1. klassik.com : Nellessen, Gabriele: Interview (Interpret) Seite 1 von 3
<!--[if lt IE]> <![endif]-->
Unabhängig. Kritisch. Aktuell. Ausgabe vom 03.11.2009 Newsletter | Radio | Werbung
Ihr Suchbegriff
Aktuell Community Magazin Portraits Musikshop Professionals Mein klassik.com
Neuheiten-Radio
Sie sind hier: Portraits > Komponisten und Interpreten Schriftgröße:
Features, Interviews
Kritiken: CDs, Vinyl Login
Gabriele Nellessen über Jugendarbeit, Phantasie und Robert Schumanns Kinderszenen
Kritiken: DVDs
E-Mail:
Kindertheater ist nicht gleich Kindertheater
Kritiken: Bücher
Kritiken: Konzerte Kennwort:
Im November feiern die Kinderszenen Robert Schumanns im Berliner Konzerthaus eine
Klassik-Charts Login
Premiere: nicht als Werk fürKlassik-Blog
Klavier alleine sondern eingebunden in ein Theaterstück von
Gotthart Kuppel, das sich besonders an Kinder richtet. klassik.com-Autor Tobias Roth sprach Kennwort vergessen?
zu diesem Anlass mit Gabriele Nellessen, die das Kinderprogramm „Junior“ des
100 Meisterwerke Newsletter abonnieren
klassik.com empfehlen
Konzerthauses seit 11 Jahren leitet und gestaltend prägt. Das Gespräch drehte sich dadurch
Musiklexikon
nicht nur um die anstehende Inszenierung, sondern auch um die Probleme und Chancen der
Jugend- und Kinderarbeit: im Allgemeinen und im besonderen Fall des Konzerthauses.
Anzeige
Die Klage, dass die Jugend sich nicht genügend für die Werke der Älteren oder gar Toten
interessieren würde, ist ja so alt wie die europäische Kultur selbst. Sehen Sie momentan eine
„bedrohliche“ Situation über dem Normalpegel oder ist es auch heute der Normalzustand,
gegen den man arbeiten muss?
Ich glaube nicht, dass sich die Jugend heute mehr oder weniger interessiert als das zu allen Zeiten
der Fall war. Aber ich glaube, dass sie inzwischen weniger Möglichkeiten haben, damit in Kontakt zu
kommen. Das Profil unseres Bereiches, der Inszenierungen und der Kinderkonzerte, ist, dass auf der
Grundlage auch anderer künstlerischer Mittel Musik aller couleur und auch aller Epochen vom Barock
bis zur Gegenwart an die Kinder herangetragen wird – und unsere Erfahrung damit ist, dass die
Kinder und die Jugendlichen sehr offen reagieren. Ich habe eigentlich noch nie erlebt, dass ihnen
etwas nicht gefiel: ganz im Gegenteil. Es gefällt ihnen, ob das Mozart ist oder Purcells Elfenzauber –
uralte Musik. Natürlich ist diese Musik in einem Vermittlungskonzept aufgegangen. Wir haben eine
Inszenierung gebaut, die die Dinge ausspart, die man Kinder nicht zumuten kann, wie z.B. sehr lange
Rezitative, und die auch gar nicht für Kinder gedacht waren. Denn natürlich stammen diese Werke
aus einer ganz anderen Rezeptionskultur. Aber die Musik ist original, auch auf alten Instrumenten
gespielt – und die wird ohne irgendein Problem von den Kindern aufgenommen. Es gibt eigentlich
überhaupt keine Hürden. Seit zehn Jahren haben wir auch ein musikpädagogisches Projekt für Neue
Musik, "Open your ears“. Dabei geht es nur um zeitgenössische Musik. Wenn man sich wirklich Anzeige
überlegt und bedenkt, wie diese Musik zu vermitteln ist, wie das Aufeinandertreffen der Musik und
der junge Menschen gestaltet wird, dann wird man sehen, dass absolute Offenheit vorhanden ist. Die
Situation ist also nicht so dramatisch. Junge Menschen haben sich auch durch die Computer nicht so
verändert, dass sie dafür nicht mehr offen wären. Da sehe ich kein Problem.
Aber anderswo?
Das Problem sehe ich darin, dass der kulturelle Bildungshintergrund immer mehr verloren geht.
Wenn beispielsweise einfach das Singen als Ritual oder als naturgegebene Möglichkeit, sich zu
äußern, überhaupt nicht bekannt ist, dann ist es natürlich ein viel weiterer Weg. Dann muss man
ganz andere Hürden überwinden, um auch zu einer eigenen Aktivität zu führen. Das aber hängt mit
dem Schul- und Bildungssystem zusammen, und mit dem überwiegenden Angebot, das die
Jugendlichen und Kinder konsumieren. Das ist das Problem und auch das Gebot der Stunde an alle
Kultur- und Musikinstitutionen, zusätzliche Vermittlungsarbeit zu leisten. Ich bin der Meinung, wenn
eine Basisarbeit existiert, wenn jedes Kind über die ganze Schulzeit hinweg einen ordentlichen
Musikunterricht hätte, dann würde– so schön die Projekte auch sind – so viel gar nicht notwendig
sein. Wir bemerken jetzt, dass das wirklich Not tut.
Es geht also hauptsächlich darum, eine Berührungsfläche herzustellen? Anzeige
Ja. Das ist eigentlich auch mein Ansatz. In den Kinderkonzerten, die ich seit 11 Jahren konzipiere
und auch moderiere, ist das so. Sie können da auch mit einem Satz aus einer Ligeti-Sonate
einsteigen. Sie müssen sich nur überlegen: wie vermittle ich das, wie nehme ich Berührungsängste,
welche Künstler, die das transportieren können, beziehe ich ein. Das kann ja auch nicht jeder
Musiker.
Gerade bei Neuer Musik könnte ich mir denken, dass Kinder fast offener sind als ein älteres
Publikum.
Ja, die hinterfragen das nicht so. Da hat man eine Chance, die man bei Erwachsenen oft nicht mehr
hat. Die Kinder springen nicht im Konzert auf und verlassen den Saal, sondern lassen sich
vorurteilslos auf diese Erfahrungen ein. Schon Jugendliche sind so geprägt und haben so viele
eigene Erfahrungen auch im Umgang mit Musik, dass man sehr viel aufklärende Arbeit leisten muss.
Dann muss man es flankieren mit Gesprächen, mit Informationen. Bei Kindern ist das gar nicht nötig,
die nehmen die Dinge einfach auf. Gerade deswegen ist es wichtig, dass man die Altersempfehlung,
die wir ausgeben, auch beachtet. Ein Kindergartenkind hat andere Erfahrungen und ein anderes
Aufnahmevermögen als ein Erstklässler. Und natürlich ist ein Kind in der ersten Klasse ganz anders
anzusprechen als in der vierten. Das heißt natürlich nicht, dass diese Dinge für die Kleinen nicht auch
für Größere funktionieren, bzw. nicht auch für die Eltern funktionieren. Das ist manchmal das
Jetzt im klassik.com Radio
Schönste, dass ganz direkt mitgeteilt wird, dass auch viele Eltern und Großeltern für sich selbst diese
Programme besuchen. Diese Art der Vermittlungsarbeit betrifft inzwischen auch eine
Elterngeneration, bei denen vielleicht Defizite in der kulturellen Bildung vorhanden waren, aus
welchen Gründen auch immer. Die sind absolut dankbar, wenn sie auf diese Weise Vermittlung von
Musik und Kunst erfahren können. Aber es ist natürlich ein Problem, wenn ich ein kleines Kind in ein
Symphoniekonzert von zwei Stunden mitnehme, das ist eine Katastrophe. Vielleicht mag es dann
hinterher gar nicht mehr in so ein Konzert gehen.
Kann man also sagen, dass der Erfolg eher von der Quantität als an der spezifisch
historischen Qualität der Musik abhängt?
Es sind viele Faktoren. Für die Vermittlungsarbeit ist zeitliche Dauer und Quantität wirklich nicht zu
vernachlässigen. Es ist vielleicht albern, aber es gibt Proben, in denen ich buchstäblich mit der Felix Mendelssohn Bartholdy:
Stoppuhr sitze. Man kann nicht alles abwägen, gerade wenn man eine szenische Aktion hat. Die will Sinfonie Nr. 1 c - Moll op. 11 -
man ja auch ausloten und ausspielen. Aber irgendwann stimmt das Timing für die Kinder nicht mehr. Menuetto - Allegro molto
Das ist ein großer Faktor, aber es ist nur einer. Es klingt so klischeehaft, wie es eine zeitlang der Radio starten
Slogan war: „Die Kinder da abholen, wo sie sind.“ Aber das stimmt im Grunde schon. Man muss
berücksichtigen, was man überhaupt voraussetzen kann. Auch den sozialen Kontext und seine
Mechanismen darf man nicht außer Acht lassen. Jeder weiß ja, dass beispielsweise eine
Familienzelle ganz anders funktioniert als eine Klasse. Nach dem Publikum, das man erreichen will, Empfehlungen der Redaktion
müssen sich dann auch die Konzeption und die Ansprache richten. Das erfordert einfach viel
Sensibilität. Ein weiterer Faktor ist das Stück selber. Schumanns Kinderszenen haben wir empfohlen
http://portraits.klassik.com/people/interview.cfm?KID=16554 3.11.2009
2. klassik.com : Nellessen, Gabriele: Interview (Interpret) Seite 2 von 3
Sensibilität. Ein weiterer Faktor ist das Stück selber. Schumanns Kinderszenen haben wir empfohlen
ab 8 Jahren, wobei ich bei Recherchen auch schon Altersempfehlungen „ab 6“ gesehen habe. Aber
da diese Empfehlungen natürlich nicht zwingend beachtet werden müssen, und manche Eltern
darauf gar keine Rücksicht nehmen und denken „Kindertheater ist Kindertheater“, sind eh’ immer
Kleinere dabei.
Das ist quasi die freiwillige Selbstkontrolle der Kinderprogramme. Diese Einspielungen sollten in
Ja –auch um sich dann nicht irgendwelchen Vorwürfen auszusetzen. Bei Schumann ist es vor allem keiner Plattensammlung fehlen
weiter...
in Bezug auf die Textvorlage so. Der Autor Gotthart Kuppel hat damit ein wunderschönes Stück
geschaffen. Dieses Theaterstück ist vor über 10 Jahren in München, in der Schaubühne, zum ersten
Mal aufgeführt worden – und ich glaube, es wird nicht besonders oft aufgeführt. Kuppel hat
unglaublich mit Text und Wort gespielt, sodass es manchmal fast schon dadaistische Züge bekommt. Portrait
Diese Textbasis ist auch der Grund, warum ich das Stück „ab 8“ empfohlen habe. Es ist spielerisch
und phantastisch: das ist ja genau das, was die Kinder machen, und was den Erwachsenen über die
Zeit oft abhanden kommt. Sie suchen dann nach verschiedenen Wegen, da wieder ein Stück näher
zu rücken.
Das schien auch ein Anliegen Schumanns zu sein. Es gibt ja diesen berühmten Satz über die
Kinderszenen, sie seien „Rückspiegelungen eines Älteren für Ältere“.
Das ist das Anliegen. Schumann hat die Kinderszenen nicht geschrieben, damit Kinder sie spielen –
im Gegensatz etwa zum Album für die Jugend. Natürlich werden manche Stücke aus den
Kinderszenen, zum Beispiel die Träumerei, auch im Klavierunterricht gespielt. Einige der nicht ganz
so schweren Kinderszenen habe ich auch als Kind gespielt. Aber Schumann hatte das nicht so
gedacht und hat das auch Clara in einem Brief so angekündigt. Es geht da wirklich um ein Sich-
hinein-Versetzen, um ein Kind-Sein oder Kind-geblieben-Sein. Das ist genau die Qualität Schumanns
und einiger anderer Romantiker. ""Das ganze Schachspiel muss
stimmen""
Die Kinderbegeisterung der Romantiker, zumindest bei den Literaten, entsteht aber doch aus Die Pianistin Mihaela Ursuleasa
recht vertrackten Gedanken. über Wunderkinder und
Das ist natürlich ein ganz bestimmter Blick auf die Realität, der hier die Basis bildet. Das kennt man Lebenszeit, im Publikum und auf
auch von den romantischen Dichtern. Bei Schumann kommt noch hinzu, dass er eine sehr behütete der Bühne
Kindheit und ein liebevolles Elternhaus hatte. Da ging es nicht wie bei Clara Wieck und ihrem Vater,
oder wie bei Mozart um diese Drillerei. Schumanns Vater war Buchhändler, und daher kommen auch
seine starke literarische Neigung und seine eigene literarische Tätigkeit. Er ist mit Büchern groß Musikzeitschriften
geworden und hat immer wieder versucht, das umzusetzen. Sich mit Literatur zu befassen ist ja im
Grunde auch ein Phantasieren. Ich denke, diese liebevolle Zuneigung, dieses Behütetsein hat sein
besonderes Verhältnis zu Kindern geprägt. Das erfahren wir heute noch: wer ein enges Verhältnis zu
und einen intensiven Austausch mit seinen Eltern hatte, dem fällt es später leichter Phantasie und
Empathie für Kinder zu entwickeln. Da ist in Schumanns Vita eine ganz bodenständige Basis
vorhanden. Das andere sind natürlich die vielen Figuren, in die er hinein geschlüpft ist, Eusebius und
so weiter, das ist genau das, was wir auch von Jean Paul oder den anderen Romantikern kennen:
das Maskenspiel. Auch das ist ein Nährboden für die Kinderszenen. Und das Großartige ist, dass sie
in ihrer angeblichen Einfachheit so vollkommen sind, dass es gelungen ist, eine solche Ebene in das
Material zu bringen. Diese „kleinen Dinger“ gefallen ihr sehr, hat Clara geschrieben. Dazu kommen
auch die Titel, die Schumann vorgibt, darüber haben wir auch mit unseren Schauspielern
gesprochen. Das sind Anregungen, die in die Musik eingehen: aber die konkrete Geschichte dieser
kleinen Musikstücke macht jeder mit seiner eigenen Phantasie. Der Hörer ist in seiner Phantasie
gefragt und die Musik unterstützt das. Ich möchte nicht wissen, wie viele individuelle Interpretationen
es für die Träumerei gibt. (lacht) Das ist auch Inhalt und Grundgedanke dieses Theaterstücks:
Phantasie und Spiel als Versuch der Umsetzung dieser Phantasie. Bei unseren Kinderszenen Vorwort
handelt es sich ja nicht um eine Bearbeitung dieses Klavierwerkes, sondern um ein eigenständiges [weiter]
Theaterstück. Es geht nicht um eine Interpretation von Stück nach Stück: es geht darum, das
phantastische Potential des Werks zu ergreifen.
Sponsored Links
Wie kann man sich die theatralische Bearbeitung und Rahmenhandlung vorstellen?
Der Plot ist eigentlich einfach und klein. Es gibt drei Partien: zwei davon sind Schauspieler, ein Junge klassik.com Radio
und ein Mädchen. Man ist gut beraten, diese Rollen auch mit jungen Schauspielern zu besetzen, und
wir haben zwei entzückende Schauspielstudenten aus der Berliner Universität der Künste. Das Preisvergleich getprice
Problem ist die dritte Partie, die eines Klavier spielenden Kindes. Denn die Kinderszenen wollen erst Urlaub im Schwarzwald
einmal gespielt sein, und wenn wir dieses Werk am Konzerthaus ansetzen, kann man natürlich keine Preisvergleich für Flöten
musikalischen Abstriche machen. Und diese Partie muss zusätzlich auch noch schauspielern
können, und zwar nicht wie ein Musiker, der mal ein bisschen schauspielert. Das ist eine wirkliche Neue Musikzeitung
Schauspielerpartie. Genau das ist das Problem, und der Grund, warum das Stück so selten gespielt StageKit - Websites für
wird. Da muss man letztlich einen Kompromiss eingehen, denn für die Rolle eines Kindes gibt es Musiker, Veranstalter und
natürlich eine Kappgrenze, was das Alter des Schauspielers angeht. Der Plot ist, ganz knapp gesagt, Konzertagenturen
dass das Klavier spielende Kind übt, mehr oder weniger lustlos seine Technikübungen absolviert,
und frustriert ist, weil es sich dieser Disziplinierung unterwirft. Aus dem Flügel erklingen plötzlich Stromtarife bei
Stimmen, aber das Kind lässt sich anfangs nicht stören, und ist nicht bereit, sich von dieser Stromauskunft.de
disziplinierten Tätigkeit abbringen zu lassen.
Das ist durchaus ein diszipliniertes Kind!
Ja, aber dadurch auch ein sehr geschlossenes Kind. Es lässt nichts an sich ran und traut sich keine
Kreativität zu. Im Laufe des Theaterstückes, das etwa eine Stunde dauert, kippt das völlig um. Die
Stimmen im Flügel sind der Junge und das Mädchen, der phantasievolle Part. Sie sind ständig am
Spielen, mit dem Wort, mit dem Körper, mit Allem, und versuchen das Klavier spielende Kind da
hinein zu ziehen, es zu aktivieren. Das wird, wie gesagt, anfangs abgewehrt, aber es gelingt im
Verlauf des Stückes. Das Stück endet damit, dass alle drei Kinder im Flügel verschwinden und sich
vollständig auf diese Phantasiereise einlassen. Bei dem Spielen, das das Theaterstück füllt, wirkt
Schumann immer wieder als Impuls. Die Figuren aus dem Flügel bewegen das Kind, etwas zu
spielen, und das bietet die erste Kinderszene an. Das ist die Initialzündung, und das Spiel gewinnt
ein Eigenleben. Die Grenzen verschwimmen: manchmal geht das Spiel aus dem Klavierstück hervor,
manchmal ist es genau umgekehrt. Die Rahmenhandlung und die Szenerie sind also sehr reduziert,
und bestehen hauptsächlich aus dem Imitationsflügel, den wir extra haben bauen lassen. Man muss
natürlich auf einem E-Piano spielen, da in dem Flügel mehrere Figuren Platz haben müssen. Solche
Reduktionen lassen viel Platz für die Phantasie. Auch die Requisiten sind sparsam. Am Anfang gibt
es noch ein Metronom, das für die nötige Disziplin sorgt, und in dem Flügel gibt es noch ein
Federbett mit vier Kopfkissen, das ist alles. Alle Phantasiegestalten, die dann entstehen, werden
damit erzeugt. Das zieht sich durch alle Ebenen, auch durch den unglaublich lustigen Umgang mit
Sprache und verdrehten Sinnbelegungen.
Das heißt, dass das Stück auch in guter romantischer Tradition selbstreflexiv angelegt ist? Es
ist doch ein schwieriger Punkt der Kinder-, aber auch der Erwachsenenbildung, wie man den
Schritt von der Disziplin und dem Handwerkszeug hin zum freien, phantasievollen Gebrauch
dieser Fähigkeiten vollzieht. Diesen „Ellenbogen“ zu gestalten, ist das nicht ein bleibendes
Problem?
Versuche gibt es genug! Das hat Rudolf Steiner mit seiner Waldorfpädagogik auch versucht. Es gibt
ja die verschiedensten Ansätze, und die Diskussion, ob wirklich das, was unser Bildungssystem
vermittelt, der letzte und der beste Weg ist, ist sicherlich deshalb so immer-während, weil es keine
Ideallösung gibt. Aber Kompromisslösungen, mehr oder weniger gut. Da muss ich eine Sache
erzählen. Das Konzerthaus arbeitet ja auch mit Schulen im Rahmen von Schulpatenschaften
zusammen, und eine dieser Schulpatenschaften wurde gerade wissenschaftlich beforscht. Es gab da
ein Samba-Projekt, mit einem Lehrer, der ein sehr zugänglicher und guter Partner war. Die Klasse
und der Lehrer haben ein Vierteljahr geprobt und dazu auch wöchentlich eine Freizeitstunde
investiert – was schon eine Leistung ist. Aber aus dem Bericht der Wissenschaftlerin habe ich jetzt
erfahren, dass der Lehrer im Zuge dieses Projekts Noten vergeben hat. Das war nicht sein Wille, er
hängt einfach in diesem straffen, zwingenden System. Das wird ihm abgefordert, aber das verändert
natürlich den Charakter des ganzen Projekts, und vielleicht schadet es sogar. Das ist doch absurd.
Da ist einfach ganz wenig Raum für die Entwicklung von Phantasie und Kreativität.
http://portraits.klassik.com/people/interview.cfm?KID=16554 3.11.2009