Eine neu entwickelte Alternative zu den Service Loops an Vertikalbohranlagen zeichnet sich durch deutlich längere Lebensdauer unter extrem ungünstigen Umgebungsbedingungen aus
1. WHITEPAPER:
Leitungsführung in Vertikalbohranlagen:
vom Service Loop zum e-loop
Eine neu entwickelte Alternative zu den Service Loops an Vertikal-
bohranlagen zeichnet sich durch deutlich längere Lebensdauer
unter extrem ungünstigen Umgebungsbedingungen aus.
Mai 2020
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Mobile und semimobile (Tief-)Bohranlagen in der Öl-und-Gas-
Industrie gehören zu den Heavy-Duty-Anwendungen des
Maschinen- und Anlagenbaus. Sie bringen bis zu mehrere Ki-
lometer tiefe Bohrungen in die Erdkruste ein, ihre Bohrgestän-
ge können bis 1.000 Tonnen wiegen, und die zentralen Kom-
ponenten sind extrem widrigen Bedingungen wie Vibrationen,
unregelmäßigen mechanischen Beanspruchungen (Schlag- und
Stoßbelastungen) und starker Verschmutzung ausgesetzt.
Das gilt auch für die Energiezuführungen, die hier hängend mon-
tiert werden. Sie übertragen elektrischen Strom, Signale und
gegebenenfalls Hydraulikmedien zum "Kraftdrehkopf", d. h. zum
Antrieb des Bohrgestänges (Bild 1).
● Bei "Top-Drive"-Bohranlagen müssen Energie und Signale
zum (beweglichen) Kraftdrehkopf übertragen werden.
● Die Energieübertragung erfolgt unter widrigen Bedingungen.
Im Zentrum: die Verfügbarkeit
Bei der Auswahl der Energie- und Signalzuführung zum "Top
Drive" legen die Konstrukteure größten Wert auf Langlebigkeit
und Zuverlässigkeit. Denn die Bohranlagen arbeiten im 24/7-Be-
trieb und jeder außerplanmäßige Stillstand hat Einbußen bei der
Verfügbarkeit und der Produktivität der Anlage zur Folge.
Die angestrebte hohe Verfügbarkeit ist unter den eingangs
beschriebenen widrigen Umgebungsbedingungen nicht ein-
fach zu erreichen. Ein zentraler Faktor ist die Vermeidung von
"Rüstzeiten", in denen nicht produziert, d. h. nicht gebohrt und
gefördert werden kann. Deshalb sollen die sogenannten "Rig-
Move-Zeiten" möglichst kurz gehalten werden: Die Anlagen
sollen so konstruiert sein, dass sie schnell demontiert und an
anderem Standort wieder montiert werden können.
● Produktivität und Minimierung von Stillstandszeiten sind
zentrale Kriterien bei der Konstruktion von Top-Drive-
Bohranlagen und bei der Auswahl von Komponenten wie
z. B. Energiezuführungen.
● Neben temporär fest installierten Anlagen gibt es auch
bewegliche Walking Units, die selbsttätig verfahren können.
Stand der Technik: Der Service Loop
Bislang kamen für die Energiezuführung des Top Drives soge-
nannte Service Loops zum Einsatz. Das sind umwickelte und
vergossene Leitungspakete, die an einem Fixpunkt des Bohr-
gerüsts aufgehängt werden, d. h. frei im Mast hängen.
Je nach Antriebskonzept (elektrisch/ hydraulisch) sind die Leitun-
gen auf mehrere Loops aufgeteilt: für die elektrische Energie,
für die Signalleitungen und für die Hydraulik. Auch kombinierte
Loops sind üblich.
Diese Art der Energie- und Signalzuführung zum Bohrgestän-
ge bringt häufig – und gerade unter den soeben dargestellten
Voraussetzungen – einige Probleme mit sich. Die Leitungen ha-
ben keine Führung und besitzen keinen definierten Biegeradius.
Sie können sich unkontrolliert bewegen und im schlimmsten Fall
brechen. Außerdem bewegen sich die einzelnen Leitungen im
Innern der Schläuche zueinander. Auch das führt zu vorzeitigem
Verschleiß bis hin zum Kabelbruch. Darüber hinaus können sich
die lose hängenden Service Loops bei extremen Windbedingun-
gen im Mast, an der Sensorik sowie der Lichtanlage oder auch
miteinander verhaken und abreißen. In diesen Fällen muss das
komplette Leitungs- bzw. Schlauchpaket getauscht werden, weil
die einzelnen Leitungen mit dem Schlauch vergossen sind. Das
beeinträchtigt dann die Verfügbarkeit der gesamten Bohranlage.
● Stand der Technik für die Energieübertragung zum
Kraftdrehkopf sind Service Loops.
● Service Loops können die Verfügbarkeit der Bohranlagen
beeinträchtigen.
Schon besser: die Energiekette
Diese Probleme führten dazu, dass führende Hersteller von Verti-
kalbohranlagen Energieketten statt der Service Loops einsetzten.
Diese Entwicklung ist auch deshalb logisch, weil (Stahl- oder
Kunststoff-) Energieketten in anderen beweglichen Teilsystemen
der Bohranlagen zum Einsatz kommen, etwa beim Pipe Handling
(Handhabung der Bohrgestänge).
Einige Hersteller setzen hier auf Stahl-Schleppketten, weil die Umge-
bungsbedingungen ungünstig sind und eine hohe mechanische
Stabilität der Kette gefordert ist. Für dieselben Einsatzbedingun-
gen hat igus Kunststoff-Energieketten in Heavy-Duty-Ausführungen
Bild 2: Energieketten-System für Top Drive
und Pipe Handling auf Landbohranlage
(Quelle: igus®
GmbH)
Bild 1: Top Drive mit Service Loops und
Spülschlauch auf einer Ölbohrplattform
Quelle: Adobe Stock, Alexandr, 211146059
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entwickelt, die ebenfalls eine deutliche längere Lebensdauer er-
reichen als die Service Loops (Bild 2). Gründe dafür sind die struk-
turierte Innenaufteilung und der klar definierte Verfahrweg, der auch
den Vorteil hat, dass Kollisionen des Leitungsstrangs mit dem Bohr-
turm oder -gestänge ausgeschlossen sind. Rast-Klemm-Trennste-
ge, die speziell für die Anwendung konzipiert wurden, gewähr-
leisten einen sicheren Halt der Öffnungsstege. Außerdem bieten die
Kunststoffketten im Vergleich zu Metallketten die Vorteile der Korro-
sionsbeständigkeit und des deutlich geringeren Gewichtes – und
stabil und langlebig sind sie ebenfalls.
● Anwender von Top-Drive-Anlagen suchen Alternativen zum
Service Loop.
● Kunststoff-Energieketten in Heavy-Duty-Anwendungen bieten
sich an und bewähren sich bereits.
Für die Anwendung entwickelt: der e-loop
Um für diese außerordentlich anspruchsvolle (Nischen-)Anwen-
dung die optimale Lösung bieten zu können, haben sich die igus
Konstrukteure intensiv mit den Anforderungen auseinanderge-
setzt und ein grundsätzlich neues System entwickelt: den e-loop
(Bild 3).
Im Pflichtenheft standen neben konkreten Beanspruchungen im
Hinblick auf die mechanischen Eigenschaften auch die dreidi-
mensionale Beweglichkeit der neuen Energiekette und die kom-
pakte Bauform. Außerdem spielte die Servicefreundlichkeit eine
wichtige Rolle, ebenso ein möglichst geringer Biegeradius – und
das alles bei einem System, das unter widrigen Umgebungsbe-
dingungen arbeitet und im Betrieb alles andere als pfleglich be-
handelt wird.
● Neuentwicklung speziell für Top-Drive-Systeme
● Konstruktionsmerkmale sind: kompakte Bauform, robustes
Design, dreidimensionale Beweglichkeit.
● Die Austauschbarkeit aller verwendeten modular konzipierten
Komponenten spart Kosten beim Service und Zeit in der
Beschaffung.
Grundidee: Anleihen bei der Robotik
Ein zentrales konstruktives Merkmal des e-loops ist die Trennung
der Führungs- bzw. Gehäuseelemente von der Aufnahme der
Zugkräfte. Dabei konnten die Konstrukteure gedankliche „An-
leihen“ bei der e-chain für Offshore-Anwendungen machen, die
sich seit Jahren in anspruchsvollen Applikationen von Offshore-
Windparks und bei großen Leitungslängen bewährt (Bild 4). Bei
dieser Energiekette mit rechteckigem Querschnitt befindet sich
in der Mitte ein hochzugfestes Kunststoffseil als Zugentlastung.
Dieses Grundprinzip wurde beim e-loop übernommen. Das
Seil nimmt die Zugkräfte auf und leitet sie über die Anschluss-
elemente in die Trägerstruktur. Die (in diesem Fall runde und
hängende) Kette hängt also nicht bei jeder Bewegung mit ihrem
gesamten Gewicht an den Aufhängungspunkten.
● Energieketten benötigen ab einer bestimmten Länge eine
Führungsrinne.
● Energieketten (inkl. Leitungen und Führungsrinnen) sind
ab einem bestimmten Verfahrweg teurer als vergleichbare
Installationen mit Stromschienen.
● Energieketten benötigen mehr Bauraum als Stromschienen.
Hohe mechanische Belastbarkeit
Der e-loop eignet sich für dreidimensionale Bewegungen und
kann dabei hohe Kräfte aus allen Richtungen aufnehmen. Das ist
(ebenso wie die wirkungsvolle Zugentlastung) nötig, weil die Lei-
tungspakete beachtliche Gewichte von 20 bis 30 kg/m erreichen
können. Um den Bohrvortrieb zu gewährleisten, sind sehr leis-
tungsstarke Antriebe erforderlich, und die wiederum erfordern
Motorleitungen mit einem Querschnitt von typischerweise
400 mm2
pro Einzelader. Entsprechende Belastungen muss
die Kette in der dreidimensionalen Bewegung aushalten. Die
Hybridkonstruktion, d. h. die Kombination der Kunststoff-
Energiekette mit dem hochzugfesten Seil als Seele des Ganzen
entspricht diesen Anforderungen. Und sie erreicht mit 500 mm 2
auch einen geringen Biegeradius. Das spart Platz.
● Einzeladerleitungen mit Querschnitten von 400 mm2
werden
sicher geführt.
● Dank Hybridkonstruktion ist die dreidimensional bewegliche
Energiekette hochbelastbar.
Bild 3: Das e-loop System kombiniert alle Leitungen
in ein kompaktes und ein modulares System.
(Quelle: igus®
GmbH)
Bild 4: igus Offshore-Kette mit ähnlicher
Bauweise wie der e-loop
(Quelle: igus®
GmbH)
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Ein System für alle Leitungen
Im Unterschied zu den Service Loops kann ein einziges e-loop-
System alle Leitungen aufnehmen, die zum Top Drive geführt
werden: Motorleitungen, Signalleitungen und gegebenenfalls das
Hydraulikmedium. Dadurch wird das Verhaken der Service Loops
untereinander u. a. bei Starkwind verhindert. Die Aufteilung
in zwei Kammern schafft die Voraussetzung für eine ver-
schleißfreie Bewegung der diversen Leitungen.
● Ein geschütztes Leitungssystem ist weniger verschleißanfällig
als zwei oder drei vergossene Leitungen, die sich
gegeneinander bewegen können.
● Die Aufteilung des e-loops in zwei Kammern schont die
einzelnen Leitungen.
Einfache Wartung, Montage und Demontage
Zwischen den Elementen der Energieführung kommen mehrfach
gesicherte Schraubverbindungen zum Einsatz, die ein Herunterfallen
von Bauteilen verhindern und so die Betriebssicherheit erhöhen. Die
verschraubten Anschlusselemente erleichtern ebenfalls die Montage
und Demontage des e-loops.
● Der e-loop lässt sich einfach installieren.
● Einzelne Leitungen können bei Bedarf mit geringem
Zeitaufwand ausgetauscht werden.
Sicherer Leitungsschutz
Der e-loop besteht aus einzelnen Kettengliedern, die einen
stoßunempfindlichen Außenkörper-Aufsatz (Protektoren) aus
PU-Schaum und ein leitungsschonendes Innenleben aus dem
igumid Hochleistungspolymer besitzen (Bild 5).
Der igus Werkstoff ist korrosionsfrei und chemikalienbeständig.
Auch die beweglichen Verbindungen der Kettenglieder sind
mit Blick auf lange Lebensdauer unter Extrembedingungen
konstruiert.
Das Seil im Zentrum des e-loops besteht aus einer synthetischen
Kunststofffaser und ist dadurch bruchsicher, wetterbeständig,
flexibel und korrosionsfrei. Die einzelnen Kettenglieder sind auf
dem Zugseil aufgeklemmt.
● Von außen und innen geschützt: Auch deshalb erreichen der
e-loop und die Leitungen eine lange Lebensdauer.
Tried and tested: Crashtest für Energiekette
Typisch für alle igus Produkte sind die umfassenden Tests in der
Entwicklungsphase, die im eigenen Prüfzentrum stattfinden. So
wurde unter freiem Himmel ein komplett konfektionierter e-loop
mit Leitungsbefüllung für einen 500-t-Top Drive im Dauerver-
such gefahren, der allen Umwelteinflüssen sowie zusätzlicher
Simulation von Wind und Vibrationen ausgesetzt worden war.
Mittlerweile hat die Kette 40.000 Doppelhübe absolviert. Das
Ergebnis: Sämtliche witterungsbedingten Einflüsse haben keinen
Einfluss auf die Funktion des e-loops. Auch seitliche Schläge,
Stöße und konstante Vibrationen beeinträchtigen nicht die Funk-
tion der Energiekette und der Leitungen.
Aufschlussreich war auch ein Bruchtest. Bei ihm wurde ein
e-loop aus einer Höhe von 10 m pendelnd gegen einen Tresor
geschwungen und er trifft diesen mit voller Wucht. Auch diesen
Versuch überstand das Kettensystem ohne Probleme (Bild 7).
● Dauerversuch mit 40.000 Doppelhüben unter harten
Praxisbedingungen ohne Störungen absolviert
● Einen Pendel-Bruchtest gegen einen Stahlschrank hat das
System ebenfalls erfolgreich bestanden.
Bild 6: Kettenglied eines e-loops mit
Zwei-Kammer-Design und PU-Außenkörper
(Quelle: igus®
GmbH)
Bild 7: Den Bruchtest mit einem Tresor
überstand der e-loop ohne Probleme.
Quelle: igus®
GmbH
Bild 5: Aufbau des e-loops, Halbschalen
mit stoßunempfindlichem PU-Aufsatz
(Quelle: igus®
GmbH)
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Leitungen: für bewegliche Anwendungen entwickelt
Für diese Anwendung, d. h. die Energieversorgung von Top -Drive-
Antrieben, hat igus das Programm der chainflex-Motorleitungen
eigens um größere Querschnitte erweitert. Das gesamte
chainflex Programm wurde von Grund auf für den Einsatz in
beweglichen Anwendungen entwickelt – und der Anwender pro-
fitiert (bei sachgerechter Auslegung) von einem ausfallsicheren
Betrieb der Leitungen über mindestens 36 Monate. So lange
reicht die Garantie, die igus auf alle chainflex Leitungen und auch
auf die Energiekette gibt.
● Passende chainflex(Motor-)Leitungen mit 36 Monaten
Garantie stehen zur Verfügung.
● Die Garantie gilt auch für die Energieketten.
Anwendung. Nicht nur in Tiefbohranlagen
Der e-loop ist in verschiedenen Ausführungen und zwei Außen-
durchmessern (220 und 300 mm) verfügbar. Zu den ersten
Anwendern gehört ein Unternehmen der Öl-und-Gas-Industrie,
das diverse Vertikalbohranlagen betreibt und den e-loop als
Energiezuführung am Top Drive für eine Tiefbohranlage (Land
Rig) einsetzt. Die Kette mit einem Verfahrweg von 34 m verfährt
mit einer Geschwindigkeit von maximal 2,2 m/s und trägt eine
Zusatzlast von 19 kg/m. Sie bewährt sich bestens im Praxisein-
satz (Bild 8).
Neben der Vertikalbohrtechnik zielt igus mit dem e-loop auch auf
andere anspruchsvolle Einsatzbereiche. Zum Beispiel eignet sich
das korrosionsbeständige System für hängende Anwendungen
in der Offshore-Industrie, für Baumaschinen sowie Shore-Power-
und Windkraftanlagen. Für diese Einsätze können die Kettenglie-
der des e-loops mit Rollen (zum einfachen Bewegen am Boden)
oder Griffen (für die erleichterte Handhabung in Kombination mit
Rollen) ausgerüstet werden.
● Das System hat die ersten Praxistests erfolgreich absolviert.
● Neben der Vertikalbohrtechnik sind auch andere
Anwendungsmöglichkeiten gegeben, z. B. in der Offshore-
Industrie, an Baumaschinen sowie Shore-Power- und
Windkraftanlagen.
Bild 8: Die ersten e-loop Systeme sind
bereits bei Landbohranlagen im Betrieb.
(Quelle: igus®
GmbH)
Kontaktdaten
Für weitere Informationen stehen Ihnen die Experten der Abteilung Energiekettensysteme®
gern zur Verfügung.
Kontakt:
Tim Schneebeck
Branchenmanagement Offshore, Öl und Gas
Tel.: +49 (0)172 4017432
E-Mail: tschneebeck@igus.net
www.igus.de/offshore
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