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Die geheimnisvollen Zeitreisen
von Lydia Weiss
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Die geheimnisvollen Zeitreisen
An einem Freitagmorgen im Mai klingelte wie jeden Morgen Helens Wecker. Verschlafen rieb sie sich
die Augen und warf einen Blick auf ihren Wecker. „5.30 Uhr“, stöhnte Helen und ließ sich wieder in
ihr Kissen fallen. Der Wecker klingelte viel zu früh. Da sie nicht mehr einschlafen konnte, nahm sie ihr
Buch zur Hand und las noch ein bisschen, bis es Zeit war, sich für die Schule zu richten. Helen ging in
die fünfte Klasse und war zehn Jahre alt. Sie hatte eine großen Bruder und eine kleine Schwester.
Als sie am Morgen in er Schule saß, erklärte ihre Lehrerin: „Jeder von euch soll mit einem Partner
eine Präsentation über das Thema Schreiben halten.” An sich war das gar nicht so schlimm. Doch als
Frau Grün sagte: „Ich werde die Gruppen einteilen“, änderte sich Helens Laune schlagartig. Frau Grün
steckte nämlich immer ein Mädchen und einen Jungen zusammen. „Amelie arbeitet mit Jona, Rosa
mit Tom, Lena mit Aron, Melissa mit Finn, Tea mit Jona und Julia mit John“, verkündete Frau Grün.
Helen sollte mit Lukas zusammenarbeiten. Nach der Schule ging Helen missmutig nach Hause. Sie
wurde an der Haustür schon von ihrer kleinen Schwester Sarah empfangen, die ihr stolz ihr
Steckerperlenbild zeigte. „Toll“, murmelte Helen, wobei sie es eigentlich kaum ernst nahm. Während
des Mittagessens erzählte Helen von ihrem Tag in der Schule. „Naja“, meinte ihre Mutter, „es gibt
schlimmere Dinge. Wenn ihr jetzt zusammen die Präsentation haltet, müsst ihr euch mal treffen, um
sie vorzubereiten.“
„Unser Thema lautet: Wie schrieb man früher, wer konnte überhaupt schreiben und warum ist
Schreiben für die digitale Zukunft so wichtig. Mir fällt einfach nichts ein, wie wir dieses Thema
umsetzen können“, beklagte sich das Mädchen. „Vielleicht hat Lukas ja eine Idee“, meinte ihre
Mutter.
Am Nachmittag klingelte es an der Tür und Lukas kam zu Besuch. „Wir können ja mal alles
aufschreiben, was uns zu diesem Thema einfällt“, schlug Lukas vor. Gesagt getan. In Helens Zimmer
schrieben sie alles auf, was ihnen einfiel. „Aber wie soll uns das denn schon weiterbringen?“,
erkundigte sich Helen.
Ganz unerwartet und plötzlich zuckten die Kinder wegen einem hellen Lichtstrahl zusammen. Um sie
herum schwebten blaue Funken und gelbe und lila Ringe hüllten sie ein. Lukas hatte das Gefühl, er
würde träumen. Die beiden Kinder wurden vom Boden nach oben gezogen und schwebten in einen
blauen Kanal an dem an der Seite weiße Lichtringe leuchteten. „Was passiert hier?“, fragte sich
Lukas. Helen nahm Lukas´ Arm und die Kinder schwebten nebeneinander durch den Tunnel. Helen
zitterte am ganzen Körper. Auf einmal regnete es goldene Funken vom Himmel. So plötzlich wie sie
gekommen waren, verschwanden sie auch wieder. Dann wurden sie ganz plötzlich wieder von
weißem Licht umhüllt. Dieses Mal kamen keine Funken und Ringe. Zwei Sekunden später standen sie
auf einer Wiese hinter einem Baum. Helen sah an sich herunter und stellte fest, dass sie nicht mehr
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ihren Pullover mit lila und gelben Streifen und ihre Jeans, sondern ein grob gewebtes braunes
Baumwollkleid anhatte. Außerdem trug sie Ledersandalen und nicht ihre Hausschuhe. Neben ihr
stand ein kleiner geflochtener Korb. Lukas war ebenfalls in ein graues Baumwollkleid und in
Ledersandalen gekleidet. Verwirrt blickten sich die beiden Kinder um. Drei Meter von ihnen entfernt,
konnte man ein Kornfeld erblicken. Hinter ihnen erstreckte sich ein großer Wald. „Hast Du eine
Vorstellung, wo wir sind und warum wir diese altmodischen Kleider tragen?“, stammelte Helen als sie
ihre Sprache wiedergefunden hatte. „Ich habe keine Ahnung, aber wir könnten in den Wald gehen
und schauen, ob wir jemanden treffen, den wir fragen können.“, schlug Lukas vor. „Außerdem
könnten wir auch noch nach Beeren suchen, damit wir etwas zu essen haben“, ergänzte Helen. Also
machten sich die beiden Kinder auf den Weg in den Wald. Helen nahm den Korb.
Nachdem sie eine Weile durch den Wald gegangen waren, fanden sie einen Brombeerstrauch von
dem sie ein paar Beeren pflückten und in ihren Korb legten. Nach einer Weile machten sie eine kurze
Rast bei einem Baum. „Lukas, wo sind wir eigentlich?“, fragte Helen erneut. Lukas überlegte eine
Weile und sagte dann nachdenklich: „Ich weiß es eigentlich nicht. Aber ich vermute mal, dass wir in
der Vergangenheit sind. Zumindest sehen die Kleider, die wir anhaben, so aus. Aber in welchem Jahr
genau wir sind, das weiß ich nicht.“ „Und was sollen wir jetzt machen?“, fragte Helen weiter. Lukas
dachte meistens voraus und meinte daher: „Falls wir die Nacht hier bleiben, könnten wir uns ein Tipi
bauen, in dem wir dann übernachten können.“ Helen war eiverstanden und gemeinsam suchten sie
Äste, Stöcke, Rinde und Moos und Laub zum Polstern. Mit diesen Materialien bauten sie das Tipi.
Gerade als sie fertig waren und Helen aus dem Tipi krabbelte, hörten die beiden Jungenstimmen.
Kurz darauf kam eine Gruppe von Jungen hinter einer Hecke hervor. Der größte Junge sagte höflich:
„Grüß Gott.“ Die anderen Jungen folgten seinem Beispiel. Helen fragte sich: „Wieso sagen die denn
alle „Grüß Gott“ und nicht „Hallo?“ Da fiel ihr ein, dass Lukas gesagt hatte, dass sie wahrscheinlich in
der Vergangenheit seien. Deshalb antwortete Helen auch: „ Grüß Gott.“ Eine Weile herrschte
beklommenes Schweigen. Schließlich fing der fremde Junge wieder das Gespräch an: „Ich bin Gustaf.
Wir kommen von der Klosterschule und suchen hier immer Pilze und Kräuter. Wer seid ihr denn
eigentlich und woher kommt ihr?“ „Also wir heißen Helen und Lukas“, begann Helen, „wir kommen
aus Sindelfingen und wir wollten Beeren sammeln.“
Die Klosterschüler schauten sie verwundert an und fragten: „Wo ist denn Sindelfingen? „Sindelfingen
liegt im Landkreis Böblingen in Baden-Württemberg in Deutschland“, erklärte Lukas. Dann plötzlich
erinnerte er sich an ihr Referat. „Was ist denn eine Klosterschule?“, fragte Lukas und zwinkerte Helen
zu. „Wisst ihr denn nicht was eine Klosterschule ist?“ fragten die Jungen verdutzt und schauten jetzt
noch verwirrter als davor und fragten sich: “Was ist denn mit den beiden Kindern los?“ Helen schielte
zu Lukas. Was sollten sie tun? Auf jeden Fall mussten sie diese Chance ergreifen: „Wieso geht ihr
nicht in eine normale Schule?“, erkundigte sich Helen, „was macht man in einer Klosterschule? Was
ist an einer Klosterschule so besonders? Wird man in einer Klosterschule von Mönchen
unterrichtet?“ „Eine Klosterschule ist eine ganz normale Schule“, kam prompt die Antwort von
Gustaf. „Es gibt gar keine andern Schulen. Welche sollte es auch geben? In unserer Schule lernt man
Lesen, Rechnen, Schreiben, Latein, Singen und die Bibel auswendig. Wenn man mit der Klosterschule
fertig ist, wird man Mönch und man wird auch von Mönchen unterrichtet.“
Lukas dachte eine Weile nach und meinte darauf: „Du hast ja gefragt, welche Schulen es sonst noch
gibt. Es gibt Gymnasien, Realschulen Gemeinschaftsschulen und Grundschulen. Aber wieso werdet
ihr Mönch nach der Schule und nicht irgendetwas anderes? Wer geht eigentlich alles in eine
Klosterschule?“ Gustaf schaute ihn sehr verwundert an, antwortete dann aber freundlich: „Man kann
nach der Zeit in der Klosterschule Schreiber am Königshof werden oder einfach einen anderen Beruf
ausüben, bei dem man lesen und schreiben können muss, wenn man nicht Mönch wird.“ „ In die
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Klosterschule gehen Kinder von armen adeligen Familien. Ich bin zum Beispiel das neunte Kind und
da meine Eltern nicht so viel Land haben, sind meine drei älteren Brüder und ich ins Kloster
gekommen. Mein ältester Bruder lebt noch bei meinen Eltern. Allerdings gehen in die Klosterschule
keine Bauernkinder, selbst die meisten Adeligen können nicht schreiben. Sie denken sie müssen nicht
schreiben können, denn es gibt ja die Mönche“, ergänzte ein kleiner Klosterschüler.
„Und was ist mit deinen Schwestern?“, fragte Helen. „Meine Schwestern sind schon verheiratet,
genauso wie du es bald bist“, war die freundliche Antwort. Helen schaute ihn sehr verdutzt an,
dachte kurz nach und wechselte dann das Thema: „Was ist eigentlich die Aufgabe eines Mönchs?“
Kopfschüttelnd erläuterte der Junge: „Ein Mönch schreibt die Bibel mit Feder und Tinte ab, arbeitet
auf dem Feld oder hilft kranken Menschen. In einem Kloster gibt es viele Aufgaben, es muss ja auch
einer kochen oder die Klosterschüler unterrichten.“ „Ich verstehe nicht, wieso man die Bibel nicht
einfach an einem Computer schreibt, und mit einem Drucker druckt“, murmelte Helen vor sich hin.
„Was um alles in der Welt ist ein Computer und ein Drucker?“, fragte ein Klosterschüler verwirrt. Da
fiel Helen auf einmal wieder ein, dass sie ja wahrscheinlich in der Vergangenheit waren und
deswegen sagte sie nur: „Ach, ist nicht so wichtig.“ Gustaf schaute den Stand der Sonne an und
meinte dann höflich: „Ich glaube wir müssen jetzt weiter gehen, sonst finden wir keine Pilze mehr,
bevor die Sonne untergeht.“ Die Kinder verabschiedeten sich voneinander und die Klosterschüler
gingen kopfschüttelnd weiter.
„Jetzt wissen wir alles, was wir für unser Referat wissen müssen“, freute sich Helen. In diesem
Moment wurden sie von einem hellen Lichtstrahl umgeben. Blaue Funken schwebten um sie herum
und gelbe und lila Ringe hüllten sie ein. Lukas und Helen schwebte wieder durch den Lichttunnel.
Nach etwa fünf Minuten regnete es hellblaue Funken vom Himmel und um die Kinder herum
schwebten dunkelblaue Ringe. Keine zwei Sekunden später waren die Kinder wieder in Helens
Zimmer.
Einen Augenblick lang herrschte Schweigen in Helens Zimmer. Helen war in Gedanken noch bei der
Zeitreise und meinte nachdenklich: “Wie kamen wir eigentlich in die Vergangenheit? Wie lange
waren wir weg? Hoffentlich hat mein Mutter nichts bemerkt.“
„Also kurz bevor wir in die Vergangenheit gereist sind, war es genau 15.04 Uhr“, erinnerte sich Lukas.
„Wir waren sicherlich drei Stunden weg. Ich meine, wir haben ja auch noch das Tipi gebaut. Jetzt ist
es aber erst 15.07 Uhr! Ich glaube da ist irgendetwas mit der Zeit anders. Ich kann mir das aber auch
nicht erklären. Aber das war echt eine interessante Zeitreise. Jetzt wüsste ich nur noch gerne in
welchem Jahr wir waren“, meinte er. „Wir könnten am Computer nachschauen, wann es
Klosterschulen gab und wann die Leute nach der Schule Mönch werden mussten. Dann wissen wir, in
welcher Zeit wir waren“, schlug Helen vor.
Nachdem die beiden Kinder eine Zeit lang gesucht hatten, fanden sie, was sie brauchten. So kamen
die beiden zu dem Entschluss, dass sie auf jeden Fall in einem Jahr im Mittelalter vor der Reformation
gewesen waren. Lukas sah Helen nachdenklich an und sagte dann: „Wir haben es echt gut, dass wir
in die Schule gehen dürfen.“ „Jetzt können wir eigentlich gleich loslegen mit unserer Präsentation,
denn wir wissen ja jetzt alles was wir wissen müssen. Außerdem könnten wir noch ein Plakat
basteln“, unterbrach Helen seine Gedanken. „Da wir jetzt so viel wissen können wir dann eigentlich
jede Frage beantworten.“
„Ich habe aber schon Mal gehört, dass nach der Reformation alles anders war“, wandte Lukas ein.
„Ich meine mit dem Schreiben und den Schulen. Meine Mutter hat gesagt, dass Martin Luther die
Schulpflicht eingeführt hat. Als die Schulpflicht eingeführt wurde, sind ganz sicher nicht nur die
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Adeligen in die Schule gegangen. Außerdem denke ich, dass Frau Grün sicherlich hören will, wie das
mit dem Schreiben nach der Reformation war. Dazu kommt auch noch, dass um diese Zeit der
Buchdruck erfunden wurde. Mit dem Buchdruck mussten die Mönche nicht mehr die Bücher von
Hand abschreiben und somit waren die Bücher nicht mehr so schwer herzustellen und damit auch
nicht so besonders, weil man sie nicht mehr von Hand abschreiben musste. Wenn die Bücher nicht
mehr so teuer waren, konnten sich auch ärmere Leute ein Buch leisten. Vor der Reformation hatten
viele Leute gar kein Buch. Wenn man kein Buch hat, kann man ja auch gar nicht üben oder lesen. Die
Leute damals haben sich wohl gedacht, dass normale Leute nicht lesen und schreiben können
müssen. Die Bauernkinder hatten auch gar keine Zeit in die Schule zu gehen, weil sie auf dem Hof
mithelfen mussten“, erkläre Lukas. „Aber woher sollen wir wissen, wie das mit dem Schreiben nach
der Reformation war?“ frage Helen. „Ich weiß es nicht“, entgegnete Lukas. Helen saß immer noch auf
ihrem Schreibtischstuhl und blickte aus dem Fenster.
„Was wir machen können ist, dass wir im Internet mal schauen, ob wir etwas Sinnvolles finden“,
meinte Lukas. Helen antwortete nicht gerade begeistert: „Ich würde das nicht machen. Ich musste
nämlich mal eine Präsentation über Kinder im Mittelalter halten und habe im Internet einfach nichts
gefunden. Zum Glück gab es noch ein Buch über mein Thema in der Bücherei.“ „Das ist die Idee, wir
leihen uns ein Buch in der Bücherei aus“, freute sich Lukas.
Beide machten sich gleich auf den Weg in die Bücherei, die nur zwei Straßen weiter von Helens Haus
lag. Nach einer halben Stunde saßen die Kinder in Helens Zimmer und blätterten die Bücher durch,
die sie ausgeliehen hatten. „Hier ist alles so ungenau beschrieben“, stöhnte Helen, „man findet
eigentlich gar keine neuen Informationen.“
Genau in diesem Augenblick wurden sie wieder von weißem Licht umgeben und nach oben gezogen.
„Reisen wir wieder in die Vergangenheit?“, fragte sich Lukas. Helen hatte furchtbare Angst. Sie
wunderte sich, wieso sie beim vorigen Mal nicht so große Angst gehabt hatte. Gedanken stiegen in
ihr auf: „Wo kommen wir hin? Was ist, wenn wir nicht wieder nach Hause zurückkehren?“ Wieder
schwebten sie durch den Tunnel, durch den sie auch schon bei der letzten Reise geschwebt waren.
Helen wäre am liebsten wieder zurückgekehrt. Sie zuckte zusammen, als sie durch einen Regen aus
hellblauen Funken schwebten. Als die Kinder wieder aus dem Funkenregen waren, hatte Helen ein
weißes knöchellanges und langärmliges schlichtes weißes Kleid an. Darüber trug sie ein gelbes Kleid,
das etwas kürzer war und keine Ärmel hatte und um die Hüfte mit einem Ledergürtel befestigt war.
Lukas hatte ein weites hellbraunes Oberteil an und eine dunkelbraune Pluderhose. Ganz plötzlich
kam ein weißer Lichtstrahl aus der Decke des Tunnels und umgab die Kinder.
Keine zwei Sekunden später standen sie wieder auf der gleichen Wiese wie bei der letzten Zeitreise.
Helen sah sich um. Fast alles war gleich. „Was sollen wir machen?“, fragte Helen nachdem sie sich
eine Weile umgeschaut hatte. „Wir könnten die Straße entlanglaufen. Sicherlich treffen wir
jemanden, der uns sagen kann, wo wir uns befinden und wie wir zum nächsten Dorf kommen“,
entgegnete Lukas.
Erst jetzt bemerkte Helen den Korb, der neben ihr stand. Der Korb war mit einem karierten Tuch
abgedeckt. „Was ist denn in dem Korb?“, fragte sich Helen. Vorsichtig schlug das Mädchen das Tuch
zurück. In dem Korb lagen zwei Laibe Brot zwei große Stücke Käse und zehn Äpfel. Lukas freute sich
und meinte: „Jetzt haben wir sogar etwas zu essen.“ Die Kinder entschieden sich, rechts abzubiegen.
Nach einiger Zeit trafen sie ein Mädchen und einen Jungen. Das Mädchen war ungefähr in ihrem
Alter. Der Junge etwa zwei Jahre älter. Helen erinnerte sich an die letzte Zeitreise und sagte
deswegen: „Grüß Gott.“ Die fremden Kinder erwiderten ihren Gruß. „Ich will euch ja nicht
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aufhalten“, sprach Lukas die Fremden an“, aber ich wollte fragen, wo es in die nächste Stadt oder in
das nächste Dorf geht.“ Das Mädchen lächelte und sagte: “Kommt doch mit uns. Wir sind auf dem
Weg ins Dorf.“
Lukas und Helen nahmen das Angebot an und gingen mit den beiden Kindern. Der Junge meinte:
„Ich heiße Theodor und das ist meine kleine Schwester Frieda“. Theodor zeigte auf das Mädchen
neben sich. Frieda erkundigte sich. „Wie heißt ihr eigentlich?“ Lukas antwortete auf die Frage: „Mein
Name ist Lukas.“ „Ich heiße Helen“, sagte Helen etwas schüchtern. Da Lukas eher groß für sein Alter
war und Helen klein und zierlich, dachten Theodor und Frieda, dass die beiden Geschwister waren.
Frieda gesellte sich zu Helen. Helen fragte: „Wohnt ihr hier im Dorf?“ „Nein“, gab Frieda ihr zur
Antwort, „wir wohnen auf einem Bauernhof. Wir besorgen ein paar Dinge für unsere Mutter. Da ich
noch zwei weitere große Brüder habe außer Theodor, hilft Theodor einer anderen Familie, bei denen
der älteste Sohn erst vor kurzem gestorben ist.“ Helen erkundigte sich: „Was musst du denn
einkaufen?“ Frieda antwortete:“ Ich muss ein paar Gewürze kaufen. Außerdem ist unsere Hacke
kaputt. Leider konnte Vater sie nicht reparieren. Deshalb bringen wir sie zum Schmied.“
Nach einer viertel Stunde waren sie im Dorf angekommen. Theodor hatte sich schon bei der letzten
Weggabelung von ihnen getrennt, um sich auf den Weg zu dem anderen Bauernhof zu machen. Als
sie im Dorf waren meinte Frieda: „So, ihr seid an eurem Ziel. Was wollt ihr jetzt eigentlich machen?“
„Wir wollten noch etwas besorgen“, erwiderte Lukas nachdem er eine Weile nachgedacht hatte. So
richtig glaubwürdig klang das nicht. Also bohrte Frieda weiter: „Übernachtet ihr hier im Dorf? Ihr seid
doch nicht von hier.“ „Wir übernachten nicht im Dorf“, meinte Lukas gedehnt. Frieda schaute sie
prüfend an, dann kam ihr eine Idee: „Ich könntet doch noch mit zu mir nach Hause kommen.“ Lukas
und Helen nahmen das Angebot an und gingen mit Frieda den Weg wieder zurück.
Helen sah Lukas an. Leise flüsterte sie ihm ins Ohr: „Wir könnten Frieda ein bisschen über die Schule
und das Schreiben ausfragen.“ Lukas nickte und begann: „Wir kommen von weit her und wollten
etwas über das Schreiben und die Schule bei euch erfahren.“ „Ich kann euch gerne etwas erzählen“,
meinte Frieda. „Gehst du eigentlich in die Schule?“, fragte Helen. „Also“, begann Frieda, „Ich gehe in
die Schule, genauso wie meine Brüder. Meine Schwestern sind noch zu klein. Aber mein jüngerer
Bruder geht schon in die Schule. Wir gehen in eine Volksschule. In einer Volksschule gehen alle
Kinder. Martin Luther hat die Schulpflicht eingeführt. Mit sechs Jahren kommt man in die Schule.
Dort lernt man Lesen, Schreiben, Rechnen und Bibelgeschichten. Alle Kinder sitzen zusammen in
einem Raum. Bei uns im Dorf gibt es einen Lehrer, der uns alle unterrichtet.“ Helen und Lukas hörten
gespannt zu, Helen fragte dann: „Wie lange gehst du in die Schule?“ „In der Volksschule bleibt man
bis zur Konfirmation. Mädchen sind dann fertig mit der Schule. In der Volksschule bekommt man eine
Grundausbildung. Manche begabte Jungen gehen dann noch auf eine höhere Schule. Die höheren
Schulen sind aber nur in großen Städten“, erzählte Frieda.
Helen wollte noch mehr wissen und fragte: „Und wie ist das mit dem Schulgeld?“ Frieda antwortete:
„In der Volksschule muss man kein Schulgeld bezahlen. Martin Luther wollte, dass alle Lesen,
Schreiben und Rechnen können. Wenn man auf die höhere Schule will, muss man allerdings
Schulgeld bezahlen.“ Helen hakte noch einmal nach: „Mädchen gehen also nicht auf die höheren
Schulen?“ Frieda bestätigte: „Genau, Mädchen gehen nicht auf höhere Schulen.“ „Aber was ist, wenn
ein Bauernkind sehr begabt ist, aber seine Eltern kein Geld für die höhere Schule haben?“, fragte
Lukas. Frieda überlegte eine Weile und antwortete dann: „Mein großer Bruder Georg hat gesagt,
dass man sich dann an einer Stiftung anmelden kann. Dort haben Leute Geld für arme Kinder, die auf
eine höhere Schule wollen, zusammengelegt. Wenn man an einer Stiftung angemeldet ist, dann wird
einem das Schulgeld bezahlt.“ „Wollen deine Brüder eigentlich mal auf eine höhere Schule gehen?“,
fragte Lukas neugierig. „Ich glaube nicht, aber ich habe sie noch nie gefragt“, entgegnete Frieda,
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„aber Georg ist schon konfirmiert, er hat sich entschieden, nicht auf eine höhere Schule zu gehen.
Georg wird einmal den Bauernhof von meinem Vater erben. Ihr müsst ja aber wirklich von sehr weit
herkommen, wenn ihr das alles nicht wisst.“ Helen bedankt sich höflich und bestätigte, dass sie von
sehr weit herkämen.
Als sie bei dem Bauernhof von Friedas Eltern ankamen, wussten sie schon ganz gut über die Schule
Bescheid. Friedas Mutter lief gerade eben über den Hof, als die Kinder ankamen. Kurzerhand erklärte
Frieda ihrer Mutter, wieso sie Besuch mitgebracht hatte. Friedas Mutter war eine gastfreundliche
Frau und lud die beiden erst einmal zum Essen ein. Friedas Vater und ihre beiden älteren Brüder
waren vom Feld gekommen. Außerdem waren Friedas zwei jüngeren Schwestern und ihr jüngerer
Bruder auch mit dabei. Zusammen setzten sie sich an den Tisch.
Da kam Helen eine Idee. Schnell holte sie den Korb mit dem Essen. „Was hat Helen denn vor?“,
wunderte sich Lukas. „Da wir heute bei euch zu Besuch sein dürfen, wollen wir euch auch noch etwas
schenken“, meinte Helen feierlich. Vorsichtig legte sie die zehn Äpfel, die zwei Laibe Brot und die
beiden großen Stücke Käse auf den Tisch. Die Familie machte große Augen, als sie das Essen sah.
Friedas Vater fragte verwundert: „Seid ihr euch sicher, dass ihr uns das alles schenken wollt?“ Helen
und Lukas nickten. Alle bedankten sich herzlich. „Ich möchte jetzt noch beten“, sagte Friedas Vater.
Helen wunderte sich: „Wieso beten die denn vor dem Essen?“ Nachdem sie gegessen hatten,
machten sich Lukas und Helen wieder auf den Weg. Sie wussten zwar nicht, wohin sich laufen sollten,
aber hofften, dass sie irgendwie bald zurückreisen könnten. Friedas Mutter sagte: „Vielen Dank für
das reiche Geschenk. Wir werden euch nie vergessen.“ Die beiden Kinder winkten noch zum
Abschied.
Kaum waren sie außer Sichtweite der Bauernfamilie, wurden sie ganz plötzlich von weißem Licht
eingehüllt. Die Kinder wurden vom Boden gezogen und schwebten durch einen Lichttunnel. Nach
fünf Minuten wurden sie abermals von einem Lichtstrahl eingehüllt. Zwei Sekunden später saßen sie
wieder an Helens Schreibtisch vor den Büchern.
Helen war für einen Moment sprachlos: „Wie konnte das wieder passieren? Wieso sind wir wieder in
die Vergangenheit gereist? Das mit der Zeit verstehe ich nicht. Wir waren vielleicht zwei Stunden weg
und jetzt ist es nur zwei Minuten später als vor der Zeitreise. Ich glaube, dass eine Stunde in der
Vergangenheit ein Minute in der Gegenwart ist. Aber wir haben nicht einmal eine Zeitreisemaschine
mit der wir in andere Zeiten Reisen können. Ich frage mich, wie das jetzt schon zwei Mal funktioniert
hat.“
Lukas dachte eine Weile nach und meinte dann nachdenklich: „Wenn man mal logisch nachdenkt,
dann kann man sich erschließen, dass wir immer in die Vergangenheit gereist sind, wenn wir nicht
weiterwussten oder keine Informationen hatten. Zurück in die Gegenwart sind wir immer
gekommen, wenn wir alles erfahren hatten, was wir wissen wollten. Wir sind aber immer dann in die
Vergangenheit und wieder zurück in die Gegenwart gereist, wenn wir von niemandem gesehen
wurden und es eigentlich niemandem aufgefallen ist. Vielleicht sind wir mit einer geheimen
Zeitreisemaschine in verschiedene Zeiten gereist, bloß wir wissen nichts von dieser
Zeitreisemaschine. Die Maschine hat uns immer in eine andere Zeit reisen lassen, wenn wir nicht
weitergekommen sind oder genug Informationen hatten. Vielleicht merkt die Maschine, wenn wir
Hilfe brauchen und hat uns in eine andere Zeit reisen lassen.“ „Das wäre schon möglich. Aber ich
frage mich, wie man in eine andere Zeit reisen kann“, entgegnete Helen.“ Ich weiß auch nicht, wie
das gegangen ist“, meinte Lukas, „immerhin brauchen wir jetzt keine Bücher mehr und wissen
wirklich alles.“
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Als Helen an sich heruntersah, stellte sie fest, dass sie noch die Kleider aus der Zeitreise anhatte.
Lukas hatte auch noch seine Pluderhose und das weite Oberteil an. „Was um alles in der Welt sollen
wir mit diesen Kleidern anfangen?“, fragte Lukas. Helen grinste und meinte: „Vielleicht wird so etwas
ja noch einmal modern. Dann wären wir perfekt ausgerüstet.“ Beide lachten. „Lena und Aron haben
doch das Thema „Kleidung im Mittelalter“ von Frau Grün bekommen. Wir könnten ihnen die Kleider
schenken. Dann wären sie perfekt ausgestattet“, schlug Helen vor. Lukas fand die Idee gut.
Gemeinsam riefen sie Lena an. Lena freute sich sehr über das Angebot. Allerdings verrieten Helen
und Lukas nicht, woher sie die Kleider hatten.
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Am Montag trafen sie sich wieder. „Wir überlegen am besten noch einmal ganz genau, ob wir
vielleicht noch etwas anders machen können oder ob wir noch etwas vergessen haben“, überlegte
Helen. „Also unser Thema ist: Wie schrieb man früher und wer konnte überhaupt schreiben und
warum ist Schreiben für die digitale Zukunft so wichtig?“, meinte Lukas. „Wir sollte uns jetzt noch
Gedanken machen, wieso Schreiben für die digitale Zukunft so wichtig ist.
Wir wissen durch unsere Zeitreisen schon, wie man früher schrieb und wer alles schreiben konnte.“
„Aber woher sollen wir wissen, wie es in der Zukunft sein wird?“, meinte Helen kritisch. „Ja, woher
soll ich das wissen?“, gab Lukas zur Antwort. „Vielleicht sollten wir Frau Grün sagen, dass kein
Mensch auf Erden weiß, wie es in der Zukunft sein wird. Allerdings wird das Frau Grün nicht
gefallen.“ „Und sie wird garantiert sagen, dass wir uns dann einfach etwas ausdenken sollen“,
wandte Helen ein. „Das ist schon gut möglich“, erwiderte Lukas, „aber schau mal, wenn wir uns was
ausdenken, kann es sein, dass Frau Grün nicht zufrieden ist. Ich weiß auch nicht, was jetzt das Beste
wäre.“ Helen seufzt und überlegte angestrengt.
„Was haben wir eigentlich gesagt, bevor wir eine Zeitreise gemacht haben?“ fragte Helen. „Worauf
willst Du damit hinaus?“ entgegnete Lukas. „Naja, vielleicht könnte man so auch in die Zukunft
reisen. Dann müssten wir uns nichts ausdenken, sondern wüssten es genau“, meinte Helen. Lukas
überlegte eine ganze Weile und antwortete dann: „Ich glaube, wir haben uns immer darüber beklagt,
dass wir keine neuen Informationen haben und dann ging die Zeitreise von alleine los. Wir haben uns
nach der zweiten Zeitreise ja unterhalten, wie es sein kann, dass wir so plötzlich in die Vergangenheit
gereist sind. Wir sind zu dem Entschluss gekommen, dass es wahrscheinlich eine geheime
Zeitreisemaschine gibt. Aber wir wollen ja in die Zukunft reisen und nicht wieder in die
Vergangenheit.“ „Ich versuche einfach mal zu jammern“, schlug Helen vor, aber sie war nicht davon
überzeugt, dass es klappen könnte. Alles Jammern half nichts und auch wenn Lukas jammerte und
klagte geschah nichts. Plötzlich hatte Lukas eine super Idee: „Und wenn wir jetzt einfach sagen, dass
wir sehr viel über die Zukunft wissen…“
Während er noch überlegte, schossen plötzlich gelbe Funken aus der Decke und lila Lichtring
umhüllten sie. Die Lichtringe blendeten und die beiden Kinder mussten sich die Augen zuhalten. Wie
von Zauberhand wurden sie nach oben gezogen und schwebten durch die Decke und kamen in einen
Höhlentunnel. Der Höhlentunnel war anders als der Tunnel, mit dem sie in die Vergangenheit gereist
waren. Unter ihnen war ein riesiger See, der sich ins Unendliche erstreckte. In der glatten Oberfläche
spiegelten sich die Kinder. Riesige Tropfsteine hingen von der Decke. Die Seiten bestanden aus Stein,
doch sie leuchteten leicht, so dass eine schummrige märchenhafte Welt entstand. Die Felsen
glitzerten wie Edelsteine. Helen konnte sich gar nicht sattsehen. Alles um sie herum war so schön.
Der Tunnel war riesig und schien endlos weiter zu gehen. Mitten durch diese Märchenlandschaft
schwebten Helen und Lukas. Kein einziges Geräusch war zu hören. Nachdem sie zwei Minuten durch
den Tunnel geschwebt waren, umgab sie plötzlich ein dichter Nebel. Der Nebel änderte seine Farbe
von weiß zu lila und dann wieder weiß. Ganz unerwartet wurde der Nebel blau und keine zwei
Sekunden später standen sie auf einer Straße in einem Wohngebiet.
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Helen sah sich etwas verwirrt um und meinte dann: „Ich vermute, dass du die richtige Idee hattest
und wir deshalb in der Zukunft sind. Es sieht zumindest sehr anders aus als die letzten Male und es
sieht auch viel moderner aus. Eigentlich noch moderner als in der Gegenwart.“ „Wir wissen nicht,
wieviel Zeit wir in der Zukunft haben, deshalb würde ich die Zeit, die uns bleibt, gut ausnutzen. Wir
könnten eine Schule suchen“, schlug Lukas vor. „Jetzt ist nur noch die Frage, wie wir eine Schule
finden können.“ „Ich glaube, da vorne an der Haltestelle hängt ein Stadtplan. Lass uns dahingehen“,
meinte Helen.
Als sie an der Haltestelle ankamen, stellten sie fest, dass der Plan ziemlich seltsam aussah. „Der sieht
aus wie für Analphabeten“, stellte Lukas fest, „da ist alles nur mit Bildern gekennzeichnet.“ Nach
längerem Überlegen fanden sie heraus, dass das Bild für die Schule wahrscheinlich viele Kinder in
einem Haus war. Sie machten sich auf den Weg.
„Das könnte die Schule sein!“, sagte Helen aufgeregt als sie sich dem Gebäude näherten und viele
Kinder auf dem Schulhof waren. „Das ist doch eine Grundschule“, meinte Lukas, „wieso haben alle
Kinder ein Handy in der Pause dabei?“ „Komm, wir fragen einfach mal“, schlug Helen vor und
steuerte direkt auf eine Frau zu, die aussah wie eine Lehrerin. „Guten Tag“, grüßte Helen freundlich.
Die Lehrerin sah sie verwundert an und antwortete dann: „Hallo, braucht ihr Hilfe?“ Die Kinder
schauten sich gegenseitig ermutigend an und meinten dann: „Wir hätten ein paar Fragen an Sie.“ Die
Lehrerin wunderte sich über die Kinder. Sie waren ja so höflich und das merkwürdigste war, dass die
beiden Kinder nicht auf ihren Handys nachgeschaut hatten. „Ihr könnt doch bei Fragen auf euren
Handys nachschauen“, meinte die Lehrerin. „Wir können nicht auf unseren Handys nachschauen,
weil ich noch gar kein Handy habe“, sagte Lukas verdutzt. „Und ich habe mein Handy nicht dabei“,
warf Helen ein. Jetzt schaute die Lehrerin nur noch verwunderter: „Aber alle Schüler haben schon ein
Handy.“ Dann seufzte sie und sagte: „Also gut, wenn ihr jetzt immer noch Fragen habt, könnt ihr jetzt
fragen.“ Lukas nahm allen Mut zusammen und bat: „Könnten Sie uns mal die Schule zeigen?“ „Wir
sind nämlich neu hier“, schob Helen ein. „Kann ich machen. Kommt mit!“, forderte die Lehrerin sie
auf. „Ich heiße Frau Wagner.“ „Wir heißen Helen und Lukas“, stellten die Kinder sich vor.
Gemeinsam gingen sie in die Schule. „Im ersten Stockwerk sind Klassenzimmer“, erklärte Frau
Wagner. Sie wollte schon weitergehen als Helen fragte: „Dürfen wir mal in die Klassenzimmer
schauen?“ Frau Wagner willigte ein und führte sie durch den Gang zum letzten Klassenzimmer mit
den Worten: „In diesem Klassenzimmer unterrichte ich.“ Im Klassenzimmer sah alles anders aus als
Helen und Lukas es gewohnt waren. In der Mitte war ein Gang und daneben Kabinen. Am Lehrerpult
waren zwei Mikrofone und eine Kamera angebracht. Auf dem Lehrerpult stand ein Computer. „Wie
unterrichte sie denn? Wo sitzen die Kinder? Was sollen diese komischen Kabinen? An unserer Schule
war alles anders“, meinte Lukas verwirrt. „Ich spreche in die Mikrofone und in den Kabinen, die
schallisoliert sind, befinden sich Lautsprecher, die meine Stimme übermitteln. Vor den Kindern ist ein
Bildschirm, auf dem sie mich sehen. Die Kinder haben auch Mikrofone, mit denen sie mich fragen
können. Mit dem Computer kann ich die Technik überwachen. Wenn ich meinen Bildschirm freigebe,
sehen die Kinder, was ich sehe. So können wir uns zum Beispiel gemeinsam einen Film anschauen“,
erklärte Frau Wagner.
Helen zog die Augenbrauen hoch und fragte skeptisch: „Wozu sind die schallisolierten Kabinen?“
Frau Wagner war verwundert und fragte: „Wisst ihr das nicht?“ Als die Kinder verneinten, schüttelte
sie verwundert den Kopf und erklärte dann: „Die Kinder diktieren ihre Antworten und Texte in ihr
Handy und das Handy schreibt sie auf und schickt sie mir. Die Kabinen helfen, damit sich die Kinder
konzentrieren können. Das Handy überwacht auch, ob geschummelt wird.“ „Wie können sich die
Kinder auf ihrem Handy zurechtfinden?“, fragte Lukas. „Mit Bildern und mit der Sprachsteuerung“,
entgegnete Frau Wagner. „Können die Kinder etwa nicht lesen und schreiben?“, fragte Helen
neugierig. „Wozu sollten die Kinder denn das denn können? Sie haben doch ihre Spracherkennung
auf dem Handy. Früher war Lesen und Schreiben notwendig, weil die Handys noch so schlecht waren.
Aber heutzutage sind die Handys ja so gut, dass man nicht mehr lesen und schreiben muss.“ Helen
schaute Frau Wagner sehr verwirrt an und fragte dann: „Muss man als Lehrerin Lesen und Schreiben
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können?“ „Als Lehrerin muss man schreiben können. Das lernt man im Studium“, antwortete Frau
Wagner. Helen schaut zu Lukas und dann wieder zu Frau Wagner und sagte dann leise: „Wir haben in
der Schule Lesen und Schreiben gelernt.“ „Mach keine Witze!“, meinte Frau Wagner streng. „Aber es
stimmt“, warf Lukas ein. Die Lehrerin runzelte die Stirn und sagt dann: „Helen, schreib mir bitte den
Satz: Die Sonne scheint schön und ich gehe zur Schule.“ Frau Wagner gab ihr Papier und Stift. Helen
schrieb den Satz fehlerfrei auf das Papier. Frau Wagner war sehr erstaunt und schaute Helen
ungläubig an. Aber noch bevor sie Zeit hatte, viele Fragen zu stellen, verabschiedeten sich Helen und
Lukas von der Lehrerin und liefen aus der Schule. Als sie um die nächste Straßenecke gebogen waren,
wurden sie von einem grünen Lichtstrahl getroffen und schwebten nach oben, in einen Tunnel. Der
Tunnel war aus blauem Licht und die Kinder schwebten durch denselben Tunnel zurück, durch den
sie gekommen waren. Nach einiger Zeit wurden sie wieder von einem grünen Lichtstrahl getroffen
und saßen keine zwei Sekunden später wieder in Helens Zimmer.
Lukas starrte Helen an und meinte nach einer Weile: „Das war ein Schock. Ich hatte mir die Zukunft
immer ganz anders vorgestellt.“ Helen war verwirrt und irgendwie fühlte sie sich nicht gut. Leise
meinte das Mädchen: „Ich hoffe mal, dass das gar nicht so weit kommt. Wir müssen in unserem
Referat zu Ausdruck bringen, wie wichtig Lesen und Schreiben ist.“ „Wenn die Leute nicht mehr
Lesen und Schreiben können, wäre das eine Katastrophe. Viele tolle Bücher könnten nicht mehr
gelesen werden“, stellte Lukas fest. „Jedenfalls nicht mehr leise, nur noch von Handys vorgelesen“,
ergänzte Helen, „wir müssen unseren Klassenkameraden deutlich machen, wie wichtig es ist, dass die
Leute schreiben können.“ „Aber wie?“, fragte Lukas. Helen überlegte, doch da hatte Lukas eine Idee:
„Wir müssen unseren Klassenkameraden schildern, wie es in der Zukunft werden könnte, wenn die
Kinder nicht mehr Lesen und Schreiben können und einfach sagen, wie schrecklich es wäre, wenn es
so kommt. Und wir erzählen ihnen auch, wie es in der Vergangenheit war. Wenn wir etwas
unternehmen, was bewirkt, dass die Kinder auch in Zukunft Lesen und Schreiben können, können wir
vielleicht noch verhindern, dass die Schulen so aussehen werden, wie wir es erlebt haben.“
„Ich finde deine Idee gut, aber wir könnten zusätzlich noch eine Botschaft schreiben, wie wichtig
Lesen und Schreiben ist. Allerdings soll unsere Botschaft nicht nur an unsere Klasse gerichtet sein,
sondern an ganz Europa. Beide fanden die Idee gut, doch bevor sie sich an die Arbeit machten, sah
Lukas Helen fest in die Augen und fragte dann mit ernster Stimme: „Versprichst du mir, dass du
niemanden von unserer Zeitreise erzählst?“ Helen überlegte nicht lange, sondern antwortete: „Ich
verspreche dir, dass ich niemandem von unserer Zeitreise erzähle.“ Als Helen ihr Versprechen
abgelegt hatte, machten sie sich direkt an die Arbeit.
Und so entstand ihre Botschaft an Europa, warum für sie Lesen und Schreiben so wichtig war:
11

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  • 2. 2 Die geheimnisvollen Zeitreisen An einem Freitagmorgen im Mai klingelte wie jeden Morgen Helens Wecker. Verschlafen rieb sie sich die Augen und warf einen Blick auf ihren Wecker. „5.30 Uhr“, stöhnte Helen und ließ sich wieder in ihr Kissen fallen. Der Wecker klingelte viel zu früh. Da sie nicht mehr einschlafen konnte, nahm sie ihr Buch zur Hand und las noch ein bisschen, bis es Zeit war, sich für die Schule zu richten. Helen ging in die fünfte Klasse und war zehn Jahre alt. Sie hatte eine großen Bruder und eine kleine Schwester. Als sie am Morgen in er Schule saß, erklärte ihre Lehrerin: „Jeder von euch soll mit einem Partner eine Präsentation über das Thema Schreiben halten.” An sich war das gar nicht so schlimm. Doch als Frau Grün sagte: „Ich werde die Gruppen einteilen“, änderte sich Helens Laune schlagartig. Frau Grün steckte nämlich immer ein Mädchen und einen Jungen zusammen. „Amelie arbeitet mit Jona, Rosa mit Tom, Lena mit Aron, Melissa mit Finn, Tea mit Jona und Julia mit John“, verkündete Frau Grün. Helen sollte mit Lukas zusammenarbeiten. Nach der Schule ging Helen missmutig nach Hause. Sie wurde an der Haustür schon von ihrer kleinen Schwester Sarah empfangen, die ihr stolz ihr Steckerperlenbild zeigte. „Toll“, murmelte Helen, wobei sie es eigentlich kaum ernst nahm. Während des Mittagessens erzählte Helen von ihrem Tag in der Schule. „Naja“, meinte ihre Mutter, „es gibt schlimmere Dinge. Wenn ihr jetzt zusammen die Präsentation haltet, müsst ihr euch mal treffen, um sie vorzubereiten.“ „Unser Thema lautet: Wie schrieb man früher, wer konnte überhaupt schreiben und warum ist Schreiben für die digitale Zukunft so wichtig. Mir fällt einfach nichts ein, wie wir dieses Thema umsetzen können“, beklagte sich das Mädchen. „Vielleicht hat Lukas ja eine Idee“, meinte ihre Mutter. Am Nachmittag klingelte es an der Tür und Lukas kam zu Besuch. „Wir können ja mal alles aufschreiben, was uns zu diesem Thema einfällt“, schlug Lukas vor. Gesagt getan. In Helens Zimmer schrieben sie alles auf, was ihnen einfiel. „Aber wie soll uns das denn schon weiterbringen?“, erkundigte sich Helen. Ganz unerwartet und plötzlich zuckten die Kinder wegen einem hellen Lichtstrahl zusammen. Um sie herum schwebten blaue Funken und gelbe und lila Ringe hüllten sie ein. Lukas hatte das Gefühl, er würde träumen. Die beiden Kinder wurden vom Boden nach oben gezogen und schwebten in einen blauen Kanal an dem an der Seite weiße Lichtringe leuchteten. „Was passiert hier?“, fragte sich Lukas. Helen nahm Lukas´ Arm und die Kinder schwebten nebeneinander durch den Tunnel. Helen zitterte am ganzen Körper. Auf einmal regnete es goldene Funken vom Himmel. So plötzlich wie sie gekommen waren, verschwanden sie auch wieder. Dann wurden sie ganz plötzlich wieder von weißem Licht umhüllt. Dieses Mal kamen keine Funken und Ringe. Zwei Sekunden später standen sie auf einer Wiese hinter einem Baum. Helen sah an sich herunter und stellte fest, dass sie nicht mehr
  • 3. 3 ihren Pullover mit lila und gelben Streifen und ihre Jeans, sondern ein grob gewebtes braunes Baumwollkleid anhatte. Außerdem trug sie Ledersandalen und nicht ihre Hausschuhe. Neben ihr stand ein kleiner geflochtener Korb. Lukas war ebenfalls in ein graues Baumwollkleid und in Ledersandalen gekleidet. Verwirrt blickten sich die beiden Kinder um. Drei Meter von ihnen entfernt, konnte man ein Kornfeld erblicken. Hinter ihnen erstreckte sich ein großer Wald. „Hast Du eine Vorstellung, wo wir sind und warum wir diese altmodischen Kleider tragen?“, stammelte Helen als sie ihre Sprache wiedergefunden hatte. „Ich habe keine Ahnung, aber wir könnten in den Wald gehen und schauen, ob wir jemanden treffen, den wir fragen können.“, schlug Lukas vor. „Außerdem könnten wir auch noch nach Beeren suchen, damit wir etwas zu essen haben“, ergänzte Helen. Also machten sich die beiden Kinder auf den Weg in den Wald. Helen nahm den Korb. Nachdem sie eine Weile durch den Wald gegangen waren, fanden sie einen Brombeerstrauch von dem sie ein paar Beeren pflückten und in ihren Korb legten. Nach einer Weile machten sie eine kurze Rast bei einem Baum. „Lukas, wo sind wir eigentlich?“, fragte Helen erneut. Lukas überlegte eine Weile und sagte dann nachdenklich: „Ich weiß es eigentlich nicht. Aber ich vermute mal, dass wir in der Vergangenheit sind. Zumindest sehen die Kleider, die wir anhaben, so aus. Aber in welchem Jahr genau wir sind, das weiß ich nicht.“ „Und was sollen wir jetzt machen?“, fragte Helen weiter. Lukas dachte meistens voraus und meinte daher: „Falls wir die Nacht hier bleiben, könnten wir uns ein Tipi bauen, in dem wir dann übernachten können.“ Helen war eiverstanden und gemeinsam suchten sie Äste, Stöcke, Rinde und Moos und Laub zum Polstern. Mit diesen Materialien bauten sie das Tipi. Gerade als sie fertig waren und Helen aus dem Tipi krabbelte, hörten die beiden Jungenstimmen. Kurz darauf kam eine Gruppe von Jungen hinter einer Hecke hervor. Der größte Junge sagte höflich: „Grüß Gott.“ Die anderen Jungen folgten seinem Beispiel. Helen fragte sich: „Wieso sagen die denn alle „Grüß Gott“ und nicht „Hallo?“ Da fiel ihr ein, dass Lukas gesagt hatte, dass sie wahrscheinlich in der Vergangenheit seien. Deshalb antwortete Helen auch: „ Grüß Gott.“ Eine Weile herrschte beklommenes Schweigen. Schließlich fing der fremde Junge wieder das Gespräch an: „Ich bin Gustaf. Wir kommen von der Klosterschule und suchen hier immer Pilze und Kräuter. Wer seid ihr denn eigentlich und woher kommt ihr?“ „Also wir heißen Helen und Lukas“, begann Helen, „wir kommen aus Sindelfingen und wir wollten Beeren sammeln.“ Die Klosterschüler schauten sie verwundert an und fragten: „Wo ist denn Sindelfingen? „Sindelfingen liegt im Landkreis Böblingen in Baden-Württemberg in Deutschland“, erklärte Lukas. Dann plötzlich erinnerte er sich an ihr Referat. „Was ist denn eine Klosterschule?“, fragte Lukas und zwinkerte Helen zu. „Wisst ihr denn nicht was eine Klosterschule ist?“ fragten die Jungen verdutzt und schauten jetzt noch verwirrter als davor und fragten sich: “Was ist denn mit den beiden Kindern los?“ Helen schielte zu Lukas. Was sollten sie tun? Auf jeden Fall mussten sie diese Chance ergreifen: „Wieso geht ihr nicht in eine normale Schule?“, erkundigte sich Helen, „was macht man in einer Klosterschule? Was ist an einer Klosterschule so besonders? Wird man in einer Klosterschule von Mönchen unterrichtet?“ „Eine Klosterschule ist eine ganz normale Schule“, kam prompt die Antwort von Gustaf. „Es gibt gar keine andern Schulen. Welche sollte es auch geben? In unserer Schule lernt man Lesen, Rechnen, Schreiben, Latein, Singen und die Bibel auswendig. Wenn man mit der Klosterschule fertig ist, wird man Mönch und man wird auch von Mönchen unterrichtet.“ Lukas dachte eine Weile nach und meinte darauf: „Du hast ja gefragt, welche Schulen es sonst noch gibt. Es gibt Gymnasien, Realschulen Gemeinschaftsschulen und Grundschulen. Aber wieso werdet ihr Mönch nach der Schule und nicht irgendetwas anderes? Wer geht eigentlich alles in eine Klosterschule?“ Gustaf schaute ihn sehr verwundert an, antwortete dann aber freundlich: „Man kann nach der Zeit in der Klosterschule Schreiber am Königshof werden oder einfach einen anderen Beruf ausüben, bei dem man lesen und schreiben können muss, wenn man nicht Mönch wird.“ „ In die
  • 4. 4 Klosterschule gehen Kinder von armen adeligen Familien. Ich bin zum Beispiel das neunte Kind und da meine Eltern nicht so viel Land haben, sind meine drei älteren Brüder und ich ins Kloster gekommen. Mein ältester Bruder lebt noch bei meinen Eltern. Allerdings gehen in die Klosterschule keine Bauernkinder, selbst die meisten Adeligen können nicht schreiben. Sie denken sie müssen nicht schreiben können, denn es gibt ja die Mönche“, ergänzte ein kleiner Klosterschüler. „Und was ist mit deinen Schwestern?“, fragte Helen. „Meine Schwestern sind schon verheiratet, genauso wie du es bald bist“, war die freundliche Antwort. Helen schaute ihn sehr verdutzt an, dachte kurz nach und wechselte dann das Thema: „Was ist eigentlich die Aufgabe eines Mönchs?“ Kopfschüttelnd erläuterte der Junge: „Ein Mönch schreibt die Bibel mit Feder und Tinte ab, arbeitet auf dem Feld oder hilft kranken Menschen. In einem Kloster gibt es viele Aufgaben, es muss ja auch einer kochen oder die Klosterschüler unterrichten.“ „Ich verstehe nicht, wieso man die Bibel nicht einfach an einem Computer schreibt, und mit einem Drucker druckt“, murmelte Helen vor sich hin. „Was um alles in der Welt ist ein Computer und ein Drucker?“, fragte ein Klosterschüler verwirrt. Da fiel Helen auf einmal wieder ein, dass sie ja wahrscheinlich in der Vergangenheit waren und deswegen sagte sie nur: „Ach, ist nicht so wichtig.“ Gustaf schaute den Stand der Sonne an und meinte dann höflich: „Ich glaube wir müssen jetzt weiter gehen, sonst finden wir keine Pilze mehr, bevor die Sonne untergeht.“ Die Kinder verabschiedeten sich voneinander und die Klosterschüler gingen kopfschüttelnd weiter. „Jetzt wissen wir alles, was wir für unser Referat wissen müssen“, freute sich Helen. In diesem Moment wurden sie von einem hellen Lichtstrahl umgeben. Blaue Funken schwebten um sie herum und gelbe und lila Ringe hüllten sie ein. Lukas und Helen schwebte wieder durch den Lichttunnel. Nach etwa fünf Minuten regnete es hellblaue Funken vom Himmel und um die Kinder herum schwebten dunkelblaue Ringe. Keine zwei Sekunden später waren die Kinder wieder in Helens Zimmer. Einen Augenblick lang herrschte Schweigen in Helens Zimmer. Helen war in Gedanken noch bei der Zeitreise und meinte nachdenklich: “Wie kamen wir eigentlich in die Vergangenheit? Wie lange waren wir weg? Hoffentlich hat mein Mutter nichts bemerkt.“ „Also kurz bevor wir in die Vergangenheit gereist sind, war es genau 15.04 Uhr“, erinnerte sich Lukas. „Wir waren sicherlich drei Stunden weg. Ich meine, wir haben ja auch noch das Tipi gebaut. Jetzt ist es aber erst 15.07 Uhr! Ich glaube da ist irgendetwas mit der Zeit anders. Ich kann mir das aber auch nicht erklären. Aber das war echt eine interessante Zeitreise. Jetzt wüsste ich nur noch gerne in welchem Jahr wir waren“, meinte er. „Wir könnten am Computer nachschauen, wann es Klosterschulen gab und wann die Leute nach der Schule Mönch werden mussten. Dann wissen wir, in welcher Zeit wir waren“, schlug Helen vor. Nachdem die beiden Kinder eine Zeit lang gesucht hatten, fanden sie, was sie brauchten. So kamen die beiden zu dem Entschluss, dass sie auf jeden Fall in einem Jahr im Mittelalter vor der Reformation gewesen waren. Lukas sah Helen nachdenklich an und sagte dann: „Wir haben es echt gut, dass wir in die Schule gehen dürfen.“ „Jetzt können wir eigentlich gleich loslegen mit unserer Präsentation, denn wir wissen ja jetzt alles was wir wissen müssen. Außerdem könnten wir noch ein Plakat basteln“, unterbrach Helen seine Gedanken. „Da wir jetzt so viel wissen können wir dann eigentlich jede Frage beantworten.“ „Ich habe aber schon Mal gehört, dass nach der Reformation alles anders war“, wandte Lukas ein. „Ich meine mit dem Schreiben und den Schulen. Meine Mutter hat gesagt, dass Martin Luther die Schulpflicht eingeführt hat. Als die Schulpflicht eingeführt wurde, sind ganz sicher nicht nur die
  • 5. 5 Adeligen in die Schule gegangen. Außerdem denke ich, dass Frau Grün sicherlich hören will, wie das mit dem Schreiben nach der Reformation war. Dazu kommt auch noch, dass um diese Zeit der Buchdruck erfunden wurde. Mit dem Buchdruck mussten die Mönche nicht mehr die Bücher von Hand abschreiben und somit waren die Bücher nicht mehr so schwer herzustellen und damit auch nicht so besonders, weil man sie nicht mehr von Hand abschreiben musste. Wenn die Bücher nicht mehr so teuer waren, konnten sich auch ärmere Leute ein Buch leisten. Vor der Reformation hatten viele Leute gar kein Buch. Wenn man kein Buch hat, kann man ja auch gar nicht üben oder lesen. Die Leute damals haben sich wohl gedacht, dass normale Leute nicht lesen und schreiben können müssen. Die Bauernkinder hatten auch gar keine Zeit in die Schule zu gehen, weil sie auf dem Hof mithelfen mussten“, erkläre Lukas. „Aber woher sollen wir wissen, wie das mit dem Schreiben nach der Reformation war?“ frage Helen. „Ich weiß es nicht“, entgegnete Lukas. Helen saß immer noch auf ihrem Schreibtischstuhl und blickte aus dem Fenster. „Was wir machen können ist, dass wir im Internet mal schauen, ob wir etwas Sinnvolles finden“, meinte Lukas. Helen antwortete nicht gerade begeistert: „Ich würde das nicht machen. Ich musste nämlich mal eine Präsentation über Kinder im Mittelalter halten und habe im Internet einfach nichts gefunden. Zum Glück gab es noch ein Buch über mein Thema in der Bücherei.“ „Das ist die Idee, wir leihen uns ein Buch in der Bücherei aus“, freute sich Lukas. Beide machten sich gleich auf den Weg in die Bücherei, die nur zwei Straßen weiter von Helens Haus lag. Nach einer halben Stunde saßen die Kinder in Helens Zimmer und blätterten die Bücher durch, die sie ausgeliehen hatten. „Hier ist alles so ungenau beschrieben“, stöhnte Helen, „man findet eigentlich gar keine neuen Informationen.“ Genau in diesem Augenblick wurden sie wieder von weißem Licht umgeben und nach oben gezogen. „Reisen wir wieder in die Vergangenheit?“, fragte sich Lukas. Helen hatte furchtbare Angst. Sie wunderte sich, wieso sie beim vorigen Mal nicht so große Angst gehabt hatte. Gedanken stiegen in ihr auf: „Wo kommen wir hin? Was ist, wenn wir nicht wieder nach Hause zurückkehren?“ Wieder schwebten sie durch den Tunnel, durch den sie auch schon bei der letzten Reise geschwebt waren. Helen wäre am liebsten wieder zurückgekehrt. Sie zuckte zusammen, als sie durch einen Regen aus hellblauen Funken schwebten. Als die Kinder wieder aus dem Funkenregen waren, hatte Helen ein weißes knöchellanges und langärmliges schlichtes weißes Kleid an. Darüber trug sie ein gelbes Kleid, das etwas kürzer war und keine Ärmel hatte und um die Hüfte mit einem Ledergürtel befestigt war. Lukas hatte ein weites hellbraunes Oberteil an und eine dunkelbraune Pluderhose. Ganz plötzlich kam ein weißer Lichtstrahl aus der Decke des Tunnels und umgab die Kinder. Keine zwei Sekunden später standen sie wieder auf der gleichen Wiese wie bei der letzten Zeitreise. Helen sah sich um. Fast alles war gleich. „Was sollen wir machen?“, fragte Helen nachdem sie sich eine Weile umgeschaut hatte. „Wir könnten die Straße entlanglaufen. Sicherlich treffen wir jemanden, der uns sagen kann, wo wir uns befinden und wie wir zum nächsten Dorf kommen“, entgegnete Lukas. Erst jetzt bemerkte Helen den Korb, der neben ihr stand. Der Korb war mit einem karierten Tuch abgedeckt. „Was ist denn in dem Korb?“, fragte sich Helen. Vorsichtig schlug das Mädchen das Tuch zurück. In dem Korb lagen zwei Laibe Brot zwei große Stücke Käse und zehn Äpfel. Lukas freute sich und meinte: „Jetzt haben wir sogar etwas zu essen.“ Die Kinder entschieden sich, rechts abzubiegen. Nach einiger Zeit trafen sie ein Mädchen und einen Jungen. Das Mädchen war ungefähr in ihrem Alter. Der Junge etwa zwei Jahre älter. Helen erinnerte sich an die letzte Zeitreise und sagte deswegen: „Grüß Gott.“ Die fremden Kinder erwiderten ihren Gruß. „Ich will euch ja nicht
  • 6. 6 aufhalten“, sprach Lukas die Fremden an“, aber ich wollte fragen, wo es in die nächste Stadt oder in das nächste Dorf geht.“ Das Mädchen lächelte und sagte: “Kommt doch mit uns. Wir sind auf dem Weg ins Dorf.“ Lukas und Helen nahmen das Angebot an und gingen mit den beiden Kindern. Der Junge meinte: „Ich heiße Theodor und das ist meine kleine Schwester Frieda“. Theodor zeigte auf das Mädchen neben sich. Frieda erkundigte sich. „Wie heißt ihr eigentlich?“ Lukas antwortete auf die Frage: „Mein Name ist Lukas.“ „Ich heiße Helen“, sagte Helen etwas schüchtern. Da Lukas eher groß für sein Alter war und Helen klein und zierlich, dachten Theodor und Frieda, dass die beiden Geschwister waren. Frieda gesellte sich zu Helen. Helen fragte: „Wohnt ihr hier im Dorf?“ „Nein“, gab Frieda ihr zur Antwort, „wir wohnen auf einem Bauernhof. Wir besorgen ein paar Dinge für unsere Mutter. Da ich noch zwei weitere große Brüder habe außer Theodor, hilft Theodor einer anderen Familie, bei denen der älteste Sohn erst vor kurzem gestorben ist.“ Helen erkundigte sich: „Was musst du denn einkaufen?“ Frieda antwortete:“ Ich muss ein paar Gewürze kaufen. Außerdem ist unsere Hacke kaputt. Leider konnte Vater sie nicht reparieren. Deshalb bringen wir sie zum Schmied.“ Nach einer viertel Stunde waren sie im Dorf angekommen. Theodor hatte sich schon bei der letzten Weggabelung von ihnen getrennt, um sich auf den Weg zu dem anderen Bauernhof zu machen. Als sie im Dorf waren meinte Frieda: „So, ihr seid an eurem Ziel. Was wollt ihr jetzt eigentlich machen?“ „Wir wollten noch etwas besorgen“, erwiderte Lukas nachdem er eine Weile nachgedacht hatte. So richtig glaubwürdig klang das nicht. Also bohrte Frieda weiter: „Übernachtet ihr hier im Dorf? Ihr seid doch nicht von hier.“ „Wir übernachten nicht im Dorf“, meinte Lukas gedehnt. Frieda schaute sie prüfend an, dann kam ihr eine Idee: „Ich könntet doch noch mit zu mir nach Hause kommen.“ Lukas und Helen nahmen das Angebot an und gingen mit Frieda den Weg wieder zurück. Helen sah Lukas an. Leise flüsterte sie ihm ins Ohr: „Wir könnten Frieda ein bisschen über die Schule und das Schreiben ausfragen.“ Lukas nickte und begann: „Wir kommen von weit her und wollten etwas über das Schreiben und die Schule bei euch erfahren.“ „Ich kann euch gerne etwas erzählen“, meinte Frieda. „Gehst du eigentlich in die Schule?“, fragte Helen. „Also“, begann Frieda, „Ich gehe in die Schule, genauso wie meine Brüder. Meine Schwestern sind noch zu klein. Aber mein jüngerer Bruder geht schon in die Schule. Wir gehen in eine Volksschule. In einer Volksschule gehen alle Kinder. Martin Luther hat die Schulpflicht eingeführt. Mit sechs Jahren kommt man in die Schule. Dort lernt man Lesen, Schreiben, Rechnen und Bibelgeschichten. Alle Kinder sitzen zusammen in einem Raum. Bei uns im Dorf gibt es einen Lehrer, der uns alle unterrichtet.“ Helen und Lukas hörten gespannt zu, Helen fragte dann: „Wie lange gehst du in die Schule?“ „In der Volksschule bleibt man bis zur Konfirmation. Mädchen sind dann fertig mit der Schule. In der Volksschule bekommt man eine Grundausbildung. Manche begabte Jungen gehen dann noch auf eine höhere Schule. Die höheren Schulen sind aber nur in großen Städten“, erzählte Frieda. Helen wollte noch mehr wissen und fragte: „Und wie ist das mit dem Schulgeld?“ Frieda antwortete: „In der Volksschule muss man kein Schulgeld bezahlen. Martin Luther wollte, dass alle Lesen, Schreiben und Rechnen können. Wenn man auf die höhere Schule will, muss man allerdings Schulgeld bezahlen.“ Helen hakte noch einmal nach: „Mädchen gehen also nicht auf die höheren Schulen?“ Frieda bestätigte: „Genau, Mädchen gehen nicht auf höhere Schulen.“ „Aber was ist, wenn ein Bauernkind sehr begabt ist, aber seine Eltern kein Geld für die höhere Schule haben?“, fragte Lukas. Frieda überlegte eine Weile und antwortete dann: „Mein großer Bruder Georg hat gesagt, dass man sich dann an einer Stiftung anmelden kann. Dort haben Leute Geld für arme Kinder, die auf eine höhere Schule wollen, zusammengelegt. Wenn man an einer Stiftung angemeldet ist, dann wird einem das Schulgeld bezahlt.“ „Wollen deine Brüder eigentlich mal auf eine höhere Schule gehen?“, fragte Lukas neugierig. „Ich glaube nicht, aber ich habe sie noch nie gefragt“, entgegnete Frieda,
  • 7. 7 „aber Georg ist schon konfirmiert, er hat sich entschieden, nicht auf eine höhere Schule zu gehen. Georg wird einmal den Bauernhof von meinem Vater erben. Ihr müsst ja aber wirklich von sehr weit herkommen, wenn ihr das alles nicht wisst.“ Helen bedankt sich höflich und bestätigte, dass sie von sehr weit herkämen. Als sie bei dem Bauernhof von Friedas Eltern ankamen, wussten sie schon ganz gut über die Schule Bescheid. Friedas Mutter lief gerade eben über den Hof, als die Kinder ankamen. Kurzerhand erklärte Frieda ihrer Mutter, wieso sie Besuch mitgebracht hatte. Friedas Mutter war eine gastfreundliche Frau und lud die beiden erst einmal zum Essen ein. Friedas Vater und ihre beiden älteren Brüder waren vom Feld gekommen. Außerdem waren Friedas zwei jüngeren Schwestern und ihr jüngerer Bruder auch mit dabei. Zusammen setzten sie sich an den Tisch. Da kam Helen eine Idee. Schnell holte sie den Korb mit dem Essen. „Was hat Helen denn vor?“, wunderte sich Lukas. „Da wir heute bei euch zu Besuch sein dürfen, wollen wir euch auch noch etwas schenken“, meinte Helen feierlich. Vorsichtig legte sie die zehn Äpfel, die zwei Laibe Brot und die beiden großen Stücke Käse auf den Tisch. Die Familie machte große Augen, als sie das Essen sah. Friedas Vater fragte verwundert: „Seid ihr euch sicher, dass ihr uns das alles schenken wollt?“ Helen und Lukas nickten. Alle bedankten sich herzlich. „Ich möchte jetzt noch beten“, sagte Friedas Vater. Helen wunderte sich: „Wieso beten die denn vor dem Essen?“ Nachdem sie gegessen hatten, machten sich Lukas und Helen wieder auf den Weg. Sie wussten zwar nicht, wohin sich laufen sollten, aber hofften, dass sie irgendwie bald zurückreisen könnten. Friedas Mutter sagte: „Vielen Dank für das reiche Geschenk. Wir werden euch nie vergessen.“ Die beiden Kinder winkten noch zum Abschied. Kaum waren sie außer Sichtweite der Bauernfamilie, wurden sie ganz plötzlich von weißem Licht eingehüllt. Die Kinder wurden vom Boden gezogen und schwebten durch einen Lichttunnel. Nach fünf Minuten wurden sie abermals von einem Lichtstrahl eingehüllt. Zwei Sekunden später saßen sie wieder an Helens Schreibtisch vor den Büchern. Helen war für einen Moment sprachlos: „Wie konnte das wieder passieren? Wieso sind wir wieder in die Vergangenheit gereist? Das mit der Zeit verstehe ich nicht. Wir waren vielleicht zwei Stunden weg und jetzt ist es nur zwei Minuten später als vor der Zeitreise. Ich glaube, dass eine Stunde in der Vergangenheit ein Minute in der Gegenwart ist. Aber wir haben nicht einmal eine Zeitreisemaschine mit der wir in andere Zeiten Reisen können. Ich frage mich, wie das jetzt schon zwei Mal funktioniert hat.“ Lukas dachte eine Weile nach und meinte dann nachdenklich: „Wenn man mal logisch nachdenkt, dann kann man sich erschließen, dass wir immer in die Vergangenheit gereist sind, wenn wir nicht weiterwussten oder keine Informationen hatten. Zurück in die Gegenwart sind wir immer gekommen, wenn wir alles erfahren hatten, was wir wissen wollten. Wir sind aber immer dann in die Vergangenheit und wieder zurück in die Gegenwart gereist, wenn wir von niemandem gesehen wurden und es eigentlich niemandem aufgefallen ist. Vielleicht sind wir mit einer geheimen Zeitreisemaschine in verschiedene Zeiten gereist, bloß wir wissen nichts von dieser Zeitreisemaschine. Die Maschine hat uns immer in eine andere Zeit reisen lassen, wenn wir nicht weitergekommen sind oder genug Informationen hatten. Vielleicht merkt die Maschine, wenn wir Hilfe brauchen und hat uns in eine andere Zeit reisen lassen.“ „Das wäre schon möglich. Aber ich frage mich, wie man in eine andere Zeit reisen kann“, entgegnete Helen.“ Ich weiß auch nicht, wie das gegangen ist“, meinte Lukas, „immerhin brauchen wir jetzt keine Bücher mehr und wissen wirklich alles.“
  • 8. 8 Als Helen an sich heruntersah, stellte sie fest, dass sie noch die Kleider aus der Zeitreise anhatte. Lukas hatte auch noch seine Pluderhose und das weite Oberteil an. „Was um alles in der Welt sollen wir mit diesen Kleidern anfangen?“, fragte Lukas. Helen grinste und meinte: „Vielleicht wird so etwas ja noch einmal modern. Dann wären wir perfekt ausgerüstet.“ Beide lachten. „Lena und Aron haben doch das Thema „Kleidung im Mittelalter“ von Frau Grün bekommen. Wir könnten ihnen die Kleider schenken. Dann wären sie perfekt ausgestattet“, schlug Helen vor. Lukas fand die Idee gut. Gemeinsam riefen sie Lena an. Lena freute sich sehr über das Angebot. Allerdings verrieten Helen und Lukas nicht, woher sie die Kleider hatten. *** Am Montag trafen sie sich wieder. „Wir überlegen am besten noch einmal ganz genau, ob wir vielleicht noch etwas anders machen können oder ob wir noch etwas vergessen haben“, überlegte Helen. „Also unser Thema ist: Wie schrieb man früher und wer konnte überhaupt schreiben und warum ist Schreiben für die digitale Zukunft so wichtig?“, meinte Lukas. „Wir sollte uns jetzt noch Gedanken machen, wieso Schreiben für die digitale Zukunft so wichtig ist. Wir wissen durch unsere Zeitreisen schon, wie man früher schrieb und wer alles schreiben konnte.“ „Aber woher sollen wir wissen, wie es in der Zukunft sein wird?“, meinte Helen kritisch. „Ja, woher soll ich das wissen?“, gab Lukas zur Antwort. „Vielleicht sollten wir Frau Grün sagen, dass kein Mensch auf Erden weiß, wie es in der Zukunft sein wird. Allerdings wird das Frau Grün nicht gefallen.“ „Und sie wird garantiert sagen, dass wir uns dann einfach etwas ausdenken sollen“, wandte Helen ein. „Das ist schon gut möglich“, erwiderte Lukas, „aber schau mal, wenn wir uns was ausdenken, kann es sein, dass Frau Grün nicht zufrieden ist. Ich weiß auch nicht, was jetzt das Beste wäre.“ Helen seufzt und überlegte angestrengt. „Was haben wir eigentlich gesagt, bevor wir eine Zeitreise gemacht haben?“ fragte Helen. „Worauf willst Du damit hinaus?“ entgegnete Lukas. „Naja, vielleicht könnte man so auch in die Zukunft reisen. Dann müssten wir uns nichts ausdenken, sondern wüssten es genau“, meinte Helen. Lukas überlegte eine ganze Weile und antwortete dann: „Ich glaube, wir haben uns immer darüber beklagt, dass wir keine neuen Informationen haben und dann ging die Zeitreise von alleine los. Wir haben uns nach der zweiten Zeitreise ja unterhalten, wie es sein kann, dass wir so plötzlich in die Vergangenheit gereist sind. Wir sind zu dem Entschluss gekommen, dass es wahrscheinlich eine geheime Zeitreisemaschine gibt. Aber wir wollen ja in die Zukunft reisen und nicht wieder in die Vergangenheit.“ „Ich versuche einfach mal zu jammern“, schlug Helen vor, aber sie war nicht davon überzeugt, dass es klappen könnte. Alles Jammern half nichts und auch wenn Lukas jammerte und klagte geschah nichts. Plötzlich hatte Lukas eine super Idee: „Und wenn wir jetzt einfach sagen, dass wir sehr viel über die Zukunft wissen…“ Während er noch überlegte, schossen plötzlich gelbe Funken aus der Decke und lila Lichtring umhüllten sie. Die Lichtringe blendeten und die beiden Kinder mussten sich die Augen zuhalten. Wie von Zauberhand wurden sie nach oben gezogen und schwebten durch die Decke und kamen in einen Höhlentunnel. Der Höhlentunnel war anders als der Tunnel, mit dem sie in die Vergangenheit gereist waren. Unter ihnen war ein riesiger See, der sich ins Unendliche erstreckte. In der glatten Oberfläche spiegelten sich die Kinder. Riesige Tropfsteine hingen von der Decke. Die Seiten bestanden aus Stein, doch sie leuchteten leicht, so dass eine schummrige märchenhafte Welt entstand. Die Felsen glitzerten wie Edelsteine. Helen konnte sich gar nicht sattsehen. Alles um sie herum war so schön. Der Tunnel war riesig und schien endlos weiter zu gehen. Mitten durch diese Märchenlandschaft schwebten Helen und Lukas. Kein einziges Geräusch war zu hören. Nachdem sie zwei Minuten durch den Tunnel geschwebt waren, umgab sie plötzlich ein dichter Nebel. Der Nebel änderte seine Farbe von weiß zu lila und dann wieder weiß. Ganz unerwartet wurde der Nebel blau und keine zwei Sekunden später standen sie auf einer Straße in einem Wohngebiet.
  • 9. 9 Helen sah sich etwas verwirrt um und meinte dann: „Ich vermute, dass du die richtige Idee hattest und wir deshalb in der Zukunft sind. Es sieht zumindest sehr anders aus als die letzten Male und es sieht auch viel moderner aus. Eigentlich noch moderner als in der Gegenwart.“ „Wir wissen nicht, wieviel Zeit wir in der Zukunft haben, deshalb würde ich die Zeit, die uns bleibt, gut ausnutzen. Wir könnten eine Schule suchen“, schlug Lukas vor. „Jetzt ist nur noch die Frage, wie wir eine Schule finden können.“ „Ich glaube, da vorne an der Haltestelle hängt ein Stadtplan. Lass uns dahingehen“, meinte Helen. Als sie an der Haltestelle ankamen, stellten sie fest, dass der Plan ziemlich seltsam aussah. „Der sieht aus wie für Analphabeten“, stellte Lukas fest, „da ist alles nur mit Bildern gekennzeichnet.“ Nach längerem Überlegen fanden sie heraus, dass das Bild für die Schule wahrscheinlich viele Kinder in einem Haus war. Sie machten sich auf den Weg. „Das könnte die Schule sein!“, sagte Helen aufgeregt als sie sich dem Gebäude näherten und viele Kinder auf dem Schulhof waren. „Das ist doch eine Grundschule“, meinte Lukas, „wieso haben alle Kinder ein Handy in der Pause dabei?“ „Komm, wir fragen einfach mal“, schlug Helen vor und steuerte direkt auf eine Frau zu, die aussah wie eine Lehrerin. „Guten Tag“, grüßte Helen freundlich. Die Lehrerin sah sie verwundert an und antwortete dann: „Hallo, braucht ihr Hilfe?“ Die Kinder schauten sich gegenseitig ermutigend an und meinten dann: „Wir hätten ein paar Fragen an Sie.“ Die Lehrerin wunderte sich über die Kinder. Sie waren ja so höflich und das merkwürdigste war, dass die beiden Kinder nicht auf ihren Handys nachgeschaut hatten. „Ihr könnt doch bei Fragen auf euren Handys nachschauen“, meinte die Lehrerin. „Wir können nicht auf unseren Handys nachschauen, weil ich noch gar kein Handy habe“, sagte Lukas verdutzt. „Und ich habe mein Handy nicht dabei“, warf Helen ein. Jetzt schaute die Lehrerin nur noch verwunderter: „Aber alle Schüler haben schon ein Handy.“ Dann seufzte sie und sagte: „Also gut, wenn ihr jetzt immer noch Fragen habt, könnt ihr jetzt fragen.“ Lukas nahm allen Mut zusammen und bat: „Könnten Sie uns mal die Schule zeigen?“ „Wir sind nämlich neu hier“, schob Helen ein. „Kann ich machen. Kommt mit!“, forderte die Lehrerin sie auf. „Ich heiße Frau Wagner.“ „Wir heißen Helen und Lukas“, stellten die Kinder sich vor. Gemeinsam gingen sie in die Schule. „Im ersten Stockwerk sind Klassenzimmer“, erklärte Frau Wagner. Sie wollte schon weitergehen als Helen fragte: „Dürfen wir mal in die Klassenzimmer schauen?“ Frau Wagner willigte ein und führte sie durch den Gang zum letzten Klassenzimmer mit den Worten: „In diesem Klassenzimmer unterrichte ich.“ Im Klassenzimmer sah alles anders aus als Helen und Lukas es gewohnt waren. In der Mitte war ein Gang und daneben Kabinen. Am Lehrerpult waren zwei Mikrofone und eine Kamera angebracht. Auf dem Lehrerpult stand ein Computer. „Wie unterrichte sie denn? Wo sitzen die Kinder? Was sollen diese komischen Kabinen? An unserer Schule war alles anders“, meinte Lukas verwirrt. „Ich spreche in die Mikrofone und in den Kabinen, die schallisoliert sind, befinden sich Lautsprecher, die meine Stimme übermitteln. Vor den Kindern ist ein Bildschirm, auf dem sie mich sehen. Die Kinder haben auch Mikrofone, mit denen sie mich fragen können. Mit dem Computer kann ich die Technik überwachen. Wenn ich meinen Bildschirm freigebe, sehen die Kinder, was ich sehe. So können wir uns zum Beispiel gemeinsam einen Film anschauen“, erklärte Frau Wagner. Helen zog die Augenbrauen hoch und fragte skeptisch: „Wozu sind die schallisolierten Kabinen?“ Frau Wagner war verwundert und fragte: „Wisst ihr das nicht?“ Als die Kinder verneinten, schüttelte sie verwundert den Kopf und erklärte dann: „Die Kinder diktieren ihre Antworten und Texte in ihr Handy und das Handy schreibt sie auf und schickt sie mir. Die Kabinen helfen, damit sich die Kinder konzentrieren können. Das Handy überwacht auch, ob geschummelt wird.“ „Wie können sich die Kinder auf ihrem Handy zurechtfinden?“, fragte Lukas. „Mit Bildern und mit der Sprachsteuerung“, entgegnete Frau Wagner. „Können die Kinder etwa nicht lesen und schreiben?“, fragte Helen neugierig. „Wozu sollten die Kinder denn das denn können? Sie haben doch ihre Spracherkennung auf dem Handy. Früher war Lesen und Schreiben notwendig, weil die Handys noch so schlecht waren. Aber heutzutage sind die Handys ja so gut, dass man nicht mehr lesen und schreiben muss.“ Helen schaute Frau Wagner sehr verwirrt an und fragte dann: „Muss man als Lehrerin Lesen und Schreiben
  • 10. 10 können?“ „Als Lehrerin muss man schreiben können. Das lernt man im Studium“, antwortete Frau Wagner. Helen schaut zu Lukas und dann wieder zu Frau Wagner und sagte dann leise: „Wir haben in der Schule Lesen und Schreiben gelernt.“ „Mach keine Witze!“, meinte Frau Wagner streng. „Aber es stimmt“, warf Lukas ein. Die Lehrerin runzelte die Stirn und sagt dann: „Helen, schreib mir bitte den Satz: Die Sonne scheint schön und ich gehe zur Schule.“ Frau Wagner gab ihr Papier und Stift. Helen schrieb den Satz fehlerfrei auf das Papier. Frau Wagner war sehr erstaunt und schaute Helen ungläubig an. Aber noch bevor sie Zeit hatte, viele Fragen zu stellen, verabschiedeten sich Helen und Lukas von der Lehrerin und liefen aus der Schule. Als sie um die nächste Straßenecke gebogen waren, wurden sie von einem grünen Lichtstrahl getroffen und schwebten nach oben, in einen Tunnel. Der Tunnel war aus blauem Licht und die Kinder schwebten durch denselben Tunnel zurück, durch den sie gekommen waren. Nach einiger Zeit wurden sie wieder von einem grünen Lichtstrahl getroffen und saßen keine zwei Sekunden später wieder in Helens Zimmer. Lukas starrte Helen an und meinte nach einer Weile: „Das war ein Schock. Ich hatte mir die Zukunft immer ganz anders vorgestellt.“ Helen war verwirrt und irgendwie fühlte sie sich nicht gut. Leise meinte das Mädchen: „Ich hoffe mal, dass das gar nicht so weit kommt. Wir müssen in unserem Referat zu Ausdruck bringen, wie wichtig Lesen und Schreiben ist.“ „Wenn die Leute nicht mehr Lesen und Schreiben können, wäre das eine Katastrophe. Viele tolle Bücher könnten nicht mehr gelesen werden“, stellte Lukas fest. „Jedenfalls nicht mehr leise, nur noch von Handys vorgelesen“, ergänzte Helen, „wir müssen unseren Klassenkameraden deutlich machen, wie wichtig es ist, dass die Leute schreiben können.“ „Aber wie?“, fragte Lukas. Helen überlegte, doch da hatte Lukas eine Idee: „Wir müssen unseren Klassenkameraden schildern, wie es in der Zukunft werden könnte, wenn die Kinder nicht mehr Lesen und Schreiben können und einfach sagen, wie schrecklich es wäre, wenn es so kommt. Und wir erzählen ihnen auch, wie es in der Vergangenheit war. Wenn wir etwas unternehmen, was bewirkt, dass die Kinder auch in Zukunft Lesen und Schreiben können, können wir vielleicht noch verhindern, dass die Schulen so aussehen werden, wie wir es erlebt haben.“ „Ich finde deine Idee gut, aber wir könnten zusätzlich noch eine Botschaft schreiben, wie wichtig Lesen und Schreiben ist. Allerdings soll unsere Botschaft nicht nur an unsere Klasse gerichtet sein, sondern an ganz Europa. Beide fanden die Idee gut, doch bevor sie sich an die Arbeit machten, sah Lukas Helen fest in die Augen und fragte dann mit ernster Stimme: „Versprichst du mir, dass du niemanden von unserer Zeitreise erzählst?“ Helen überlegte nicht lange, sondern antwortete: „Ich verspreche dir, dass ich niemandem von unserer Zeitreise erzähle.“ Als Helen ihr Versprechen abgelegt hatte, machten sie sich direkt an die Arbeit. Und so entstand ihre Botschaft an Europa, warum für sie Lesen und Schreiben so wichtig war:
  • 11. 11