3. Hausmitteilung
12. März 2012 Betr.: Hollande, Gauck, Identität, SPIEGEL-Bücher
D as Gespräch mit dem französischen Präsidentschaftskandidaten François Hol-
lande, 57, war schon seit langem vereinbart. Da sorgte, in der vorigen Woche,
eine SPIEGEL-Meldung für Aufregung im Wahlkampf: Kanzlerin Angela Merkel,
57, habe mit wichtigen EU-Regierungschefs vereinbart, Hollande nicht zu empfan-
gen – weil der eine Neuverhandlung des europäischen Fiskalpaktes verlangt hatte.
Im Pariser SPIEGEL-Büro bestürmten französische Kollegen den Korrespondenten
Mathieu von Rohr, 34, mit der Bitte um Auskunft. Gemeinsam mit seinem Kollegen
Romain Leick, 62, traf er Hollande am Mittwoch zum SPIEGEL-Gespräch in dessen
Wahlkampfzentrale in Paris. Was der Sozialist sagte, wird die Kanzlerin sorgen:
Gewinne er die Wahl, so Hollande, werde Frankreich auch in der Europapolitik
„einen anderen Weg“ einschlagen (Seite 90).
S eit Joachim Gauck, 72, für die Bundespräsi-
dentenwahl an diesem Sonntag nominiert
wurde, verweigert er sich den Medien: keine
Pressekonferenzen, keine Interviews, keine
Hintergrundgespräche. SPIEGEL-Autor Markus
Feldenkirchen, 36, der Gauck bereits bei dessen
erster Kandidatur vor zwei Jahren begleitet hat-
te, reiste ihm dennoch hinterher. „Was machen
Sie denn hier?“, fragte Gauck seinen Verfolger,
CHRISTIAN THIEL / DER SPIEGEL
als er ihn in einer Hotellobby im polnischen
LódŹ entdeckte. Am nächsten Abend sprachen
die beiden an der Bar über Gaucks Zukunft. „Er
steht vor der Erfüllung seines Lebenstraums“,
sagt Feldenkirchen, „aber ein bisschen mulmig
Feldenkirchen, Gauck in LÓdŹ ist ihm auch“ (Seite 30).
W ie fühlt sich ein Mann, der im Alter von 70 Jahren erfährt, dass er um seine
Identität betrogen wurde? Dass die Frau, die ihn großzog und sich als seine
Mutter ausgab, ein Leben lang gelogen hat? George Jaunzemis waren schon vor
Jahrzehnten Ungereimtheiten in seiner Biografie aufgefallen. Doch erst im Renten-
alter kam sich der Mann auf die Spur. Er war in Neuseeland aufgewachsen, hatte
dort auch sein Berufsleben verbracht; seine Mutter hatte ihm verschwiegen, dass
er Deutscher ist und aus Magdeburg stammt. Als SPIEGEL-Redakteurin Barbara
Hardinghaus, 36, ihn fragte, wo er seine Wurzeln orte, war er ratlos: „Von der
Ernährung her fifty-fifty, halb Bratwurst, halb Fish & Chips“, antwortete Jaunzemis,
„tatsächlich aber habe ich keine Heimat, ich bin eine Summe“ (Seite 52).
B iosprit tanken, Müll sortieren oder Vegetarier werden – es gibt vermeintlich
viele Möglichkeiten, die Umwelt zu schützen. SPIEGEL-Redakteur Alexander
Neubacher, 43, selbst Biokisten-Käufer, hat
einiges auf den Prüfstand gestellt und berichtet
darüber in dieser Ausgabe (Seite 60) und in
seinem Buch „Ökofimmel. Wie wir versuchen,
die Welt zu retten – und was wir damit anrich-
ten“. 33 Phänomene, die selbst Wissenschaftler
rätseln lassen, beschreibt SPIEGEL-ONLINE-
Redakteur Axel Bojanowski, 40, im ebenfalls
neuen SPIEGEL-Buch „Nach zwei Tagen Regen
folgt Montag“.
Im Internet: www.spiegel.de D E R S P I E G E L 1 1 / 2 0 1 2 3
4. In diesem Heft
Titel
Die Selbstheilungskraft des Herzens – neue
Strategien im Kampf gegen den Infarkt ........ 118
Deutschland
Panorama: Schäuble fordert Steuer auf
Finanztransaktionen / Linke-Mitglieder zahlen
am meisten / Fluglärm macht krank ............... 15
Außenpolitik: Die Europäer spielen im
Iran-Konflikt eine Schlüsselrolle .................... 20
Europa: Im SPIEGEL-Gespräch kritisiert
EU-Kommissar Günther Oettinger
die deutsche Energiewende ............................ 24
Regierung: Unionsfrauen meutern gegen
das Nein der FDP zur Quote .......................... 27
CSU: Parteichef Horst Seehofer ärgert
sich über den geringen
Einfluss seiner Hauptstadttruppe ................... 28
Karrieren: Der künftige Bundespräsident
Joachim Gauck will den
Deutschen ihre Ängste nehmen ..................... 30
Internet: Autoscout24 bringt Werkstätten
gegen sich auf ................................................ 35
Wahlkampf: Wie die Piraten im Saarland
Das Präsidenten-Experiment Seite 30
Mit seinen Begriffen aus Psychologie und Seelsorge wird Joachim Gauck
TORSTEN SILZ / DAPD
und in Schleswig-Holstein
ihre Basis erweitern wollen ............................ 36 als Bundespräsident viele Bürger verwundern. Seine Botschaften
Aktivisten: Was wird nach dem FBI-Schlag dürften manche verstören, die ihn noch für „ihren“ Kandidaten halten.
aus der Hacker-Bewegung Anonymous? ........ 38
Koalition: Unionspolitiker werfen der
Bundesjustizministerin vor, sie habe eine Studie
zur Vorratsdatenspeicherung frisieren lassen ... 42
Erziehung: SPIEGEL-Gespräch mit dem
dänischen Familientherapeuten Jesper Juul
über die Fehler von Eltern und Pädagogen .... 44
Wintersport: Liftbetreiber wollen Skiwanderer
von den Pisten verbannen .............................. 47
Bei Scheitern Krieg Seite 20
Die Verhandlungen der Kontaktgruppe mit Iran sind die wohl letzte Chance,
Gesellschaft eine militärische Auseinandersetzung in der Region zu verhindern. Die
Szene: Abendmahl mit Nackten / Erfolgreiche Verantwortung für einen Erfolg der Gespräche liegt jetzt bei den Europäern.
Honecker-Memoiren ...................................... 48
Ein Video und seine Geschichte –
warum ein Kalifornier im
Flughörnchen-Outfit sein Leben riskiert ........ 50
Identität: Ein 70-Jähriger erforscht seine
Biografie und entdeckt ein Verbrechen .......... 52 Schlecker von unten Seite 66
Ortstermin: Die Berliner Unterstützer der Diese Woche wird entschieden, welche der 6000 Filialen des Drogerie-
syrischen Revolution ...................................... 57
riesen schließen und welchen 13 000 der insgesamt rund 30 000 Beschäftigten
gekündigt wird. Drei Betroffene erzählen, wie sie die Pleite erleben.
Wirtschaft
Trends: DGB macht gegen Datenschutzgesetz
mobil / Vitaminsäfte enthalten zu viel Folsäure /
Interview mit Peter Hintze über die jüngsten
deutsch-französischen Kämpfe um EADS ...... 58
Nachhaltigkeit: Unsere große Öko-Illusion
im täglichen Leben ......................................... 60
Eine Frage der
Übernahmen: Porsche wird die Gerichte
noch lange beschäftigen ................................. 64 Macht
Handel: Drei Schlecker-Mitarbeiterinnen –
drei Meinungen über den Pleitekonzern ........ 66 Seiten 27, 145
Benzin: Taugt das westaustralische Preismodell Kanzlerin Angela Merkel
für deutsche Tankstellen? ............................... 68 will sich mit dem Nein der
Affären: Ein krisengeschüttelter Ferrostaal-
Manager darf noch mal ran ............................ 69
Liberalen zur Frauenquote
Banken: Neue Milliardenlücken bei nicht abfinden. Notfalls will
MICHAEL HÜBNER / ACTION PRESS
der Hypo Real Estate ...................................... 72 sie mit dem Thema in den
Bundestagswahlkampf 2013
Serie ziehen. SPIEGEL-Redakteu-
Die Reichen (Teil III): Ein Finanzmanager, ein
rin Elke Schmitter plädiert
Konzernchef und ein Internetmilliardär erzählen für die Quote. Sie sei lästig
von ihrem Verhältnis zum Geld ..................... 74 Familienministerin Schröder und undemokratisch, aber
Wie ein Elite-Internat versucht, eine ganz leider notwendig.
normale Schule zu sein .................................. 79
4 D E R S P I E G E L 1 1 / 2 0 1 2
5. Medien
Trends: RTL baut Aufsichtsrat um / Gottschalk
wünscht sich eine Sparringspartnerin ............. 81
Debatte: Weshalb der Begriff „Raubkopie“ das
Elend der Urheberrechtsdiskussion illustriert .... 82
Handel: Amazon-Partner bieten indizierte
Filme an ......................................................... 84
Ausland
Panorama: Machtgerangel im Hause Assad /
US-Autor Tim Weiner über die Rechtsbrüche
des FBI / Europarat kritisiert Ungarns neue
Nationale Justizbehörde ................................. 87
Frankreich: SPIEGEL-Gespräch mit Präsident-
schaftskandidat Hollande über Kanzlerin
Merkels Weigerung, ihn zu empfangen ............. 90
USA: Obamas Kriegsdoktrin ........................... 94
Polen: Geplante Atomkraftwerke provozieren
die Deutschen ............................................... 98
Russland: Die Opposition will die Macht
in der Hauptstadt .......................................... 100
Golfstaaten: Katars unverzichtbarer Emir .... 102
Obamas Drohnen-Krieg Seite 94 Global Village: Eine Auswanderermesse in Dublin
kapituliert vor dem Besucheransturm ........... 108
Im Kampf gegen den Terrorismus übernimmt Barack Obama die zweifel-
haften Rechtsgrundsätze seines Vorgängers George W. Bush. Gezielte Sport
Tötungen durch Fernlenkwaffen sind heute offizielle Militärdoktrin. Szene: Wasserspringer Patrick Hausding
REUTERS
über rigide Regeln für Athleten bei Olympia
in London / Brauchen Deutschlands
Fußball-Manager Ausbildungsstandards? ...... 111
Fußball: SPIEGEL-Gespräch mit dem
Dortmunder Trainer Jürgen Klopp über
sein Leben im Rampenlicht .......................... 112
Boxen: Wie Weltmeisterin Rola El-Halabi
Jungbrunnen fürs Herz Seite 118 das Attentat bewältigt,
das ihr Stiefvater auf sie verübte .................. 115
Mediziner entdecken die Selbstheilungskraft kranker Herzen. So führt
körperliche Aktivität dazu, dass neue Blutgefäße wachsen. Forscher suchen Wissenschaft · Technik
nach Wirkstoffen, um die Bildung solcher natürlichen Bypässe zu fördern. Prisma: Nachtfahren gefährlicher als gedacht /
Weniger Ausgrabungen in Griechenland ...... 116
Automobile: Die englische Traditionsmarke
Morgan wagt die Wiedergeburt
des dreirädrigen Sportwagens ....................... 128
Hirnforschung: Warum können sich manche
Wie viel Kultur braucht das Land? Seite 136 Menschen an fast jedes Gesicht erinnern? .... 129
Geschichte: Der Absturz einer
Das deutsche Subventionssystem steht vor einem Kollaps. Das behaupten Militärmaschine wurde zur Geburtsstunde
vier Experten und fordern einen radikalen Umbau: Die Hälfte aller Theater, der alpinen Luftrettung ................................ 132
Museen und Bibliotheken sollte geschlossen werden.
Kultur
Szene: Eine beeindruckende Ausstellung von
Kriegsfotografien aus Libyen / Historiker Paul
Nolte über den Wandel der Demokratie ......... 134
Kulturpolitik: Vier Experten fordern den
Mit Vollgas Umbau des deutschen Subventionssystems ... 136
Bestseller ..................................................... 140
durchs Leben Kunst: SPIEGEL-Gespräch mit den Fotografen
Andreas Gursky und Thomas Ruff
über die Wahrhaftigkeit von Bildern ............. 142
Seite 112 Gleichberechtigung: Warum die Frauenquote
Sein Talent zum Wortführer undemokratisch, aber notwendig ist ............. 145
Autoren: Das Meisterwerk „Parallelgeschichten“
habe sich früh abgezeichnet, des Ungarn Péter Nádas ............................... 146
sagt der Dortmunder Trainer Verlage: Piper-Chef Marcel Hartges und seine
Jürgen Klopp im SPIEGEL- Strategie im E-Book-Geschäft ...................... 148
Gespräch: „Ich war schon im- Literaturkritik: Die Dramatikerin Dea Loher
mer laut.“ Die Unbedingtheit, debütiert eindrucksvoll als Romanautorin mit
mit der Klopp seine Ziele „Bugatti taucht auf“ ..................................... 151
FIRO SPORTPHOTO
beim BVB verfolgt, verlangt Briefe ............................................................... 6
er auch von seinen Profis. Impressum, Leserservice .............................. 152
„Wir sind hier, um alles raus- Klopp Register ........................................................ 154
zuhauen. Also: Vollgas.“ Personalien ................................................... 156
Hohlspiegel / Rückspiegel ............................. 158
D E R S P I E G E L 1 1 / 2 0 1 2 5
6. Briefe
Was, wenn Israel die Schlagkraft der Iraner
unterschätzt und erhebliche Opfer hinneh-
„Eine Analyse, wie sie derzeit in men muss? Dann wird es wohl kaum bei
deutschen Medien nur selten zu finden einem Luftschlag gegen iranische Atom-
anlagen bleiben, sondern es wird Krieg
ist. Nicht vergessen sollte man aber: mit unbekannter Dynamik geben. Zu glau-
Israel verfügt bereits über ein ben, es werde nur die Region destabilisiert,
ist entschieden zu kurz gedacht.
beträchtliches Kernwaffenarsenal, BERNHARD LANGLOTZ, HAMBURG
während das bei Iran selbst nach
Der Zuwachs an Destabilisierung in der
Einschätzungen westlicher Region durch eine iranische Atombombe
Geheimdienste nicht der Fall ist. resultiert aus der Tatsache, dass es dann
drei Atommächte in der Region gäbe, und
SPIEGEL-Titel 10/2012 DR. HUBERT THIELICKE, AHRENSFELDE (BRANDENB.) nicht etwa daraus, dass einzelne Entschei-
dungsträger irrational handeln könnten.
HELMUT SUTTOR, FRANKFURT AM MAIN
Nr. 10/2012, Krieg um die Bombe? – Irans Vielleicht sollte man nicht vergessen, wer
geheimes Atom-Programm 2002 von wem auf der Achse des Bösen Sind denn israelische und US-Politiker von
verortet wurde und die Nahost-Region jeglicher Vernunft verlassen, dass sie durch
Zurück an den Tisch! um Iran mit Krieg überzogen hat. Dass
bei solchen Nachbarschaftsverhältnissen
Provokation, Propaganda und Lügen einen
Krieg entfachen? Ist es denn nur die irani-
Die Signale, die sowohl die israelische als ein Land nach Kernwaffen strebt, braucht sche Seite, die nicht die Wahrheit sagt?
auch die iranische Regierung aussenden, heute keinen Diplomaten mehr zu ver- MARIE-LUISE KHAN, HAMBURG
sind wohl eher an die eigene Bevölkerung wundern. Vertrauen muss wiederherge-
gerichtet: als Demonstration von Stärke stellt werden, beispielsweise über gemein- Das Titelbild suggeriert eine von Iran aus-
und Führungsanspruch in der Region. gehende Kriegsgefahr. Tatsächlich ist es
Denn sollte Iran die Atombombe eines Israel beziehungsweise die Netanjahu-
Tages haben, wäre das Risiko, sie gegen Clique, die den Frieden gefährdet. Also
Israel einzusetzen, viel zu hoch. Nicht gehört eigentlich Netanjahus Konterfei
nur wegen eventueller Reaktionen, son- auf das Titelblatt.
dern auch, weil die Gefahr bestünde, dass
ZIV KOREN / POLARIS / STUDIO X
KARL WUESTER, KRAILLING (BAYERN)
eine Rakete aufgrund unvorhersehbarer
technischer Schwierigkeiten nicht Tel Eine der Lehren der Geschichte ist doch:
Aviv, sondern Ostjerusalem treffen, in Wenn Antisemiten einen Massenmord an-
jedem Fall aber Tausende oder Zigtau- kündigen, dann werden sie alles unter-
sende Palästinenser töten oder verstrah- nehmen, ihr Ziel in die Tat umzusetzen.
len würde. Das wäre das Ende aller irani- Unbegreiflich bleibt daher die in der Bun-
schen Träume. Israelischer Kampfpilot desrepublik vorherrschende Blindheit,
CHRISTOPH MÜLLER-LUCKWALD, BINGEN welche die existentielle Bedrohung Israels
same Interessen in Afghanistan oder bei nicht wahrhaben will und die Israelis als
Die Wahrnehmung, wer wen bedroht und der Pirateriebekämpfung im Persischen die eigentlichen Aggressoren darstellt.
schon angegriffen hat, ist in Palästina und Golf und am Horn von Afrika. Daher: zu- THORSTEN WILLMANN, LEIPZIG
Iran eine ganz unterschiedliche. rück an den Verhandlungstisch!
FRIEDEMANN UNGERER, WAHLENDOW CHRISTOPH LEISERING, BERLIN Weshalb sind israelische Atomwaffen ein
(MECKL.-VORP.) Segen für die Welt, vermeintliche irani-
Eine hervorragende, aber auch erschre- sche Nuklearwaffen aber eine Bedro-
Atomwaffen in der Hand Irans sind gleich- ckende Analyse. Ein Angriff Israels auf hung? Geht denn von Pakistan, das seit
zeitig Waffen gegen sich selbst. Die Sor- die iranischen Atomanlagen und die zu 1998 die Atombombe besitzt und nach-
gen Israels sind verständlich, aber sind erwartende Reaktion Irans ist eine Hor- weislich die Taliban mit Waffen versorgt,
sie wirklich realistisch? Kein iranisches rorvorstellung. Warum wird der IAEA keine Bedrohung aus? Bedroht von diesen
Regime kann es auf ein Hiroshima in Te- der Zugang zu den Anlagen verwehrt, Atommächten und umzingelt von US-Mi-
heran ankommen lassen. Denn dies wäre wenn sie doch ausschließlich zivilen und litärbasen, haben Rattenfänger wie Ah-
die unweigerliche Folge eines Angriffs friedlichen Zwecken dienen und es daher madinedschad es leicht, die Mehrheit der
auf Israel. gar nichts zu verheimlichen gäbe? Iraner hinter sich zu bringen.
WILFRIED WIEGAND, NEUBIBERG (BAYERN) DR. REINHARD TILL, BACKNANG (BAD.-WÜRTT.) RAHIM BARADARI, BERLIN
Ein fundamentalistischer Gottesstaat, der
den Holocaust leugnet und Israel mit der
Vernichtung droht, darf niemals die
Diskutieren Sie im Internet
Atombombe in die Hände bekommen! www.spiegel.de/forum und www.facebook.com/DerSpiegel
Gewiss, ein israelischer Angriff mag un- ‣ Titel Wie lassen sich Herzprobleme vermeiden?
kalkulierbare Folgen haben. Aber was ist
die Alternative? Die Mullahs wollen die ‣ Umweltschutz Energiesparbirnen, Dosenpfand,
Bombe um jeden Preis. Selbst wenn sich Gelber Sack – was ist sinnvoll, was nicht?
die Führung in Teheran am Ende rational
verhalten sollte, kann Israel sich dieses ‣ Kultur Leistet sich Deutschland zu viele Theater
Risiko nicht leisten. und Museen?
CHRISTOFER GRASS, FREIBURG IM BREISGAU
6 D E R S P I E G E L 1 1 / 2 0 1 2
7.
8.
9.
10. Briefe
Nr. 9/2012, Deutschland, deine Reichen: Die Anzahl der Spitzenpromotionen im
Wer sind sie – und warum so viele? Fach Mathematik an der TU Berlin mag
auf den ersten Blick sehr befremdlich wir-
Fiktive Werte ken, aber die TU ist sowohl Sprecher-
hochschule der „Berlin Mathematical
Manche Zeitgenossen mögen es als Ehre School“, einer im Rahmen der Exzellenz-
empfinden, auf einem SPIEGEL-Titel das initiative geförderten Graduiertenschule,
Thema „Reichtum in Deutschland“ mit- als auch Sprecherhochschule des DFG-
illustrieren zu dürfen. Ich fühle mich dort Forschungszentrums „Matheon – Mathe-
reichlich deplatziert, denn ich halte mich matik für Schlüsseltechnologien“. Die
mitnichten für reich. Die Verantwortung hohe Berufungsquote von Nachwuchswis-
und Schulden für den Wiederaufbau und senschaftlern der beiden Einrichtungen
die Erweiterung des neuen Schlosses El- auf Professuren bestätigt die besondere
mau sind eine ganz reale Größe, die dort Qualität der beiden Einrichtungen und
geschaffenen Werte heute allenfalls fiktiv. zeigt, dass Ihre These – jedenfalls was die
Von den genannten Millionären und Mil- Qualität der Mathematik an der TU Ber-
liardären bin ich in vielerlei Hinsicht weit lin angeht – falsch ist.
entfernt. Schloss Elmau ist weder ein PROF. DR. DR. H. C. KURT KUTZLER, BERLIN
Reich der Reichen, noch sind meine sechs
Kinder in einem Bewusstsein von Armut
oder Luxus groß geworden. Reichtum ist Nr. 9/2012, Die Shopping-Reise der CSU-
keine Frage des Geldes, sondern eine der Bundestagsabgeordneten Dagmar Wöhrl
Ideen und des Vertrauens.
DIETMAR MÜLLER-ELMAU, ELMAU (BAYERN)
Entschuldigung, Burma
Nr. 9/2012, Die Universitäten drohen
im Kampf gegen abgekupferte Doktor-
arbeiten zu scheitern
Erheblicher Schaden
Es geht letztendlich um mehr als um Tür-
schilder, weil solche „Plagiats-Doktoren“
THOMAS IMO
als Politiker und Ministerialbeamte
durchaus einen erheblichen Schaden an-
richten können, indem sie ihre Vorstel- Abgeordnete Wöhrl
lung von „Forschung“ bei ihrer Arbeit
anwenden. Können Plagiatsjäger die Wis- Dagmar Wöhrl, Juristin und Mitglied ei-
senschaft retten? Das Zitieren ist ja nicht ner Christlichen Union, offenbart mit ih-
das Problem. Bei einer Dissertation müss- rem peinlichen Auftreten einen Charak-
te es eigentlich um das Darstellen von ter, der keine Verwendung in öffentlichen
Forschungsergebnissen gehen. Etwas Ämtern zulässt. Wenn so ein Verhalten
Neues muss erarbeitet, gut begründet und auch noch von Dirk Niebel geduldet oder
belegt werden. Der Doktorvater soll die unterstützt wird, sollte das Ministerium
Arbeit betreuen, nicht nur lesen. auf den Prüfstand gestellt werden.
JIRI SOBOTA, KRONBERG (HESSEN) HARTMUT KAMIN, NEUENKIRCHEN (MECKL.-VORP.)
Im Kampf gegen Plagiate im Wissen- Als Vorsitzende des Entwicklungsaus-
schaftsbetrieb werden die Universitäten schusses ist Wöhrl wohl fehl am Platz. Ihr
signifikante Erfolge erzielen, wenn die Auftreten in Rangun spottet jeder Be-
Professoren die Betreuung ihrer Dokto- schreibung. Es ist eine Unverschämtheit
randen und damit die zwischen ihnen be- von ihr, wenn sie sagt, dass die Opposi-
stehende Forschungsbeziehung deutlich tionsführerin Aung San Suu Kyi jahrelang
intensivieren. keinen Stress hatte. Die CSU-Abgeordne-
HOLGER PILLAU, BERLIN te hat keine Ahnung, wie es San Suu Kyi
ergangen ist, als diese 15 Jahre lang den
Hausarrest hat ertragen müssen.
MATTHIAS SCHWARZ, SULZBACH-ROSENBERG
PETER ENDIG / PICTURE ALLIANCE / DPA
Ich entschuldige mich beim burmesischen
Volk für den Auftritt von Frau Wöhrl und
lege ihr nahe, von ihren Ämtern zurück-
zutreten. Weiterhin sollte Bundestagsprä-
sident Lammert ihre Eignung als Volks-
vertreterin überprüfen und nach diesem
Vorfall von ihr eine Entschuldigung beim
burmesischen Botschafter verlangen.
Hochschulabsolventen in Leipzig 2011 HELMUT SCHWARZ, KANDERN (BAD.-WÜRTT.)
10 D E R S P I E G E L 1 1 / 2 0 1 2
11.
12. Briefe
Nr. 10/2012, SPIEGEL-Gespräch mit dem viele Sympathien. Mit dem gefassten Ent-
Kunstfälscher Wolfgang Beltracchi und schluss, seine „eigene Kunst“ zu machen,
dessen Frau Helene hat Herr Beltracchi sich auf eine lange
Reise begeben. Mal sehen, wohin sie
Klammheimliche Freude führt. Seine Frau stellt im Interview etwas
naiv die Frage: „Sind Pinsel Waffen?“ Ja,
Ihr Interview mit den Beltracchis bescher- Pinsel können Waffen sein.
te mir einen angenehmen Zustand be- CHRISTIAN HÜBNER, MÜNCHEN
schwingter Heiterkeit, der mehrere Tage
anhielt. Lange nicht mehr so gelacht –
ganz famos! Wie sagte Frank Zappa doch
so schön: „Art is making something out
of nothing and selling it“ (Kunst ist, aus
nichts etwas zu machen und es zu ver-
kaufen –Red.).
THOMAS BUSCH, HEINSBERG (NRW)
Mon dieu, wer möchte beim Lesen nicht
gern mit Beltracchis Leben tauschen?
Dem bigotten Kunstmarkt eine Nase dre-
hen, auf einem Amsterdamer Hausboot
leben oder im Wohnmobil durch Asien
abhängen oder eben auch am Millionen-
pool in Freiburg liegen und den französi-
schen Wein von der eigenen Propriété vi-
ticole dekantieren. Nur in den Knast ge-
hen – das ist dann doch ein bisschen zu
viel. Andererseits beweist es: In seinen
Handlungen war Beltracchi ein Fälscher,
in seinem Innersten ist er aber absolut
MANFRED ESSER
authentisch – eben ein echter Beltracchi!
DR. UWE GRANZOW, FREIBURG I. B.
Ihre bisherige Berichterstattung über die Beltracchi-Kunstwerk „14 Fälschungen“
Beltracchi-Bande hat uns beeindruckt.
Umso befremdlicher ist es, dass W. Bel- Chapeau, Herr Beltracchi! Wenn in dieser
tracchi nun die Gelegenheit erhält, seine Gesellschaft, die meist nach Schein und
Selbstgefälligkeit in so epischer Breite Preis, nicht nach Wert (be)handelt und
darzustellen. Widersprechen müssen wir dadurch in Mediokrität versinkt, viel-
dem Artikel, wenn Beltracchi als unser leicht das Prädikat „genial“ zu vergeben
Geschäftspartner dargestellt wird. Wir wäre, dann gebührte es ohne Abstrich Ih-
kennen Beltracchi nur aus den Medien nen. Sie werden noch deutliche Marken
und dem Gerichtssaal, zu keiner Zeit be- in der Malerei setzen.
stand Kontakt zu ihm. Die Schwestern H. STEPHAN MEHLE, WARTHAUSEN
Beltracchi und J. Spurzem hatten die Exis- (BAD.-WÜRTT.)
tenz eines (malenden) Ehemannes wohl-
weislich verschwiegen. Es ist falsch, wenn Der Kunstmarkt ist entsetzt, und ich emp-
der Fälscher behauptet, vor der Auktion finde so etwas wie klammheimliche Freu-
eine Expertise bestellt zu haben. Wir ha- de. Sieger ist wieder einmal die Gier,
ben natürlich vor der Aufnahme des Ge- nicht die Kunst.
mäldes in den Katalog externen Exper- HARTMUT NEUMANN, AACHEN
tenrat eingeholt und den Sohn von Hein-
rich Campendonk konsultiert; dieser war Dank medialer Sensationsgier ist es der
von der Echtheit des Bildes überzeugt. betrogenen und blamierten Kunstwelt ge-
Nach der Auktion hat die Werkverzeich- lungen, nicht als totaler Verlierer dazu-
nisbearbeiterin in Kenntnis eines Mate- stehen: Ein „echter“ Wolfgang Beltracchi
rialgutachtens ihre Expertise erstellt. dürfte sich mittlerweile gut verkaufen
HENRIK HANSTEIN, KÖLN lassen. Schade nur, dass Bilder auch wei-
KUNSTHAUS LEMPERTZ terhin nicht um ihrer Schönheit willen ge-
liebt werden!
Die Mechanismen des Kunstmarkts sind ROCHUS LAYRITZ
sehr zutreffend beschrieben. Kaufent- NEUMARKT-ST. VEIT (BAYERN)
scheidungen werden häufig getrieben
durch Sehnsucht nach Status – die Unsi- Die Redaktion behält sich vor, Leserbriefe – bitte mit
Anschrift und Telefonnummer – gekürzt und auch elek-
cherheit, eine eigene Entscheidung zu tronisch zu veröffentlichen. Die E-Mail-Anschrift lautet:
treffen, ist groß. Insofern hat das Ehepaar leserbriefe@spiegel.de
Beltracchi durchaus in künstlerischer Wei-
se dem Markt einen Spiegel vorgehalten In der Gesamtauflage befindet sich im Mittelbund ein
und findet wahrscheinlich deswegen auch vierseitiger Beihefter der Firma Dt. Telekom, Bonn.
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13.
14.
15. Panorama Deutschland
Handelssaal der Frankfurter Börse
ULRICH BAUMGARTEN / VARIO IMAGES
TRANSAKTIONSTEUER
stände zu überwinden“. Schäuble lässt sein Ministerium des-
halb einen eigenen Vorschlag für eine Finanztransaktionsteuer
Große Lösung ausarbeiten. Seine Steuerabteilung wies er an, eine große Lö-
sung anzustreben. Die neue Abgabe soll nach Schäubles Vor-
gabe alle Umsätze auf Finanzgeschäfte belasten, Aktien- und
Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) und acht Anleiheverkäufe, Währungsgeschäfte sowie sämtliche Deri-
seiner europäischen Kollegen forcieren eine Steuer auf Fi- vate darauf. Gleichzeitig sollen die Vorschläge einfacher und
nanzprodukte. „Wir sind davon überzeugt, dass eine Finanz- praktikabler sein als die Überlegungen der EU-Kommission,
transaktionsteuer auf europäischer Ebene eingeführt werden die vergangenes Jahr ein Konzept vorlegte. Unterdessen
sollte“, schreiben sie in einem Brief an die dä- wächst der parteiinterne Druck auf die SPD-
nische Finanzministerin Margrethe Vestager. Spitze, dem geplanten EU-Fiskalpakt nur zu-
Dänemark hat derzeit die EU-Ratspräsident- zustimmen, wenn sich die Bundesregierung
schaft inne. Um eine rasche Entscheidung zu auf eine Finanztransaktionsteuer festlege. Die
erreichen, „würden wir es begrüßen, wenn die Jusos fordern den SPD-Vorstand auf, beide Fra-
Präsidentschaft den Verhandlungsprozess be- gen miteinander zu verknüpfen. „Solange die
schleunigt“, drängen die Unterzeichner, neben Finanztransaktionsteuer blockiert wird, kann
Schäuble unter anderem Frankreichs Finanz- die SPD einem Fiskalpakt nicht zustimmen“,
minister François Baroin und Italiens Minis- heißt es in einem Beschluss des Juso-Bundes-
POLARIS / LAIF
terpräsident Mario Monti, der zugleich Finanz- vorstands. „Impulse für Wachstum und Be-
minister ist. Bis Mitte des Jahres sollte der Pro- schäftigung können aus einer Spekulationsteu-
zess abgeschlossen und Kompromissvorschlä- er finanziert werden“, sagt etwa Ralf Stegner,
ge sollten erörtert werden, „um alle Wider- Schäuble SPD-Fraktionschef in Schleswig-Holstein.
RÜSTUNG
nach will die Luftwaffe im nächsten Luftwaffe nicht plant, den „Euro-
Jahrzehnt den Fliegerhorst Büchel in fighter“ für Nuklearwaffeneinsätze zu-
Abzug der Atomwaffen Rheinland-Pfalz aufgeben, auf dem die
Atombomben derzeit lagern; von den
zulassen, zöge sich die Bundesrepublik
aus der praktischen Umsetzung der so-
Die Bundesregierung rechnet offenbar dort stationierten deutschen „Tornado“- genannten nuklearen Teilhabe in der
mit einem Abzug der amerikanischen Kampfflugzeugen sollen die Bomben Nato zurück. „Die Bundesregierung
Atomwaffen aus Deutschland. Dies im Kriegsfall getragen werden. Das richtet ihre Planung endlich darauf aus,
geht nach Angaben des Verteidigungs- Bücheler „Tornado“-Geschwader soll dass der sogenannte Sonderwaffenein-
experten der SPD, Hans-Peter Bartels, durch ein „Eurofighter“-Geschwader er- satz in Zukunft nicht mehr zu den Auf-
aus Bundeswehr-Unterlagen über die setzt werden, das im niedersächsischen gaben der Bundeswehr gehört“, sagt
neue Luftwaffenstruktur hervor. Dem- Wittmund stationiert wird. Weil die Bartels.
D E R S P I E G E L 1 1 / 2 0 1 2 15
16. Panorama
PA R T E I E N
Teure Linke
Die Mitgliedschaft bei der Linken ist
eine kostspielige Angelegenheit: Wäh-
rend die Mitglieder ihrer Partei im
Schnitt 135,58 Euro im Jahr überwei-
sen, zahlen jene von CDU und vor al-
lem CSU deutlich niedrigere Beiträge.
Das geht aus den neuen Rechen-
schaftsberichten der sechs Bundestags-
parteien für das Jahr 2010 hervor. Teilt
man die Summe der Beiträge durch
die Mitgliederzahl, bilden die Christ-
sozialen mit 59,58 Euro pro Mitglied
das Schlusslicht (siehe Grafik). Mit-
glieder der Linken unterstützen ihre
Partei durchschnittlich mit mehr als
der doppelten Summe.
Beitragszahlungen
WOLFGANG KUMM / DPA
Jahresdurchschnitt je Parteimitglied in Euro
Quelle: Rechenschaftsberichte 2010 der Parteien
150
Seehofer, Wulff, de Maizière, Generalinspekteur Wieker bei Großem Zapfenstreich
Die Linke120 135,58
Grüne90 124,38
BUNDESPRÄSIDENT
60
FDP 116,89
SPD
30
0
91,07 Begrenzter Luxus
CDU 80,99 Die Union will Ex-Bundespräsident Christian Wulff ein Büro nur zeitlich begrenzt
auf Staatskosten zugestehen. „Die Amtsausstattung sollte dann enden, wenn Wulff
CSU 59,58 wieder eine entgeltliche Tätigkeit aufnimmt“, sagt der für den Etat des Bundes-
präsidialamts zuständige Haushaltspolitiker Herbert Frankenhauser (CSU). Diese
Einschränkung solle für alle künftigen Präsidenten gleichermaßen gelten. Die Op-
position will Wulff erst gar kein Büro samt Sekretärin und Fahrer zugestehen. Er
ZAHL DER WOCHE habe dem höchsten Amt im Staat schweren Schaden zugefügt, sagt der SPD-Chef-
haushälter Carsten Schneider, „eine Gleichbehandlung mit seinen Amtsvorgängern
halte ich nicht für akzeptabel“. Das Bundespräsidialamt, das im Haushaltsausschuss
Nur 42 % die Ausstattung beantragen muss, versucht derweil, die Kosten niedrig zu halten –
und Wulffs künftiges Büro in einer bundeseigenen Liegenschaft unterzubringen,
um Miete zu sparen.
der Summe, die Union und FDP im
Bundeshaushalt 2011 einsparen woll-
ten, wurden tatsächlich nicht ausge-
geben. Wie aus Berechnungen des In-
stituts der deutschen Wirtschaft her- ENTFÜHRUNGEN
nem Bekunden gehören die Kidnapper
vorgeht, kamen lediglich 4,7 der 11,2 zum Stamm der Afar und hatten die
Deutschen im Januar in der Danakil-
Milliarden Euro zusammen, die im so-
genannten Sparpaket veranschlagt
waren. Auch für 2012 liegt die Regie-
Druck statt Geld Wüste verschleppt. Eine Delegation
äthiopischer Stammesältester bewegte
rung hinter ihrem Plan zurück: Von Die beiden deutschen Geiseln, die in die Afar nun zur Freilassung der Gei-
den ursprünglich vorgesehenen Ein- Äthiopien entführt waren, sind offen- seln. Den beiden Deutschen geht es
sparungen in Höhe von 19,1 Milliar- bar durch diplomatische Bemühungen den Umständen entsprechend gut. Zu-
den Euro ist nicht einmal die Hälfte der Bundesregierung freigekommen – gespitzt hat sich dagegen die Lage ei-
umgesetzt. Für das kommende Jahr und anders als bei vielen Entführun- nes entführten deutschen Ingenieurs in
decken die konkreten Maßnahmen, gen ohne Lösegeldzahlung. Der Kri- Nordnigeria. Bei einer missglückten
die bisher beschlossen wurden, so- senstab im Auswärtigen Amt hatte pa- Befreiungsaktion nigerianischer und
gar nur ein Drittel des avisierten rallel mit dem Diktator Eritreas, Isayas britischer Spezialkräfte am vergange-
Sparvolumens ab. Die Eckwerte für Afewerki, sowie äthiopischen Stam- nen Donnerstag kamen in dem Land
den Haushalt 2013 will das Kabinett mesältesten verhandelt, die jeweils zwei Geiseln ums Leben. Von dem
noch im März verabschieden. versprochen hatten, Emissäre zu den Deutschen, der in Kano auf der Straße
Entführern zu entsenden. Nach eige- entführt worden war, fehlt jede Spur.
16 D E R S P I E G E L 1 1 / 2 0 1 2
17. Deutschland
Fremdschämen BUNDESVERSAMM LUNG
KOMMENTAR: Von Klaus Brinkbäumer NPD ohne Platz
Ein Mensch, der einem Wankenden in immer härter nachtritt? „Der Unersättli- Die Bundestagsparteien streiten
den Rücken sticht, einen Fallenden che“, so heißt es nun, und natürlich: darüber, wo die Vertreter der
schubst, auf einen Liegenden tritt, ein „Das Volk … hat recht.“ rechtsextremen NPD in der Bun-
solcher Mensch ist uns allen zuwider. Man kann jeden Text über Wulff mit desversammlung Platz finden sol-
Doch was, wenn sich eine Gesellschaft Worten wie „ja, aber“ doppelbödig aus- len. Bei der letzten Präsidenten-
oder der hörbare Teil einer Gesellschaft statten, mit Anmerkungen über Gier wahl hatten die NPD-Vertreter hin-
so verhält? Was also sagen die Wochen und Ehrensold oder dem Fazit „selber ter den Grünen gesessen. Eine sol-
seit dem Rücktritt Christian Wulffs über schuld“, weil es richtig bleibt: Medien che Platzierung der drei NPD-
das Land aus? haben Wulff nicht gejagt, sondern eine Wahlmänner wollen die Grünen
Es ist ein Unterschied, ob investigative Affäre recherchiert; Wulff ist nicht ele- diesmal nicht akzeptieren, weil sie
Journalisten den Lügen eines amtieren- gant zurückgetreten; und das Militaristi- eine Angehörige eines Opfers der
den Politikers und diversen Indizien sche dieses Zapfenstreichs wirkte nord- rechten Terrorzelle „Nationalso-
nachgehen und dann, begründet, den koreanisch. zialistischer Untergrund“ unter ih-
Charakter dieses Politikers hinterfragen Doch geht es darum noch? ren Wahlleuten haben. Auch CDU
– oder ob eine Meute über einen Zu- Man muss auch nicht biblisch werden und CSU wollen Nähe zur NPD
rückgetretenen herfällt mit Worten, mit und vom ersten Stein reden, doch wie vermeiden. Unter ihren Wahlleu-
Lärm, mit Lust und Hass. Es ist schon viele der wütenden Gnadenlosen wür- ten befindet sich Mevlüde Genç,
deshalb ein Unterschied, weil ein Politi- den eigentlich auf Dinge verzichten, die die 1993 beim fremdenfeindlichen
ker, der im Amt ist, eine gewisse Härte ihnen juristisch zustehen, mag auch das Brandanschlag in Solingen mehre-
verdient, da sich mit seinem Amt Privi- Gesetz, das ihnen ihr Recht gibt, gro- re Angehörige verloren hatte. Auf
legien und Ansprüche verbinden. Ein tesk sein? eine Vorstellung der Kandidaten
ehemaliger Politiker, der am Boden Für jene, die keine Möglichkeit haben, zu Beginn der Wahl solle verzich-
liegt, verdient Milde. Und manchmal selbst zu recherchieren, sollte es genü- tet werden, so eine Überlegung im
Mitleid. gen, sich den zurückgetretenen Wulff in Ältestenrat, damit sich der NPD-
Was also bedeuten die Vuvuzelas wäh- seinem Haus in Großburgwedel vorzu- Kandidat, der Historiker Olaf
rend des Zapfenstreichs, und was bedeu- stellen. Wie sich das alles aus seiner Per- Rose, nicht präsentieren könne.
tet diese Wut jener Demonstranten, die spektive anfühlen mag. Wie er wohl
nicht in der Lage waren zu erklären, weiterleben wird. Wie er langsam ver-
wieso sie demonstrierten? „Es ist ... na steht, dass er, 52 Jahre alt, womöglich
ja ... ick weeß ooch nich … eine Schan- nie wieder arbeiten und nicht mal mehr
de eben“, so redeten sie, und nicht zum ein Buch schreiben kann, das irgendwer
ersten Mal in den Monaten der Wulff- lesen wollte. Und wer Gelegenheit zur
Affäre schämte man sich nicht mehr für Recherche hat, wer Wulffs Vertraute fra-
Wulff. Denn was will ein Kommentator gen kann, der hört: Sie sorgen sich um
MICHAEL KAPPELER / DAPD
wie Hans-Ulrich Jörges vom „Stern“ Wulff. Es gehe ihm nicht gut.
wirklich sagen, der Wulff wochenlang Jede Gemeinschaft und darum auch
verteidigte und dann, als deutlich wur- jede Gesellschaft sollte eine tolerante
de, dass Wulff gehen musste, die Mei- Gemeinschaft sein wollen. Eine, die
nung wechselte und immer noch und nicht vergisst, was Empathie ist.
Plenarsaal vor Bundesversammlung
GRÜNE
mit persönlichen Kandidaturen ver- enquote unterstreiche. Der NRW-Lan-
knüpfen.“ Eveline Lemke, grüne Wirt- desvorsitzende Sven Lehmann bemän-
schaftsministerin von Rheinland-Pfalz, gelt „mangelndes Teamwork“ in der
„Weitgehend wurscht“ begrüßt Roths Vorstoß dagegen als
„richtige Botschaft in die Parteifami-
Grünen-Führung – die Mitglieder soll-
ten per Urabstimmung die Spitzenkan-
Nach der Kandidatur der Parteivorsit- lie“, weil sie die Bedeutung der Frau- didaten bestimmen: „Wenn vier sich
zenden Claudia Roth für eine führen- streiten, freut sich die Basis.“ Der hes-
de Position im Bundestagswahlkampf sische Partei- und Fraktionschef Tarek
ist bei den Grünen heftiger Zank aus- Al-Wazir dagegen hält eine Basisbefra-
gebrochen. Roth hatte eine männliche gung für ein „Zeichen von Schwäche“
Einzelspitze unter Hinweis auf die und sagt: „Wir sind hier nicht bei einer
Frauenquote abgelehnt und zugleich Casting-Show.“ Der schleswig-holstei-
ihre Kandidatur angemeldet. Ekin De- nische Fraktionschef Robert Habeck
ligöz, stellvertretende Vorsitzende der wiederum zeigt sich von der Debatte
Bundestagsfraktion, kritisiert die Par- genervt: Den Wählern der Grünen sei
teichefin: „Die Quote verteidigen wir es „weitgehend wurscht, wer an der
Frauen besser nicht damit, dass wir sie Roth auf Plakat der Grünen Spitze der Partei steht“.
D E R S P I E G E L 1 1 / 2 0 1 2 17
18. Deutschland Panorama
SPIEGEL: Welche Folgen hat der Krach? empfiehlt etwa in der Nacht Grenz-
Flasbarth: Lärm ist das am stärksten un- werte von 40 Dezibel, in Deutschland
terschätzte Umweltproblem in gelten deutlich höhere Werte.
Deutschland. Wir wissen durch eine SPIEGEL: Das Meeresrauschen im Ur-
Reihe von Studien definitiv, dass er – laub stört nicht, aber wenn zu Hause
gerade wenn er nachts auftritt – die in gleicher Lautstärke Autos vorbeirau-
Gesundheit schädigt. schen, steigt der Blutdruck?
SPIEGEL: Wer an der Schnellstraße oder Flasbarth: Lärm ist eben mehr als nur
in der Einflugschneise lebt, stirbt eher? Geräusch. Der Mensch bewertet Ge-
MARC DARCHINGER
Flasbarth: Er hat ein höheres Risiko. räusche unterschiedlich. Wenn er den
Hinzu kommt auch ein ökonomischer Eindruck hat, diese wären vermeidbar
Flasbarth Aspekt: Auf europäischer Ebene rech- oder werden sogar absichtlich erzeugt,
net man mit Kosten durch Verkehrs- stören sie ihn viel mehr als Geräusche,
lärm in Höhe von 40 Milliarden Euro die er als neutral einstuft.
U M W E LT
pro Jahr, unter anderem durch Ge- SPIEGEL: Das Bundesverwaltungs-
sundheitsschäden. Allein im Raum gericht verhandelt in dieser Woche
Frankfurt werden nach unseren Schät- über ein Flugverbot in Frankfurt
„Höheres Risiko“ zungen in den nächsten zehn Jahren
durch Fluglärm zusätzliche Kosten von
nachts zwischen 23 und 5 Uhr. Reicht
ein solches Verbot aus?
Der Präsident des Umweltbundesamts, etwa 400 Millionen Euro nur für die Flasbarth: Erwachsene brauchen nach
Jochen Flasbarth, 49, über den Krach Behandlung von Herz-Kreislauf-Pa- Empfehlungen der WHO 7,5 bis 8
durch Autos, Flugzeuge und Züge tienten entstehen. Stunden Schlaf, Kinder deutlich mehr.
SPIEGEL: Es gibt gesetzliche Grenzwer- Deshalb halten wir für stadtnahe Flug-
SPIEGEL: In Frankfurt am Main de- te gegen unzumutbare Belastungen. häfen Nachtflugverbote in der Zeit
monstrieren jede Woche Tausende ge- Flasbarth: Die Werte reichen nicht aus, von 22 bis 6 Uhr für notwendig.
gen Fluglärm, andernorts protestieren die Belastung ist deutlich zu hoch. Die SPIEGEL: Das sei völlig unrealistisch,
die Bürger gegen Güterzüge oder neue Weltgesundheitsorganisation (WHO) meint die Luftverkehrswirtschaft.
Umgehungsstraßen. Ist die Belastung Flasbarth: Eine führende Wirtschafts-
durch Verkehrslärm in Deutschland nation wie Deutschland wird wohl
gestiegen – oder sind die Menschen Lästiger Lärm nicht ganz ohne Nachtflüge auskom-
empfindlicher geworden? Wodurch sich die Deutschen men. Die Frage ist aber, ob die überall
Flasbarth: Beides. Trotz technischer am meisten gestört fühlen stattfinden müssen. Deshalb brauchen
Verbesserungen an Autos, Zügen und wir dringend eine nationale Flugver-
Flugzeugen wächst der Lärm allein Straßenverkehr 55% kehrsplanung. Derzeit wird ein unseli-
durch die Zunahme des Verkehrs. ger Standortwettbewerb zwischen den
Gleichzeitig nimmt das Umwelt- und Nachbarschaft 37 % Flughäfen auf dem Rücken der Bevöl-
Gesundheitsbewusstsein der Men- Flugverkehr 29 % kerung ausgetragen. Viel vernünftiger
schen zu. Nach unseren Umfragen füh- wäre es doch, wenn sich alle Beteilig-
len sich 55 Prozent der Deutschen Industrie 28 % ten einigen, dass Verkehr, der unver-
durch Straßenlärm belästigt. Bei Flug- meidlich ist, nur noch dort abgewi-
Schienenverkehr 22 %
lärm ist es jeder Dritte, bei Schienen- ckelt wird, wo er am wenigsten Proble-
lärm jeder Fünfte. Quelle: Umweltbundesamt 2010 me bereitet.
AT O M E N E R G I E
Der Rückbau der Anlagen könnte sich produzieren, weil die Genehmigung
auch deswegen verzögern, weil Behäl- fehlt, wie die Firma bestätigte. Die Zu-
ter für nicht mehr benötigten Kern- lassung wird nicht vor Ende 2013 er-
Rückbau verzögert sich brennstoff fehlen. So kann die Firma
GNS derzeit keine Castoren für Brenn-
wartet. Für die Lagerung nicht voll-
ständig abgebrannter oder beschädig-
Ein Jahr nach dem endgültigen Aus elemente aus Siedewasserreaktoren ter Brennelemente gibt es nicht einmal
für acht Atomreaktoren in Deutsch- ein Genehmigungsverfahren.
land ist unklar, wann und wie die An- Schon heute führt der Castor-
lagen abgebaut werden sollen. Derzeit Engpass zu Problemen: Im still-
liegt noch keiner Aufsichtsbehörde ei- gelegten Kraftwerk Brunsbüttel
nes Bundeslands ein Antrag auf Still- in Schleswig-Holstein können
legung nach dem Atomgesetz vor. Das abgekühlte Brennelemente
ergibt sich aus einer Umfrage der nicht in einem sicheren Zwi-
atompolitischen Sprecherin der Grü- schenlager untergebracht wer-
nen im Bundestag, Sylvia Kotting-Uhl, den. Die alten Brennstäbe müs-
unter den betroffenen Ländern. Exper- sen vorübergehend im Reaktor-
ten vermuten, dass die Betreiber keine druckbehälter lagern. Vorige
Fakten schaffen wollen, bevor über Woche sorgte das Atomkraft-
PATRICK LUX
ihre Schadensersatzforderungen ent- werk für Schlagzeilen, weil in
schieden ist, die sie wegen des Atom- einer Kaverne ein Atommüll-
ausstiegs gegen den Bund erheben. Kraftwerk Brunsbüttel fass völlig verrostet war.
18 D E R S P I E G E L 1 1 / 2 0 1 2
19.
20. Deutschland
AU S S E N P O L I T I K
Spiel auf Zeit
Die Europäer haben eine Schlüsselrolle im Konflikt
mit Iran: Sie sollen Teheran vom Atomkurs abbringen,
um einen Krieg zu verhindern. Die bislang glücklose
EU-Außenbeauftragte Ashton leitet die Verhandlungen.
A
ls Catherine Margaret Ashton, Ba- Westen keinen Misserfolg erlauben. Ein
roness of Upholland, vor zwei Jah- Scheitern bedeutet wohl Krieg.
ren zur europäischen Außenminis- Der israelische Ministerpräsident Ben-
terin ernannt wurde, registrierte selbst jamin Netanjahu hat in der vergangenen
ihr Ehemann die Skepsis. Das Volk habe Woche bei seinem Besuch in Washington
bei der Nominierung seiner Frau „nicht keinen Zweifel daran gelassen, dass er
gerade auf den Straßen getanzt“, räumte Iran mit allen Mitteln am Bau einer Atom-
Peter Kellner, der Chef des bekannten bombe hindern will. Auch mit militäri-
Umfrageinstituts YouGov, ein. Nach ei- scher Gewalt.
nem wenig verheißungsvollen Start be- Obama setzt wie die Europäer darauf,
wegte sich Ashtons Reputation weiter in dass Verhandlungen und Sanktionen Te-
eine Richtung: nach unten. heran möglicherweise doch zum Umden-
Nach anderthalb Jahren war die Bilanz ken bewegen. Er hat aber zugleich klar-
der ersten Hohen Vertreterin für die Au- gemacht, dass er Israel unterstützen wer-
ßen- und Sicherheitspolitik der EU so de, wenn eine iranische Atombombe sich
dürftig, dass offen über ihre Ablösung nur durch einen Angriff verhindern lässt.
nachgedacht wurde. „Langsam läuft die „Ich mache keine Eindämmungspolitik“,
Zeit ab“, warnte Elmar Brok, der außen- sagt Obama.
politische Experte der CDU im Europa- Damit liegt es jetzt an den Europäern,
parlament. Der liberale Fraktionschef einen Krieg in einer Region zu verhin-
Guy Verhofstadt nannte Ashtons Politik dern, deren Ölvorräte der Treibstoff der
schlicht „lächerlich“. Weltwirtschaft sind. In der „internatio-
Die Britin mit dem „Charisma eines nalen Kontaktgruppe“ sind zwar neben
Campingplatzes auf der Insel Sheppey“ Deutschen, Briten, Franzosen und Ame-
(der britische Journalist Rod Liddle) er- rikanern auch Russen und Chinesen ver-
trug die Vorwürfe klaglos. Wenn sie kri- treten. Die Regie liegt aber bei Ashton,
tisiert wurde, machte sie brav Notizen. weil Peking und Moskau bremsen und Außenpolitikerin Ashton, Bundeskanzlerin Merkel,
Gern las sie vorbereitete Statements ab. Obama wegen der bevorstehenden Prä-
Ihre Stärke sei die Arbeit hinter den Ku- sidentschaftswahl nicht frei handeln
lissen, behauptete sie. „Ich bin kein wan- kann.
delndes Ego, aber verhandeln kann ich.“ Die Europäer sind in einem Punkt ka-
In den kommenden Monaten kann tegorisch: Sie lehnen eine militärische Lö-
Ashton beweisen, ob das stimmt. Die sung ab. Ein Krieg könnte die ganze Re-
Außenbeauftragte hat das derzeit schwie- gion ins Chaos stürzen, fürchten sie. Zu-
rigste Mandat in der internationalen dem würden Militärschläge den Bau einer
Politik inne. Sie soll mit Iran über das Bombe allenfalls verzögern, aber nicht
umstrittene Atomprogramm verhandeln. verhindern, heißt es im Berliner Auswär-
Im Westen zweifelt kaum jemand dar- tigen Amt. Aber was ist, wenn Iran wie
an, dass die Führung in Teheran zumin- so oft in der Vergangenheit, nur auf Zeit
dest die Fähigkeit zum Bau einer Bombe spielt, um sein Nuklearprogramm unge-
erwerben will. Das würde die Machtba- stört vorantreiben zu können?
lance in einer der explosivsten Regionen Die Frau, die für die Kontaktgruppe
der Welt verändern und vermutlich ein die Gespräche vorbereiten soll, ist eine
atomares Wettrüsten auslösen. Ashton Deutsche. Helga Schmid, 51, frühere Bü-
muss Poker mit einem hohen Einsatz spie- roleiterin des damaligen Außenministers
len. Gibt es eine Chance, Iran noch von Joschka Fischer und seit über einem Jahr
seinen Atomplänen abzubringen? stellvertretende Generalsekretärin des
Es gab schon vorher Verhandlungen, Auswärtigen Dienstes der EU. Die Diplo-
die alle am Unwillen Irans scheiterten. matin genießt nicht nur das Vertrauen
Das Land wollte an seinem Atompro- Ashtons. Auch die Bundeskanzlerin un-
gramm festhalten. Diesmal kann sich der terstützt sie.
20 D E R S P I E G E L 1 1 / 2 0 1 2
21. Bereits in dieser Woche könnte sich
Schmid mit Ali Bagheri, dem stellvertre-
tenden Verhandlungsführer Teherans,
treffen. Das hat sie dem Iraner angeboten.
Schmid und Bagheri haben in den ver-
gangenen Wochen regelmäßig miteinan-
der telefoniert. Es wäre der erste offizielle
Kontakt seit dem Scheitern der letzten
Verhandlungen im Januar 2011. Ein Tref-
fen soll in Genf oder Wien stattfinden.
Die Verantwortlichen in Berlin und
Brüssel spielen auf Zeit. Die Bundesre-
gierung hat nach Gesprächen mit israeli-
schen Regierungsvertretern in der ver-
gangenen Woche den Eindruck gewon-
nen, dass Netanjahu nach den Zusiche-
rungen Obamas keinen schnellen Angriff
plant. Nach israelischen Medienberichten
hat der US-Präsident den Israelis zuge-
sagt, bunkerbrechende Munition zu lie-
fern, wenn Israel in diesem Jahr nicht an-
greift. Israel könnte iranische Anlagen
damit selbst dann attackieren, wenn sie
in tiefere Bunker verlegt werden sollten.
Die Israelis dementieren den Deal aller-
dings.
Aus Sicht von Deutschen, Briten und
Franzosen wäre ein solches Abkommen
gut, denn damit wäre etwas Zeit gewon-
nen. Und Zeit ist in Krisen ein wertvolles
Gut. Deshalb soll es, so die Planung, eine
Serie von Gesprächen zwischen Ashton
und dem iranischen Chefunterhändler
Said Dschalili geben, die sich über meh-
rere Monate hinziehen könnten.
Offiziell fordert Ashton die iranische
Führung auf, ernsthaft zu verhandeln.
„Wir wollen keine Gespräche um der Ge-
spräche willen“, sagte sie dem SPIEGEL.
„Wir brauchen greifbare Fortschritte.“
Doch in Wahrheit hoffen die Europäer
darauf, bis über die amerikanische Präsi-
REUTERS
dentschaftswahl im November hinaus zu
verhandeln. Würde Obama wiederge-
Irans Präsident Ahmadinedschad: Angst vor Chaos in der Region wählt, müsste er weniger Rücksicht auf
seine republikanischen Gegner und die
einflussreiche Israel-Lobby nehmen. Der
US-Präsident, der ebenfalls keinen An-
griff auf Iran will, könnte dann mehr
Druck auf Netanjahu ausüben.
Neben der Strategie für die Gespräche
hat man in den europäischen Hauptstäd-
ten auch erste inhaltliche Punkte verein-
bart, die den Iranern einen Deal schmack-
haft machen sollen. Bislang hat Teheran
alle Avancen zurückgewiesen.
Dabei geht es ausgerechnet um das
Atomkraftwerk von Buschehr. Die Anla-
ge ist technisch nicht auf dem neuesten
Stand, die Anfänge stammen noch aus
der Zeit vor der Islamischen Revolution.
Nach der Atomkatastrophe von Fukushi-
ma wachsen die Sorgen der Golfanrainer,
ABEDIN TAHERKENAREH / DPA
aber auch der Iraner, dass das Kraftwerk
nicht sicher sei. Die Europäer wollen Iran
daher in den Verhandlungen anbieten,
den Reaktor technisch aufzurüsten.
Außerdem will der Westen Teheran
versprechen, Iran politisch und wirtschaft-
D E R S P I E G E L 1 1 / 2 0 1 2 21