Thomas Liebig, Migrationsexperte in der OECD-Abteilung für Beschäftigung, Arbeit und Soziales
Frauen machen 40 bis 45 Prozent aller Flüchtlinge aus. Gleichzeitig verläuft die Integration im Aufnahmeland häufig schleppender als bei Männern, da sie die spezifischen Herausforderungen, die sich für Einwanderer, Flüchtlinge und Frauen stellen, gleichzeitig angehen müssen. Auf Basis von Daten aus Deutschland, Dänemark, Norwegen, Österreich und Schweden geht ein neues OECD-Arbeitspapier der Frage nach, welche Strategien die Integration von Flüchtlingsfrauen erleichtern können.
2. • Fast 40% der Flüchtlinge in Deutschland sind Frauen (EU-
weit: 45%)
• Hoher Anteil vor allem bei (anerkannten) Flüchtlingen aus
Afghanistan und Irak, weniger bei den Syrern
• Stark wachsende Gruppe – 300 000 neue Flüchtlingsfrauen
seit 2015 allein in Deutschland, 56% des EU-totals
• Flüchtlingsfrauen kommen aus Ländern mit niedriger
Frauenbeschäftigung und hoher Geschlechtsungleichheit
• Frauen, Migranten, und Flüchtlinge haben jeweils spezifische
Herausforderungen auf dem Arbeitsmarkt zu bewältigen
• Sind Flüchtlingsfrauen «dreifach benachteiligt» (als Frauen,
Migranten, und Flüchtlinge)?
Einführung
2
3. Anteil der Frauen unter den
Asylbewerbern stark gestiegen
Unter den anerkannten Flüchtlingen ist der Frauenanteil besonders bei den
Afghanen hoch (41%)
Quelle: BAMF (SOKO Daten – siehe Schmidt (2018))
3
4. Flüchtlingsfrauen haben häufig ein
niedrigeres Bildungsniveau als Männer…
und als die Gesamtbevölkerung
Quellen: DESTATIS; BAMF (SOKO Daten – siehe Schmidt (2018))
16.3
18.8
19.6
18.6
35
29.6
19.7
17.4
9.4
15.6
0% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90% 100%
Männer
Frauen
Asylantragsteller 2017
Hochschule Gymnasium Mittelschule Grundschule keine formelle Schulbildung
20.1
15.5
14.2
14.5
60.8
65.6
4.1
4.2
0% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90% 100%
Männer
Frauen
Gesamtbevölkerung 2016
Hochschulabschluss Fach/Hochschulreife Haupt/Realschulabschluss Maximum Grundschule
4
5. Flüchtlingsfrauen bekommen besonders häufig
in den zwei Jahren nach Ankunft Kinder
Grund: Ungewissheit und Unsicherheit vor und während der Flucht hindern die
Verwirklichung ihres Kinderwunschs. Mögliche Wartefristen beim Familiennachzug
können einen unerfüllten Kinderwunsch zusätzlich verstärken.
Geburtenrate je 1 000 Flüchtlingsfrauen in Norwegen
Quelle: Olsen (2002).
0
20
40
60
80
100
120
140
160
-3 -2 -1 0 1 2 3
Zeit vor und nach der Migration, in Jahren
5
6. Der “Integrationspfad” in den Arbeitsmarkt ist
länger – besonders in Deutschland
Entwicklung der Beschäftigungsquoten (in %) von Flüchtlingen nach Aufenthaltsdauer
und Geschlecht, um 2016, 15- bis 64-Jährige, ausgewählte europäische OECD-Länder
Quellen: DK, NO, SE: Daten der Statististbehörden; AT: FIMS; DE: BAMF.
Hinweis: Gestrichelte Linien: geringe Fallzahlen
6
7. In der Regel ist die Erwerbsbeteiligung höher
als in den Ursprungsländern
Erwerbsbeteiligung im Vergleich zu Herkunftsländern, Schweden, 2015/2016
7
Somalia
Afghanistan
Irak
Syrien
Nigeria
Iran
Bosnien u.
Herzegowina
Eritrea
0
10
20
30
40
50
60
70
80
90
100
0 20 40 60 80 100
Erwerbsquote der Frauen in Schweden
Erwerbsquote der Frauen im Herkunftsland
Quelle: OECD-DIOC.
8. Integration in Deutschland gelang bislang
weniger gut als z.B. in Schweden
Erwerbsbeteiligung von Flüchtlingsfrauen in Deutschland und
Schweden im Vergleich zu den Herkunftsländern, 2015/2016
Somalia
Afghanistan
Irak
Syrien
Nigeria
Iran
Bosnien
Eritrea
[CELLRANG
E]
[CELLRANG
E]
[CELLRANG
E]
[CELLRANG
E]
0
10
20
30
40
50
60
70
80
90
100
0 20 40 60 80 100
%
%
Schweden DeutschlandErwerbsquote der Frauen
im Herkunftsland
Erwerbsquote der Frauen im Empfangssland
8Quelle: OECD-DIOC.
9. Flüchtlingsfrauen haben weniger gute
Sprachkenntnisse
Anteil der Flüchtlinge, deren Kenntnisse in der Sprache des Aufnahmelandes laut eigenen
Angaben bestenfalls „Anfängerniveau“ entsprechen, nach Geschlecht, 2014
0
5
10
15
20
25
30
35
40
45
Belgien Ver.
Königreich
Deutschland Frankreich OECD-Europa Österreich Schweden
Männer Frauen
9Quelle: EU-LFS.
10. Sprachkurse bringen gute Ergebnisse, aber
Flüchtlingsfrauen nehmen weniger häufig teil
• Daten des BAMF zu den Sprachkursen in 2017:
• Unter den wichtigsten Flüchtlingsnationalitäten waren ca. 1/3 Frauen
• Unter den Teilnehmern des (abschliessenden) Sprachtests waren nur
ca. 1/5 Frauen
• Frauen hatten bessere Ergebnisse (über 49.1% der Teilnehmerinnen
am Sprechtest B1-Niveau, bei Männern: 44.8%)
• Spezielle Frauen- und Mütterkurse hatten besonders gute Resultate
(über 53% B1), werden aber nur sehr beschränkt angeboten (kaum
Anstieg seit Beginn der Flüchtlingskrise)
• IAB-BAMF-SOEP Flüchtlingsbefragung 2016:
• Auch bei gleichen Charakteristiken haben Frauen niedrigere
Sprachkennnisse – zudem niedrigere Beteiligung an Sprachkursen
10
11. Basiskompetenzen sind zentral für die Integration
• EU-weite Analyse mit Daten aus 2014:
• Flüchtlingsfrauen mit mindestens mittleren Sprachkenntnissen
haben eine 40 Prozentpunkte höhere Beschäftigungsquote
• Nach Berücksichtigung von Bildung, Alter, etc. ist die Differenz
nur noch halb so groß, aber immer noch deutlich größer als bei
anderen Migrantinnen
• BAMF-Flüchtlingsstudie 2014:
• Starker Anstieg der Beschäftigungswahrscheinlichkeit mit
höheren Qualifikationen; stärker als bei Männern
11
12. Weitere Erkenntnisse
• Zahlen aus Norwegen zeigen, dass im Schnitt für drei
anerkannte Flüchtlinge eine Person im Rahmen des
Familiennachzugs nachkommt
• Flüchtlingsfrauen haben häufiger Gesundheitsprobleme als
männliche Flüchtlinge (in Österreich: 22% vs. 14%)
• Hohe Bedeutung von Netzwerken (Worbs und Baraulina 2017):
– 27% der männlichen Flüchtlinge haben täglichen Kontakt mit
Deutschen, aber nur 12% der Frauen
– Netzwerke erhöhen Beschäftigungschancen von Flüchtlingsfrauen um
12 Prozentpunkte (kein Effekt bei Männern)
• Flüchtlingsfrauen sind sehr häufig in Teilzeitbeschäftigung
12
13. Weitere Erkenntnisse (Forts.)
• In fast allen wichtigen Aufnahmeländern nehmen
Flüchtlingsfrauen weniger häufig an Integrationsmassnahmen
teil
• Ende 2017 waren in Deutschland fast ein Drittel der
Arbeitslosen Flüchtlinge Frauen
– Frauenanteil unter den Flüchtlingen, die durch aktive
Arbeitsmarktmaßnahmen gefördert wurden, betrug lediglich ein
Sechstel
– Unterrepräsentation der Frauen ist gerade in
flüchtlingsspezifischen Maßnahmen besonders ausgeprägt
13
14. Zusammenfassung
• Flüchtlingsfrauen sind eine große und wachsende Gruppe, die zunehmende
politische Aufmerksamkeit bekommt
• Geschlechts-, Migranten-, und Flüchtlingsspezifische Probleme kumulieren sich.
• Niedrige Beschäftigungsquoten werden oft durch spezifische Bedingungen
(Geburten nach der Ankunft, geringe Bildung, Gesundheitsprobleme) bestimmt,
sind aber nicht in erster Linie „kulturbedingt“
• Integrationsmassnahmen scheinen häufig bessere Ergebnisse zu erzielen als bei
männlichen Flüchtlingen - und auch die Nachkommen profitieren stark... aber
Flüchtlingsfrauen nehmen seltener teil
• Die skandinavischen Länder hatten in der Vergangenheit bessere
Integrationsergebnisse bei den Flüchtlingsfrauen als Deutschland. Diese Länder
haben zielgerichtete mehrjährige Integrationsprogramme für alle Flüchtlinge und
deren Familien – mit vergleichsweise guten Ergebnissen für Frauen
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15. Empfehlungen
• Berücksichtigung der besonderen Problemstellungen von
Flüchtlingsfrauen bei den Politikmassnahmen
• Nutzung eventueller Wartefristen im Ausland für die Integration
• Kontakt zu isolierten Flüchtlingsfrauen herstellen
• Mentorenprogramme sind besonders vielversprechend
(Beispiel: Kvinfo in Dänemark)
• Familiensituation berücksichtigen
• Ausbau Eltern-/Frauenkurse
• Monitoring und Analyse Sprachkursabbruch
• Übertragung des skandinavischen Modells?
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