Wissensmanagement - Informelles Lernen im betrieblichen Kontext
Zukunftsforschung und Innovation - ... wissen was kommt
1. Sandra
Schön
und
Mark
Markus
Zukunftsforschung und Innovation
… wissen was kommt
Der
Einsatz
von
Technologien
beim
Lernen
und
Lehren
unterliegt
einem
schnellen
Wandel.
Aber
nicht
alles
über
das
gerade
noch
begeistert
berichtet
wird,
erfüllt
die
Erwartungen
und
findet
tatsächlich
Eingang
in
die
Unterrichtspraxis.
Aus
den
WirtschaHswissenschaHen
liegen
Modelle
für
die
Aufnahme
von
Techno-‐
logien
und
Innova'onen
am
Markt
vor,
die
bei
der
Beurteilung
der
aktuellen
Situa'on
helfen
können.
Ebenso
gibt
es
aus
dem
Bereich
der
ZukunHsforschung
Verfahren,
die
für
technologiegestütztes
Lernen
und
Lehren
künHige
Entwicklungen
vorherzusagen
versuchen.
Dabei
werden
in
der
Regel
Exper'nnen
und
Experten
aus
unterschiedlichen
Disziplinen
gebeten,
Einschätzungen
abzugeben.
Abschließend
werden
in
diesem
Kapitel
Verfahren
und
Ini'a'ven
beschrieben,
die
ak'v
bei
der
Entwicklung
von
Innova'onen
un-‐
terstützen
können.
Quelle:
quapan
URL:
hEp://www.flickr.com/photos/hinkelstone/2765597758/
[2011-‐01-‐01]
#innova'on
#spezial
#theorieforschung
Version
vom
1.
Februar
2011
Für
dieses
Kapitel
wird
noch
ein
Pate
gesucht,
Jetzt Pate werden! mehr
Informa'onen
unter:
hEp://l3t.eu/patenschaH
2. 2
—
Lehrbuch
für
Lernen
und
Lehren
mit
Technologien
(L3T)
1. Einleitung
Eine
Innova'on
ist,
aus
dem
Lateinischen
abgeleitet,
Moderne Medien und Technologien haben das ! eine
Neuerung,
eine
Erneuerung,
eine
Neueinführung
oder
eine
Neuheit.
Für
WirtschaHswissenschaHler
ist
Lernen und Lehren in den letzten Jahrzehnten dabei
auch
der
verbundene
wirtschaHliche
Markt-‐
deutlich verändert und neugestaltet. War die Schiefer- erfolg
bedeutsam,
der
Innova'onen
von
Erfindungen
tafel etlichen Urgroßeltern heutiger Studierenden unterscheidet.
noch bekannt, gehören heute Lernende mit eigenen
Laptops in das Bild eines Hörsaals an Universitäten Radikale Innovationen gibt es im pädagogischen
oder in Weiterbildungsseminaren. Gerade die Er- Feld nur selten. Dies würde bedeuten, dass ein ganz
findung und Verbreitung des World Wide Web inten- neues Produkt, neue Dienstleistungen oder neue
sivierte Diskussionen zu den Folgen von neuen Tech- Konzepte entwickelt würden, die vorher nicht exis-
nologien für den Bildungsbereich. So ist es mit Hilfe tierten. Ein Beispiel für eine radikale Innovation im
des Internets nun sehr viel einfacher und nahezu Schulsystem ist die massive Aufwertung der schrift-
überall möglich, an Informationen und Wissen zu ge- lichen Informationsmittel sowie die gleichzeitige Ent-
langen. Mit den neuen Technologien verändern sich wertung des gesprochenen Wortes in der Lehre im
aber nicht nur konkrete Arbeitsweisen, sondern ent- Zuge der Einführung der Buchdrucktechnologie im
wickeln sich vielfach auch neue Lehrkonzepte und 15. Jahrhundert (Giesecke, 1994, 29ff). Ein anderes
-kulturen. Die Webtechnologien und die damit pro- Beispiel ist die Einführung der „schwarzen Tafel“:
pagierten Werkzeuge für das Lernen stellen hohe Er- „Die Pädagogen, die die 'Große Schultafel' in ihren
wartungen an die Selbstlernkompetenz der Ler- Unterricht einführten, wurden [zu Beginn] mit Be-
nenden und Lehrenden und verändern die Rolle letz- rufsverbot belegt […] Die 'Große Schultafel' machte
terer vom Experten weg hin zum Lernunterstützer. sozial-kommunikative Unterrichtsprozesse möglich,
Eine Vielzahl von Initiativen und Projekten be- die im Vergleich zum herkömmlichen Unterricht […]
mühen sich, zukünftige Entwicklungen für den als subversiv erlebt wurden“ (Wagner, 2004, 170; ver-
Einsatz von Technologien vorherzusagen, mitzuge- weist auf Petrat, 1979).
stalten und auch Neues zu entwickeln. Dieser Beitrag Erneuerungen im Bereich des technologiege-
bietet einen ersten Einstieg und Überblick über die stützten Lernens und Lehrens sind häufig Anpas-
Methoden und Ansätze, wie sich die aktuelle Be- sungen, beispielsweise von vorhandenen Techno-
deutung von technologischen Entwicklungen am logien für den Lernkontext, ohne dass sie eine ra-
Markt bewerten lässt, wie Zukunftsforschung durch- dikale Innovation darstellen. So wurden Diskussions-
geführt wird und wie Innovationsentwicklung syste- foren, wie sie im Web schon bekannt waren, mit einer
matisch betrieben werden kann. gewissen Verzögerung auch im webbasierten Unter-
richt eingesetzt.
2. Vom
Buzzword
und
Innova8onen
3. Theorien
zur
Einführung
von
Technologien
In der Informationstechnologie allgemein und auch
in der (wissenschaftlichen) Diskussion zum technolo- Es gibt eine Reihe von Vorschlägen, die beschreiben,
giegestützten Lernen insbesondere ändert sich wie Innovationen und Technologien am Markt aufge-
schnell, was gerade „en vogue“ beziehungsweise „in“ nommen werden. Diese Konzepte stammen weitest-
ist. Vermeintlich potente Technologien und Lern- gehend aus den Wirtschaftswissenschaften. Sie helfen
trends entwickeln sich rasch zu Buzzwords (englisch dabei, den aktuellen Stand von Technologien und In-
für „Modewort“). Häufig sind dies Wortneuschöp- novationen am Markt einzuschätzen.
fungen oder neuartige Technologien: Sie dürfen in
Diffusionstheorie
nach
Roger
und
Moore
keinem Beitrag oder Antrag mehr fehlen und sorgen
für Aufmerksamkeit. Ob sie dann wirklich nachhaltig Bekannt ist der Ansatz von Roger (2003), der die Ad-
die Lern- und Lehrpraxis innovieren, ist dabei in der aption von Technologien bzw. die Verbreitung von
Regel unklar. Technologien anhand der erreichten Kundengruppen
Für Praktiker/innen ist es nicht immer einfach, beschreibt: Die ersten 2,5 Prozent der potentiellen
zwischen kurzfristigen Modeerscheinungen und tat- Nutzer/innen einer Technologie bezeichnet er als
sächlichen Innovationen und Trends im technolo- „Innovatoren“ und beschreibt diese als aggressive
giegestützten Lernen zu unterscheiden beziehungs- Verfolger/innen von neuen technologischen Trends.
weise hier Einschätzungen zu treffen. Danach folgen die „Early Adoptors“ („frühe Über-
nehmer“), sie sind seltener Technologen und kaufen
diese Produkte, weil sie damit Visionen verbinden.
3. ZukunHsforschung
und
Innova'on
…
wissen
was
kommt—
3
Selbst wenn diese beiden Gruppen erreicht wurden, der Produktivität bezeichnet werden. Obwohl der
ist noch nicht abgesichert, dass eine Technologie Hype-Zyklus nach rechts eine zeitliche Dimension
auch Markterfolg haben wird und die weiteren beinhaltet, können einzelne Trends diesen Hype-
Gruppen der „frühen Mehrheit“ (engl. „early ma- Zyklus schneller durchlaufen als andere. Gemein
jority“) also eher konservative, aber für Neues offene haben sie alle, dass nach der Entwicklung oder Ent-
Personen oder auch die „späte Mehrheit“ der älteren, deckung und einer ersten Euphorie das „Tal der Ent-
schlechter ausgebildeten und konservativen Personen täuschungen“ folgt, aus dem sie nur mehr schwer und
(engl. „late majority“ und schließlich die Nachzügler mit unter sehr langsam herauskommen. Obwohl nach
erreicht. Rogers beschreibt also mit seinem Modell der Darstellung naheliegend, wird nicht jede neue
die Art der Diffusion von technologischen Entwick- Technologie zwangsläufig vom Markt akzeptiert und
lungen bei Kundengruppen. erreicht das „Plateau der Produktivität“.
Moore (1999, 12ff) erweitert das Modell und Auch im Bereich der Lerntechnologien und des
nennt die Herausforderung „Chasm“, die Kluft, die Lernens und Lehrens mit Technologien allgemein
überschritten werden muss, damit der Erfolg möglich kann man die hier beschriebenen Phasen, insbe-
ist und gibt dazu in seinem vielzitierten Buch sondere die der überzogenen Erwartungen, oft vor-
„Crossing the Chasm“ Empfehlungen. finden. Häufig wird diese Phase auch parallel von
(überzogenen) Befürchtungen begleitet, so die Furcht
der zukünftigen geringeren Bedeutung der Leh-
Ist
dieses
wirtschaHliche
Konzept
für
Technologieein-‐ renden durch den Einsatz von Technologien im Un-
? führungen
ohne
weiteres
auf
technologiegestütztes
Lernen
zu
übertragen?
Disku'eren
Sie
dazu,
was
terricht.
genau
der
„Markt“
ist
und
in
welcher
Weise
hier
Inno-‐
va'onen
„Produkte“
sind.
Wo
lassen
sich
Ihrer
Meinung
nach
derzeit
Begriffe
Hype-‐Zyklus
nach
Gartner
? wie
„E-‐Learning
2.0",
„E-‐Porpolio"
und
„Personal
Learning
Environment"
auf
dem
Hype-‐Zyklus
ein-‐
ordnen?
Ergänzen
Sie
eigene
Begriffe.
Ein bekanntes Modell zur Beschreibung des Standes
von Technologieeinführungen ist der Hype-Zyklus
von Gartner. Gartner ist ein Beratungsunternehmen, Sammeln
Sie
Beispiele
aus
dem
Gebiet
des
technolo-‐
das sich unter anderem auf die Bewertung und Pro-
gnose von technologischen Trends spezialisiert hat.
? giegestützten
Lernens,
für
die
das
Konzept
des
Hype-‐
Zyklus
unpassend
erscheint
und
disku'eren
Sie
die
Es hat dabei den Hype-Zyklus als typischen Prozess Beispiele
mit
Ihren
Mitlernenden.
bei der Einführung neuer Technologien entwickelte
(siehe Abbildung 1).
4. ZukunLsforschung
Um mehr über zukünftige Entwicklungen zu er-
fahren und diese einschätzen zu können, gibt es eine
Reihe von Initiativen und Projekten, die regelmäßig
Einschätzungen zur Zukunft des Lernens und
Lehrens mit Technologien abgeben.
Bei den nun angeführten Methoden wird dabei auf
das Wissen von Expertinnen und Experten gesetzt.
Ihre Meinungen aus ganz unterschiedlichen Diszi-
plinen und die Effekte, die durch den Austausch und
durch Aggregation ihrer Aussagen entstehen, werden
als wesentlich dafür erachtet, gute Einschätzungen
zukünftiger Entwicklungen zu erhalten.
Abbildung
1:
Der
Hype-‐Zyklus
nach
Gartner
Im Folgenden beschreiben wir kurz häufiger ver-
wendete Methoden der Zukunftsforschung und Bei-
spiele für ihren Einsatz: die Delphi-Methode, die Sze-
Der Hype-Zyklus wird in fünf Phasen unterteilt, nario-Technik und die Methode des Road Mapping.
die mit (1) technologischer Auslöser, (2) Gipfel der Zusätzlich beschreiben wir die Methode des Ho-
überzogenen Erwartungen, (3) Tal der Enttäu- rizon-Report, der jährlich erscheint und künftige Ent-
schungen, (4) Pfad der Erleuchtung und (5) Plateau wicklungen beim technologiegestützten Lernen und
4. 4
—
Lehrbuch
für
Lernen
und
Lehren
mit
Technologien
(L3T)
Lehren beschreibt sowie die Methode Prediction tives Vorgehen) sondern auch Einschätzungen und
Markets. Alle Methoden schließen von aktuellen auf Vermutungen von Expertinnen und Experten (quali-
zukünftige Fälle (induktive Schlussfolgerungen) und tatives Vorgehen). Beispielsweise wird diese Methode
sind daher erkenntnistheoretisch kritisierbar. Ande- am „Institute for Prospective Technological Studies“
rerseits muss man bedenken, dass man bei eigenen im Feld des technologiegestützten Lernens eingesetzt
und bei Handlungen von Organisationen nicht (Miller et al., 2008, 23). E-Learning-Szenarien zu ent-
umhin kommt, eine Zukunft vorwegzunehmen. Die wickeln wird, beispielsweise als Methode empfohlen,
Frage ist daher nicht ob, sondern nur wie man diese wenn man Entscheidungen zum zukünftigen Einsatz
Zukunft vorwegnimmt: Intuitiv oder doch einiger- von Lerntechnologien in Einrichtungen treffen will
maßen systematisch. (Hamburg et al., 2005).
Die
Delphi-‐Methode Die
Methode
Road
Mapping
Die Delphi-Methode ist ein mehrstufiges Verfahren, Beim „Road Mapping“ werden Landkarten bezie-
bei dem Expertinnen und Experten aus unterschied- hungsweise Fahrpläne zukünftiger Entwicklungen be-
lichen Disziplinen in moderierten Gruppendiskus- schrieben und aufgezeichnet. Typischerweise werden
sionen zukünftige Trends und Entwicklungen identi- dazu systematisch zentrale Herausforderungen und
fizieren. Durch den Austausch der Experten und Zu- Möglichkeiten für Aktivitäten beschrieben und mit
sammenfassung der ersten Runde wird erwartet, dass Entwicklungszielen und Meilensteinen auf einer
sich die Einschätzungen in den weiteren Runden Zeitachse illustriert (Kosow & Gaßner, 2008, 65).
konsolidieren. Die Delphi-Methode kann auch Road Mapping wird dabei in vier Formen durchge-
schriftlich erfolgen, wie es beispielsweise bei einer führt: für Unternehmen, für Branchen, für Forschung
Befragung zur Einschätzung der zukünftigen Ent- und Entwicklung sowie problemorientiertes Road
wicklungen von Online-Prüfungen eingesetzt wurde: Mapping (ebenda). Wie bei der Szenario-Technik
Schaffert (2004) hat dazu 48 Expertinnen und Ex- werden dabei auch unterschiedliche Entwicklungen
perten in einer zweistufigen schriftlichen Befragung beschrieben. Dabei wird auch der Rückwärtsblick ein-
Aussagen bewerten lassen. Während es beim ersten gesetzt: Ausgehend von einer in der Zukunft (er-
Durchgang noch ein weites Spektrum an Aussagen wünschten) Entwicklung werden Meilensteine und
und zukünftigen Entwicklungen gab, ergab sich in das Vorgehen beschrieben, wie man diese erreicht hat
der zweiten Runde ein moderateres Bild: Die Be- und welche Faktoren dabei entscheidend waren.
fragten kamen beispielsweise zu dem Ergebnis, dass Ein Beispiel für Road Mapping in unserem Feld ist
Online-Prüfungen vor allem in Branchen in denen die Arbeit eines EU-Projekts zu freien Bildungsmate-
Computer als Arbeitsgerät zum Alltag gehören, zu- rialien (siehe Kapitel #openaccess). Die „OLCOS
künftig häufiger eingesetzt werden wird. Roadmap 2012“ untersucht so mögliche Wege zu
einer Erhöhung der Erstellung, Verbreitung und
Die
Szenario-‐Technik
Nutzung von freien Bildungsmaterialien und gibt
Einen sehr breiten Ansatz verfolgt die Szenario- dabei Empfehlungen für notwendige Maßnahmen
Technik (Steinmüller, 2002; Grunwald 2002). Die auf Ebene von (politischen) Entscheidern (Geser,
Szenario-Technik wurde in den 1950er Jahren im Mi- 2007).
litär entwickelt um Strategien zu entwickeln sowie
Die
Methode
des
Horizon-‐Reports
Entwicklungen und Ergebnisse von komplexen Situa-
tionen einzuschätzen. Die Szenario-Technik versucht Wegen seiner großen Verbreitung und Bekanntheit,
dabei Orientierungswissen zu geben, was in naher beschreiben wir auch eigens das Vorgehen des Ho-
Zukunft passieren wird. Typischerweise werden dabei rizon-Reports (Johnson et al., 2009). Basierend auf
drei Szenarien untersucht: Zunächst einmal das wahr- der Delphi-Methode nutzt das Horizon-Report-Team
scheinlichste, überraschungsfreie mögliche Szenario. die Wiki-Technologie um fast hundert Technologien
Dann gibt es das Worst-Case-Szenario, also eine Be- und mehrere Dutzend Trends und Herausforde-
schreibung der Entwicklung im schlechtesten Falle. rungen zu sammeln, die möglicherweise im Report
Schließlich gibt es noch ein bestmögliches Szenario, erscheinen könnten (ebenda, S. 30). Die beteiligten
also eine Beschreibung für eine bestmögliche, ge- Expertinnen und Experten können diese Entwick-
wünschte Entwicklung (Boon et al., 2005, 207). Die lungen des Wikis durch RSS-Feeds verfolgen, er-
Szenario-Technik zielt also darauf ab, das ganze halten auch weitere Materialien zu Lerntrends und
Spektrum möglicher Entwicklungen aufzuzeigen, und Technologien und bekommen dann den Auftrag, die
nutzt dabei nicht nur Zahlen und Fakten (quantita- fünf Fragen des Horizon-Reports zu beantworten.
5. ZukunHsforschung
und
Innova'on
…
wissen
was
kommt—
5
Für den Report des Jahres 2009 haben auf diese 5. Güte
und
Kri8k
der
ZukunLsforschung
Weise 45 internationale Expertinnen und Experten Zukunftsforschung gehört in eine Grauzone wissen-
beispielsweise folgende erste Frage beantwortet schaftlicher Verfahren. Ihre Güte zu bewerten und
„Welche Technologien zählen Sie zu den etablierten sie kritisch zu betrachten ist notwendig.
Technologien in Bildungseinrichtungen die heute Gütekriterien wissenschaftlichen Arbeitens sind
breit eingesetzt werden sollten, um das Lehren, unter anderem die Gültigkeit von Aussagen und ihre
Lernen, Forschung und Kreativität zu unterstützen Korrektheit. Auf den ersten Blick sind das auch Er-
oder zu verbessern?“. Zu allen Antworten erfolgen wartungen, die man an die Forschung über zu-
(gewichtete) Abstimmungen, die schließlich in der künftige Entwicklungen heranträgt: Man will
Auswahl von Aussagen beziehungsweise Techno- schließlich verlässlich erfahren, was zukünftig pas-
logien und Lerntrends resultieren. Dann werden siert. Gute Aussagen sollten demnach zukünftig zu-
schließlich für unterschiedliche Zeithorizonte jeweils treffen. Auf dem zweiten Blick wird jedoch deutlich,
zwei Trends ausgewählt, die auf breiter Basis in Bil- dass Zukunftsforschung häufig betrieben wird, um
dungseinrichtungen implementiert werden. Für den Planungen und Strategien zu beeinflussen, also auch
Zeithorizont bis zu einem Jahr waren das für das Jahr um Zukunft aktiv zu beeinflussen. In diesem Sinne
2010 „Mobile Computing“ und „Open Content“ kann Zukunftsforschung auch davor bewahren,
(Abbildung 2). falsche Entscheidungen zu treffen. Die Vorhersagen
treffen dann gerade eben wegen der guten Forschung
Predic8on
Markets
nicht ein (Grunwald, 2002).
Ein weiteres Verfahren nennt Alexander (2009) in Ob es sich um eine qualitativ hohe Studie zur Zu-
einer Auflistung von Verfahren zur Zukunftsfor- kunft von Lernen und Lehren mit Technologien
schung, das eventuell zukünftig auch für technologie- handelt, lässt sich aber dennoch bewerten. Boon et al.
gestütztes Lernen und Lehren eingesetzt werden (2005) haben so ein Konzept zur Bewertung der
könnte: Bei der Methode „Prediction Markets“ lassen Qualität von Zukunftsstudien entwickelt und teilen
Unternehmen Mitarbeiter/innen oder auch erweitere 22 Kriterien vier Dimensionen zu: (a) Autor/innen
Kreise auf zukünftige Entwicklungen Wetten ab- und ihre Autorität, (b) Forschung und Daten-
schließen. sammlung, (c) Genauigkeit des Reports und (d) Ob-
jektivität der präsentierten Inhalte. Man muss nicht
lange nach „Zukunftsstudien“ im Bereich des techno-
logiegestützten Lernens suchen, um Beiträge zu
Recherchieren
Sie
nach
einem
Beitrag
zu
den
künf-‐ finden, die diese Kriterien nur unzureichend erfüllen.
? 'gen
Entwicklungen
des
technologiegestützten
Lernens
und
beschreiben
Sie
-‐
sofern
nachvollziehbar
Boon et al. (2005, 210) haben dies für die Jahre 2000
bis 2002 unternommen. Sie haben damals festgestellt,
-‐
die
Methode,
mit
der
die
Aussagen
generiert
wurden!
dass die Untersuchungen in diesem Bereich nur
selten auf überzeugendem methodischen Vorgehen
Abbildung
2:
Überblick
ausgewählter
Trends
des
Horizon-‐Reports
der
letzten
Jahre.
Quelle:
Johnson
et
al.
(2009).
Anmerkung:
Abbildung
in
Anlehnung
an
eine
Zusammenschau
von
Robes
(2010).
6. 6
—
Lehrbuch
für
Lernen
und
Lehren
mit
Technologien
(L3T)
basieren. Daran hat sich kaum etwas geändert; auch
6. Ansätze
der
Innova8onsentwicklung
aktuelle Beiträge tragen häufig unsystematisch Aus-
sagen als „Trends“ zusammen. Abschließend werden in diesem Kapitel Methoden
Es gibt auch Bedenken gegenüber dem typi- vorgestellt, die Unternehmen für die Entwicklung
schen methodischen Vorgehen, der Einbindung von Innovationen verwenden und Verfahren, die im
mit und Diskussion von Expertinnen und Experten. Bildungsbereich die Entwicklung von Innovationen
So haben diese eine persönliche Geschichte, spezifi- fördern können.
sches Vorwissen, persönliche Haltungen und auch Nicht jede Innovation ist jedoch Ergebnis eines
persönliche Eigenschaften wie beispielsweise einen geplanten Prozesses. So entwickeln Nutzer/innen
ausgeprägten Optimismus. Es zeigt sich, dass die Er- von Produkten und Dienstleistungen immer wieder
wartungen an den Nutzen von technologiegestützten innovative Ideen; bekannte Beispiele lassen sich im
Lernens positiv von der eigenen Interneterfahrung, Sport- und Freizeitbereich finden: Mountainbikes,
Computerängstlichkeit und Selbstwirksamkeit beein- Skateboards und Snowboards sind allesamt von
flusst werden (Rezaei et al., 2008, 86). Auch beein- ihnen und nicht von professionellen Produktent-
flusst der kulturelle Hintergrund das Bild von tech- wicklern erfunden worden („User Based Inno-
nologiegestütztem Lernen. So soll es beispielsweise vations“, siehe Schroll 2007, 4f). Unternehmen haben
drei unterschiedliche Metaphern geben, welche die längst das erkannt und versuchen Nutzer/innen als
Möglichkeiten von technologiegestütztem Lernen be- Innovationsquelle systematisch zu erschließen. In
schreiben: Im deutschsprachigen Raum spricht man diesem Zusammenhang spricht man von Open Inno-
häufig vom „Potenzial“ des technologiegestützten vation.
Lernens, in englischsprachigen Veröffentlichungen
wird hingegen das Bild vom „Katalysator“ oder vom
Mit
dem
Begriff
„Open
Innova'on“
werden
alle
Ver-‐
„Hebel“ verwendet. Während der Katalysator einge-
setzt wird, um mit geringerem Einsatz gleiche oder ! fahren
bezeichnet,
bei
den
Kundinnen
und
Kunden
sowie
Nutzerinnen
und
Nutzer
ak'v
bei
der
Ent-‐
bessere Ergebnisse zu erhalten, kann die Hebel- wicklung
von
Innova'onen
eingebunden
werden
wirkung nur einsetzen, wenn die Zielsetzungen des (Reichwald
&
Piller,
2006).
Technologieeinsatzes bekannt sind (Klebl, 2007 ver-
weist auf Venezky & Davis, 2002, 14). Studien sollten
also mit dem Blick auf die beteiligten Expertinnen Auch Innovationen beim Lernen und Lehren mit
und Experten die Ergebnisse reflektieren und be- Technologien können durch Endnutzer/innen, das
werten. heißt Lernende entstehen. Häufig sind jedoch Leh-
Eine weitere Kritik an der Zukunftsforschung be- rende die Treiber von Innovationen, also tatsäch-
trifft unter anderem aggregierende Vorgehen, bei- lichen Neuerungen im Unterrichtsgeschehen.
spielsweise das Berechnen von Mittelwerten, die
Lead-‐User-‐Ansatz
kreative oder überraschende Ergebnisse ausbügeln,
unsichtbar machen können oder auch grundlegende Eine mittlerweile empirisch umfassend untersuchte
medientheoretisch fundierte Kritik an der Reflexi- Methode der Open Innovation ist der Lead-User-
onsfähigkeit in der eigenen Medienwelt (siehe Medio- Ansatz. Dies ist eine qualitative Methode zur Identifi-
sphäre nach Debray, 2004; vgl. Meyer, 2008; Schaffert kation und Integration von Träger innovativer Be-
& Schwalbe, 2010). dürfnisse in den (innerbetrieblichen) Innovations-
prozess. Die Methode geht auf Erich von Hippel
vom dem Massachusetts Institute of Technology
In
welcher
Weise
lässt
sich
das
methodische
Vorgehen (MIT) zurück. Die Grundlage der Methode ist die
? bei
der
von
Ihnen
recherchierten
Studie
(siehe
oben)
bewerten?
Wie
könnte
man
die
Methode
op'mieren?
Diffussionstheorie, also die oben vorgestellte Theorie
der Verbreitung von Produkten am Markt. Von
Disku'eren
Sie
Ihre
Vorschläge! Hippel geht davon aus, dass die Lead User die Be-
dürfnisse des Massenmarktes vorwegnehmen und
diese Bedürfnisse durch Veränderungen bestehender
Produkte oder sogar durch neue Produktkreationen
befriedigen. Durch diese spezifische Konstellation
sind sie für die Lösung von Innovationsaufgaben op-
timal geeignet (von Hippel 2005, 22f)
7. ZukunHsforschung
und
Innova'on
…
wissen
was
kommt—
7
Die Lead-User-Methode wird meistens mehrstufig Durch einen Ideenwettbewerb werden Nutzer/in-
dargestellt. Sie beginnt mit der Identifikation des nen in die frühesten Phasen des Innovationspro-
Suchfeldes in welchem innovative Lösungen gesucht zesses eingebunden (Walcher, 2007, 38), womit sich
werden. Ein Suchfeld ist zum Beispiel die technolo- der Nutzerbeitrag, streng betrachtet nicht auf die In-
gisch gestützte Kollaboration sein. Lead User kann novation, sondern auf Ideengebung und -bewertung
man per Selbstauskunft oder mit der Schneeballsuche beziehungsweise auf die Invention konzentriert. Als
identifizieren, bei der Lead User andere Lead User Veranstalter von Ideenwettbewerben treten allgemein
empfehlen. Lead User weisen folgende Eigenschaften sowohl Firmen als auch öffentliche Einrichtungen
auf: Sie haben neue, (am Markt) kaum verbreitete Be- auf. Beispielsweise suchte die Bundeszentrale für ge-
dürfnisse; sie sind bezüglich mangelnder Befriedigung sundheitliche Aufklärung Motive für eine HIV-Prä-
dieser Bedürfnisse unzufrieden und möchten hier ventionskampagne. Im Bereich des technologiege-
tätig werden; sie verfügen über Anwenderwissen; sie stützten Lernens gibt es seltener Wettbewerbe, bei
verfügen über Produkt- beziehungsweise Objekt- denen Ideen oder Konzepte prämiert werden. An der
wissen; sie können intrinsisch oder extrinsisch moti- Universität Augsburg wurde mit „betacampus“ ein
viert werden. (Tinz, 2007, 91). In der letzten Phase solcher universitätsinterner Wettbewerb durchgeführt
wird ein zweitägiger Workshop mit den Lead-User bei dem gute Ideen für IKT-Projekte gesucht wurden
abgehalten, wo mit Hilfe von Kreativitätstechniken (Bauer & Henke, 2011).
innovative Lösungen gesucht und bewertet werden. Häufig werden jedoch bei Wettbewerben auch
Eine vom MIT und dem Unternehmen 3M vorge- existierende Konzepte und Realisierungen ausge-
nommene Untersuchung zeigt, dass die Lead-User- zeichnet: Beispiele dafür sind D-ELINA, der „Deut-
Ideen zwar teurer, aber auch wesentlich innovativer schen E-Learning-Innovations- und Nachwuchs-
sind als Ideen, die man im Alleingang generiert Award“ oder der europäischen Wettbewerb „Eu-
(Lilien et al., 2002). ropean Award for Technology Supported Learning“
(eureleA). Auch an den Hochschulen werden Aus-
Ist
der
Lead-‐User-‐Ansatz
auf
das
technologiege-‐ zeichnungen für gute Lehre in Einzelfällen, wie mit
? stütztes
Lernen
übertragbar?
Bes'mmen
Sie
ein
Suchfeld
und
disku'eren
Sie
dazu,
wer
die
Lead
User
dem ELCH („E-Learning Champion“) an der Uni-
versität Graz, auch an den innovativen Einsatz von
sein
können
und
wie
Sie
diese
iden'fizieren
könnten.
Technologien geknüpft.
Als Anreiz von Ideenwettbewerben wird in der
IdeenweVbewerb
/
Crowdsourcing-‐Innova8on Regel eine „leistungsorientierte Prämierung“ ange-
boten, wie Sachpreise oder Geldbeträge. Im Bereich
Eine andere weit verbreitete Open-Innovation-Me- des technologiegestützten Lernens werden in der
thode ist der Ideenwettbewerb, oft auch als Crowd- Regel die Namen der Gewinner/innen veröffentlicht,
sourcing-Innovation bezeichnet. womit als Anreizmittel die Statusfaktoren fungieren.
Das Leitmotiv von Crowdsourcing ist: Wenn du Die existierenden Beispiele legen jedenfalls den
ein Problem hast, suche nach der Lösung nicht nur Schluss nahe, dass extrinsischen Motivationsfaktoren
bei den Spezialisten, zum Beispiel in der Forschungs- eine wichtige Rolle spielen, an solchen Wettbewerben
und Entwicklungsabteilung, sondern frage einfach teilzunehmen.
alle. Beim „Crowdsourcing“ wird so von der Idee
Offene
Bildungsini8a8ven
ausgegangen, dass Gruppen aufgrund von Phäno-
menen wie der Schwarmintelligenz oder auch der In offenen Bildungsinitiativen wird nicht systematisch
Schwarmkreativität (Gloor, 2006) in der Lage sind, an der Entwicklung von technologiegestützten Bil-
hilfreiche Unterstützung bei Innovationsprozessen zu dungsinnovationen gearbeitet. Allerdings wird ihnen
bieten (Shuen, 2008, 136ff). ein hohes Potenzial für solche Ideen und Entwick-
lungen zugesprochen und sie selbst setzen Techno-
Ein
IdeenweEbewerb
stellt
nach
Walcher
(2007)
„eine logien häufig kreativ und neu ein. Beispiele für solche
! Aufforderung
eines
privaten
oder
öffentlichen
Veran-‐
stalters
an
die
Allgemeinheit
oder
eine
spezielle
Ziel-‐
Initiativen, die als mögliche Orte der Entstehung von
Innovationen betrachtet werden, sind Educamps, ein
gruppe
dar,
themenbezogene
Beiträge
innerhalb
eines Szene-Treffen von an Bildungsthemen Interessierten
bes'mmten
Zeitraums
einzureichen.
Die
Einsen-‐ und technologischen „Early Adopters“ ohne fixe
dungen
werden
dann
in
aller
Regel
von
einer
Exper-‐
Vortragslisten und auch zahlreiche studentische In-
tengruppe
an
Hand
von
verschiedenen
Beurteilungs-‐
dimensionen
bewertet
und
leistungsorien'ert
prä-‐ itiativen und Projekte (Dürnberger et al., 2011).
miert.“
(S.
39)
8. 8
—
Lehrbuch
für
Lernen
und
Lehren
mit
Technologien
(L3T)
7. Zusammenfassung
und
Ausblick ▸ Boon, M. J.; Rusman, E. & Klink, M. R. van der (2005). Deve-
„Wissen was kommt“ ist das Ziel von Untersu- loping a critical view on e-learning reports: Trend watching or
chungen zu zukünftigen Entwicklungen im Bereich trend setting?. In: International Journal of Training and Deve-
des technologisch gestützten Lernen und Lehrens. lopment, 9(3), 1-27, URL:
Gleichzeitig gibt es eine Reihe von Initiativen in http://www.qou.edu/homePage/arabic/researchProgram/eLe
denen aktiv kreative und innovative Konzepte und arningResearchs/developingACritical.pdf [2008-12-25].
Werkzeuge für das Lernen und Lehren mit Techno- ▸ Debray, R. (2004). Für eine Mediologie. In: Kursbuch Medien-
logien gesucht und entwickelt werden. kultur. Die maßgeblichen Theorien von Brecht bis Baudrillard.
Existierende Modelle und Verfahren der Zu- Stuttgart: DVA, 76-75.
kunftsforschung und Innovationsentwicklung werden ▸ Geser, G. (2007). Open Educational Practices and Resources
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warten, die beispielsweise durch Web-Monitoring und Eine historische Fallstudie über die Durchsetzung neuer Infor-
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