerten Wörtern als –i anstelle von –ü gesprochen z.B. Pyramide,
Ägypten, System…
o
Ie, uelo, üelüo v.a. in Orts- und Eigennamen werden als Diphthonge gesprochen.
Bekannt ist z.B. grüezi.
Konsonanten: b, d, g und s werden stimmlos gesprochen. Auslautverhärtung
wird kaum durchgeführt (so unterscheiden sich Rad und Rat in der
Aussprache). Ch im Anlaut wird häufig als x gesprochen z.B. Chemie, China…G
in der Endsilbe –ig wird –ig gesprochen und nicht als –ich z.B. König, sonnig,
zwanzig…R wird niemals vokalisiert im Auslaut (Tier nicht Tia, Wetter nicht
Wetta). Die Aussprache von v als f bei (eingebürgerten) Fremdwörtern ist viel
häufiger z.B. Advent, Advokat, Evangelium…
Katalin Szam: Das Deutsche in der Schweiz
13
14. 3.4 Graphie, Syntax und Morphologie
In der Schweiz gelten die Rechtschreibenormen des Duden,
diese Rechtsgrundlagen ist auch mit der Neuregelung der
Rechtschreibung durch einen Beschluss der Kulturbehörden
(EDK) erneuert worden.
Schweizer gehörten zu den ersten Anhängern Konrad
Dudens.
Eine einzige nennenswerte Abweichung gilt in der Schweiz:
anstelle von ß wird konsequent ss geschrieben (s. die Aufgabe
der Kurrentschrift in den Schulen, die Einführung einer
schweizerischen Einheitstastatur für die Schreibmaschine die
auch für Französisch tauglich sein sollte.).
Syntax: für Deutsch ungewöhnlich tönt Nebensatzeinleitung
durch ansonst.
Wortbildung: schweizerischem Zugsunglück, Unterbruch
oder Wissenschafter korrespondiert deutsches Zugunglück,
Unterbrechung, Wissenschaftler.
Morphologie: in der Schweiz neigt man stärker zum
Gebrauch starker Verbformen als in Deutschland.
Katalin Szam: Das Deutsche in der Schweiz
Konrad Duden
14
15. 3.5 Unterschiede im Sprachgebrauch
Bedauerlicherweise gibt es dazu keine systematischen
Untersuchungen.
Schweizerdeutsches Sprechen ist generell bedächtiger, langsamer.
Schweizerinnen und Schweizer ertragen im Gespräch längere Pausen
als „Deutsche“.
„Deutsche“ markieren einen Sprecherwechsel oft durch Einfall in den
Beitrag des Gesprächspartners, was „Schweizer“ als unhöflich
empfinden.
Schweizer monologisieren stärker. Diskussionen werden eher
blockartig geführt.
Unterschiede in der Intonation: die Norddeutsche fallende
Fragenintonation wirkt auf „Schweizer“ schnoddrig, die für
Norddeutsche singende Intonation der „Schweizer“ seltsam, grob.
Es fehlen im Hochdeutschen oftmals die redeleitenden Partikeln. Das
Hochdeutsch bleibt für viele v.a. Schreib- und Lesesprache. (Das Reden
wirkt dadurch farblos.)
„Deutsche“ diskutieren und kritisieren härter. Global gesehen
Deutschschweizer Kommunikationskultur ist stärker indirekt als etwa
die bundesdeutsche.
Katalin Szam: Das Deutsche in der Schweiz
15
16. Unterschiedliche Einstellungen sind gegenüber
Standardsprache und Dialekt vorhanden: tendenziell
sehr positive gegenüber dem Dialekt als Medium der
Mündlichkeit, tendenziell negative, distanzierte
gegenüber der mündlichen Standardsprache.
Hochdeutsch ist als Schreib- und Lesesprache allseits
akzeptiert.
In großer Mehrheit sprechen die
DeutschschweizerInnen aber nicht gern Hochdeutsch.
(Dialekt hat identitätsstiftende und
nationalsymbolische Funktionen.)
Katalin Szam: Das Deutsche in der Schweiz
16
17. 4.1 Zur Rolle der Schule
Während der Schulzeit bilden sich durch spezifische Verwendung der beiden
Sprachformen (Dialekt und Hochdeutsch) Einstellungen heraus, die mit ihrer
deutlichen Besetzung des Dialekts als positiver, des Hochdeutschen als negativer
Variante für den Aufbau von Standardsprachkompetenz in der Mündlichkeit
wenig förderlich sind.
Anfänglich machen die Kinder positiver Erfahrungen mit Hochdeutsch sowie
der Anreiz, in der lesen und schreiben gelernt wird.
Die Mundart ist die Sprache der Freizeit, Standardsprache ist die Sprache der
Arbeitszeit in der Schule, die für die eigentlichen Lektionen reserviert ist.
Innerhalb der schulischen Arbeit gibt es Fächer, in denen fast nur Mundart
gesprochen wird (auch im Verkehr mit dem Lehrer) wie z.B. Zeichnen, Musik,
Werken, Religion…Also Mundart ist beziehungshaft und spontan.
Standardsprache ist dagegen die Sprache der formellen Situation oder der
Planung.
Wichtigste Grundlage ist eine positive Einstellung zu dieser Sprachform, die
wesentlich durch die Einstellung der Lehrerinnen und Lehrer geprägt wird.
Katalin Szam: Das Deutsche in der Schweiz
17
18. 4.2 Mundarten und Hochdeutsch im Spannungsverhältnis
Die Mundarten gelten als die Muttersprache im eigentlichen Sinn, das
Verhältnis zur Standartsprache ist im Ganzen kühler, distanzierter.
Dialekt sei persönlich, vertraut, locker, frei, sympathisch, Hochdeutsch
dagegen unpersönlich, unvertraut, kompliziert, wenig emotional.
Hochdeutsch ist die erste Fremdsprache der Deutschschweizer.
Das Schriftdeutsch, „die fünfte Sprache“, die „Nationalsprache“ ist eine
Fremdsprache, die jedes Schulkind unter Mühe zuerst erlernen muss.
ABER
Der überwiegende Teil der Deutschschweizer scheint zufrieden zu sein mit
den gegenwärtigen Sprachverhältnissen.
Die tatsächlich feststellbare Zunahme des Mundartgebrauchs hat weit mehr
mit Veränderungen im Kommunikationsverhalten zu tun.
Viele enge wirtschaftliche, technische, kulturelle, wissenschaftliche und
auch familiäre Beziehungen bestehen zwischen beiden Staaten (Deutschland
und Schweiz) und sollten ein gutes Verhältnis sichern.
Für den Schweizer ist Deutschland ein „Draußen“ gegenüber dem man
Abgrenzung sucht.
Wie weit historisch und politisch begründete Abwehrhaltungen heute noch
wirksam sind, lässt sich schwer feststelle.
Katalin Szam: Das Deutsche in der Schweiz
18
19. Gegenwärtige Tendenzen laufen –soweit sie die
Mündlichkeit betreffen- einerseits in Richtung eines
verstärkten Mundartgebrauchs und andererseits in
Richtung einer Stärkung der deutschschweizerischen
Variante des Hochdeutschen.
Allerdings ist hier –in Schule und Öffentlichkeit- noch
vieles zu tun, damit die schweizerische Form des
Hochdeutschen Akzeptanz und Wertschätzung erfährt.
Die innere Mehrsprachigkeit spiegelt in gewisser Weise
auch die erhöhten Anforderungen an das Sprachvermögen
heutiger Menschen.
Die Sprachsituation der Deutschschweiz mit ihrer
„Zweisprachigkeit in der eigenen Sprache“ macht diese
Anforderungen deutlich und verweist auf die
Notwendigkeit einer verstärkten Förderung der
Sprachfertigkeiten.
Katalin Szam: Das Deutsche in der Schweiz
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