Best Practice der Kundenbindung mit Bank-Mehrwertkarte
Brand Management: Archive opend w&v 1987
1. 76 FALLSTUDIE M'tCr Nr. 42/16. Oktober 1987
rern bestens zu gefallen: Ihr
Entzücken ob der nackten
Tatsachen, die die Karossen und
Pneus so hübsch garnierten,
schlug sich in massierter
Kauflust nieder: Der damalige
Veith-Pirelli-Ver-kaufsdirektor
Hans Schiller konnte vergnügt
seinem Vorstand „eine
überdurchschnittliche
Umsatzsteigerung des Ersatz-
Geschäftes gegenüber der
übrigen Branche“ vermelden.
Ausgeheckt hatte die damals
atemberaubende und
Moralaposteln so sauer
aufstoßende Werbelinie der
Reutlinger Agenturchef Dr.
Hans-Günter Hubberten bereits
1963, und eines der ersten Paar
Vorzeige-Beine gehörten der
jungen Petra Schürmann. Doch
so richtig ins Laufen kamen die
„Beine Ihres Autos“, als 1964
Charles Wilp Frauenbeine,
Reifen und Karossen ablichtete:
Nach der harten „Puschkin“-
Masche, die er für die Team
bärenstark inszenierte, sorgte
Wilp mit seiner weichen Sex-
Welle unübersehbar für Profil
der Pirelli-Pneus. Und das so
nachhaltig, daß noch in den
frühen 80ern „Die Beine Ihres
Autos“ aufrechten
Feministinnen der schiere
Sexismus und ein anzu
prangerndes Beispiel
frauenfeindlicher Werbung
waren: Wer in bundesdeutschen
Landen sein Image mit Befund
Busen pflegt, hat’s nicht leicht
— weder zu Zeiten des Muffs
unter Talaren und in Betten,
noch in den Zeiten der großen
Freiheit. Sex in der Werbung
ist, selbst wenn's augenfällig
paßt, nicht gerade die leichte
Art der Kommunikation: die
Last der Lust.
Bis Mitte der 70er Jahre lief
die Pirelli-Werbung im
Reifenmarkt: Renaissance eines Marken-Auftritts oder: Die
Pirelli-Strategie der 60er Jahre kommt zu neuen Kommunikations-Ehren
Die Pirelli-Crew für Werbung und
Kommunikation (v.l.n.r.): Roland
Steindorf, Bereichsleiter Marketing
und Produktmanagement; Achim
Krell, Produktmanager Pkw-
Reifen; Hans Herrmann,
Abteilungsleiter Marketing
Analyse; Adolf Englert,
Abteilungsleiter Presse und
Werbung; Erwin O. Wulf,
Hauptabteilungsleiter Marketing
Kommunikation
Klassiker
ComebackIm Kampf um Marktanteile argumentierten die großen Acht, die rund zwei
Drittel des bundesdeutschen Reifenmarkts unter sich ausmachen, bislang
ziemlich unisono mit sachlich-kühler Technik. Jetzt schert einer aus der
Phalanx der Rationalisten aus: Pirelli läßt nach fast 20 Jahren wieder „Die
Beine Ihres Autos“ laufen. Zeitgemäß und fröhlich-frech inszeniert hat den
Klassiker der 60er Jahre die Frankfurter Agentur Saatchi & Saatchi.
„Geschmacklos, anstößig
und entwürdigend“ befanden
1965 die hohen Herren vom
^"'gemeinen Deutschen
.itomobil-Club und
verweigerten hübschen nackten
Mädchenbeinen fortan ihre
Club-Gazette „ADAC
Motorwelt“. Ins moralische
Mark getroffen hatte die Auto-
Funktionäre die Kam¬
pagne des italienischen
Reifenmachers Veith Pirelli:
„Die Beine Ihres Autos“
verletzten das Schamgefühl
der Münchner Club-
Kameraden zutiefst und so
grundsätzlich, daß sie sich das,
für ihr damals gerade 1
Million Auflage starkes Blatt,
einen Anzeigenauftrag von
rund 100000 Mark kosten
ließen.
Was ADAC-Präses Bretz
und seinem Zentralorgan so
sehr zuwider lief, in ihrer
zeitgeistgerechten Empörung,
schien allerdings Millionen
deutschen Autofah¬
2. H3 FALLSTUDIE
w&i’Nr. 42/16. Oktober 1987 n
Artvvork des nackten
Beinwerks und der knackigen
Hinterteile. Und wurde so zu einem
..amüsanten, augenfälligen und
erfolgreichen Beispiel für
Reifenreklame seit Jahrzehnten“,
wie der „Spiegel" resümierte. Doch
die Abkehr von den langen
hübschen Mädchen-Beinen und der
neue Pirelli-Stil der emotionslosen
Argumentation, mit der Know-how
und Technik-Vorsprung der neuen
Breitreifen-Generation in den 70er
Jahren bekannt gemacht werden
sollten, drohten Pirellis eindeutiges
Profil im Einerlei der Ratio-
Propagandisten unter die Räder
kommen zu lassen. Die „Beine“ des
Autos in der Schlag-worte-Schlacht
um Haltbarkeit und Querschnitt,
um Haftbarkeit zur Sommer- wie
zur Winterzeit und Griffigkeit
schienen austauschbar werden. Der
Preis wurde ^nehmend zum
schlagenden Argument der
AutoNormalverbraucher-Mehr'
heit, Racing-Power zum teuer zu
zahlenden Image-Unterschied für
die Minderheit. Und am meisten
profitierte vom Gleichklang der
absatzfördernden Botschaften
naturgemäß der übermächtige
Marktführer Michelin, der sowohl
im Gesamtmarkt wie im Segment
Neureifen den Reigen der Marken
anführt. Ihm folgen im
Gesamtmarkt Continental, Uniroyal
und Pirelli ziemlich gleichauf,
Dunlop, Goodyear, Fulda, Semperit
und Vredestein. Die Japaner spielen
im Gegensatz zu ihrer sonstigen
Gepflogenheit mit ihrer bislang
einzig halbwegs profilierten Marke
„Bridgestone“ eine eher
untergeordnete Selbst bei der
Nachrü-. .g japanischer Autos
werden europäische Marken
bevorzugt. Die fatale Folge für die
erfolgverwöhnten Japaner: Der
Anteil ihrer Reifen im
..Nachrüstungsgeschäft“ liegt
gegenwärtig bei gerade fünf
Prozent.
Um wieder an den guten
alten Profil- und Erfolgszeiten
anzuknüpfen, besannen sich
die Strategen der Anfang 1987
zu Bamberg etablierten Pirelli
DeutschlandHolding, in der
alle Unternehmen der
inzwischen um das Veith
verkürzten Pirelli-Gruppe
einschließlich der von Bayer
übernommenen Metzeier
Kautschuk GmbH
zusammengefaßt sind, auf ihre
große Kreativ-Vergan-genheit.
„Wir glauben, daß Pirelli
ganz im Sinne von Domizlaff
eine Marke ist, die eine ganz
individuelle Behandlung
erfordert". meint
Hauptabteilungsleiter
Marketing und Kommunikation
bei Pirelli, Erwin O. Wulf. „In
einer Zeit der Uniformität in
unserem Markt, in der sich die
Kommunikation auf fast reine
Produktargumentation
beschränkte, wollten wir einen
neuen Weg gehen, um uns vom
Wettbewerb abzu¬
heben und wieder die
besondere Stellung
einzunehmen, die unserer
Meinung nach Pirelli in diesem
Industriezweig hat.“
Der Markt: Sechs
Typen bestimmen die
Käuferstruktur
Für Pirelli gibt es ein ganz
eigenständiges Käuferpoten¬
tial, wie der neue Bereichsleiter
Marketing und
Produktmanagement, Roland
Steindorf, vorher im
Marketing-Management
Ferrero, glaubt. „Da sind zuerst
einmal die sportlichen Fahrer,
dann die optikorientierten und
dann die besonders
anspruchsvollen.“ Nach Pirelli-
Meinung gibt es in diesem
Segment insgesamt nur sechs
Käufertypen; sie verhalten sich
unterschiedlich und haben eine
unterschiedliche Einstellung
zum Reifenkauf: Typ 1: Der
besonders Anspruchsvolle mit
12 Prozent Anteil. Ein
Autofahrer, der zeigen will,
daß er es zu etwas gebracht hat.
Er orientiert sich am Prestige
der großen Marken und läßt
sich durch seine konservative
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3. w&v Nr 42/16. Oktober 1987
FALLSTUDIE
Grundeinstellung nur ungern
auf Experimente ein; er gehört
zur breiten Mittelschicht und
bezieht ein mittleres
Einkommen.
Typ 2: Der Optikorientierte
mit 10 Prozent Anteil. Für ihn
ist die „Stilistik“ seines Wagens
besonders wichtig, das
serienmäßige Erscheinungsbild
genügt seinen Ansprüchen
nicht. Angetan ha¬
ben es ihm besonders Breit-und
Performancereifen. Er ist ein
Aufsteiger und bevorzugt zum
Beispiel Autos wie 3er BMW,
Audi-Coupe oder Golf GTI.
Typ 3: Der Gleichgültige mit
20 Prozent Anteil. Ein
Reifenmuffel, der bereifen läßt
und häufiger japanische Autos
kauft.
Typ 4: Der Empfehlungs¬
abhängige mit 21 Prozent
Anteil. Ein Autofahrer, der sich
absichern möchte und meist
den großen Reifenmarken oder
der Empfehlung seines
Fachhändlers vertraut.
Typ 5: Der Preisorientierte
mit 17 Prozent Anteil. Teils aus
Geldmangel, teils aus
Desinteresse gibt es für ihn nur
den Preis als Kriterium, er zieht
genaue Ver¬
gleiche und fährt größtenteils
einen Gebrauchtwagen.
Typ 6: Der sportliche Fahrer
mit 20 Prozent Anteil. Er fühlt
sich als Kenner und Könner
und liebt „Benzingespräche“
mit Gleichgesinnten, legt
weiterhin Wert auf Fahr- und
Ausstattungskomfort und fährt
häufig eine Nobelmarke, sein
Alter liegt zwischen 25 und 45
Jahren.
Für Hans Herrmann, Pi-
relli-Abteilungsleiter
Marketing-Analyse, gibt es
nach einer Ende 1986
durchgeführten repräsentativen
Markenuntersuchung 21
Punkte, die die Marke Pirelli
charakterisieren und „ohne
prozentuale Zuweisung unserer
Marke Substanz geben“:
1. Reifen für hohe
Geschwindigkeiten
HÖRZU ist das bewährte Rezept für Ihre Marke. Weil HÖRZU nicht nur hohe Reichweiten und Kontaktqualitäten bietet, sondern
auch das Vertrauen einer 10-Millionen-Leserschaft. HÖRZU verschafft Ihrem Angebot einen starken Auftritt.
So sieht Pirelli seine Käufer
Jung, sportlich
und
markenbewußt
Beim Kauf neuer Reifen
haben bundesdeutsche
Autofahrer heute die Wahl
zwischen rund 40
verschiedenen Marken. Doch
nur wenige haben ein so
ausgeprägtes Markenprofil
wie der Breitreifen-Pionier
Pirelli. Dies zeigt eine
repräsentative
Forschungsarbeit von
Infratest, München, und dem
Sinus-Institut, Heidelberg.
Das besonders markante
Pirelli-Profil spiegelt sich
bereits in einer
charakteristischen Käufer-
Typologie wider.
Ausgesprochene „Pirelli-
Typen“ sind sportliche
Fahrer, OptikOrientierte und
qualitätsbewußte Käufer.
Aus demographischer
Sicht sind Pirelli-Fahrer jung
— im Durchschnitt 37 Jahre,
verfügen über ein hohes
Einkommen und bevorzugen
moderne
Hochleistungsfahrzeuge,
rund 50 Prozent davon
betreiben Auto-Tuning.
Überdies besitzen sie am
häufigsten einen Zweitwagen
und sind ausgesprochene
Vielfahrer. Ein Drittel von
ihnen fährt im Jahr 50000km
und mehr.
Der Pirelli-Käufer legt
größten Wert auf besonders
leistungsfähige, sportliche
Breit- und Performance-
Reifen. Er ist wenig preis-
und testabhängig und von
seiner Marke überzeugt.
Sportlichkeit und
Markenprestige sind
demzufolge die
dominierenden Säulen des
Pirelli-Images.
Sein „Reifen-
Bewußtsein“ dokumentiert
der Fahrer dieser Marke auch
noch auf andere Weise: Er ist
ein ausgeprägter M + S
Reifen-Verwender. 51
Prozent rüsten ihr Fahrzeug
in der kalten Jahreszeit mit
Winterreifen aus.
4. FALLSTUDIE rÄr Nr. 42/16. Oktober 1987
2. Reifen für sportliches Fahren
3. Breite Reifen
4. Reifen für besondere
AnSprüche
5. Gutes Aussehen
6. Sehr hoher M + S-Anteil
7. Eigene gute Erfahrungen S.
Weniger preis- und testabhängig
9. Flohe Kaufintensität von
Zubehör und Tuning
10. Mehr Neuwagen-Besitzer
11. Mehr Autos unter 6 Jahren
12. Mehr Autos mit
Höchstgeschwindigkeiten über i
70km h.
13. Mehr Zweitwagenbesitz
14. Hoher Anteil an
Vielfahrern
15. Hoher Anteil an 18- bis
45jährigen
16. Niedriges
Durchschnittsalter von 37 Jahren
17. Höhere Bildung Stärker bei
Einkommens-
i—issen von über 4000 Mark
19. Sehr reifenbewußt,
aufgeschlossen
20. Mit Werbung ansprechbar
21. Hohe Zuordnung von
Motorsportaktivitäten.
„Das sind die wichtigsten
Haupt- und Randprofile unserer
Marke, von denen wir die
wichtigsten in einer neu-
en Kampagne kommunika-: tiv
umsetzen wollen.“ i Mit solchen
Vorgaben und entsprechenden
Infor-: mationen gerüstet,
stiegen im Herbst 1986 die
Agenturen Saatchi & Saatchi,
Liir-zer & Leo Burnett, beide
Frankfurt, und Spieß & Er-
rnisch. Düsseldorf, in den
Präsentationsring. Die
Aufgabenstellung von Pirelli
lautete: „Für eine langfristige
Kommunikation ist eine
strategische Basis zu entwickeln,
die in Werbemaßnahmen
1. potentielle Käufer im
Ersatzmarkt anspricht,
2. Abstrahlung auf den
Erstausrüstungsmarkt
(Meinungsbildung bei Pirelli-be-
reiften Fahrzeugen) erzielt und
3. Identifikation im
Reifenhandel erreicht.“
Im Kern des „Beine“-
Klassikers fündig
geworden: Saatchi &
Saatchi gelingt die
Anknüpfung mit neuer
Fröhlichkeit
Der kreative Kopf und
Copy-Chief des Gewinners der
Präsentationsrunde Saatchi &
Saatchi, Ferdi Willers, erinnert
sich an die Mühen
Mit diesen Beinen, als
Kampagne ausgedacht
vom Reutlinger
Agenturchef Dr. Hubberten
und von Charles Wilp
damals die Gemüter
aufregend ins Bild gesetzt,
bekam Pirelli unübersehbar
Profil: Die „Beine Ihres
Autos“ von 1963 bis in die
Mitte der 60er Jahre
Komik mit dem Klerus. Die
Doppelseite passend zum Papst-
Besuch, die den Pirellis erneut
Ärger einbrachte: In den 80ern
war’s nicht der Sex, sondern das
konfessionelle Seelenleben
der konzeptionellen Arbeit:
„Wir haben Woche für Woche
neue Claims geschrieben, aber
dann stellten wir fest, daß es für
Pirelli eigentlich in dieser Zeit
nichts besseres zu schreiben
gibt." Deshalb griffen die
Kreativen um den
verantwortlichen Etatdirektor,
Roger McHar-dy, auf den Kern
des altbewährten Kampagnen-
Klassi-kers zurück, dessen
Slogan damals der heutige
Abteilungsleiter für Presse und
Werbung, Adolf Englert,
erfand. „Neben attraktiven
Autos dieser Jahrgänge standen
Mädchen mit Beinen so hoch es
geht“, erinnert sich Englert an
diese Kampagne ganz im
Zeitgeist der Minirock-
Generation. Der ja in diesem
Jahr auch wieder zum
Höhenflug ansetzt und schon
die Zeitgeist-Richtigkeit der
Neuauflage signalisiert. Wie die
Anzeigen von damals
verzichten die von heute auf
produktorientierte
Argumentation. Der Vergleich
beweist: Sie sollten sich Ihrer
Sicherheit zuliebe nur gute
Beine für Ihr Auto leisten“ - so
der Oldie. „Die
Hochleistungsreifen von Pirelli
sind allen Situationen
gewachsen. Denken Sie deshalb
beim nächsten Reifenwechsel
an Pirelli: Die Beine Ihres
Autos.“ - so 1987.
Über die Frage, ob denn nun
Winterreifen und Sommerreifen
getrennt beworben werden
sollten, waren sich die Saatchi
& Saatchi-Stra-tegen schnell im
klaren. Der verantwortliche
Etatberater, Roger McHardy:
„Wir wu߬
ten, daß jede Segmentation eine
Menge Media-Geld kostet. Und
wir wußten, daß Pirelli 1985
auf Etathöhe von 1978 (damals
0,5 Mio. DM) zurückgefallen
war, sich aber ein
Hauptwettbewerber wie
Michelin in dieser Zeitspanne
auf das doppelte Niveau
steigerte und sich neue
Mitbewerber wie Dunlop oder
Goodyear dem Pirelli-Etat-
volumen angenähert hatten.“
Daraus schlossen die S&S-
Strategen:
1. Die technische
Segmentation ist für die
meisten Verbraucher
unverständlich und
bedeutungslos.
2. Die Segmentation nach
Saisonalität ist nur sinnvoll
innerhalb eines
Markenanspruchs.
3. Die Segmentation der
Marke Pirelli über kreative
Ansprache in einem breiten
Zielgruppenpotential reduziert
die Effektivität einer
Kampagne.
Ein Imagetransfer von
technisch anspruchsvollen auf
andere Reifen findet nicht statt.
Dazu kam, daß Pirelli’s „share
of voice“ in den letzten Jahren
gesunken war. Die Agentur
hielt deshalb die Konzentration
der Mittel auf eine Kampagne
für unabdingbar.
Händler-Meinung
bestätigt
Schwachpunkte
In der Vorbereitungsphase
ihrer Präsentation führten die
Saatchis detaillierte Interviews
bei über 30 Reifenhändlern
durch, um deren
Pirellis breite Pneus im
„Roller-Look“ von Saatchi &
Saatchi: Statt Technik
purvie! Spaß ohne
vordergründig tiefere
Bedeutung
5. FALLSTUDIE w&v Nr. 42/16. Oktober 16H7
Einstellung zu Pirelli zu
erkunden. Dabei zeigte sich eine
eher mißtrauische Haltung
gegenüber der Werbung: Die
Mehrzahl meint, daß die
Werbung noch keinen
Verbraucher zu einer positiven
Entscheidung beeinflußt habe.
Weil sich die Händler aber
trotzdem am Image einer Marke
orientieren und dieses Image
forcieren. ist ihre Einstellung
gewichtiges
Kommunikationskapital. Für die
Saatchi-Wer-ber bestätigte sich
hier ein Schwachpunkt: Der
Händler sieht das Pirelli-Image
durch die Breitreifen positiv,
und der Pirelli-Breitreifen
erfreut sich der Nachfrage beim
Verbraucher, die jedem Händler
das Verkaufen leichter macht,
aber andere Pirel-li-Reifen sind
deutlich weniger beliebt. Es gab
also kein '-magetransfer von den
be-jrbenen Produkten zu den
nicht beworbenen.
Hier machte sich zwar
bezahlt, daß Pirelli nach der
Ablösung der „Beine Ihres
Autos" Mitte der 70er Jahre voll
auf den innovativen Trend zu
den Breitreifen setzte und mit
aller Kraft „Breit = Pirelli“
durch die
Kommunikationsmaßnahmen
durchsetzte. Aber die
Nachfolgekampagne 1983 mit
„Leistung nach Maß" schaffte
nicht den erwünschten Abstand
zum Wettbewerb und brachte
auch keine hohe Ausschöpfung
des neuen Potentials.
Pirelli ist daher nach wie vor
die Marke der Hochleistungs-
Breitreifen mit einem
sportlichen, offensiven und
dynamischen Image. Der
ehemals große Abstand zur
Konkurrenz hat sich allerdings
deutlich verkleinert, weil die
Kampagne 83 — 85 keine neue
Anschluß-Lea-dership-
Kampagne war. Das Image
stagniert somit auf dem Niveau
von 1983 mit einem zusehends
generisch werdenden Inhalt.
Kapitalisierung
des ursprünglichen
Images durch Aufbau
auf dem, was Pirelli
(noch) zu bieten hatte
Die strategischen
Anforderungen an die neue
Kampagne konnten darum nur
in einer signifikanten
Differenzierung zur
Konkurrenz bestehen. Das
Saatchi-Konzept sah deshalb
vor:
1. Deutlicher
MarktführerAnspruch.
Die Pirelli-Gruppe weltweit
Umsatz 1986: 4,714 Mrd. US-Dollar, davon: 43,9% Reifen.
38,5% Kabel. 17.6% div. Produkte Anzahl der Fabriken: 115,
davon: 18 Reifen, 51 Kabel. 46 div. Produkte Anzahl der
Beschäftigten: 68 180
Forsehungs- und Entwickiungszentren: Italien, Frankreich.
Großbritannien, Deutschland. Brasilien, USA
2. Profilierung eines
eindeutigen Markencharakters.
3. Aufbauen auf dem
bestehenden Pirelli-Image.
Die Pirelli-Welt war schon
vor gut 30 Jahren von
Sportlichkeit geprägt. Heute
wird darunter Aktivität,
Vitalität. Körperbewußtsein
und die offensive
Auseinandersetzung mit der
eigenen Leistung verstanden.
Ein tragfähiger Markencharak
ter moderner Zeiten muß
diesen Werten entsprechen.
Die Saatchi-Truppe zog
daraus folgende Schlüsse:
1. Wir müssen von Herste]
leraussagen zurück zu Vet
braucherinhalten.
2. Wir müssen statt Produkt
und Produktleistung wiede:
Markenimage verkaufen.
3. Wir müssen, statt uns au;
Beschreibungen beschrän ken,
wieder Werte vermit teln.
4. Wir dürfen in der Argu
mentation nicht rational sein,
sondern müssen emc tional
auftreten, um in de; Pirelli-
Zielgruppe anzukom men.
Damit war für die Saatchi
Kreativen klar:
1. Wir knüpfen an die Kam
pagne der 60er Jahre in der
Basis-Botschaft an: „Die Beine
Ihres Autos“.
Das Pirelli-Team bei Saatchi & Saatchi, Frankfurt (v. I. n. r.)
Robert Brüning, Art Director; Katja Ebel, Assistentin Grafik; Wolf
Lommel, Creativ Director; Ferdi Willers, Copv Chief
Beispiele aus der Konkurrenzwerbung... ...und
die Konzepte im strategischen Überblick
Marke Segment Benefit Reason-why Tonality Claim
Pirelli breit Sicherheit
Hochleistung Neue Technologie Neue
Materialien Neue
KonstruktionsVerfahren
selbstbe¬
wußt
Breit = Pirelli.
Pirelli. Die Beine
Ihres Autos
Michelin alle Sicherheit
Langlebigkeit Kurvensicherheit
Nässehaftung
Hochgeschwindigkeitsve
rhalten höhere
Laufleistung jeder 3.
deutsche Autofahrer
spannungs¬
geladen
Keine
Kompromisse. Die
Serie M Michelin.
Goodyear breit Sicherheit
Image-Profilie¬
rung
Aquaplaning¬
verhalten
Trockenhaftung
sehr
sportlich Weltweit Spitze in
Reifentechnologie.
Goodyear.
Uni royal breit Sicherheit
(Testsieger)
Profilgestaltung sportlich Uniroyal. Der Breit-
Regenreifen.
Continental alle
Sicherheit (deutsche
Automobilbauer)
Zugelassen für 78%
aller deutschen
Autos
souverän,
anspruchs¬
voll
Deutschland fährt
Conti. Continental.
Duniop alle/breit Sicherheit
Individualität
Wirtschaftlichkeit
Kurvenstabilität
Bremswegver¬
kürzung
Preisgestaltung
sportlich,
ungewöhn¬
lich Duniop. Breitreifen.
Die Haftbreitreifen.
Goodrich alle optimierte
Leistung
Wirtschaftlichkeit
zukunftsweisende
Technologie
sachlich BF Goodrich
TA Radials.
Die
Hochleistungsreife
n.
Fulda alle Sicherheit Profil humorvoll Fulda. Wir geben
Profil.
Bridgestone alle/breit Sicherheit
Komfort
Kilometer¬
Leistung
Reifentechnologie
R-COT
Multi-Polymer-
Laufflächenmi¬
schung
informativ
sachlich
Ihre Sicherheit liegt
uns am Herzen.
Bridgestone.
Kleber alle/breit Sicherheit
Kilometer¬
leistung
Zusammenarbeit mit
Automobil-Industrie
informativ
sachlich
Kleber. Die
Reifenprofis.
Semperit alle Sicherheit bei Nässe Haftung nüchtern -
6. 84 FALLSTUDIE w&v Nr. 42/16. Oktober 1987 w&'
Gegen die Kampagnen des
Wettbewerbs auf unverwechselbare
Art antreten: Bei Pirelli ist trotz
Hochtechnologie und der 2.
Generation der Breitreifen in der
Werbung Emotion angesagt, um
sich so unverwechselbar von der
Uniformität der Rationalisten
abzuheben. Den Versuch, sich
durch eine „menschliche“ Optik
abzuheben, versucht auch Dunlop
mit seinen „AutoStemmern“
UNIROYAL
Wir bremsen cas Weiter aus.
Mit dem Nassgriff.
SEMPERIT ®
2. Wir versuchen eine ähnliche
„Aufregung“ zu schaffen wie
damals mit dem Schub Sex-
Appeal, der unter die Haut ging.
Aber das geht heute mit Sex
allein kaum mehr.
3. Wir wollen gegen die vielen
Werbelinien der Vernunft den
Schuß Entertainment, der unser
durchaus technisch-sachliches
Produkt-Versprechen möglichst
individuell interpretiert.
Saatchis McHardy faßt die
strategischen Überlegungen für
die kreative Umsetzung
zusammen: „Wir wollen die
Zielgruppe davon überzeugen,
daß nur Pirelli der Ausdruck
einer aktiven, dynamischen und
kraftvollen (Fahrer-)-
Persönlichkeit ist. In den
Werbemotiven wollen wir
Benefits für den Verbraucher
über die Produkt-Leistung
hinaus aufbauen und schnell
eindeutige optische
Wiedererkennungswerte. Einen
optischen ,USP‘, der Recall
schafft, aber eben nicht nur. Die
Start-Kampagne ist für uns die
Grundlage für eine Folge-
Kampagne, die ,Die Beine Ihres
Autos' weiter unübersehbar
inszeniert.“ Inszenierung war für
die Kampa-gnen-Macher
ohnehin das Zauberwort bei der
Suche nach dem richtigen Weg
für Pirellis neues „vive la diffe-
rence“: Die Saatchis machten
mit den „Beinen Ihres Autos“
den Leuten richtig Beine, die
prototypisch für die Typen der
Pirelli-Käufer-Typologie stehen.
Ein bißchen verrückt, fröhlich
und mobil und in dem Stil „of
life“, der den Zeitgeist der
modernen Konsum-Gesellschaft
widerspiegelt.
Und wie in der guten alten
Zeit, als lange nackte Mädchen-
Beine noch die Gemüter
bewegten und den Pirellis
Einheitlicher Auftritt der sachlichen
Art auch bei Pirelli dort, wo es um
konkrete Sach-Informationen geht:
Beispiele von
Produktargumentationsblättern
zwar Verbraucher-Vergnügen,
aber Funktionäre-Frust
einbrachten, erregte auch der
„new look“ der Bein-
Bewegung empfindsame Seele:
Der rollende Pfarrer mit seinen
Schäfchen, hübsch zum Papst-
Besuch plaziert, brachte
gestrengte Kirchen-Her-ren auf
die Palme und den Pirellis
mahnende Worte vom
Zentralausschuß der
Werbewirtschaft (ZAW).
Gründlich und for¬
schungsorientiert wurde die
neue Kampagnen-Linie bei
„psy data“ zu Frankfurt
abgetestet: Schließlich wollte
man im Wissen um die
möglichen Irritationen, die die
neue „Beine“-Inszenierung
beim Betrachter auslöst,
möglicher Kundenkritik mit
Fakten gewappnet entgegnen
können. Dabei ließen die
Frankfurter auch gleich die
Konkurrenz abfragen, um aus
dem Vergleich die eigene
Nicht gerade gern gesehen von
den Markenartiklern: die
„rollenden Preise“ wie hier vom
Stinnes-Reifenmarkt passen nicht
ins imagepflegende
Kommunikationskonzept von
Pirelli
Posi
nen:
und
D
gnal
Übe:
falle
aber
leise
ausk
lis“ ’
voll,
ben
für c
7. -&v N■>. -C 76. Oktober 1987
FALLSTUDIE
Konsequent
weitergefahren werden
die rollenden Pirellis auch
auf der Ebene der
Händler-
werbemaßnahmen:
beispielsweise der
„Display-Master“, dessen
Rückseite (Bild)
Wissenswertes mit einem
Kampagnen-Motiv
verbindet...
...oder 2x1m
große Spannbänder als
wetterfeste „Plakate“ für
den Außenbereich des
Händlers.
OC»
VÄ4H6S
pson ID6T
PSOFli
Position absichern zu kön- I nen:
Michelin, Continental und
Dunlop versus Pirelli.
Die ersten Ergebnisse
signalisierten für Erinnerung. ;
Überzeugungskraft und Ge- j
fallen gute Werte, zeigten aber
auch, daß der Mut zum leise
Verrückten Irritationen "'"'bst:
Die „rollenden Pirel-.vurden
zwar als humor- j voll, aber auch
als übertrieben empfunden: Ein
bißchen für dumm verkauft
kommen
sich einige Befragten schon
vor. Wichtig war aber für die
Kampagnen-Schmiede. daß
gerade bei diesen
NegativVorgaben Pirelli im
Vergleich zum Wettbewerb gut
abschneidet (s. Tabelle auf S.
86).
Das Ergebnis der
Präsentation von Fun und
Fakten ist bekannt: Die
Saatchis bekamen den Zuschlag
und die neuen Pirelli-Beine das
Laufen. Und das Management
des Pneu-Protagisten der
„Breiten“-Dimension ist mit
den ersten Ergebnissen im
Markt recht zufrieden: „Wir
sind auf dem besten Weg, eine
unverwechselbare Produkt-
Identität zu erreichen“, freut
sich Roland Steindorf, der
Bereichsleiter Marketing und
Produkt-Management. „Unsere
Zielgruppe sieht uns wieder so.
wie wir sind: mit der Nase ganz
vorn und immer die Runde
voraus, die je-
der braucht, um ein Rennen zu
gewinnen.“
Was für die Pirellis schon
deshalb so wichtig ist, weil sie
mit ihrer neuen Kampagne seit
1987 die „zweite Generation
der Breitreifen“ auf den Weg
gebracht haben: „Performance-
Reifen“ für „Performance-
Autos“ -automobile
Spitzenprodukte der High-
Tech-Dimension.
Daß solcher Anspruch einen
Auftritt brauchte, der
ebenso unverwechselbar wie
ungewöhnlich ist, versteht sich.
Und daß die neue Linie auch
gleich in voller
Kommunikationsbreite kommt,
ebenso: Anzeigen und Plakate,
Vkf-Material und
Veranstaltungen, Broschüren
und Waren-Präsentation - „Die
Beine Ihres Autos“ sind wieder
so präsent wie vor zwanzig
Jahren in der Werbung.
□