Wenn diese Petition es vor den Petitionsausschuss schafft geb ich einen Aus
20519403[1]
1. Akademie Verlag GmbH
Friedrich Ebert als Reichspräsident
Author(s): Günter Arns
Source: Historische Zeitschrift. Beihefte, New Series, Vol. 1, Beiträge zur Geschichte der
Weimarer Republik (1971), pp. 1-30
Published by: Oldenbourg Wissenschaftsverlag GmbH (and its subsidary Akademie Verlag GmbH)
Stable URL: http://www.jstor.org/stable/20519403 .
Accessed: 29/03/2011 17:39
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2. FRIEDRICH EBERT ALS REICHSPRASIDENT
VON
GUNTER ARNS
I.
WAHREND tiber die Reichsprasidentschaft Paul von Hinden
burgs eingehende Detailuntersuchungen gerade auch aus jiingerer
Zeit vorliegen, hat Friedrich Eberts Wirken als Reichsprasident
bislang eine mehr oberflachliche Betrachtung erfahren. Eine auf
Primarquellen basierende Biographie Eberts fehltl), und wer ein
wertendes Urteil iuber dessen Reichsprasidententatigkeit sucht,
sieht sich auf Randbemerkungen verwiesen. Dabei wird ganz uber
wiegend die Ansicht vertreten, daB Ebert auf die Politik ,,betracht
lichen EinfluB" ausgetibt2), daB er ,,in mehr als einer Krise ent
scheidend eingegriffen" habe3), daB sein ,,Verdienst um die Erhal
tung verfassungsmaBiger Zustande und der Reichseinheit [...]
kaum tiberschatzt werden" konne4).
Solche Ansicht ist sicherlich eine Konsequenz der unbefriedi
genden Quellenlage, die eine Beschrankung auf die - allerdings
umfangreiche - Memoirenliteratur der Weimarer Zeit geradezu zu
erzwingen schien. Die einschlagigen Akten aus dem Buro des
Reichsprasidenten, die viel zur Erhellung der Amtsfuihrung Eberts
und seines Einflusses beitragen dturften, sind als Archivgut des
Potsdamer Zentralarchivs westlichen Historikern nur sehr begrenzt
x)Waldemar Besson, Friedrich Ebert. Verdienst und Grenze (Pers?nlich
keit und Geschichte, Bd. 30), G?ttingen 1963, referiert nur summarisch die
Eberts. Von dem Werk von Georg Kotowski,
Reichspr?sidentenzeit
Friedrich Ebert. Eine Biographie, liegt bisher nur der Band 1
politische
(?Der Aufstieg eines deutschen Arbeiterf?hrers 1871 bis 1917", Wiesbaden
1963) vor.
2) So Peter Haungs, Reichspr?sident und parlamentarische Kabinetts
regierung. Eine Studie zum Regierungssystem der Weimarer Republik in
den Jahren 1924 bis 1929, K?ln/Opladen 1968, S. 175.
3) So Andreas Dor palen, Hindenburg in der Geschichte der Weimarer
Republik, Berlin/Frankfurt 1966, S. 68.
4) So Georg Kotowski, ?Friedrich Ebert", in: Neue Deutsche Biographie,
Bd. 4, Berlin 1959, S. 256.
Historische Zeitschrift, Beiheft 1 1
3. 2 Giinter A ns
zuganglich; private Papiere des ersten Weimarer Staatsoberhauptes
sind nach dem derzeitigen Stand der Forschung nicht uiberliefert.
Man ist demnach auf das Primarquellenmaterial anderer Prove
nienz, an erster Stelle auf die vom Bundesarchiv in Koblenz be
treuten Akten der Reichskanzlei und auf NachlaBpapiere von
Personen aus der unmittelbaren Umgebung Eberts, angewiesen.
Hier aber erhebt sich gleich die Frage nach dem Quellenwert,
- nicht des einzelnen Dokumentes, sondern generell. Als unbe
streitbare Tatsache bleibt etwa festzuhalten, daB Ebert wiederholt
an Kabinettssitzungen teilgenommen hat. Was beweist indes eine
derartige Teilnahme ? Tatsache ist namlich andererseits, daB der
Reichsprasident im Kabinett kein Stimmrecht besaB5). Es miiBte
also gepruft werden, inwieweit eine Anregung Eberts wahrend
einer Kabinettssitzung von den Ministern bewuBt oder unbewuBt
als Richtlinienerteilung aufgefaBt wurde, inwieweit eine Meinungs
aiuBerung Eberts direkt oder indirekt in einen KabinettsbeschluB
Eingang gefunden hat, Fragen, die auch bei sorgfaltigster Analyse
der Sitzungsprotokolle auBerst schwierig und kaum vollig sicher
zu beantworten waren. Des weiteren mthBte geprtift werden, wie
wichtig dem Reichsprasidenten ein Beratungsgegenstand erschien,
um an einer Kabinettssitzung teilzunehmen oder femzubleiben,
in welchem MaBe Ebert von auBen her (durch Zeitungsinterviews
oder durch informelle Besprechungen mit Ministern und Parla
mentariern) auf den EntscheidungsprozeB des Kabinetts einzu
wirken versucht hat bzw. in welchem MaBe ein Kabinettswille
durch eine derartige ,,mediatisierte" Einwirkung tatsachlich mit
bestimmt wurde.
Angesichts dieser Problematik kann die folgende Betrachtung
nur eine provisorische Skizze entwerfen, mehr Anregung vermit
teln als AbschlieBendes bieten wollen. Auch mag von vornherein
festgestellt sein, daB - wenngleich einige Andeutungen zur Person
lichkeit dieses Mannes erforderlich schienen6) - nicht die Person,
sondern der Amtstrager Ebert im Mittelpunkt der Erorterungen
steht; alles, was an nachempfindendem Verstehen eine Biographie
bereichert, muB hier unberucksichtigt bleiben.
5) So ausdr?cklich der DNVP-Abg. Delbr?ck als Berichterstatter des Ab
schnitts ?Reichsregierung" am 10. April 1919 im Verfassungsausschu?:
Verhandlungen der Nationalversammlung (im folgenden: RTA), Bd. 336,
S. 302.
6) Ulrich Scheuner, Das Amt des Bundespr?sidenten als Aufgabe verfas
sungsrechtlicher Gestaltung, T?bingen 1966, weist einleitend (S. 9f.) auf
die Interdependenz von Person und Amt bei einem Organ wie dem des
Bundes- (Reichs-)Pr?sidenten hin.
4. Friedrich Ebert als Reichsprdsident 3
Eine zweite Frage ist derUntersuchung tiberEberts politische
Tatigkeit als Reichsprasident voranzustellen: die nach den Inten
tionen der Weimarer Verfassung und nach der Amtsauffassung
Eberts.
Fur die Verfassungsschopfer stand auBer Frage, daB nach der
Umsturzphase desWinters 1918/19 ein parlamentarisches Regie
rungssystem zu errichten sei; weder das Prasidialsystem nach
amerikanischem Vorbild noch gar ein Ratesystem nach sozialisti
schen Vorstellungen wurden ernsthaft als Alternativlosungen in
Erwagung gezogen. DaB ein allgemein gehaltenes Grundsatz
bekenntnis zum parlamentarischen System jedoch nicht gleich
bedeutend war mit seiner Kodifizierung en detail, zeigte sich wah
rend der Verfassungsberatungen nur allzu rasch7). Dort woilte
man dann ,,kein System der unumschrankten Parlamentsherr
schaft"8), wollte dem ,,durch eine starke Kontrollgewalt eines
anderen nebengeordnetenOrgans" begegnen9),wollte ,,ein Gegen
gewicht gegen die Macht des Parlaments" schaffen10). Nach sol
chem Modell, das sowohl dem Parlament wie auch - als ,,Gegen
gewicht" - dem Reichsprasidenten politische Verantwortlichkeit
zuerkannte, wurde die Weimarer Verfassung konzipiert, und das
Ergebnis war, was Bracher ihre ,,Kompromi3struktur" nenntl').
Es muBte weitgehend von der zukuinftigen Praktizierung, von der
politischen Befahigung des einen wie des anderen Staatsorgans
abhangen, ob die reprasentative oder die plebiszitare Kompo
nente12) in den Vordergrund trat.
Mehrdeutig wie der Verfassungstext waren die Erlauterungen
von Hugo PreuB in seinerDenkschrift zum Verfassungsentwurf13).
7) Zu den Verfassungsberatungen neuerdings Haungs, Reichspr?sident,
S. 22-A3, mit weiterer Literatur.
8) So der SPD-Abg. Katzenstein als Berichterstatter des Abschnitts ?Reichs
tag" am 3. Juli 1919 in der Nationalversammlung: RTA, Bd. 327, S. 1263.
9) So der DDP-Abg. Abla? als Berichterstatter des Abschnitts ?Reichspr?si
dent" am 4. Juli 1919 in der Nationalversammlung: RTA, Bd. 327, S. 1309.
10) So der SPD-Abg. Fischer als Mitberichterstatter des Abschnitts ?Reichs
am 8. April 1919 im Verfassungsausschu?: RTA, Bd. 336, S. 274.
pr?sident"
n) Karl Dietrich Bracher, Die Aufl?sung der Weimarer Republik. Eine
Studie zum Problem des Machtverfalls in der Demokratie, 4. Aufl., Villingen
1964, S. 21.
12) Vgl. Ernst Fraenkel, Die repr?sentative und die plebiszit?re Kompo
nente im demokratischen Verfassungsstaat (Recht und Staat, Heft 219/220),
T?bingen 1958; auch in: Fraenkel, Deutschland und die westlichen Demo
kratien, 2. Aufl., Stuttgart 1966, S. 71-109.
13) Abdruck in: Hugo Preu?, Staat, Recht und Freiheit, hg. v. Theodor
Heuss, T?bingen 1926 (Neudruck: Hildesheim 1964), S. 368-394.
1*
5. 4 Giinter Arns
Einerseits sprach PreuB dem Reichsprasidenten explicite ,,Regie
rungsfunktionen" zu, andererseits sollte er diese ,nur unter der
verantwortlichen Mitwirkung der [...] Reichsminister ausiiben"
k6nnen14). Da der Reichsprdsident iuberdies keine klar umrissenen
Kompetenzen besaB, hing er, wie es ein Abgeordneter ausdrtickte,
,,politisch gleichsam in der Luft"'5). Nur in einem Punkte wurden
seine Amtsgeschafte naher umrissen: Bei der Bildung der Reichs
kabinette sollte der Prasident frei entscheiden diirfen und lediglich
an das (notfalls mutmaBliche) Vertrauen des Parlamentes zu den
von ihm berufenen Kabinetten gebunden sein, eine Befugnis, die
nach PreuB zugleich ,,die wichtigste selbstandige Funktion des
Reichsprasidenten" darstelltel6). Eine Priufung des politischen
Wirkens Eberts wird somit seiner EinfluBnahme bei den Kabinetts
bildungen besondere Beachtung schenken miussen.
Doch ist bei aller Unentschiedenheit, wenn nicht Unklarheit
der Verfassungskonzeption den Beratungen der Nationalversamm
lung deutlich zu entnehmen, daB der Reichsprasident neben der
Regierung und dem Parlament einen gewichtigen, ,,ebenbiurtigen"
politischen Machtfaktor bilden sollte; dessen Beschrankung auf
ausschlieBlich reprasentative Aufgaben wurde von den Verfas
sungsschopfern wiederholt und nachdruicklich verworfen.
Auch Ebert selbst hat anfangs seine ,,Regierungsfunktionen"
offenbar in recht extensivem Sinne ausgelegt, jedenfalls berichtet
sein Mitstreiter aus der Revolutionszeit und erste Weimarer
Regierungschef Scheidemann, der Reichsprasident habe nach
Eberts Auffassung die Richtlinien der Politik bestimmen und der
Reichskanzler diese ,,decken" sollen17). Obwohl Zweifel an den
Auslassungen Scheidemanns grundsatzlich angezeigt sind18), schei
nen sie nichtsdestoweniger den Vorstellungen Eberts einigermaBen
gerecht zu werden, nahm dieser doch einen Tag nach seiner Wahl
zum Reichsprasidenten vor Pressevertretern zu Fragen der kuinf
tigen Politik und zum Programm des noch gar nicht im Amte
befindlichen Kabinetts in einer Weise Stellung, die eher einem
Regierungsmitglied zugekommen ware'9).
14) Preu?, Staat, Recht und Freiheit, S. 387.
15) So Fischer (Anm. 10).
16) Preu?, Staat, Recht und Freiheit, S. 388.
17) Philipp Scheidemann, Memoiren eines Sozialdemokraten, Bd. 2,
Dresden 1928, S. 353.
18)Wilhelm Keil, Erlebnisse eines Sozialdemokraten, Bd. 2, Stuttgart 1948,
S. 170f., wei? von einer Rivalit?t zwischen Ebert und Scheidemann gerade
in der Besetzung der beiden h?chsten Reichs?mter im Februar 1919.
19) Text :
Frankfurter Zeitung :
FZ) Nr. 118 vom 13. Februar 1919.
(im folgenden
6. Friedrich Ebert als Reichsprdsident 5
II.
Falsch ist es aber, wie Bracher dies tut20), die von Scheide
mann referierte, zeitbedingte AuBerung Eberts als abstraktes,
quasi zeitloses Statement fur ein ebenso unverwandeltes Amts
verstandnis Eberts zu werten. Denn sehr schnell scheinen die
hochfliegenden Erwartungen Eberts einer rapiden Ernuichterung
gewichen zu sein. Dazu wird die allgemeine politische Konstellation
schon zu Beginn seiner Amtszeit in nicht geringem MaBe bei
getragen haben. So hat Ebert - wenn ilberhaupt - an den Koali
tionsverhandlungen,die derKonstituierung desKabinetts Scheide
mann voraufgingen, allenfalls als SPD-Fraktionsmitglied bzw. als
Mitglied des Fraktionsvorstandes teilgenommen; das Regierungs
programm ist nachweislich ohne sein Einwirken aufgestellt wor
den2l), und zu Personalfragen hat sich Ebert (zumindest nach
Ausweis der Fraktionsprotokolle) nur ein einziges Mal kurz ge
duBert22).
Die von PreuB und anderen Zeitgenossen mit Besorgnis regi
Untatigkeit Eberts bei der erstenWeimarer Regierungs
strierte23)
bildung war durch die Tatsache mitbedingt, daB die Koalitions
verhandlungen vor seiner formellen Amtseinsetzung im wesent
lichen abgeschlossen werden konnten; bei dem Ringen um die
Annahme des Versailler Friedensvertrages aber iibte Ebert glei
chermaBen eine Zuruckhaltung, die sich nicht mehr mit auBeren
Umstanden erklaren laBt.DaB Ebert gegen die Friedensbedingun
gen der Entente-Machte eingestellt war24), stellt keine Besonder
*?) Bracher, Aufl?sung, S. 48.
21) F?r die interfraktionellen
Besprechungen hatte die SPD-Fraktion
Richard Fischer, Paul Lobe und Carl Severing delegiert: Severing, Mein
Lebensweg, Bd. 1, K?ln 1950, S. 237; die Ausarbeitung eines Programm^
entwurfs ?bertrug die SPD-Fraktion einer zehnk?pfigen Kommission, der
Ebert nicht angeh?rte: Protokoll der SPD-Fraktionssitzung vom 4. Februar
1919, vorm. Instituut voor Sociale Geschiedenis, Amster
(Internationaal
dam; die Edition steht bevor).
der Protokolle
der SPD-Fraktionssitzung vom 10. Februar
2a) Im Protokoll 1919, vorm.,
hei?t es nur summarisch, da? (u. a.) Ebert sich an ?l?ngerer Diskussion"
?ber die Besetzung der drei h?chsten Reichs?mter beteiligt h?tte.
23) Preu? am 8. April 1919 im Verfassungsausschu?: RTA, Bd. 336, S. 276;
Heinze am 5. Juli 1919 in der Nationalversammlung :
RTA, Bd. 327, S. 13391 ;
Koch-Weser am 13. Februar 1919: G?nter Arns, Erich Koch-Wesers Auf
zeichnungen vom 13. Februar 1919, VfZG 17 (1969), S. 112.
24) Dies kann als Tatsache gelten; viele voneinander unabh?ngige Zeugnisse
stimmen in diesem Punkte ?berein. Wenn ?berhaupt, so ist Ebert (nach
Otto Meissner, Staatssekret?r unter Ebert, Hindenburg, Hitler, Hamburg
7. 6 Giinter A mns
heit dar; daB der Vertrag schlieBlich unterzeichnet wurde, ist kein
Beweis fur einen Wandel von Eberts Amtsauffassung. Indes: es
gibt keinen Hinweis, dem zu entnehmen ware, daB Ebert seiner
Haltung zum FriedensschluB energischen Nachdruck verliehen
hatte, geschweige denn, daB er dem Kabinett seine Ansicht aufzu
zwingen bestrebt gewesen ware, - dies, obwohl Ebert seit Bekannt
werden des Vertragsentwurfes regelmaBigden Kabinettssitzungen
beigewohnt hat, dies, obwohl er mit Scheidemann ,,in jenen Tagen
in dauernder Fuhlung stand"25). Die mangelnde EinfluBnahme
Eberts mag das Protokoll der Kabinettssitzung vom Vormittag
des 8. Mai veranschaulichen, das mit den Worten beginnt: ,,Der
Reichsprasident eroffnet die Sitzung. Er bittet, trotz der Erregung,
die alle Anwesenden in Folge der bekannt gewordenen Friedens
bedingungen der Entente durchzittert, das, was z. Z. vorliege, mit
Ruhe zu prtifen"26). Danach setzte die Diskussion unter den Mini
stern ein, an der Ebert sich nicht weiter beteiligte. Bei aller Vor
sicht, die der Worttreue der Protokolle gegeniuber geboten ist,
erlaubt die wiedergegebene Formulierung die Interpretation, daB
Ebert sich hier als outsider des Kabinetts, als Ehrengast empfand,
dem es verstattet war, einige einleitende Worte zu sprechen und
gegebenenfalls klarende Zwischenfragen zu stellen, nicht aber in
haltlich in die Debatte einzugreifen.
Was uiber das Verhaltnis von Reichsprasident und Kabinett
bereits fur den Frtihsommer 1919 zu bemerken ist, laBt Rtick
schliisse auf Eberts inzwischen gewandeltes Verstandnis seiner
Amtsfunktionen zu: drei Monate nach seiner Wahl wollte Ebert
nicht mehr ,,die Politik bestimmen". Ware dem anders, hatte der
Reichsprasident die Verfassungsnorm, die ihm den AbschluB von
Vertragen mit anderen Staaten zusprach27), ohne sonderliches
juristisches Raffinement materiellrechtlich zu seinen Gunsten aus
legen konnen. Statt dessen belieB Ebert die Entscheidung fiber die
Friedensunterzeichnung dem Parlament28).
1950, S. 61) erst am Abend des 19. Juni ?in seiner schwankend
Meinung
geworden".
*5) Scheidemann, Memoiren, Bd. 2, S. 368.
26) Bundesarchiv (im folgenden: BA) R 43 1/1349, Bl. 52.
27) Art. 45 Abs. 1 WRV; entsprechend ? 6 Satz 2 des ?Gesetzes ?ber die
vorl?ufige Reichsgewalt" vom 10. Februar 1919 (RGB1.1919, S. 169).
28) Alma Luc kau, Unconditional Acceptance of the Treaty of Versailles
by the German Government, June 22-28, 1919 [Memorandum von Mayer
Kaufbeuren, Johannes Bell und Victor Naumann], Journal of Modern Hi
story 17 (1945), S. 216: ?President Friedrich Ebert then [18. 6.] ruled that
the final decision on the treaty be left to the plenary session of the national
assembly".
8. Friedrich Ebert als Reichsprdsident 7
In diesem Zusammenhang sei als weiteres Kriterium fur die
Eigenrestriktion der Ebertschen Kompetenzauslegung vermerkt,
daB die zu verzeichnende Zuriickhaltung noch vor der Verabschie
dung der Verfassung erfolgte. Hatte Ebert mitbestimmend oder
gar entscheidend in die Politik einwirken wollen, so hatte er sich
(wenigstens formalrechtlich) auf den ? 6 der bis Mitte August guil
tigen Notverfassung29) sttitzen k6nnen, nach dessen erstem Satz
,,dieGeschafte des Reichs" ausdruicklichvom ,,Reichsprasidenten
gefuihrt"werden sollten, eine Bestimmung, die in die Weimarer
Reichsverfassung keinen Eingang gefunden hat. Verfassungstreue
allein,wie gern argumentiertwird, kannmithin diese Eigenrestrik
tion keineswegs erklaren; es muissen starke personliche Imponde
rabilienmitgewirkt haben, die anscheinend auch von Hugo PreuB3
mit einigem Befremden beobachtet worden sind. In seiner im
Herbst 1919 verfaBten Broschuire fiber ,,Deutschlands Staatsum
walzung" entwickelt PreuB seine bekannten Thesen eines demo
kratisch-parlamentarischen Staatswesens; an einer Stelle ist eine
Bemerkung eingeschoben, die in seinen frtuherenSchriften fehlt
und die, falls nicht alles tauscht, leicht verschleierte Zweifel an
der Person Eberts anmeldenwill: Der Reichsprasident, sagt PreuB3
hier, k6nne ein Gegengewicht der Parteien bilden, ,,wenn er der
Mann danach" sei30).Sofern diese Parenthese richtig gedeutet ist,
hatte Ebert seine Handlungs- und Entscheidungsfreiheit binnen
weniger Monate enger begrenzt aufgefaBt als es den Intentionen
der Verfassung entsprochen hatte; dies als ,,Verfassungstreue" zu
definieren, erscheint wenig sinnvoll.
Wahrend seiner gesamten weiteren Amtszeit ist durchgangig
dieselbe Tendenz Eberts zu erkennen, sich der Tagespolitik m6g
lichst fernzuhalten. Bekanntlich hat Ebert dem Rapallo-Vertrag
mit erheblicherReserve gegenflbergestanden3l).
Nicht bekannt ist
jedoch, daB er sich dem VertragsabschluB widersetzt hatte, und
wenn, so ware er dem Willen des Reichskanzlers Wirth letztlich
29) ?Gesetz ?ber die vorl?ufige Reichsgewalt" (Anm. 27).
80) Hugo Preu?, Deutschlands Staatsumw?lzung. Die verfassungsm??igen
Grundlagen der deutschen Republik, Berlin 1919, S. 11 : ?Nur durch die
unmittelbare Volkswahl [...] erh?lt der Reichspr?sident die den echten
Parlamentarismus bedingende ebenb?rtige Stellung neben dem Reichstage;
sie gibt ihm, wenn er der Mann danach ist, die M?glichkeit, dem Kleinkriege
der Parteien und ihren Eintagsintrigen ein Gegengewicht zu bieten".
81) Vgl. Ernst Laubach, Die Politik der Kabinette Wirth 1921/22, L?beck/
Hamburg 1968, S. 216, mit weiterer Literatur. Vgl. auch das Zitat Wirths
bei Rudolf Morsey, Die Deutsche Zentrumspartei 1917-1923, D?sseldorf
1966, S. 491 Anm. 2.
9. 8 Giinter A rns
gefiugig gewesen. Zweifellos hatte eine Unterschriftsverweigerung
Eberts eine eklatante Desavouierung Wirths dargestellt, die
h6chstwahrscheinlich dessen Ruicktritt nach sich gezogen hatte;
doch daB Wirth eine vorherige Information oder gar Konsultation
des Reichsprasidenten trotz entsprechender dringender Bitten
Eberts32) furuiberfliissigerachtete,weist auf,wie wenig derKanzler
mit einer Intervention Eberts rechnete, wie gering - ailgemeiner
formuliert - der EinfluB des Reichsprasidenten auf die Politik
eingeschatzt wurde.
Ein halbes Jahr zuvor war es uber die prasidentielle Amts
befugnis zu einer erregtenDiskussion in der Offentlichkeit gekom
men33). AnlaB war das Scheitern der interfraktionellenVerhand
lungen, die die Umbildung der Regierungsbasis in eine GroBe
Koalition zum Gegenstand hatten34).Ebert beftirwortete die Her
stellung der GroBen Koalition35), und mancherorts glaubte man
aus der Tatsache, daB an ein und demselben Tage sich SPD und
DVP fur eine Regierungsbeteiligung der jeweils anderen Partei
aussprachen36),einenmanipulativen Winkelzug Eberts herauslesen
32) Vgl. G?nter Rosenfeld, Das Zustandekommen des Rapallovertrages,
Zs. f. Gesch.wiss. 4 (1956), S. 678-697; dort (S. 683) Ausf?hrungen Eberts
nach Akten des B?ros des Reichspr?sidenten.
*) Besonders temperamentvoll die dem linken DVP-Fl?gel nahestehende,
durchaus staatsloyale K?lnische Ztg. Nr. 697 vom 16. Oktober 1921 (dort
u.a.: ?der Reichspr?sident hat sich nicht
ger?hrt, obwohl [...] eine Regie
rung von Stresemann bis Scheidemann, soviel wir wissen, auch den Anschau
ungen des Herrn Ebert entspricht"), Nr. 711 vom 21. Oktober 1921 (?Wo
bleibt der Reichspr?sident?"). In diesem Zusammenhang steht auch der
Artikel von Hugo Preu?, ?Parlamentarische Regierungsbildung", Berliner
Tageblatt Nr. 476 vom 9. Oktober 1921 (auch in: Preu?, Staat, Recht und
Freiheit, S. 442-^-46; dort S. 445 :?die Initiative zur Bildung der Koalition [!]
sowohl nach der sachlich programmatischen wie nach der pers?nlichen Seite
ist Recht und Pflicht des leitenden Staatsmannes [gemeint ist der Reichs
pr?sident], dessen verantwortliche F?hrung nicht durch vorherige Ab
machungen der Fraktionen zu binden ist").
84) Vgl. neben Lau bach, Politik der Kabinette Wirth, S. 86-89: Lothar
Albertin, Die Verantwortung der liberalen Parteien f?r das Scheitern der
Gro?en Koalition im Herbst
1921, HZ 205 (1967), S. 566-627.
35) Vgl. das Schreiben Eberts vom 25. Oktober 1921, in dem dieser Wirth
mit der Kabinettsneubildung beauftragte (Europ?ischer Geschichtskalender
37 [1921] I, S. 294) : ?Seit Wochen ist es mein unausgesetztes Bem?hen
gewesen, f?r eine Verbreiterung der
gegenw?rtigen Regierungskoalition die
Grundlage zu schaffen". Da? Ebert sich ?bem?ht" habe, ist formelhafte
?bertreibung; vgl. das Zitat aus der K?lnischen Ztg. Nr. 697 in Anm. 33.
36) Die am 20. September 1921 angenommene Resolution des G?rlitzer SPD
Parteitages: Protokoll ?ber die Verhandlungen des Parteitages der SPD,
10. Friedrich Ebert als Reichsprdsident 9
zu k6nnen37). Diese Unterstellung entspricht nach aller Wahr
scheinlichkeit nicht den Gegebenheiten38), wie denn Ebert die
daraufhin einsetzenden langwierigen Koalitionsverhandlungen -
nimmt man das Schweigen der Quellen als Indiz - vollig passiv
dem ergebnislosen Abbruch hat zutreiben lassen. Der denkbare
Einwand, daB eine Erweiterung der Regierungskoalition nicht
unmittelbar die Interessensphare des Reichsprasidenten beriihrt
habe, ist schon deshalb nicht stichhaltig, weil das MifBlingendieses
Versuches die nachste Regierungskrise und die Demission des
ersten Kabinetts Wirth im Oktober 1921 wesentlich mitbedingte
und weil Ebert, wie erwahnt, an einer GroBen Koalition de facto
interessiertwar. Dabei konnten die bisherigen Erfahrungen wenig
den Optimismus rechtfertigen, die Fraktionen wiirden sich ohne
AnstoB von auBenuntereinander verstandigen k6nnen. Konzediert
man aber Ebert eine auch nur mittelmaBige Fahigkeit zu politi
scher Erfahrung und zu politischer Prognose, so bleibt nur, daB
er nicht wuBte, wo, wie und in welchem Umfange er auf die Koa
litionsverhandlungen einwirken soilte und daB er aus diesem
Grunde lieber uberhaupt nicht einwirkte. Als dann das Dilemma
passiert und das Kabinett zurtickgetreten war, bat Ebert die Fuihrer
der Demokratischen Partei, nochmals einen Schritt in Richtung
abgehalten in G?rlitz vom 18. bis 24. September 1921, Berlin 1921, S. 389
Nr. S. 207 - Zu dem
(Antrag 304), (Abstimmung). Beschlu? der DVP
Fraktion auf der Sitzung am 20. September 1921 in Heidelberg vgl. Henry
-
Ashby Turner, Stresemann Republikaner aus Vernunft, Berlin/Frankfurt
1968, S. 96; vgl. dazu Stresemanns Rede am 21. September in Pforzheim
(FZ Nr. 707 vom 23. September 1921) : ?Die Frage, ob die Deutsche Volks
partei mit der Sozialdemokratischen Partei in einer Regierung zusammen
arbeiten soll, beantworte ich mit einem glatten Ja".
87) Rudolf Breitscheid, Das Spiel von G?rlitz, Der Sozialist Nr. 30 vom
26. September 1921 : ?Heute ist bekannt, da? schon vor einer Reihe von
Wochen Besprechungen zwischen F?hrern der Sozialdemokratie und F?h
rern der DVP stattgefunden haben. Wir kennen die Namen der Beteiligten
und wissen, da? unter ihnen der oberste Beamte der Republik, der Reichs
pr?sident Ebert, eine hervorragende Rolle spielt".
88) Der Vorw?rts Nr. 459 vom 29. September 1921 bezeichnete Breitscheids
Ausf?hrungen als ?Gruselgeschichten". Stresemann ?u?erte am 3. Oktober
im Gesch?ftsf?hrenden Ausschu? der DVP (BA R 45 H/55, Bl. 425) : ?Die
Reichstagsfraktion habe ihre Stellungnahme zur Bildung einer breiten Koa
lition in ihrer Heidelberger Sitzung festgelegt. Diese Heidelberger Tagung
sei zuf?llig auf denselben Zeitpunkt gefallen wie der G?rlitzer Parteitag der
Sozialdemokratie. Irgend ein Zusammenhang habe selbstverst?ndlich nicht
bestanden". Vgl. schon die Meldung der Nationalliberalen Correspondenz
vom 23. September 1921 ; zit. Deutsche Allgemeine Ztg. Nr. 448 vom 24. Sep
tember.
11. 10 Giinter A ns
auf die GroBe Koalition zu unternehmen39), ein Ansinnen, das
allerdings auch an Eberts politische Instinktsicherheit einige Zwei
fel heranzutragen nahelegt. Innerhalb von nicht 24 Stunden schlug
auch dieser erneute Versuch fehl40).
Geradezu selbstaufopfernd war die politische Enthaltsamkeit
Eberts, als die Fraktionen des Reichstages ein Jahr spater tiber
die Prasidentenneuwahl verhandelten. Ebert hatte schon wieder
holt auf eine plebiszitare Wahl gedrangt4l), wie die Verfassung sie
vorschrieb. Anfang Oktober 1922 eroffnete Vizekanzler Bauer den
Parteien von der Sozialdemokratie bis zu den Deutschnationalen,
die Neuwahl solle ,,nunmehr in absehbarer Zeit durchgefuihrt"
werden; die Regierung sehe als Wahltermin den 3. oder 10. De
zember vor42). Die Vertreter der Parteien erklarten sich mit dem
Regierungsvorschlag einverstanden mit Ausnahme der Abgeord
neten der DVP, die ,,einige personliche Bedenken" anzumelden
hatten und in Erwagung zogen, die Prasidentenwahl um zwei Jahre
zu verschieben, um sie dann gleichzeitig mit den Reichstagswahlen
im Sommer 1924 abzuhalten43). Die ,,pers6nlichen Bedenken" der
DVP bestanden in einer vermuteten Nominierung Hindenburgs
durch die Deutschnationalen zum Prasidentschaftskandidaten, die
die Volkspartei, wie ein ftihrender DVP-Abgeordneter an Strese
mann schrieb44), ,,in eine unangenehme Lage" versetzt hatte. Um
39) Referat Petersens in der Sitzung des DDP-Parteiausschusses am 11. No
vember 1921 :BA R 45 HI/11, Bl. 69.
40) Das Ersuchen Eberts ist auf den Nachmittag des 23. Oktober 1921 zu
datieren; sp?testens am Nachmittag des 24. wurde der Plan aufgegeben.
(Nach Sitzungsprotokollen der Zentrumsfraktion in diesem Zeitraum: BA
Kl. Erw. 476-1, Bl. 365-377; der zwischenzeitlich formulierte Kompromi?
zwischen DDP und DVP: 8 Uhr-Morgenblatt Nr. 246 vom 25. Oktober 1921.)
41) Vgl. Meissner, Staatssekret?r, S. 94.
42) FZ Nr. 707 vom 5. Oktober 1922. Die Besprechungen fanden am 4. Ok
tober in der Reichskanzlei statt.
43) So die offizi?se DVP-Mitte?ung in Die Zeit Nr. 371 vom 5. Oktober 1922.
An der ?Mitteilung einer Nachrichtenstelle, da? man als Ergebnis der gestri
gen Besprechungen [4. Oktober] einen demokratischen Antrag auf zwei
j?hrige Verl?ngerung der Amtsdauer des gegenw?rtigen Reichspr?sidenten
erwarte" (FZ Nr. 710 vom 6. Oktober 1922, die hinzuf?gt, diese Meldung
sei ?unrichtig; ein solcher Antrag liegt nicht vor"), scheint also doch einiges
zutreffend zu sein.
u) Brief Moldenhauers an Stresemann vom 16. Oktober 1922 : Nachla?
Stresemann (Pol. Archiv des Ausw. Amtes, Bonn) 252, H 144504-7. Nach
Moldenhauer war zu bef?rchten, ?da?, wenn wir etwa mit den [Koalitions-]
Parteien Herrn Ebert aufstellten, die Deutschnationalen dagegen Hinden
burg oder eine andere Pers?nlichkeit, 90% unserer W?hler den deutsch
nationalen Kandidaten w?hlen w?rden".
12. Friedrich Ebert als Reichsprdsident 11
derWahlalternative Sozialist gegen Nationalheros aus demWege
zu gehen, hielt die Volkspartei, die sich gerade zu diesem Zeitpunkt
wieder einmal koalitionsfreudig gerierte, aber doch von den
Deutschnationalen nicht allzu demonstrativ abrtickenwollte, eine
Aussetzung derWahl ftir die ihr giinstigste L6sung.
Da weder das Kabinett noch die Regierungsparteien (SPD,
DDP und Zentrum) den volksparteilichen Bedenken einen massi
ven und einheitlichen Willen entgegensetzten, verhandelte man
erst einmal uber eine Woche lang, bis man sich gegenseitig in eine
Sackgasse hineinman6vriert hatte. Als am 14. Oktober der DVP
Parteivorstand formell die Verschiebung der Prasidentenwahl for
derte45)- ein sicheresZeichen daftir, daB die Verhandlungen nicht
,,in kameradschaftlicherAtmosphare" verlaufen waren -, schien
die Situation endgtiltig verfahren. Das Zentrum sah ,,vielleicht
noch einen Ausweg, namlich die Wahl durch den Reichstag"46).
Dies aber setzte eine Verfassungsanderung und also eine Zwei
drittel-Mehrheit des Parlaments voraus. Gegentiber solch heiklem
Unterfangen erachtete man die Anregung Stresemanns doch fur
passabler, wonach das Parlament ein Vertrauensvotum fur Ebert
abgeben, daftir die Prasidentenwahl erst 1924 erfolgen solle47).
Beim Zentrum war bereits vorher eine wenig dezidierte Haltung
festzustellen gewesen; nunmehr schien auch die Demokratische
Partei sich von dem Regierungsvorschlag abwenden und auf die
Seite der DVP uberschwenken zu wollen. ,,Leider haben wir AnlaB
zu der Befuirchtung", schrieb die der DDP nahestehende ,,Frank
furter Zeitung"48), ,,daB auch hier eine Erweichung bereits ein
getreten ist". In einer groB angelegten Besprechung am Mittag
des 16. Oktober stellte sich deutlich heraus, daB3 die buirgerlichen
Parteien inzwischen den von der Volkspartei aufgezeigten Weg zu
beschreiten geneigt waren. Nur die Sozialdemokraten hielten ihn
fur ungangbar. Nach ihrer - durchaus begrtindeten - Auffassung
sei eine parlamentarische Vertrauenskundgebung fur Ebert ein
politischer Akt ohne jegliche verfassungsrechtliche Bedeutung;
von einer Prasidentenneuwahl konne deshalb die SPD nur dann
vom 15. Oktober 1922. Vgl. auch die der
45) FZ Nr. 735 Stellungnahme
Nationalliberalen Correspondenz vom 13. Oktober 1922; zit. FZ Nr. 732 vom
14. Oktober.
46) Zentrums-Parlaments-Korrespondenz vom 14. Oktober 1922 (zit. FZ
Nr. 735 vom 15. Oktober), die hinzuf?gt: ?eine M?glichkeit, die in Abgeord
netenkreisen auch schon besprochen worden ist".
der Fraktionsf?hrer der b?rgerlichen
47) In einer Besprechung Mittelparteien
am Nachmittag des 14. Oktober: FZ Nr. 736 vom 15. Oktober 1922.
48) FZ Nr. 736 vom 15. Oktober 1922.
13. 12 Giinter A ns
absehen, wenn die bislang provisorische Stellung des Reichsprasi
denten in eine definitive umgewandelt wiirde49).Hierdurch ware
aber faktisch die Amtszeit Eberts bis zum Februar 1926 verlangert
worden, eine Aussicht, die der DVP ebenso unangenehm war wie
die auf eine Neuwahl. AuBerdem hatte es dazu eines verfassungs
andemden Gesetzes bedurft, das zu verabschieden den Parteien
noch zwei Tage zuvor als zu problematisch erschienen war. So
regte die DVP an, die provisorische Stellung Eberts zwar beizu
behalten, seine Amtszeit jedoch nicht, wie sie urspriinglich ver
langt hatte, im Sommer 1924, sondem erst mit dem 1. Januar 1925
ablaufen zu lassen50). Am 18. Oktober 1922 fand beim Reichs
kanzler eine erneute Konferenz der Fraktionsfuihrer statt, in der
sich diese auch nach langerer Diskussion nicht auf einen Termin
zu einigen vermochten, bis dann der Vorsitzende der Zentrums
fraktionWilhelm Marx den Vermittlungsvorschlag machte, die
Prasidentschaft Eberts weder bis Anfang 1925 noch bis zum
Februar 1926, sondern bis zum 30. Juni 1925 zu befristen5l). Auch
hiertiber konnte erst in einer weiteren Besprechung am Abend des
18. eine Einigung zwischen SPD und DVP erzielt werden52).Noch
an demselben Abend wurde gemeinsam von SPD, Zentrum, DVP,
DDP und BVP ein entsprechender Gesetzesinitiativantrag im
Reichstag eingebracht53), der nach kurzer Plenardebatte wenige
Tage darauf, und nun doch wieder mit Zweidrittel-Mehrheit, an
genommen wurdeT4).
Wir haben den Gang der mehr als vierzehntagigen Verhand
lungen etwas ausfuihrlicherreferiert, um unsere Meinung zu fun
dieren, daB der Reichsprasident wiederholt Gelegenheit gehabt
hatte, in die Diskussion einzugreifen. Mehr als einmal waren die
49) An der Besprechung nahmen teil die Fraktionsf?hrer der drei Koalitions
parteien, der DVP und der BVP sowie Reichskanzler Wirth, Vizekanzler
Bauer, Innenminister K?ster und Reichstagspr?sident Lobe (Ebert nicht!);
FZ Nr. 739 vom 17. Oktober 1922.
50) Beschlu? der DVP-Fraktion vom 17. Oktober: Die Zeit Nr. 382 vom
18. Oktober 1922.
51) FZ Nr. 745 vom 19. Oktober 1922. Nicht ganz korrekt also Morsey,
Deutsche Zentrumspartei, S. 484.
52) FZ Nr. 746 vom 19. Oktober 1922. Die Besprechung fand um 18 Uhr
statt.
S8) ?Schleuniger Antrag" Nr. 5074 vom 18. Oktober 1922: RTA, Bd. 375,
S. 5506.
54) Reichstagsdebatte am 20. Oktober: RTA, Bd. 357, S. 8816-8843; am
24. Oktober: RTA, Bd. 357, S. 8920-8927. Abstimmung am 24.: RTA,
Bd. 357, S. 8933-8937 unter Nr. 3 (314 Ja-, 76 Nein-Stimmen, 1 Enthaltung).
Das Gesetz vom 27. Oktober: RGB1. 1922 I, S. 801.
14. Friedrich Ebert als Reichsprdsident 13
Fraktionen an einem toten Punkt angelangt, an dem sie ein kla
Wort wahrscheinlichmit innererErleichterung vernommen
rendes
hatten. Auch sachlich ware eine Intervention Eberts gerechtfertigt
gewesen: einmal muBte er ein vitales personliches Interesse daran
haben, seine transitorische Amtsausubung durch eine den verfas
sungsrechtlichen Normen entsprechende abzulosen; zum zweiten
hatte er den Sinn der Verfassung wahren helfen, die ja mit der
Prasidentenwahl durch das Volk ihr spezifischesDemokratiever
standnis realisieren woilte; und zum dritten ware Ebert zur Wah
rung der Wtirde seines Amtes geradezu verpflichtet gewesen, das
Gezank der Parteien um die Frage der Wahl zumindest einzu
schranken.
Was hatte Ebert ganz konkret tun k6nnen? Er hatte mit
guten rechtlichen Griunden die interfraktionellenVerhandlun
gen als unangebracht und ilberfluissig ignorieren konnen, d. h. er
hatte beispielsweise - noch am 14., selbst noch am 17. Oktober -
demonstrativ in der Offentlichkeit erklaren k6nnen, er wuinsche
alsbald Neuwahlen und erwarte vom Kabinett deren technische
Vorbereitung; was die Fraktionen unter sich aushandelten, sei ihm
gleichgtiltig. Er hatte mit einer solch spektakularen MaBnahme in
internem Kreise drohen konnen, hatte allein durch diese Drohung
die interfraktionellen Verhandlungen in eine von ihm gewuinschte
Richtung lenken und jedenfalls den unerquicklichen Hader um die
Befristung seiner Amtszeit abschneiden konnen. Indes tat Ebert
uberhaupt nichts. Fur die Verhandlungsphase vom 4. bis zum
18. Oktober laBt sich nur eine einzige (ihrem Inhalt nach unbe
kannte) Unterredung zwischen Ebert und Reichskanzler Wirth
n-achweisen; mit den Fraktionen scheint Ebert gar nicht konferiert
zu haben. Vielleicht ist die Tatsache, daB die SPD sich bis zum
Abend des 17. Oktober mit dem Gedanken einer Wahlverschiebung
nicht recht befreunden konnte55), ein indirekter Hinweis auf Kon
takte Eberts zu den Sozialdemokraten. Doch auch diese ftigten
sich dem Verlangen der buirgerlichen Mittelparteien, und ganz
sicher ftigte sich Ebert dem Ergebnis der interfraktionellen Be
sprechungen.
Welche politischen Gruinde m6gen Ebert bewogen haben,
die Parteien, die buchstablich uber seinen Kopf verhandelten,
unbeteiligt gewahren zu lassen? Wir finden keine. GewiB ware es
im Falle der Wahl eine Erleichterung gewesen, wenn die Koali
tionsparteien ihren Wahleranhang fur Ebert mobilisiert hatten;
gewiB muBte es Ebert auch wuinschenswert sein, daB die DVP fur
55) FZ Nr. 743 vom 18. Oktober 1922.
15. 14 Giunter Arns
ihn und nicht fur einen Kandidaten der Rechten pladierte. Mehr
politisches Gewicht besaBen die Parteien hier jedoch wohl nicht"6),
selbst unter der Voraussetzung, daB die Wahler bei der Prasiden
tenwahl die gleiche parteipolitische Orientierung wie bei Reichs
tagswahlen zeigen wiirden. Im iibrigen konnten die beiden ersten
Parlamentswahlen der Weimarer Republik, bei denen eine starke
Wahlerfluktuation zu verzeichnen gewesen war, eine derartige
Voraussetzung kaum bestatigen. Die Parteien verzerrten die Bin
dung Eberts an ihr Votum zu einer in keiner Weise realitatsbezo
genen Abhangigkeit, wenn sie die Frage diskutierten, wann denn
nun und ob uiberhaupt gewahlt werden solle; nicht gut denkbar
ist, daB Ebert die objektiv nicht gegebene Abhangigkeit subjektiv
so empfunden haben sollte.
Sind es also weder politische noch gar rechtliche Griinde, die
Ebert zu seinem politischen Entsagen bewogen haben kbnnen, so
mulssen daftir wiederum pers6nliche Hemmnisse verantwortlich
gemacht werden, Imponderabilien, wie wir sie genannt haben, die
mit grobschlachtigen Worten, als da sind: Machtscheu, Kampfes
unmut und Altersresignation, nur unzureichend umschrieben wer
den.
Aus dieser Perspektive erscheint die fur die ,,Machtsteige
rung" des Prasidentenamtes57) gern herangezogene Diktaturgewalt
des Reichsprasidenten nach Artikel 48 in etwas gedampfterem
Lichte. Nur unter erheblichen Vorbehalten kann man aus der
verhaltnismaBig haufigen Anwendung dieser Verfassungsbestim
mung im Jahre 1923 einen wachsenden EinfluB Eberts auf die
Politik folgern. Wenn man auch unterstellen darf, daB Ebert uiber
den Zweck der von ihm erlassenen Verordnungen hinreichend in
formiert war, so waren diese doch zum uiberwiegenden Teil derart
spezifiziert, daB die Initiative des Kabinetts klar zu erkennen ist,
wozu nebenbei auch eine Rechtsverpflichtung bestand58). Eine Pra
56) Dem Problem, wie eine ?Volks"w?hl organisatorisch abzuwickeln sein
w?rde, ist Preu? aus dem Wege gegangen. Die Konstatierung Brachers
(Aufl?sung, S. 40), ?da? solche Akte [...] eben doch durch Parteien oder
parteien?hnliche eingeleitet
Gruppierungen wurden", ist de facto sicher rich
tig. Die Frage ist nur, ob dazu
ein systemimmanenter Zwang bestand, oder
ob nicht gerade das Verhalten Eberts im Oktober 1922 Pr?judizien schuf,
auf die sich die Parteien - etwa 1925 - berufen konnten.
57) Bracher. Aufl?sung, S. 47.
58) Vgl. Gemeinsame Gesch?ftsordnung der Reichsministerien, ? 64: ?Bei
der Vorbereitung von Verordnungen nach Art. 48 der Reichsverfassung sind
in allen F?llen der Reichsminister des Innern, das Bureau des Reichspr?si
denten und die Reichskanzlei zu beteiligen. Der in der Sache zust?ndige
Reichsminister legt den Entwurf dem Kabinett vor. [...] Der in der Sache
16. Friedyich Ebert als Reichsprdsident 15
sidialverordnungwie z. B. die ,,uber Steueraufwertung und Ver
einfachungen im Besteuerungsverfahren" bedurfte einer so de
59)
taillierten Sachkenntnis, daB fur die Paraphierung nur die zustan
dige Ministerialbehorde, fur deren Anregung nur der betreffende
Ressortminister, eventuell noch der Reichskanzler in Frage kam.
Vor Verordnungen mit hochpolitischer Brisanz wie etwa der tiber
die Reichsexekution gegen Sachsen60) sind ausgiebige Debatten
im Kabinett und ein entschiedener Wille des Reichskanzlers
Stresemann aktenkundlich, eine Mitwirkung Eberts bei derWil
lensbildung dagegen, um es ganz neutral auszudrticken, nicht recht
greifbar6l).So erweist sich das Institut der prasidentiellenDiktatur
unter Ebert weniger als Instrument zur Starkung der Macht des
Reichsprasidenten, sondern eher als Medium zur Durchsetzung
und rechtlichen Absicherung von MaBnahmen des Kabinetts62),
wobei eingeraumt werden soll, daB der Artikel 48 ein potentielles
Instrument zur Ausbildung eines Prasidialsystems blieb63). Die
zust?ndige Reichsminister zeichnet die Verordnung gegen und leitet sie dem
Reichsminister des Innern zu, der sie ebenfalls gegenzeichnet, in wichtigen
F?llen auch die Gegenzeichnung des Reichskanzlers einholt und sie sodann
dem Reichspr?sidenten zur Unterschrift vorlegt".
59) Vom 11. Oktober 1923: RGB1. 1923 I, S. 939-941.
60) Verordnung ?betreffend die zur Wiederherstellung der ?ffentlichen
Sicherheit und Ordnung im Gebiet des Freistaats Sachsen n?tigen Ma?
nahmen" vom 29. Oktober 1923: RGB1.1923 I, S. 995.
61) Vgl. Bernhard [/Stresemann], ?Das Kabinett Stresemann" III,
Deutsche Stimmen 36 (1924), S. 23-29; dort S. 251: Das Kabinett habe
er?rtert, ?inwieweit auf Grund des Artikels 48 der Reichsverfassung die
s?chsische Regierung zum R?cktritt aufzufordern sei. [...] Der Reichskanzler
setzte sich darauf [am Abend des 28. Oktober 1923], da eine Verbindung
mit dem Reichspr?sidenten nicht gelang, zun?chst mit dem Reichswehr
minister in Verbindung und besprach die Ma?nahmen, die ergriffen werden
m??ten. [...] Er (der Reichskanzler) w?rde sich mit dem Reichspr?sidenten
zur Erlangung der Zustimmung in Verbindung setzen". In den Kabinetts
sitzungen des 29. Oktober (BA R 43 1/1388, Bl. 383-390) war Ebert nicht
anwesend.
62) Diese Beobachtung schon bei Gerhard Schulz, Der Artikel 48 in poli
tisch-historischer Sicht, in: Der Staatsnotstand, hg. v. Ernst Fraenkel,
Berlin 1965, S. 51 f. Schulz ist jedoch nicht ganz konsequent, spricht (S. 40)
von einem ?Zuwachs an Macht", (S. 44) von ?Machtf?lle des Pr?sidial
amtes" sowie (S. 42) davon, da? die ?schwerwiegende Entscheidung", ob
St?rung bzw. Gef?hrdung von Sicherheit und Ordnung im Reiche vorgelegen
habe, ?ausschlie?lich im Ermessen des Reichspr?sidenten" gestanden habe.
6S) Dies als Konzession an K.D. Bracher, Parteienstaat-Pr?sidialsystem
Notstand, in: Bracher, Deutschland zwischen Demokratie und Diktatur,
Bern/M?nchen/Wien 1964, S. 33-49, f?r den (S. 38) die ?Handhabung der
17. 16 Giunter A ns
etwas anders gelagerte Frage, ob die Regierungen ab Ende 1922
den Charakter von Prasidialkabinetten getragen hatten, ist nicht
allein nach dieser Diktaturbestimmung, sondem auf Grund von
noch weiteren Kriterien zu untersuchen und muB hier unbeant
wortet bleiben. Unbeantwortet bleiben muB ferner, ob nicht auch
unter Hindenburg die durch Anwendung des Artikels 48 gesteigerte
Formalverantwortlichkeit des Prasidenten seit 1930 mehr nur die
Fassade fur eine autonome Politik der letzten Weimarer Kabinette
bildete.
Nur ein einziges Mal scheint Ebert mit einem Anflug herr
scherlicher Geste auf die politische Fuhrung eingewirkt zu haben.
Das war in den Tagen des Kapp-Liuttwitz-Putsches, als er zusam
men mit dem Kabinett zuerst nach Dresden, dann nach Stuttgart
geflohen war. In jenen Tagen stand Ebert mit den Ministern in
standiger Verbindung, nahm an praktisch samtlichen interfrak
tionellen Konferenzen und Kabinettssitzungen teil und gab wieder
holt seiner Meinung zu den durch den Umsturzversuch geschaffenen
Problemen Ausdruck. Dies allein wuirde noch keinen EinfluB
Eberts auf die politischen Entscheidungen beweisen; wie noch zu
zeigen sein wird, wurden seine Anregungen bei der nachfolgenden
Regierungskrise verschiedentlich wenn nicht miBachtet, so doch
uibergangen. Bei einer Gelegenheit allerdings hat Ebert offenbar
bewuBt und in leicht usurpatorischer Weise die Initiative ergriffen.
Am 16. Marz 1920 fuhr der Kommandeur des Wehrkreises Dresden,
General Maercker, zur ,,Vermittlung" zwischen Kapp und der
Reichsregierung nach Stuttgart64). Nach mehreren Vorbesprechun
gen erschien Maercker am spaten Nachmittag im Kabinett, um
die ,,Bedingungen" Kapps fur eine Einigung65) zu unterbreiten.
Wahrend der Sitzung machte sich der ebenfalls anwesende DDP
Fulhrer Conrad HauBmann einige Aufzeichnungen, die w6rtlich
wiedergegeben seien, da es wesentlich auf deren Wortlaut an
kommt66):
[Stuttgart] Altes SchloB 16 III 1920
Reichsministerium-Sitzung mit Fehrenbach u. HauBmann
Ebert eroffnet [...]
5 Uhr Reichsministerium mit Marker [!], Heine
pr?sidialen Gewalt besonders im Krisenjahr 1923 die potentiellen Gefahren"
der dualistischen Verfassungskonstruktion ?schon sichtbar werden lie?".
64) Vgl. hierzu Johannes Erger, Der Kapp-L?ttwitz-Putsch, D?sseldorf
1967, S. 244-246.
65) Die Bedingungen bei Erger, Kapp-L?ttwitz-Putsch, S. 236.
66) Nachla? Hau?mann (Hauptstaatsarehiv, Stuttgart) 43.
18. Friedrich Ebert als Reichsprdsident 17
Ebert: Es ist meine freie Ueberzeugung67), daBWahl der
Nat.Vers. u. des RPraesidenten schnellstens vor
genommenwerden miissen.
Marker: Ich will Ihnen sagen, was [Kapp]68) in Berlin sagt.
Wahl betr. Praesident durchVolk. Fachleute. Amne
stie. Berufsstand. Kammer. Eine Briicke fur die
Reichswehr. Oberst Bauer- Die [Kapp-]Regierung
ist zu jedem Entgegenkommen in Personalfragen
bereit.
Ebert: Ich lehne ab. Ist jemand andererAnsich[t]? Niemand
meldet sich.
Auf diese AulBerungen Eberts hin setzte die recht zahfluissige De
batte ein; Maerckers Mission scheiterte sehr bald. Quellenkritisch
ist den Aufzeichnungen HauBmanns gegenilber erh6hte Acht
Wenn es auch unwahrscheinlich ist, daBEbert
samkeit geboten69).
wortw6rtlich dieses und auch nur das gesprochen hat, was HauB
mann notierte, so bleibt doch der Eindruck unabweisbar, daB der
Reichsprasident mit seiner unmittelbaren Stellungnahme eine in
haltliche Diskussion uiber das ,,Entgegenkommen" Kapps unter
den Ministern vereiteln und die ablehnende Entscheidung des
Kabinetts prajudizierenwoilte.
Moglicherweise hat Ebert sein politisches Engagement in den
Marztagen 1920, das freilich nur bei dieser einen Episode etwas
mehr Plastizitat gewinnt, spater selbst als peinlich und amtsan
maBend empfunden. Denn Koch-Weser schrieb etwa ein Jahr
darauf - kurz nach seiner Entlassung aus dem Innenministerium -
an seine Frau, Ebert stuinde ihm schon seit langerem merkwtirdig
abweisend gegenulber. ,,Er mag keine Leute, die ihm widerspre
chen", erklarte Koch-Weser dieses Verhalten, ,,und ich habe beim
Kapp-Putsch ihm zu tief in die Karten gesehen"70).
Die Nachwirkungen des Kapp-Liittwitz-Putsches zeigen zu
gleich die Grenzen der prasidentiellen EinfluBnahme auf. Die sozial
demokratische Fraktion forderte nach dem perfiden Attentismus
67) Zun?chst notierte Hau?mann ?Entsch" (Entscheidung), strich das Wort
fragment durch und schrieb ?Ueberzeugung".
68) Im Original: ?die Herrfen]".
eine andere Niederschrift von der Hand Koch-Wesers; abgedruckt
69) Vgl.
bei Erger, Kapp-L?ttwitz-Putsch, S. 339f.
70) Brief vom 4. Juni 1921 (in Abschrift): Nachla? Koch-Weser (Bundes
archiv, Koblenz) 27, Bl. 545 f. Der Formulierung k?nnte entnommen werden,
da? Ebert seine eigenen Intentionen w?hrend des Kapp-L?ttwitz-Putsches
verfolgt habe; die umfangreichen Notizen Koch-Wesers aus dieser Zeit
lassen aber nicht erkennen, was Koch-W. gemeint haben k?nnte.
Zeitschrift, 1
Historische Beiheft 2
19. 18 Giinter A ns
der Truppe die Abl6sung des Reichswehrministers Noske; Ebert
dagegen versuchte diesen zu halten und die SPD-Fraktion von
ihrer Forderung abzubringen, schlieBlich gar durch die Drohung
mit seinem Riicktritt. Nichtsdestoweniger bestanden die Sozial
demokraten auf Noskes Entlassung, und Ebert beugte sich der
Fraktionsentscheidung7l). Genauso wenig konnte Ebert seinen
Willen bei der Neubesetzung des Wehrministeriums durchsetzen.
Unsicher ist, ob Ebert oder Reichskanzler Bauer gerne als Nach
folger Noskes den Deutsch-Demokraten Petersen gesehen hatte72);
sicher ist, daB Ebert sich der Nominierung GeBlers durch die DDP
Fraktion73) widersetzte74); sicher ist ebenfalls, daB die DDP
Fraktion ihre Nominierung aufrecht erhalten konnte.
Hiermit ist die Darstellung unwillktirlich wieder in die The
matik der Regierungsbildung eingemiindet. Wie ist das Wirken
des Reichsprasidenten, sein EinfluB speziell auf die Gestaltung der
Reichskabinette zu beurteilen? Die bereits angedeutete erste
Kabinettsbildung vollzog sich in einer Ausnahmesituation und lIBt
Verallgemeinerungen nur bedingt zu. Exemplarisch sei hier die
von Otto Wels in der Sitzung des SPD-Partei
71) Vgl. die Ausf?hrungen
ausschusses vom 30. M?rz 1920 (Protokoll, S. 7; Archiv des SPD-Vorstandes,
Bonn) : ?Wir hatten die ?berzeugung, da? Noske die Dinge nicht ?bersehen
hat [...] und forderten deshalb seinen R?cktritt. Ebert erkl?rte uns darauf,
dann gehe er selbst und setzte uns unter den denkbar st?rksten Druck.
Diesen hielten wir aus [...]. Ebert hat die Drohung, da? er zur?cktreten
m?sse, weil er verantwortlich f?r die Handlungen des Kriegsministers sei,
nicht aufrechterhalten".
72) Aufzeichnung Koch-Wesers von der interfraktionellen Sitzung am
23. M?rz 1^20 (Nachla? Koch-W. 27, Bl. 35) :?Jetzt schl?gt Bauer Petersen
als Reichswehrminister vor. Petersen sagt (ver?rgert wie er ist), er k?nne
es [...] nicht". Anders die Aufzeichnung Hau?manns von der DDP-Frak
tionssitzung am 24. M?rz (Nachla? Hau?mann 25) : ?Payer: Ebert verlangte
[gestern], heute noch Reichswehrminister u. zwar Petersen. [...] Die
Fraktion soll beschlie?en Petersen".
73) Vgl. hierzu Otto Ge?ler, Reichwehrpolitik in der Weimarer Zeit, hg. v.
Kurt Sendtner, Stuttgart 1958, S. 129.
74) Aufzeichnung Hau?manns vom 23. M?rz 1920 (Nachla? Hau?mann 43) :
?Um 3 Uhr gehe ich zu Ebert u. empfehle: [...] Ge?ler sei [als Reichswehr
minister] vorgeschlagen. Nein, sagt Ebert, der ist zu weich. Ge?ler soll sein
Ministerium [f?r Wiederaufbau] behalten. [...] Von Noske trenne ich mich
sehr schwer. Ich: er wird in einem Vierteljahr wiedergerufen. ?B?lder? sagt
Ebert". - scheint Ebert an Ge?ler etwas mehr Gefallen zu
Sp?ter gefunden
haben; vgl. die Ausf?hrungen Petersens nach dem Austritt der DDP aus
der Regierung in der Sitzung des DDP-Parteiausschusses am 11. November
1921 (BA R 45 HI/11, Bl. 70): ?Gessler blieb [...] auf dringenden Wunsch
Eberts".
20. Friedrich Ebeyt als Reichsprdsident 19
Regierungsbildung nach dem Putschabenteuer Kapps unter beson
derer Beobachtung der Tatigkeit Eberts kurz verfolgt, da die
Konstituierung des ersten Kabinetts Muller durchaus nicht auBer
gewohnliche und mithin durchaus symptomatische Zuige tragt.
Bis zum Vormittag des 26. Marz 1920 hatte Reichskanzler
Bauer geglaubt, die Regierungskrise durch eine einfache personelle
Aufftillung seines torsohaftenKabinetts, u. a. durch die erwahnte
Ersetzung Noskes, beheben zu konnen. Auch hierin ist eine Igno
rierung derWiinsche Eberts zu erblicken, der bereits fiinf Tage
vorher, anscheinend direkt nach seinerRuickkehr aus Stuttgart75),
die Demission des Ministeriums befiirwortet hatte. Kurze Zeit
darauf hatte Ebert seineMeinung geandert, wollte das Kabinett
sich nur noch ,,alsbald erganzen" lassen76), so daB der dann er
folgteRuicktritt der Regierung Bauer wiederum nicht als im Sinne
des Reichsprasidenten gelten kann. Die zwischenzeitlich versuchte
Personalerganzung aber scheint nach Ansicht Eberts ausschlieB
liches Privileg der Koalitionsfraktionen gewesen zu sein. ,,Jede
Partei muB einfach sagen, was sie wiinscht", ermunterte er sie
und bemangelte in vorwurfsvollem Unterton deren mangelnden
Eifer: ,,K6nnen die Parteien nicht wenigstens sagen,welche Posten
sie behalten wollen und welche sie etwa fur sich beantragen [ ?]" 77)
Sondierungsbemuhungen solcherArt sind schwerlich als vehemente
Einwirkungen auf die Parteien, nervoses Drangen auf zwischen
parteiliche Einigung kaum als EinfluBnahme des Reichsprasidenten
bei der Regierungsbildung anzusprechen.Und doch bezeugt diese
Zuruickhaltung abermals das Selbstverstandnis Eberts von seinem
Amte. Wenn er wenige Tage zuvor, kurz vor seiner Riickreise nach
Berlin, auf die Frage eines Journalisten, ob ,,Erganzungen oder
teilweise Anderungen in der Reichsregierung vorgesehen" seien,
75) Reichskanzler Bauer sowie die Minister M?ller und Giesberts waren am
Vormittag des 20. M?rz 1920 in Berlin eingetroffen; Ebert fuhr mit den ?bri
gen Ministern erst am 20. um 23 Uhr von Stuttgart ab (FZ Nr. 218 vom
21. M?rz 1920), d. h. er konnte fr?hestens am Vormittag des 21. in Berlin
sein.
76) Ebert am 22. M?rz 1920 in einer Ministerbesprechung (Nachla? Koch-W.
27, Bl. 12) : ,,Kabinet[t] soll R?cktritt anmelden, wie ich gestern sagte,
damit ich es bitten kann, zun?chst weiter zu arbeiten. Dann h?tte man es
in 14 Tagen best?tigen k?nnen. Ich tat das f?r Noske, der aber jetzt
endg?ltig zur?ckgetreten ist. Nun w?rde ich nicht mehr das Kabinetft]
zur?cktreten lassen, sondern alsbald erg?nzen".
77) Aufzeichnung Koch-Wesers von der interfraktionellen Sitzung am Abend
des 23. M?rz 1920: Nachla? Koch-W. 27, Bl. 33/37. Koch-Wesers Kommen
tar: ?Ein trostloser Zustand! Es ist alles in Verwirrung. Ebert, sonst so
klug, versteht nicht den einfachen Vorgang einer Kabinettsbildung".
2*
21. 20 Giinter Arns
zur Antwort gab, daB hierfiir die Beschliisse des Kabinetts und
des Parlamentes entscheidend sein wfirden78), so auBerte sich darin
eben dieses Selbstverstandnis, das Eberts EinfluBmoglichkeiten
nicht nur auf die Politik im allgemeinen, sondern auch auf die
Regierungsbildung im besonderen starker begrenzte als samtliche
Verfassungskautelen.
Nach dem Ruicktritt des Kabinetts Bauer wurde noch am
gleichen Tage der Sozialdemokrat Hermann Muller mit der Neu
bildung eines Ministeriums beauftragt. Das Protokoll der Kabi
nettssitzung vom Vormittag des 26. Marz, in der tiber die Demission
der Bauer-Regierung endgtiltig BeschluB gefaBt wurde, erweckt
die Ansicht, als ob Ebert sich in der Auswahl des Kanzlerkandida
ten freie Entscheidungsbefugnis ausbedungen habe79). Eine solche
Ansicht ware falsch: Zwanzig Minuten vor Sitzungsbeginn beschloB
die SPD-Fraktion, Miller dem Reichsprasidenten als neuen Kanzler
zu prasentieren80). Die Forderung Eberts im Kabinett nach Frei
heit bei der Regierungsbildung und die Zusicherung dieser Freiheit
seitens der SPD-Fraktion ausgerechnet durch Hermann Miuller
sind also offenbar mit beiderseitigem Augenzwinkern ausgesprochen
worden. Spatestens sechs Stunden darauf war letzterem der Auf
trag erteilt8l). Ebert kann demnach gar nicht ernsthaft andere
Kandidaten in Erwagung gezogen haben; er muB dem sozialdemo
kratischen Beschlul3 vorbehaltlos und ohne langes Zogern ent
78) Interview Eberts mit der Schweizerischen Depeschen-Agentur am
20. M?rz 1920; zit. FZ Nr. 218 vom 21. M?rz: ?Dar?ber kann zurzeit noch
nichts gesagt werden. Wir werden in Berlin dar?ber sprechen. Entscheidend
hierf?r sind die Beschl?sse des Kabinetts und der Nationalversammlung".
) BA R 43 1/1354, Bl. 334: ?Der Reichspr?sident erkl?rte sich bereit, die
Demission anzunehmen vorausgesetzt, da? ihm Freiheit bei der Bildung
eines Kabinetts gelassen w?rde. Der Au?enminister M?ller erwiderte, da?
die sozialdemokratische Fraktion dem Herrn Reichspr?sidenten die Freiheit
lassen w?rde. Der Reichspr?sident schlug vor, da? das Kabinett sich nun
mehr machen solle, ob es demissionieren wolle oder nicht. Er
schl?ssig
seinerseits w?rde die Demission bef?rworten [...]. Wenn das Kabinett zu
r?cktrete, so w?rde er einen Reichskanzler bestellen und mit ihm die Bil
dung eines Kabinetts versuchen. Dem Vorschlag des Reichspr?sidenten
wurde zugestimmt". Die Sitzung begann um 11 Uhr.
80) Aufzeichnung Koch-Wesers vom 26. M?rz 1920 (Nachla? Koch-W. 27,
Bl. 55): ?10% Uhr gehe ich zu Loebe. Er sagt [...]: Vor 5 Minuten haben
wir beschlossen, dem Reichspr?sidenten klar zu machen, da? ein neues
von M?ller -
Kabinett m?glichst gebildet werden soll". Was Haungs,
Reichspr?sident, S. 326 Anm. 48, ?ber die Haltung des Zentrums sagt, ist
legend?r.
81) Vgl. die Angabe in Anm. 84.
22. Friedrich Ebert als Reichsprasident 21
sprochen haben. Als uiberaus treffend erweist sich so die Formu
lierung,
mit der das SPD-Zentralorgan die neue politische Situation
verbreitete: ,,Genosse Bauer hat heute um 11 Uhr vormittags
seine Demission gegeben, und der Reichsprasident hat auf ein
stimmigen BeschluB der sozialdemokratischenFraktion den Mini
ster des Auswartigen, Genossen Hermann Muller, mit der Bildung
einer neuen Regierung betraut"82). An den nachfolgenden Ver
handlungenMullers mit den Fraktionen war Ebert ganzlich unbe
teiligt, und abgesehen von der formalen Emennung der Minister
trat der Reichsprasident bei der Kabinettsbildung nicht weiter in
Erscheinung83).Es hat fast symbolhaften Charakter, daB Ebert
sich von den versammelten Parteifulhrern entfernte, als Muller
zur Aufnahme der Koalitionsverhandlungen im Beratungszimmer
Eine geringere EinfluBnahme als die schlichte Absenz
erschien84).
IaBtsich schlechterdings nicht denken.
Ganz ahnlich war Eberts Verhalten bei der Konstituierung
des zweiten Kabinetts Wirth. Schon gleich nach dem Regierungs
rticktritt im Oktober 1921 dachte Ebert an eine Neuberufung
Wirths zum Reichskanzler85), zogerte aber mehrere Tage, da die
fur eine Koalition in Frage kommenden Parteien keine Einigung
untereinander zu erzielen vermochten. Erst nachdem Zentrum
und Sozialdemokratie sich uber die nachsten politischen Schritte
verstandigt hatten und eine parlamentarische (Minderheits-)Basis
fur das neue Kabinett als gesichert gelten konnte, wurde die aber
malige Kanzlerschaft Wirths diskutiert, dem Ebert sogleich die
Fuhrung weiterer interfraktionellerVerhandlungen uberlieB86).
82) Vorw?rts Nr. 159 vom 26. M?rz 1920.
8S) Vgl. dazu die Aufzeichnung Koch-Wesers vom 26. M?rz 1920 (Nachla?
Koch-W. 27, Bl. 59).
84)Nachla? Hau?mann 25 :?Fraktion. 26 III1920, 5 Uhr. Payer: Ich komme
von Ebert, der sich zur?ckzog, als M?ller, sein beauftragter Kanzlerkandi
dat, eintrat".
85) Vgl. den Brief Petersens an seine Frau vom 20. Oktober 1921 (Nachla?
Petersen; in Privatbesitz): ?Trotzdem wird mangels eines besseren Gegen
standes sich gestritten ?ber Wirth : soll er das etwaige neue Kabinett wieder
bilden oder nicht? Ebert will das offenbar; Wirth will auch gern wieder.
'[... Doch:] Es kommen die Parteien zu Geh?r u. werden gefragt, ob sie
Wirth auch das neue Kabinett f?hren lassen wollen oder nicht; damit geht
die Zankerei los u. weiter.
Mein Rat an Ebert, Wirth zu veranlassen, doch
die Sache durch eine
Erkl?rung seinerseits zu kl?ren, fand bei ihm taube
Ohren". (Unterstreichungen im Original hier kursiv.)
86) FZ Nr. 793 vom 25. Oktober 1921: ?Der Reichspr?sident hat gestern
[23.] die Fraktionsf?hrer gebeten, ihn heute nachmittag ?ber den Fortgang
ihrer Verhandlungen zu unterrichten, und er wird dann wahrscheinlich
23. 22 Giunter Arns
Lediglich im November 1922 hat Ebert eigenmachtig eine
Regierungsbildung in die Hand genommen. Von einer ,,Initiative"
des Reichsprasidenten zu sprechen ware auch in diesem Falle nicht
ganz zutreffend (initium!), da der Kanzlerkandidat Cuno, bevor
er von Ebert ,,freie Hand" zugesichert erhielt, mehrere Tage lang
eine Verstandigung mit und unter den Parteien angestrebt hatte.
Die dann erfolgte MaBgabe, Cuno solle ein ,,Geschaftsministerium"
ohne parteipolitische Ausrichtung bilden, riskierte Ebert erst,
nachdem er widersinnigerweise die Zustimmung der Fraktionen zu
diesem Unternehmen eingeholt hatte87). Ein zweiter Versuch
eigenmachtiger Kabinettsbildung ein Jahr spater, als Ebert den
Nichtparlamentarier Albert mit der Bildung eines iuberparteilichen
Kabinetts beauftragte, scheiterte schon im Ansatz an der kuihlen
Resonanz der Parteien88). Eine Regierung ohne oder gar gegen
den Willen der Parteien zu installieren hat Ebert stets sich ge
scheut.
tberblickt man die Regierungsbildungen wahrend der Prasi
dentschaft Eberts, so ergibt sich zusammenfassend folgendes Bild:
In Besprechungen mit Partei- bzw. Fraktionsftihrern konnte der
Reichsprasident zu einem aktuellen politischen Problem deren
Haltung, die fur eine Neugestaltung des Kabinetts geklart sein
muBte, und deren Stimmung zugunsten einer bestimmten Koali
tion erkunden. Bei dieser Gelegenheit konnte er seine eigene Mei
nung prononcieren, beratend und vermittelnd in die Diskussion
eingreifen und im gegebenen Augenblick einen ,,dringenden
seinen Entschlu? ?ber die Ernennung eines neuen Kanzlers treffen". FZ
Nr. 795 vom 25. Oktober 1921: ?Nach dem Abschlu? der interfraktionellen
Besprechung beim Reichspr?sidenten [am Nachmittag des 24.] blieben die
Vertreter des Zentrums und der Sozialdemokraten noch zur?ck, um mit
Dr. Wirth, der inzwischen erschienen war, zu einer engeren Aussprache
zusammenzutreten' '.
87) FZ Nr. 831 vom 19. November 1922: ?Reichspr?sident Ebert forderte
die Parteif?hrer auf, [...] noch einen letzten Versuch Geheimrat Cunos, ein
Kabinett zu bilden, zu unterst?tzen. Diese M?glichkeit w?re allein dann
gegeben, wenn die Parteif?hrer ihr Einverst?ndnis damit erkl?rten, da?
Geheimrat Cuno in der Auswahl der Mitglieder seines Kabinetts und in der
Besetzung der einzelnen Ministerien v?llig freie Hand erhalte, um ohne
Bindung an W?nsche und Forderungen der einzelnen Parteien sein Kabinett
zu bilden".
88) Ebert beauftragte Albert am Nachmittag des 25. November 1923; am
Mittag des 27. gab Albert den Auftrag zur?ck. Die FZ Nr. 879 vom 27. No
vember 1923 meldete, die Berufung Alberts habe bei den Fraktionen ??ber
raschung hervorgerufen und zum gro?en Teil vielfach starke Ablehnung
gefunden".
24. Friedrich Ebert als Reichsprdsident 23
Wunsch"89) auBern. Es hing von dem Grad der jeweiligen partei
politischen Zerfahrenheit ab, inwieweit die Fraktionen die An
regungenEberts aufzugreifen gesonnen waren. Je allgemeiner und
unverbindlicher solche Anregungen gehalten waren, desto eher
zeigten sich die Fraktionen geneigt, ihnen zuzustimmen. Je kon
kreter und detaillierter seine Vorschlage ausfielen - das gilt ins
besondere fur Fragen personellerArt -, desto eher muBte Ebert
mit einer Ablehnung durch die Parteien rechnen90).Ablehnen
konnte Ebert auch; dann kam es auf die Standhaftigkeit der Par
teien an, ob dieser auf seiner ablehnenden Haltung beharren
konnte. Wie die Nominierung GeBlers zumWehrminister gezeigt
hat, bedurfte es im groBen und ganzen keiner allzu eisernen Stand
haftigkeit, um die Entscheidungen Eberts umzustoBen. Nur ein
einziger Fall ist bekannt, in dem der Reichsprasident sein Veto
nicht zu revidieren brauchte, und dieser Fall scheint nur ein neben
sachlichesRandereignis gewesen zu sein9l).
Sofern der Reichsprasident nicht die Initiative bei der Regie
rungsbildung ergreifenwollte - und daftir spricht sein ganzes Ver
halten -, konnte er in den Koalitionsverhandlungen nur mit mehr
oder weniger geschicktem Auftreten das moralische Gewicht eines
iiberparteilichenpouvoir neutre auszuspielen versuchen; er konnte
auBerstenfallsden Gang derVerhandlungen durch eine Riicktritts
drohung zu beschleunigen bzw. zu beeinflussen trachten. Aber
gerade der so ubermaBig haufige Gebrauch der Rticktrittsdrohung
durch Ebert zeigt, daB er weder das eine noch das andere, weder
Verhandlungsgeschick nochmoralisches Ansehen, Autoritat, besaB,
- zumindest, daB er glaubte, keine Autoritat zu besitzen92). Bis
89) Vgl. das Petersen-Zitat in Anm. 74.
90) Meissner, Staatssekret?r, S. 133 (Anfang November 1923): ?Ebert [...]
bem?hte sich in eingehenden Besprechungen mit den f?hrenden Mitgliedern
der Sozialdemokratischen Partei und Fraktion, diese Entschlie?ung [ihre
Minister zur?ckzuziehen, ...] wieder r?ckg?ngig zu machen, fand aber kein
- Protokoll der vom 20. Juni 1919:
Geh?r". SPD-Fraktionssitzung ?Lobe
tr?gt dann einen Wunsch Eberts vor, da? die Fraktion auf Scheidemann
- Diese
einwirken m?ge, da? er in der Regierung verbleiben solle. Einwir
kung wird nach ausgiebiger Er?rterung abgelehnt".
91) Scheidemann, Memoiren, Bd. 2, S. 373 (wohl 20. Juni 1919): ?Auf
die vertrauliche Frage Eberts an Landsberg und mich, wen er als Minister
pr?sident jetzt berufen sollte, machte Landsberg einen Vorschlag, den Ebert
entschieden ablehnte".
9a) Nach Theodor Heuss, Politik. Ein Nachschlagebuch f?r Theorie und
Praxis, Halberstadt 1927, S. 18, bedeutet Autorit?t ?im politischen Sinn
die F?higkeit einer Staatsgewalt oder eines politischen F?hrers, seinen
Willen oder seine Anschauung zu Geltung und zu Wirkung zu bringen. Es
25. 24 Giinter Arns
zum Jahre 1922 hat Ebert bei jeder Regierungsbildung (mit Aus
nahme der Umbildung der Regierung Bauer im Oktober 1919,
wahrend der er auf der Frankfurter Herbstmesse weilte93) diese
scharfe Waffe der Demission ins Feld gefiuhrt94) und so ohne merk
lichenEffekt abgestumpft. Und nicht immer scheint er diese Mal3
nahme sorgsam bedacht und mit bedeutungsschwerer Gravitat
getatigt zu haben, wie man aus einer Notiz ersehen kann, die HauB
mann wahrend der Regierungskrise nach den ersten Reichstags
wahlen aufzeichnete95):
17. Juni [1920] [...] 6 Uhr bei Ebert [...] Ich trete dem Co
operierenmit der heterogenen Volkspartei entgegen. Ebert ist
iuber Hemmung durchmich unbefriedigt. Ich bleibe dabei
die
[...]. Ebert IaBt mich auf morgen Mittag bitten. [...] 18. Juni
Freitag [...] Ich zu Ebert. Er muBte weg, laBtmich durch
Geh.Rat Meissner bitten, doch ja meine Parteigenossen zu
bitten, in die Combination Deutsche Volkspartei einzutreten.
Sonst mt!Bte er als Reichsprasident wegen Unfahigkeit, eine
Regierung zu bilden, demissionieren.
Die tbermittlung der Rticktrittsabsicht durch einen Beamten
degradierte den (wahrscheinlich gar nicht beabsichtigten) Ruick
tritt zu einem Verwaltungsakt von minderer politischer Relevanz
und nahm schon allein dadurch der Drohung ihre (wohl doch be
wird dabei nicht so sehr an den Gebrauch von Gewaltmitteln gedacht [...]
als an die moralische Verbundenheit, die sich freiwillige sachliche Gefolg
schaft erzwingt".
93) Ebert ernannte die neuen Minister telegraphisch von Frankfurt aus: FZ
Nr. 742 vom 4. Oktober 1919.
94) F?r die Kabinettsbildung Bauer: Otto Landsberg, Die Entscheidung
im Kabinett 19. Juni 1919, in: Victor Schiff, So war es in Versailles ...,
Berlin 1929, S. 114f. (Unterredung Ebert-Scheidemann-Landsberg am
19. Juni); Nachla? Koch-W. 16, Bl. 179f. (Aufzeichnung der interfraktio
nellen Sitzung vom 19. Juni 1919); Friedrich Naumann, ?Kriegschronik",
Die Hufe 25 (1919), S. 338 (Aufzeichnung vom 21. Juni); Nachla? Hau?
mann 59 (Aufzeichnung der DDP-Fraktionssitzung vom 20. Juni ?
1919).
F?r M?ller I vgl. oben Anm. 71. - F?r Fehrenbach: ?Streng vertrauliches"
Rundschreiben des SPD-Vorstandes an die Parteipresse vom 9. Juni 1920
(Freiheit Nr. 256 vom 2. Juli 1920); Bayerischer Kurier Nr. 168 vom
16. Juni 1920; vgl. auch n?chste Anm. - F?r Wirth I: Nachla? Koch-W. 27,
Bl. 520 vom 10. Mai - F?r Wirth II: Marx
(Aufzeichnung 1921). auf dem
Zentrumsparteitag f?r den Wahlkreis D?sseldorf-Ost am 30. Oktober 1921
in Elberfeld Ztg. Nr. 515 vom 1. November
(Vossische 1921); Josef Wirth,
Die Festigung der Republik, in :Friedrich Ebert und seine Zeit. Ein Gedenk
werk ?ber den ersten Pr?sidenten der deutschen Republik, Charlottenburg
1928, S. 321.
95) Nachla? Hau?mann 150.
26. Friedrich Ebert als Reichsprdsident 25
absichtigte) Pressionswirkung. Auch ware zu fragen, ob eine De
missionsandrohung uiberhaupt erforderlich war oder ob nicht
geringerwertige Mittel ausgereicht hatten, dem Willen Eberts
gegeniuber HauBmann Geltung zu verschaffen. Ebert hatte ihn ein
zweites Mal und zu demselben Termin einen DVP-Abgeordneten
zu sich bestellen k6nnen; er hatte abwarten k6nnen, ob HauBmann
seine Bedenken gegen eine Koalition der DDP mit der Volkspartei
auch in dessen Gegenwart vorgetragen hatte. Ein kundiger Staats
mann hatte um HauBmanns gerade in diesem Punkte schwache
Position innerhalb der DDP-Fraktion96) gewuBt und diese Tat
sache zu nutzen verstanden. Die so manches Mal unangebrachte
oder doch verfrtihte Drohung mit seinem Ruicktritt offenbart eine
recht schwach ausgepragte Feinnervigkeit Eberts fur taktische
Situationen, was den durchgangig zu verzeichnenden Mangel an
EinfluB auf die Kabinettsbildungen in nicht geringem MaBe mit
bedingt haben wird.
Die gegen Ende 1923 in weiten politischen Kreisen gefuihrte
Diskussion uber eine Auflosung des Reichstages gab dem Reichs
prasidenten die M6glichkeit, den entsprechenden Artikel 25 der
Weimarer Verfassung zum Aus- bzw. Aufbau einer Machtposition
zu benutzen, oder genauer: sie hatte ihm die Moglichkeit dazu
gegeben. Ebert handhabte jedoch auch diese genuin prasidiale
Verfassungskompetenz nicht zielbewuBt und augenscheinlichmehr
nach momentanen Eingebungen als nach politischer Rationalitat.
Mitte Oktober 1923 gewahrte er dem Reichskanzler Stresemann
eine Auflosungsermachtigung, drei Wochen spater verweigerte er
sie ihm97); dem Zentrumsabgeordneten Stegerwald, der sich nach
den Brief Petersens an seine Frau vom 24. Juni 1920
9<J)Vgl. (Nachla?
Petersen) :Petersensei von Anfang an f?r eine Koalition aus DDP, Zentrum
und DVP eingetreten. ?Aber das nun der Fraktion und gar der W?hler
schaft klar und annehmbar zu machen, unmittelbar nach dem Wahlkampf,
ist und war keine Kleinigkeit. Und die F?hrung in der Sache lag und liegt
haupts?chlich in meinen H?nden. Bisher ist eigentlich Alles gut gegangen
[...]. Selbst der Parteiausschu? ist mir gefolgt; die opponierende Minderheit
bei uns in der Fraktion [...] war zum Schlu? sehr klein".
97) Am 4. November 1923 schrieb das Stresemann
nahestehende DVP-Organ
Die Zeit Nr. 256: ?Bringt der Reichstag eine sichere Mehrheit nicht auf, so
wird der Regierung kein anderer Weg bleiben als das Parlament aufzul?sen".
FZ Nr. 820 vom gleichen Tage meldete, Stresemann wolle u. U. ?auf Grund
einer Erm?chtigung des Reichspr?sidenten, die er entweder schon besitzt
oder f?r sicher h?lt", den Reichstag aufl?sen. Am n?chsten Tage korrigierte
sich die FZ Nr. 822: ?Eine Reichstagsaufl?sung [...] kommt deshalb nicht
in Frage, weil, wie wir zu wissen glauben, die daf?r ma?gebende Stelle aus
Gr?nden nicht bereit ist, die Erm?chtigung dazu zu erteilen". FZ
guten
27. 26 Giinter Arns
dem Sturz des Kabinetts Stresemann um eine Neubildung be
muihte, verweigerte er die Aufl6sungsermachtigung98), dem Zen
trumsabgeordneten Marx, der nach dem Scheitern Stegerwalds
das neue Kabinett schuf, gewahrte er sie. Und in den beiden Fallen,
da Ebert eine Aufl6sungsorder zur Verfuigung stellte, unterwarf er
sich anscheinend bedingungslos und ohne Umschweife den Wutn
schen der Kabinettschefs99). Aber gerade zwischen einem glatten
Ja und einem plumpen Nein bestand der taktische Spielraum des
Reichsprasidenten, um sich bei den anderen politischen Macht
faktoren Gehor zu verschaffen. Solches Finassieren mag Ebert als
unehrenwert, als unfein, widerstrebt haben, und so begab er sich
der letzten Chance, EinfluB auf die Kabinettsbildung und auf die
Politik zuruckzugewinnen.
Insgesamt gesehen besaB Ebert nicht mehr politisches Ge
wicht als ein durchschnittliches Partei- oder Fraktionsvorstands
Nr. 855 vom 17. November 1923 wu?te zu der Mitteilung der Zeit Nr. 262
vom gleichen Tage, da? Stresemann ?gegen?ber allen Anzweiflungen" die
Aufl?sung vollziehen werde: ?[Trotzdem] m?chten wir vorl?ufig daran fest
halten, da? diese Eventualit?t bis jetzt nur in den W?nschen des Reichs
kanzlers Dr. Stresemann selbst eineRolle spielt; da? die entscheidenden
Stellen sich f?r eine solche L?sung bereitfinden werden, haben wir nach wie
vor Grund zu bezweifeln". Nach einem Brief an Stresemann vom 5. Dezem
ber 1923
(Nachla? Stresemann 88, H 171547-171551) war die Verweigerung
durch Ebert ?mindestens teilweise auf die Haltung des Herrn Generals
v. Seeckt zur?ckzuf?hren".
98) Vgl. die Ausf?hrungen Stegerwaids in Der Deutsche Nr. 281 vom 30. No
vember 1923: ?Diese [Aufl?sungsorder] zu gew?hren konnte sich der Herr
Reichspr?sident, gest?tzt auf die Verfassung und aus begreiflichen Gr?nden,
nicht entschlie?en".
99) Die mangelnde Einflu?nahme Eberts Mitte Oktober 1923 ergibt sich aus
der Schnelligkeit der Entscheidungen: Unmittelbar vor Beginn der Plenar
sitzung, ?kurz nach 10 Uhr", erschien Stresemann im Reichstag, ?um sich
?ber die Chancen der Abstimmung zu informieren"; ?er begab sich alsbald
zum um ihm ?ber die Situation Bericht zu erstatten
Reichspr?sidenten,
und sich von
ihm die Erm?chtigung zur Aufl?sung des Parlaments f?r den
Fall der Ablehnung des [ersten Erm?chtigungs-]Gesetzes geben zu lassen.
Mit dem vorbereiteten Dekret ?ber die Aufl?sung des Reichstages kehrte
der Reichskanzler kurz vor 12 Uhr in den Reichstag zur?ck. Er empfing
sofort die Fraktionsf?hrer und teilte ihnen den Beschlu? des Reichspr?si
- F?r
denten und der Regierung mit". (FZ Nr. 756 vom 12. Oktober 1923.)
die Situation Anfang Dezember 1923 vgl. die Ausf?hrungen von Staats
sekret?r Meissner im Kabinett am 2. Dezember (BA R 43 10): Bl.
1/1390,
Der Reichspr?sident w?nsche die Parlamentsaufl?sung ?m?glichst hinaus
zuschieben [...]. Er mache jedoch seine Entscheidung von der Entscheidung
des Kabinetts abh?ngig".