Mergers & Acquisitions in Vietnam 2022- Übersetzung
2009 12 d1 exp
1. Dossier
63 Die Volkswirtschaft Das Magazin für Wirtschaftspolitik 12-2009
Wenn in der Öffentlichkeit von der WTO
berichtet wird, ist häufig von der Doha-Run-
de die Rede. Es ist dies die 9. Welthandels-
runde, die gegenwärtig unter dem Dach der
WTO ausgehandelt wird. Ein baldiger Ab-
schluss dieser Verhandlungen wäre insbeson-
dere im heutigen wirtschaftlichen Umfeld
wünschenswert. Dies würde nicht nur den
Handel beflügeln, sondern auch möglichen
Zollerhöhungen – und damit Handelsbarrie-
ren – einen Riegel schieben.
Die WTO ist aber mehr als nur ein Ver-
handlungsgremium. In der WTO sind rund
dreissig bestehende multi- und plurilaterale
Abkommen in den Bereichen Güterhandel,
Dienstleistungen und geistiges Eigentum ge-
fasst. Ein Streitbeilegungsmechanismus er-
möglicht es den 153 WTO-Mitgliedern, bei
Verletzungen eines WTO-Abkommens ihre
Rechte einzufordern. In der WTO werden
auch gegenseitig die Handelspolitiken der
Mitglieder überprüft. Seit Anfang 2009 gibt
es zudem einen Überprüfungsmechanismus
der protektionistischen Handelsmassnah-
men, die von Mitgliedern ergriffen werden.
Klare und durchsetzbare Regeln
Die WTO ist ein Forum zur Klärung in-
ternationaler Handelsfragen. In ihrem Rah-
men suchen die Mitglieder gleichberechtigt
nach Lösungen zu anstehenden Handels-
problemen. Dabei werden bestehende Han-
delsabkommen weiterentwickelt und neue
Abkommen ausgehandelt. Die WTO-Ab-
kommen beinhalten Spielregeln, welche die
Grundlage für eine schrittweise Liberalisie-
rung des internationalen Handels bilden.
In der WTO werden insbesondere durch
ein paar einfache, aber effiziente Grundprin-
zipien gleiche Bedingungen für alle Mitglieder
geschaffen. Die beiden wichtigsten sind:
– Du sollst die Vertragspartner nicht unter-
schiedlich und nicht schlechter behandeln
als Staaten, die nicht Vertragspartner sind.
Jedes WTO-Mitglied erhält also von Land
X die gleiche Behandlung, wie jenes Land,
Die WTO bewährt sich in der Wirtschaftskrise
Remigi Winzap
Minister, Leiter Ressort
WTO, Staatssekretariat
für Wirtschaft SECO, Bern
Die Wirtschaftskrise hat alle Län-
der dieser Welt stark getroffen.
Für das Jahr 2009 erwartet die
Welthandelsorganisation (WTO)
einen Rückgang des Welthandels
von 10%. Dennoch kam es bisher
nicht zum befürchteten massiven
Rückgriff auf handelsbeschrän-
kende Massnahmen. Dies ist unter
anderem das Verdienst der WTO.
Im vorliegenden Artikel wird die
Bedeutung der WTO-Regeln und
der WTO als Organisation in den
Mittelpunkt gerückt. In den zwei
nachfolgenden Artikeln wird
einerseits das rechtliche Instru-
mentarium zur Verhinderung von
Protektionismus der WTO erläu-
tert und anderseits der Überprü-
fungsmechanismus der WTO zur
Bekämpfung des Handelsprotek-
tionismus beschrieben.
Die WTO ist ein Forum zur Klärung internationaler Handelsfragen. In ihrem Rahmen suchen die Mitglieder gleichberech-
tigt nach Lösungen zu anstehenden Handelsproblemen. Im Bild: WTO-Ratssaal in Genf. Bild: Keystone
2. Dossier
64 Die Volkswirtschaft Das Magazin für Wirtschaftspolitik 12-2009
Handelsliberalisierung gegenüber eher skep-
tisch eingestellt ist.
WTO als Institution ist wichtig
Die WTO ist eine nützliche Organisation
für ihre Mitglieder und damit für deren
Wirtschaftsakteure, indem sie sicherstellt,
dass die Handelsbeziehungen auf der Grund-
lage des Welthandelsrechts – und nicht nach
dem Recht des Stärkeren – gestaltet werden.
In diesem Zusammenhang war auch die sieb-
te ordentliche WTO-Ministerkonferenz zum
Thema «The WTO, the Multilateral Trading
System and the Current Global Economic En-
vironment» vom 30. November bis 2.Dezem-
ber 2009 in Genf von Bedeutung. In zwei Se-
minaren wurden die WTO-Organe und die
Relevanz ihrer Aktivitäten überprüft sowie
der Beitrag der WTO zur wirtschaftlichen
Entwicklung diskutiert.
Für die Schweiz steht bei den WTO-Akti-
vitäten vorerst der Abschluss der Doha-Run-
de im Mittelpunkt. Danach sollten sich aber
die WTO-Mitglieder verstärkt auch den soge-
nannten Kohärenzthemen wie das Verhältnis
von Handel und Umwelt – inklusive Klima
und eine stärkere Berücksichtigung von Pro-
duktionsmethoden bei der Güterherstellung
– sowie Handel und Sozialnormen widmen.
Weitere Themen, welche in der WTO wahr-
scheinlich ebenfalls aufgenommen werden
müssen, betreffen Energiefragen sowie Inve-
stitionen, Wettbewerb und Transparenz im
öffentlichen Beschaffungswesen. Es ist wich-
tig, dass die WTO eine für den Welthandel
relevante Organisation bleibt und dass seine
Organe – speziell der Streitschlichtungsme-
chanismus – effizient arbeiten kann.
Bewährt in schwierigen Zeiten
Die Welthandelsorganisation muss sich
insbesondere in wirtschaftlich schwierigen
Zeiten bewähren. In dieser Wirtschaftskrise
hat es sich gezeigt, dass die WTO-Bestim-
mungen weitgehend respektiert wurden und
ihre Verfahren Bestand haben, was ein gros-
ser Erfolg für das Handelssystem ist. Die
WTO hat mit einer regelmässigen Überwa-
chung handelspolitischer Massnahmen ihrer
Mitglieder schnell und wirksam reagiert.1
Die Doha-Verhandlungen konnten trotz der
schwachen Konjunktur mit Intensität fort-
geführt werden. Ein Durchbruch ist in der
gegenwärtigen wirtschaftlichen Situation je-
doch noch schwieriger geworden. Das Pro-
blem liegt dabei aber weniger bei der WTO
als bei den Regierungen der Mitgliedstaaten,
die nicht immer innenpolitisch bereit oder
in der Lage sind, sich für einen noch offene-
ren Welthandel einzusetzen. m
das von Land X die besten Marktzugangs-
bedingungen erhält (sogenannte Meistbe-
günstigung);
– Du sollst Waren, die Du aus dem Gebiete
eines anderen Vertragspartners impor-
tierst, nicht schlechter behandeln als Dei-
ne eigenen Waren (sogenannte Inländer-
behandlung).
Diese beiden Grundprinzipien stellen für
jedes WTO-Mitglied einen Diskriminie-
rungsschutz dar. Zudem dürfen in der WTO
vertraglich gebundene Zölle auch in wirt-
schaftlich schwierigen Zeiten nicht erhöht
werden, ausser man einigt sich in Kompensa-
tionsverhandlungen darauf, dass bei einer
Rücknahme von Zollkonzessionen der
Marktzugang bei anderen Produkten verbes-
sert wird. Jedes Land hat in der WTO eine
Stimme, und alle ausgehandelten Vorteile
müssen allen WTO-Mitgliedern gewährt wer-
den. Die Rechte und Pflichten gelten für gros-
se, kleine und mittlere Mitglieder gleich und
können dank eines griffigen Streitbeilegungs-
mechanismus in wirtschaftlich guten, aber
auch in konjunkturell schwierigen Zeiten
durchgesetzt werden.
Ein Abschluss der Doha-Runde ist wichtig
– nicht zuletzt aus systemischen Gründen,
um die Regeln der WTO zu stärken. Neben
Verhandlungen, die auf die Öffnung von
Märkten abzielen (Landwirtschaft, Industrie-
güter und Dienstleistungen), laufen Verhand-
lungen über die Verbesserung von Handelsre-
geln (u.a. in den Bereichen Antidumping,
geistiges Eigentum, Handelserleichterungen
an den Grenzen und an der Schnittstelle zwi-
schen Handels- und Umweltrecht). Der Ab-
schluss der Doha-Runde wäre aber auch ein
direkter Beitrag im Kampf gegen die Auswir-
kungen der Finanz- und Wirtschaftskrise. Die
WTO schätzt, dass der Abschluss der Doha-
Runde den Firmen auf der Welt Jahr um Jahr
Kosteneinsparungen und zusätzliche Erträge
im Wert von 150 Mrd. US-Dollar (gewisse
Berechnungen kommen auf noch höhere
Zahlen) bringen würde, was ein beachtliches
Konjunkturstützungsprogramm wäre.
Ob sich ein Abschluss in absehbarer Zeit
realisieren lässt, ist jedoch offen. Es wird hart
daran gearbeitet. Im September 2009 erklär-
ten die Staats- und Regierungschefs der G20-
Staaten in Pittsburgh, dass die Doha-Runde
bis Ende 2010 abgeschlossen werden soll. Die
Verhandlungsfortschritte müssten auf der
Ebene der Handelsminister bis spätestens
Anfang 2010 sowie auf der Ebene der G20
am nächsten Treffen im Juni 2010 in Kanada
überprüft werden. Nach wie vor gilt es aber,
manche Hindernisse in der Verhandlungs-
substanz zu überwinden – dies gegen die öf-
fentliche Meinung in vielen Ländern, die der
Kasten 1
Bedeutung der WTO für die Schweiz
Die Schweiz ist eine kleine, offene und
stark von der Exportwirtschaft abhängige
Volkswirtschaft. Es ist wichtig, dass die inlän-
dischen Wirtschaftszweige im Export auf glo-
bale Märkte ausgerichtet bleiben, damit das
Land den vollen Nutzen aus der internationa-
len Arbeitsteilung ziehen kann. Der grenzü-
berschreitende Handel von Waren und Dienst-
leistungen, aber auch von Arbeit, Kapital und
Wissen ist ein gesicherter Wachstumsfaktor
und wird durch die Aussenwirtschaftspolitik
des Bundesrates unterstützt.
Das wichtigste Instrument der Schweizer
Aussenwirtschaftspolitik ist die aktive Teil-
nahme am multilateralen Welthandelssystem,
d.h. der WTO. Viele der WTO-Abkommen be-
treffen die Schweiz direkt. Drei Beispiele:
– Dank dem Allgemeinen Zoll- und Handels-
abkommen (Gatt), das den Warenhandel
regelt, kann die Schweiz zu kompetitiven
Bedingungen Güter in die Welt exportie-
ren. Die Zölle auf unsere Exporte Richtung
USA sind die gleichen, wie sie die USA ge-
genüber den EU-Staaten und Japan an-
wendet.
– Das Abkommen über den Dienstleistungs-
handel (Gats) ist das einzige umfassende
Abkommen der Schweiz in diesem Sektor,
der immerhin 73% zum BIP der Schweiz
beiträgt.
– Dank dem Abkommen zum Schutz des
geistigen Eigentums (Trips), werden Pa-
tente unserer Firmen, z.B. im Bereich
Maschinen, Pharma und Uhren geschützt.
Für ein Land wie die Schweiz – einer mitt-
leren Wirtschaftsmacht – bieten international
gemeinsam vereinbarte und durchsetzbare
Regeln den besten Schutz. Die entsprechen-
den Regeln werden für das Handelssystem in
der WTO umfassend ausgehandelt.
1 Vgl. Artikel Fontana, S.65 f. in dieser Ausgabe.
3. Dossier
65 Die Volkswirtschaft Das Magazin für Wirtschaftspolitik 12-2009
Nach dem Konkurs der Investmentbank
Lehman Brothers vom 15. September 2008
in den USA drohten die Finanzmärkte zu-
sammenzubrechen. An ihrem Treffen vom
15. November 2008 in Washington einigten
sich die G20-Staaten1
darauf, protektionis-
tische Massnahmen abzulehnen und eine
Abschottung der Märkte in diesen finanziell
unsicheren Zeiten zu vermeiden. Vor diesem
Hintergrund schlug der WTO-Generaldirek-
tor Pascal Lamy – mit Unterstützung der
G20-Staaten und weiterer WTO-Mitglieder
– anlässlich der Sitzung des Ausschusses für
multilaterale Handelsverhandlungen vom
17. Dezember 2008 vor, einen Bericht über
die Transparenz der von den Mitgliedstaaten
zur Bekämpfung der Wirtschafts- und
Finanzkrise ergriffenen Handelsmassnah-
men zu erarbeiten. Die Initiative wurde am
nächsten Tag vom WTO-Generalrat gut-
geheissen. Der Generaldirektor bezog sich
dabei auf Absatz G, Anhang 3 des Überein-
kommens von Marrakesch zur Errichtung
der WTO, in dem das Organ zur Überprü-
fung der Handelspolitik (OEPC) beauftragt
wird, jährlich eine Übersicht über die Vor-
gänge im Handelsbereich zu erstellen, die
sich auf das multilaterale Handelssystem
auswirken.2
Drei aufeinanderfolgende Berichte
Von Anfang 2009 bis Ende Oktober 20093
gab der Generaldirektor der WTO drei auf-
einanderfolgende Berichte zu den neuen, mit
der Finanz- und Wirtschaftskrise zusam-
menhängenden Entwicklungen im Handels-
bereich heraus.4
Der erste Bericht, der am
26. Januar 2009 veröffentlicht wurde, lieferte
allgemeine Informationen zur Entwicklung
des Handels seit dem dritten Quartal 2008,
als die WTO mit der Finanzkrise und deren
Auswirkungen auf die Weltwirtschaft kon-
frontiert wurde. Insbesondere wurden die
erheblichen Probleme im Bereich der allge-
meinen Politik aufgezeigt, die sich auf das
multilaterale Handelssystem auswirken. Der
zweite Bericht folgte am 26. März und der
dritte Bericht am 1. Juli 2009.
Wenn man die drei aufeinanderfolgenden
Berichte miteinander vergleicht, stellt man
als Erstes fest, dass deren Umfang stark zuge-
nommen hat. Während der erste Bericht nur
rund 15 Seiten umfasste, war der zweite Be-
richt bereits drei Mal so lang. Der dritte Be-
richt fiel mit 81 Seiten nochmals beinahe
doppelt so umfangreich aus. Der erste Be-
richt war noch sehr unvollständig und be-
ruhte weitgehend auf Informationen aus den
Printmedien, dem Internet und anderen
nicht offiziellen Quellen. Die Angaben in den
zwei nachfolgenden Berichten stammten
zwar ebenfalls aus diesen Quellen; doch sie
waren vorgängig den WTO-Mitgliedstaaten
zur Überprüfung vorgelegt worden. Diese
lieferten teilweise zusätzliche Informationen
zu verabschiedeten restriktiven oder posi-
tiven Massnahmen. Die Zunahme des Be-
richtsumfangs lässt sich auch mit dem Um-
stand erklären, dass zahlreiche Massnahmen
– beispielsweise jene zur Rettung des Finanz-
systems und zur Stützung der Konjunktur –
erst in der ersten Hälfte 2009 ergriffen wur-
den. Zudem nutzte das Sekretariat jeden
neuen Bericht als Gelegenheit, um seine Ana-
lyse weiterzuentwickeln und noch detail-
lierter auszuarbeiten: So wurden im zweiten
Bericht die Auswirkungen der Krise auf die
Volkswirtschaften der Entwicklungsländer
untersucht, während im dritten Bericht die
Risiken von protektionistischen Massnah-
men im Finanzbereich analysiert sowie der
bestehende Zusammenhang zwischen Anti-
dumping-Massnahmen und dem Konjunk-
turverlauf überprüft wurden.
Was die eigentliche Handelspolitik an-
belangt, geht aus den drei Berichten hervor,
dass sowohl die WTO-Mitglieder als auch
die Nichtmitglieder zunehmend restriktive
Massnahmen ergriffen. Die Berichte zeigen
aber auch, dass die Staaten bislang auf stark
protektionistische Massnahmen weitgehend
verzichtet haben. Die multilateralen Han-
delsbestimmungen, die in den letzten 60 Jah-
ren festgelegt wurden, bildeten somit in die-
sem Bereich ein solides Bollwerk. Dieses
konnte jedoch nicht verhindern, dass zahl-
reiche WTO-Mitglieder innerstaatlich unter
Druck gerieten und sich unter Umständen
veranlasst sahen, protektionistische Mass-
WTO und Protektionismus: Die Lamy-Initiative
Philippe Fontana
Stv. Leiter Ressort WTO,
Staatssekretariat für
Wirtschaft SECO, Bern
Nach dem Ausbruch der Wirt-
schafts- und Finanzkrise im
September 2008 kamen die Welt-
wirtschaft und der internationale
Handel abrupt zum Erliegen. Die
Folgen dieser Entwicklung sind
weiterhin spürbar. In diesem
Zusammenhang lancierte die
Welthandelsorganisation (WTO)
ein Verfahren zur Überwachung
von Handelsmassnahmen, die von
ihren Mitgliedern ergriffen wer-
den. Damit soll zum einen ein
Minimum an Transparenz gewähr-
leistet werden; zum anderen
geht es darum, die Mitglied-
staaten von protektionistischen
Massnahmen abzuhalten.
1 Siehe www.g20.org/about_what_is_g20.aspx.
2 Siehe WTO, Les textes juridiques: résultats des négocia-
tions commerciales multilatérales du cycle d’Uruguay,
Genf, 1999.
3 Ein vierter Bericht der WTO ist für November 2009 an-
gekündigt.
4 Siehe www.wto.org/english/news_e/archive_e/trdev_
arc_e.htm.
4. Dossier
66 Die Volkswirtschaft Das Magazin für Wirtschaftspolitik 12-2009
ten, und den politischen Strategien, mit de-
nen die Krise überwunden werden soll und
die im Wesentlichen auf eine Zunahme der
weltweiten Nachfrage ausgerichtet sind. Be-
züglich der Massnahmen zur Konjunktur-
belebung und zur Stabilisierung der Finanz-
haushalte ist die WTO der Auffassung, dass
das beste Vorgehen im Bereich der Handels-
politik, um diese zu unterstützen, unter
den gegebenen Umständen in einem Abbau
der Handelsbeschränkungen besteht, um auf
diese Weise weltweit zu tieferen Kosten und
Preisen zu gelangen. Die WTO weist darauf
hin, dass der Nichtdiskriminierungsgrund-
satz die WTO-Mitgliedstaaten bis zum Ab-
schluss der Doha-Runde veranlassen sollte,
keine Verzerrungen des Handels durch neue
Handelsbeschränkungen oder Subventionen
zu verursachen. Wenn die Berücksichtigung
einer solchen Bestimmung im Rahmen der
Innenpolitik nicht möglich ist, sollten die
Staaten nach Auffassung der WTO zumin-
dest dafür sorgen, dass alle verabschiedeten
Massnahmen vollkommen transparent, nicht
diskriminierend und vorübergehend sind.
Zudem sollten multilaterale Beratungen mit
den Handelspartnern der WTO stattfinden
mit dem Ziel, das Risiko-Management so zu
verbessern, dass der Handel so wenig wie
möglich eingeschränkt wird und die Verzer-
rung der Handelsströme auf ein Minimum
beschränkt werden kann.
Fazit
Aus den obigen Ausführungen geht her-
vor, dass bislang zumindest die Berichte des
Generaldirektors dazu beigetragen haben,
die protektionistischen Tendenzen innerhalb
der WTO einzudämmen. Aus handelspoli-
tischer Sicht bleibt zu hoffen, dass die Lamy-
Initiative in den kommenden Monaten und
Jahren weiterhin ihre Funktion als perma-
nente Überwachung der Handelspolitik der
WTO-Mitgliedstaaten wahrnehmen wird.
Das unablässige Bemühen um Transparenz
sollte nicht unter dem Vorwand aufgegeben
werden, dass die schwerste weltweite Finanz-
und Wirtschaftskrise seit dem Zweiten Welt-
krieg vorüber sei. m
nahmen zu ergreifen. Anfang 2009 schienen
zwar viele Staaten diesem Druck noch zu
widerstehen, doch seither ist ein deutliches
Abweichen von dieser Linie festzustellen.
Dies äussert sich in Form von höheren Zöl-
len, neuen nicht-tarifären Massnahmen und
einer Zunahme von Bestimmungen im Be-
reich der handelspolitischen Schutzmassnah-
men (z.B. Anti-Dumping).
Im dritten Bericht sind wieder Anzeichen
für eine Verbesserung im Handelsbereich
auszumachen, zumal verschiedene Regie-
rungen Massnahmen zugunsten einer Libe-
ralisierung oder Erleichterung des Handels
ergriffen haben. Dennoch ist keine Entwick-
lung in Richtung eines Abbaus der Handels-
beschränkungen, die seit Jahresbeginn einge-
führt wurden, festzustellen. Selbst wenn man
von den Schutzmassnahmen im Zusammen-
hang mit der Grippeepidemie A(H1N1) ei-
niger Länder absieht, hat die WTO festge-
stellt, dass seit Anfang März mehr als doppelt
so viele neue protektionistische Massnahmen
als solche zur Liberalisierung oder Erleichte-
rung des Handels ergriffen wurden. Diese
Ausgangslage steht in einem klaren Gegen-
satz zur Entwicklung während der letzten
Jahre, in denen das Pendel eindeutig auf die
andere Seite ausschlug.
Bekämpfung des latenten
Protektionismus
Wie die WTO in ihren Berichten festhält,
besteht das Hauptrisiko gegenwärtig darin,
dass die Regierungen dem Druck in Bezug
auf zusätzliche protektionistische Massnah-
men noch mehr nachgeben werden, falls
sich die Wirtschaftslage weiter verschlech-
tern sollte. Es herrscht somit die Gefahr eines
Ausbaus von Handelsbeschränkungen, die
den internationalen Handel nach und nach
abwürgen könnten. Dies würde die Wirk-
samkeit von politischen Massnahmen beein-
trächtigen, mit denen die weltweite Nach-
frage stimuliert und auf globaler Ebene
wieder ein nachhaltiges Wachstum erreicht
werden soll. Das zweite Risiko ist, dass
«vorübergehende» Massnahmen, die zum
Schutz der Beschäftigung und der Unterneh-
mensgewinne vor den Auswirkungen der
Krise getroffen wurden, zur Erhaltung von
nicht wettbewerbsfähigen Branchen und
sektoriellen Überkapazitäten beitragen. Da-
mit würde der Druck hinsichtlich protektio-
nistischer Massnahmen auch nach einer
Konjunkturerholung beibehalten. Drittens
sollten sich die Regierungen nach Auffassung
der WTO auch mit dem Widerspruch befas-
sen zwischen den handelseinschränkenden
oder -verfälschenden Massnahmen, welche
die Produktion und Erträge fiskalisch belas-
5. Dossier
67 Die Volkswirtschaft Das Magazin für Wirtschaftspolitik 12-2009
Protektionismus ist einer der Stolper-
steine auf dem Weg zum internationalen
Freihandel.1
Bereits das Allgemeine Zoll- und
Freihandelsabkommen (Gatt) von 1947 ver-
pflichtete deshalb die Vertragsstaaten, In-
landware bezüglich Steuern und andere
gesetzliche Bestimmungen nicht besser zu
behandeln als Importware (Inländerbehand-
lung), aber auch mengenmässige Beschrän-
kungen an Ein- und Ausfuhren weder beizu-
behalten noch neu einzuführen. Da das Gatt
1947 nur provisorisch Anwendung fand, be-
hielten sich die Vertragsstaaten das Recht vor,
diese Verpflichtungen nur so weit anzuwen-
den, als diese nicht zum Zeitpunkt des Bei-
tritts mit innerstaatlichen Gesetzen in Wider-
spruch standen (Grossvaterklausel). Seit der
Gründung der WTO und dem Gatt 1994
kommen die genannten Grundsätze für alle
WTO-Mitglieder voll zum Tragen. Damit al-
lein ist allerdings die Gefahr von Protektio-
nismus noch nicht gebannt.
Ein funktionierendes
WTO-Streitbeilegungsverfahren
Die Umsetzung der Regeln des WTO-
Rechts muss sichergestellt und damit ein-
klagbar sein. Die Vereinbarung über Regeln
und Verfahren für die Streitbeilegung (Dis-
pute Settlement Understanding, DSU) ist ein
Meilenstein in der Bekämpfung des Protek-
tionismus. Die Stärkung der Panel und die
Schaffung des Appellate Body als ständige Re-
kursinstanz stellten im Jahre 1994 das bereits
unter dem Gatt 1947 bestehende Streitbeile-
gungsverfahren auf eine neue Grundlage. Bis
zu diesem Zeitpunkt war es einer Streitpartei
freigestanden, die Annahme des entspre-
chenden Panelberichtes durch die Vertrags-
parteien zu verhindern, wenn sie in einem
Streitschlichtungsverfahren unterlegen war.
Der unter dem DSU vollzogene Wechsel bei
der Verabschiedung von Panel- und Appel-
late-Body-Berichten – nämlich vom posi-
Das rechtliche Instrumentarium zur Verhinderung
von Protektionismus
Dr. Patrick Edgar Holzer
Fürsprecher, Ressort WTO,
Staatssekretariat für
Wirtschaft SECO, Bern
Ein funktionierendes WTO-
Streitschlichtungsverfahren ist
zwar kein Garant gegen natio-
nalen Protektionismus. Es stellt
aber doch sicher, dass das WTO-
Recht gegenüber allen WTO-Mit-
gliedern in einem geordneten Ver-
fahren durchgesetzt wird und so
unkontrollierte Handelskriege
verhindert werden können. Seit
der Gründung der WTO ist man
auch dazu übergegangen, neu bei-
tretende Mitglieder zu drängen, in
ihren Beitrittsprotokollen Ver-
pflichtungen zur Verhinderung
von Protektionismus einzugehen.
Dies erhöht den Druck auf die üb-
rigen WTO-Mitglieder, in der Be-
kämpfung des Protektionismus
selber nicht zurückzustehen. Da-
mit wird der Massstab angehoben,
was sich längerfristig positiv auf
den internationalen Freihandel
auswirken wird.
1 Vgl. Brunetti, S. 98 ff.
China verlangt für verschiedene Rohmaterialien Exportzölle, so z.B. für Magnesium (im Bild: Magnesiumabbau am
Chaerhan-Salzsee in China). Am 4. November 2009 haben die USA, die EU und Mexiko die Einsetzung von Panels zur
Überprüfung der WTO-Vereinbarkeit dieser Exportzölle sowie weiterer chinesischer Exportregelungen verlangt.
Bild: Keystone
6. Dossier
68 Die Volkswirtschaft Das Magazin für Wirtschaftspolitik 12-2009
heit besitzen, der WTO beitreten können.
Die Bedingungen sind dabei zwischen jedem
Beitrittskandidaten und der WTO einzeln zu
vereinbaren.3
In der Doha-Ministererklärung
findet sich sodann die Verpflichtung, den
Beitritt der Least Developed Countries (LDC)
zu beschleunigen. Jeder WTO-Beitritt ist also
einzigartig und folgt seinen eigenen Regeln.4
Es steht den WTO-Mitgliedern damit offen,
dem Beitrittskandidaten die Bedingungen
eines Beitritts zu diktieren. Die Modalitäten
eines Beitritts finden sich im jeweiligen Bei-
trittsprotokoll mit den dazugehörigen An-
hängen.
Die WTO-Mitglieder sind bestrebt, den
Beitritt eines Neumitglieds so zu gestalten,
dass potenzielle Reibungsflächen von vorn-
herein erkannt und zufriedenstellende Lö-
sungen erarbeitet werden können. Dabei
geht es in erster Linie darum, dass sich die
Beitrittskandidaten – vor dem Hintergrund
der jeweiligen nationalen Situation – ver-
pflichten, bei WTO-Beitritt das WTO-Recht
einzuhalten. Allerdings ist in der Praxis der
Übergang von einer Klarstellung zu einer
Verdichtung des WTO-Rechts fliessend. Es
kann durchaus sein, dass einzelne WTO-
Mitglieder über ihre nationalen Verpflich-
tungslisten hinaus weitergehende Verpflich-
tungen eingehen, als sie für die übrigen
WTO-Mitglieder gelten.5
Den WTO-Mitglie-
dern steht es also frei, Beitrittskandidaten
Verpflichtungen eingehen zu lassen, die ei-
nen Schutz vor Protektionismus bezwecken;
das Abkommen zur Errichtung der Welthan-
delsorganisation schliesst dies nicht aus. Die
WTO-Mitglieder werden allerdings gut bera-
ten sein, von Beitrittskandidaten nur das zu
verlangen, was sie künftig selber einzuhalten
gewillt sind, wollen sie ihre Glaubwürdigkeit
nicht verlieren. Damit steigt der Druck auf
alle WTO-Mitglieder, in der Bekämpfung
des Protektionismus nicht zurückzustehen.
Gleichzeitig werden Neumitglieder nicht be-
reit sein, gegenüber anderen Beitrittskan-
didaten im Hinblick auf die Bekämpfung
des Protektionismus ihre eigenen Verpflich-
tungen zu unterbieten. Das führt letztlich zu
einer Anhebung des Massstabs, was sich län-
gerfristig positiv auf die Bekämpfung des
Protektionismus auswirken wird. m
tiven zum negativen Konsens – führt heute
in der Praxis dazu, dass neu alle Entschei-
dungen verbindlich sind. Wollte eine Streit-
partei dies verhindern, müsste sie einen
Konsens über die Nichtverbindlichkeit einer
Entscheidung erlangen. Diesem Konsens
müsste sich auch die andere Streitpartei an-
schliessen, was wenig wahrscheinlich ist.
Das WTO-Streitbeilegungsverfahren ist
ein wesentlicher Faktor für die Berechenbar-
keit – und damit auch die Stabilität – des
multilateralen Handelssystems. Vorausset-
zung hierfür ist allerdings, dass Situationen,
in denen ein Mitglied der Auffassung ist, ihm
mittelbar oder unmittelbar zustehende Vor-
teile würden durch Massnahmen eines ande-
ren Mitglieds geschmälert, schnellstmöglich
bereinigt werden. Die WTO-Mitglieder sind
sich bewusst, dass ein Streitbeilegungsverfah-
ren längere Zeit in Anspruch nehmen kann.
Einer einvernehmlichen Lösung der Streit-
parteien in einem Disput gebührt damit stets
der Vorrang. Dies ist auch der Grund, wes-
halb die Streitparteien bei Anrufung des
WTO-Streitbeilegungsmechanismus die Fä-
den nicht aus der Hand geben und einen
Rechtsstreit jederzeit gütlich beilegen kön-
nen.
Von einem Streitfall können alle WTO-
Mitglieder direkt oder indirekt betroffen sein.
Das Streitbeilegungsverfahren läuft deshalb
in klar definierten Phasen, in welchen ein
Ausgleich gewährleistet sein muss zwischen
den Streitparteien einerseits und dem An-
spruch der übrigen WTO-Mitglieder – insbe-
sondere der Drittparteien – auf einen Einbe-
zug in die Verfahren andererseits. Die Frage,
welches das richtige Gleichgewicht sein soll,
ist Teil der laufenden Revision des WTO-
Streitbeilegungsverfahrens.2
Das WTO-Streitbeleigungsverfahren ge-
niesst unter den WTO-Mitgliedern eine sehr
hohe Akzeptanz. Fälle, in welchen sich ein
WTO-Mitglied geweigert hätte, an einem
Panelverfahren mitzuwirken, sind keine be-
kannt. Trotzdem wäre es verfehlt anzuneh-
men, dass ein funktionierendes Streitbei-
legungsverfahren einziger Garant gegen
Protektionismus wäre.
Gestaltung der Beitrittsprotokolle von
WTO- Beitrittskandidaten
Die Voraussetzungen, welche Staaten und
separate Zollgebiete erfüllen müssen, um der
WTO als Neumitglieder beitreten zu dürfen,
lassen sich dem WTO-Recht nicht im Detail
entnehmen. Das Abkommen zur Errichtung
der Welthandelsorganisation sieht lediglich
vor, dass alle Staaten und separate Zollge-
biete, die in der Wahrnehmung ihrer Aussen-
handelsbeziehungen völlige Handlungsfrei-
Kasten 1
Literatur und Judikatur
– Aymo Brunetti: Volkswirtschaftslehre. Eine
Einführung für die Schweiz, Bern 2006.
– Peter John Williams: A Handbook on Ac-
cession to the WTO. A WTO Secretariat Pu-
blication, Genf 2008.
– Thomas A. Zimmermann: Negotiating the
Review of the WTO Dispute Settlement Un-
derstanding, London: Cameron, Mai 2006
(www.zimmermann-thomas.de/publika-
tionen/zimmermann_2006_book_dsu.pdf).
– China – Measures Affecting Trading Rights
and Distribution Services for Certain Publi-
cations and Audiovisual Entertainment
Products, WT/DS363/R, Panelbericht vom
12. August 2009 (noch nicht angenom-
men).
2 Siehe zur DSU-Revision ausführlich Zimmermann, 79 ff.
3 Seit 1995 sind 25 neue WTO-Mitglieder aufgenommen
worden: Ecuador, Bulgarien, Mongolei, Panama, Kirgis-
tan, Lettland, Estland, Jordanien, Georgien, Albanien,
Oman, Kroatien, Litauen, Moldawien, China, Separates
Zollgebiet von Taiwan, Penghu, Kinmen und Matsu,
Armenien, frühere jugoslawische Republik Mazedonien,
Nepal, Kambodscha, Saudi-Arabien, Vietnam, Tonga,
Kapverden und Ukraine.
4 Vgl. Williams, S. 48 ff.
5 So in Bezug auf China das Panel in China –Trading Rights
and Distribution Services, WT/DS363/R, § 7.281.
7. Dossier
69 Die Volkswirtschaft Das Magazin für Wirtschaftspolitik 12-2009
Die protektionistischen Massnahmen im
Zusammenhang mit der Krise werden von
verschiedenen Organisationen registriert
und untersucht. Eine davon ist die von der
Schweiz ausgehende Kontrollinitiative Glo-
bal Trade Alert (GTA), die am 8. Juni 2009
von Professor Simon Evenett von der Uni-
versität St.Gallen lanciert wurde. Das GTA-
Team, das aus einem weltweiten Netz von
Handelsforschern besteht, hat über 400 Fälle
von staatlichen Interventionen untersucht,
die bestimmte Handelsströme beeinträchti-
gen könnten. Die Bandbreite dieser Interven-
tionen reicht von weitreichenden staatlichen
Massnahmen mit zahlreichen Auswirkungen
auf den Handel über nationale Investitions-
politik bis hin zu befristeten Zollerhöhungen
bei einzelnen Produktlinien.
Diese Untersuchungen haben gezeigt, dass
der durch die Krise bedingte Protektionis-
mus zunimmt. Ebenso klar geht daraus her-
vor, dass die G20-Staaten das bei allen
Gipfeltreffen abgegebene Versprechen, auf
protektionistische Massnahmen zu verzich-
ten, nicht wirklich einhalten.
Die protektionistische Dampfwalze rollt
Eine der wichtigsten Erkenntnisse der
GTA ist, dass der Trend hin zu mehr Protek-
tionismus weiter anhält. Bisher wurden in
jedem Quartal 2009 rund 70 staatliche Mass-
nahmen umgesetzt, die gegen ausländische
Wirtschaftsinteressen verstossen dürften.
Von den 280 seit November 2008 weltweit
ergriffenen staatlichen Initiativen verän-
derten 192 die Spielregeln zugunsten hei-
mischer Wirtschaftsinteressen und zum
Nachteil ausländischer Unternehmen, oder
sie bevorzugten designierte ausländische
Handelspartner auf Kosten der übrigen. Wei-
tere 48 staatliche Massnahmen weisen ver-
dächtige Merkmale auf und könnten zumin-
dest bestimmte Interessen von ausländischen
Firmen beeinträchtigen.
Nicht alle von GTA untersuchten staat-
lichen Eingriffe sind indes als protektionis-
tisch zu klassifizieren. In 40 Fällen handelte
es sich gemäss GTA um Massnahmen, die
eine Liberalisierung des globalen Warenaus-
tausches, eine bessere Transparenz im Han-
delsregime oder keine Änderung der Be-
handlung von ausländischen Unternehmen
zur Folge hatten.Viele der analysierten Haus-
haltsgesetze aus afrikanischen Ländern süd-
lich der Sahara beinhalten Zollsenkungen
auf der Einfuhr von Betriebsmitteln, Teilen
und Komponenten. Darüber hinaus haben
elf Staaten einseitig ihr Investitionsregime li-
beralisiert und ihre Barrieren für auslän-
dische Kapitalgeber gesenkt.
Insgesamt ist aber dennoch festzustellen,
dass die Staaten dem bestehenden Druck
nachgeben und protektionistische Mass-
nahmen ergreifen. So wurden weltweit fünf-
mal mehr diskriminierende Interventionen
als Liberalisierungsmassnahmen umgesetzt.
Ausserdem sind viele der angekündigten
Massnahmen noch nicht umgesetzt worden.
Von den 140 solcher registrierten Massnah-
men werden nach ihrer Realisierung über
100 eine Beeinträchtigung ausländischer
Wirtschaftsinteressen zur Folge haben.
Wiederholter Wortbruch der G20-Staaten
Einer der bedrückendsten Befunde im
neuesten Bericht der GTA ist wohl der
Umstand, dass die G20-Mitglieder ihr Ver-
sprechen mehrfach gebrochen haben. Diese
Staaten sind für 172 der untersuchten und in
der Datenbank festgehaltenen Massnahmen
verantwortlich. Davon wurde bei 121 eine
Diskriminierung von ausländischen Wirt-
schaftsinteressen festgestellt. Nur 23 dieser
diskriminierenden Massnahmen beinhalten
die Erhebung von Antidumping- oder Aus-
gleichszöllen oder Schutzmassnahmen. Da-
raus lässt sich der Schluss ziehen, dass die
G20-Staaten in beträchtlichem Umfang
von Massnahmen jenseits des multilateralen
Handelssystems Gebrauch machten. Da seit
dem ersten G20-Gipfel zur Finanz- und
Wirtschaftskrise in Washington DC lediglich
300 Tage verstrichen sind, lässt sich festhal-
ten, dass durchschnittlich alle drei Tage ein
G20-Mitglied sein Versprechen gebrochen
hat, auf protektionistische Massnahmen zu
verzichten. Keine andere Statistik in diesem
Bericht weist den Mangel an globaler Füh-
rung im Kampf gegen den zeitgenössischen
Protektionismus deutlicher aus.
Protektionistische Massnahmen können
mit negativen Folgen für verschiedene Pro-
duktgruppen, Sektoren oder Handelspartner
verbunden sein. Somit besteht keine zentrale
Handelsprotektionismus und die globale Krise
Prof. Dr. Richard Baldwin
Professor für internatio-
nale Wirtschaft, Graduate
Institute, Genf
Auch wenn es erste Anzeichen für
eine Erholung gibt, die Weltwirt-
schaft befindet sich nach wie vor
in einer Rezession, und das globale
Handelsvolumen liegt noch weit
unter dem Niveau von 2008.
Wie bei früheren Rezessionen und
Phasen abnehmenden Handels-
volumens geht auch diese Krise
mit einer Zunahme von protektio-
nistischen Massnahmen einher.
Falls sich die Rezession verschlim-
mert, werden die protektionis-
tischen Tendenzen weiter zuneh-
men. Doch dies ist nicht Protektio-
nismus im Stil der 1930er-Jahre.
Im Rahmen ihrer Massnahmen zur
Bekämpfung der Krise entwickeln
die Regierungen neue, weniger
offensichtliche Formen von Pro-
tektionismus, mit denen auslän-
dische Unternehmen, Arbeitneh-
mende und Investoren – vielfach
auf subtile Weise – diskriminiert
werden. Stark zugenommen
haben auch von der WTO zugelas-
sene Schutzmassnahmen, wie
beispielsweise Antidumping-
Massnahmen.
8. Dossier
70 Die Volkswirtschaft Das Magazin für Wirtschaftspolitik 12-2009
mit schädigenden Auswirkungen verbunden
ist, sollte das dafür verantwortliche G20-Mit-
glied öffentlich bestätigen, dass die Mittel,
die zur Erreichung der betreffenden Ziele
festgelegt wurden, für die Handelspartner die
geringstmögliche Belastung zur Folge haben.
Zweitens sind handelsverzerrende Mass-
nahmen, die von den bedeutenden Kontroll-
initiativen eruiert werden, zu überprüfen und
abzubauen. Wir empfehlen dringend, dass je-
des G20-Mitglied alle bedeutenden krisenbe-
zogenen Wirtschafts- und Finanzprogramme
sowie alle handelspolitischen Initiativen, die
seit dem ersten G20-Gipfel umgesetzt wur-
den, zweimal jährlich einer Überprüfung un-
terzieht. Im Rahmen dieser Überprüfung
sollte geklärt werden, ob:
− die betreffende Initiative nach wie vor er-
forderlich ist;
− alle Massnahmen notwendig sind, um die
Ziele der jeweiligen Initiative zu errei-
chen;
− die getroffenen Massnahmen durch an-
dere ersetzt werden können, mit denen
die gleichen Ziele erreichbar, aber für die
Handelspartner mit einer geringeren Be-
lastung verbunden sind;
− die Initiativen auf den besten internatio-
nalen Praktiken beruhen;
− die Initiativen evidenzbasiert und gut
durchdacht sind.
Zudem sind die Initiativen auf der G20-
Website zu veröffentlichen. Im Anschluss an
jede Überprüfung ist festzulegen, ob die Ini-
tiative einzustellen ist, ob die stark handels-
verzerrenden durch weniger verzerrende
Massnahmen ersetzt werden müssen oder ob
ihre Ziele mit der geringstmöglichen Belas-
tung erreicht werden und sie deshalb beibe-
halten werden kann. Mit solchen Überprü-
fungen würden evidenzbasierte, transparente
Bewertungen von staatlichen Initiativen ge-
fördert, die unter Umständen im Rahmen
eines emotional aufgeheizten politischen
Prozesses erarbeitet und in einer ersten
Phase auch umgesetzt wurden. Dadurch
könnte ein Prozess angestossen werden, in
dessen Rahmen einige der mit der Krise zu-
sammenhängende schädigende Massnahmen
abgebaut werden könnten, der den Handels-
partnern und letztlich der Weltwirtschaft ei-
nen dringend benötigten Auftrieb verleihen
würde. m
Kennzahl, anhand der sich die auffälligste
Nation genau bestimmen liesse. Vergleicht
man allerdings die Statistiken zu den umge-
setzten schädlichen Massnahmen zu betrof-
fenen Zolllinien, Sektoren oder Handelspart-
nern, stellt man fest, dass Indonesien stets zu
den fünf aktivsten schädigenden Staaten ge-
hört – und Indonesien ist Mitglied der G20!
Ausserdem finden sich China und Russland
in allen Top-Ten-Klassierungen dieser Kate-
gorien. Bei immerhin drei der vier genann-
ten Schadensdimensionen belegen auch
Deutschland und Indien einen Rang unter
den zehn schädigendsten Ländern.
Der Ukraine gebührt die zweifelhafte
Ehre, das Land mit neu eingeführten Han-
delsschranken auf den meisten Zolllinien zu
sein (60% aller Produktkategorien). Algerien
belegt den Spitzenplatz in der Rangliste für
die meisten betroffenen ausländischen Wirt-
schaftssektoren, und China schädigt die
meisten Handelspartner (insgesamt 163).
Die handelshemmenden Massnahmen von
zehn Nationen – darunter Deutschland,
Frankreich, Grossbritannien, Polen, Spanien
und die USA – betreffen nach konservativen
Schätzungen jeweils mehr als 100 Handels-
partner.
Von den 18 Staaten, die in den vier ver-
schiedenen Kategorien zu den zehn schädi-
gendsten Nationen gehören, haben zwölf im
Rahmen der G20 das Versprechen abgegeben,
auf protektionistische Massnahmen zu ver-
zichten – nämlich Argentinien, China,
Deutschland, Frankreich, Grossbritannien,
Indien, Indonesien, Italien, Japan, Mexiko,
Russland und die USA.
Was muss unternommen werden?
Bislang haben die G20-Staaten kaum et-
was gegen die Zunahme des Protektionismus
getan. Erforderlich wären daher substanzielle
Massnahmen. Statt einfach ihre früheren,
leeren Versprechungen zum Abschluss der
Doha-Runde zu wiederholen, sollten die Ver-
antwortlichen der G20-Länder die Schritte
einleiten, die zur Bekämpfung des derzeit
zunehmenden Protektionismus notwendig
sind. In diesem Zusammenhang sollten ins-
besondere die folgenden zwei Initiativen
realisiert werden:
Erstens muss die Pipeline mit den ge-
planten protektionistischen Massnahmen tro-
ckengelegt werden. Wir schlagen vor, dass sich
alle G20-Mitglieder verpflichten sollten, alle
ihre bedeutenden wirtschaftlichen Massnah-
men, die für die kommenden zwölf Monate
geplant sind, offen zu legen und anschlies-
send zu überprüfen. Auf gänzlich diskrimi-
nierende Ziele sollte verzichtet werden. Wenn
das Ziel einer geplanten Massnahme nicht