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Politik für alle
Generationen
Inhalt
Grußwort der Bundeskanzlerin S. 03
Jedes Alter zählt
Die Demografiestrategie der Bundesregierung
Fähigkeiten in jedem Alter nutzen
S. 04–05
01 Familie als Gemeinschaft stärken
Zwei auf einem Chefsessel
Strom und Windeln
S. 06 – 09
02 Motiviert, qualifiziert und gesund arbeiten
Neustart geschafft
Erfahrung hat Zukunft
S. 10 – 13
03 Selbstbestimmtes Leben im Alter
Forschen für den Alltag
Anders wohnen
S. 14 – 17
04 Lebensqualität in ländlichen Räumen und
integrative Stadtpolitik­
Zahnärztin auf Achse
Neues Stadtleben
S. 18 – 23
05 Grundlagen für nachhaltiges Wachstum und
Wohlstand sichern
Mehr als Service
Unternehmergeist fördern
S. 24 – 29
06 Handlungsfähigkeit des Staates erhalten
Ein Plus für die Polizei
S. 30 – 32
����������������������������  3
Deutschland verändert sich. Wir werden weniger und im Durchschnitt
älter. Wir werden vielfältiger, der Anteil der Menschen mit Zuwanderungs­
hintergrund nimmt zu. Heute sind wir auch mobiler denn je. Moderne
Technologien durchziehen nahezu jeden Lebensbereich. Sie erleichtern den
Alltag im Privatleben und bieten neue Möglichkeiten in der Arbeitswelt.
Demografische Entwicklung und digitale Revolution stellen die Politik und
letztlich jeden von uns vor neue Herausforderungen. Mit dem Wandel
gehen unverkennbar auch große Chancen einher. Chancen auf Bildung und
Aufstieg, auf persönliche Entfaltung, auf berufliche und gesellschaftliche
Teilhabe – all das macht Integration und technischen Fortschritt für den
Einzelnen wie auch für unser Land insgesamt als Bereicherung erfahrbar.
Es lohnt sich, dass wir uns frühzeitig auch mit wichtigen Zukunftsfragen
auseinandersetzen. Wie schaffen wir es, unseren Erfindergeist immer
­wieder aufs Neue zu wecken? Wie gelingt es, unseren Fachkräftebedarf
auch künftig zu sichern? Wie können wir Beruf und Familie noch besser
miteinander vereinbaren? Welche Möglichkeiten haben auch Ältere, ihre
Erfahrungen weiterhin einzubringen? Auf diese und viele andere Fragen
bietet die Demografiestrategie der Bundesregierung Antworten.
Mit herzlichen Grüßen
4  Jedes Alter zählt
Jedes Alter zählt
Wir leben länger und gesünder, wir sind mobiler als die Generationen
vor uns – und wir erleben mehr kulturelle Vielfalt. So weit, so gut. Die
Kehrseite der Medaille: Wir werden weniger, immer mehr Menschen
leben allein, viele junge Menschen drängt es vom Land in die Städte,
die Zahl der Pflege­bedürftigen steigt.
Die Bevölkerung wird in Deutschland deutlich altern: Die Gruppe der
Hochbetagten wird bis 2030 um die Hälfte wachsen, die Gruppe der Jün­
geren um mehr als ein Zehntel abnehmen. Eine Entwicklung, die erheb­
liche Folgen für unser Land, unsere Gesellschaft, unser Zusammenleben
hat. Da mehr Menschen sterben als geboren werden und dies nicht mehr
durch Zuwanderung ausgeglichen wird, geht die Bevölkerung insgesamt
zurück. Bis 2030 könnten zwei Millionen und bis 2060 zwölf Millionen
Einwohner weniger als heute in Deutschland leben. So hat es das Statis­
tische Bundesamt errechnet.
Viele Menschen machen sich deswegen Sorgen. Sorgen, die nicht unbe­
gründet sind. Aber wir können etwas tun. In den vergangenen Jahren
hat die Bundesregierung bereits viele Maßnahmen ergriffen, damit
unser Land im demografischen Wandel seine Stärken und Lebensqualität
behält und weiter entwickelt. Bekanntestes Beispiel: die Rente mit 67.
Sie ist nötig, weil es immer weniger Beitragszahler und immer mehr
­Rentner gibt. So bleiben die Beiträge bezahlbar und die Renten auf
einem stabilen Niveau.
D
Noch sind allerdings viele Aufgaben zu bewältigen. Wie, das zeigt die neue
Demografiestrategie der Bundesregierung. Sie lädt alle Bürger ein, die
­Veränderungen aktiv mitzugestalten.
Letztendlich ist es eine Frage der Sichtweise. Sehen wir nur die Probleme,
oder fragen wir uns: Wie können wir den demografischen Wandel gestal­
ten? Und wie können wir die Vorteile nutzen, die er birgt?
Engagierte Menschen in ganz Deutschland nehmen die Dinge bereits in
die Hand. Sie ergreifen die Chancen, die ihnen unser Gemeinwesen bietet.
Sie nehmen ihr Umfeld bewusst wahr und machen politisch Verantwort­
liche darauf aufmerksam, welche Maßnahmen sinnvoll sind. Und sie
reden nicht nur darüber, was getan werden müsste, sondern übernehmen
selbst Verantwortung. Es gibt Tausende Beispiele dafür. Auf den folgenden
Seiten stellen wir Ihnen elf davon vor.
Fähigkeiten in jedem �lter nutzen
Sie zeigen, warum die Familie auch in einer stark individualisierten
Gesellschaft den Kern des Zusammenlebens bildet. Und wie sich Kinder­
wunsch und Karriere tatsächlich in Einklang bringen lassen – nicht nur
für Frauen. Es kommen Mitbürger zu Wort, die sich auch im Ruhestand
noch einbringen, sei es durch ihr fachliches Wissen oder im Sinne von
wahrer Gastfreundschaft und Nachbarschaftshilfe. Wir stellen Menschen
vor, die bereits länger arbeiten und deren Arbeitgeber auf ihre veränderten
Bedürfnisse eingeht; Menschen, die der Anonymität in Großstädten
­entgegenwirken und ihren Stadtteil mitgestalten; Menschen, die Leben
und Arbeit aufs Land zurückholen. Und junge Mitbürger mit Migrations­
hintergrund, die dank ihrer Sprachkenntnisse und ihres kulturellen
­Wissens dazu beitragen, dass der öffentliche Dienst der Vielfalt in unserer
Gesellschaft entspricht.
Sie und viele andere tragen dazu bei, dass wir in Deutschland Wohlstand,
soziale Sicherheit und Lebensqualität erhalten können – trotz der Bevöl­
kerungsentwicklung.
Jedes Alter zählt. Wir müssen die Bedürfnisse der jungen Menschen
genauso im Auge behalten wie die der älteren. Und allen die Möglichkeit
geben, ihre Fähigkeiten zu nutzen. Das ist das Ziel der Demografiestrategie.
Einleitung 5
01
Familie als
Gemeinschaft
stärken
6  Familie als Gemeinschaft stärken
Die Familie steht im Mittelpunkt der Demografiestrategie der
Bundesregierung. Denn je anonymer unser Zusammenleben ist,
desto mehr wird uns bewusst: Nirgendwo sind Zusammenhalt und
gegenseitiges Vertrauen stärker als in der Familie. Doch in den
vergangenen Jahren haben sich immer weniger Paare für Kinder
entschieden. Und immer weniger Rentner können sich am Lachen
ihrer Enkel erfreuen. Für viele junge Leute lautet die wichtigste
Frage, wie sich Kinder, Beruf und Aufstiegschancen in Einklang
bringen lassen. Gute Betreuungsangebote, familienfreundliche
Arbeitszeiten und Hilfen im Haushalt sind notwendige Voraus­
setzungen. Doch auch sie helfen nur, wenn sich Arbeitswelt und
Lebenseinstellung verändern. Wir zeigen an zwei Beispielen, dass
Paare bereits heute bereit sind, sich Erziehungsarbeit und Berufs­
tätigkeit zu teilen. Und dass Arbeitgeber und Hochschulen bereit
sind, Karriere auch in Teilzeit zu ermöglichen.
Tanja Mumot, 34,
teilt sich die Leitung einer Commerzbank-Filiale
mit Christian Bürgel
„An meinen freien Tagen
unternehme ich sehr viel mit
meinem vierjährigen Sohn
Henry. Für mich bedeutet das
eine optimale Balance zwischen
Beruf und Privatleben.“
Zwei auf
einem Chefsessel­
Von Montag bis Mittwoch ist Christian
Bürgel der Chef, donnerstags und frei­
tags ist Tanja Mumot die Chefin. In der
Chefetage einer Commerzbank-Filiale ist
Realität, was viele Unternehmen besten­
falls in unteren Positionen ermöglichen:
Seit April 2009 wechseln sich Bürgel und
Mumot bei der Leitung einer Bankfiliale
in Duisburg ab. Beide haben Kinder und
beide wollen beides: Familie und Arbeit.
„Ich habe durch die zusätzliche Freizeit
eine sehr intensive Beziehung zu meinem
Sohn bekommen.Auch er freut sich
immer auf die beiden Wochentage, an
denen Papa zu Hause ist.“
Christian Bürgel, 45,
Filialleiter der Commerzbank
Christian Bürgel ist Vater des mittler­
weile zehnjährigen Alexander. Er wollte
sich die Kinderbetreuung mit seiner
Frau teilen – ohne fremde Hilfe. Bürgel
wusste, dass auch Tanja Mumot, deren
Familie als Gemeinschaft stärken  7
Sohn Henry heute vier Jahre alt ist, auf
der Suche nach einem Teilzeitposten
war. Also entwarfen die beiden ein
gemeinsames Führungsmodell und
­präsentierten es ihren Vorgesetzten.
K
„Meine Vorgesetzten haben meinen
Wunsch von Anfang an voll mitgetra­
gen“, erinnert sich Bürgel. Denn die Bank
strebt ganz bewusst an, dass sich ihre
Mitarbeiter nicht zwischen Kindern und
Job entscheiden müssen. Deshalb ermög­
licht sie nicht nur viele Positionen in
Teilzeit, sondern auch Telearbeit von
zu Hause aus. Bereits seit Anfang der
90er-Jahre gibt es eine entsprechende
Betriebsvereinbarung. Und damit nicht
genug. Mit dem Programm „Keep in
Touch“, einer geringfügigen Teilzeit wäh­
rend der Elternzeit, hilft die Bank laut
Personalvorstand Ulrich Sieber, eine
Unterbrechung der Karriere zu vermei­
den. Die Maßnahme „Rückkehrgarantie
nach Elternzeit“ gewährleiste über die
gesetzlichen Regelungen hinaus, dass
Kollegen nach der Kinderpause wieder
in derselben Position tätig seien.
8  Familie als Gemeinschaft stärken
So war es auch für die Mitarbeiter von
Tanja Mumot und Christian Bürgel
wenig verwunderlich, dass an verschie­
denen Tagen verschiedene Chefs zustän­
dig sind. Allerdings setzt diese Arbeits­
weise großes gegenseitiges Vertrauen
und einen gemeinsamen Führungsstil
voraus. Und ganz abgeschnitten vom
Geschehen sind die beiden auch nicht an
ihren Familientagen: „Wir telefonieren
regelmäßig miteinander und leiten uns
E-Mails weiter, um uns auszutauschen.“
G
Beide fühlen sich durch das ausgewogene
Verhältnis von Beruf und Familie moti­
viert. An den freien Tagen können sie sich
voll und ganz auf die Familie konzentrie­
ren, und an den jeweiligen Arbeitstagen
gehört ihre ganze Energie der Bank. So
bleibt jede Menge Zeit, um mit den Kin­
dern zu spielen, den Haushalt zu organi­
sieren, den Garten zu pflegen oder auch
mal Sport zu treiben. Die Mitarbeiter pro­
fitieren auch davon: Ihre Chefs sind aus­
geglichen und stets gut gelaunt.
Strom und Windeln
Der Laie muss das zweimal lesen und
versteht trotzdem nur Bahnhof: „Steige­
rung der elektrischen Leitfähigkeit orga­
nischer Materialien ohne den Verlust
der Transmissivität von Licht“. Thorsten
Audersetz weiß allerdings sehr genau,
was sich dahinter verbirgt. Er studiert im
zweiten Mastersemester Physik an der
Universität Paderborn und ist dort auch
studentische Hilfskraft. Aber Audersetz
führt auch noch ein anderes Leben:
­Windeln wechseln, nachts von Linus’
Schreien aufwachen und sich an dessen
ersten Versuchen zu lächeln erfreuen –
auch das gehört zum Alltag. Am 9. März
2012 ist der 25-Jährige Vater geworden.
Dass Audersetz Kind und Studium gut
miteinander vereinbaren kann, liegt vor
allem daran, wie seine Universität jungen
Eltern begegnet. „Wir haben uns ganz
bewusst dafür entschieden, noch wäh­
rend meines Studiums ein Kind zu
bekommen, weil die Voraussetzungen
einfach perfekt waren“, erzählt Audersetz.
R
„Familiengerechte Hochschule“: In
Paderborn ist das nicht nur werbetaugli­
ches Gütesiegel, sondern gelebter Hoch­
schulalltag, den ein Eltern-Service-Büro
koordiniert. „Es war ein voller Erfolg,
dorthin zu gehen“, erinnert sich Auder­
setz an die Besuche bei Barbara Pick­
hardt. Die Diplom-Pädagogin weiß nicht
nur aufgrund ihrer Ausbildung und
Berufserfahrung um die Bedürfnisse
junger Eltern. Sie kennt sie auch aus dem
eigenen Leben. Denn sie wurde selbst
noch während des Studiums Mutter.
Heute bietet sie werdenden Eltern Rat
und Hilfe in allen Lebenslagen. Von der
Finanzierung über die Kinderbetreuung,
die zeitliche Organisation von Studium
und Elternschaft bis hin zur psycho-
sozialen Beratung: Das Eltern-Service-
Büro ist die Anlaufstelle.
E
So unromantisch das klingen mag:
An erster Stelle steht meist die Frage der
Finanzierung. Audersetz hatte sich
eigentlich nur nach dem Elterngeld
erkundigen wollen, als er einen Termin
bei Barbara Pickhardt wahrnahm. „Sie
hat dann alle Varianten mit mir durch­
gerechnet, die ganze Palette rauf und
runter“, erinnert sich der junge Vater.
Heraus kamen drei Modelle, wie sich
„Familie finanzieren“ ließe. Ein Baustein
ist die Stelle als studentische Hilfskraft
am Lehrstuhl Physik.
Nicht nur dort kam man Audersetz mit
dem Satz: „Komm, wann du Zeit hast“
entgegen, auch die Lehrenden sind
­sensibilisiert. Eine mündliche Prüfung,
die kurz nach der Geburt des Kindes
anstand, konnte Audersetz verschieben.
Nach dem Master will er direkt in den
Beruf einsteigen – und hat dafür nach
Einschätzung von Pickhardt gute Chan­
cen: „Viele Arbeitgeber sehen einen Vor­
teil darin, jemanden nach Abschluss des
Studiums einzustellen, der den Kinder­
wunsch bereits realisiert hat.“
www.uni-paderborn.de
Stichwort „Familiengerechte Hochschule“
„Ich hätte nie gedacht, dass
mein Lehrstuhl mir erleichtert,
Studium und Vaterschaft unter
einen Hut zu bekommen.“
Thorsten Audersetz, 25,
Physikstudent, studentische Hilfskraft und Vater
Die Bundesregierung
→	 setzt sich dafür ein, dass Frauen
und Männer auch als Mütter und
Väter Führungsaufgaben
übernehmen können.
→	 fördert die Vereinbarkeit von
Studium und Familie, damit die
Studienzeit auch Zeit der Familien-
gründung werden kann.
→	 unterstützt gemeinsam mit den
Wirtschaftsverbänden und Gewerk-
schaften die Verbreitung familien­
bewusster Arbeitszeiten und
erleichtert es den Arbeitnehmern,
ihre pflegebedürftigen Angehörigen
zu betreuen.
→	 wird den Ausbau der Kinder­
betreuung auf Basis der Vereinba-
rungen mit den Ländern
sicherstellen und hilft dabei, dass die
Kitas ihren Bedarf an qualifiziertem
Fachpersonal decken können.
→	 wird Möglichkeiten für eine bessere
Förderung haushaltsnaher Dienst-
leistungen prüfen.
→	 wird ungewollt kinderlosen Paaren
die Realisierung ihres Kinder­
wunsches erleichtern.
Familie als Gemeinschaft stärken  9
02
Motiviert,
qualifiziert und
gesund arbeiten
Lernen von den Alten. Was einst selbstverständlich war, hat sich zur
Floskel entwickelt. Dabei tun wir nicht nur älteren Menschen einen
Gefallen, wenn wir ihren Rat suchen und schätzen. Wir profitieren
davon – privat und sogar wirtschaftlich. Denn erfahrene Mitarbeiter
sichern Produktivität und Qualität – wenn sie gesund bleiben und
ihrem Alter gemäß eingesetzt sind. Für den Einzelnen bedeutet das,
dass er nicht spätestens mit 60 aussortiert wird. Wir können nicht
mehr auf die Arbeitskraft der Älteren verzichten. Es geht aber nicht
darum, einfach nur länger zu arbeiten, sondern sich dabei gut zu
fühlen und Wertschätzung zu erfahren. Unverzichtbare Grundlagen
sind allerdings Gesundheit, Qualifizierung und eine altersgerechte
Gestaltung der Arbeitswelt. Wir stellen zwei Menschen vor, die sich
körperlich und geistig fit gehalten haben, weil Gesellschaft und
Arbeitgeber ihnen den Anreiz dazu geboten haben.
10  Motiviert, qualifiziert und gesund arbeiten
Motiviert, qualifiziert und gesund arbeiten  11
„Ich habe wieder mehr Selbst­
bewusstsein und gemerkt, dass
meine 30 Jahre Berufserfah­
rung viel wert sind. Ein Junger
muss diese erst noch sammeln.“
Monika Mattis, 57,
Bauingenieurin und Mitarbeiterin der Märkischen
Entsorgungsgesellschaft Brandenburg
Neustart geschafft
Morgens im Büro in Prützke, danach ein
Ofenbauer in Geltow, dann Unterneh­
men in Werder und Glindow, das Handy
stets einsatzbereit: Monika Mattis’ Büro
ist das Auto. Die 57-jährige Bauinge­
nieurin reist im Auftrag der Märkischen
Entsorgungsgesellschaft Brandenburg
durchs Land und berät Unternehmen in
Sachen Entsorgung. Sie ist viel unterwegs
und ständig am Organisieren, doch genau
das ist es, was Mattis gesucht hatte.
Das Bauunternehmen, in dem sie lange
tätig gewesen war, musste eines Tages
Konkurs anmelden. Mattis ließ sich
davon nicht entmutigen und gründete
1998 ihr eigenes kleines Ingenieurbüro.
Trotz einzelner Aufträge überwogen die
existenziellen Sorgen. Als sie 2009 vom
„Campus der Generationen“ las, zögerte
sie deshalb nicht lange und bewarb sich.
N
Das Projekt der Universität Potsdam
richtet sich an erwerbslose Menschen ab
50 Jahren mit akademischer Ausbildung
in Brandenburg. Sechs Monate lang sind
sie noch einmal an der Uni eingeschrie­
ben und können das komplette Angebot
in Anspruch nehmen. Vor allem aber
arbeiten sie gemeinsam mit Studenten an
konkreten Fragen ihres Fachgebietes, die
die regionale Wirtschaft stellt. „Die Gene­
ration 50-Plus wird am Arbeitsmarkt
immer wichtiger“, erklärt Professor Dieter
Wagner, Leiter des „Campus der Genera­
tionen“, die Idee, die dahinter steckt. In
den ersten drei Jahren arbeiteten 57 Teil­
nehmer in 25 Projekten. 31 von ihnen
fanden im Anschluss eine Anstellung.
B
So auch Monika Mattis, die sich gemein­
sam mit einem Seniorpartner und zwei
Studenten mit dem Recycling von Solar­
zellen befasst hatte. „Die Arbeit mit den
Studenten hat mir mein Selbstbewusst­
sein zurückgegeben, und ich habe gemerkt,
dass meine 30 Jahre Berufserfahrung
viel wert sind“, freut sich Mattis. Direkt
im Anschluss an das Projekt fand sie eine
Anstellung bei der Märkischen Entsor­
gungsgesellschaft Brandenburg.
12  Motiviert, qualifiziert und gesund arbeiten
Die ursprüngliche Förderung des
­„Campus der Generationen“ aus dem
Europäischen Sozialfonds und vom Land
Brandenburg lief Ende 2011 aus. Aktuell
bemüht sich die Universität gemeinsam
mit der Agentur für Arbeit Potsdam
darum, das Projekt aus eigener Kraft
­weiterlaufen lassen zu können.
www.campus-der-generationen.de
Erfahrung hat Zukunft
90 Sekunden hat Siegfried Wirler Zeit.
90 Sekunden, um zu prüfen, ob 40 Kolle­
gen aus diversen Einzelteilen ein fehler­
freies Auto zusammengesetzt haben.
Der 60-jährige Automechaniker arbeitet
im BMW-Werk Dingolfing am Fließband.
Den 90-Sekunden-Takt absolviert er
jeden Tag acht Stunden lang. „Das ist
manchmal schon stressig“, gibt Wirler
zu, „man muss wirklich immer hundert­
prozentig da sein.“
Damit das über Jahrzehnte gut gehen
kann, reicht es nicht, am Wochenende
die Füße hochzulegen. Menschen wie
Siegfried Wirler müssen aktiv etwas tun,
damit sie auch mit 60 noch körperlich
und geistig fit sind: gesunde Ernährung,
Ausdauersport, Kraftübungen und hin
und wieder Physiotherapie. Wirler hat
einen Arbeitgeber, der das nicht nur
schätzt, sondern seine Angestellten
sogar dabei unterstützt.
Angepasste Arbeitsbedingungen
Die BMW-Gruppe sieht sich als Spiegel
der gesellschaftlichen Entwicklung:
Der Anteil der Mitarbeiter, die 50 Jahre
und älter sind, nimmt stetig zu. Deshalb
hat sich das Unternehmen bereits 2004
Gedanken gemacht, wie eine insgesamt
ältere Gruppe produktiv und mit
hoher Qualität arbeiten kann. Denn:
„Wir können es uns nicht leisten, unsere
Mit­arbeiter mit 60 in den Ruhestand zu
schicken“, so BMW-Personalvorstand
Harald Krüger.
BMW hat sich deshalb entschieden,
die Arbeitsbedingungen an die Bedürf­
nisse des jeweiligen Alters anzupassen.
Das Programm „Heute für morgen“ hat
laut Krüger das Ziel, „den Schatz, den
wir haben, zu nutzen: Erfahrung, Loya­
lität und Qualitätsbewusstsein der
Mitarbeiter“.
Erwerbsbeteiligung der 55 – 64-Jährigen
0% 2000 2010
10%
20%
30%
40%
50%
60%
Quelle: Statistisches Bundesamt
„Ich merke, dass mein Arbeit­
geber meine jahrzehntelange
Erfahrung und meinen
Anspruch an die Qualität der
Arbeit wertschätzt.“
Siegfried Wirler, 60,
Kfz-Mechaniker bei BMW
Ä
2007 startete BMW in seinem Werk in
Dingolfing das Pilotprojekt „Produktions­
system 2017“. An einem Band wurden –
entsprechend der voraussichtlichen
Bevölkerungsentwicklung – jüngere
­Mitarbeiter durch ältere ersetzt und die
Bedingungen verändert. Das Ergebnis
war eindeutig: „Der Test hat ergeben,
dass das Team mit älteren Mitarbeitern
genauso produktiv war wie jüngere
Teams. Und die Qualität war sogar noch
höher als bei den Jungen“, berichtet der
Personalvorstand zufrieden. Ein Modell
also, das bei BMW jetzt Schule macht.
Siegfried Wirler ist zufrieden: „Ich merke,
dass mein Arbeitgeber meine jahrzehnte­
lange Erfahrung und meinen Anspruch
an die Qualität der Arbeit wertschätzt.“
Die Bundesregierung
→	 wird die Gesundheitsförderung in
Betrieben verstärken, damit sich
mehr Unternehmen aktiv für die
Gesundheit ihrer Mitarbeiter
engagieren.
→	 wird zusammen mit den Wirt-
schaftsverbänden und Gewerkschaf-
ten die Schaffung alters­gerechter
Arbeitsplätze und eine Kultur des
längeren Arbeitens unterstützen.
→	 wird die Weiterbildung vor Ort
unterstützen, damit selbstverständ-
lich wird, dass Weiterbildung von
Anfang an zum Berufsleben gehört.
→	 will es den Menschen erleichtern,
ihre Arbeitszeit über den Lebenslauf
so zu verteilen, dass Arbeit und
Weiterbildung, Kindererziehung
und Pflege Angehöriger besser
vereinbar sind.
→	 wird für ältere Arbeitnehmer bessere
Möglichkeiten schaffen, Erwerbs­
tätigkeit und Rente flexibel zu
kombinieren.
Motiviert, qualifiziert und gesund arbeiten  13
03Selbstbestimmtes
Leben im Alter
14 Selbstbestimmtes Leben im Alter
Krankheit, Einschränkungen und Vereinsamung: Das ist das Bild, das
oft vom Alter gezeichnet wird. Dabei leben wir zwar länger, aber nicht
schlechter. Und wir leben bewusster. Heute bereits ist der Ruhestand
für viele Menschen nicht mehr das, was das Wort suggeriert. Deutsch­
lands Senioren fühlen sich jünger denn je. Sie erleben die Jahre nach
ihrem Ausscheiden aus dem Berufsleben als einen erfreulichen
„Unruhestand“. Seien es die Enkel, Sport, der Garten, Bildung oder
ein Ehrenamt – das Rentenalter wird für viele zum aktiv gestalteten
und erfüllten Lebensabschnitt. Mit der wachsenden Zahl der Älteren
und Hochbetagten wird aber auch die Hilfe- und Pflegebedürftigkeit
zunehmen. Die meisten Menschen wünschen sich eine Versorgung
im häuslichen Umfeld. Dafür brauchen wir neue Modelle und müssen
unterschiedliche Angebote mit einbeziehen, auch ehrenamtliche.
Wir stellen Menschen vor, die aus ihrem Ehrenamt Lebensglück
schöpfen und die über Altersgrenzen hinweg füreinander da sind.
„Altersgerechte Technik muss
nicht einfältige Technik sein.
Sie muss bedienerfreundlich
und sinnvoll sein.Was für Alte
gut ist, ist deshalb auch für
Junge gut.“
Karin Wuttig, 72, Industriekauffrau in Rente,
Mitglied der Senior Research Group
Selbstbestimmtes Leben im Alter  15
Forschen für den Alltag
Spätabends noch wach sein, wenn
Berufstätige schon schlafen – seit dem
Eintritt ins Rentenalter genießt Karin
Wuttig diese Stunden, die sie nur für sich
hat. Viele Bücher hat sie gelesen. Doch
seit ein paar Jahren schaltet sie nach dem
Abendessen oft den Computer ein: „Ich
genieße es, mit der Welt in Verbindung
zu stehen“, schwärmt die 72-Jährige. Die
meiste Freude bereitet es ihr, wenn sie
mit ihrer Tochter in London über das
Internet telefonieren kann. Aber oft surft
die ehemalige Industriekauffrau auch
durchs weltweite Netz, beantwortet
Mails oder tüftelt an technischen Pro­
blemen herum. „Technik ist richtig toll“,
sagt sie strahlend.
Dass aus dem „Bücherwurm“, wie Wuttig
sich selbst bezeichnet, ein Technikfreak
wurde, liegt an der Senior Research
Group (SRG) an der Technischen Uni­
versität Berlin. Hier sind Senioren als
Forscher tätig. Denn aus Sicht älterer
Menschen stellen sich die Ansprüche an
Technik oft anders dar als aus der eines
Ingenieurs oder Marketingspezialisten.
E
Die 15 bis 20 Senioren, die den Kern der
SRG bilden, können und wollen nicht
die Spezialisten in den Unternehmen
ersetzen. Sie können aber wichtige Ein­
blicke in die Lebens- und Erfahrungswelt
älterer Menschen vermitteln, die jünge­
ren Menschen nicht bewusst sind. „Ergo­
nomische Gestaltung erfordert Einfüh­
lungsvermögen in die Zielgruppe, und
wie kann das besser gelingen, als durch
die aktive Einbindung der Senioren sel­
ber“, sagt Professor Wolfgang Friesdorf,
der die SRG leitet.
„Was für Alte gut ist, ist auch für Junge
gut“, weist Wuttig die Vermutung zurück,
das Ergebnis seien spezielle Senioren­
geräte. So befasste sich die SRG beispiels­
weise mit den Anforderungen an eine
barrierefreie Wohnung. Ihre Ergebnisse
und Anregungen hatten bleibende Wir­
kung: Eine DIN-Norm zur Breite von
Badtüren ist bereits geändert. „Das war
16 Selbstbestimmtes Leben im Alter
toll“, erinnert sich Wuttig begeistert.
Die Auflösung von Handydisplays, der
Standort von Fahrkartenautomaten oder
die öffentliche Infrastruktur in Berlin:
Die Liste der Projekte ist lang, und sie
findet noch kein Ende. So begleitet die
SRG auch ein Projekt zur generationen­
übergreifenden Arbeit in der Zukunft
und testet ein Smart-Home.
www.srg-berlin.de
Die Bundesregierung
→	 will selbstbestimmtes Altern unter-
stützen, zum Beispiel bei alters­
gerechten Wohnformen,
technischen Geräten und Mobilität.
→	 wird die Rahmenbedingungen für
das Engagement der Menschen ver-
bessern, Anlaufstellen und Mehrge-
nerationenhäuser breiter verankern.
→	 stärkt zukunftsweisende Modelle
der Mitverantwortung von Bürge-
rinnen und Bürgern – zum Beispiel
für Pflege und Betreuung – in den
Kommunen.
→	 wird eine nationale Allianz für
Menschen mit Demenz auf den Weg
bringen und dabei die Bildung regio-
naler Hilfenetze unterstützen.
→	 wird die Pflegeberufe zukunfts­
gerecht weiterentwickeln und die
Pflegeversicherung einschließlich
des Begriffs der Pflegebedürftigkeit
neu ausrichten.
Anders wohnen
Das Dorfleben, das sie aus ihrer Kindheit
kannten, war ihnen zu eng, die Stadt, in
der sie Arbeit fanden, zu anonym. Was
tun? Willi Wagner und seine Frau Hanne
Schäfer entschieden sich dafür, mit
Gleichgesinnten die Art des Wohnens zu
ermöglichen, nach der sie sich sehnten:
in einer großen Gemeinschaft, in der
man die Nachbarn kennt und sich gegen­
seitig unterstützt. Die Darmstädter Bau-
und Wohngenossenschaft war genau das,
was die Eltern von drei Pflegekindern
suchten. Insgesamt 80 Personen leben
dort auf 2.900 Quadratmetern Wohn-
und 300 Quadratmetern Gemeinschafts­
fläche. 22 von ihnen sind Kinder unter
18 Jahren. Eine Mischung, die bewusst
angestrebt war.
G
„Wir haben uns Quoten gesetzt“, erklärt
Winkler, der auch Mitglied des Auf­
sichtsrats von WohnSinn ist. So ist mit
zwei Dritteln der Wohnungen ein Dauer­
wohnrecht verbunden, ein Drittel hat die
Baugruppe mit Kreditunterstützung von
Land und Kommune als Sozialwohnun­
gen gebaut. Der Grund: „Wir wollten
einen Querschnitt durch Arm und Reich
bilden.“ Im ersten Konzept fehlte aller­
dings die gesellschaftliche Mitte jener
Menschen, die zwar keine Sozialhilfe
beziehen, sich aber keine Eigentums­
wohnung leisten können. Deshalb wurde
direkt eine weitere Einheit gegründet,
an deren Finanzierung sich die Mieter
beteiligen konnten.
„Meine Frau und ich kommen
beide aus kleinen Dörfern. In
der Stadt haben wir diese
Gemeinschaft und die gelebte
Nachbarschaftshilfe immer
gesucht. Deshalb sind wir Mit­
glied von WohnSinn geworden.“
W
Selbstbestimmtes Leben im Alter  17
Neben der Wirtschaftskraft spielen in
den barrierefreien Häusern auch Alter,
Familienstand, Herkunft und Behinde­
rung eine Rolle bei der Auswahl neuer
Mitglieder. Die Bewerberliste ist lang,
denn viele Städter sehnen sich nach die­
ser besonderen Form der Gemeinschaft.
Jeder hat auch Pflichten
Wie stark sich der Einzelne dann tat­
sächlich integriere, sei sehr unterschied­
lich, erzählt Wagner. Die Möglichkeiten
dafür sind zahlreich: Bewohner halten
Vorträge, berichten von Reisen, treffen
sich zur Englischkonversation, zur Medi­
tation oder einmal pro Woche im Bistro,
wo sie, wie Wagner es beschreibt, „den
Nachbarn mal mit mehr Zeit treffen, als
wenn er morgens ins Auto steigt und ins
Büro fährt“. Wer sich gut versteht, passt
auf die Kinder des anderen auf, erledigt
einen Einkauf oder kümmert sich um
einen pflegebedürftigen Mitbewohner
ohne Angehörige.
Doch die Darmstädter Insel der Seeligen
verlangt ihren Mitgliedern auch Pflich­
ten ab: Arbeiten eines Hausmeisters,
Hausverwaltung, Reinigung der Gemein­
schaftsflächen – all diese weniger freudi­
gen Aufgaben werden ebenfalls gemein­
sam gestemmt. Streng nach Plan. „Oft
lasse ich für mich arbeiten, manchmal
muss ich selbst ran“, hebt Wagner den
Vorteil dieser Arbeitsteilung hervor. Und
bei so vielen Tabellen darf natürlich auch
eine Liste der Geburtstage nicht fehlen.
Wer so integriert ist wie Willi Wagner,
kann deshalb gar nicht genug Kuchen
backen für alle Gratulanten. Mit einem
Zwinkern verrät Wagner seine Lösung:
„Ein Glas Sekt wird auch gerne
genommen.“
www.wohnsinn-darmstadt.de
04
Lebensqualität in
ländlichen Räumen
und integrative
Stadtpolitik
18 Lebensqualität in ländlichen Räumen und integrative Stadtpolitik
Weniger Bushaltestellen, die Bahnlinie eingestellt, der nächste
Arzt 50 Kilometer entfernt und die Jobs weg, woanders, in der Stadt.
In der Stadt, in der immer mehr Menschen auf immer knapperem
Raum leben und Zuzug zu neuen Herausforderungen führt –
nicht nur beim Zusammenleben von Menschen mit verschiedenen
kulturellen Hintergründen. Vielerorts ist dies Realität. Engagierte
Menschen auf dem Land nehmen ihr Zusammenleben in die Hand.
Sie können auf die Unterstützung der Länder und des Bundes zählen,
zum Beispiel, um die ärztliche Versorgung auch in dünn besiedelten
Regionen aufrechtzuerhalten. Und sie schließen sich als Bürger
zusammen, um in der Stadt ihren Lebensraum zu gestalten. Sie leben
und arbeiten auf engem Raum. Doch sie machen das gemeinsam,
sind gesund und im Grünen.
„Ich bin mit meinen Patienten
älter geworden.Viele von ihnen
können mich nicht mehr in der
Praxis besuchen, weil sie krank
oder nicht mobil sind.Also
fahre ich zu ihnen.“
Dr. Kerstin Finger, 52, Zahnärztin und Anbieterin
eines mobilen Zahnarztdienstes
Lebensqualität in ländlichen Räumen und integrative Stadtpolitik  19
Zahnärztin auf Achse
Schmerzen in Milmersdorf, eine Routi­
neuntersuchung in Ringenwalde oder
eine lockere Prothese in Thomsdorf: Ein
Anruf genügt, und Kerstin Finger macht
sich auf den Weg. Auf den Weg zu ihren
Patienten auf dem Land, die es alters-
oder krankheitsbedingt nicht schaffen,
zu ihr zu kommen. Sie sind dankbar, dass
sich Kerstin Finger um sie kümmert und
ihnen sehr viel Mühe erspart.
Seit 1984 praktiziert die Zahnärztin in
Templin. Seit 2010 lindert sie das Leid
ihrer Patienten auch bei Hausbesuchen.
Templin in der Uckermark: Ursprünglich
war das nicht das Traumziel der ehr­
geizigen Medizinstudentin. Doch als
angehende Fachärztin zu DDR-Zeiten
wurde sie dorthin „gelenkt“.
Finger hätte insofern allen Grund
gehabt, spätestens nach der Friedlichen
Revolution das Weite zu suchen. Doch
sie blieb. Und nicht nur das. Sie gründete
zunächst mit vier Kollegen eine Praxis
und machte sich 1992 komplett selbst­
ständig. Dass sie nebenher auch noch
promovierte sowie zwei Kinder großzog,
ist für die Frau mit Energie für drei kaum
der Rede wert. Jetzt bietet sie eben auch
noch einen mobilen Zahnarztdienst an.
N
„Ich bin mit meinen Patienten älter
geworden“, sagt Finger. Über die Jahre
habe sie komplette Familien kennenge­
lernt, über mehrere Generationen hin­
weg. Irgendwann wurden die Patienten
der ersten Generation so alt, dass es
ihnen nicht mehr so leichtfiel, in Fingers
Praxis nach Templin zu kommen. Bus­
linien wurden in der stark von Abwande­
rung geprägten Region eingestellt, Taxis
sind zu teuer, denn viele der Patienten
sind arbeitslos.
Nicht nur ihr Pflichtbewusstsein als
­Ärztin, auch ihr persönlicher Widerwille,
negative Dinge als gegeben hinzuneh­
men, veranlassten die Zahnärztin, dem
demografischen Wandel nicht tatenlos
zuzusehen. Wer aufgrund von Alter und
Krankheit nicht zu ihr kommen konnte,
bei dem fuhr sie in der Mittagspause oder
20 Lebensqualität in ländlichen Räumen und integrative Stadtpolitik
am Wochenende vorbei. „Denn“, so ihre
schlichte Ansicht, „ein kranker Körper
kümmert sich nicht darum, ob ein Bus
zum Arzt fährt, er braucht schlicht Hilfe.“
K
So ganz einfach war das natürlich nicht.
Finger hat viel Geld in ihre mobile Aus­
stattung investiert. Das haben ihr Förder­
mittel aus dem Europäischen Agrarfonds
ELER und des brandenburgischen Land­
wirtschaftsministeriums erleichtert.
Doch den Großteil steuerte sie selbst bei.
„Seither fahre ich richtig schön ausge­
stattet“, freut sich die Frau mit der stets
positiven Ausstrahlung.
Für die Patienten entstehen trotz Extra­
service keine Extrakosten. Reich wird
die Zahnärztin damit nicht: „Ich disku­
tiere nicht, ob es sich rechnet, sondern
ver­suche zu zeigen, dass es notwendig
und durchführbar ist.“
Die Bundesregierung
→	 wird die öffentliche Förderung für
Regionen, die besonders unter Abwan-
derung leiden, besser verzahnen.
→	 wertet mit der Städtebauförderung
das Leben in den Innenstädten auf und
fördert die soziale Integration.
→	 wird sich 2014 bei den Verhandlungen
auf EU-Ebene für eine angemessene
finanzielle Förderung deutscher Regio-
nen einsetzen.
→	 unterstützt Projekte, um Klein- und
Mittelzentren im ländlichen Raum und
ihre Zusammenarbeit bei der Daseins-
vorsorge zu stärken.
→	 will bis 2018 eine flächendeckende
Versorgung mit schnellem Internet
von 50 Mbit/s erreichen, damit die
ländlichen Regionen nicht digital
abgehängt werden.
→	 unterstützt eine flächendeckende
Gesundheitsversorgung im ländlichen
Raum.
→	 wird den Nationalen Aktionsplan
Integration umsetzen und kommunale
Integrationspolitik unterstützen.
„Das Wissen, komfortabel, aber
umweltschonend zu leben,
die Abwesenheit von Autolärm,
die alten Linden direkt vor dem
Haus und die bessere, bunte
Infrastruktur – das macht das
Leben im Vauban aus.“
Andreas Delleske, 46,
Energieberater, Bewohner des Freiburger
­Stadtquartiers Vauban
Lebensqualität in ländlichen Räumen und integrative Stadtpolitik  21
Neues Stadtleben
Wenn Andreas Delleske sich nach Natur
sehnt, muss er nicht in Auto oder Bahn
steigen und die Stadt hinter sich lassen.
Er kann einfach das Fenster öffnen und
in die alten Linden vor seinem Haus
­blicken. Oder er geht ein paar Schritte
zum Biotop. Dabei wohnt der 46-jährige
Energieberater nicht in einem kleinen
Dorf im Grünen. Sondern gemeinsam
mit 5.300 anderen Menschen im Quartier
Vauban am Stadtrand von Freiburg im
Breisgau.
Bevor hier Familien lebten, waren auf
dem Areal am Fuß des Schönbergs fran­
zösische Soldaten untergebracht. 1992
zogen sie ab, das Gelände fiel an das Bun­
desvermögensamt, und die Stadt hatte
plötzlich 38 Hektar bebaubare Fläche
vor der Tür. Sie kaufte 34 Hektar. Der
Rest ging an das Studentenwerk und ein
gemeinnütziges Projekt, das die alte Bau­
substanz erhalten und Wohnraum für
geringer verdienende Menschen schaffen
wollte. In vier umgebauten Gebäuden,
früher Mannschaftsunterkünfte der Sol­
daten, wohnen heute 260 Menschen.
Planung mit den �ürgern
Doch in Freiburg gab es noch mehr
­Bürger, die gerne im Quartier leben und
dabei mitreden wollten, wie die neu
gewonnene Fläche aussehen sollte. Und
auch die Stadt sah die Notwendigkeit, die
Bürger mehr als bis dahin üblich in die
Planung einzubinden. Sie richtete eine
spezielle Arbeitsgruppe ein, und die Bür­
ger gründeten einen Verein: das „Forum
Vauban“. „Wir sahen Vauban als einma­
lige Chance und wollten auf dem ehema­
ligen Kasernengelände zukunftsfähiges,
familiengerechtes Wohnen ermöglichen
– überwiegend in Eigentumswohnun­
gen“, fasst Roland Veith, Verwaltungsbe­
amter und damals Projektleiter Vauban,
die Ziele zusammen.
22 Lebensqualität in ländlichen Räumen und integrative Stadtpolitik
Niedriger Energiebedarf, das Verkehrs­
konzept und das Verhältnis von Wohn-
und Grünflächen – das waren die wich­
tigsten Gesichtspunkte. Man ließ sich
professionell beraten und gab gemein­
sam mit der Bundesumweltstiftung und
der Europäischen Union Studien in Auf­
trag: Wie lässt sich das Leben in der Stadt
mit weniger Energieaufwand gestalten?
So entstand ein autoarmer Stadtteil, in
dem 20 Hektar Wohnbauland fast sechs
Hektar Grünflächen gegenüberstehen.
Darunter viel alter Baumbestand wie die
Linden vor Delleskes Tür.
L
Niedrigenergiebauweise ist Pflicht.
Einige Baugemeinschaften gingen sogar
noch weiter und errichteten Passivhäu­
ser; ein Bauträger realisierte eine Solar­
siedlung mit Plusenergiehäusern, die
Strom ins öffentliche Netz einspeisen.
Im Vauban spürt man an jeder Ecke, dass
sich Menschen mit einer ähnlichen
Weltanschauung zusammengeschlossen
haben, um ihre Vorstellung vom Leben
in der Stadt umzusetzen. „Wir sind keine
Kommune von Ökos, sondern ein ganz
normaler Stadtteil“, weist Delleske allzu
romantische Vorstellungen zurück. Er
fügt jedoch hinzu: „Andererseits haben
uns die gemeinsame Planung und der
Bau schon zusammengeschweißt.“ Man
kenne sich besser, teile sich das Auto
oder andere Anschaffungen und nehme
sich Zeit, wenn man jemanden auf der
Straße treffe.
Städtisch
Halbstädtisch*
Ländlich
36%
15%
49%* Zu halbstädtischen Gebieten werden diejenigen
Gemeinden zusammengefasst, die jeweils eine
Einwohnerdichte von 100 bis 500 Einwohner je
km² aufweisen.
Stadt-Land-Gliederung
der Bevölkerung in Deutschland
Quelle: Statistisches Bundesamt
Noch heute kommen das ganze Jahr
über Besuchergruppen nach Freiburg,
um sich anzusehen, was Stadt und Bür­
ger gemeinsam möglich gemacht haben.
„Die strengen energetischen Vorschriften
und die Tatsache, dass das eigene Auto
in den stellplatzfreien Gebieten nicht
vor der Tür stehen darf: Das hat damals
ganz Deutschland interessiert“, erinnert
sich Ex-Projektleiter Veith. Alle hätten
wissen wollen: Kriegen die das hin? Die
Geschichte hat ihnen recht gegeben.
Lebensqualität in ländlichen Räumen und integrative Stadtpolitik  23
05
Grundlagen für
nachhaltiges
Wachstum und
Wohlstand sichern
24 Grundlagen für nachhaltiges Wachstum und Wohlstand sichern
Unternehmer klagen über den Mangel an Fachkräften, Sozialforscher
über ungleiche Bildungschancen und qualifizierte Arbeitskräfte
aus dem Ausland über zu hohe Hürden. Der Bundesregierung sind
diese Probleme bewusst. Sie fördert die Bildungspotenziale in allen
Lebensphasen und hilft, die Fachkräftebasis zu sichern. Denn allen
Beteiligten ist klar: Nicht die Größe der Bevölkerung gewährleistet
Wohlstand, sondern die Qualität ihrer Köpfe. Deshalb unterstützt
der Staat auch Menschen, die sich aktiv für Einwanderer einsetzen
und ihnen helfen, sich in Deutschland einzuleben. Und er fördert
Unternehmer, die Verantwortung übernehmen; die Arbeitsplätze
schaffen und dazu beitragen, dass der Mittelstand die tragende
Säule der Wirtschaft bleibt.
„Es ist wichtig für Deutschland,
dass die ausländischen Gäste
sich gerne an ihre Zeit bei uns
erinnern. Davon profitiert auch
die deutsche Wirtschaft.“
Franz Roser, 64,
Ingenieur im Ruhestand und Vorsitzender des
Senior Service Offenburg
Grundlagen für nachhaltiges Wachstum und Wohlstand sichern  25
Mehr als Service
China, USA, Europa – 42 spannende
Jahre als Ingenieur auf drei Kontinenten.
Und dann plötzlich nur noch Offenburg?
Die Vorstellung, in den Ruhestand zu
gehen, bereitete Franz Roser Sorge: „Ich
hatte Angst, dass ich in ein Loch falle,
dass mir langweilig wird und dass ich
den Kontakt zu jungen Menschen ver­
liere.“ Die eigenen vier Kinder waren
längst aus dem Haus. Also ging Roser
2009 in die Offensive und wandte sich
an das Seniorenbüro seiner Stadt. Von
den mehr als 75 Projekten für Ehrenamt­
liche sprach den Ingenieur eins sofort
an: Der Senior Service Offenburg betreut
ausländische Masterstudenten. Etwa
60 aktive Rentner, die an anderen Kul­
turen interessiert sind, begleiten etwa
200 Studenten.
G
Während eines ersten Treffens zu Semes­
terbeginn und einer Stadtführung wer­
den Telefonnummern ausgetauscht.
„Sympathie ist das einzige Kriterium“,
erklärt Roser. Das funktioniert jedes Mal.
Wer sich besonders gut versteht, trifft
sich nicht nur zu den gemeinsamen Aus­
flügen in der großen Gruppe, wie etwa
zur jährlichen Schwarzwaldwanderung.
Sondern man lädt die Gäste aus Indien,
Mexiko, Thailand oder Russland zu sich
nach Hause ein. Die deutsch-ausländi­
schen Gruppen kochen gemeinsam,
gehen wandern oder fahren Rad.
Roser und seine Frau haben viel mit
indischen Gästen zu tun. Mit Suresh
Raman verstehen sie sich besonders gut.
Der 26-jährige Software-Entwickler aus
Chennai weiß die Gastfreundschaft zu
schätzen: „Ich bin Tausende Meilen weit
weg von zu Hause, von meinen Eltern.
Durch die Rosers habe ich das Gefühl,
auch in Deutschland Familie zu haben.“
26 Grundlagen für nachhaltiges Wachstum und Wohlstand sichern
G
Die Mitglieder des Senior Service Offen­
burg sind nicht selten Berater in Lebens­
fragen, da sie aufgrund ihres Alters mehr
Erfahrung haben und in Deutschland
besser vernetzt sind. Viele der Studenten
wollen nach ihrem Master in Offenburg
gerne in Deutschland bleiben und erst
nach ein paar Jahren Berufserfahrung in
ihre Heimat zurückkehren. Die Kontakte
der Ruheständler zu ihren früheren
Arbeitgebern können da nützlich sein.
Umgekehrt ist es nach Rosers Meinung
„wichtig für Deutschland, dass die aus­
ländischen Gäste sich gerne an ihre
Zeit bei uns erinnern“. Davon profitiert
seiner Meinung nach auch die deutsche
Wirtschaft: „Wen man kennt, mit dem
kommt man leichter ins Geschäft.“ Für
sein Fazit verwendet der ehemalige Inge­
nieur augenzwinkernd eine Vokabel aus
der Betriebswirtschaft: „Es ist eine Win-
win-Situation: Wir geben Gastfreund­
schaft, dafür wird unsere Neugier auf
andere Kulturen gestillt.“
www.offenburg.de/html/senior_service.html
Der Rückgang an Erwerbstätigen in Deutschland macht die Zuwanderung
qualifizierter Fachkräfte erforderlich.
E
50
in Mio
49
48
47
46
45
44
43
42
41
40
0 2010 2012 2014 2016 2018 2020 2022 2024 2026 2028 2030
Quelle: Statistisches Bundesamt
„Am Unternehmergymnasium
habe ich vieles gelernt, worauf
es als Unternehmer ankommt.
Und mir wurde klar, dass man
die Verantwortung, die man
übernimmt, nicht auf die
leichte Schulter nehmen darf.“
Manuel Meier, 20,
Maschinenbaustudent und Unternehmer
Grundlagen für nachhaltiges Wachstum und Wohlstand sichern  27
Unternehmergeist
fördern
Sommer, Sonntag, 30 Grad. Manuel
Meier ist gerade am Badesee angekom­
men. Da klingelt das Handy. Ein Kunde
ist dran, seine Stimme aufgeregt: „Unser
Mähwerk ist kaputtgegangen, aber das
Gras muss heute noch gemäht werden.
Kannst du kommen?“ Der 20-jährige
Maschinenbaustudent zögert keine
Sekunde, steht eineinhalb Stunden spä­
ter mit seinem „Krone Big M“, einem
­riesigen Mähaufbereiter, auf dem Feld.
Meier ist nicht nur Student, sondern
auch Unternehmer und als solcher jeder­
zeit bereit: „Schließlich habe ich Verant­
wortung übernommen.“ Wie wichtig das
ist, hat er in der Schule gelernt.
Das Unternehmergymnasium Pfarr­
kirchen richtet sich an Schüler, die
unternehmerisch denken. Die staatliche
Schule mit angegliedertem Internat liegt
in Niederbayern, einer von Landwirt­
schaft und Mittelstand geprägten Region.
Hier wandern weniger junge Menschen
ab als in anderen ländlichen Gegenden.
Denn viele Betriebe sind in Familien­
hand und werden vom Senior an den
Junior übergeben. Dass die Jungen darauf
überhaupt Lust und vor allem auch das
nötige Wissen dafür haben, liegt immer
häufiger am Unternehmergymnasium.
„Wir zeigen früh auf, welche Berufe da
sind und wo Führungsaufgaben darauf
warten, übernommen zu werden. Das
sichert Arbeitsplätze in der Region“,
erklärt Schulleiter Peter Brendel.
28 Grundlagen für nachhaltiges Wachstum und Wohlstand sichern
U
Idee und Durchführung stammen von
zwei engagierten Lehrern: Ute Heim und
Joachim Barth organisieren den kom­
pletten Lehrplan und alle Veranstaltun­
gen des unternehmerischen Teils des
Gymnasiums. Ab der zehnten Klasse
unterrichten sie ausgewählte Schüler
wie seinerzeit Manuel Meier wöchentlich
in zusätzlichen Modulen: Businessplan,
Finanzierung der Gründungsidee, Wahl
der Rechtsform, Präsentation, Marketing
und auch Insolvenz stehen auf dem
Stundenplan. Außerdem erhält jeder
Schüler einen Firmenbesitzer aus der
Region als Paten. Der gewährt ihm Ein­
blick in seinen Betrieb und stellt sein
Wissen als erfahrener Praktiker zur
Verfügung.
„Wir wollen den jungen Menschen
etwas Handfestes bieten“, erklärt Heim
ihr Engagement, „ihnen fehlt sonst jeder
Praxisbezug.“ Mittlerweile müssen junge
Leute nicht einmal mehr zwingend die
Schule wechseln und nach Pfarrkirchen
ziehen, wenn sie das unternehmerische
Rüstzeug lernen wollen. Sie schalten sich
einfach per Internetkonferenz zu den
Modulen zu.
Papa als �ushilfe
Manche von ihnen, so auch Manuel
Meier, werden noch während der Schul­
zeit zu Gründern. 25.000 Euro investierte
er im März 2008 in einen Rückewagen:
eine große Maschine, mit der sich Baum­
stämme aufheben und transportieren
lassen. Meier verlieh ihn an Landwirte
aus der Region, die sich die teure
Maschine nicht leisten können. Weil das
so gut lief, wagte sich der junge Unter­
nehmer im Mai 2011 an die nächste,
­größere Anschaffung: den „Krone Big M“.
Hierfür lag die Investition bereits im
sechsstelligen Bereich.
Wenn er selbst an der Uni ist, engagiert
Meier seinen Vater und einen Nachbarn
als Fahrer. Nach seinem Abschluss als
Maschinenbauer würde Meier gerne
selbst Landmaschinen entwickeln und
sie vor allem besser machen. Ihre
Macken kennt er ja aus der Praxis.
Der Geist des Unternehmergymnasiums
wirkt bereits über die Region hinaus.
Jede Woche besucht Ute Heim eine
andere Schule in Bayern, um dort Schü­
lern der Mittelstufen unternehmerisches
Denken nahezubringen. Umgekehrt
kommen Oberstufenschüler aus dem
ganzen Land für Wochenendseminare
nach Pfarrkirchen, um sich Projekt­
management beibringen zu lassen.
www.unternehmergymnasium.de
Die BunDesregierung
→ wird die Gründerkultur in Deutschland → schafft mit dem Hochschulpakt 2020
ausbauen und Menschen für den Unter- zusätzliche Studienplätze.
nehmerberuf motivieren. → erleichtert die Zuwanderung für gut
→ unterstützt zusammen mit den qualifizierte ausländische Fachkräfte.
Ländern Initiativen zur frühen Sprach- → will eine Willkommenskultur schaffen,
und Leseförderung. um den Standort Deutschland für
→ richtet die Ausbildungsförderung qualifizierte Menschen attraktiver zu
verstärkt auf benachteiligte Jugendliche machen.
aus, um allen jungen Menschen den
Weg ins Berufsleben zu ermöglichen.
Impressum
Herausgeber
Presse­ und Informationsamt
der Bundesregierung, 11044 Berlin
Stand
Dezember 2012
Druck
Zarbock GmbH  Co. KG, Frankfurt amMain
Gestaltung
MetaDesign AG, Berlin
Bildnachweis
Judith Affolter: Seite 11
Sebastian Bolesch: Seite 15, 21
Laurence Chaperon: Seite 3
Dong­Ha Choe: Seite 6
laif/Degas/Madame Figaro: Seite 23
Ulf Dieter: Seite 4, 10
Sven Ehlers: Seite 17, 31
Jens Komossa: Seite 9, 18
Burkhard Peter: Titel, Seite 13, 14, 19,
20 (beide), 24, 25, 27, 28 (beide);
picture­alliance/dpa/Schlesinger: Seite 30;
Andrè Zelck: Seite 7
Diese Broschüre ist Teil der Öffentlichkeits­
arbeit der Bundesregierung. Sie wird
kostenlos abgegeben und ist nicht zum
Verkauf bestimmt.
GrundlaGen für nachhaltiGes Wachstum und Wohlstand sichern 29
06Handlungsfähigkeit
des Staates erhalten
30 Handlungsfähigkeit des Staates erhalten
Die Eurokrise hat mehr als deutlich gemacht, wie wichtig tragfähige
öffentliche Finanzen und eine funktionierende Verwaltung sind.
Und sie hat uns einmal mehr bestätigt, wie wichtig ein handlungs­
fähiger Staat und ein stabiles Gemeinwesen für unser Zusammen­
leben sind. Es ist in unser aller Interesse, dass dies so bleibt. Deshalb
müssen wir dafür sorgen, dass der Staat nicht mehr ausgibt, als er
einnimmt. Und dafür, dass die Verwaltung leistungsfähig bleibt.
Wir, das sind nicht nur Menschen deutscher Abstammung, sondern
immer mehr Mitbürger mit Zuwanderungshintergrund und mit
tadelloser Ausbildung. In der Wirtschaft sind ihre Fähigkeiten längst
gefragt. Aber auch im öffentlichen Dienst brauchen wir sie. Wer in
zwei Kulturkreisen aufgewachsen ist, kann in vielen Situationen, bei
vielen Entscheidungen besonders hilfreich sein.
„Ich möchte etwas bewirken,
verändern,Verantwortung
übernehmen. Deutschland hat
mir sehr viel geboten. Jetzt
möchte ich etwas zurückgeben.“
Mahmut Günay, 23,
Polizeikommissar der Bundespolizei am
Flughafen Frankfurt
Handlungsfähigkeit des Staates erhalten  31
Ein Plus für die Polizei
Feuerwehrmann, Kapitän oder Astronaut
kamen für ihn nie infrage. Mahmut
Günay wollte schon immer Polizist wer­
den. „Ich weiß“, sagt er und lächelt dabei
entschuldigend, „das klingt nach einem
Klischee.“ Doch der heute 23-jährige
­Polizeikommissar hatte einen triftigen
Grund. Als kleiner Junge erlebte er, wie
sein Vater einen schweren Verkehrsunfall
nur überlebte, weil ihn ein Rettungs­
hubschrauber gerade noch rechtzeitig in
die Klinik brachte. Am Steuerknüppel:
ein Polizist der Bundespolizei, der für
den kleinen Mahmut zum Helden wurde.
Fast 20 Jahre später trägt der große
Mahmut Günay selbst eine blaue Uni­
form mit Dienstabzeichen. Am Flughafen
Frankfurt kontrolliert er mit Kollegen
der Inspektion 2 die Fluggäste. Polizisten
stehen ständig im Kontakt mit Men­
schen. Viele von ihnen stammen aus
anderen Sprach- und Kulturkreisen.
Beamte wie Günay, die Fremdsprachen
sprechen und zwei Kulturen in sich ver­
einen, sind deshalb unverzichtbar.
„Sie können bei polizeilichen Einsätzen
deeskalierend auf die Gesamtlage wirken“,
erklärt Wolfgang Wurm, Präsident der
Bundespolizeidirektion am Flughafen
Frankfurt.
B
Tatsächlich setzt Günay seine Fähigkeiten
nicht nur selbst ein, sondern gibt auch
Kollegen kleine Tipps für den Umgang
mit türkischen Passagieren. „Bei den
Kontrollen merke ich, dass viele
­Menschen Angst vor der Polizei haben“,
erzählt er. Ein paar Worte in der jeweili­
gen Landessprache helfen, Berührungs­
ängste abzubauen.
Nicht nur bei der Polizei, auch bei ande­
ren Behörden wird der Einsatz von
Beamten mit Migrationshintergrund
immer wichtiger. Denn Deutschland wird
immer vielfältiger. Deshalb wirbt der
öffentliche Dienst im Zuge des nationa­
len Integrationsplanes gezielt in Schulen
um die Mitarbeiter der Zukunft. „Wir
möchten den jungen Menschen vermitteln,
dass ihr Migrationshintergrund eine
echte, zusätzliche Chance ist“, erläutert
32 Handlungsfähigkeit des Staates erhalten
Polizeipräsident Wurm die Zielrichtung.
Einmal für ihr neues Berufsziel begeis­
tert, kommt selbst die Einbürgerung bei
den Jugendlichen in Betracht, sofern sie
nicht bereits EU-Staatsangehörige sind.
Auch Mahmut Günay entschied sich im
Jahr 2000 für die deutsche Staatsbürger­
schaft, denn er fühlt sich der Bundes­
republik näher als der Türkei. „Deutsch­
land hat mir sehr viel geboten und
gezeigt, dass man etwas erreichen kann“,
erklärt er seine Entscheidung. „Jetzt
möchte ich etwas zurückgeben.“ In seiner
Familie ist der öffentliche Dienst mitt­
lerweile recht populär. Auch Günays
19-jähriger Bruder wird nach dem Abitur
dort anheuern: nicht bei der Polizei,
­sondern beim Zoll.
www.integrationsbeauftragte.de
Die Bundesregierung
→	 wird die Attraktivität des öffentlichen
Dienstes erhöhen, damit sich genügend
Fachkräfte gewinnen lassen, und so
die Leistungsfähigkeit der Verwaltung
erhalten.
→	 hat sich mit der Schuldenregel
­mittelfristig zu einem ausgeglichenen
Haushalt verpflichtet, um den Schul-
denstand und die Zinslast der öffent-
lichen Haushalte zu reduzieren.
→	 wird dafür sorgen, dass die öffentlichen
Finanzen dauerhaft für alle Genera-
tionen tragbar sind.
→	 stärkt das Wachstum, indem sie
in Bildung, Ausbildung, Forschung,
Entwicklung und Infrastruktur
investiert.
→	 setzt sich mit Nachdruck dafür ein,
dass bis Ende 2012 überall in der
Eurozone nationale Schuldenregeln
eingeführt werden.
→	 setzt auf mobile und digitale Verwal-
tungsangebote, die die Verwaltung
zu den Menschen bringen.
Die vollständige Demografiestrategie der Bundesregierung
und viele weitere Informationen dazu
finden Sie unter www.jedes-alter-zählt.de
Mehr Informationen zur Politik der Bundesregierung:
www.bundesregierung.de

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Publikation demografiestrategie

  • 2. Inhalt Grußwort der Bundeskanzlerin S. 03 Jedes Alter zählt Die Demografiestrategie der Bundesregierung Fähigkeiten in jedem Alter nutzen S. 04–05 01 Familie als Gemeinschaft stärken Zwei auf einem Chefsessel Strom und Windeln S. 06 – 09 02 Motiviert, qualifiziert und gesund arbeiten Neustart geschafft Erfahrung hat Zukunft S. 10 – 13 03 Selbstbestimmtes Leben im Alter Forschen für den Alltag Anders wohnen S. 14 – 17 04 Lebensqualität in ländlichen Räumen und integrative Stadtpolitik­ Zahnärztin auf Achse Neues Stadtleben S. 18 – 23 05 Grundlagen für nachhaltiges Wachstum und Wohlstand sichern Mehr als Service Unternehmergeist fördern S. 24 – 29 06 Handlungsfähigkeit des Staates erhalten Ein Plus für die Polizei S. 30 – 32
  • 3. ����������������������������  3 Deutschland verändert sich. Wir werden weniger und im Durchschnitt älter. Wir werden vielfältiger, der Anteil der Menschen mit Zuwanderungs­ hintergrund nimmt zu. Heute sind wir auch mobiler denn je. Moderne Technologien durchziehen nahezu jeden Lebensbereich. Sie erleichtern den Alltag im Privatleben und bieten neue Möglichkeiten in der Arbeitswelt. Demografische Entwicklung und digitale Revolution stellen die Politik und letztlich jeden von uns vor neue Herausforderungen. Mit dem Wandel gehen unverkennbar auch große Chancen einher. Chancen auf Bildung und Aufstieg, auf persönliche Entfaltung, auf berufliche und gesellschaftliche Teilhabe – all das macht Integration und technischen Fortschritt für den Einzelnen wie auch für unser Land insgesamt als Bereicherung erfahrbar. Es lohnt sich, dass wir uns frühzeitig auch mit wichtigen Zukunftsfragen auseinandersetzen. Wie schaffen wir es, unseren Erfindergeist immer ­wieder aufs Neue zu wecken? Wie gelingt es, unseren Fachkräftebedarf auch künftig zu sichern? Wie können wir Beruf und Familie noch besser miteinander vereinbaren? Welche Möglichkeiten haben auch Ältere, ihre Erfahrungen weiterhin einzubringen? Auf diese und viele andere Fragen bietet die Demografiestrategie der Bundesregierung Antworten. Mit herzlichen Grüßen
  • 4. 4  Jedes Alter zählt Jedes Alter zählt Wir leben länger und gesünder, wir sind mobiler als die Generationen vor uns – und wir erleben mehr kulturelle Vielfalt. So weit, so gut. Die Kehrseite der Medaille: Wir werden weniger, immer mehr Menschen leben allein, viele junge Menschen drängt es vom Land in die Städte, die Zahl der Pflege­bedürftigen steigt. Die Bevölkerung wird in Deutschland deutlich altern: Die Gruppe der Hochbetagten wird bis 2030 um die Hälfte wachsen, die Gruppe der Jün­ geren um mehr als ein Zehntel abnehmen. Eine Entwicklung, die erheb­ liche Folgen für unser Land, unsere Gesellschaft, unser Zusammenleben hat. Da mehr Menschen sterben als geboren werden und dies nicht mehr durch Zuwanderung ausgeglichen wird, geht die Bevölkerung insgesamt zurück. Bis 2030 könnten zwei Millionen und bis 2060 zwölf Millionen Einwohner weniger als heute in Deutschland leben. So hat es das Statis­ tische Bundesamt errechnet. Viele Menschen machen sich deswegen Sorgen. Sorgen, die nicht unbe­ gründet sind. Aber wir können etwas tun. In den vergangenen Jahren hat die Bundesregierung bereits viele Maßnahmen ergriffen, damit unser Land im demografischen Wandel seine Stärken und Lebensqualität behält und weiter entwickelt. Bekanntestes Beispiel: die Rente mit 67. Sie ist nötig, weil es immer weniger Beitragszahler und immer mehr ­Rentner gibt. So bleiben die Beiträge bezahlbar und die Renten auf einem stabilen Niveau.
  • 5. D Noch sind allerdings viele Aufgaben zu bewältigen. Wie, das zeigt die neue Demografiestrategie der Bundesregierung. Sie lädt alle Bürger ein, die ­Veränderungen aktiv mitzugestalten. Letztendlich ist es eine Frage der Sichtweise. Sehen wir nur die Probleme, oder fragen wir uns: Wie können wir den demografischen Wandel gestal­ ten? Und wie können wir die Vorteile nutzen, die er birgt? Engagierte Menschen in ganz Deutschland nehmen die Dinge bereits in die Hand. Sie ergreifen die Chancen, die ihnen unser Gemeinwesen bietet. Sie nehmen ihr Umfeld bewusst wahr und machen politisch Verantwort­ liche darauf aufmerksam, welche Maßnahmen sinnvoll sind. Und sie reden nicht nur darüber, was getan werden müsste, sondern übernehmen selbst Verantwortung. Es gibt Tausende Beispiele dafür. Auf den folgenden Seiten stellen wir Ihnen elf davon vor. Fähigkeiten in jedem �lter nutzen Sie zeigen, warum die Familie auch in einer stark individualisierten Gesellschaft den Kern des Zusammenlebens bildet. Und wie sich Kinder­ wunsch und Karriere tatsächlich in Einklang bringen lassen – nicht nur für Frauen. Es kommen Mitbürger zu Wort, die sich auch im Ruhestand noch einbringen, sei es durch ihr fachliches Wissen oder im Sinne von wahrer Gastfreundschaft und Nachbarschaftshilfe. Wir stellen Menschen vor, die bereits länger arbeiten und deren Arbeitgeber auf ihre veränderten Bedürfnisse eingeht; Menschen, die der Anonymität in Großstädten ­entgegenwirken und ihren Stadtteil mitgestalten; Menschen, die Leben und Arbeit aufs Land zurückholen. Und junge Mitbürger mit Migrations­ hintergrund, die dank ihrer Sprachkenntnisse und ihres kulturellen ­Wissens dazu beitragen, dass der öffentliche Dienst der Vielfalt in unserer Gesellschaft entspricht. Sie und viele andere tragen dazu bei, dass wir in Deutschland Wohlstand, soziale Sicherheit und Lebensqualität erhalten können – trotz der Bevöl­ kerungsentwicklung. Jedes Alter zählt. Wir müssen die Bedürfnisse der jungen Menschen genauso im Auge behalten wie die der älteren. Und allen die Möglichkeit geben, ihre Fähigkeiten zu nutzen. Das ist das Ziel der Demografiestrategie. Einleitung 5
  • 6. 01 Familie als Gemeinschaft stärken 6  Familie als Gemeinschaft stärken Die Familie steht im Mittelpunkt der Demografiestrategie der Bundesregierung. Denn je anonymer unser Zusammenleben ist, desto mehr wird uns bewusst: Nirgendwo sind Zusammenhalt und gegenseitiges Vertrauen stärker als in der Familie. Doch in den vergangenen Jahren haben sich immer weniger Paare für Kinder entschieden. Und immer weniger Rentner können sich am Lachen ihrer Enkel erfreuen. Für viele junge Leute lautet die wichtigste Frage, wie sich Kinder, Beruf und Aufstiegschancen in Einklang bringen lassen. Gute Betreuungsangebote, familienfreundliche Arbeitszeiten und Hilfen im Haushalt sind notwendige Voraus­ setzungen. Doch auch sie helfen nur, wenn sich Arbeitswelt und Lebenseinstellung verändern. Wir zeigen an zwei Beispielen, dass Paare bereits heute bereit sind, sich Erziehungsarbeit und Berufs­ tätigkeit zu teilen. Und dass Arbeitgeber und Hochschulen bereit sind, Karriere auch in Teilzeit zu ermöglichen.
  • 7. Tanja Mumot, 34, teilt sich die Leitung einer Commerzbank-Filiale mit Christian Bürgel „An meinen freien Tagen unternehme ich sehr viel mit meinem vierjährigen Sohn Henry. Für mich bedeutet das eine optimale Balance zwischen Beruf und Privatleben.“ Zwei auf einem Chefsessel­ Von Montag bis Mittwoch ist Christian Bürgel der Chef, donnerstags und frei­ tags ist Tanja Mumot die Chefin. In der Chefetage einer Commerzbank-Filiale ist Realität, was viele Unternehmen besten­ falls in unteren Positionen ermöglichen: Seit April 2009 wechseln sich Bürgel und Mumot bei der Leitung einer Bankfiliale in Duisburg ab. Beide haben Kinder und beide wollen beides: Familie und Arbeit. „Ich habe durch die zusätzliche Freizeit eine sehr intensive Beziehung zu meinem Sohn bekommen.Auch er freut sich immer auf die beiden Wochentage, an denen Papa zu Hause ist.“ Christian Bürgel, 45, Filialleiter der Commerzbank Christian Bürgel ist Vater des mittler­ weile zehnjährigen Alexander. Er wollte sich die Kinderbetreuung mit seiner Frau teilen – ohne fremde Hilfe. Bürgel wusste, dass auch Tanja Mumot, deren Familie als Gemeinschaft stärken  7 Sohn Henry heute vier Jahre alt ist, auf der Suche nach einem Teilzeitposten war. Also entwarfen die beiden ein gemeinsames Führungsmodell und ­präsentierten es ihren Vorgesetzten. K „Meine Vorgesetzten haben meinen Wunsch von Anfang an voll mitgetra­ gen“, erinnert sich Bürgel. Denn die Bank strebt ganz bewusst an, dass sich ihre Mitarbeiter nicht zwischen Kindern und Job entscheiden müssen. Deshalb ermög­ licht sie nicht nur viele Positionen in Teilzeit, sondern auch Telearbeit von zu Hause aus. Bereits seit Anfang der 90er-Jahre gibt es eine entsprechende Betriebsvereinbarung. Und damit nicht genug. Mit dem Programm „Keep in Touch“, einer geringfügigen Teilzeit wäh­ rend der Elternzeit, hilft die Bank laut Personalvorstand Ulrich Sieber, eine Unterbrechung der Karriere zu vermei­ den. Die Maßnahme „Rückkehrgarantie nach Elternzeit“ gewährleiste über die gesetzlichen Regelungen hinaus, dass Kollegen nach der Kinderpause wieder in derselben Position tätig seien.
  • 8. 8  Familie als Gemeinschaft stärken So war es auch für die Mitarbeiter von Tanja Mumot und Christian Bürgel wenig verwunderlich, dass an verschie­ denen Tagen verschiedene Chefs zustän­ dig sind. Allerdings setzt diese Arbeits­ weise großes gegenseitiges Vertrauen und einen gemeinsamen Führungsstil voraus. Und ganz abgeschnitten vom Geschehen sind die beiden auch nicht an ihren Familientagen: „Wir telefonieren regelmäßig miteinander und leiten uns E-Mails weiter, um uns auszutauschen.“ G Beide fühlen sich durch das ausgewogene Verhältnis von Beruf und Familie moti­ viert. An den freien Tagen können sie sich voll und ganz auf die Familie konzentrie­ ren, und an den jeweiligen Arbeitstagen gehört ihre ganze Energie der Bank. So bleibt jede Menge Zeit, um mit den Kin­ dern zu spielen, den Haushalt zu organi­ sieren, den Garten zu pflegen oder auch mal Sport zu treiben. Die Mitarbeiter pro­ fitieren auch davon: Ihre Chefs sind aus­ geglichen und stets gut gelaunt. Strom und Windeln Der Laie muss das zweimal lesen und versteht trotzdem nur Bahnhof: „Steige­ rung der elektrischen Leitfähigkeit orga­ nischer Materialien ohne den Verlust der Transmissivität von Licht“. Thorsten Audersetz weiß allerdings sehr genau, was sich dahinter verbirgt. Er studiert im zweiten Mastersemester Physik an der Universität Paderborn und ist dort auch studentische Hilfskraft. Aber Audersetz führt auch noch ein anderes Leben: ­Windeln wechseln, nachts von Linus’ Schreien aufwachen und sich an dessen ersten Versuchen zu lächeln erfreuen – auch das gehört zum Alltag. Am 9. März 2012 ist der 25-Jährige Vater geworden. Dass Audersetz Kind und Studium gut miteinander vereinbaren kann, liegt vor allem daran, wie seine Universität jungen Eltern begegnet. „Wir haben uns ganz bewusst dafür entschieden, noch wäh­ rend meines Studiums ein Kind zu bekommen, weil die Voraussetzungen einfach perfekt waren“, erzählt Audersetz. R „Familiengerechte Hochschule“: In Paderborn ist das nicht nur werbetaugli­ ches Gütesiegel, sondern gelebter Hoch­ schulalltag, den ein Eltern-Service-Büro koordiniert. „Es war ein voller Erfolg, dorthin zu gehen“, erinnert sich Auder­ setz an die Besuche bei Barbara Pick­ hardt. Die Diplom-Pädagogin weiß nicht nur aufgrund ihrer Ausbildung und Berufserfahrung um die Bedürfnisse junger Eltern. Sie kennt sie auch aus dem eigenen Leben. Denn sie wurde selbst noch während des Studiums Mutter. Heute bietet sie werdenden Eltern Rat und Hilfe in allen Lebenslagen. Von der Finanzierung über die Kinderbetreuung, die zeitliche Organisation von Studium und Elternschaft bis hin zur psycho- sozialen Beratung: Das Eltern-Service- Büro ist die Anlaufstelle. E So unromantisch das klingen mag: An erster Stelle steht meist die Frage der Finanzierung. Audersetz hatte sich
  • 9. eigentlich nur nach dem Elterngeld erkundigen wollen, als er einen Termin bei Barbara Pickhardt wahrnahm. „Sie hat dann alle Varianten mit mir durch­ gerechnet, die ganze Palette rauf und runter“, erinnert sich der junge Vater. Heraus kamen drei Modelle, wie sich „Familie finanzieren“ ließe. Ein Baustein ist die Stelle als studentische Hilfskraft am Lehrstuhl Physik. Nicht nur dort kam man Audersetz mit dem Satz: „Komm, wann du Zeit hast“ entgegen, auch die Lehrenden sind ­sensibilisiert. Eine mündliche Prüfung, die kurz nach der Geburt des Kindes anstand, konnte Audersetz verschieben. Nach dem Master will er direkt in den Beruf einsteigen – und hat dafür nach Einschätzung von Pickhardt gute Chan­ cen: „Viele Arbeitgeber sehen einen Vor­ teil darin, jemanden nach Abschluss des Studiums einzustellen, der den Kinder­ wunsch bereits realisiert hat.“ www.uni-paderborn.de Stichwort „Familiengerechte Hochschule“ „Ich hätte nie gedacht, dass mein Lehrstuhl mir erleichtert, Studium und Vaterschaft unter einen Hut zu bekommen.“ Thorsten Audersetz, 25, Physikstudent, studentische Hilfskraft und Vater Die Bundesregierung → setzt sich dafür ein, dass Frauen und Männer auch als Mütter und Väter Führungsaufgaben übernehmen können. → fördert die Vereinbarkeit von Studium und Familie, damit die Studienzeit auch Zeit der Familien- gründung werden kann. → unterstützt gemeinsam mit den Wirtschaftsverbänden und Gewerk- schaften die Verbreitung familien­ bewusster Arbeitszeiten und erleichtert es den Arbeitnehmern, ihre pflegebedürftigen Angehörigen zu betreuen. → wird den Ausbau der Kinder­ betreuung auf Basis der Vereinba- rungen mit den Ländern sicherstellen und hilft dabei, dass die Kitas ihren Bedarf an qualifiziertem Fachpersonal decken können. → wird Möglichkeiten für eine bessere Förderung haushaltsnaher Dienst- leistungen prüfen. → wird ungewollt kinderlosen Paaren die Realisierung ihres Kinder­ wunsches erleichtern. Familie als Gemeinschaft stärken  9
  • 10. 02 Motiviert, qualifiziert und gesund arbeiten Lernen von den Alten. Was einst selbstverständlich war, hat sich zur Floskel entwickelt. Dabei tun wir nicht nur älteren Menschen einen Gefallen, wenn wir ihren Rat suchen und schätzen. Wir profitieren davon – privat und sogar wirtschaftlich. Denn erfahrene Mitarbeiter sichern Produktivität und Qualität – wenn sie gesund bleiben und ihrem Alter gemäß eingesetzt sind. Für den Einzelnen bedeutet das, dass er nicht spätestens mit 60 aussortiert wird. Wir können nicht mehr auf die Arbeitskraft der Älteren verzichten. Es geht aber nicht darum, einfach nur länger zu arbeiten, sondern sich dabei gut zu fühlen und Wertschätzung zu erfahren. Unverzichtbare Grundlagen sind allerdings Gesundheit, Qualifizierung und eine altersgerechte Gestaltung der Arbeitswelt. Wir stellen zwei Menschen vor, die sich körperlich und geistig fit gehalten haben, weil Gesellschaft und Arbeitgeber ihnen den Anreiz dazu geboten haben. 10  Motiviert, qualifiziert und gesund arbeiten
  • 11. Motiviert, qualifiziert und gesund arbeiten  11 „Ich habe wieder mehr Selbst­ bewusstsein und gemerkt, dass meine 30 Jahre Berufserfah­ rung viel wert sind. Ein Junger muss diese erst noch sammeln.“ Monika Mattis, 57, Bauingenieurin und Mitarbeiterin der Märkischen Entsorgungsgesellschaft Brandenburg Neustart geschafft Morgens im Büro in Prützke, danach ein Ofenbauer in Geltow, dann Unterneh­ men in Werder und Glindow, das Handy stets einsatzbereit: Monika Mattis’ Büro ist das Auto. Die 57-jährige Bauinge­ nieurin reist im Auftrag der Märkischen Entsorgungsgesellschaft Brandenburg durchs Land und berät Unternehmen in Sachen Entsorgung. Sie ist viel unterwegs und ständig am Organisieren, doch genau das ist es, was Mattis gesucht hatte. Das Bauunternehmen, in dem sie lange tätig gewesen war, musste eines Tages Konkurs anmelden. Mattis ließ sich davon nicht entmutigen und gründete 1998 ihr eigenes kleines Ingenieurbüro. Trotz einzelner Aufträge überwogen die existenziellen Sorgen. Als sie 2009 vom „Campus der Generationen“ las, zögerte sie deshalb nicht lange und bewarb sich. N Das Projekt der Universität Potsdam richtet sich an erwerbslose Menschen ab 50 Jahren mit akademischer Ausbildung in Brandenburg. Sechs Monate lang sind sie noch einmal an der Uni eingeschrie­ ben und können das komplette Angebot in Anspruch nehmen. Vor allem aber arbeiten sie gemeinsam mit Studenten an konkreten Fragen ihres Fachgebietes, die die regionale Wirtschaft stellt. „Die Gene­ ration 50-Plus wird am Arbeitsmarkt immer wichtiger“, erklärt Professor Dieter Wagner, Leiter des „Campus der Genera­ tionen“, die Idee, die dahinter steckt. In den ersten drei Jahren arbeiteten 57 Teil­ nehmer in 25 Projekten. 31 von ihnen fanden im Anschluss eine Anstellung. B So auch Monika Mattis, die sich gemein­ sam mit einem Seniorpartner und zwei Studenten mit dem Recycling von Solar­ zellen befasst hatte. „Die Arbeit mit den Studenten hat mir mein Selbstbewusst­ sein zurückgegeben, und ich habe gemerkt, dass meine 30 Jahre Berufserfahrung viel wert sind“, freut sich Mattis. Direkt im Anschluss an das Projekt fand sie eine Anstellung bei der Märkischen Entsor­ gungsgesellschaft Brandenburg.
  • 12. 12  Motiviert, qualifiziert und gesund arbeiten Die ursprüngliche Förderung des ­„Campus der Generationen“ aus dem Europäischen Sozialfonds und vom Land Brandenburg lief Ende 2011 aus. Aktuell bemüht sich die Universität gemeinsam mit der Agentur für Arbeit Potsdam darum, das Projekt aus eigener Kraft ­weiterlaufen lassen zu können. www.campus-der-generationen.de Erfahrung hat Zukunft 90 Sekunden hat Siegfried Wirler Zeit. 90 Sekunden, um zu prüfen, ob 40 Kolle­ gen aus diversen Einzelteilen ein fehler­ freies Auto zusammengesetzt haben. Der 60-jährige Automechaniker arbeitet im BMW-Werk Dingolfing am Fließband. Den 90-Sekunden-Takt absolviert er jeden Tag acht Stunden lang. „Das ist manchmal schon stressig“, gibt Wirler zu, „man muss wirklich immer hundert­ prozentig da sein.“ Damit das über Jahrzehnte gut gehen kann, reicht es nicht, am Wochenende die Füße hochzulegen. Menschen wie Siegfried Wirler müssen aktiv etwas tun, damit sie auch mit 60 noch körperlich und geistig fit sind: gesunde Ernährung, Ausdauersport, Kraftübungen und hin und wieder Physiotherapie. Wirler hat einen Arbeitgeber, der das nicht nur schätzt, sondern seine Angestellten sogar dabei unterstützt. Angepasste Arbeitsbedingungen Die BMW-Gruppe sieht sich als Spiegel der gesellschaftlichen Entwicklung: Der Anteil der Mitarbeiter, die 50 Jahre und älter sind, nimmt stetig zu. Deshalb hat sich das Unternehmen bereits 2004 Gedanken gemacht, wie eine insgesamt ältere Gruppe produktiv und mit hoher Qualität arbeiten kann. Denn: „Wir können es uns nicht leisten, unsere Mit­arbeiter mit 60 in den Ruhestand zu schicken“, so BMW-Personalvorstand Harald Krüger. BMW hat sich deshalb entschieden, die Arbeitsbedingungen an die Bedürf­ nisse des jeweiligen Alters anzupassen. Das Programm „Heute für morgen“ hat laut Krüger das Ziel, „den Schatz, den wir haben, zu nutzen: Erfahrung, Loya­ lität und Qualitätsbewusstsein der Mitarbeiter“. Erwerbsbeteiligung der 55 – 64-Jährigen 0% 2000 2010 10% 20% 30% 40% 50% 60% Quelle: Statistisches Bundesamt
  • 13. „Ich merke, dass mein Arbeit­ geber meine jahrzehntelange Erfahrung und meinen Anspruch an die Qualität der Arbeit wertschätzt.“ Siegfried Wirler, 60, Kfz-Mechaniker bei BMW Ä 2007 startete BMW in seinem Werk in Dingolfing das Pilotprojekt „Produktions­ system 2017“. An einem Band wurden – entsprechend der voraussichtlichen Bevölkerungsentwicklung – jüngere ­Mitarbeiter durch ältere ersetzt und die Bedingungen verändert. Das Ergebnis war eindeutig: „Der Test hat ergeben, dass das Team mit älteren Mitarbeitern genauso produktiv war wie jüngere Teams. Und die Qualität war sogar noch höher als bei den Jungen“, berichtet der Personalvorstand zufrieden. Ein Modell also, das bei BMW jetzt Schule macht. Siegfried Wirler ist zufrieden: „Ich merke, dass mein Arbeitgeber meine jahrzehnte­ lange Erfahrung und meinen Anspruch an die Qualität der Arbeit wertschätzt.“ Die Bundesregierung → wird die Gesundheitsförderung in Betrieben verstärken, damit sich mehr Unternehmen aktiv für die Gesundheit ihrer Mitarbeiter engagieren. → wird zusammen mit den Wirt- schaftsverbänden und Gewerkschaf- ten die Schaffung alters­gerechter Arbeitsplätze und eine Kultur des längeren Arbeitens unterstützen. → wird die Weiterbildung vor Ort unterstützen, damit selbstverständ- lich wird, dass Weiterbildung von Anfang an zum Berufsleben gehört. → will es den Menschen erleichtern, ihre Arbeitszeit über den Lebenslauf so zu verteilen, dass Arbeit und Weiterbildung, Kindererziehung und Pflege Angehöriger besser vereinbar sind. → wird für ältere Arbeitnehmer bessere Möglichkeiten schaffen, Erwerbs­ tätigkeit und Rente flexibel zu kombinieren. Motiviert, qualifiziert und gesund arbeiten  13
  • 14. 03Selbstbestimmtes Leben im Alter 14 Selbstbestimmtes Leben im Alter Krankheit, Einschränkungen und Vereinsamung: Das ist das Bild, das oft vom Alter gezeichnet wird. Dabei leben wir zwar länger, aber nicht schlechter. Und wir leben bewusster. Heute bereits ist der Ruhestand für viele Menschen nicht mehr das, was das Wort suggeriert. Deutsch­ lands Senioren fühlen sich jünger denn je. Sie erleben die Jahre nach ihrem Ausscheiden aus dem Berufsleben als einen erfreulichen „Unruhestand“. Seien es die Enkel, Sport, der Garten, Bildung oder ein Ehrenamt – das Rentenalter wird für viele zum aktiv gestalteten und erfüllten Lebensabschnitt. Mit der wachsenden Zahl der Älteren und Hochbetagten wird aber auch die Hilfe- und Pflegebedürftigkeit zunehmen. Die meisten Menschen wünschen sich eine Versorgung im häuslichen Umfeld. Dafür brauchen wir neue Modelle und müssen unterschiedliche Angebote mit einbeziehen, auch ehrenamtliche. Wir stellen Menschen vor, die aus ihrem Ehrenamt Lebensglück schöpfen und die über Altersgrenzen hinweg füreinander da sind.
  • 15. „Altersgerechte Technik muss nicht einfältige Technik sein. Sie muss bedienerfreundlich und sinnvoll sein.Was für Alte gut ist, ist deshalb auch für Junge gut.“ Karin Wuttig, 72, Industriekauffrau in Rente, Mitglied der Senior Research Group Selbstbestimmtes Leben im Alter  15 Forschen für den Alltag Spätabends noch wach sein, wenn Berufstätige schon schlafen – seit dem Eintritt ins Rentenalter genießt Karin Wuttig diese Stunden, die sie nur für sich hat. Viele Bücher hat sie gelesen. Doch seit ein paar Jahren schaltet sie nach dem Abendessen oft den Computer ein: „Ich genieße es, mit der Welt in Verbindung zu stehen“, schwärmt die 72-Jährige. Die meiste Freude bereitet es ihr, wenn sie mit ihrer Tochter in London über das Internet telefonieren kann. Aber oft surft die ehemalige Industriekauffrau auch durchs weltweite Netz, beantwortet Mails oder tüftelt an technischen Pro­ blemen herum. „Technik ist richtig toll“, sagt sie strahlend. Dass aus dem „Bücherwurm“, wie Wuttig sich selbst bezeichnet, ein Technikfreak wurde, liegt an der Senior Research Group (SRG) an der Technischen Uni­ versität Berlin. Hier sind Senioren als Forscher tätig. Denn aus Sicht älterer Menschen stellen sich die Ansprüche an Technik oft anders dar als aus der eines Ingenieurs oder Marketingspezialisten. E Die 15 bis 20 Senioren, die den Kern der SRG bilden, können und wollen nicht die Spezialisten in den Unternehmen ersetzen. Sie können aber wichtige Ein­ blicke in die Lebens- und Erfahrungswelt älterer Menschen vermitteln, die jünge­ ren Menschen nicht bewusst sind. „Ergo­ nomische Gestaltung erfordert Einfüh­ lungsvermögen in die Zielgruppe, und wie kann das besser gelingen, als durch die aktive Einbindung der Senioren sel­ ber“, sagt Professor Wolfgang Friesdorf, der die SRG leitet. „Was für Alte gut ist, ist auch für Junge gut“, weist Wuttig die Vermutung zurück, das Ergebnis seien spezielle Senioren­ geräte. So befasste sich die SRG beispiels­ weise mit den Anforderungen an eine barrierefreie Wohnung. Ihre Ergebnisse und Anregungen hatten bleibende Wir­ kung: Eine DIN-Norm zur Breite von Badtüren ist bereits geändert. „Das war
  • 16. 16 Selbstbestimmtes Leben im Alter toll“, erinnert sich Wuttig begeistert. Die Auflösung von Handydisplays, der Standort von Fahrkartenautomaten oder die öffentliche Infrastruktur in Berlin: Die Liste der Projekte ist lang, und sie findet noch kein Ende. So begleitet die SRG auch ein Projekt zur generationen­ übergreifenden Arbeit in der Zukunft und testet ein Smart-Home. www.srg-berlin.de Die Bundesregierung → will selbstbestimmtes Altern unter- stützen, zum Beispiel bei alters­ gerechten Wohnformen, technischen Geräten und Mobilität. → wird die Rahmenbedingungen für das Engagement der Menschen ver- bessern, Anlaufstellen und Mehrge- nerationenhäuser breiter verankern. → stärkt zukunftsweisende Modelle der Mitverantwortung von Bürge- rinnen und Bürgern – zum Beispiel für Pflege und Betreuung – in den Kommunen. → wird eine nationale Allianz für Menschen mit Demenz auf den Weg bringen und dabei die Bildung regio- naler Hilfenetze unterstützen. → wird die Pflegeberufe zukunfts­ gerecht weiterentwickeln und die Pflegeversicherung einschließlich des Begriffs der Pflegebedürftigkeit neu ausrichten. Anders wohnen Das Dorfleben, das sie aus ihrer Kindheit kannten, war ihnen zu eng, die Stadt, in der sie Arbeit fanden, zu anonym. Was tun? Willi Wagner und seine Frau Hanne Schäfer entschieden sich dafür, mit Gleichgesinnten die Art des Wohnens zu ermöglichen, nach der sie sich sehnten: in einer großen Gemeinschaft, in der man die Nachbarn kennt und sich gegen­ seitig unterstützt. Die Darmstädter Bau- und Wohngenossenschaft war genau das, was die Eltern von drei Pflegekindern suchten. Insgesamt 80 Personen leben dort auf 2.900 Quadratmetern Wohn- und 300 Quadratmetern Gemeinschafts­ fläche. 22 von ihnen sind Kinder unter 18 Jahren. Eine Mischung, die bewusst angestrebt war. G „Wir haben uns Quoten gesetzt“, erklärt Winkler, der auch Mitglied des Auf­ sichtsrats von WohnSinn ist. So ist mit zwei Dritteln der Wohnungen ein Dauer­ wohnrecht verbunden, ein Drittel hat die Baugruppe mit Kreditunterstützung von Land und Kommune als Sozialwohnun­ gen gebaut. Der Grund: „Wir wollten einen Querschnitt durch Arm und Reich bilden.“ Im ersten Konzept fehlte aller­ dings die gesellschaftliche Mitte jener Menschen, die zwar keine Sozialhilfe beziehen, sich aber keine Eigentums­ wohnung leisten können. Deshalb wurde direkt eine weitere Einheit gegründet, an deren Finanzierung sich die Mieter beteiligen konnten.
  • 17. „Meine Frau und ich kommen beide aus kleinen Dörfern. In der Stadt haben wir diese Gemeinschaft und die gelebte Nachbarschaftshilfe immer gesucht. Deshalb sind wir Mit­ glied von WohnSinn geworden.“ W Selbstbestimmtes Leben im Alter  17 Neben der Wirtschaftskraft spielen in den barrierefreien Häusern auch Alter, Familienstand, Herkunft und Behinde­ rung eine Rolle bei der Auswahl neuer Mitglieder. Die Bewerberliste ist lang, denn viele Städter sehnen sich nach die­ ser besonderen Form der Gemeinschaft. Jeder hat auch Pflichten Wie stark sich der Einzelne dann tat­ sächlich integriere, sei sehr unterschied­ lich, erzählt Wagner. Die Möglichkeiten dafür sind zahlreich: Bewohner halten Vorträge, berichten von Reisen, treffen sich zur Englischkonversation, zur Medi­ tation oder einmal pro Woche im Bistro, wo sie, wie Wagner es beschreibt, „den Nachbarn mal mit mehr Zeit treffen, als wenn er morgens ins Auto steigt und ins Büro fährt“. Wer sich gut versteht, passt auf die Kinder des anderen auf, erledigt einen Einkauf oder kümmert sich um einen pflegebedürftigen Mitbewohner ohne Angehörige. Doch die Darmstädter Insel der Seeligen verlangt ihren Mitgliedern auch Pflich­ ten ab: Arbeiten eines Hausmeisters, Hausverwaltung, Reinigung der Gemein­ schaftsflächen – all diese weniger freudi­ gen Aufgaben werden ebenfalls gemein­ sam gestemmt. Streng nach Plan. „Oft lasse ich für mich arbeiten, manchmal muss ich selbst ran“, hebt Wagner den Vorteil dieser Arbeitsteilung hervor. Und bei so vielen Tabellen darf natürlich auch eine Liste der Geburtstage nicht fehlen. Wer so integriert ist wie Willi Wagner, kann deshalb gar nicht genug Kuchen backen für alle Gratulanten. Mit einem Zwinkern verrät Wagner seine Lösung: „Ein Glas Sekt wird auch gerne genommen.“ www.wohnsinn-darmstadt.de
  • 18. 04 Lebensqualität in ländlichen Räumen und integrative Stadtpolitik 18 Lebensqualität in ländlichen Räumen und integrative Stadtpolitik Weniger Bushaltestellen, die Bahnlinie eingestellt, der nächste Arzt 50 Kilometer entfernt und die Jobs weg, woanders, in der Stadt. In der Stadt, in der immer mehr Menschen auf immer knapperem Raum leben und Zuzug zu neuen Herausforderungen führt – nicht nur beim Zusammenleben von Menschen mit verschiedenen kulturellen Hintergründen. Vielerorts ist dies Realität. Engagierte Menschen auf dem Land nehmen ihr Zusammenleben in die Hand. Sie können auf die Unterstützung der Länder und des Bundes zählen, zum Beispiel, um die ärztliche Versorgung auch in dünn besiedelten Regionen aufrechtzuerhalten. Und sie schließen sich als Bürger zusammen, um in der Stadt ihren Lebensraum zu gestalten. Sie leben und arbeiten auf engem Raum. Doch sie machen das gemeinsam, sind gesund und im Grünen.
  • 19. „Ich bin mit meinen Patienten älter geworden.Viele von ihnen können mich nicht mehr in der Praxis besuchen, weil sie krank oder nicht mobil sind.Also fahre ich zu ihnen.“ Dr. Kerstin Finger, 52, Zahnärztin und Anbieterin eines mobilen Zahnarztdienstes Lebensqualität in ländlichen Räumen und integrative Stadtpolitik  19 Zahnärztin auf Achse Schmerzen in Milmersdorf, eine Routi­ neuntersuchung in Ringenwalde oder eine lockere Prothese in Thomsdorf: Ein Anruf genügt, und Kerstin Finger macht sich auf den Weg. Auf den Weg zu ihren Patienten auf dem Land, die es alters- oder krankheitsbedingt nicht schaffen, zu ihr zu kommen. Sie sind dankbar, dass sich Kerstin Finger um sie kümmert und ihnen sehr viel Mühe erspart. Seit 1984 praktiziert die Zahnärztin in Templin. Seit 2010 lindert sie das Leid ihrer Patienten auch bei Hausbesuchen. Templin in der Uckermark: Ursprünglich war das nicht das Traumziel der ehr­ geizigen Medizinstudentin. Doch als angehende Fachärztin zu DDR-Zeiten wurde sie dorthin „gelenkt“. Finger hätte insofern allen Grund gehabt, spätestens nach der Friedlichen Revolution das Weite zu suchen. Doch sie blieb. Und nicht nur das. Sie gründete zunächst mit vier Kollegen eine Praxis und machte sich 1992 komplett selbst­ ständig. Dass sie nebenher auch noch promovierte sowie zwei Kinder großzog, ist für die Frau mit Energie für drei kaum der Rede wert. Jetzt bietet sie eben auch noch einen mobilen Zahnarztdienst an. N „Ich bin mit meinen Patienten älter geworden“, sagt Finger. Über die Jahre habe sie komplette Familien kennenge­ lernt, über mehrere Generationen hin­ weg. Irgendwann wurden die Patienten der ersten Generation so alt, dass es ihnen nicht mehr so leichtfiel, in Fingers Praxis nach Templin zu kommen. Bus­ linien wurden in der stark von Abwande­ rung geprägten Region eingestellt, Taxis sind zu teuer, denn viele der Patienten sind arbeitslos. Nicht nur ihr Pflichtbewusstsein als ­Ärztin, auch ihr persönlicher Widerwille, negative Dinge als gegeben hinzuneh­ men, veranlassten die Zahnärztin, dem demografischen Wandel nicht tatenlos zuzusehen. Wer aufgrund von Alter und Krankheit nicht zu ihr kommen konnte, bei dem fuhr sie in der Mittagspause oder
  • 20. 20 Lebensqualität in ländlichen Räumen und integrative Stadtpolitik am Wochenende vorbei. „Denn“, so ihre schlichte Ansicht, „ein kranker Körper kümmert sich nicht darum, ob ein Bus zum Arzt fährt, er braucht schlicht Hilfe.“ K So ganz einfach war das natürlich nicht. Finger hat viel Geld in ihre mobile Aus­ stattung investiert. Das haben ihr Förder­ mittel aus dem Europäischen Agrarfonds ELER und des brandenburgischen Land­ wirtschaftsministeriums erleichtert. Doch den Großteil steuerte sie selbst bei. „Seither fahre ich richtig schön ausge­ stattet“, freut sich die Frau mit der stets positiven Ausstrahlung. Für die Patienten entstehen trotz Extra­ service keine Extrakosten. Reich wird die Zahnärztin damit nicht: „Ich disku­ tiere nicht, ob es sich rechnet, sondern ver­suche zu zeigen, dass es notwendig und durchführbar ist.“ Die Bundesregierung → wird die öffentliche Förderung für Regionen, die besonders unter Abwan- derung leiden, besser verzahnen. → wertet mit der Städtebauförderung das Leben in den Innenstädten auf und fördert die soziale Integration. → wird sich 2014 bei den Verhandlungen auf EU-Ebene für eine angemessene finanzielle Förderung deutscher Regio- nen einsetzen. → unterstützt Projekte, um Klein- und Mittelzentren im ländlichen Raum und ihre Zusammenarbeit bei der Daseins- vorsorge zu stärken. → will bis 2018 eine flächendeckende Versorgung mit schnellem Internet von 50 Mbit/s erreichen, damit die ländlichen Regionen nicht digital abgehängt werden. → unterstützt eine flächendeckende Gesundheitsversorgung im ländlichen Raum. → wird den Nationalen Aktionsplan Integration umsetzen und kommunale Integrationspolitik unterstützen.
  • 21. „Das Wissen, komfortabel, aber umweltschonend zu leben, die Abwesenheit von Autolärm, die alten Linden direkt vor dem Haus und die bessere, bunte Infrastruktur – das macht das Leben im Vauban aus.“ Andreas Delleske, 46, Energieberater, Bewohner des Freiburger ­Stadtquartiers Vauban Lebensqualität in ländlichen Räumen und integrative Stadtpolitik  21 Neues Stadtleben Wenn Andreas Delleske sich nach Natur sehnt, muss er nicht in Auto oder Bahn steigen und die Stadt hinter sich lassen. Er kann einfach das Fenster öffnen und in die alten Linden vor seinem Haus ­blicken. Oder er geht ein paar Schritte zum Biotop. Dabei wohnt der 46-jährige Energieberater nicht in einem kleinen Dorf im Grünen. Sondern gemeinsam mit 5.300 anderen Menschen im Quartier Vauban am Stadtrand von Freiburg im Breisgau. Bevor hier Familien lebten, waren auf dem Areal am Fuß des Schönbergs fran­ zösische Soldaten untergebracht. 1992 zogen sie ab, das Gelände fiel an das Bun­ desvermögensamt, und die Stadt hatte plötzlich 38 Hektar bebaubare Fläche vor der Tür. Sie kaufte 34 Hektar. Der Rest ging an das Studentenwerk und ein gemeinnütziges Projekt, das die alte Bau­ substanz erhalten und Wohnraum für geringer verdienende Menschen schaffen wollte. In vier umgebauten Gebäuden, früher Mannschaftsunterkünfte der Sol­ daten, wohnen heute 260 Menschen. Planung mit den �ürgern Doch in Freiburg gab es noch mehr ­Bürger, die gerne im Quartier leben und dabei mitreden wollten, wie die neu gewonnene Fläche aussehen sollte. Und auch die Stadt sah die Notwendigkeit, die Bürger mehr als bis dahin üblich in die Planung einzubinden. Sie richtete eine spezielle Arbeitsgruppe ein, und die Bür­ ger gründeten einen Verein: das „Forum Vauban“. „Wir sahen Vauban als einma­ lige Chance und wollten auf dem ehema­ ligen Kasernengelände zukunftsfähiges, familiengerechtes Wohnen ermöglichen – überwiegend in Eigentumswohnun­ gen“, fasst Roland Veith, Verwaltungsbe­ amter und damals Projektleiter Vauban, die Ziele zusammen.
  • 22. 22 Lebensqualität in ländlichen Räumen und integrative Stadtpolitik Niedriger Energiebedarf, das Verkehrs­ konzept und das Verhältnis von Wohn- und Grünflächen – das waren die wich­ tigsten Gesichtspunkte. Man ließ sich professionell beraten und gab gemein­ sam mit der Bundesumweltstiftung und der Europäischen Union Studien in Auf­ trag: Wie lässt sich das Leben in der Stadt mit weniger Energieaufwand gestalten? So entstand ein autoarmer Stadtteil, in dem 20 Hektar Wohnbauland fast sechs Hektar Grünflächen gegenüberstehen. Darunter viel alter Baumbestand wie die Linden vor Delleskes Tür. L Niedrigenergiebauweise ist Pflicht. Einige Baugemeinschaften gingen sogar noch weiter und errichteten Passivhäu­ ser; ein Bauträger realisierte eine Solar­ siedlung mit Plusenergiehäusern, die Strom ins öffentliche Netz einspeisen. Im Vauban spürt man an jeder Ecke, dass sich Menschen mit einer ähnlichen Weltanschauung zusammengeschlossen haben, um ihre Vorstellung vom Leben in der Stadt umzusetzen. „Wir sind keine Kommune von Ökos, sondern ein ganz normaler Stadtteil“, weist Delleske allzu romantische Vorstellungen zurück. Er fügt jedoch hinzu: „Andererseits haben uns die gemeinsame Planung und der Bau schon zusammengeschweißt.“ Man kenne sich besser, teile sich das Auto oder andere Anschaffungen und nehme sich Zeit, wenn man jemanden auf der Straße treffe. Städtisch Halbstädtisch* Ländlich 36% 15% 49%* Zu halbstädtischen Gebieten werden diejenigen Gemeinden zusammengefasst, die jeweils eine Einwohnerdichte von 100 bis 500 Einwohner je km² aufweisen. Stadt-Land-Gliederung der Bevölkerung in Deutschland Quelle: Statistisches Bundesamt
  • 23. Noch heute kommen das ganze Jahr über Besuchergruppen nach Freiburg, um sich anzusehen, was Stadt und Bür­ ger gemeinsam möglich gemacht haben. „Die strengen energetischen Vorschriften und die Tatsache, dass das eigene Auto in den stellplatzfreien Gebieten nicht vor der Tür stehen darf: Das hat damals ganz Deutschland interessiert“, erinnert sich Ex-Projektleiter Veith. Alle hätten wissen wollen: Kriegen die das hin? Die Geschichte hat ihnen recht gegeben. Lebensqualität in ländlichen Räumen und integrative Stadtpolitik  23
  • 24. 05 Grundlagen für nachhaltiges Wachstum und Wohlstand sichern 24 Grundlagen für nachhaltiges Wachstum und Wohlstand sichern Unternehmer klagen über den Mangel an Fachkräften, Sozialforscher über ungleiche Bildungschancen und qualifizierte Arbeitskräfte aus dem Ausland über zu hohe Hürden. Der Bundesregierung sind diese Probleme bewusst. Sie fördert die Bildungspotenziale in allen Lebensphasen und hilft, die Fachkräftebasis zu sichern. Denn allen Beteiligten ist klar: Nicht die Größe der Bevölkerung gewährleistet Wohlstand, sondern die Qualität ihrer Köpfe. Deshalb unterstützt der Staat auch Menschen, die sich aktiv für Einwanderer einsetzen und ihnen helfen, sich in Deutschland einzuleben. Und er fördert Unternehmer, die Verantwortung übernehmen; die Arbeitsplätze schaffen und dazu beitragen, dass der Mittelstand die tragende Säule der Wirtschaft bleibt.
  • 25. „Es ist wichtig für Deutschland, dass die ausländischen Gäste sich gerne an ihre Zeit bei uns erinnern. Davon profitiert auch die deutsche Wirtschaft.“ Franz Roser, 64, Ingenieur im Ruhestand und Vorsitzender des Senior Service Offenburg Grundlagen für nachhaltiges Wachstum und Wohlstand sichern  25 Mehr als Service China, USA, Europa – 42 spannende Jahre als Ingenieur auf drei Kontinenten. Und dann plötzlich nur noch Offenburg? Die Vorstellung, in den Ruhestand zu gehen, bereitete Franz Roser Sorge: „Ich hatte Angst, dass ich in ein Loch falle, dass mir langweilig wird und dass ich den Kontakt zu jungen Menschen ver­ liere.“ Die eigenen vier Kinder waren längst aus dem Haus. Also ging Roser 2009 in die Offensive und wandte sich an das Seniorenbüro seiner Stadt. Von den mehr als 75 Projekten für Ehrenamt­ liche sprach den Ingenieur eins sofort an: Der Senior Service Offenburg betreut ausländische Masterstudenten. Etwa 60 aktive Rentner, die an anderen Kul­ turen interessiert sind, begleiten etwa 200 Studenten. G Während eines ersten Treffens zu Semes­ terbeginn und einer Stadtführung wer­ den Telefonnummern ausgetauscht. „Sympathie ist das einzige Kriterium“, erklärt Roser. Das funktioniert jedes Mal. Wer sich besonders gut versteht, trifft sich nicht nur zu den gemeinsamen Aus­ flügen in der großen Gruppe, wie etwa zur jährlichen Schwarzwaldwanderung. Sondern man lädt die Gäste aus Indien, Mexiko, Thailand oder Russland zu sich nach Hause ein. Die deutsch-ausländi­ schen Gruppen kochen gemeinsam, gehen wandern oder fahren Rad. Roser und seine Frau haben viel mit indischen Gästen zu tun. Mit Suresh Raman verstehen sie sich besonders gut. Der 26-jährige Software-Entwickler aus Chennai weiß die Gastfreundschaft zu schätzen: „Ich bin Tausende Meilen weit weg von zu Hause, von meinen Eltern. Durch die Rosers habe ich das Gefühl, auch in Deutschland Familie zu haben.“
  • 26. 26 Grundlagen für nachhaltiges Wachstum und Wohlstand sichern G Die Mitglieder des Senior Service Offen­ burg sind nicht selten Berater in Lebens­ fragen, da sie aufgrund ihres Alters mehr Erfahrung haben und in Deutschland besser vernetzt sind. Viele der Studenten wollen nach ihrem Master in Offenburg gerne in Deutschland bleiben und erst nach ein paar Jahren Berufserfahrung in ihre Heimat zurückkehren. Die Kontakte der Ruheständler zu ihren früheren Arbeitgebern können da nützlich sein. Umgekehrt ist es nach Rosers Meinung „wichtig für Deutschland, dass die aus­ ländischen Gäste sich gerne an ihre Zeit bei uns erinnern“. Davon profitiert seiner Meinung nach auch die deutsche Wirtschaft: „Wen man kennt, mit dem kommt man leichter ins Geschäft.“ Für sein Fazit verwendet der ehemalige Inge­ nieur augenzwinkernd eine Vokabel aus der Betriebswirtschaft: „Es ist eine Win- win-Situation: Wir geben Gastfreund­ schaft, dafür wird unsere Neugier auf andere Kulturen gestillt.“ www.offenburg.de/html/senior_service.html Der Rückgang an Erwerbstätigen in Deutschland macht die Zuwanderung qualifizierter Fachkräfte erforderlich. E 50 in Mio 49 48 47 46 45 44 43 42 41 40 0 2010 2012 2014 2016 2018 2020 2022 2024 2026 2028 2030 Quelle: Statistisches Bundesamt
  • 27. „Am Unternehmergymnasium habe ich vieles gelernt, worauf es als Unternehmer ankommt. Und mir wurde klar, dass man die Verantwortung, die man übernimmt, nicht auf die leichte Schulter nehmen darf.“ Manuel Meier, 20, Maschinenbaustudent und Unternehmer Grundlagen für nachhaltiges Wachstum und Wohlstand sichern  27 Unternehmergeist fördern Sommer, Sonntag, 30 Grad. Manuel Meier ist gerade am Badesee angekom­ men. Da klingelt das Handy. Ein Kunde ist dran, seine Stimme aufgeregt: „Unser Mähwerk ist kaputtgegangen, aber das Gras muss heute noch gemäht werden. Kannst du kommen?“ Der 20-jährige Maschinenbaustudent zögert keine Sekunde, steht eineinhalb Stunden spä­ ter mit seinem „Krone Big M“, einem ­riesigen Mähaufbereiter, auf dem Feld. Meier ist nicht nur Student, sondern auch Unternehmer und als solcher jeder­ zeit bereit: „Schließlich habe ich Verant­ wortung übernommen.“ Wie wichtig das ist, hat er in der Schule gelernt. Das Unternehmergymnasium Pfarr­ kirchen richtet sich an Schüler, die unternehmerisch denken. Die staatliche Schule mit angegliedertem Internat liegt in Niederbayern, einer von Landwirt­ schaft und Mittelstand geprägten Region. Hier wandern weniger junge Menschen ab als in anderen ländlichen Gegenden. Denn viele Betriebe sind in Familien­ hand und werden vom Senior an den Junior übergeben. Dass die Jungen darauf überhaupt Lust und vor allem auch das nötige Wissen dafür haben, liegt immer häufiger am Unternehmergymnasium. „Wir zeigen früh auf, welche Berufe da sind und wo Führungsaufgaben darauf warten, übernommen zu werden. Das sichert Arbeitsplätze in der Region“, erklärt Schulleiter Peter Brendel.
  • 28. 28 Grundlagen für nachhaltiges Wachstum und Wohlstand sichern U Idee und Durchführung stammen von zwei engagierten Lehrern: Ute Heim und Joachim Barth organisieren den kom­ pletten Lehrplan und alle Veranstaltun­ gen des unternehmerischen Teils des Gymnasiums. Ab der zehnten Klasse unterrichten sie ausgewählte Schüler wie seinerzeit Manuel Meier wöchentlich in zusätzlichen Modulen: Businessplan, Finanzierung der Gründungsidee, Wahl der Rechtsform, Präsentation, Marketing und auch Insolvenz stehen auf dem Stundenplan. Außerdem erhält jeder Schüler einen Firmenbesitzer aus der Region als Paten. Der gewährt ihm Ein­ blick in seinen Betrieb und stellt sein Wissen als erfahrener Praktiker zur Verfügung. „Wir wollen den jungen Menschen etwas Handfestes bieten“, erklärt Heim ihr Engagement, „ihnen fehlt sonst jeder Praxisbezug.“ Mittlerweile müssen junge Leute nicht einmal mehr zwingend die Schule wechseln und nach Pfarrkirchen ziehen, wenn sie das unternehmerische Rüstzeug lernen wollen. Sie schalten sich einfach per Internetkonferenz zu den Modulen zu. Papa als �ushilfe Manche von ihnen, so auch Manuel Meier, werden noch während der Schul­ zeit zu Gründern. 25.000 Euro investierte er im März 2008 in einen Rückewagen: eine große Maschine, mit der sich Baum­ stämme aufheben und transportieren lassen. Meier verlieh ihn an Landwirte aus der Region, die sich die teure Maschine nicht leisten können. Weil das so gut lief, wagte sich der junge Unter­ nehmer im Mai 2011 an die nächste, ­größere Anschaffung: den „Krone Big M“. Hierfür lag die Investition bereits im sechsstelligen Bereich.
  • 29. Wenn er selbst an der Uni ist, engagiert Meier seinen Vater und einen Nachbarn als Fahrer. Nach seinem Abschluss als Maschinenbauer würde Meier gerne selbst Landmaschinen entwickeln und sie vor allem besser machen. Ihre Macken kennt er ja aus der Praxis. Der Geist des Unternehmergymnasiums wirkt bereits über die Region hinaus. Jede Woche besucht Ute Heim eine andere Schule in Bayern, um dort Schü­ lern der Mittelstufen unternehmerisches Denken nahezubringen. Umgekehrt kommen Oberstufenschüler aus dem ganzen Land für Wochenendseminare nach Pfarrkirchen, um sich Projekt­ management beibringen zu lassen. www.unternehmergymnasium.de Die BunDesregierung → wird die Gründerkultur in Deutschland → schafft mit dem Hochschulpakt 2020 ausbauen und Menschen für den Unter- zusätzliche Studienplätze. nehmerberuf motivieren. → erleichtert die Zuwanderung für gut → unterstützt zusammen mit den qualifizierte ausländische Fachkräfte. Ländern Initiativen zur frühen Sprach- → will eine Willkommenskultur schaffen, und Leseförderung. um den Standort Deutschland für → richtet die Ausbildungsförderung qualifizierte Menschen attraktiver zu verstärkt auf benachteiligte Jugendliche machen. aus, um allen jungen Menschen den Weg ins Berufsleben zu ermöglichen. Impressum Herausgeber Presse­ und Informationsamt der Bundesregierung, 11044 Berlin Stand Dezember 2012 Druck Zarbock GmbH Co. KG, Frankfurt amMain Gestaltung MetaDesign AG, Berlin Bildnachweis Judith Affolter: Seite 11 Sebastian Bolesch: Seite 15, 21 Laurence Chaperon: Seite 3 Dong­Ha Choe: Seite 6 laif/Degas/Madame Figaro: Seite 23 Ulf Dieter: Seite 4, 10 Sven Ehlers: Seite 17, 31 Jens Komossa: Seite 9, 18 Burkhard Peter: Titel, Seite 13, 14, 19, 20 (beide), 24, 25, 27, 28 (beide); picture­alliance/dpa/Schlesinger: Seite 30; Andrè Zelck: Seite 7 Diese Broschüre ist Teil der Öffentlichkeits­ arbeit der Bundesregierung. Sie wird kostenlos abgegeben und ist nicht zum Verkauf bestimmt. GrundlaGen für nachhaltiGes Wachstum und Wohlstand sichern 29
  • 30. 06Handlungsfähigkeit des Staates erhalten 30 Handlungsfähigkeit des Staates erhalten Die Eurokrise hat mehr als deutlich gemacht, wie wichtig tragfähige öffentliche Finanzen und eine funktionierende Verwaltung sind. Und sie hat uns einmal mehr bestätigt, wie wichtig ein handlungs­ fähiger Staat und ein stabiles Gemeinwesen für unser Zusammen­ leben sind. Es ist in unser aller Interesse, dass dies so bleibt. Deshalb müssen wir dafür sorgen, dass der Staat nicht mehr ausgibt, als er einnimmt. Und dafür, dass die Verwaltung leistungsfähig bleibt. Wir, das sind nicht nur Menschen deutscher Abstammung, sondern immer mehr Mitbürger mit Zuwanderungshintergrund und mit tadelloser Ausbildung. In der Wirtschaft sind ihre Fähigkeiten längst gefragt. Aber auch im öffentlichen Dienst brauchen wir sie. Wer in zwei Kulturkreisen aufgewachsen ist, kann in vielen Situationen, bei vielen Entscheidungen besonders hilfreich sein.
  • 31. „Ich möchte etwas bewirken, verändern,Verantwortung übernehmen. Deutschland hat mir sehr viel geboten. Jetzt möchte ich etwas zurückgeben.“ Mahmut Günay, 23, Polizeikommissar der Bundespolizei am Flughafen Frankfurt Handlungsfähigkeit des Staates erhalten  31 Ein Plus für die Polizei Feuerwehrmann, Kapitän oder Astronaut kamen für ihn nie infrage. Mahmut Günay wollte schon immer Polizist wer­ den. „Ich weiß“, sagt er und lächelt dabei entschuldigend, „das klingt nach einem Klischee.“ Doch der heute 23-jährige ­Polizeikommissar hatte einen triftigen Grund. Als kleiner Junge erlebte er, wie sein Vater einen schweren Verkehrsunfall nur überlebte, weil ihn ein Rettungs­ hubschrauber gerade noch rechtzeitig in die Klinik brachte. Am Steuerknüppel: ein Polizist der Bundespolizei, der für den kleinen Mahmut zum Helden wurde. Fast 20 Jahre später trägt der große Mahmut Günay selbst eine blaue Uni­ form mit Dienstabzeichen. Am Flughafen Frankfurt kontrolliert er mit Kollegen der Inspektion 2 die Fluggäste. Polizisten stehen ständig im Kontakt mit Men­ schen. Viele von ihnen stammen aus anderen Sprach- und Kulturkreisen. Beamte wie Günay, die Fremdsprachen sprechen und zwei Kulturen in sich ver­ einen, sind deshalb unverzichtbar. „Sie können bei polizeilichen Einsätzen deeskalierend auf die Gesamtlage wirken“, erklärt Wolfgang Wurm, Präsident der Bundespolizeidirektion am Flughafen Frankfurt. B Tatsächlich setzt Günay seine Fähigkeiten nicht nur selbst ein, sondern gibt auch Kollegen kleine Tipps für den Umgang mit türkischen Passagieren. „Bei den Kontrollen merke ich, dass viele ­Menschen Angst vor der Polizei haben“, erzählt er. Ein paar Worte in der jeweili­ gen Landessprache helfen, Berührungs­ ängste abzubauen. Nicht nur bei der Polizei, auch bei ande­ ren Behörden wird der Einsatz von Beamten mit Migrationshintergrund immer wichtiger. Denn Deutschland wird immer vielfältiger. Deshalb wirbt der öffentliche Dienst im Zuge des nationa­ len Integrationsplanes gezielt in Schulen um die Mitarbeiter der Zukunft. „Wir möchten den jungen Menschen vermitteln, dass ihr Migrationshintergrund eine echte, zusätzliche Chance ist“, erläutert
  • 32. 32 Handlungsfähigkeit des Staates erhalten Polizeipräsident Wurm die Zielrichtung. Einmal für ihr neues Berufsziel begeis­ tert, kommt selbst die Einbürgerung bei den Jugendlichen in Betracht, sofern sie nicht bereits EU-Staatsangehörige sind. Auch Mahmut Günay entschied sich im Jahr 2000 für die deutsche Staatsbürger­ schaft, denn er fühlt sich der Bundes­ republik näher als der Türkei. „Deutsch­ land hat mir sehr viel geboten und gezeigt, dass man etwas erreichen kann“, erklärt er seine Entscheidung. „Jetzt möchte ich etwas zurückgeben.“ In seiner Familie ist der öffentliche Dienst mitt­ lerweile recht populär. Auch Günays 19-jähriger Bruder wird nach dem Abitur dort anheuern: nicht bei der Polizei, ­sondern beim Zoll. www.integrationsbeauftragte.de Die Bundesregierung → wird die Attraktivität des öffentlichen Dienstes erhöhen, damit sich genügend Fachkräfte gewinnen lassen, und so die Leistungsfähigkeit der Verwaltung erhalten. → hat sich mit der Schuldenregel ­mittelfristig zu einem ausgeglichenen Haushalt verpflichtet, um den Schul- denstand und die Zinslast der öffent- lichen Haushalte zu reduzieren. → wird dafür sorgen, dass die öffentlichen Finanzen dauerhaft für alle Genera- tionen tragbar sind. → stärkt das Wachstum, indem sie in Bildung, Ausbildung, Forschung, Entwicklung und Infrastruktur investiert. → setzt sich mit Nachdruck dafür ein, dass bis Ende 2012 überall in der Eurozone nationale Schuldenregeln eingeführt werden. → setzt auf mobile und digitale Verwal- tungsangebote, die die Verwaltung zu den Menschen bringen. Die vollständige Demografiestrategie der Bundesregierung und viele weitere Informationen dazu finden Sie unter www.jedes-alter-zählt.de Mehr Informationen zur Politik der Bundesregierung: www.bundesregierung.de