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Zitiervorschlag: Kielkowski, jurisPR-ArbR 3/2015 Anm. 1
ISSN 1860-1553
juris GmbH, Gutenbergstraße 23, D-66117 Saarbrücken, Tel.: 0681/5866-0, Internet: www.juris.de, E-Mail: info@juris.de
Der juris PraxisReport sowie die darin veröffentlichten Anmerkungen sind urheberrechtlich geschützt. Kein Teil darf (auch nicht
auszugsweise) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages in irgendeiner Form reproduziert werden.
© juris GmbH 2015
Herausgeber: Prof. Franz Josef Düwell, Vors. RiBAG a.D.
Prof. Klaus Bepler, Vors. RiBAG a.D.
3/2015
Erscheinungsdatum:
21.01.2015
 
Erscheinungsweise:
wöchentlich
 
Bezugspreis:
10,- € monatlich
zzgl. MwSt.
Inhaltsübersicht:
Anm. 1 Umgehung des § 613a BGB beim Einsatz einer BQG und Teilanfechtung des
dreiseitigen Vertrages
Anmerkung zu LArbG Frankfurt, Urteil vom  10.06.2013, 16 Sa 1492/12
von Jacek Kielkowski, LL.M., RA, Noerr LLP, Frankfurt am Main
Anm. 2 Grundrechtsverstoß durch überspannte Anforderungen an den Inhalt einer
Berufungsbegründung
Anmerkung zu StGH Stuttgart, Urteil vom  03.11.2014, 1 VB 8/14
von Priv.-Doz. Dr. Bernhard Ulrici, ULRICI Rechtsanwaltsgesellschaft mbH
Anm. 3 Kein Arbeitsverhältnis zum Entleiher bei mehr als vorübergehender
Überlassung mit Erlaubnis
Anmerkung zu BAG, Urteil vom  03.06.2014, 9 AZR 111/13
von Dr. André Zimmermann, LL.M., RA und FA für Arbeitsrecht, King & Wood Mallesons LLP,
Frankfurt am Main
Anm. 4 Unzulässige Beeinflussung einer Betriebsratswahl durch Verwendung eines
Gewerkschaftslogos auf Wahlunterlagen
Anmerkung zu ArbG Frankfurt (Oder), Beschluss vom  26.06.2014, 6 BV 11/14
von Dr. Till Sachadae, Akademischer Assistent, Universität Leipzig
Anm. 5 Ablösungsprinzip bei Betriebsvereinbarungen
Anmerkung zu LArbG Kiel, Urteil vom  24.09.2014, 6 Sa 93/14
von Marc-Oliver Schulze, RA und FA für Arbeitsrecht, AfA Rechtsanwälte, Nürnberg
Anm. 6 Kein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei Anbringung einer
Videokamera-Attrappe im Außenbereich einer Klinik
Anmerkung zu LArbG Rostock, Beschluss vom  12.11.2014, 3 TaBV 5/14
von Dr. Eugen Ehmann, Regierungsvizepräsident von Mittelfranken
jurisPR-ArbR 3/2015
1
Umgehung des § 613a BGB beim Einsatz
einer BQG und Teilanfechtung des
dreiseitigen Vertrages
Leitsätze:
1. Durch den Abschluss eines dreiseitigen
Vertrags wird §  613a BGB jedenfalls dann
nicht umgangen, wenn dem Arbeitnehmer
für den Fall eines Wechsels in eine Beschäfti-
gungsgesellschaft die Begründung eines Ar-
beitsverhältnisses mit einem Betriebserwer-
ber nicht in Aussicht gestellt wird.
2. Eine Teilanfechtung des dreiseitigen Ver-
trags, die ausschließlich auf die Beseitigung
der Auflösung des bisherigen Arbeitsver-
hältnisses gerichtet ist, ist ausgeschlossen.
Anmerkung zu LArbG Frankfurt, Urteil vom
 10.06.2013, 16 Sa 1492/12
von Jacek Kielkowski, LL.M., RA, Noerr LLP,
Frankfurt am Main
A. Problemstellung
Der Einsatz von Beschäftigungs- und Qualifizie-
rungsgesellschaften (BQG) kann für beide Ar-
beitsvertragsparteien ein attraktives Mittel dar-
stellen, um einen notwendigen Personalabbau
sozialverträglich und rechtssicher durchzufüh-
ren: Die Arbeitnehmer werden nicht in die Be-
schäftigungslosigkeit entlassen, sondern erhal-
ten die Möglichkeit der Qualifizierung für eine
Anschlussbeschäftigung bei Fortzahlung einer
Vergütung. Der Arbeitgeber kann mit einem si-
cheren Abbau planen, ohne langwierige Kündi-
gungsschutzverfahren befürchten zu müssen.
Dass die Rechtssicherheit jedoch schwinden
kann, wenn der Eintritt in die BQG in einem en-
gen Zusammenhang mit einem nachfolgenden
Betriebsübergang steht, zeigt die Entscheidung
des LArbG Frankfurt.
B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Die Parteien streiten u.a. über die Wirksamkeit
eines Aufhebungsvertrages sowie die Zulässig-
keit der Teilanfechtung eines dreiseitigen Ver-
trages. Der Kläger war bei der M beschäftigt.
Nach Eröffnung des vorläufigen Insolvenzver-
fahrens über deren Vermögen wurde der Be-
klagte zu 1) zum vorläufigen Insolvenzverwal-
ter bestellt. Mit dessen Zustimmung vereinbar-
ten M und deren Betriebsrat einen Interessen-
ausgleich mit Namensliste, auf der auch der Klä-
ger aufgeführt war. Aus diesem Interessenaus-
gleich ergibt sich, dass bis zu dessen Abschluss
kein Kaufangebot zur Übernahme des Betrie-
bes vorlag und eine uneingeschränkte Über-
nahme des Betriebs aus wirtschaftlichen Grün-
den auch nicht möglich sei. Die vorhandenen
Kaufinteressenten hätten die Übernahme des
Betriebs von der Durchführung einer tiefgrei-
fenden Restrukturierung abhängig gemacht, so
dass daher im Zuge des Restrukturierungspro-
zesses ein erheblicher Teil der bisherigen Be-
schäftigungsmöglichkeiten ersatzlos wegfalle.
Weiterhin sah der Interessenausgleich vor, den
vom Wegfall ihrer Beschäftigungsmöglichkeit
betroffenen Beschäftigten betriebsbedingt zum
nächst möglichen Termin zu kündigen oder al-
ternativ anzubieten, in eine BQG zu wechseln.
Am Tag nach der außerordentlichen Betriebs-
versammlung, auf der der Beklagte zu 1) darauf
hinwies, dass man mit Investoren im Gespräch
sei, aber noch nichts entschieden wäre, wurden
an die Beschäftigten Vordrucke eines „dreiseiti-
gen Vertrags“ verteilt, die eine einvernehmliche
Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit der M
sowie die gleichzeitige Begründung eines befris-
teten Arbeitsverhältnisses mit der „betriebsor-
ganisatorisch eigenständigen Einheit“ P im un-
mittelbaren Anschluss vorsahen. Der Kläger un-
terzeichnete den dreiseitigen Vertrag innerhalb
der ihm gesetzten fünftägigen Frist. Die Beklag-
te zu 2) erwarb den Betrieb der M am Tag des
Übertritts des Klägers in die BQG. Später erklär-
te der Kläger die Anfechtung des Aufhebungs-
vertrages gegenüber der Beklagten zu 1) wegen
arglistiger Täuschung und widerrechtlicher Dro-
hung. Er gab gleichzeitig eine entsprechende
Erklärung auch gegenüber der P mit dem Zusatz
ab, diese Erklärung betreffe nicht den Bestand
des Beschäftigungsverhältnisses mit der P. Der
Kläger ist ferner der Ansicht, seine Überlegungs-
zeit zum Wechsel sei zu kurz bemessen gewe-
sen und meint zudem, dass der Aufhebungs-
vertrag wegen Umgehung der Vorschriften des
§  613a BGB sowie der Vorschriften zur ord-
nungsgemäßen Sozialauswahl unwirksam sei.
Die Klage hatte weder vor dem Arbeitsgericht
noch vor dem Landesarbeitsgericht Erfolg.
jurisPR-ArbR 3/2015
Das LArbG Frankfurt lehnt die Unwirksamkeit
des Aufhebungsvertrages wegen fehlender Ein-
räumung von Bedenkzeit ab, da eine solche
grundsätzlich nicht einzuräumen sei. Überdies
seien fünf Tage jedenfalls ausreichend.
Der Aufhebungsvertrag sei auch nicht aufgrund
einer Umgehung des §  613a BGB nach §  134
BGB unwirksam. Grundsätzlich gewähre § 613a
BGB keinen Schutz vor einvernehmlichen Been-
digungen des Arbeitsverhältnisses. Unter Ver-
weis auf die Rechtsprechung des BAG hält das
Gericht fest, dass der Abschluss eines Aufhe-
bungsvertrages mit einem Betriebsveräußerer
und damit zusammenhängend der Abschluss
eines Arbeitsvertrages mit einer BQG trotz ei-
nes anschließenden Betriebsübergangs wirk-
sam sei, wenn die Vereinbarung auf das endgül-
tige Ausscheiden des Arbeitnehmers aus dem
Betrieb gerichtet sei. Eine unzulässige Umge-
hung des §  613a BGB liege demgegenüber
vor, wenn der Aufhebungsvertrag die Beseiti-
gung der Kontinuität des Arbeitsverhältnisses
bei gleichzeitigem Erhalt des Arbeitsvertrages
bezwecke, weil zugleich ein neues Arbeitsver-
hältnis vereinbart oder zumindest verbindlich
in Aussicht gestellt wurde. Diese Umstände ha-
be der Arbeitnehmer näher darzulegen und ge-
gebenenfalls zu beweisen. Fehle es an dem
gleichzeitigen Abschluss oder dem Inaussicht-
stellen eines neuen Arbeitsvertrages, stelle sich
der Aufhebungsvertrag für den Arbeitnehmer
als ein zulässiges Risikogeschäft dar, weil nicht
klar sei, ob der Betriebserwerber den Arbeitneh-
mer übernehmen werde. Vorliegend sei jedoch
eine Weiterbeschäftigung weder im dreiseitigen
Vertrag in Aussicht gestellt worden, noch habe
der Kläger im Einzelnen dargelegt, ob und wann
ihm im Einzelnen ein Arbeitsverhältnis in Aus-
sicht gestellt wurde.
Das LArbG Frankfurt hält auch eine Teilanfech-
tung des Aufhebungsvertrages für unwirksam,
obgleich die Anfechtungserklärung – wie bei ei-
nem mehrseitigen Vertrag erforderlich – gegen-
über beiden Vertragspartnern erfolgt sei. Un-
ter Berufung auf die Rechtsprechung des BAG
(Urt. v. 24.02.2011 - 6 AZR 626/09) sowie des
BGH (Urt. v. 05.11.1982 - V ZR 166/81; Urt. v.
05.04.1973 - II ZR 45/71) setze eine Teilan-
fechtung voraus, dass der verbleibende Rest
nach Wegfall des angefochtenen Teils bei ob-
jektiver, vom Willen der Beteiligten absehender
Betrachtung als selbstständiges, unabhängig
von den anderen Teilen bestehendes Rechtsge-
schäft denkbar ist. Hierbei käme es nicht auf
den Willen der am Rechtsgeschäft Beteiligten,
sondern allein auf die objektive (gedankliche)
Zerlegbarkeit des Rechtsgeschäfts an. Eine sol-
che verneint das Landesarbeitsgericht im vor-
liegenden Fall. Durch den Abschluss des dreisei-
tigen Vertrages werde die Beendigung des bis-
herigen Arbeitsverhältnisses untrennbar mit der
Begründung des neuen Arbeitsverhältnisses bei
der Beschäftigungsgesellschaft verknüpft. Die
objektive Interessenlage sei dadurch gekenn-
zeichnet, dass die finanzielle Ausstattung der
Beschäftigungsgesellschaft durch den bisheri-
gen Arbeitgeber davon abhänge, dass die dahin
wechselnden Arbeitnehmer zeitgleich freiwil-
lig aus ihrem bisherigen Arbeitsverhältnis aus-
scheiden. Hierdurch erhalte der bisherige Ar-
beitgeber Rechtssicherheit hinsichtlich der Be-
endigung des Arbeitsverhältnisses. Eine Teilan-
fechtung sei mit dieser Interessenlage nicht ver-
einbar.
Auch widerspreche einer Teilanfechtung das
Nebeneinanderstehen zweier Arbeitsverhältnis-
se (mit dem bisherigen Arbeitgeber und der
BQG). Der Arbeitnehmer könne bei Vorliegen
einer Vollzeitbeschäftigung nur eine Leistungs-
pflicht erfüllen, so dass der Arbeitnehmer sich
entscheiden müsse, an welchem Arbeitsverhält-
nis er festhalten möchte. Bei der Teilanfech-
tung eines dreiseitigen Vertrages hingegen wür-
de für die Zukunft das Nebeneinanderbestehen
von zwei Arbeitsverhältnissen bewusst hinge-
nommen, ohne dass für die Anfechtungsgeg-
ner klar ist, gegenüber wem der Erklärende sei-
ner Verpflichtung zur Dienstleistung gem. § 611
BGB nachkommen wolle.
C. Kontext der Entscheidung
Der Entscheidung ist vollumfänglich zuzustim-
men.
I. In Bezug auf die Frage der Umgehung der
Vorschriften des § 613a BGB knüpft die vorlie-
gende Entscheidung ausdrücklich an die stän-
dige Rechtsprechung des BAG an. Bereits mit
seiner Entscheidung vom 10.12.1998 hatte das
BAG die rechtliche Zulässigkeit von BQG-Model-
len im Grundsatz anerkannt und eine Umge-
hung der Vorschriften des § 613a BGB bei Vorlie-
gen eines Risikogeschäfts verneint (BAG, Urt. v.
10.12.1998 - 8 AZR 324/97).
jurisPR-ArbR 3/2015
II. Auf die Problematik, ob für das Vorliegen ei-
nes Risikogeschäfts auf den konkreten, einzel-
nen Arbeitnehmer abzustellen ist (LArbG Han-
nover, Urt. v. 18.02.2010 - 7 Sa 780/09; ähn-
lich BAG, Urt.  v. 18.08.2005 - 8 AZR 523/04
„konkrete Übernahmezusage“) oder ob es auf
die Gesamtbelegschaft und eine verdichtete
Übernahmewahrscheinlichkeit (so BAG, Urt. v.
18.08.2011 - 8 AZR 312/10) ankommt, geht
das LArbG Frankfurt hingegen – offenbar man-
gels eines entsprechenden substantiierten Vor-
trages des Klägers – nicht näher ein. Auch mit
dem Kriterium der Umgehung der Sozialaus-
wahl, die das BAG in der Vergangenheit als ein
zusätzliches Kriterium für eine Umgehung der
Vorschriften des § 613a BGB herangezogen hat
(vgl. BAG Urt.  v. 18.08.2005 - 8 AZR 523/04;
Urt. v. 23.11.2006 - 8 AZR 349/06), setzt sich
das LArbG Frankfurt im Unterschied zu ande-
ren Instanzgerichten (vgl. hier etwa ArbG Frei-
burg, Urt. v. 09.05.2009 - 5 Ca 538/08; LArbG
Köln, Urt. v. 11.12.2009 - 11 Sa 96/09) nicht aus-
einander. Richtigerweise kann es auf die Fra-
ge der Sozialauswahl in diesen Zusammenhang
nicht ankommen, da § 613a Abs. 4 Satz 1 BGB
vor Kündigungen wegen des Betriebsübergangs
schützt, nicht jedoch vor der freiwilligen Beendi-
gung des Arbeitsverhältnisses durch die Unter-
zeichnung eines dreiseitigen Vertrags. Der Ar-
beitnehmer gibt in diesem Fall seinen gesetzli-
chen Kündigungsschutz (und damit die Schutz-
vorschriften bezüglich der Sozialauswahl) selbst
auf (so richtig Fuhlrott, NZA 2012, 549, 552) und
wäre über die Anfechtungsvorschriften bei einer
vorsätzlich falschen Unterrichtung ausreichend
geschützt (vgl. Pils, NZA 2013, 125, 129, der
darauf hinweist, dass das BAG nach seiner Auf-
fassung zwischenzeitlich von diesem Kriterium
abgerückt ist).
III. Neben der Umgehungsthematik sind vorlie-
gend auch die Ausführungen des Gerichts zur
Frage der Zulässigkeit der separaten Anfech-
tung der Aufhebungsvereinbarung als Teil des
dreiseitigen Vertrages besonders hervorzuhe-
ben. Das Gericht stellt hier unter Verweis auf die
zu einem Fall der Vertragsübernahme ergange-
ne Rechtsprechung des BAG (Urt. v. 24.02.2011
- 6 AZR 626/09, BB 2011, 1855 mit Anm. Gliewe)
zunächst mit Recht fest, dass die Anfechtung
gegenüber beiden Parteien erklärt werden müs-
se. Ähnlich wie bei einer Vertragsübernahme
bedarf der dreiseitige Vertrag als einheitliches
Rechtsgeschäft letztlich der Einbindung aller
Parteien, da ein Wechsel in die BQG nur bei vor-
heriger Aufhebung des anderen Arbeitsvertra-
ges möglich ist. Entsprechend muss für alle Par-
teien Klarheit herrschen, ob und inwieweit das
einheitliche Rechtsgeschäft Bestand haben soll.
IV. Bisher höchstrichterlich nicht entschieden
ist die Frage, ob eine isolierte Anfechtung des
Aufhebungsvertrages möglich ist. Das Landes-
arbeitsgericht verneint diese Frage zu Recht. Ei-
ne isolierte Anfechtung des Aufhebungsvertra-
ges scheitert an der mangelnden Teilbarkeit des
dreiseitigen Vertrages als einheitliches Rechts-
geschäft. Das dürfte aber weniger daran liegen,
dass – wie das Landesarbeitsgericht meint – der
Arbeitnehmer andernfalls zwei Leistungspflich-
ten in zwei Arbeitsverhältnissen ausgesetzt wä-
re. Denn das Beschäftigungsverhältnis ist re-
gelmäßig gerade kein reguläres Arbeitsverhält-
nis mit einer entsprechenden Leistungspflicht
(vgl. hierzu Meyer, NZA 2002, 578, 580, sowie
Natzel, NZA 2012, 650). Maßgeblich gegen ei-
ne Anfechtung spricht vielmehr, dass BQG und
Aufhebungsvertrag einander zwingend bedin-
gen. Die finanzielle Ausstattung der Beschäfti-
gungsgesellschaft und hierbei insbesondere die
Förderung durch die Agentur für Arbeit hängt
davon ab, dass die in die Beschäftigungsge-
sellschaft wechselnden Arbeitnehmer zeitgleich
freiwillig aus ihrem bisherigen Arbeitsverhältnis
ausscheiden (vgl. bezüglich der Fördervoraus-
setzungen § 110 SGB III). Das Bestehen eines
Arbeitsvertrages mit dem ehemaligen Arbeitge-
ber schließt damit einen Eintritt in die BQG aus.
Im Umkehrschluss müsste eine Anfechtung des
Aufhebungsvertrages den Verbleib in der BQG
zwingend beenden, da dann die Bedingungen
für den Eintritt in die BQG nicht mehr vorlägen.
D. Auswirkungen für die Praxis
Die vorliegende Entscheidung zeigt einmal
mehr, dass der Einsatz einer BQG eine geord-
nete und endgültige Beendigung des Arbeits-
verhältnisses mit dem Veräußerer sicherstellen
kann, soweit gleichzeitig die Voraussetzungen
eines Risikogeschäfts vorliegen. Angesichts der
immer noch nicht abgeschlossenen Entwicklung
der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist hier
jedoch Vorsicht geboten. Betroffenen Arbeitge-
bern ist zu empfehlen, entsprechende Rechts-
unsicherheiten bezüglich der späteren Über-
nahme durch mögliche Erwerber zu dokumen-
tieren und auch in seiner sonstigen Kommuni-
jurisPR-ArbR 3/2015
kation keinerlei Einschätzungen über Übernah-
mewahrscheinlichkeiten abzugeben.
Als Alternative zum Einsatz einer BQG kommt
auch ein Personalabbau nach dem sog. „Erwer-
berkonzept“ in Betracht. Doch auch dieser ist
im Hinblick auf die Darlegungslast des Arbeitge-
bers bei sich ggf. anschließenden Kündigungs-
schutzverfahren problematisch. Hinzu kommt,
dass viele Einzelheiten weiterhin noch nicht
höchstrichterlich entschieden wurden und da-
her ebenfalls in der Praxis für Rechtsunsicher-
heit sorgen (vgl. ausführlich Fuhlrott, BB 2013,
2042).
Die Entscheidung des LArbG Frankfurt bringt
im Hinblick auf die Frage der Teilanfechtbar-
keit der dreiseitigen Verträge Klarheit. Sie zeigt,
dass es sich in der Praxis empfehlen wird, den
untrennbaren Zusammenhang zwischen Aufhe-
bungsvertrag und Eintritt in die BQG in Form ei-
ner ausdrücklichen Bedingung herauszustellen,
um nachfolgende mögliche Anfechtungsthema-
tiken zu vermeiden.
2
Grundrechtsverstoß durch überspannte
Anforderungen an den Inhalt einer
Berufungsbegründung
Leitsätze:
1. Zur Wahrung des Justizgewährungsan-
spruches (Art. 2 Abs. 1 LV und Art. 2 Abs. 1
GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprin-
zip aus Art. 23 Abs. 1 LV) dürfen keine un-
zumutbaren Anforderungen an den Inhalt
von Berufungsbegründungen gestellt wer-
den. Die Gerichte dürfen ein von der Verfah-
rensordnung eröffnetes Rechtsmittel nicht
durch eine zu enge Handhabung der Vor-
schriften über dessen Begründung ineffektiv
machen.
2. Im arbeitsgerichtlichen Berufungsverfah-
ren erhalten diese Anforderungen eine be-
sondere Tragweite, weil dort der Vorsitzen-
de die Entscheidung über die Zurückweisung
der Berufung gemäß § 66 Abs. 2 Satz 2 ArbGG
allein treffen kann. Kommt es für die Prü-
fung der Zulässigkeit der Berufung nicht auf
die Erfüllung formaler Kriterien an, sondern
stehen materielle Rechtsfragen im Vorder-
grund, ist für die Verwerfung einer Berufung
nach § 66 Abs. 2 Satz 2 ArbGG regelmäßig
kein Raum.
3. Eine offensichtlich unrichtige Anwendung
von Präklusionsvorschriften kann eine Ver-
letzung des Grundrechts auf rechtliches Ge-
hör (Art. 2 Abs. 1 LV i.V.m. Art. 103 Abs. 1
GG) darstellen. Diese ist etwa dann anzu-
nehmen, wenn im arbeitsgerichtlichen Beru-
fungsverfahren unabhängig von dem in § 67
Abs. 2 Satz 1 ArbGG genannten Kriterium der
Verzögerung zusätzliche Anforderungen für
die Zulassung neuer Angriffs- und Verteidi-
gungsmittel aufgestellt werden.
Anmerkung zu StGH Stuttgart, Urteil vom
 03.11.2014, 1 VB 8/14
von Priv.-Doz. Dr. Bernhard Ulrici, ULRICI
Rechtsanwaltsgesellschaft mbH
A. Problemstellung
Nach §  64 Abs.  6 Satz 1 ArbGG i.V.m. §  520
ZPO bedarf das Rechtsmittel der Berufung auch
im arbeitsgerichtlichen Verfahren der Begrün-
dung. Die inhaltlichen Anforderungen an die Be-
rufungsbegründung ergeben sich aus einer ent-
sprechenden Anwendung des § 520 Abs. 3 Satz
2 ZPO. Anzugeben sind neben (Nr. 1) den Be-
rufungsanträgen: (Nr.  2) die Bezeichnung der
Umstände, aus denen sich die Rechtsverlet-
zung und deren Erheblichkeit für die angefoch-
tene Entscheidung ergibt; (Nr. 3) die Bezeich-
nung konkreter Anhaltspunkte, die Zweifel an
der Richtigkeit oder Vollständigkeit der Tatsa-
chenfeststellungen im angefochtenen Urteil be-
gründen und deshalb eine erneute Feststellung
gebieten; (Nr. 4) die Bezeichnung der neuen An-
griffs- und Verteidigungsmittel sowie der Tat-
sachen, auf Grund derer die neuen Angriffs-
und Verteidigungsmittel nach §  531 Abs.  2
ZPO zuzulassen sind. Dabei muss nicht notwen-
dig zu allen diesen Punkten und auch nicht
unter jedem erdenklichen Gesichtspunkt Stel-
lung genommen werden. Vielmehr ist ausrei-
chend, aber auch erforderlich, dass für jeden
zum Gegenstand des Berufungsverfahrens er-
hobenen Streitgegenstand in Auseinanderset-
zung mit dem angefochtenen Urteil zumindest
unter Bezug zu einem der drei in Nr. 2 bis 4 be-
nannten Gesichtspunkte aufgezeigt wird, dass
und warum eine abweichende Entscheidung er-
wartet wird.
jurisPR-ArbR 3/2015
Die sich hieraus für den konkreten Einzelfall
ergebenden Anforderungen werden in der Ge-
richtspraxis trotz einheitlich geltender Prozess-
ordnungen ganz unterschiedlich gehandhabt.
Erfahrene Richter berichten davon, dass im bun-
desweiten Durchschnitt ca. 2%, von einzelnen
LArbG-Kammern aber bis zu 30% der Berufun-
gen nach §  522 Abs.  1 ZPO verworfen wer-
den. Geht man lebensnah davon aus, dass die
Anfälligkeit der Berufungskläger für Form- und
Fristmängel zwischen den einzelnen LArbG-Be-
zirken und zwischen einzelnen LArbG-Kammern
nicht in größerem Ausmaß schwankt, beruht
die beschriebene statistische Abweichung von
Berufungsverwerfungen (insbesondere im Be-
schlusswege) vor allem auf einer von einzelnen
LArbG-Kammern besonders strengen Handha-
bung der Anforderungen an die Berufungsbe-
gründung. Dabei dürfte nicht ohne Relevanz sei-
en, dass nach derzeit ganz h.A. im Falle der in
der Praxis den Regelfall bildenden Berufungs-
verwerfung durch Beschluss eine dritte Instanz
nicht eröffnet ist, d.h. über die LArbG-Vorsit-
zenden nur der „blaue Himmel“ wacht, soweit
die Revisionsbeschwerde nicht ausnahmsweise
durch den erkennenden Richter selbst zugelas-
sen wurde (hiergegen ausführlich Ulrici, NZA
2014, 1245). Es fehlt in der Folge die vereinheit-
lichende und kontrollierende Wirkung der Tätig-
keit des BAG.
Diesen sich aus der Verweigerung einer Nicht-
zulassungsbeschwerde ergebenden Missstand
versucht der StGH Baden-Württemberg mit sei-
ner nachfolgend zu besprechenden Entschei-
dung für einen Einzelfall zu beheben, aber auch
darüber hinaus zu verringern, indem er verfas-
sungsrechtliche Vorgaben für eine Beschluss-
verwerfung formuliert.
B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Die Beschwerdeführerin wendet sich mit der
Verfassungsbeschwerde gegen die Verwerfung
ihrer Berufung durch das Landesarbeitsgericht.
Sie macht einen Verstoß gegen ihre Grundrech-
te auf rechtliches Gehör, auf Gewährung effek-
tiven Rechtsschutzes und auf Justizgewährung
sowie gegen das Willkürverbot geltend.
I. Im Ausgangsverfahren machte die Beschwer-
deführerin mit ihrer Klage vom Dezember 2012
ursprünglich Ansprüche auf Nachzahlung ei-
nes Familienzuschlags für den Zeitraum Januar
2009 bis Dezember 2011 geltend.
1. Mit Urteil vom 30.07.2013 hat das Arbeits-
gericht die Klage abgewiesen. Im Tatbestand
des Urteils wurde als unstreitig dargestellt, dass
die Beschwerdeführerin ihre Ansprüche „im De-
zember 2012 (…) schriftlich geltend“ gemacht
hat und daraufhin eine Nachzahlung rückwir-
kend für den Zeitraum ab Januar 2012 erfolgt
ist. In den Entscheidungsgründen ließ das Ar-
beitsgericht offen, ob der Beschwerdeführerin
ein entsprechender Anspruch zusteht. Jeden-
falls sei er aufgrund der für das Arbeitsver-
hältnis der Beschwerdeführerin geltenden Aus-
schlussfristen der AVR des Diakonischen Werks
verfallen, weil er nicht wie dort vorgesehen in-
nerhalb von zwölf Monaten ab Fälligkeit schrift-
lich geltend gemacht worden sei. Im Kammer-
termin sei unstreitig gewesen, dass eine form-
gerechte Geltendmachung nicht erfolgt sei.
2. Gegen dieses Urteil hat die Beschwerdeführe-
rin fristgerecht Berufung eingelegt und begrün-
det.
a) Sie hat sich auf drei Angriffe gestützt:
(1) Der den Monat Dezember 2011 betreffende
Anspruch sei nicht verfallen, weil er erst zum
15.12.2011 fällig geworden und unstreitig mit
Anwaltsschreiben vom 07.12.2012, d.h. inner-
halb von zwölf Monaten, schriftlich geltend ge-
macht worden sei.
(2) Das Arbeitsgericht habe verkannt, dass je-
denfalls für die Monate Oktober und Novem-
ber 2011 ein Berufen der Arbeitgeberin auf
die Ausschlussfrist gegen § 242 BGB verstieße,
weil die Beschwerdeführerin im Oktober 2012 in
der Personalverwaltung wegen ihrer Ansprüche
nachgefragt habe und ihr daraufhin eine verse-
hentliche Nichtzahlung sowie eine Nachzahlung
bestätigt worden seien. Hierdurch sei die Be-
schwerdeführerin treuwidrig von der Beachtung
der Ausschlussfrist abgehalten worden.
(3) Die Ausschlussfrist nach den AVR finde kei-
ne Anwendung, weil aufgrund der besonderen
Stellung der Beschwerdeführerin vorrangig zu
den AVR die Bestimmungen des LBesGBW gel-
ten, welche zwar eine Verjährung, aber keine
Ausschlussfristen kennen.
jurisPR-ArbR 3/2015
b) Die Arbeitgeberin hat die Verwerfung der
Berufung als unzulässig beantragt und darauf
verwiesen, dass sich die Berufungsbegründung
mit dem angefochtenen Urteil nicht im Einzel-
nen auseinandersetze, sondern lediglich den
erstinstanzlichen Vortrag wiederhole. Überdies
sei die Berufung jedenfalls unbegründet. So-
weit das Arbeitsgericht im unstreitigen Tatbe-
stand eine schriftliche Geltendmachung benen-
ne, nehme es nicht auf den Anwaltsschriftsatz
vom 07.12.2012, sondern auf die Klageerhe-
bung vom 29.12.2012 Bezug; ausgehend hier-
von seien die Ansprüche – wie vom Arbeitsge-
richt zutreffend erkannt – verfallen. Das Schrei-
ben vom 07.12.2012 enthalte keine Geltendma-
chung, weil es nicht die Aufforderung zur Zah-
lung eines bestimmten Betrages enthalte. Ein
Berufen auf die Ausschlussfrist sei auch für die
Monate Oktober und November nicht treuwid-
rig; es sei falsch, dass Zahlungen nur versehent-
lich unterblieben seien, der Beschwerdeführerin
stünden die Zahlungen vielmehr gar nicht zu.
c) Mit Verfügung vom 10.12.2013 hob das Lan-
desarbeitsgericht den Termin zur mündlichen
Verhandlung auf und wies darauf hin, dass die
Berufungsbegründung nicht den gesetzlichen
Anforderungen entspreche, weil sie sich „mit
dem Begründungsgebäude des Arbeitsgerichts
nicht auseinandersetze“. Das Arbeitsgericht sei
ausgehend von dem im Urteil dargestellten ar-
beitsvertraglichen Rahmen zum Verfall der An-
sprüche gelangt. Die bloße Darstellung der ei-
genen Rechtsansicht sei der falsche Ansatz
für eine Berufungsbegründung. Soweit die Be-
schwerdeführerin neue Angriffs- und Verteidi-
gungsmittel habe vorbringen wollen, fehle es
an der Darlegung, warum diese zweitinstanzlich
zuzulassen seien. Hierzu nahm die Beschwer-
deführerin mit Schriftsatz vom 12.12.2013 Stel-
lung. Mit Beschluss vom 19.12.2013 wurde
die Berufung unter Verweis auf die Verfügung
vom 10.12.2013 verworfen. Ergänzend verwies
das Landesarbeitsgericht darauf, dass die Be-
rufungsbegründung für jede einzelne der tra-
genden rechtlichen Erwägungen des Arbeitsge-
richts darlegen müsse, warum sie unzutreffend
sei. Hieran mangele es, weil eine kritische Wür-
digung der Rechtsansicht des Arbeitsgerichts
fehle.
II. Die Verfassungsbeschwerde hatte Erfolg.
Nach Ansicht des StGH liegen eine Verletzung
des Justizgewährungsanspruchs sowie eine Ver-
letzung des rechtlichen Gehörs vor; ein Willkür-
verstoß sei dagegen nicht festzustellen.
1. Der Justizgewährungsanspruch sei ein we-
sentlicher Bestandteil des Rechtsstaats. Er gel-
te für die Ausgestaltung des gesamten Verfah-
rens und umfasse den Zugang zu den Gerich-
ten, die Prüfung des Streitbegehrens in einem
förmlichen Verfahren sowie die verbindliche ge-
richtliche Entscheidung. Ein Anspruch auf ei-
nen Instanzenzug folge hieraus aber nicht. Wird
ein Instanzenzug eröffnet, werde ein wirksamer
Rechtsschutz jedoch in allen Instanzen gewähr-
leistet.
a) Der Justizgewährungsanspruch richte sich
auch an den die Verfahrensordnungen anwen-
denden Richter. Zwar sei es nicht Aufgabe des
StGH, in einem Verfassungsbeschwerdeverfah-
ren über die Richtigkeit der Auslegung und An-
wendung des einfachen Rechts durch die Ge-
richte zu befinden. Der StGH sei kein Revisi-
onsgericht, sondern prüfe nur, ob die Rechts-
anwendung Verfassungsrecht verletzt. Verfas-
sungsrecht und nicht lediglich einfaches Pro-
zessrecht werde aber verletzt, wenn ein Gericht
den Zugang zu den in den Verfahrensordnun-
gen vorgesehenen Instanzen in einer aus Sach-
gründen nicht mehr zu rechtfertigenden Weise
erschwere. Es dürften insbesondere keine unzu-
mutbaren Anforderungen an den Inhalt von Be-
rufungsbegründungen gestellt werden. Das Ge-
richt dürfe ein von der Verfahrensordnung er-
öffnetes Rechtsmittel nicht ineffektiv machen
und für den Beschwerdeführer „leer laufen“ las-
sen. Diese Anforderungen erhielten im arbeits-
gerichtlichen Berufungsverfahren eine beson-
dere Tragweite, weil dort der Vorsitzende die
Entscheidung über die Verwerfung der Beru-
fung allein, also ohne Beteiligung der ehren-
amtlichen Richter durch Beschluss treffen kann.
Hinzu komme, dass gegen die Berufungsver-
werfung durch Beschluss ein Rechtsmittel nur
im Falle der Zulassung gegeben sei. Um der
hierin angelegten Missbrauchsgefahr zu begeg-
nen, bedürfe es einer Anwendung der genann-
ten Vorschriften, die den Verfahrensgrundrech-
ten der Rechtssuchenden in besonderer Wei-
se Rechnung trägt. Bei einer Verwerfung der
Berufung nach §  66 Abs.  2 Satz 2 ArbGG sei
zu beachten, dass die der Verfahrensbeschleu-
nigung und Rechtsmittelvereinfachung dienen-
de Alleinentscheidungsbefugnis des Vorsitzen-
den nach der Gesetzesbegründung darauf be-
ruht, dass für eine Kammerentscheidung kein
jurisPR-ArbR 3/2015
sachliches Bedürfnis bestehe, weil nicht materi-
elle Rechtsfragen, sondern formale Kriterien im
Vordergrund stünden. Komme es damit für die
Prüfung der Zulässigkeit der Berufung nicht auf
die Erfüllung formaler Kriterien an, sondern ste-
hen – etwa bei der eine Analyse des erstinstanz-
lichen Urteils erfordernden Prüfung der hinrei-
chenden Auseinandersetzung mit der angegrif-
fenen Entscheidung – materielle Rechtsfragen
im Vordergrund, sei für eine Verwerfung nach
§ 66 Abs. 2 Satz 2 ArbGG regelmäßig kein Raum.
b) Diese Grundsätze habe das Landesarbeitsge-
richt im Rahmen seiner Verwerfung nicht aus-
reichend beachtet. Nach §  520 Abs.  3 Satz
2 Nr.  2 ZPO muss die Berufungsbegründung
die Umstände bezeichnen, aus denen sich die
Rechtsverletzung durch das angefochtene Ur-
teil und deren Erheblichkeit auf das Ergebnis
der Entscheidung ergibt. Die Berufungsbegrün-
dung brauche für die Zulässigkeit aber weder
schlüssig noch rechtlich haltbar zu sein. Erfor-
derlich sei dagegen eine hinreichende Darstel-
lung der Gründe, aus denen sich die Rechtsfeh-
lerhaftigkeit der angefochtenen Entscheidung
ergeben soll. Der Berufungsführer habe die Be-
urteilung durch den Erstrichter zu überprüfen
und darauf hinzuweisen, in welchen Punkten
und aus welchem Grund er das angefochtene
Urteil für unrichtig hält. Es reiche nicht aus, die
tatsächliche oder rechtliche Würdigung durch
den Erstrichter mit formelhaften Wendungen zu
rügen oder lediglich auf das Vorbringen ers-
ter Instanz zu verweisen. Diesen Anforderungen
werde die von der Beschwerdeführerin vorge-
brachte Berufungsbegründung gerecht, was der
StGH im Anschluss ausführlich unter Rückgriff
auf die einschlägige Rechtsprechung des BAG
und des BGH zur Auslegung von § 520 Abs. 3
ZPO begründet.
2. Darüber hinaus habe das Landesarbeitsge-
richt das rechtliche Gehör dadurch verletzt,
dass es angenommen hat, dass für (vom Lan-
desarbeitsgericht nicht näher spezifizierten)
neuen Vortrag der Beschwerdeführerin nicht
dargelegt worden sei, warum dieser zweitin-
stanzlich zu berücksichtigen ist. Hierin liege ei-
ne fehlerhafte Anwendung der Präklusionsvor-
schrift des § 67 Abs. 2 ArbGG, welche – inso-
weit anders als §  531 Abs.  2 ZPO – die Be-
rücksichtigung von neuem zweitinstanzlichem
Vorbringen allein im Falle der unentschuldig-
ten Verzögerung scheitern lasse, nicht dagegen
an bestimmte Anforderungen binde. Dies füh-
re zur Gehörsverletzung. Präklusionsvorschrif-
ten schränkten das rechtliche Gehör ein. Ihre
Anwendung unterliege daher einer besonders
strengen verfassungsgerichtlichen Kontrolle.
3. Zugleich werde der Justizgewährungsan-
spruch durch die durch Sachgründe nicht ge-
rechtfertigte Forderung nach einer Darlegung
der Gründe für eine Berücksichtigung neuen
Vorbringens verletzt.
4. Ein Verstoß gegen das Willkürverbot sei da-
gegen nicht gegeben. Es fehle an einer „kras-
sen Fehlentscheidung“. Das Landesarbeitsge-
richt habe sich mit der Rechtslage auseinan-
dergesetzt und eine – wenn auch knappe – Be-
gründung für seine Annahme geliefert, warum
die Berufungsbegründung nicht den gesetzli-
chen Vorgaben genüge.
C. Kontext der Entscheidung
Die Entscheidung des StGH Baden-Württem-
berg schafft Einzelfallgerechtigkeit und einen –
soweit anhand der Entscheidung des StGH und
ohne vollständige Aktenkenntnis ersichtlich – in
deutlichem Widerspruch zu den prozessualen
Vorgaben stehenden Beschluss des Landesar-
beitsgerichts aus der Welt. Ihr Ergebnis (Auf-
hebung des Verwerfungsbeschlusses) ist zu be-
grüßen. Die Begründung vermag dagegen nicht
durchgängig zu überzeugen. Dies gilt insbeson-
dere auch für den Versuch des StGH, der im
ArbGG „angelegten Missbrauchsgefahr“ für die
Zukunft durch aus der Verfassung abgeleitete
Vorgaben vorzubeugen.
I. Der StGH gründet seine Entscheidung auf
die gefestigten Formeln des BVerfG zu den
Verfahrensgrundrechten (Justizgewährungsan-
spruch und rechtliches Gehör). Wie das BVerfG
(Urt.  v. 15.01.1958 - 1 BvR 400/51 - GRUR
1958, 254, 255) verweist er hinsichtlich deren
Anwendung darauf, keine (Super-)Revisionsin-
stanz zu sein und daher nur Verfassungsverstö-
ße und keine Verstöße gegen einfaches (Pro-
zess-)Recht festzustellen. Allerdings zeigt der
StGH nicht auf, wie er das eine vom anderen
trennt. Die Verletzung des Justizgewährungs-
anspruchs begründet er jedenfalls durchgängig
und sehr detailreich unter Bezug auf die Recht-
sprechung des BAG und des BGH damit, dass
das Landesarbeitsgericht §  520 Abs.  3 Satz 2
ZPO unrichtig angewandt habe. Zu einem Ein-
schreiten veranlasst sah sich der StGH trotz der
jurisPR-ArbR 3/2015
Formel, er sei keine (Super-)Revisionsinstanz,
letztlich wohl dadurch, dass das Landesarbeits-
gericht durch (nach ganz h.A.) unanfechtbaren,
sachlich aber falschen Beschluss entschieden
hatte und ein entsprechendes Vorgehen der be-
treffenden Kammer des Landesarbeitsgerichts
wohl alles andere als ein Einzelfall ist (die Be-
schwerdeführerin verwies auf eine um das Acht-
fache erhöhte Verwerfungspraxis der betreffen-
den Kammer). Zur Beseitigung von grobem und
über den Einzelfall hinausreichendem Unrecht
ist der StGH letztlich doch (Super-)Revisionsin-
stanz; auch dies liegt durchaus auf der Linie des
BVerfG (vgl. die Selbsteinschätzungen von Ben-
da und Limbach in: Bogs, Urteilsverfassungs-
beschwerde zum BVerfG, 1999, S. 127  f. und
S. 132 ff.).
II. Bei seinen Erwägungen trennt der StGH nicht
ausreichend den Gegenstand des angegriffenen
Verwerfungsbeschlusses von der hierdurch aus-
geschlossenen (Sach-)Entscheidung über die
Berufung.
1. Dies zeigt sich erstens in der Annahme ei-
ner Gehörsverletzung durch fehlerhafte Anwen-
dung einer Präklusionsvorschrift. Entgegen der
Annahme des StGH hat das Landesarbeitsge-
richt keine Präklusionsvorschrift (fehlerhaft) an-
gewandt. Es hat vielmehr lediglich formal ge-
prüft, ob eine zweitinstanzliche Entscheidung,
in deren Rahmen Präklusionsvorschriften dann
angewendet werden könnten bzw. müssten, er-
öffnet ist. Hierbei hatte das Landesarbeitsge-
richt vorliegend verkannt, dass § 520 Abs. 3 ZPO
über § 64 Abs. 6 ArbGG nur entsprechende An-
wendung findet und daher nicht unmodifiziert
auf § 520 Abs. 3 Nr. 4 ZPO verweist, weil der
§  531 Abs.  2 ZPO verdrängende §  67 Abs.  2,
3 ArbGG die Berücksichtigung neuer Angriffs-
und Verteidigungsmittel nicht an das Vorliegen
bereits in der Berufungsbegründung darstellba-
rer Gründe bindet; inwieweit die Berücksichti-
gung neuer Angriffs- und Verteidigungsmittel
zur dies ausschließenden Verzögerung führt, ist
im Zeitpunkt der Berufungsbegründung nicht
absehbar (vgl. §  67 Abs.  4 ArbGG; Klose in:
Beck OK ArbR, Ed. 33, §  66 ArbGG Rn.  11;
Germelmann in: Germelmann/Matthes/Prütting,
ArbGG, 8. Aufl. 2013, § 64 Rn. 82).
2. Vor allem zeigt sich die unzureichende Tren-
nung zwischen dem Gegenstand der Berufungs-
verwerfung und der hierdurch verschlossenen
Sachentscheidung über den Gegenstand der
Berufung aber in den vom StGH postulierten
Leitlinien zur Ausübung des gerichtlichen Er-
messens bei der Wahl zwischen der Verwer-
fung durch Urteil oder durch Beschluss. Der Hin-
weis des StGH, dass eine Beschlussverwerfung
allein durch den Vorsitzenden regelmäßig aus-
scheide, wenn nicht nur formelle, sondern auch
materiell-rechtliche Fragen zu behandeln sind,
führt in die Irre. Die Prüfung, ob eine Beru-
fungsbegründung den Anforderungen des § 520
Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO entspricht, bezieht sich
stets ausschließlich auf formelle und entgegen
der Annahme des StGH auch nicht ansatzwei-
se auf materiell-rechtliche Gesichtspunkte (vgl.
BAG, Beschl. v. 25.10.1979 - 5 AZB 43/79 - AP
Nr. 1 zu § 77 ArbGG 1979). Es ist – wie der StGH
in anderem Zusammenhang zutreffend darstellt
– gerade nicht zu prüfen, ob die Berufungsbe-
gründung schlüssig oder rechtlich überzeugend
ist. Vielmehr ist allein zu klären, ob sich der Be-
rufungskläger mit der Entscheidung des Erstge-
richts hinreichend auseinandergesetzt hat. Dies
ist eine rein formelle, prozessrechtliche Frage
und keine des materiellen Rechts. Es erscheint
daher – entgegen der Annahme des StGH – auch
kaum ermessensfehlerhaft, wenn ein Vorsitzen-
der die ehrenamtlichen Richter an der entspre-
chenden Prüfung nicht beteiligt. Sind die ehren-
amtlichen Richter nicht ausnahmsweise selbst
juristisch gebildet, ist gegen die Erwartung, sie
könnten zur richtigen Auslegung und Anwen-
dung des § 520 Abs. 3 Satz 2 ZPO kaum etwas
beitragen, wenig zu erinnern.
D. Auswirkungen für die Praxis
I. Trotz „Happy End“ für die Beschwerdeführerin
ruft die Entscheidung des StGH in Erinnerung,
dass Berufungsbegründungen nicht leichtfertig
unter Wiederholung des erstinstanzlichen Vor-
trags gefertigt werden dürfen. Das Erfordernis
einer nicht von einem juristischen Laien stam-
menden Berufungsbegründung soll das Beru-
fungsverfahren strukturieren und zugleich ei-
ne unnötige Belastung der Gerichte durch aus-
sichtslose Berufungen vermeiden. Wenn es ei-
nem Berufungskläger trotz ausreichender An-
strengungen nicht gelingt, eine den Anforderun-
gen des §  520 Abs.  3 Satz 2 ZPO genügende
Berufungsbegründung zu fertigen, dann ist dies
ein sicheres Indiz dafür, dass das angefochtene
Urteil auch nach nochmaliger Prüfung Bestand
haben wird, d.h. eine zweitinstanzliche Prüfung
von Anfang an nicht gerechtfertigt ist.
jurisPR-ArbR 3/2015
II. Zugleich sensibilisiert die Entscheidung für
das über rund 35 Jahre kaum beachtete Pro-
blem, welches sich aus der ganz h.A. ergibt,
dass gegen berufungsverwerfende Beschlüsse
eine Nichtzulassungsbeschwerde nicht eröffnet
sein soll: Da die Beschlussverwerfung durch
den Vorsitzenden ohne Zulassung der Rechts-
beschwerde im Falle der (vermeintlich) unzu-
reichenden Berufungsbegründung den prakti-
schen Regelfall bildet, fehlen für den von den
Vorsitzenden der Landesarbeitsgerichte anzule-
genden Maßstab vielfach die Kontrolle (StGH:
„Missbrauchsgefahr“) und die Vereinheitlichung
durch das BAG.
1. Mindern lässt sich dieser Missstand eben-
so wie die durch Verweigerung der Nichtzu-
lassungsbeschwerde ausgelöste Verletzung des
Art.  3 Abs.  1 GG (vgl. dazu Ulrici, NZA 2014,
1245, 1249 f.) zunächst dadurch, dass der Ge-
setzgeber klarstellt, dass berufungsverwerfen-
de Beschlüsse der Nichtzulassungsbeschwerde
unterliegen. Ebenso denkbar wäre, dass das zu-
letzt auch vom BGH (Beschl.  v. 18.09.2014 -
V ZR 290/13 - NJW 2014, 3583) betonte Prin-
zip des zwischen Beschluss- und Urteilsverwer-
fung gleichlaufenden Instanzenzugangs wie in
der ZPO durch Eröffnung der Rechtsbeschwer-
de unter den Voraussetzungen des § 574 Abs. 1
ZPO gewährleistet wird. Allerdings – dies darf
nicht übersehen werden – geben beide Wege im
Hinblick auf die vorrangig an Allgemeininteres-
sen orientierten Zulassungsgründe (§ 72 Abs. 2
ArbGG und § 574 Abs. 2 ZPO) nur ein stump-
fes Schwert gegen die am Einzelfall orientier-
ten Verwerfungen wegen unzureichender Beru-
fungsbegründung.
2. Zu kurz greift dagegen der schon aus anderen
Gründen kritisierte Ansatz des StGH, welcher
das Ermessen des Gerichts bei der Wahl zwi-
schen Beschluss- und Urteilsverwerfung anhand
sachlicher Vorgaben (formelle oder materielle
Prüfung) steuern will. Hierdurch ließe sich zwar
ggf. eine gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstoßende
Ungleichbehandlung zwischen beiden Formen
der Verwerfung beseitigen. Unverändert wür-
de aber keine Kontrolle und Vereinheitlichung
der Auslegung des Prozessrechts durch das BAG
in Ansehung der vom StGH formulierten Er-
messensleitlinien stattfinden; der beschriebe-
ne Missstand würde verringert und verlagert.
Es würde aber nicht ausgeschlossen, dass Ver-
fassungsgerichte erneut als (Super-)Revisions-
instanz angerufen würden, um eine missbräuch-
liche, in der Fachgerichtsbarkeit unter Zugrun-
delegung der h.A. von der Unanfechtbarkeit von
Beschlussverwerfungen aber nicht überprüfba-
re Ermessensausübung zu korrigieren.
III. Wie kürzlich aufgezeigt wurde (Ulrici, NZA
2014, 1245), spricht viel dafür, dass unabhän-
gig von einer hoffentlich erfolgenden Klarstel-
lung durch den Gesetzgeber bereits gegenwär-
tig die Nichtzulassungsbeschwerde gegen beru-
fungsverwerfende Beschlüsse statthaft ist. Hier-
für spricht nicht zuletzt, dass hierdurch die Ver-
fassungsgerichte von der Tätigkeit einer (Su-
per-)Revisionsinstanz entlastet und überdies ei-
ne bundeseinheitliche Handhabung der Anfor-
derungen an eine Berufungsbegründung geför-
dert werden. Andererseits darf nicht verschwie-
gen werden, dass der Gang mit einer Nicht-
zulassungsbeschwerde nach Erfurt, welcher al-
lein aufgrund eines einzelnen Aufsatzes noch
nicht zur Erschöpfung des Rechtswegs gehört,
derzeit im Widerspruch zur ganz h.A. und ge-
festigten Rechtsprechung steht. Er ist derzeit
mit entsprechend großen Risiken und geringen
Chancen behaftet. Hinzu kommt, dass ein Gang
nach Karlsruhe und/oder zu einem der Landes-
verfassungsgerichte regelmäßig kostengünsti-
ger ist. Schließlich erweist sich eine Verfas-
sungsbeschwerde, hat man das angerufene Ge-
richt erst mal dafür gewonnen, als (Super-)Revi-
sionsinstanz tätig zu werden, als deutlich effek-
tiver, weil sie eine inhaltliche Kontrolle der Ver-
werfungsentscheidung selbst umfasst und an-
ders als die Nichtzulassungsbeschwerde nicht
lediglich auf die Feststellung des Vorliegens von
Zulassungsgründen ausgerichtet ist.
3
Kein Arbeitsverhältnis zum Entleiher bei
mehr als vorübergehender Überlassung
mit Erlaubnis
Orientierungssatz:
Ein Verstoß gegen das ab dem 01.12.2011
geltende Verbot der nicht nur vorüber-
gehenden Arbeitnehmerüberlassung in §  1
Abs.  1 Satz 2 AÜG führt nicht gemäß §  10
Abs. 1 Satz 1 AÜG zum Zustandekommen ei-
nes Arbeitsverhältnisses zwischen dem Ent-
leiher und dem Leiharbeitnehmer, wenn der
Verleiher die nach § 1 Abs. 1 Satz 1 AÜG er-
forderliche Erlaubnis hat, seine Arbeitneh-
jurisPR-ArbR 3/2015
mer Dritten zur Arbeitsleistung zu überlas-
sen.
Anmerkung zu BAG, Urteil vom   03.06.2014,
9 AZR 111/13
von Dr. André Zimmermann, LL.M., RA und
FA für Arbeitsrecht, King & Wood Mallesons LLP,
Frankfurt am Main
A. Problemstellung
Was passiert, wenn Arbeitnehmer länger als
„vorübergehend“ – und damit unter Verstoß ge-
gen § 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG – mit Erlaubnis über-
lassen werden? Das AÜG beantwortet diese Fra-
ge nicht, und seit der AÜG-Reform war die Ant-
wort umstritten. Ende 2013 hat der Neunte Se-
nat in einem Grundsatzurteil festgestellt, dass
bei mehr als vorübergehender Überlassung mit
Erlaubnis kein Arbeitsverhältnis mit dem Entlei-
her zustande kommt (BAG, Urt. v. 10.12.2013
- 9 AZR 51/13). Im vorliegenden Verfahren hat
der Senat das noch einmal bestätigt.
B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Die Klägerin ist bei einem Personaldienstleis-
tungsunternehmen als Krankenschwester ange-
stellt. Der Personaldienstleister verfügt über ei-
ne unbefristet erteilte Erlaubnis zur Arbeitneh-
merüberlassung. Seit Beginn des Arbeitsver-
hältnisses ist die Klägerin in einem Kranken-
haus, das die Beklagte betreibt, als Leiharbeit-
nehmerin tätig. Beide Unternehmen gehören
demselben Konzern an.
Die Klägerin vertritt die Auffassung und be-
gehrte entsprechende gerichtliche Feststellung,
dass zwischen ihr und der Beklagten ein Arbeits-
verhältnis besteht. Ihr Einsatz bei der Beklagten
sei nicht vorübergehend i.S.v. § 1 Abs. 1 Satz 2
AÜG. Die Beklagte nutze Arbeitnehmerüberlas-
sung rechtsmissbräuchlich, um dauerhaften Ar-
beitskräftebedarf zu – aus ihrer Sicht – günsti-
gen Bedingungen zu decken. Der durch die Leih-
arbeitsrichtlinie bezweckte Mindestschutz wer-
de verfehlt.
Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben
die Klage abgewiesen (LArbG Berlin-Branden-
burg, Urt. v. 16.10.2012 - 7 Sa 1182/12; Zim-
mermann, jurisPR-ArbR 6/2013 Anm. 2). Ein Ar-
beitsverhältnis sei nicht nach § 10 Abs. 1 Satz
1 AÜG i.V.m. § 9 Nr. 1 AÜG zustande gekom-
men, weil das Personaldienstleistungsunterneh-
men über die erforderliche Erlaubnis verfügt ha-
be. Eine analoge Anwendung der Regelungen
scheide aus. Ein Arbeitsverhältnis ergebe sich
auch nicht aus einer richtlinienkonformen Aus-
legung der §§  1 Abs.  2, 10 Abs.  1, 9 Nr.  1
AÜG, weil die Mitgliedstaaten nach der Leih-
arbeitsrichtlinie Sanktionen vorsehen müssten,
die „wirksam, angemessen und abschreckend“
seien. Das Gebot der richtlinienkonformen Aus-
legung gelte nur innerhalb der Grenzen richterli-
cher Gesetzesauslegung. Der Gesetzeswortlaut
stehe aber einer Auslegung entgegen, dass bei
nicht vorübergehender Überlassung ein Arbeits-
verhältnis mit dem Entleiher begründet werde.
Im Revisionsverfahren wies die Klägerin ergän-
zend darauf hin, dass die Große Koalition ei-
ne Gesetzesänderung beabsichtige, wonach bei
Überschreitung einer Überlassungshöchstdauer
von 18 Monaten ein Arbeitsverhältnis zum Ent-
leiher entstehe. Bis zur Umsetzung des Vorha-
bens bleibe es der Rechtsprechung überlassen,
eine Sanktionierung der verbotenen Dauerüber-
lassung unter Einbeziehung dieser Planungen
und unter Zugrundelegung der Leiharbeitsricht-
linie vorzunehmen.
Die Revision der Klägerin hatte keinen Erfolg.
Sehr knapp verweist der Senat auf sein Grund-
satzurteil vom 10.12.2013. Dort sei eingehend
begründet, warum weder in direkter noch in ent-
sprechender Anwendung des § 10 Abs. 1 Satz
1 AÜG bei mehr als vorübergehender Überlas-
sung kein Arbeitsverhältnis zum Entleiher ent-
stehe und warum auch die Leiharbeitsrichtli-
nie kein anderes Ergebnis vorgebe. Der Hinweis
der Klägerin auf den Koalitionsvertrag gehe
fehl. Absichtserklärungen in einem Koalitions-
vertrag berechtigten Gerichte nicht, das gelten-
de Recht außer Acht zu lassen. Im Übrigen sei
im Koalitionsvertrag nicht vereinbart, dass eine
nicht mehr vorübergehende Überlassung zu ei-
nem Arbeitsverhältnis mit dem Entleiher führt
und damit bei der Rechtsfolge einer Überlas-
sung ohne Erlaubnis gleichgestellt werden soll.
Nur bei „verdeckter” Überlassung durch Schein-
werk- und -dienstverträge solle laut Koalitions-
vertrag gesetzlich geregelt werden, dass über
§  10 Abs.  1 Satz 1 AÜG ein Arbeitsverhältnis
mit dem vermeintlichen Werkbesteller/Dienst-
berechtigten zustande kommt.
jurisPR-ArbR 3/2015
C. Kontext der Entscheidung
Das BAG bestätigt sein Grundsatzurteil vom
10.12.2013 (BAG, Urt.  v. 10.12.2013 - 9 AZR
51/13). Bei dauerhafter Überlassung mit Erlaub-
nis kommt kein Arbeitsverhältnis zwischen Ent-
leiher und Leiharbeitnehmer zustande. Die Ent-
scheidung ist richtig. Selbst wenn man Rechts-
missbrauch, eine symbiotische Arbeitnehmer-
überlassung, erblicken möchte: Rechtsmiss-
brauch führt zu keinem Vertragsschluss. An ei-
ner gesetzlichen Grundlage für die Entstehung
eines Arbeitsverhältnisses fehlt es aber de le-
ge lata. Da die Fiktion eines Arbeitsverhältnis-
ses zwischen Leiharbeitnehmer und Entleiher zu
einem Eingriff in die Vertragsfreiheit und Be-
rufsfreiheit des Entleihers führt (Art.  2 Abs.  1
GG, Art.  12 Abs.  1 GG), ist eine hinreichend
bestimmte gesetzliche Grundlage erforderlich.
Nur eine solche Grundlage kann den Eingriff le-
gitimieren.
D. Auswirkungen für die Praxis
Der Koalitionsvertrag lässt offen, ob eine Über-
schreitung der Höchstdauer zivilrechtliche Fol-
gen hat. Darauf weist der Senat in den Ent-
scheidungsgründen zutreffend hin. Vor Ende
2015 ist wohl nicht mit Inkrafttreten einer neu-
en Regelung zu rechnen. Bis zur Umsetzung ei-
nes solchen Vorhabens ist die Entstehung eines
Arbeitsverhältnisses zum Entleiher bei mehr
als vorübergehender Überlassung mit Erlaubnis
ausgeschlossen und zwar auch bei rein konzern-
interner Arbeitnehmerüberlassung.
Gewisse Unsicherheit in der Praxis schafft der-
zeit ein neuer Weg, den jüngst die Vierte Kam-
mer des LArbG Stuttgart gegangen ist: Sie ist
der Auffassung, dass im Falle eines Schein-
werkvertrages trotz bestehender Überlassungs-
erlaubnis ein Arbeitsverhältnis zwischen Leih-
arbeitnehmer und Entleiher zustande kommt
(LArbG Stuttgart, Urt.  v. 03.12.2014 - 4 Sa
41/14). Es stelle widersprüchliches Verhalten
dar, wenn sich Drittfirma und Einsatzunter-
nehmen auf die Überlassungserlaubnis beru-
fen, obwohl sie ausdrücklich einen Werkvertrag
geschlossen und nicht „offen“ Arbeitnehmer-
überlassung vereinbart haben. Die Unterneh-
men hätten ihre Vertragsbeziehung selbst als
Werkvertrag eingeordnet und das AÜG gerade
nicht angewandt. Dann könnten sie sich nun
auch nicht auf die Erlaubnis berufen. Die Drit-
te Kammer desselben Gerichts hat gerade erst
anders entschieden (LArbG Stuttgart, Urt.  v.
18.12.2014 - 3 Sa 33/14). Bislang liegt die Ent-
scheidung der Vierten Kammer nur als Presse-
mitteilung vor. Die Revision ist zugelassen.
4
Unzulässige Beeinflussung einer
Betriebsratswahl durch Verwendung
eines Gewerkschaftslogos auf
Wahlunterlagen
Orientierungssätze zur Anmerkung:
1. Werden auf einem Wahlausschreiben zur
Betriebsratswahl (ähnlich wie bei einem
Briefkopf) Name und Logo einer Gewerk-
schaft angebracht, ist darin eine unzulässi-
ge Wahlbeeinflussung zu sehen, welche zur
Anfechtbarkeit führt.
2. Eine Beeinflussung des Wahlergebnis-
ses kann in einem solchen Fall regelmäßig
schon deshalb nicht ausgeschlossen wer-
den, weil infolge der Gestaltung des Wahl-
ausschreibens einzelne Kandidaturen unter-
blieben sein könnten.
3. Werden Name und Logo einer Gewerk-
schaft auf anderen Wahlunterlagen ange-
bracht, verstößt der Wahlvorstand hier-
durch ebenfalls gegen seine Neutralitäts-
pflicht.
Anmerkung zu ArbG Frankfurt (Oder), Beschluss
vom  26.06.2014, 6 BV 11/14
von Dr. Till Sachadae, Akademischer Assistent,
Universität Leipzig
A. Problemstellung
Die Wahl des Betriebsrats ist an demokrati-
schen Grundsätzen ausgerichtet. Als Leiter die-
ser Wahl ist der Wahlvorstand verpflichtet, eine
neutrale Rechtsposition einzunehmen und alle
Vorschlagslisten gleichrangig zu behandeln. Die
vorliegende Entscheidung befasst sich mit der
Frage, ob diese Verpflichtung verletzt ist, wenn
der Wahlvorstand auf diversen Wahlunterlagen
Logo und Namen einer Gewerkschaft anbringt.
jurisPR-ArbR 3/2015
B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
In einem Betrieb mit über 670 Arbeitnehmern
wurde eine Betriebsratswahl durchgeführt. Bei
dieser erließ der Wahlvorstand ein Wahlaus-
schreiben, auf dessen Vorder- und Rückseite
der Name und das Logo einer Gewerkschaft an-
gebracht waren. Daneben fand sich auf dem
Wahlausschreiben ein vom DGB publizierter
Slogan zur Beteiligung an Betriebsratswahlen.
Auf der zwei Wochen später erfolgten Bekannt-
machung der gültigen Wahlvorschläge waren
ebenfalls Gewerkschaftsname, Logo und der
Slogan in gleicher Weise angebracht worden.
Ferner enthielt das Anschreiben des Wahlvor-
stands, mit dem er die Briefwahlunterlagen ver-
sandte, ebenfalls eine derartige Gestaltung mit
Gewerkschaftsnamen, Logo und Slogan. Rund
acht Tage vor Durchführung der Betriebsrats-
wahl tauschte der Wahlvorstand das Wahlaus-
schreiben und die Bekanntmachung der gülti-
gen Vorschlagslisten gegen inhaltlich gleichlau-
tende Schreiben aus, auf denen die gewerk-
schaftsbezogenen Angaben nicht angebracht
waren. Mehrere Wahlberechtigte gingen gleich-
wohl von einer unzulässigen Wahlbeeinflussung
aus und machten formell ordnungsgemäß die
Unwirksamkeit der Betriebsratswahl geltend.
Das ArbG Frankfurt (Oder) lehnte eine Nichtig-
keit der Wahl ab, gab jedoch dem Anfechtungs-
antrag statt. Mit der Anbringung des Gewerk-
schaftslogos auf dem Wahlausschreiben und
den weiteren Unterlagen habe der Wahlvor-
stand gegen wesentliche Vorschriften über das
Wahlrecht und das Wahlverfahren verstoßen.
Aus dem ungeschriebenen Grundsatz der Chan-
cengleichheit der Wahlbewerber – der für jede
demokratische Wahl Geltung beanspruche – fol-
ge, dass jeder Wahlbewerber die gleichen Mög-
lichkeiten im Wahlkampf und im Wahlverfah-
ren und damit die gleichen Chancen im Wett-
bewerb um die Wählerstimmen haben müsse.
Dies bedinge, dass der Wahlvorstand als für
die Einleitung und Durchführung der Betriebs-
ratswahl verantwortliches Organ bei der Aus-
übung seines Amtes alles zu unterlassen ha-
be, was den Ausgang der Wahl und Chancen
(möglicher) Bewerber im Wettbewerb um Wäh-
lerstimmen im Verhältnis zu den Chancen an-
derer beeinflussen könnte. Den Wahlvorstand
treffe daher eine Neutralitätspflicht. Wegen die-
ser habe der Wahlvorstand bei der Ausübung
seines Amtes insbesondere auch jede Form von
Sympathiebekundungen für einzelne Bewerber
oder Vorschlagslisten bzw. diese unterstützen-
de Gewerkschaften zu unterlassen. Gegen die-
se Verpflichtung habe der Wahlvorstand durch
die Anbringung von Gewerkschaftsnamen und
-logo auf den Wahlunterlagen verstoßen, weil
hierdurch die Wahl unzulässig beeinflusst wor-
den und damit ein zur Anfechtung berechtigen-
der Wahlfehler gegeben sei.
Dabei stehe die Neutralitätspflicht auch nicht
im Widerspruch zur Garantie der koalitionsmä-
ßigen Betätigung aus Art.  9 Abs.  3 GG. Zwar
werde hiervon auch die Wahlwerbung durch
Beschäftigte oder durch die im Betrieb vertre-
tenen Gewerkschaften erfasst. Jedoch erfahre
die grundsätzliche Zulässigkeit der koalitions-
fördernden Betätigung im Vorfeld von Betriebs-
ratswahlen aus den Grundsätzen des Wahl-
rechts und der dargestellten Neutralitätspflicht
Einschränkungen für solche Beschäftigte, die
das Amt des Wahlvorstands ausüben. Hier gel-
te es, die Koalitionsfreiheit in Einklang mit den
Grundsätzen demokratischer Wahlen zu brin-
gen, was im Ergebnis dazu führe, dass die allge-
meine Zulässigkeit von Gewerkschaftswerbung
in Bezug auf den Wahlvorstand insoweit be-
schränkt sei, als sie dem Grundsatz der Chan-
cengleichheit der Wahlbewerber widerspräche.
Der in der Gestaltung der Wahlunterlagen lie-
gende Wahlfehler sei auch nicht durch den Aus-
tausch der Wahlausschreiben und der Bekannt-
machung der Vorschlagslisten geheilt worden,
weil es sich insoweit nicht um eine Berichtigung
i.S.d. § 19 Abs. 2 BetrVG handele. Der erst kurz
vor dem Wahltermin erfolgte Neuaushang oh-
ne förmlichen Neuerlass und die Setzung einer
Nachfrist zur Einreichung von Wahlvorschlägen
genüge hierfür schon deshalb nicht, weil da-
durch möglichen nachteiligen Folgen des Feh-
lers nicht hinreichend entgegengewirkt werde.
Schließlich könne eine Beeinflussung des Wahl-
ergebnisses schon deshalb nicht ausgeschlos-
sen werden, weil infolge der Gestaltung des
Wahlausschreibens einzelne Kandidaturen un-
terblieben sein könnten. Bei flüchtiger Lektü-
re des Wahlausschreibens durch einen durch-
schnittlichen Leser habe der Eindruck entstehen
können, die Information stamme von der Ge-
werkschaft. Hierdurch habe für – in der Betriebs-
verfassung unerfahrene – Mitarbeiter allein
durch die Gestaltung des Schreibens die Fehl-
vorstellung entstehen können, die Beteiligung
an der Wahl oder die Betätigung im Betriebs-
jurisPR-ArbR 3/2015
rat setze eine Gewerkschaftsmitgliedschaft vor-
aus. Ein solcher Geschehensablauf erscheine
als nicht so fernliegend, dass mit hinreichender
Sicherheit ausgeschlossen werden könne, dass
bei neutraler Gestaltung des Wahlausschrei-
bens keine weitere erfolgversprechende Kandi-
datur erfolgt wäre.
C. Kontext der Entscheidung
Das Bestehen einer Neutralitätspflicht ist im
Hinblick auf Wahlvorstände in Rechtsprechung
und Literatur bisher kaum thematisiert worden.
Vielmehr bezogen sich entsprechende Diskus-
sionen in erster Linie auf den Arbeitgeber. Für
Letzteren wird eine Neutralitätspflicht überwie-
gend bejaht, wobei jedoch deren dogmatische
Herleitung im Einzelnen umstritten ist (BAG, Be-
schl. v. 04.12.1986 - 6 ABR 48/85 Rn. 21 und 30;
Homburg in: Däubler u.a. (Hrsg.), BetrVG, § 20
Rn. 1 und 4; Maschmann, BB 2010, 245, 250).
Im Kern wird die Neutralitätspflicht primär damit
begründet, dass zugunsten oder zulasten ein-
zelner Vorschlagslisten wirkende Handlungen
des Arbeitgebers (z.B. durch finanzielle Unter-
stützung einer Wahlzeitung) die freie Entschei-
dung der Wähler und damit auch die Erfolgs-
aussichten der einzelnen Wahlbewerber beein-
flussen könnten. Daher habe sich der Arbeitge-
ber derartiger Einflussnahmen zu enthalten und
stattdessen, sowohl hinsichtlich der Betriebs-
ratswahl an sich als auch hinsichtlich der einzel-
nen Kandidaten bzw. Vorschlagslisten Neutrali-
tät zu wahren (vgl. Homburg, in: Däubler u.a.,
BetrVG, § 20 Rn. 1; Maschmann, BB 2010, 245,
250).
Eine solche Neutralität ist fraglos auch im Hin-
blick auf Wahlvorstände geboten. Schließlich
obliegt diesen die Leitung und Durchführung
der Wahl. Diese Funktion ist mit besonderer Ver-
antwortung verbunden, weil der Wahlvorstand
essentielle Entscheidungen zu treffen hat und
zugleich – insbesondere im Rahmen der Stimm-
auszählung – theoretisch Zugriff auf eine Reihe
sensibler Informationen hat, die teilweise sogar
vom Wahlgeheimnis umfasst sind. Dadurch ist
bei der Wahl ein besonderes (Vorschuss-)Ver-
trauen in die Integrität des Wahlvorstands erfor-
derlich.
Verhält sich jedoch ein einzelnes Wahlvor-
standsmitglied oder gar der gesamte Wahl-
vorstand nicht neutral, sondern zeigt sich zu-
gunsten bestimmter Wahlbewerber bzw. Vor-
schlagslisten parteiisch, kann dieses Vertrauen
in die Rechtschaffenheit der Wahlleitung Scha-
den erleiden und Wähler von der Stimmabga-
be abhalten. Darüber hinaus befindet sich der
Wahlvorstand durch seine wahlleitende Funk-
tion in der Lage in besonderer Weise auf das
Abstimmungsverhalten der Wähler Einfluss zu
nehmen, weil etwaige „offizielle“ Aushänge
des Wahlvorstands am Schwarzen Brett einen
anderen Stellenwert haben als von „bloßen“
Wahlbewerbern verteilte Informationsmateria-
lien (LArbG Nürnberg, Beschl. v. 20.09.2011 -
6 TaBV 9/11 Rn. 109). Deshalb ist von einem
Wahlvorstand insoweit ein besonderes Maß an
Zurückhaltung und Neutralität an den Tag zu le-
gen und von ihm zu verlangen, dass er sich jeg-
licher Bevorteilung oder Benachteiligung ein-
zelner Wahlbewerber bzw. Vorschlagslisten ent-
hält.
Trotz dieser Gesichtspunkte erscheint es nicht
geboten, eine in den Wahlvorschriften nicht ex-
plizit angelegte „Neutralitätspflicht des Wahl-
vorstands“ zu statuieren, um mit deren Verlet-
zung die Anfechtbarkeit der Wahl zu begrün-
den. Bevorzugt oder benachteiligt ein Wahlvor-
stand durch eine Handlung eine der Vorschlags-
listen bzw. einzelne Wahlbewerber, ist darin
nämlich regelmäßig bereits ein Verstoß gegen
den Grundsatz der Chancengleichheit zu sehen
(vgl. BAG, Beschl. v. 06.12.2000 - 7 ABR 34/99
Rn. 29). Dieser ist Teil des auch für die Betriebs-
ratswahl geltenden Grundsatzes der Gleichheit
der Wahl (vgl. Fitting, BetrVG, § 14 Rn. 18, und
Klein in: Maunz/Dürig, GG, Art. 38 Rn. 118) und
führt bei Verletzung ebenfalls zur Anfechtbar-
keit, sofern sich der Fehler auf das Ergebnis aus-
gewirkt haben kann (BAG, Beschl. v. 06.12.2000
- 7 ABR 34/99 Rn.  30). Da der Wahlvorstand
als wahlleitendes Organ auch der Einhaltung
der Wahlgrundsätze verpflichtet ist, besteht mit
der Pflicht zur Wahrung des Grundsatzes der
Chancengleichheit bereits ein hinreichendes In-
strument, um die Neutralität des Wahlvorstands
zu gewährleisten. Vor diesem Hintergrund ist
die Statuierung einer „eigenständigen Neutra-
litätspflicht“ nicht notwendig. Vielmehr erweist
sich diese bei näherer Betrachtung als Pendant
des Grundsatzes der Chancengleichheit (bezo-
gen auf die Neutralitätspflicht des Arbeitgebers
ebenso: Maschmann, BB 2010, 245, 250). Die in
der Entscheidung selbst aus dem Grundsatz der
Chancengleichheit herausgearbeitete Neutrali-
tätspflicht stellt insoweit also kein Novum dar,
sondern liefert nur eine andere Umschreibung
jurisPR-ArbR 3/2015
für ohnehin vom Wahlvorstand zu beachtende
Pflichten.
D. Auswirkungen für die Praxis
Die Entscheidung führt zwar nicht zu einer
Verschärfung der an die Arbeit des Wahlvor-
stands zu stellenden Anforderungen, weil sich
die herausgearbeitete „Neutralitätspflicht“ oh-
nehin schon aus den vom Wahlvorstand einzu-
haltenden Wahlgrundsätzen ergab. Jedoch un-
terstreicht der Beschluss welche zentrale Be-
deutung demokratische Grundprinzipien auch
bei der Betriebsratswahl besitzen und verdeut-
licht, wie wichtig es ist, als Wahlvorstand ei-
ne neutrale Position einzunehmen. Dies gilt ins-
besondere dann, wenn einzelne Wahlvorstands-
mitglieder – was zulässig ist – zugleich als Wahl-
bewerber kandidieren. Letzterenfalls gilt es für
die betroffenen Personen ihr Wahlvorstandsamt
einerseits und ihre Aktivitäten als Wahlbewer-
ber andererseits strikt voneinander zu trennen.
Anderenfalls besteht die Gefahr, dass die Wirk-
samkeit der eigentlich von den Wahlvorstands-
mitgliedern zu fördernden Betriebsratswahl ge-
fährdet wird.
5
Ablösungsprinzip bei
Betriebsvereinbarungen
Orientierungssätze zur Anmerkung:
1. Für Betriebsvereinbarungen gilt das Ab-
lösungsprinzip. Dieses gilt auch dann, wenn
die ältere Betriebsvereinbarung für die Ar-
beitnehmer günstiger war. Das Ablösungs-
prinzip ermöglicht nicht jede Änderung.
Wenn in bereits bestehende Besitzstände
der Arbeitnehmer eingegriffen wird, sind die
Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und des
Vertrauensschutzes zu beachten.
2. Der Inhalt von Betriebsvereinbarungen
kann von den Gerichten nicht auf seine
Zweckmäßigkeit überprüft werden. Auch ei-
ne ablösende Betriebsvereinbarung unter-
liegt nur einer Rechtskontrolle nach Maßga-
be höherrangigen Rechts.
3. Gesundheitliche Einschränkungen einzel-
ner Arbeitnehmer, die den Betriebspart-
nern regelmäßig unbekannt sind, müssen
beim Abschluss einer für eine gesamte Be-
legschaft geltenden Betriebsvereinbarung
nicht berücksichtigt werden.
4. Es steht im Ermessen des Betriebs-
rats, zur Erhaltung von Arbeitsplätzen in ei-
nem Bereich verschlechterte Arbeitsbedin-
gungen in einem anderen Bereich zu akzep-
tieren.
Anmerkung zu LArbG Kiel, Urteil vom
 24.09.2014, 6 Sa 93/14
von Marc-Oliver Schulze, RA und FA für Arbeits-
recht, AfA Rechtsanwälte, Nürnberg
A. Problemstellung
1. Steht es im Ermessen der Betriebsparteien,
durch eine neue Betriebsvereinbarung Arbeits-
bedingungen der Arbeitnehmer zu verschlech-
tern, ohne dass es dabei auf Zweckmäßigkeits-
erwägungen ankommt?
2. Müssen mögliche gesundheitliche Belastun-
gen einzelner Arbeitnehmer außerhalb der Vor-
schriften des Arbeitsschutzes beim Abschluss
einer Betriebsvereinbarung berücksichtigt wer-
den?
B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Ein Produktionsmitarbeiter streitet mit seinem
Arbeitgeber darüber, ob auf sein Arbeitsverhält-
nis weiterhin eine Betriebsvereinbarung zur Ar-
beitszeit aus dem Jahre 2002 oder eine diese
ablösende Betriebsvereinbarung aus dem Jahr
2013 anzuwenden ist. Im Betrieb werden 950
Arbeitnehmer beschäftigt, 700 davon in der Pro-
duktion. Es ist ein dreizehnköpfiger Betriebsrat
gebildet. In fünf Hallen (Hallen 6, 7, 8, 26 und
61) werden Bremsbeläge produziert, der Kläger
arbeitet ausschließlich in der Halle 26.
Bis Mai 2013 wurde in der Halle 26 auf
Grundlage einer Betriebsvereinbarung aus dem
Jahr 2002 in einem Vollkonti-Schichtmodell im
Rhythmus 6/4 gearbeitet. Im Rahmen eines Eini-
gungsstellenverfahrens schlossen die Betriebs-
parteien im Jahr 2013 eine neue Betriebsver-
einbarung zur Arbeitszeit ab, nach der ab Mai
2013 im Rhythmus 6/3 gearbeitet wird. Das
neue Schichtsystem wurde zunächst in allen
Bereichen und Hallen eingeführt. Nach kurzer
Zeit wurde, mit Ausnahme der Halle 26, wie-
der zum System 6/4 zurückgekehrt. Die tarifli-
jurisPR-ArbR 3/2015
che Arbeitszeit wurde durch die Arbeit im 6/3-
Rhythmus nicht überschritten, gleichwohl ver-
schlechterten sich die Arbeitsbedingungen des
Klägers. Er musste danach arbeitstäglich eine
Stunde länger und im Jahr bis zu 35 Tage mehr
arbeiten.
Nach Auffassung des Klägers war die neu abge-
schlossene Betriebsvereinbarung unverhältnis-
mäßig, da sie aufgrund der bei ihm eingetre-
tenen gesundheitlichen Folgen die Grenze der
Zumutbarkeit überschritten hätte. Da der Be-
triebsrat anlässlich des Abschlusses der neuen
Betriebsvereinbarung sinngemäß geäußert ha-
be, er habe die Halle 26 geopfert, um die Arbeit-
nehmer einer anderen Halle vor einem Arbeits-
platzabbau zu bewahren, sei die Betriebsver-
einbarung rechtsunwirksam. Im Ergebnis wollte
der Kläger feststellen lassen, dass auf sein Ar-
beitsverhältnis weiterhin die Betriebsvereinba-
rung aus dem Jahr 2002 mit dem Schichtrhyth-
mus 6/4 anzuwenden ist.
Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben
seine Anträge zurückgewiesen, jeweils mit der
Begründung, dass die Betriebsvereinbarung
aus dem Jahr 2013 die alte Betriebsvereinba-
rung aus dem Jahr 2002 vollständig abgelöst
hat. Die Revision wurde nicht zugelassen. Die
eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde wurde
zurückgewiesen.
C. Kontext der Entscheidung
Die Entscheidung hält sich im Rahmen der
Rechtsprechung des BAG zum Ablösungsprin-
zip, wonach die jüngere Betriebsvereinbarung
die ältere ablöst, selbst wenn die ältere Be-
triebsvereinbarung für die Arbeitnehmer güns-
tiger war (vgl. zuletzt BAG, Urt. v. 15.01.2013
- 3 AZR 705/10). Wenn allerdings in bereits be-
stehende Besitzstände der Arbeitnehmer einge-
griffen wird, sind die Grundsätze der Verhältnis-
mäßigkeit und des Vertrauensschutzes zu be-
achten, so dass insbesondere Betriebsverein-
barungen, die Versorgungsansprüche aus ei-
ner früheren Betriebsvereinbarung einschrän-
ken, einer entsprechenden Rechtskontrolle un-
terliegen (vgl. BAG, Urt. v. 15.01.2013 - 3 AZR
169/10).
D. Auswirkungen für die Praxis
Die Entscheidung arbeitet deutlich heraus, dass
die Betriebsparteien einen sehr weiten Gestal-
tungsspielraum haben. Solange die tariflichen
und gesetzlichen Rahmenparameter eingehal-
ten werden, können – auch im Vergleich zu einer
früheren Betriebsvereinbarung – erheblich ver-
schlechternde Regelungen getroffen werden.
Dabei kommt es nicht darauf an, ob entspre-
chende Änderungen geboten oder zweckmäßig
waren. Dem Betriebsrat kommt deshalb eine
sehr hohe Verantwortung zu. Er sollte auch im-
mer sorgfältig prüfen, ob Koppelungsgeschäf-
te, die bestimmte Arbeitnehmergruppen gegen-
über anderen bevorzugen, darstellbar sind oder
innerhalb der Belegschaft Unfrieden hervorru-
fen können. Auch wenn das Gericht vorliegend
lapidar ausführt, dass der Schutz vor Gesund-
heitsgefahren durch die Vorschriften des Ar-
beitsschutzes hinreichend gewährleistet ist, ist
und bleibt es Aufgabe des Betriebsrats, dies zu
überprüfen und bei zu befürchtenden gesund-
heitlichen Nachteilen darauf hinzuweisen.
6
Kein Mitbestimmungsrecht des
Betriebsrats bei Anbringung einer
Videokamera-Attrappe im Außenbereich
einer Klinik
Leitsatz:
Das Anbringen der Attrappe einer Videoka-
mera im Außenbereich eines Klinikgebäu-
des erfüllt offensichtlich keinen Mitbestim-
mungstatbestand i.S.d. § 87 BetrVG.
Anmerkung zu LArbG Rostock, Beschluss vom
 12.11.2014, 3 TaBV 5/14
von Dr. Eugen Ehmann, Regierungsvizepräsi-
dent von Mittelfranken
A. Problemstellung
Löst die Anbringung der Attrappe einer Video-
kamera ein Mitbestimmungsrecht gemäß § 87
Abs. 1 Nr. 1 BetrVG aus?
B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Die Beteiligten streiten um die Notwendigkeit
einer Einigungsstelle im Zusammenhang mit
der Attrappe einer Videokamera, welche die Be-
teiligte zu 2) am Hinterausgang des von ihr be-
triebenen Klinikgebäudes anbringen ließ, ohne
jurisPR-ArbR 3/2015
vorher die Zustimmung des Betriebsrats (Betei-
ligter zu 1)) einzuholen.
Das Arbeitsgericht hat dem Antrag des Betriebs-
rats stattgegeben, eine Einigungsstelle einzu-
richten. Dies begründet es damit, dass nicht von
einer offensichtlichen Unzuständigkeit der Eini-
gungsstelle gemäß §  99 Abs.  1 Satz 2 ArbGG
auszugehen sei. Ein Mitbestimmungstatbestand
nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG könne nicht von
vornherein ausgeschlossen werden.
Das LArbG Rostock als Beschwerdeinstanz geht
dagegen davon aus, dass das Anbringen der At-
trappe einer Videokamera im Außenbereich ei-
nes Gebäudes offensichtlich keinen Mitbestim-
mungstatbestand i.S.d. § 87 BetrVG erfüllt.
Eine offensichtliche Unzuständigkeit i.S.d. § 99
ArbGG sei dann gegeben, wenn bei fachkun-
diger Beurteilung durch das Gericht auf fest-
gestellter Tatsachengrundlage sofort erkennbar
sei, dass ein Mitbestimmungsrecht unter kei-
nem rechtlichen Gesichtspunkt in Frage kom-
me.
Im vorliegenden Fall scheide ein Mitbestim-
mungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG be-
reits auf den ersten Blick ersichtlich aus, da
eine Kameraattrappe jedenfalls objektiv nicht
geeignet sei, das Verhalten oder die Leistung
der Arbeitnehmer zu überwachen. Der Sinn und
Zweck von §  87 Abs.  1 Nr.  6 BetrVG bestehe
darin, das allgemeine Persönlichkeitsrecht des
Arbeitnehmers vor Eingriffen durch anonyme
technische Kontrolleinrichtungen zu schützen.
Derartige Eingriffe seien von einer Attrappe er-
sichtlich nicht zu erwarten.
Auch ein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1
Satz 1 BetrVG sei nicht ersichtlich. Die Anbrin-
gung der Attrappe einer Videokamera im Au-
ßenbereich entfalte schon auf den ersten Blick
keine Auswirkungen auf das innerbetriebliche
Zusammenleben der Arbeitnehmer. Die Arbeit-
nehmer könnten den betroffenen Eingang nach
wie vor betreten und verlassen, ohne neuen
zusätzlichen Regelungen des Zusammenlebens
unterworfen zu sein, die vom Betriebsrat mit-
gestaltet werden könnten (vgl. zu diesen As-
pekten BAG, Beschl.  v. 10.04.1984 - 1 ABR
69/82 Rn. 16, betreffend ein elektronisches Zu-
gangskontrollsystem mit codierten Ausweiskar-
ten, auf denen keine Daten dazu erfasst wur-
den, wer das Gebäude durch welchen Ausgang
betritt oder verlässt). Denn durch die Attrappe
werde gerade nicht kontrolliert, wer das Gebäu-
de wann durch den betroffenen Eingang betritt
oder verlässt.
Zwar sei dem Betriebsrat zuzugestehen, dass
in der Literatur unter Hinweis auf den umfas-
senden Schutz der Persönlichkeitsrechte der Ar-
beitnehmer vereinzelt eine weitergehende Aus-
legung zum Anwendungsbereich des § 87 Abs. 1
Nr.1 BetrVG vertreten wird (so bei Klebe in:
Däubler/Kittner/Klebe/Wedde, BetrVG, 14. Aufl.,
§ 87 Rn. 57). Auch nach dieser Ansicht sei es
jedoch erforderlich, dass eine objektiv tatsäch-
lich vorgenommene Kontrolle festzustellen sei
(Klebe, a.a.O., § 87 Rn. 58). Daran fehle es bei
der Attrappe einer Videokamera. Denn diese sei
nicht in der Lage, eine tatsächliche Kontrollwir-
kung auszuüben und könne die Persönlichkeits-
rechte der Arbeitnehmer daher objektiv nicht
tangieren.
C. Kontext der Entscheidung
Die adäquate rechtliche Bewertung von Kame-
raattrappen fällt Rechtsprechung und Litera-
tur seit jeher schwer. Einigkeit besteht weitge-
hend darüber, dass §  6b BDSG (Beobachtung
öffentlich zugänglicher Räume mit optisch-elek-
tronischen Einrichtungen) auf Kameraattrappen
nicht anwendbar ist (Scholz in: Simitis, BDSG,
8.  Aufl., §  6b Rn.  41, m.w.N.; Brink in: Wolff/
Brink, Datenschutzrecht, §  6b BDSG Rn.  90,
m.w.N.; Wiegand in: Gierschmann / Saeugling,
BDSG, § 6b Rn. 31, m.w.N.). Der Schutzbereich
des Rechts auf informationelle Selbstbestim-
mung ist schon deshalb nicht berührt, weil kei-
ne personenbezogenen Daten erhoben werden
(Scholz in: Simitis, BDSG, § 6b Rn. 28).
Denkbar – und von der Rechtsprechung ver-
schiedentlich so gesehen – ist es jedoch, dass
der von einer Attrappe ausgehende Anpas-
sungs- und Überwachungsdruck zu einem Ein-
griff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht
führt, der zivilrechtliche Beseitigungs- und Un-
terlassungsansprüche nach sich zieht (so LG
Bonn, Urt.  v. 16.11.2004 - 8 S 139/04 in ei-
nem Streit zwischen zwei Grundstücksnach-
barn; ablehnend dagegen AG Schöneberg,
Urt.  v. 30.07.2014 - 103 C 160/14; im An-
wendungsbereich des Wohnungseigentumsge-
setzes differenzierend nach den Umständen
jurisPR-ArbR 3/2015
des Einzelfalls BGH, Urt. v. 21.10.2011 - V ZR
265/10).
Im Bereich des Arbeitsrechts hat das LArbG
Mainz in Parallelverfahren, die dasselbe Unter-
nehmen betreffen, Arbeitnehmern Schadens-
ersatz bei einer Verletzung des Persönlich-
keitsrechts durch eine Videoüberwachung zu-
gesprochen, die tatsächlich stattgefunden hatte
(LArbG Mainz, Urt. v. 23.05.2013 - 2 Sa 540/12:
650 Euro; LArbG Mainz, Urt. v. 23.05.2013 - 2 Sa
12/13: 850 Euro).
Der vorliegenden Entscheidung ist zuzustim-
men. Wenn real keine Überwachung stattfin-
det, ist für ein Mitbestimmungsrecht gemäß
§ 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG von vornherein kein
Raum. Im Rahmen des Mitbestimmungstatbe-
standes nach §  87 Abs.  1 Nr.  1 BetrVG kann
zwar durchaus erwogen werden – so auch der
Vortrag des Beteiligten zu 1) –, dass eine Ka-
meraattrappe geeignet sein kann, das Verhal-
ten der Arbeitnehmer und die Ordnung im Be-
trieb zu steuern. Dies gilt umso mehr, wenn –
so der weitere Vortrag des Beteiligten zu 1) –
sich die Beteiligte zu 2) tatsächlich geweigert
haben sollte, die Belegschaft darüber aufzuklä-
ren, dass es sich um eine Attrappe handelt.
Würde man diese Überlegungen ausreichen las-
sen, um den Mitbestimmungstatbestand zu be-
jahen, käme es allerdings dazu, dass Mitbe-
stimmungsrechte an das bloße subjektive Ge-
fühl von Betroffenen anknüpfen würden, einer
Überwachung zu unterliegen (so die auf das Be-
triebsverfassungsrecht übertragbare Argumen-
tation von Wiegand in: Gierschmann/Saeugling;
BDSG, § 6b Rn. 31, zur Begründung dafür, war-
um das allgemeine Persönlichkeitsrecht durch
eine bloße Attrappe nicht verletzt werde). Auch
besteht der Schutzzweck des Mitbestimmungs-
tatbestandes nicht darin, ein bestimmtes Infor-
mationsverhalten des Arbeitgebers (hier die In-
formation darüber, dass es sich um eine Attrap-
pe handelt) zu erzwingen. Schließlich würde es
den Anwendungsbereich von § 87 Abs. 1 Nr. 1
BetrVG überdehnen, wenn jede Maßnahme, die
zu einer psychischen Zwangswirkung bei betrof-
fenen Arbeitnehmern führen kann, schon aus
diesem Grund ein Mitbestimmungsrecht auslö-
sen würde.
D. Auswirkungen für die Praxis
Aus betriebsverfassungsrechtlicher Sicht ist das
Anbringen von Kameraattrappen auf der Ba-
sis dieser Entscheidung für den Arbeitgeber
risikolos. Allerdings erscheint es nicht ausge-
schlossen, dass einzelne betroffene Arbeitneh-
mer zumindest versuchen, zivilrechtliche Unter-
lassungsansprüche geltend zu machen. Je nach
den Umständen des Einzelfalls erscheint dabei
ein Erfolg nicht von vornherein ausgeschlossen.

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Kein Arbeitsverhältnis zum Entleiher bei mehr als vorübergehender Überlassung mit Erlaubnis

  • 1. Zitiervorschlag: Kielkowski, jurisPR-ArbR 3/2015 Anm. 1 ISSN 1860-1553 juris GmbH, Gutenbergstraße 23, D-66117 Saarbrücken, Tel.: 0681/5866-0, Internet: www.juris.de, E-Mail: info@juris.de Der juris PraxisReport sowie die darin veröffentlichten Anmerkungen sind urheberrechtlich geschützt. Kein Teil darf (auch nicht auszugsweise) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages in irgendeiner Form reproduziert werden. © juris GmbH 2015 Herausgeber: Prof. Franz Josef Düwell, Vors. RiBAG a.D. Prof. Klaus Bepler, Vors. RiBAG a.D. 3/2015 Erscheinungsdatum: 21.01.2015   Erscheinungsweise: wöchentlich   Bezugspreis: 10,- € monatlich zzgl. MwSt. Inhaltsübersicht: Anm. 1 Umgehung des § 613a BGB beim Einsatz einer BQG und Teilanfechtung des dreiseitigen Vertrages Anmerkung zu LArbG Frankfurt, Urteil vom  10.06.2013, 16 Sa 1492/12 von Jacek Kielkowski, LL.M., RA, Noerr LLP, Frankfurt am Main Anm. 2 Grundrechtsverstoß durch überspannte Anforderungen an den Inhalt einer Berufungsbegründung Anmerkung zu StGH Stuttgart, Urteil vom  03.11.2014, 1 VB 8/14 von Priv.-Doz. Dr. Bernhard Ulrici, ULRICI Rechtsanwaltsgesellschaft mbH Anm. 3 Kein Arbeitsverhältnis zum Entleiher bei mehr als vorübergehender Überlassung mit Erlaubnis Anmerkung zu BAG, Urteil vom  03.06.2014, 9 AZR 111/13 von Dr. André Zimmermann, LL.M., RA und FA für Arbeitsrecht, King & Wood Mallesons LLP, Frankfurt am Main Anm. 4 Unzulässige Beeinflussung einer Betriebsratswahl durch Verwendung eines Gewerkschaftslogos auf Wahlunterlagen Anmerkung zu ArbG Frankfurt (Oder), Beschluss vom  26.06.2014, 6 BV 11/14 von Dr. Till Sachadae, Akademischer Assistent, Universität Leipzig Anm. 5 Ablösungsprinzip bei Betriebsvereinbarungen Anmerkung zu LArbG Kiel, Urteil vom  24.09.2014, 6 Sa 93/14 von Marc-Oliver Schulze, RA und FA für Arbeitsrecht, AfA Rechtsanwälte, Nürnberg Anm. 6 Kein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei Anbringung einer Videokamera-Attrappe im Außenbereich einer Klinik Anmerkung zu LArbG Rostock, Beschluss vom  12.11.2014, 3 TaBV 5/14 von Dr. Eugen Ehmann, Regierungsvizepräsident von Mittelfranken
  • 2. jurisPR-ArbR 3/2015 1 Umgehung des § 613a BGB beim Einsatz einer BQG und Teilanfechtung des dreiseitigen Vertrages Leitsätze: 1. Durch den Abschluss eines dreiseitigen Vertrags wird §  613a BGB jedenfalls dann nicht umgangen, wenn dem Arbeitnehmer für den Fall eines Wechsels in eine Beschäfti- gungsgesellschaft die Begründung eines Ar- beitsverhältnisses mit einem Betriebserwer- ber nicht in Aussicht gestellt wird. 2. Eine Teilanfechtung des dreiseitigen Ver- trags, die ausschließlich auf die Beseitigung der Auflösung des bisherigen Arbeitsver- hältnisses gerichtet ist, ist ausgeschlossen. Anmerkung zu LArbG Frankfurt, Urteil vom  10.06.2013, 16 Sa 1492/12 von Jacek Kielkowski, LL.M., RA, Noerr LLP, Frankfurt am Main A. Problemstellung Der Einsatz von Beschäftigungs- und Qualifizie- rungsgesellschaften (BQG) kann für beide Ar- beitsvertragsparteien ein attraktives Mittel dar- stellen, um einen notwendigen Personalabbau sozialverträglich und rechtssicher durchzufüh- ren: Die Arbeitnehmer werden nicht in die Be- schäftigungslosigkeit entlassen, sondern erhal- ten die Möglichkeit der Qualifizierung für eine Anschlussbeschäftigung bei Fortzahlung einer Vergütung. Der Arbeitgeber kann mit einem si- cheren Abbau planen, ohne langwierige Kündi- gungsschutzverfahren befürchten zu müssen. Dass die Rechtssicherheit jedoch schwinden kann, wenn der Eintritt in die BQG in einem en- gen Zusammenhang mit einem nachfolgenden Betriebsübergang steht, zeigt die Entscheidung des LArbG Frankfurt. B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung Die Parteien streiten u.a. über die Wirksamkeit eines Aufhebungsvertrages sowie die Zulässig- keit der Teilanfechtung eines dreiseitigen Ver- trages. Der Kläger war bei der M beschäftigt. Nach Eröffnung des vorläufigen Insolvenzver- fahrens über deren Vermögen wurde der Be- klagte zu 1) zum vorläufigen Insolvenzverwal- ter bestellt. Mit dessen Zustimmung vereinbar- ten M und deren Betriebsrat einen Interessen- ausgleich mit Namensliste, auf der auch der Klä- ger aufgeführt war. Aus diesem Interessenaus- gleich ergibt sich, dass bis zu dessen Abschluss kein Kaufangebot zur Übernahme des Betrie- bes vorlag und eine uneingeschränkte Über- nahme des Betriebs aus wirtschaftlichen Grün- den auch nicht möglich sei. Die vorhandenen Kaufinteressenten hätten die Übernahme des Betriebs von der Durchführung einer tiefgrei- fenden Restrukturierung abhängig gemacht, so dass daher im Zuge des Restrukturierungspro- zesses ein erheblicher Teil der bisherigen Be- schäftigungsmöglichkeiten ersatzlos wegfalle. Weiterhin sah der Interessenausgleich vor, den vom Wegfall ihrer Beschäftigungsmöglichkeit betroffenen Beschäftigten betriebsbedingt zum nächst möglichen Termin zu kündigen oder al- ternativ anzubieten, in eine BQG zu wechseln. Am Tag nach der außerordentlichen Betriebs- versammlung, auf der der Beklagte zu 1) darauf hinwies, dass man mit Investoren im Gespräch sei, aber noch nichts entschieden wäre, wurden an die Beschäftigten Vordrucke eines „dreiseiti- gen Vertrags“ verteilt, die eine einvernehmliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit der M sowie die gleichzeitige Begründung eines befris- teten Arbeitsverhältnisses mit der „betriebsor- ganisatorisch eigenständigen Einheit“ P im un- mittelbaren Anschluss vorsahen. Der Kläger un- terzeichnete den dreiseitigen Vertrag innerhalb der ihm gesetzten fünftägigen Frist. Die Beklag- te zu 2) erwarb den Betrieb der M am Tag des Übertritts des Klägers in die BQG. Später erklär- te der Kläger die Anfechtung des Aufhebungs- vertrages gegenüber der Beklagten zu 1) wegen arglistiger Täuschung und widerrechtlicher Dro- hung. Er gab gleichzeitig eine entsprechende Erklärung auch gegenüber der P mit dem Zusatz ab, diese Erklärung betreffe nicht den Bestand des Beschäftigungsverhältnisses mit der P. Der Kläger ist ferner der Ansicht, seine Überlegungs- zeit zum Wechsel sei zu kurz bemessen gewe- sen und meint zudem, dass der Aufhebungs- vertrag wegen Umgehung der Vorschriften des §  613a BGB sowie der Vorschriften zur ord- nungsgemäßen Sozialauswahl unwirksam sei. Die Klage hatte weder vor dem Arbeitsgericht noch vor dem Landesarbeitsgericht Erfolg.
  • 3. jurisPR-ArbR 3/2015 Das LArbG Frankfurt lehnt die Unwirksamkeit des Aufhebungsvertrages wegen fehlender Ein- räumung von Bedenkzeit ab, da eine solche grundsätzlich nicht einzuräumen sei. Überdies seien fünf Tage jedenfalls ausreichend. Der Aufhebungsvertrag sei auch nicht aufgrund einer Umgehung des §  613a BGB nach §  134 BGB unwirksam. Grundsätzlich gewähre § 613a BGB keinen Schutz vor einvernehmlichen Been- digungen des Arbeitsverhältnisses. Unter Ver- weis auf die Rechtsprechung des BAG hält das Gericht fest, dass der Abschluss eines Aufhe- bungsvertrages mit einem Betriebsveräußerer und damit zusammenhängend der Abschluss eines Arbeitsvertrages mit einer BQG trotz ei- nes anschließenden Betriebsübergangs wirk- sam sei, wenn die Vereinbarung auf das endgül- tige Ausscheiden des Arbeitnehmers aus dem Betrieb gerichtet sei. Eine unzulässige Umge- hung des §  613a BGB liege demgegenüber vor, wenn der Aufhebungsvertrag die Beseiti- gung der Kontinuität des Arbeitsverhältnisses bei gleichzeitigem Erhalt des Arbeitsvertrages bezwecke, weil zugleich ein neues Arbeitsver- hältnis vereinbart oder zumindest verbindlich in Aussicht gestellt wurde. Diese Umstände ha- be der Arbeitnehmer näher darzulegen und ge- gebenenfalls zu beweisen. Fehle es an dem gleichzeitigen Abschluss oder dem Inaussicht- stellen eines neuen Arbeitsvertrages, stelle sich der Aufhebungsvertrag für den Arbeitnehmer als ein zulässiges Risikogeschäft dar, weil nicht klar sei, ob der Betriebserwerber den Arbeitneh- mer übernehmen werde. Vorliegend sei jedoch eine Weiterbeschäftigung weder im dreiseitigen Vertrag in Aussicht gestellt worden, noch habe der Kläger im Einzelnen dargelegt, ob und wann ihm im Einzelnen ein Arbeitsverhältnis in Aus- sicht gestellt wurde. Das LArbG Frankfurt hält auch eine Teilanfech- tung des Aufhebungsvertrages für unwirksam, obgleich die Anfechtungserklärung – wie bei ei- nem mehrseitigen Vertrag erforderlich – gegen- über beiden Vertragspartnern erfolgt sei. Un- ter Berufung auf die Rechtsprechung des BAG (Urt. v. 24.02.2011 - 6 AZR 626/09) sowie des BGH (Urt. v. 05.11.1982 - V ZR 166/81; Urt. v. 05.04.1973 - II ZR 45/71) setze eine Teilan- fechtung voraus, dass der verbleibende Rest nach Wegfall des angefochtenen Teils bei ob- jektiver, vom Willen der Beteiligten absehender Betrachtung als selbstständiges, unabhängig von den anderen Teilen bestehendes Rechtsge- schäft denkbar ist. Hierbei käme es nicht auf den Willen der am Rechtsgeschäft Beteiligten, sondern allein auf die objektive (gedankliche) Zerlegbarkeit des Rechtsgeschäfts an. Eine sol- che verneint das Landesarbeitsgericht im vor- liegenden Fall. Durch den Abschluss des dreisei- tigen Vertrages werde die Beendigung des bis- herigen Arbeitsverhältnisses untrennbar mit der Begründung des neuen Arbeitsverhältnisses bei der Beschäftigungsgesellschaft verknüpft. Die objektive Interessenlage sei dadurch gekenn- zeichnet, dass die finanzielle Ausstattung der Beschäftigungsgesellschaft durch den bisheri- gen Arbeitgeber davon abhänge, dass die dahin wechselnden Arbeitnehmer zeitgleich freiwil- lig aus ihrem bisherigen Arbeitsverhältnis aus- scheiden. Hierdurch erhalte der bisherige Ar- beitgeber Rechtssicherheit hinsichtlich der Be- endigung des Arbeitsverhältnisses. Eine Teilan- fechtung sei mit dieser Interessenlage nicht ver- einbar. Auch widerspreche einer Teilanfechtung das Nebeneinanderstehen zweier Arbeitsverhältnis- se (mit dem bisherigen Arbeitgeber und der BQG). Der Arbeitnehmer könne bei Vorliegen einer Vollzeitbeschäftigung nur eine Leistungs- pflicht erfüllen, so dass der Arbeitnehmer sich entscheiden müsse, an welchem Arbeitsverhält- nis er festhalten möchte. Bei der Teilanfech- tung eines dreiseitigen Vertrages hingegen wür- de für die Zukunft das Nebeneinanderbestehen von zwei Arbeitsverhältnissen bewusst hinge- nommen, ohne dass für die Anfechtungsgeg- ner klar ist, gegenüber wem der Erklärende sei- ner Verpflichtung zur Dienstleistung gem. § 611 BGB nachkommen wolle. C. Kontext der Entscheidung Der Entscheidung ist vollumfänglich zuzustim- men. I. In Bezug auf die Frage der Umgehung der Vorschriften des § 613a BGB knüpft die vorlie- gende Entscheidung ausdrücklich an die stän- dige Rechtsprechung des BAG an. Bereits mit seiner Entscheidung vom 10.12.1998 hatte das BAG die rechtliche Zulässigkeit von BQG-Model- len im Grundsatz anerkannt und eine Umge- hung der Vorschriften des § 613a BGB bei Vorlie- gen eines Risikogeschäfts verneint (BAG, Urt. v. 10.12.1998 - 8 AZR 324/97).
  • 4. jurisPR-ArbR 3/2015 II. Auf die Problematik, ob für das Vorliegen ei- nes Risikogeschäfts auf den konkreten, einzel- nen Arbeitnehmer abzustellen ist (LArbG Han- nover, Urt. v. 18.02.2010 - 7 Sa 780/09; ähn- lich BAG, Urt.  v. 18.08.2005 - 8 AZR 523/04 „konkrete Übernahmezusage“) oder ob es auf die Gesamtbelegschaft und eine verdichtete Übernahmewahrscheinlichkeit (so BAG, Urt. v. 18.08.2011 - 8 AZR 312/10) ankommt, geht das LArbG Frankfurt hingegen – offenbar man- gels eines entsprechenden substantiierten Vor- trages des Klägers – nicht näher ein. Auch mit dem Kriterium der Umgehung der Sozialaus- wahl, die das BAG in der Vergangenheit als ein zusätzliches Kriterium für eine Umgehung der Vorschriften des § 613a BGB herangezogen hat (vgl. BAG Urt.  v. 18.08.2005 - 8 AZR 523/04; Urt. v. 23.11.2006 - 8 AZR 349/06), setzt sich das LArbG Frankfurt im Unterschied zu ande- ren Instanzgerichten (vgl. hier etwa ArbG Frei- burg, Urt. v. 09.05.2009 - 5 Ca 538/08; LArbG Köln, Urt. v. 11.12.2009 - 11 Sa 96/09) nicht aus- einander. Richtigerweise kann es auf die Fra- ge der Sozialauswahl in diesen Zusammenhang nicht ankommen, da § 613a Abs. 4 Satz 1 BGB vor Kündigungen wegen des Betriebsübergangs schützt, nicht jedoch vor der freiwilligen Beendi- gung des Arbeitsverhältnisses durch die Unter- zeichnung eines dreiseitigen Vertrags. Der Ar- beitnehmer gibt in diesem Fall seinen gesetzli- chen Kündigungsschutz (und damit die Schutz- vorschriften bezüglich der Sozialauswahl) selbst auf (so richtig Fuhlrott, NZA 2012, 549, 552) und wäre über die Anfechtungsvorschriften bei einer vorsätzlich falschen Unterrichtung ausreichend geschützt (vgl. Pils, NZA 2013, 125, 129, der darauf hinweist, dass das BAG nach seiner Auf- fassung zwischenzeitlich von diesem Kriterium abgerückt ist). III. Neben der Umgehungsthematik sind vorlie- gend auch die Ausführungen des Gerichts zur Frage der Zulässigkeit der separaten Anfech- tung der Aufhebungsvereinbarung als Teil des dreiseitigen Vertrages besonders hervorzuhe- ben. Das Gericht stellt hier unter Verweis auf die zu einem Fall der Vertragsübernahme ergange- ne Rechtsprechung des BAG (Urt. v. 24.02.2011 - 6 AZR 626/09, BB 2011, 1855 mit Anm. Gliewe) zunächst mit Recht fest, dass die Anfechtung gegenüber beiden Parteien erklärt werden müs- se. Ähnlich wie bei einer Vertragsübernahme bedarf der dreiseitige Vertrag als einheitliches Rechtsgeschäft letztlich der Einbindung aller Parteien, da ein Wechsel in die BQG nur bei vor- heriger Aufhebung des anderen Arbeitsvertra- ges möglich ist. Entsprechend muss für alle Par- teien Klarheit herrschen, ob und inwieweit das einheitliche Rechtsgeschäft Bestand haben soll. IV. Bisher höchstrichterlich nicht entschieden ist die Frage, ob eine isolierte Anfechtung des Aufhebungsvertrages möglich ist. Das Landes- arbeitsgericht verneint diese Frage zu Recht. Ei- ne isolierte Anfechtung des Aufhebungsvertra- ges scheitert an der mangelnden Teilbarkeit des dreiseitigen Vertrages als einheitliches Rechts- geschäft. Das dürfte aber weniger daran liegen, dass – wie das Landesarbeitsgericht meint – der Arbeitnehmer andernfalls zwei Leistungspflich- ten in zwei Arbeitsverhältnissen ausgesetzt wä- re. Denn das Beschäftigungsverhältnis ist re- gelmäßig gerade kein reguläres Arbeitsverhält- nis mit einer entsprechenden Leistungspflicht (vgl. hierzu Meyer, NZA 2002, 578, 580, sowie Natzel, NZA 2012, 650). Maßgeblich gegen ei- ne Anfechtung spricht vielmehr, dass BQG und Aufhebungsvertrag einander zwingend bedin- gen. Die finanzielle Ausstattung der Beschäfti- gungsgesellschaft und hierbei insbesondere die Förderung durch die Agentur für Arbeit hängt davon ab, dass die in die Beschäftigungsge- sellschaft wechselnden Arbeitnehmer zeitgleich freiwillig aus ihrem bisherigen Arbeitsverhältnis ausscheiden (vgl. bezüglich der Fördervoraus- setzungen § 110 SGB III). Das Bestehen eines Arbeitsvertrages mit dem ehemaligen Arbeitge- ber schließt damit einen Eintritt in die BQG aus. Im Umkehrschluss müsste eine Anfechtung des Aufhebungsvertrages den Verbleib in der BQG zwingend beenden, da dann die Bedingungen für den Eintritt in die BQG nicht mehr vorlägen. D. Auswirkungen für die Praxis Die vorliegende Entscheidung zeigt einmal mehr, dass der Einsatz einer BQG eine geord- nete und endgültige Beendigung des Arbeits- verhältnisses mit dem Veräußerer sicherstellen kann, soweit gleichzeitig die Voraussetzungen eines Risikogeschäfts vorliegen. Angesichts der immer noch nicht abgeschlossenen Entwicklung der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist hier jedoch Vorsicht geboten. Betroffenen Arbeitge- bern ist zu empfehlen, entsprechende Rechts- unsicherheiten bezüglich der späteren Über- nahme durch mögliche Erwerber zu dokumen- tieren und auch in seiner sonstigen Kommuni-
  • 5. jurisPR-ArbR 3/2015 kation keinerlei Einschätzungen über Übernah- mewahrscheinlichkeiten abzugeben. Als Alternative zum Einsatz einer BQG kommt auch ein Personalabbau nach dem sog. „Erwer- berkonzept“ in Betracht. Doch auch dieser ist im Hinblick auf die Darlegungslast des Arbeitge- bers bei sich ggf. anschließenden Kündigungs- schutzverfahren problematisch. Hinzu kommt, dass viele Einzelheiten weiterhin noch nicht höchstrichterlich entschieden wurden und da- her ebenfalls in der Praxis für Rechtsunsicher- heit sorgen (vgl. ausführlich Fuhlrott, BB 2013, 2042). Die Entscheidung des LArbG Frankfurt bringt im Hinblick auf die Frage der Teilanfechtbar- keit der dreiseitigen Verträge Klarheit. Sie zeigt, dass es sich in der Praxis empfehlen wird, den untrennbaren Zusammenhang zwischen Aufhe- bungsvertrag und Eintritt in die BQG in Form ei- ner ausdrücklichen Bedingung herauszustellen, um nachfolgende mögliche Anfechtungsthema- tiken zu vermeiden. 2 Grundrechtsverstoß durch überspannte Anforderungen an den Inhalt einer Berufungsbegründung Leitsätze: 1. Zur Wahrung des Justizgewährungsan- spruches (Art. 2 Abs. 1 LV und Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprin- zip aus Art. 23 Abs. 1 LV) dürfen keine un- zumutbaren Anforderungen an den Inhalt von Berufungsbegründungen gestellt wer- den. Die Gerichte dürfen ein von der Verfah- rensordnung eröffnetes Rechtsmittel nicht durch eine zu enge Handhabung der Vor- schriften über dessen Begründung ineffektiv machen. 2. Im arbeitsgerichtlichen Berufungsverfah- ren erhalten diese Anforderungen eine be- sondere Tragweite, weil dort der Vorsitzen- de die Entscheidung über die Zurückweisung der Berufung gemäß § 66 Abs. 2 Satz 2 ArbGG allein treffen kann. Kommt es für die Prü- fung der Zulässigkeit der Berufung nicht auf die Erfüllung formaler Kriterien an, sondern stehen materielle Rechtsfragen im Vorder- grund, ist für die Verwerfung einer Berufung nach § 66 Abs. 2 Satz 2 ArbGG regelmäßig kein Raum. 3. Eine offensichtlich unrichtige Anwendung von Präklusionsvorschriften kann eine Ver- letzung des Grundrechts auf rechtliches Ge- hör (Art. 2 Abs. 1 LV i.V.m. Art. 103 Abs. 1 GG) darstellen. Diese ist etwa dann anzu- nehmen, wenn im arbeitsgerichtlichen Beru- fungsverfahren unabhängig von dem in § 67 Abs. 2 Satz 1 ArbGG genannten Kriterium der Verzögerung zusätzliche Anforderungen für die Zulassung neuer Angriffs- und Verteidi- gungsmittel aufgestellt werden. Anmerkung zu StGH Stuttgart, Urteil vom  03.11.2014, 1 VB 8/14 von Priv.-Doz. Dr. Bernhard Ulrici, ULRICI Rechtsanwaltsgesellschaft mbH A. Problemstellung Nach §  64 Abs.  6 Satz 1 ArbGG i.V.m. §  520 ZPO bedarf das Rechtsmittel der Berufung auch im arbeitsgerichtlichen Verfahren der Begrün- dung. Die inhaltlichen Anforderungen an die Be- rufungsbegründung ergeben sich aus einer ent- sprechenden Anwendung des § 520 Abs. 3 Satz 2 ZPO. Anzugeben sind neben (Nr. 1) den Be- rufungsanträgen: (Nr.  2) die Bezeichnung der Umstände, aus denen sich die Rechtsverlet- zung und deren Erheblichkeit für die angefoch- tene Entscheidung ergibt; (Nr. 3) die Bezeich- nung konkreter Anhaltspunkte, die Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der Tatsa- chenfeststellungen im angefochtenen Urteil be- gründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten; (Nr. 4) die Bezeichnung der neuen An- griffs- und Verteidigungsmittel sowie der Tat- sachen, auf Grund derer die neuen Angriffs- und Verteidigungsmittel nach §  531 Abs.  2 ZPO zuzulassen sind. Dabei muss nicht notwen- dig zu allen diesen Punkten und auch nicht unter jedem erdenklichen Gesichtspunkt Stel- lung genommen werden. Vielmehr ist ausrei- chend, aber auch erforderlich, dass für jeden zum Gegenstand des Berufungsverfahrens er- hobenen Streitgegenstand in Auseinanderset- zung mit dem angefochtenen Urteil zumindest unter Bezug zu einem der drei in Nr. 2 bis 4 be- nannten Gesichtspunkte aufgezeigt wird, dass und warum eine abweichende Entscheidung er- wartet wird.
  • 6. jurisPR-ArbR 3/2015 Die sich hieraus für den konkreten Einzelfall ergebenden Anforderungen werden in der Ge- richtspraxis trotz einheitlich geltender Prozess- ordnungen ganz unterschiedlich gehandhabt. Erfahrene Richter berichten davon, dass im bun- desweiten Durchschnitt ca. 2%, von einzelnen LArbG-Kammern aber bis zu 30% der Berufun- gen nach §  522 Abs.  1 ZPO verworfen wer- den. Geht man lebensnah davon aus, dass die Anfälligkeit der Berufungskläger für Form- und Fristmängel zwischen den einzelnen LArbG-Be- zirken und zwischen einzelnen LArbG-Kammern nicht in größerem Ausmaß schwankt, beruht die beschriebene statistische Abweichung von Berufungsverwerfungen (insbesondere im Be- schlusswege) vor allem auf einer von einzelnen LArbG-Kammern besonders strengen Handha- bung der Anforderungen an die Berufungsbe- gründung. Dabei dürfte nicht ohne Relevanz sei- en, dass nach derzeit ganz h.A. im Falle der in der Praxis den Regelfall bildenden Berufungs- verwerfung durch Beschluss eine dritte Instanz nicht eröffnet ist, d.h. über die LArbG-Vorsit- zenden nur der „blaue Himmel“ wacht, soweit die Revisionsbeschwerde nicht ausnahmsweise durch den erkennenden Richter selbst zugelas- sen wurde (hiergegen ausführlich Ulrici, NZA 2014, 1245). Es fehlt in der Folge die vereinheit- lichende und kontrollierende Wirkung der Tätig- keit des BAG. Diesen sich aus der Verweigerung einer Nicht- zulassungsbeschwerde ergebenden Missstand versucht der StGH Baden-Württemberg mit sei- ner nachfolgend zu besprechenden Entschei- dung für einen Einzelfall zu beheben, aber auch darüber hinaus zu verringern, indem er verfas- sungsrechtliche Vorgaben für eine Beschluss- verwerfung formuliert. B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung Die Beschwerdeführerin wendet sich mit der Verfassungsbeschwerde gegen die Verwerfung ihrer Berufung durch das Landesarbeitsgericht. Sie macht einen Verstoß gegen ihre Grundrech- te auf rechtliches Gehör, auf Gewährung effek- tiven Rechtsschutzes und auf Justizgewährung sowie gegen das Willkürverbot geltend. I. Im Ausgangsverfahren machte die Beschwer- deführerin mit ihrer Klage vom Dezember 2012 ursprünglich Ansprüche auf Nachzahlung ei- nes Familienzuschlags für den Zeitraum Januar 2009 bis Dezember 2011 geltend. 1. Mit Urteil vom 30.07.2013 hat das Arbeits- gericht die Klage abgewiesen. Im Tatbestand des Urteils wurde als unstreitig dargestellt, dass die Beschwerdeführerin ihre Ansprüche „im De- zember 2012 (…) schriftlich geltend“ gemacht hat und daraufhin eine Nachzahlung rückwir- kend für den Zeitraum ab Januar 2012 erfolgt ist. In den Entscheidungsgründen ließ das Ar- beitsgericht offen, ob der Beschwerdeführerin ein entsprechender Anspruch zusteht. Jeden- falls sei er aufgrund der für das Arbeitsver- hältnis der Beschwerdeführerin geltenden Aus- schlussfristen der AVR des Diakonischen Werks verfallen, weil er nicht wie dort vorgesehen in- nerhalb von zwölf Monaten ab Fälligkeit schrift- lich geltend gemacht worden sei. Im Kammer- termin sei unstreitig gewesen, dass eine form- gerechte Geltendmachung nicht erfolgt sei. 2. Gegen dieses Urteil hat die Beschwerdeführe- rin fristgerecht Berufung eingelegt und begrün- det. a) Sie hat sich auf drei Angriffe gestützt: (1) Der den Monat Dezember 2011 betreffende Anspruch sei nicht verfallen, weil er erst zum 15.12.2011 fällig geworden und unstreitig mit Anwaltsschreiben vom 07.12.2012, d.h. inner- halb von zwölf Monaten, schriftlich geltend ge- macht worden sei. (2) Das Arbeitsgericht habe verkannt, dass je- denfalls für die Monate Oktober und Novem- ber 2011 ein Berufen der Arbeitgeberin auf die Ausschlussfrist gegen § 242 BGB verstieße, weil die Beschwerdeführerin im Oktober 2012 in der Personalverwaltung wegen ihrer Ansprüche nachgefragt habe und ihr daraufhin eine verse- hentliche Nichtzahlung sowie eine Nachzahlung bestätigt worden seien. Hierdurch sei die Be- schwerdeführerin treuwidrig von der Beachtung der Ausschlussfrist abgehalten worden. (3) Die Ausschlussfrist nach den AVR finde kei- ne Anwendung, weil aufgrund der besonderen Stellung der Beschwerdeführerin vorrangig zu den AVR die Bestimmungen des LBesGBW gel- ten, welche zwar eine Verjährung, aber keine Ausschlussfristen kennen.
  • 7. jurisPR-ArbR 3/2015 b) Die Arbeitgeberin hat die Verwerfung der Berufung als unzulässig beantragt und darauf verwiesen, dass sich die Berufungsbegründung mit dem angefochtenen Urteil nicht im Einzel- nen auseinandersetze, sondern lediglich den erstinstanzlichen Vortrag wiederhole. Überdies sei die Berufung jedenfalls unbegründet. So- weit das Arbeitsgericht im unstreitigen Tatbe- stand eine schriftliche Geltendmachung benen- ne, nehme es nicht auf den Anwaltsschriftsatz vom 07.12.2012, sondern auf die Klageerhe- bung vom 29.12.2012 Bezug; ausgehend hier- von seien die Ansprüche – wie vom Arbeitsge- richt zutreffend erkannt – verfallen. Das Schrei- ben vom 07.12.2012 enthalte keine Geltendma- chung, weil es nicht die Aufforderung zur Zah- lung eines bestimmten Betrages enthalte. Ein Berufen auf die Ausschlussfrist sei auch für die Monate Oktober und November nicht treuwid- rig; es sei falsch, dass Zahlungen nur versehent- lich unterblieben seien, der Beschwerdeführerin stünden die Zahlungen vielmehr gar nicht zu. c) Mit Verfügung vom 10.12.2013 hob das Lan- desarbeitsgericht den Termin zur mündlichen Verhandlung auf und wies darauf hin, dass die Berufungsbegründung nicht den gesetzlichen Anforderungen entspreche, weil sie sich „mit dem Begründungsgebäude des Arbeitsgerichts nicht auseinandersetze“. Das Arbeitsgericht sei ausgehend von dem im Urteil dargestellten ar- beitsvertraglichen Rahmen zum Verfall der An- sprüche gelangt. Die bloße Darstellung der ei- genen Rechtsansicht sei der falsche Ansatz für eine Berufungsbegründung. Soweit die Be- schwerdeführerin neue Angriffs- und Verteidi- gungsmittel habe vorbringen wollen, fehle es an der Darlegung, warum diese zweitinstanzlich zuzulassen seien. Hierzu nahm die Beschwer- deführerin mit Schriftsatz vom 12.12.2013 Stel- lung. Mit Beschluss vom 19.12.2013 wurde die Berufung unter Verweis auf die Verfügung vom 10.12.2013 verworfen. Ergänzend verwies das Landesarbeitsgericht darauf, dass die Be- rufungsbegründung für jede einzelne der tra- genden rechtlichen Erwägungen des Arbeitsge- richts darlegen müsse, warum sie unzutreffend sei. Hieran mangele es, weil eine kritische Wür- digung der Rechtsansicht des Arbeitsgerichts fehle. II. Die Verfassungsbeschwerde hatte Erfolg. Nach Ansicht des StGH liegen eine Verletzung des Justizgewährungsanspruchs sowie eine Ver- letzung des rechtlichen Gehörs vor; ein Willkür- verstoß sei dagegen nicht festzustellen. 1. Der Justizgewährungsanspruch sei ein we- sentlicher Bestandteil des Rechtsstaats. Er gel- te für die Ausgestaltung des gesamten Verfah- rens und umfasse den Zugang zu den Gerich- ten, die Prüfung des Streitbegehrens in einem förmlichen Verfahren sowie die verbindliche ge- richtliche Entscheidung. Ein Anspruch auf ei- nen Instanzenzug folge hieraus aber nicht. Wird ein Instanzenzug eröffnet, werde ein wirksamer Rechtsschutz jedoch in allen Instanzen gewähr- leistet. a) Der Justizgewährungsanspruch richte sich auch an den die Verfahrensordnungen anwen- denden Richter. Zwar sei es nicht Aufgabe des StGH, in einem Verfassungsbeschwerdeverfah- ren über die Richtigkeit der Auslegung und An- wendung des einfachen Rechts durch die Ge- richte zu befinden. Der StGH sei kein Revisi- onsgericht, sondern prüfe nur, ob die Rechts- anwendung Verfassungsrecht verletzt. Verfas- sungsrecht und nicht lediglich einfaches Pro- zessrecht werde aber verletzt, wenn ein Gericht den Zugang zu den in den Verfahrensordnun- gen vorgesehenen Instanzen in einer aus Sach- gründen nicht mehr zu rechtfertigenden Weise erschwere. Es dürften insbesondere keine unzu- mutbaren Anforderungen an den Inhalt von Be- rufungsbegründungen gestellt werden. Das Ge- richt dürfe ein von der Verfahrensordnung er- öffnetes Rechtsmittel nicht ineffektiv machen und für den Beschwerdeführer „leer laufen“ las- sen. Diese Anforderungen erhielten im arbeits- gerichtlichen Berufungsverfahren eine beson- dere Tragweite, weil dort der Vorsitzende die Entscheidung über die Verwerfung der Beru- fung allein, also ohne Beteiligung der ehren- amtlichen Richter durch Beschluss treffen kann. Hinzu komme, dass gegen die Berufungsver- werfung durch Beschluss ein Rechtsmittel nur im Falle der Zulassung gegeben sei. Um der hierin angelegten Missbrauchsgefahr zu begeg- nen, bedürfe es einer Anwendung der genann- ten Vorschriften, die den Verfahrensgrundrech- ten der Rechtssuchenden in besonderer Wei- se Rechnung trägt. Bei einer Verwerfung der Berufung nach §  66 Abs.  2 Satz 2 ArbGG sei zu beachten, dass die der Verfahrensbeschleu- nigung und Rechtsmittelvereinfachung dienen- de Alleinentscheidungsbefugnis des Vorsitzen- den nach der Gesetzesbegründung darauf be- ruht, dass für eine Kammerentscheidung kein
  • 8. jurisPR-ArbR 3/2015 sachliches Bedürfnis bestehe, weil nicht materi- elle Rechtsfragen, sondern formale Kriterien im Vordergrund stünden. Komme es damit für die Prüfung der Zulässigkeit der Berufung nicht auf die Erfüllung formaler Kriterien an, sondern ste- hen – etwa bei der eine Analyse des erstinstanz- lichen Urteils erfordernden Prüfung der hinrei- chenden Auseinandersetzung mit der angegrif- fenen Entscheidung – materielle Rechtsfragen im Vordergrund, sei für eine Verwerfung nach § 66 Abs. 2 Satz 2 ArbGG regelmäßig kein Raum. b) Diese Grundsätze habe das Landesarbeitsge- richt im Rahmen seiner Verwerfung nicht aus- reichend beachtet. Nach §  520 Abs.  3 Satz 2 Nr.  2 ZPO muss die Berufungsbegründung die Umstände bezeichnen, aus denen sich die Rechtsverletzung durch das angefochtene Ur- teil und deren Erheblichkeit auf das Ergebnis der Entscheidung ergibt. Die Berufungsbegrün- dung brauche für die Zulässigkeit aber weder schlüssig noch rechtlich haltbar zu sein. Erfor- derlich sei dagegen eine hinreichende Darstel- lung der Gründe, aus denen sich die Rechtsfeh- lerhaftigkeit der angefochtenen Entscheidung ergeben soll. Der Berufungsführer habe die Be- urteilung durch den Erstrichter zu überprüfen und darauf hinzuweisen, in welchen Punkten und aus welchem Grund er das angefochtene Urteil für unrichtig hält. Es reiche nicht aus, die tatsächliche oder rechtliche Würdigung durch den Erstrichter mit formelhaften Wendungen zu rügen oder lediglich auf das Vorbringen ers- ter Instanz zu verweisen. Diesen Anforderungen werde die von der Beschwerdeführerin vorge- brachte Berufungsbegründung gerecht, was der StGH im Anschluss ausführlich unter Rückgriff auf die einschlägige Rechtsprechung des BAG und des BGH zur Auslegung von § 520 Abs. 3 ZPO begründet. 2. Darüber hinaus habe das Landesarbeitsge- richt das rechtliche Gehör dadurch verletzt, dass es angenommen hat, dass für (vom Lan- desarbeitsgericht nicht näher spezifizierten) neuen Vortrag der Beschwerdeführerin nicht dargelegt worden sei, warum dieser zweitin- stanzlich zu berücksichtigen ist. Hierin liege ei- ne fehlerhafte Anwendung der Präklusionsvor- schrift des § 67 Abs. 2 ArbGG, welche – inso- weit anders als §  531 Abs.  2 ZPO – die Be- rücksichtigung von neuem zweitinstanzlichem Vorbringen allein im Falle der unentschuldig- ten Verzögerung scheitern lasse, nicht dagegen an bestimmte Anforderungen binde. Dies füh- re zur Gehörsverletzung. Präklusionsvorschrif- ten schränkten das rechtliche Gehör ein. Ihre Anwendung unterliege daher einer besonders strengen verfassungsgerichtlichen Kontrolle. 3. Zugleich werde der Justizgewährungsan- spruch durch die durch Sachgründe nicht ge- rechtfertigte Forderung nach einer Darlegung der Gründe für eine Berücksichtigung neuen Vorbringens verletzt. 4. Ein Verstoß gegen das Willkürverbot sei da- gegen nicht gegeben. Es fehle an einer „kras- sen Fehlentscheidung“. Das Landesarbeitsge- richt habe sich mit der Rechtslage auseinan- dergesetzt und eine – wenn auch knappe – Be- gründung für seine Annahme geliefert, warum die Berufungsbegründung nicht den gesetzli- chen Vorgaben genüge. C. Kontext der Entscheidung Die Entscheidung des StGH Baden-Württem- berg schafft Einzelfallgerechtigkeit und einen – soweit anhand der Entscheidung des StGH und ohne vollständige Aktenkenntnis ersichtlich – in deutlichem Widerspruch zu den prozessualen Vorgaben stehenden Beschluss des Landesar- beitsgerichts aus der Welt. Ihr Ergebnis (Auf- hebung des Verwerfungsbeschlusses) ist zu be- grüßen. Die Begründung vermag dagegen nicht durchgängig zu überzeugen. Dies gilt insbeson- dere auch für den Versuch des StGH, der im ArbGG „angelegten Missbrauchsgefahr“ für die Zukunft durch aus der Verfassung abgeleitete Vorgaben vorzubeugen. I. Der StGH gründet seine Entscheidung auf die gefestigten Formeln des BVerfG zu den Verfahrensgrundrechten (Justizgewährungsan- spruch und rechtliches Gehör). Wie das BVerfG (Urt.  v. 15.01.1958 - 1 BvR 400/51 - GRUR 1958, 254, 255) verweist er hinsichtlich deren Anwendung darauf, keine (Super-)Revisionsin- stanz zu sein und daher nur Verfassungsverstö- ße und keine Verstöße gegen einfaches (Pro- zess-)Recht festzustellen. Allerdings zeigt der StGH nicht auf, wie er das eine vom anderen trennt. Die Verletzung des Justizgewährungs- anspruchs begründet er jedenfalls durchgängig und sehr detailreich unter Bezug auf die Recht- sprechung des BAG und des BGH damit, dass das Landesarbeitsgericht §  520 Abs.  3 Satz 2 ZPO unrichtig angewandt habe. Zu einem Ein- schreiten veranlasst sah sich der StGH trotz der
  • 9. jurisPR-ArbR 3/2015 Formel, er sei keine (Super-)Revisionsinstanz, letztlich wohl dadurch, dass das Landesarbeits- gericht durch (nach ganz h.A.) unanfechtbaren, sachlich aber falschen Beschluss entschieden hatte und ein entsprechendes Vorgehen der be- treffenden Kammer des Landesarbeitsgerichts wohl alles andere als ein Einzelfall ist (die Be- schwerdeführerin verwies auf eine um das Acht- fache erhöhte Verwerfungspraxis der betreffen- den Kammer). Zur Beseitigung von grobem und über den Einzelfall hinausreichendem Unrecht ist der StGH letztlich doch (Super-)Revisionsin- stanz; auch dies liegt durchaus auf der Linie des BVerfG (vgl. die Selbsteinschätzungen von Ben- da und Limbach in: Bogs, Urteilsverfassungs- beschwerde zum BVerfG, 1999, S. 127  f. und S. 132 ff.). II. Bei seinen Erwägungen trennt der StGH nicht ausreichend den Gegenstand des angegriffenen Verwerfungsbeschlusses von der hierdurch aus- geschlossenen (Sach-)Entscheidung über die Berufung. 1. Dies zeigt sich erstens in der Annahme ei- ner Gehörsverletzung durch fehlerhafte Anwen- dung einer Präklusionsvorschrift. Entgegen der Annahme des StGH hat das Landesarbeitsge- richt keine Präklusionsvorschrift (fehlerhaft) an- gewandt. Es hat vielmehr lediglich formal ge- prüft, ob eine zweitinstanzliche Entscheidung, in deren Rahmen Präklusionsvorschriften dann angewendet werden könnten bzw. müssten, er- öffnet ist. Hierbei hatte das Landesarbeitsge- richt vorliegend verkannt, dass § 520 Abs. 3 ZPO über § 64 Abs. 6 ArbGG nur entsprechende An- wendung findet und daher nicht unmodifiziert auf § 520 Abs. 3 Nr. 4 ZPO verweist, weil der §  531 Abs.  2 ZPO verdrängende §  67 Abs.  2, 3 ArbGG die Berücksichtigung neuer Angriffs- und Verteidigungsmittel nicht an das Vorliegen bereits in der Berufungsbegründung darstellba- rer Gründe bindet; inwieweit die Berücksichti- gung neuer Angriffs- und Verteidigungsmittel zur dies ausschließenden Verzögerung führt, ist im Zeitpunkt der Berufungsbegründung nicht absehbar (vgl. §  67 Abs.  4 ArbGG; Klose in: Beck OK ArbR, Ed. 33, §  66 ArbGG Rn.  11; Germelmann in: Germelmann/Matthes/Prütting, ArbGG, 8. Aufl. 2013, § 64 Rn. 82). 2. Vor allem zeigt sich die unzureichende Tren- nung zwischen dem Gegenstand der Berufungs- verwerfung und der hierdurch verschlossenen Sachentscheidung über den Gegenstand der Berufung aber in den vom StGH postulierten Leitlinien zur Ausübung des gerichtlichen Er- messens bei der Wahl zwischen der Verwer- fung durch Urteil oder durch Beschluss. Der Hin- weis des StGH, dass eine Beschlussverwerfung allein durch den Vorsitzenden regelmäßig aus- scheide, wenn nicht nur formelle, sondern auch materiell-rechtliche Fragen zu behandeln sind, führt in die Irre. Die Prüfung, ob eine Beru- fungsbegründung den Anforderungen des § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO entspricht, bezieht sich stets ausschließlich auf formelle und entgegen der Annahme des StGH auch nicht ansatzwei- se auf materiell-rechtliche Gesichtspunkte (vgl. BAG, Beschl. v. 25.10.1979 - 5 AZB 43/79 - AP Nr. 1 zu § 77 ArbGG 1979). Es ist – wie der StGH in anderem Zusammenhang zutreffend darstellt – gerade nicht zu prüfen, ob die Berufungsbe- gründung schlüssig oder rechtlich überzeugend ist. Vielmehr ist allein zu klären, ob sich der Be- rufungskläger mit der Entscheidung des Erstge- richts hinreichend auseinandergesetzt hat. Dies ist eine rein formelle, prozessrechtliche Frage und keine des materiellen Rechts. Es erscheint daher – entgegen der Annahme des StGH – auch kaum ermessensfehlerhaft, wenn ein Vorsitzen- der die ehrenamtlichen Richter an der entspre- chenden Prüfung nicht beteiligt. Sind die ehren- amtlichen Richter nicht ausnahmsweise selbst juristisch gebildet, ist gegen die Erwartung, sie könnten zur richtigen Auslegung und Anwen- dung des § 520 Abs. 3 Satz 2 ZPO kaum etwas beitragen, wenig zu erinnern. D. Auswirkungen für die Praxis I. Trotz „Happy End“ für die Beschwerdeführerin ruft die Entscheidung des StGH in Erinnerung, dass Berufungsbegründungen nicht leichtfertig unter Wiederholung des erstinstanzlichen Vor- trags gefertigt werden dürfen. Das Erfordernis einer nicht von einem juristischen Laien stam- menden Berufungsbegründung soll das Beru- fungsverfahren strukturieren und zugleich ei- ne unnötige Belastung der Gerichte durch aus- sichtslose Berufungen vermeiden. Wenn es ei- nem Berufungskläger trotz ausreichender An- strengungen nicht gelingt, eine den Anforderun- gen des §  520 Abs.  3 Satz 2 ZPO genügende Berufungsbegründung zu fertigen, dann ist dies ein sicheres Indiz dafür, dass das angefochtene Urteil auch nach nochmaliger Prüfung Bestand haben wird, d.h. eine zweitinstanzliche Prüfung von Anfang an nicht gerechtfertigt ist.
  • 10. jurisPR-ArbR 3/2015 II. Zugleich sensibilisiert die Entscheidung für das über rund 35 Jahre kaum beachtete Pro- blem, welches sich aus der ganz h.A. ergibt, dass gegen berufungsverwerfende Beschlüsse eine Nichtzulassungsbeschwerde nicht eröffnet sein soll: Da die Beschlussverwerfung durch den Vorsitzenden ohne Zulassung der Rechts- beschwerde im Falle der (vermeintlich) unzu- reichenden Berufungsbegründung den prakti- schen Regelfall bildet, fehlen für den von den Vorsitzenden der Landesarbeitsgerichte anzule- genden Maßstab vielfach die Kontrolle (StGH: „Missbrauchsgefahr“) und die Vereinheitlichung durch das BAG. 1. Mindern lässt sich dieser Missstand eben- so wie die durch Verweigerung der Nichtzu- lassungsbeschwerde ausgelöste Verletzung des Art.  3 Abs.  1 GG (vgl. dazu Ulrici, NZA 2014, 1245, 1249 f.) zunächst dadurch, dass der Ge- setzgeber klarstellt, dass berufungsverwerfen- de Beschlüsse der Nichtzulassungsbeschwerde unterliegen. Ebenso denkbar wäre, dass das zu- letzt auch vom BGH (Beschl.  v. 18.09.2014 - V ZR 290/13 - NJW 2014, 3583) betonte Prin- zip des zwischen Beschluss- und Urteilsverwer- fung gleichlaufenden Instanzenzugangs wie in der ZPO durch Eröffnung der Rechtsbeschwer- de unter den Voraussetzungen des § 574 Abs. 1 ZPO gewährleistet wird. Allerdings – dies darf nicht übersehen werden – geben beide Wege im Hinblick auf die vorrangig an Allgemeininteres- sen orientierten Zulassungsgründe (§ 72 Abs. 2 ArbGG und § 574 Abs. 2 ZPO) nur ein stump- fes Schwert gegen die am Einzelfall orientier- ten Verwerfungen wegen unzureichender Beru- fungsbegründung. 2. Zu kurz greift dagegen der schon aus anderen Gründen kritisierte Ansatz des StGH, welcher das Ermessen des Gerichts bei der Wahl zwi- schen Beschluss- und Urteilsverwerfung anhand sachlicher Vorgaben (formelle oder materielle Prüfung) steuern will. Hierdurch ließe sich zwar ggf. eine gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstoßende Ungleichbehandlung zwischen beiden Formen der Verwerfung beseitigen. Unverändert wür- de aber keine Kontrolle und Vereinheitlichung der Auslegung des Prozessrechts durch das BAG in Ansehung der vom StGH formulierten Er- messensleitlinien stattfinden; der beschriebe- ne Missstand würde verringert und verlagert. Es würde aber nicht ausgeschlossen, dass Ver- fassungsgerichte erneut als (Super-)Revisions- instanz angerufen würden, um eine missbräuch- liche, in der Fachgerichtsbarkeit unter Zugrun- delegung der h.A. von der Unanfechtbarkeit von Beschlussverwerfungen aber nicht überprüfba- re Ermessensausübung zu korrigieren. III. Wie kürzlich aufgezeigt wurde (Ulrici, NZA 2014, 1245), spricht viel dafür, dass unabhän- gig von einer hoffentlich erfolgenden Klarstel- lung durch den Gesetzgeber bereits gegenwär- tig die Nichtzulassungsbeschwerde gegen beru- fungsverwerfende Beschlüsse statthaft ist. Hier- für spricht nicht zuletzt, dass hierdurch die Ver- fassungsgerichte von der Tätigkeit einer (Su- per-)Revisionsinstanz entlastet und überdies ei- ne bundeseinheitliche Handhabung der Anfor- derungen an eine Berufungsbegründung geför- dert werden. Andererseits darf nicht verschwie- gen werden, dass der Gang mit einer Nicht- zulassungsbeschwerde nach Erfurt, welcher al- lein aufgrund eines einzelnen Aufsatzes noch nicht zur Erschöpfung des Rechtswegs gehört, derzeit im Widerspruch zur ganz h.A. und ge- festigten Rechtsprechung steht. Er ist derzeit mit entsprechend großen Risiken und geringen Chancen behaftet. Hinzu kommt, dass ein Gang nach Karlsruhe und/oder zu einem der Landes- verfassungsgerichte regelmäßig kostengünsti- ger ist. Schließlich erweist sich eine Verfas- sungsbeschwerde, hat man das angerufene Ge- richt erst mal dafür gewonnen, als (Super-)Revi- sionsinstanz tätig zu werden, als deutlich effek- tiver, weil sie eine inhaltliche Kontrolle der Ver- werfungsentscheidung selbst umfasst und an- ders als die Nichtzulassungsbeschwerde nicht lediglich auf die Feststellung des Vorliegens von Zulassungsgründen ausgerichtet ist. 3 Kein Arbeitsverhältnis zum Entleiher bei mehr als vorübergehender Überlassung mit Erlaubnis Orientierungssatz: Ein Verstoß gegen das ab dem 01.12.2011 geltende Verbot der nicht nur vorüber- gehenden Arbeitnehmerüberlassung in §  1 Abs.  1 Satz 2 AÜG führt nicht gemäß §  10 Abs. 1 Satz 1 AÜG zum Zustandekommen ei- nes Arbeitsverhältnisses zwischen dem Ent- leiher und dem Leiharbeitnehmer, wenn der Verleiher die nach § 1 Abs. 1 Satz 1 AÜG er- forderliche Erlaubnis hat, seine Arbeitneh-
  • 11. jurisPR-ArbR 3/2015 mer Dritten zur Arbeitsleistung zu überlas- sen. Anmerkung zu BAG, Urteil vom   03.06.2014, 9 AZR 111/13 von Dr. André Zimmermann, LL.M., RA und FA für Arbeitsrecht, King & Wood Mallesons LLP, Frankfurt am Main A. Problemstellung Was passiert, wenn Arbeitnehmer länger als „vorübergehend“ – und damit unter Verstoß ge- gen § 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG – mit Erlaubnis über- lassen werden? Das AÜG beantwortet diese Fra- ge nicht, und seit der AÜG-Reform war die Ant- wort umstritten. Ende 2013 hat der Neunte Se- nat in einem Grundsatzurteil festgestellt, dass bei mehr als vorübergehender Überlassung mit Erlaubnis kein Arbeitsverhältnis mit dem Entlei- her zustande kommt (BAG, Urt. v. 10.12.2013 - 9 AZR 51/13). Im vorliegenden Verfahren hat der Senat das noch einmal bestätigt. B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung Die Klägerin ist bei einem Personaldienstleis- tungsunternehmen als Krankenschwester ange- stellt. Der Personaldienstleister verfügt über ei- ne unbefristet erteilte Erlaubnis zur Arbeitneh- merüberlassung. Seit Beginn des Arbeitsver- hältnisses ist die Klägerin in einem Kranken- haus, das die Beklagte betreibt, als Leiharbeit- nehmerin tätig. Beide Unternehmen gehören demselben Konzern an. Die Klägerin vertritt die Auffassung und be- gehrte entsprechende gerichtliche Feststellung, dass zwischen ihr und der Beklagten ein Arbeits- verhältnis besteht. Ihr Einsatz bei der Beklagten sei nicht vorübergehend i.S.v. § 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG. Die Beklagte nutze Arbeitnehmerüberlas- sung rechtsmissbräuchlich, um dauerhaften Ar- beitskräftebedarf zu – aus ihrer Sicht – günsti- gen Bedingungen zu decken. Der durch die Leih- arbeitsrichtlinie bezweckte Mindestschutz wer- de verfehlt. Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben die Klage abgewiesen (LArbG Berlin-Branden- burg, Urt. v. 16.10.2012 - 7 Sa 1182/12; Zim- mermann, jurisPR-ArbR 6/2013 Anm. 2). Ein Ar- beitsverhältnis sei nicht nach § 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG i.V.m. § 9 Nr. 1 AÜG zustande gekom- men, weil das Personaldienstleistungsunterneh- men über die erforderliche Erlaubnis verfügt ha- be. Eine analoge Anwendung der Regelungen scheide aus. Ein Arbeitsverhältnis ergebe sich auch nicht aus einer richtlinienkonformen Aus- legung der §§  1 Abs.  2, 10 Abs.  1, 9 Nr.  1 AÜG, weil die Mitgliedstaaten nach der Leih- arbeitsrichtlinie Sanktionen vorsehen müssten, die „wirksam, angemessen und abschreckend“ seien. Das Gebot der richtlinienkonformen Aus- legung gelte nur innerhalb der Grenzen richterli- cher Gesetzesauslegung. Der Gesetzeswortlaut stehe aber einer Auslegung entgegen, dass bei nicht vorübergehender Überlassung ein Arbeits- verhältnis mit dem Entleiher begründet werde. Im Revisionsverfahren wies die Klägerin ergän- zend darauf hin, dass die Große Koalition ei- ne Gesetzesänderung beabsichtige, wonach bei Überschreitung einer Überlassungshöchstdauer von 18 Monaten ein Arbeitsverhältnis zum Ent- leiher entstehe. Bis zur Umsetzung des Vorha- bens bleibe es der Rechtsprechung überlassen, eine Sanktionierung der verbotenen Dauerüber- lassung unter Einbeziehung dieser Planungen und unter Zugrundelegung der Leiharbeitsricht- linie vorzunehmen. Die Revision der Klägerin hatte keinen Erfolg. Sehr knapp verweist der Senat auf sein Grund- satzurteil vom 10.12.2013. Dort sei eingehend begründet, warum weder in direkter noch in ent- sprechender Anwendung des § 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG bei mehr als vorübergehender Überlas- sung kein Arbeitsverhältnis zum Entleiher ent- stehe und warum auch die Leiharbeitsrichtli- nie kein anderes Ergebnis vorgebe. Der Hinweis der Klägerin auf den Koalitionsvertrag gehe fehl. Absichtserklärungen in einem Koalitions- vertrag berechtigten Gerichte nicht, das gelten- de Recht außer Acht zu lassen. Im Übrigen sei im Koalitionsvertrag nicht vereinbart, dass eine nicht mehr vorübergehende Überlassung zu ei- nem Arbeitsverhältnis mit dem Entleiher führt und damit bei der Rechtsfolge einer Überlas- sung ohne Erlaubnis gleichgestellt werden soll. Nur bei „verdeckter” Überlassung durch Schein- werk- und -dienstverträge solle laut Koalitions- vertrag gesetzlich geregelt werden, dass über §  10 Abs.  1 Satz 1 AÜG ein Arbeitsverhältnis mit dem vermeintlichen Werkbesteller/Dienst- berechtigten zustande kommt.
  • 12. jurisPR-ArbR 3/2015 C. Kontext der Entscheidung Das BAG bestätigt sein Grundsatzurteil vom 10.12.2013 (BAG, Urt.  v. 10.12.2013 - 9 AZR 51/13). Bei dauerhafter Überlassung mit Erlaub- nis kommt kein Arbeitsverhältnis zwischen Ent- leiher und Leiharbeitnehmer zustande. Die Ent- scheidung ist richtig. Selbst wenn man Rechts- missbrauch, eine symbiotische Arbeitnehmer- überlassung, erblicken möchte: Rechtsmiss- brauch führt zu keinem Vertragsschluss. An ei- ner gesetzlichen Grundlage für die Entstehung eines Arbeitsverhältnisses fehlt es aber de le- ge lata. Da die Fiktion eines Arbeitsverhältnis- ses zwischen Leiharbeitnehmer und Entleiher zu einem Eingriff in die Vertragsfreiheit und Be- rufsfreiheit des Entleihers führt (Art.  2 Abs.  1 GG, Art.  12 Abs.  1 GG), ist eine hinreichend bestimmte gesetzliche Grundlage erforderlich. Nur eine solche Grundlage kann den Eingriff le- gitimieren. D. Auswirkungen für die Praxis Der Koalitionsvertrag lässt offen, ob eine Über- schreitung der Höchstdauer zivilrechtliche Fol- gen hat. Darauf weist der Senat in den Ent- scheidungsgründen zutreffend hin. Vor Ende 2015 ist wohl nicht mit Inkrafttreten einer neu- en Regelung zu rechnen. Bis zur Umsetzung ei- nes solchen Vorhabens ist die Entstehung eines Arbeitsverhältnisses zum Entleiher bei mehr als vorübergehender Überlassung mit Erlaubnis ausgeschlossen und zwar auch bei rein konzern- interner Arbeitnehmerüberlassung. Gewisse Unsicherheit in der Praxis schafft der- zeit ein neuer Weg, den jüngst die Vierte Kam- mer des LArbG Stuttgart gegangen ist: Sie ist der Auffassung, dass im Falle eines Schein- werkvertrages trotz bestehender Überlassungs- erlaubnis ein Arbeitsverhältnis zwischen Leih- arbeitnehmer und Entleiher zustande kommt (LArbG Stuttgart, Urt.  v. 03.12.2014 - 4 Sa 41/14). Es stelle widersprüchliches Verhalten dar, wenn sich Drittfirma und Einsatzunter- nehmen auf die Überlassungserlaubnis beru- fen, obwohl sie ausdrücklich einen Werkvertrag geschlossen und nicht „offen“ Arbeitnehmer- überlassung vereinbart haben. Die Unterneh- men hätten ihre Vertragsbeziehung selbst als Werkvertrag eingeordnet und das AÜG gerade nicht angewandt. Dann könnten sie sich nun auch nicht auf die Erlaubnis berufen. Die Drit- te Kammer desselben Gerichts hat gerade erst anders entschieden (LArbG Stuttgart, Urt.  v. 18.12.2014 - 3 Sa 33/14). Bislang liegt die Ent- scheidung der Vierten Kammer nur als Presse- mitteilung vor. Die Revision ist zugelassen. 4 Unzulässige Beeinflussung einer Betriebsratswahl durch Verwendung eines Gewerkschaftslogos auf Wahlunterlagen Orientierungssätze zur Anmerkung: 1. Werden auf einem Wahlausschreiben zur Betriebsratswahl (ähnlich wie bei einem Briefkopf) Name und Logo einer Gewerk- schaft angebracht, ist darin eine unzulässi- ge Wahlbeeinflussung zu sehen, welche zur Anfechtbarkeit führt. 2. Eine Beeinflussung des Wahlergebnis- ses kann in einem solchen Fall regelmäßig schon deshalb nicht ausgeschlossen wer- den, weil infolge der Gestaltung des Wahl- ausschreibens einzelne Kandidaturen unter- blieben sein könnten. 3. Werden Name und Logo einer Gewerk- schaft auf anderen Wahlunterlagen ange- bracht, verstößt der Wahlvorstand hier- durch ebenfalls gegen seine Neutralitäts- pflicht. Anmerkung zu ArbG Frankfurt (Oder), Beschluss vom  26.06.2014, 6 BV 11/14 von Dr. Till Sachadae, Akademischer Assistent, Universität Leipzig A. Problemstellung Die Wahl des Betriebsrats ist an demokrati- schen Grundsätzen ausgerichtet. Als Leiter die- ser Wahl ist der Wahlvorstand verpflichtet, eine neutrale Rechtsposition einzunehmen und alle Vorschlagslisten gleichrangig zu behandeln. Die vorliegende Entscheidung befasst sich mit der Frage, ob diese Verpflichtung verletzt ist, wenn der Wahlvorstand auf diversen Wahlunterlagen Logo und Namen einer Gewerkschaft anbringt.
  • 13. jurisPR-ArbR 3/2015 B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung In einem Betrieb mit über 670 Arbeitnehmern wurde eine Betriebsratswahl durchgeführt. Bei dieser erließ der Wahlvorstand ein Wahlaus- schreiben, auf dessen Vorder- und Rückseite der Name und das Logo einer Gewerkschaft an- gebracht waren. Daneben fand sich auf dem Wahlausschreiben ein vom DGB publizierter Slogan zur Beteiligung an Betriebsratswahlen. Auf der zwei Wochen später erfolgten Bekannt- machung der gültigen Wahlvorschläge waren ebenfalls Gewerkschaftsname, Logo und der Slogan in gleicher Weise angebracht worden. Ferner enthielt das Anschreiben des Wahlvor- stands, mit dem er die Briefwahlunterlagen ver- sandte, ebenfalls eine derartige Gestaltung mit Gewerkschaftsnamen, Logo und Slogan. Rund acht Tage vor Durchführung der Betriebsrats- wahl tauschte der Wahlvorstand das Wahlaus- schreiben und die Bekanntmachung der gülti- gen Vorschlagslisten gegen inhaltlich gleichlau- tende Schreiben aus, auf denen die gewerk- schaftsbezogenen Angaben nicht angebracht waren. Mehrere Wahlberechtigte gingen gleich- wohl von einer unzulässigen Wahlbeeinflussung aus und machten formell ordnungsgemäß die Unwirksamkeit der Betriebsratswahl geltend. Das ArbG Frankfurt (Oder) lehnte eine Nichtig- keit der Wahl ab, gab jedoch dem Anfechtungs- antrag statt. Mit der Anbringung des Gewerk- schaftslogos auf dem Wahlausschreiben und den weiteren Unterlagen habe der Wahlvor- stand gegen wesentliche Vorschriften über das Wahlrecht und das Wahlverfahren verstoßen. Aus dem ungeschriebenen Grundsatz der Chan- cengleichheit der Wahlbewerber – der für jede demokratische Wahl Geltung beanspruche – fol- ge, dass jeder Wahlbewerber die gleichen Mög- lichkeiten im Wahlkampf und im Wahlverfah- ren und damit die gleichen Chancen im Wett- bewerb um die Wählerstimmen haben müsse. Dies bedinge, dass der Wahlvorstand als für die Einleitung und Durchführung der Betriebs- ratswahl verantwortliches Organ bei der Aus- übung seines Amtes alles zu unterlassen ha- be, was den Ausgang der Wahl und Chancen (möglicher) Bewerber im Wettbewerb um Wäh- lerstimmen im Verhältnis zu den Chancen an- derer beeinflussen könnte. Den Wahlvorstand treffe daher eine Neutralitätspflicht. Wegen die- ser habe der Wahlvorstand bei der Ausübung seines Amtes insbesondere auch jede Form von Sympathiebekundungen für einzelne Bewerber oder Vorschlagslisten bzw. diese unterstützen- de Gewerkschaften zu unterlassen. Gegen die- se Verpflichtung habe der Wahlvorstand durch die Anbringung von Gewerkschaftsnamen und -logo auf den Wahlunterlagen verstoßen, weil hierdurch die Wahl unzulässig beeinflusst wor- den und damit ein zur Anfechtung berechtigen- der Wahlfehler gegeben sei. Dabei stehe die Neutralitätspflicht auch nicht im Widerspruch zur Garantie der koalitionsmä- ßigen Betätigung aus Art.  9 Abs.  3 GG. Zwar werde hiervon auch die Wahlwerbung durch Beschäftigte oder durch die im Betrieb vertre- tenen Gewerkschaften erfasst. Jedoch erfahre die grundsätzliche Zulässigkeit der koalitions- fördernden Betätigung im Vorfeld von Betriebs- ratswahlen aus den Grundsätzen des Wahl- rechts und der dargestellten Neutralitätspflicht Einschränkungen für solche Beschäftigte, die das Amt des Wahlvorstands ausüben. Hier gel- te es, die Koalitionsfreiheit in Einklang mit den Grundsätzen demokratischer Wahlen zu brin- gen, was im Ergebnis dazu führe, dass die allge- meine Zulässigkeit von Gewerkschaftswerbung in Bezug auf den Wahlvorstand insoweit be- schränkt sei, als sie dem Grundsatz der Chan- cengleichheit der Wahlbewerber widerspräche. Der in der Gestaltung der Wahlunterlagen lie- gende Wahlfehler sei auch nicht durch den Aus- tausch der Wahlausschreiben und der Bekannt- machung der Vorschlagslisten geheilt worden, weil es sich insoweit nicht um eine Berichtigung i.S.d. § 19 Abs. 2 BetrVG handele. Der erst kurz vor dem Wahltermin erfolgte Neuaushang oh- ne förmlichen Neuerlass und die Setzung einer Nachfrist zur Einreichung von Wahlvorschlägen genüge hierfür schon deshalb nicht, weil da- durch möglichen nachteiligen Folgen des Feh- lers nicht hinreichend entgegengewirkt werde. Schließlich könne eine Beeinflussung des Wahl- ergebnisses schon deshalb nicht ausgeschlos- sen werden, weil infolge der Gestaltung des Wahlausschreibens einzelne Kandidaturen un- terblieben sein könnten. Bei flüchtiger Lektü- re des Wahlausschreibens durch einen durch- schnittlichen Leser habe der Eindruck entstehen können, die Information stamme von der Ge- werkschaft. Hierdurch habe für – in der Betriebs- verfassung unerfahrene – Mitarbeiter allein durch die Gestaltung des Schreibens die Fehl- vorstellung entstehen können, die Beteiligung an der Wahl oder die Betätigung im Betriebs-
  • 14. jurisPR-ArbR 3/2015 rat setze eine Gewerkschaftsmitgliedschaft vor- aus. Ein solcher Geschehensablauf erscheine als nicht so fernliegend, dass mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden könne, dass bei neutraler Gestaltung des Wahlausschrei- bens keine weitere erfolgversprechende Kandi- datur erfolgt wäre. C. Kontext der Entscheidung Das Bestehen einer Neutralitätspflicht ist im Hinblick auf Wahlvorstände in Rechtsprechung und Literatur bisher kaum thematisiert worden. Vielmehr bezogen sich entsprechende Diskus- sionen in erster Linie auf den Arbeitgeber. Für Letzteren wird eine Neutralitätspflicht überwie- gend bejaht, wobei jedoch deren dogmatische Herleitung im Einzelnen umstritten ist (BAG, Be- schl. v. 04.12.1986 - 6 ABR 48/85 Rn. 21 und 30; Homburg in: Däubler u.a. (Hrsg.), BetrVG, § 20 Rn. 1 und 4; Maschmann, BB 2010, 245, 250). Im Kern wird die Neutralitätspflicht primär damit begründet, dass zugunsten oder zulasten ein- zelner Vorschlagslisten wirkende Handlungen des Arbeitgebers (z.B. durch finanzielle Unter- stützung einer Wahlzeitung) die freie Entschei- dung der Wähler und damit auch die Erfolgs- aussichten der einzelnen Wahlbewerber beein- flussen könnten. Daher habe sich der Arbeitge- ber derartiger Einflussnahmen zu enthalten und stattdessen, sowohl hinsichtlich der Betriebs- ratswahl an sich als auch hinsichtlich der einzel- nen Kandidaten bzw. Vorschlagslisten Neutrali- tät zu wahren (vgl. Homburg, in: Däubler u.a., BetrVG, § 20 Rn. 1; Maschmann, BB 2010, 245, 250). Eine solche Neutralität ist fraglos auch im Hin- blick auf Wahlvorstände geboten. Schließlich obliegt diesen die Leitung und Durchführung der Wahl. Diese Funktion ist mit besonderer Ver- antwortung verbunden, weil der Wahlvorstand essentielle Entscheidungen zu treffen hat und zugleich – insbesondere im Rahmen der Stimm- auszählung – theoretisch Zugriff auf eine Reihe sensibler Informationen hat, die teilweise sogar vom Wahlgeheimnis umfasst sind. Dadurch ist bei der Wahl ein besonderes (Vorschuss-)Ver- trauen in die Integrität des Wahlvorstands erfor- derlich. Verhält sich jedoch ein einzelnes Wahlvor- standsmitglied oder gar der gesamte Wahl- vorstand nicht neutral, sondern zeigt sich zu- gunsten bestimmter Wahlbewerber bzw. Vor- schlagslisten parteiisch, kann dieses Vertrauen in die Rechtschaffenheit der Wahlleitung Scha- den erleiden und Wähler von der Stimmabga- be abhalten. Darüber hinaus befindet sich der Wahlvorstand durch seine wahlleitende Funk- tion in der Lage in besonderer Weise auf das Abstimmungsverhalten der Wähler Einfluss zu nehmen, weil etwaige „offizielle“ Aushänge des Wahlvorstands am Schwarzen Brett einen anderen Stellenwert haben als von „bloßen“ Wahlbewerbern verteilte Informationsmateria- lien (LArbG Nürnberg, Beschl. v. 20.09.2011 - 6 TaBV 9/11 Rn. 109). Deshalb ist von einem Wahlvorstand insoweit ein besonderes Maß an Zurückhaltung und Neutralität an den Tag zu le- gen und von ihm zu verlangen, dass er sich jeg- licher Bevorteilung oder Benachteiligung ein- zelner Wahlbewerber bzw. Vorschlagslisten ent- hält. Trotz dieser Gesichtspunkte erscheint es nicht geboten, eine in den Wahlvorschriften nicht ex- plizit angelegte „Neutralitätspflicht des Wahl- vorstands“ zu statuieren, um mit deren Verlet- zung die Anfechtbarkeit der Wahl zu begrün- den. Bevorzugt oder benachteiligt ein Wahlvor- stand durch eine Handlung eine der Vorschlags- listen bzw. einzelne Wahlbewerber, ist darin nämlich regelmäßig bereits ein Verstoß gegen den Grundsatz der Chancengleichheit zu sehen (vgl. BAG, Beschl. v. 06.12.2000 - 7 ABR 34/99 Rn. 29). Dieser ist Teil des auch für die Betriebs- ratswahl geltenden Grundsatzes der Gleichheit der Wahl (vgl. Fitting, BetrVG, § 14 Rn. 18, und Klein in: Maunz/Dürig, GG, Art. 38 Rn. 118) und führt bei Verletzung ebenfalls zur Anfechtbar- keit, sofern sich der Fehler auf das Ergebnis aus- gewirkt haben kann (BAG, Beschl. v. 06.12.2000 - 7 ABR 34/99 Rn.  30). Da der Wahlvorstand als wahlleitendes Organ auch der Einhaltung der Wahlgrundsätze verpflichtet ist, besteht mit der Pflicht zur Wahrung des Grundsatzes der Chancengleichheit bereits ein hinreichendes In- strument, um die Neutralität des Wahlvorstands zu gewährleisten. Vor diesem Hintergrund ist die Statuierung einer „eigenständigen Neutra- litätspflicht“ nicht notwendig. Vielmehr erweist sich diese bei näherer Betrachtung als Pendant des Grundsatzes der Chancengleichheit (bezo- gen auf die Neutralitätspflicht des Arbeitgebers ebenso: Maschmann, BB 2010, 245, 250). Die in der Entscheidung selbst aus dem Grundsatz der Chancengleichheit herausgearbeitete Neutrali- tätspflicht stellt insoweit also kein Novum dar, sondern liefert nur eine andere Umschreibung
  • 15. jurisPR-ArbR 3/2015 für ohnehin vom Wahlvorstand zu beachtende Pflichten. D. Auswirkungen für die Praxis Die Entscheidung führt zwar nicht zu einer Verschärfung der an die Arbeit des Wahlvor- stands zu stellenden Anforderungen, weil sich die herausgearbeitete „Neutralitätspflicht“ oh- nehin schon aus den vom Wahlvorstand einzu- haltenden Wahlgrundsätzen ergab. Jedoch un- terstreicht der Beschluss welche zentrale Be- deutung demokratische Grundprinzipien auch bei der Betriebsratswahl besitzen und verdeut- licht, wie wichtig es ist, als Wahlvorstand ei- ne neutrale Position einzunehmen. Dies gilt ins- besondere dann, wenn einzelne Wahlvorstands- mitglieder – was zulässig ist – zugleich als Wahl- bewerber kandidieren. Letzterenfalls gilt es für die betroffenen Personen ihr Wahlvorstandsamt einerseits und ihre Aktivitäten als Wahlbewer- ber andererseits strikt voneinander zu trennen. Anderenfalls besteht die Gefahr, dass die Wirk- samkeit der eigentlich von den Wahlvorstands- mitgliedern zu fördernden Betriebsratswahl ge- fährdet wird. 5 Ablösungsprinzip bei Betriebsvereinbarungen Orientierungssätze zur Anmerkung: 1. Für Betriebsvereinbarungen gilt das Ab- lösungsprinzip. Dieses gilt auch dann, wenn die ältere Betriebsvereinbarung für die Ar- beitnehmer günstiger war. Das Ablösungs- prinzip ermöglicht nicht jede Änderung. Wenn in bereits bestehende Besitzstände der Arbeitnehmer eingegriffen wird, sind die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und des Vertrauensschutzes zu beachten. 2. Der Inhalt von Betriebsvereinbarungen kann von den Gerichten nicht auf seine Zweckmäßigkeit überprüft werden. Auch ei- ne ablösende Betriebsvereinbarung unter- liegt nur einer Rechtskontrolle nach Maßga- be höherrangigen Rechts. 3. Gesundheitliche Einschränkungen einzel- ner Arbeitnehmer, die den Betriebspart- nern regelmäßig unbekannt sind, müssen beim Abschluss einer für eine gesamte Be- legschaft geltenden Betriebsvereinbarung nicht berücksichtigt werden. 4. Es steht im Ermessen des Betriebs- rats, zur Erhaltung von Arbeitsplätzen in ei- nem Bereich verschlechterte Arbeitsbedin- gungen in einem anderen Bereich zu akzep- tieren. Anmerkung zu LArbG Kiel, Urteil vom  24.09.2014, 6 Sa 93/14 von Marc-Oliver Schulze, RA und FA für Arbeits- recht, AfA Rechtsanwälte, Nürnberg A. Problemstellung 1. Steht es im Ermessen der Betriebsparteien, durch eine neue Betriebsvereinbarung Arbeits- bedingungen der Arbeitnehmer zu verschlech- tern, ohne dass es dabei auf Zweckmäßigkeits- erwägungen ankommt? 2. Müssen mögliche gesundheitliche Belastun- gen einzelner Arbeitnehmer außerhalb der Vor- schriften des Arbeitsschutzes beim Abschluss einer Betriebsvereinbarung berücksichtigt wer- den? B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung Ein Produktionsmitarbeiter streitet mit seinem Arbeitgeber darüber, ob auf sein Arbeitsverhält- nis weiterhin eine Betriebsvereinbarung zur Ar- beitszeit aus dem Jahre 2002 oder eine diese ablösende Betriebsvereinbarung aus dem Jahr 2013 anzuwenden ist. Im Betrieb werden 950 Arbeitnehmer beschäftigt, 700 davon in der Pro- duktion. Es ist ein dreizehnköpfiger Betriebsrat gebildet. In fünf Hallen (Hallen 6, 7, 8, 26 und 61) werden Bremsbeläge produziert, der Kläger arbeitet ausschließlich in der Halle 26. Bis Mai 2013 wurde in der Halle 26 auf Grundlage einer Betriebsvereinbarung aus dem Jahr 2002 in einem Vollkonti-Schichtmodell im Rhythmus 6/4 gearbeitet. Im Rahmen eines Eini- gungsstellenverfahrens schlossen die Betriebs- parteien im Jahr 2013 eine neue Betriebsver- einbarung zur Arbeitszeit ab, nach der ab Mai 2013 im Rhythmus 6/3 gearbeitet wird. Das neue Schichtsystem wurde zunächst in allen Bereichen und Hallen eingeführt. Nach kurzer Zeit wurde, mit Ausnahme der Halle 26, wie- der zum System 6/4 zurückgekehrt. Die tarifli-
  • 16. jurisPR-ArbR 3/2015 che Arbeitszeit wurde durch die Arbeit im 6/3- Rhythmus nicht überschritten, gleichwohl ver- schlechterten sich die Arbeitsbedingungen des Klägers. Er musste danach arbeitstäglich eine Stunde länger und im Jahr bis zu 35 Tage mehr arbeiten. Nach Auffassung des Klägers war die neu abge- schlossene Betriebsvereinbarung unverhältnis- mäßig, da sie aufgrund der bei ihm eingetre- tenen gesundheitlichen Folgen die Grenze der Zumutbarkeit überschritten hätte. Da der Be- triebsrat anlässlich des Abschlusses der neuen Betriebsvereinbarung sinngemäß geäußert ha- be, er habe die Halle 26 geopfert, um die Arbeit- nehmer einer anderen Halle vor einem Arbeits- platzabbau zu bewahren, sei die Betriebsver- einbarung rechtsunwirksam. Im Ergebnis wollte der Kläger feststellen lassen, dass auf sein Ar- beitsverhältnis weiterhin die Betriebsvereinba- rung aus dem Jahr 2002 mit dem Schichtrhyth- mus 6/4 anzuwenden ist. Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben seine Anträge zurückgewiesen, jeweils mit der Begründung, dass die Betriebsvereinbarung aus dem Jahr 2013 die alte Betriebsvereinba- rung aus dem Jahr 2002 vollständig abgelöst hat. Die Revision wurde nicht zugelassen. Die eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde wurde zurückgewiesen. C. Kontext der Entscheidung Die Entscheidung hält sich im Rahmen der Rechtsprechung des BAG zum Ablösungsprin- zip, wonach die jüngere Betriebsvereinbarung die ältere ablöst, selbst wenn die ältere Be- triebsvereinbarung für die Arbeitnehmer güns- tiger war (vgl. zuletzt BAG, Urt. v. 15.01.2013 - 3 AZR 705/10). Wenn allerdings in bereits be- stehende Besitzstände der Arbeitnehmer einge- griffen wird, sind die Grundsätze der Verhältnis- mäßigkeit und des Vertrauensschutzes zu be- achten, so dass insbesondere Betriebsverein- barungen, die Versorgungsansprüche aus ei- ner früheren Betriebsvereinbarung einschrän- ken, einer entsprechenden Rechtskontrolle un- terliegen (vgl. BAG, Urt. v. 15.01.2013 - 3 AZR 169/10). D. Auswirkungen für die Praxis Die Entscheidung arbeitet deutlich heraus, dass die Betriebsparteien einen sehr weiten Gestal- tungsspielraum haben. Solange die tariflichen und gesetzlichen Rahmenparameter eingehal- ten werden, können – auch im Vergleich zu einer früheren Betriebsvereinbarung – erheblich ver- schlechternde Regelungen getroffen werden. Dabei kommt es nicht darauf an, ob entspre- chende Änderungen geboten oder zweckmäßig waren. Dem Betriebsrat kommt deshalb eine sehr hohe Verantwortung zu. Er sollte auch im- mer sorgfältig prüfen, ob Koppelungsgeschäf- te, die bestimmte Arbeitnehmergruppen gegen- über anderen bevorzugen, darstellbar sind oder innerhalb der Belegschaft Unfrieden hervorru- fen können. Auch wenn das Gericht vorliegend lapidar ausführt, dass der Schutz vor Gesund- heitsgefahren durch die Vorschriften des Ar- beitsschutzes hinreichend gewährleistet ist, ist und bleibt es Aufgabe des Betriebsrats, dies zu überprüfen und bei zu befürchtenden gesund- heitlichen Nachteilen darauf hinzuweisen. 6 Kein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei Anbringung einer Videokamera-Attrappe im Außenbereich einer Klinik Leitsatz: Das Anbringen der Attrappe einer Videoka- mera im Außenbereich eines Klinikgebäu- des erfüllt offensichtlich keinen Mitbestim- mungstatbestand i.S.d. § 87 BetrVG. Anmerkung zu LArbG Rostock, Beschluss vom  12.11.2014, 3 TaBV 5/14 von Dr. Eugen Ehmann, Regierungsvizepräsi- dent von Mittelfranken A. Problemstellung Löst die Anbringung der Attrappe einer Video- kamera ein Mitbestimmungsrecht gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG aus? B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung Die Beteiligten streiten um die Notwendigkeit einer Einigungsstelle im Zusammenhang mit der Attrappe einer Videokamera, welche die Be- teiligte zu 2) am Hinterausgang des von ihr be- triebenen Klinikgebäudes anbringen ließ, ohne
  • 17. jurisPR-ArbR 3/2015 vorher die Zustimmung des Betriebsrats (Betei- ligter zu 1)) einzuholen. Das Arbeitsgericht hat dem Antrag des Betriebs- rats stattgegeben, eine Einigungsstelle einzu- richten. Dies begründet es damit, dass nicht von einer offensichtlichen Unzuständigkeit der Eini- gungsstelle gemäß §  99 Abs.  1 Satz 2 ArbGG auszugehen sei. Ein Mitbestimmungstatbestand nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG könne nicht von vornherein ausgeschlossen werden. Das LArbG Rostock als Beschwerdeinstanz geht dagegen davon aus, dass das Anbringen der At- trappe einer Videokamera im Außenbereich ei- nes Gebäudes offensichtlich keinen Mitbestim- mungstatbestand i.S.d. § 87 BetrVG erfüllt. Eine offensichtliche Unzuständigkeit i.S.d. § 99 ArbGG sei dann gegeben, wenn bei fachkun- diger Beurteilung durch das Gericht auf fest- gestellter Tatsachengrundlage sofort erkennbar sei, dass ein Mitbestimmungsrecht unter kei- nem rechtlichen Gesichtspunkt in Frage kom- me. Im vorliegenden Fall scheide ein Mitbestim- mungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG be- reits auf den ersten Blick ersichtlich aus, da eine Kameraattrappe jedenfalls objektiv nicht geeignet sei, das Verhalten oder die Leistung der Arbeitnehmer zu überwachen. Der Sinn und Zweck von §  87 Abs.  1 Nr.  6 BetrVG bestehe darin, das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers vor Eingriffen durch anonyme technische Kontrolleinrichtungen zu schützen. Derartige Eingriffe seien von einer Attrappe er- sichtlich nicht zu erwarten. Auch ein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Satz 1 BetrVG sei nicht ersichtlich. Die Anbrin- gung der Attrappe einer Videokamera im Au- ßenbereich entfalte schon auf den ersten Blick keine Auswirkungen auf das innerbetriebliche Zusammenleben der Arbeitnehmer. Die Arbeit- nehmer könnten den betroffenen Eingang nach wie vor betreten und verlassen, ohne neuen zusätzlichen Regelungen des Zusammenlebens unterworfen zu sein, die vom Betriebsrat mit- gestaltet werden könnten (vgl. zu diesen As- pekten BAG, Beschl.  v. 10.04.1984 - 1 ABR 69/82 Rn. 16, betreffend ein elektronisches Zu- gangskontrollsystem mit codierten Ausweiskar- ten, auf denen keine Daten dazu erfasst wur- den, wer das Gebäude durch welchen Ausgang betritt oder verlässt). Denn durch die Attrappe werde gerade nicht kontrolliert, wer das Gebäu- de wann durch den betroffenen Eingang betritt oder verlässt. Zwar sei dem Betriebsrat zuzugestehen, dass in der Literatur unter Hinweis auf den umfas- senden Schutz der Persönlichkeitsrechte der Ar- beitnehmer vereinzelt eine weitergehende Aus- legung zum Anwendungsbereich des § 87 Abs. 1 Nr.1 BetrVG vertreten wird (so bei Klebe in: Däubler/Kittner/Klebe/Wedde, BetrVG, 14. Aufl., § 87 Rn. 57). Auch nach dieser Ansicht sei es jedoch erforderlich, dass eine objektiv tatsäch- lich vorgenommene Kontrolle festzustellen sei (Klebe, a.a.O., § 87 Rn. 58). Daran fehle es bei der Attrappe einer Videokamera. Denn diese sei nicht in der Lage, eine tatsächliche Kontrollwir- kung auszuüben und könne die Persönlichkeits- rechte der Arbeitnehmer daher objektiv nicht tangieren. C. Kontext der Entscheidung Die adäquate rechtliche Bewertung von Kame- raattrappen fällt Rechtsprechung und Litera- tur seit jeher schwer. Einigkeit besteht weitge- hend darüber, dass §  6b BDSG (Beobachtung öffentlich zugänglicher Räume mit optisch-elek- tronischen Einrichtungen) auf Kameraattrappen nicht anwendbar ist (Scholz in: Simitis, BDSG, 8.  Aufl., §  6b Rn.  41, m.w.N.; Brink in: Wolff/ Brink, Datenschutzrecht, §  6b BDSG Rn.  90, m.w.N.; Wiegand in: Gierschmann / Saeugling, BDSG, § 6b Rn. 31, m.w.N.). Der Schutzbereich des Rechts auf informationelle Selbstbestim- mung ist schon deshalb nicht berührt, weil kei- ne personenbezogenen Daten erhoben werden (Scholz in: Simitis, BDSG, § 6b Rn. 28). Denkbar – und von der Rechtsprechung ver- schiedentlich so gesehen – ist es jedoch, dass der von einer Attrappe ausgehende Anpas- sungs- und Überwachungsdruck zu einem Ein- griff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht führt, der zivilrechtliche Beseitigungs- und Un- terlassungsansprüche nach sich zieht (so LG Bonn, Urt.  v. 16.11.2004 - 8 S 139/04 in ei- nem Streit zwischen zwei Grundstücksnach- barn; ablehnend dagegen AG Schöneberg, Urt.  v. 30.07.2014 - 103 C 160/14; im An- wendungsbereich des Wohnungseigentumsge- setzes differenzierend nach den Umständen
  • 18. jurisPR-ArbR 3/2015 des Einzelfalls BGH, Urt. v. 21.10.2011 - V ZR 265/10). Im Bereich des Arbeitsrechts hat das LArbG Mainz in Parallelverfahren, die dasselbe Unter- nehmen betreffen, Arbeitnehmern Schadens- ersatz bei einer Verletzung des Persönlich- keitsrechts durch eine Videoüberwachung zu- gesprochen, die tatsächlich stattgefunden hatte (LArbG Mainz, Urt. v. 23.05.2013 - 2 Sa 540/12: 650 Euro; LArbG Mainz, Urt. v. 23.05.2013 - 2 Sa 12/13: 850 Euro). Der vorliegenden Entscheidung ist zuzustim- men. Wenn real keine Überwachung stattfin- det, ist für ein Mitbestimmungsrecht gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG von vornherein kein Raum. Im Rahmen des Mitbestimmungstatbe- standes nach §  87 Abs.  1 Nr.  1 BetrVG kann zwar durchaus erwogen werden – so auch der Vortrag des Beteiligten zu 1) –, dass eine Ka- meraattrappe geeignet sein kann, das Verhal- ten der Arbeitnehmer und die Ordnung im Be- trieb zu steuern. Dies gilt umso mehr, wenn – so der weitere Vortrag des Beteiligten zu 1) – sich die Beteiligte zu 2) tatsächlich geweigert haben sollte, die Belegschaft darüber aufzuklä- ren, dass es sich um eine Attrappe handelt. Würde man diese Überlegungen ausreichen las- sen, um den Mitbestimmungstatbestand zu be- jahen, käme es allerdings dazu, dass Mitbe- stimmungsrechte an das bloße subjektive Ge- fühl von Betroffenen anknüpfen würden, einer Überwachung zu unterliegen (so die auf das Be- triebsverfassungsrecht übertragbare Argumen- tation von Wiegand in: Gierschmann/Saeugling; BDSG, § 6b Rn. 31, zur Begründung dafür, war- um das allgemeine Persönlichkeitsrecht durch eine bloße Attrappe nicht verletzt werde). Auch besteht der Schutzzweck des Mitbestimmungs- tatbestandes nicht darin, ein bestimmtes Infor- mationsverhalten des Arbeitgebers (hier die In- formation darüber, dass es sich um eine Attrap- pe handelt) zu erzwingen. Schließlich würde es den Anwendungsbereich von § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG überdehnen, wenn jede Maßnahme, die zu einer psychischen Zwangswirkung bei betrof- fenen Arbeitnehmern führen kann, schon aus diesem Grund ein Mitbestimmungsrecht auslö- sen würde. D. Auswirkungen für die Praxis Aus betriebsverfassungsrechtlicher Sicht ist das Anbringen von Kameraattrappen auf der Ba- sis dieser Entscheidung für den Arbeitgeber risikolos. Allerdings erscheint es nicht ausge- schlossen, dass einzelne betroffene Arbeitneh- mer zumindest versuchen, zivilrechtliche Unter- lassungsansprüche geltend zu machen. Je nach den Umständen des Einzelfalls erscheint dabei ein Erfolg nicht von vornherein ausgeschlossen.