weißBLAU 02/16 - Das Magazin des Marketing Club München
"Was hat Modewerbung mit 9/11 zu tun?" Peer Hartog im Horizont
1. G
leichgültigkeit ist die Rache, die
die Welt an der Mittelmäßig-
keit nimmt.“ Oscar Wilde hat
mal wieder Recht gehabt und
nirgendwo hat sein Aphorismus von der
Mittelmäßigkeit mehr Relevanz als in der
Werbung, insbesondere in der für Mode.
Es ist paradox: Mode ist das
klassische Marketingprodukt,
denn die originäre Produktleis-
tung „bekleidet/wärmt mich“ ist
austauschbar, sodass das Image
umso wichtiger ist. Doch den
wenigsten Fashion-Brands ge-
lingt es, sich ein differenzieren-
des Markenimage aufzubauen.
Für die Verbraucher ist die
Kommunikation der Modemar-
ken nicht auseinanderzuhalten.
Dabei betreiben viele Labels großen
Aufwand. Saison für Saison werden
Marketing Manager, Agenturen,
Fotografen, Stylisten und Models an
die schönsten Plätze der Welt geflogen,
um die Kollektionen zu inszenieren. Das
Ergebnis sind zwar mehr oder minder
schöne Fotos von schönen Menschen in
schönen Outfits. Doch die Magazine, das
Web und selbst das Fernsehen sind rand-
voll von schönen Menschen in schönen
Kleidern. Die Bilder verlieren, im Über-
fluss präsentiert, an Kraft und werden –
wenn überhaupt – nur flüchtig wahrge-
nommen.
Es fehlt, was der Psychologe das Mo-
mentum nennt. Eine Idee, die verblüfft,
die ins Herz geht. Und vor allen Dingen:
die die Marke spezifisch auflädt. Und den
Verbraucher motiviert, für diese eine
Marke mehr Geld auszugeben, als er
zwingend muss.
Niedrige Sympathiewerte der meisten
Fashion-Labels zum Beispiel in der Bri-
gitte Kommunikationsanalyse sind die
Konsequenz. Und ein Sinnbild für man-
gelnde Markenloyalität. Eine noch so sty-
lische Kollektionspräsentation schafft
keine Profilierung.
Probieren Sie es aus: Suchen Sie sich
aus einer beliebigen Mode- oder Life-
style-Zeitschrift zehn Fashion-Anzeigen.
ReißenSiedieLogosab,kräftigmischen–
undnunsagenSie,welchesMotivfürwel-
che Marke steht. Wenn Sie mehr als drei
schaffen, haben Sie geschummelt. Oder
Sie sind vom Fach.
Ihre Zielgruppe allerdings ist nicht
vom Fach, sondern aus Fallingbostel oder
Kreuzberg. Fragen Sie die mal nach einer
Modewerbung, die positiv hängen geblie-
ben wäre. Fragen Sie sie, wofür Ihre Mar-
ke steht. Im besten Fall kommen Aus-
sagen wie Qualität, Passform und Design.
Sollte das allerdings das Ergebnis jahre-
langer Markenkommunikation sein,
herzlichen Glückwunsch. Denn diese Pa-
rametergeltenfüracht vonzehn Fashion-
brands.
Zwischenfazit: Fashion Labels, die sich
auf die ästhetische Abbildung ihrer Kol-
lektion beschränken, betreiben kein stra-
tegisches Marketing. Sondern allenfalls
Verkaufsförderung.
Wer bemerkt werden will, muss auf-
fallen. Wer erinnert werden will, muss
Gefühle auslösen. Zur Veranschauli-
chung ein Beispiel vom Neuromarketing-
Spezialisten Christian Schreier: Was ha-
ben Sie am 2. Oktober 2006 gemacht?
Keine Ahnung? Und was haben Sie am11.
September 2001 gemacht? Sieh an. Alles
was Sie an diesem Tag getan haben, ist mit
den verheerenden Anschlägen von 9/11
verbunden. Das emotionale Ereignis hat
es in Ihrer Erinnerung verankert.
Was bedeutet das für effektive Kom-
munikation? Wie können wir Emotionen
für Ihre Marke erzeugen? Keine Sorge,
man muss dafür keine Flugzeuge in
Hochhäuser krachen lassen. Doch etwas
mehr, als die Kollektion von einem hip-
pen Fotografen in Kapstadt knipsen zu
lassen, muss man schon bieten, ansons-
ten siehe Oscar Wilde.
DiefolgendendreiRegelnkönnenver-
hindern, dass Ihre Zielgruppe vor allem
eines für Ihre Marke übrig hat: Gleichgül-
tigkeit. Bevor Sie darüber nachdenken,
wie die Kollektion inszeniert werden soll,
klären Sie, was die zentrale Botschaft Ih-
rer Marke ist. Nutzen Sie dafür ein mög-
lichst einfaches Markenmodell wie die
Markenpyramide. An dessen Spitze steht
der Markenkern, die zentrale Idee Ihrer
Marke in einem Satz. Wenn dieser Satz
auch auf Wettbewerber passt, haben Sie
das Einzigartige Ihrer Marke noch nicht
präzise herausgearbeitet. Dieser Marken-
kernistmehralsTinteaufPapier,eristdie
manifestierte DNA Ihrer Marke. Er ist
zentraler Bestandteil eines Kommunika-
tions-Briefings. Und er ist die Messlatte
beim Bewerten einer Kommunikations-
Idee: Passt diese Idee zum Kern meiner
Marke? Erlaubt sie mir, Marke und Kol-
lektionen über mehrere Jahre immer wie-
der neu zu inszenieren?
Sie haben eine gelungene Kollektion
mit ordentlichem Preis-Leistungs-Ver-
hältnis? Das Gemeine: Irgendwer wird
immer vergleichbare Teile anbieten wie
Sie, nur günstiger. Wie soll Ihr Kunde
loyal Ihrem Angebot gegenüber sein,
wenn er nicht weiß, wofür Ihre Marke
steht? Wenn er kein Gefühl für sie ent-
wickeln konnte? Wirklich große Marken
sind nicht im selben Maße abhängig vom
Erfolg einer Kollektion. Weil sie in den
Köpfen und Herzen der Menschen für
etwas stehen. Für etwas, das begehrens-
wert ist und mit dem die Menschen sich
identifizieren. So wie Marlboro Jahrzehn-
te für den Traum von Männlichkeit, Frei-
heit und Abenteuer stand. Volvo für Si-
cherheit. Apple für Einfachheit. Nike für
den Sieg über den inneren Schweine-
hund. Oder Dove für ein neues Schön-
heitsideal. Baldessarini-Chef Burkhard
Stuhlemmer sagt, eine Marke, die keine
klare Position bezieht, die in den Köpfen
der Menschen kein klares Bild hinterlässt,
sei keine Marke, sondern nur ein Label.
Recht hat er. Wofür steht Ihre Marke?
Nehmen Sie Haltung an!
Ist Ihr Auftritt auch online so span-
nend wie die besten Image-Teile Ihrer
Kollektion oder eher Basic? Nutzen Sie
Facebook wirklich effektiv oder weil es
irgendwie dazugehört? Wann haben Sie
Ihre Kunden und Händler zuletzt mit Vi-
ral- und Guerilla-Aktionen überrascht?
Sie meinen, virale Kommunikation passt
nicht zum Nimbus von Modemarken?
Dann sehen Sie sich mal Filme wie „First
Kiss“ für das Casual Label Wren oder das
Online-Spiel „Strip Poker“ für Victoria´s
Secret an. Oder den Film „Playing Foot-
ball with wild Lions“ für die Herren-Kon-
fektionsmarke Van Gils.
Allesamt Ideen, die den Markenkern
emotionaler inszenieren, als es eine
noch so schöne Darstellung der Kollek-
tion jemals könnte. Apropos Ideen:
Ganz gleich, ob Ihr hausinternes Team
mit der Inszenierung der Kollektion be-
auftragt wird oder eine Werbeagentur:
Fordern Sie Ideen! Ideen sind etwas,
das sich auch am Telefon in einem Satz
erklären ließe.
Gastautor Peer Hartog hat
Kommunikation für Marken
wie Clique, Roy Robson und
Bench entwickelt. Gemeinsam
mit Clemens Gerlach führt er
die Agentur Gerlachhartog
Markenkommunikation 2.0
Der Marlboro Marken-
kern in den 50er
Jahren: Der Traum von
Männlichkeit, Freiheit
und Abenteuer
Was hat
Modewerbung
mit 9/11zu tun?
Gastbeitrag: Warum ist Werbung
für Kleidung in Deutschland
so langweilig und uninspiriert?
Ein Film, der Doves Haltung perfekt inszeniert.
Und rund 70 Millionen Menschen zu Tränen rührte
Passt zum Kern der holländischen Marke Van Gils:
Der Viralfilm vom Löwenretter Kevin Richardson.
Fremde sollen sich vor
laufender Kamera
küssen. Präsentiert von
Wren, geliebt von
91 Millionen Menschen
PRAXIS 27HORIZONT 46/2014 13. November 2014 27
Die Diesel Haltung:
Sei nonkonformistisch!
FOTO:SVENHEINRICH