1. Magomed, wir vermissen Dich!
Lieber Magomed,
auf einmal warst Du weg. Um 5:00 morgens am Montag wurdest Du,
dein Vater und deine drei Geschwister von drei Polizeiautos abgeholt
und zum Flughafen Tegel gebracht. Von dort in das Land, aus dem ihr
vor knapp einem halben Jahr hier herkamt, weil der Aufenthalt dort für Euch immer gefährlicher
wurde.
Magomed, wir vermissen dich! In den 6 Monaten bist du uns ans Herz gewachsen. Klar, bei
dem, was du in deinen 9 Lebensjahren an Grausamkeiten in deiner Heimat Tschetschenien er-
lebt hast, warst du, als du in Wandlitz ankamst, ganz schön hibbelig. Aber du hast schnell
Freunde gefunden, hast mich zunächst mit deinem Englisch, und dann auch mit deinen Deutsch-
Kenntnissen überrascht. Du hast gern und schnell gelernt. Schon im Februar schrieb eine Jour-
nalistin des Tagesspiegel: „Magomed weiß zwar nicht genau, wo dieses Wandlitz liegt, aber er
hat die Augen seiner Mutter strahlen sehen, als sie nach dem Umzug ins frisch renovierte
Wohnheim die sauberen Zimmer, Küchen und Toiletten betrat. Und er hat entdeckt, dass hier
auch Kinder Fußball spielen.“ Ja, Du bist ein toller Fußballer. Die Trainer und Freunde im 1.FC
Wandlitz haben das auch bald erkannt, als sie dir Trainingsmöglichkeiten gaben. Ein unbekann-
ter Wandlitzer sah dich auf dem Fußballplatz tribbeln und drückt Bernd vom Runden Tisch 60 €
in die Hand, damit er dir vernünftige Fußballschuhe kauft.
Wir haben mit dir Schwimmen gelernt. Wenn du zum Schuljahresanfang in Wandlitz eingeschult
würdest, solltest du genauso wie die meisten einheimischen: schwimmen können. Du warst so-
weit.
Beim Bürgerbegegnungsfest hast du mit uns getanzt und gelacht. Du warst mit Elvira und ande-
ren beim Baden. Du wurdest immer ruhiger. Wir alle haben dich in unser Herz geschlossen.
Und nun bist du weg. Wir wissen nicht wo, wir wissen nicht wie es dir geht.
Wir konnten uns nicht einmal verabschieden.
Warum nur, Magomed, wirst du fragen, kannst du nicht in Wandlitz bleiben?
Ich kann es Dir nicht erklären, lieber Magomed. Ich bin wütend und traurig. Aber ich gebe die
Hoffnung nicht auf, dass wir uns wieder sehen.
Die Menschen, die dafür verantwortlich sind, dass du nach Polen zurück musstest, nennen ein
Gesetz, das Dublin-II heißt. Aber dort heißt es doch gleich im Satz 6. ausdrücklich: „Die Einheit
der Familie sollte gewahrt werden,…“ Trotzdem hat man Dich und deine Geschwister von deiner
Mutter getrennt. Deine Schwester hat laut geweint, Deine Mutter weint seit Montagmorgen.
Nein Magomed, Deine Abschiebung nach Polen ist – wie wir Erwachsenen sagen: weder Recht
noch rechtens noch gerecht.
Ich kann dir nichts versprechen, weil ich kein Zauberer bin.
Aber du sollst wissen:
Wir haben dich gern, wir denken an Dich und wir versuchen alles, damit du wieder zurückkom-
men kannst nach Wandlitz.
Denn es gilt nach wie vor, auch wenn es zurzeit nicht möglich ist:
Magomed, du bist weiter willkommen in Wandlitz!
Ganz liebe Grüße
Mathis Oberhof