Deer in the headlights – Informationsüberflutung und wie man damit umgehen könnte: 3 Thesen
Eine der interessantesten Debatten rund um Informationstechnologien im allgemeinen und das Web im besonderen ist die zur "Informationsüberflutung". Frank Schirrmacher führt sie zur Zeit ausufernd mit seinem Buch Payback und durch eine Reihe von Texten in der FAZ. Den Hintergrund liefert das Portal edge.org (http://www.edge.org/3rd_culture/schirrmacher09/schirrmacher09_index.html). Ich glaube, dass auch die Buchbranche von dieser Debatte lernen kann, denn was sind Bücher anderes als Informationsvermittler? Vor- und zugleich auch Nachteil jeden Buches ist aber die Hermetik, die mit dem Format einhergeht. Ein klassisches Buch kann man nicht "updaten", man kann ihm keine Informationen hinzufügen und die Menge an Text ist allein durch die Seitenzahl stark begrenzt. Ein Buch verlangt also nur eine überschaubare Aufmerksamkeitsmenge, wohingegen das Netz potentiell unendlich viel Aufmerksamkeit verlangt. Schirrmacher hat also zumindest in diesem Punkt recht: Potentiell tendiert das Web als Medium hin zu einer nur durch Algorithmen und (auch sprachlichen) Codes reglementierten Un-fassbarkeit. Es gibt zwei Wege, damit umzugehen. Der eine ist das Prinzip Deer-in-the-headlights: Die Informationslawine rollt unkontrolliert auf uns zu und wir lassen uns schreckstarr unter diesen Informationen begraben. Das ist der eine Weg, die Kapitulation vor der schieren Menge an Information.
Ich schlage einen anderen Weg vor. Das Web bietet nicht nur unendlich viel Information, es bietet auch Tools und Strategien, diese Information in klar abgesteckten, für einen selbst relevanten Arealen zu bewältigen. Dazu ist es aber nötig, klare Ziele vor Augen zu haben und zu wissen, wie Information sich strukturell im Internet fortpflanzt, sich dezentral vermehrt.
Axel Schaefer: Unternehmens- und Liquidtätsplanung im Buchhandel
buchcamp
1. Deer in the headlights
Informationsüberflutung und wie man
damit umgehen könnte: 3 Thesen
»Alles muß im Überfluß vorhanden sein«
– Tocotronic, Hi Freaks
2. Deer In THe He ADlIgHT s 2
Beispiel YouTube
• 2006: 65.000 neue Videos täglich
• 2007: in 1 Minute 6h neues Videomaterial
• 2010: in 1 Minute 24h neues Videomaterial
3. Deer In THe He ADlIgHT s 3
Beispiel Tagezeitungen
• 1650: 1 Zeitung mit einer Auflage von stück 200
• 2006: 353 Zeitungen mit einer gesamtauflage von 21,19 Mio. stück
4. Deer In THe He ADlIgHT s 4
Informationsüberflutung?
»Die schreckenerregende Vielzahl von Büchern,
die ständig zunimmt, stürzt uns in unheilvolle
Verzweiflung.«
– gottfried Wilhelm leibniz, schriften zur logik, 1680
5. Deer In THe He ADlIgHT s 5
These 1
Informationsüberflutung ist kein außergewöhnlicher
status, sondern der zwangsläufige normalfall seit
der Moderne.
6. Deer In THe He ADlIgHT s 6
Was und ab wann ist die Informationsgesellschaft?
• um 1920: nobert Wiener und Teilhard de Chardin
• Noosphäre: gesellschaft wächst durch Information und Technologie
zusammen
7. Deer In THe He ADlIgHT s 7
Was bedeutet Macht in der Informationsgesellschaft?
• Distribution
• Verwertung
• Aggregation
Gatekeeping
8. Deer In THe He ADlIgHT s 8
Wer verteilte Information?
• Zeitung
• Fernsehen
• radio
• Magazine
• Bücher
• also, personalisiert: Journalisten
Und heute?
9. Deer In THe He ADlIgHT s 9
These 2
Das Internet ist mehr als ein weiteres Medium,
weil es die bisherigen medialen Techniken
nahtlos (?) und mit nur geringen reibungsverlusten
inkorporiert.
(aber: es ist zugleich weder Heilsbringer, noch Versprechen der
Informations-Apokalypse)
10. Deer In THe He ADlIgHT s 10
Information ≠ Wissen
• informare: eine Form, gestalt, Auskunft geben
• Wissen ist die produktiv gemachte, verarbeitete Menge an
Informationspartikeln zu einem gegebenen Thema
• Beispiel Wikipedia: generiert Information aus Partikularwissen, der
nutzer transformiert es zu Wissen
• Wissen ist die Bewältigung von Information
11. Deer In THe He ADlIgHT s 11
Was geschieht, wenn wir Information »bewältigen«?
• learning to cope
• den Code des Informationsangebots durchschauen
• z.B. früher: In welchem Buch einer Zeitung finde ich einen Bericht
über das gestrige Fußballspiel? Wo steht eine redaktionelle
einschätzung der aktuellen Kommunalwahl etc.
• heute: Was verrät mir das Design einer seite über ihren Inhalt? Was
sind wiederkehrende strukturen verschiedener seiten: Favicon
und rss-symbol, die Zahl neben dem Titel eine Blogeintrages,
Paginierung …
• Webdesign ist Produktdesign ist Kommunikationsdesign ist
sTrUKTUr
12. Deer In THe He ADlIgHT s 12
Also:
Was bedeutet »Den Wald vor lauter Bäumen nicht
sehen«?
• die struktur nicht sehen
• den Code nicht verstehen
13. Deer In THe He ADlIgHT s 13
These 3
es gibt 4 Typen bzw. strategien zur
Informationsbewältigung:
• Vogel-strauß-Taktik
• Deer in the headlights
• Hühner-strategie
• Trüffelschwein-Taktik
(sorry, kein Cat-Content.)
15. Deer In THe He ADlIgHT s 15
Vogel-strauß-Taktik
• Medienrezeption verlässt sich obrigkeitshörig und ausschließlich
auf die traditionellen Player
• authoritätsbetonend
• negiert subjektive Bedürfnisse
• »Kopf in den sand stecken«
17. Deer In THe He ADlIgHT s 17
Deer in the headlights
• Versuch der Fülle der Information in nuce gewahr zu werden
• erkennt und verzweifelt ob der Möglichkeiten
• schockstarre
• wird von Informationslawine überrollt
20. Deer In THe He ADlIgHT s 20
Hühner-strategie
• Von überall (Informations-)Krumen picken
• verfügt über keine Werkzeuge außerhalb seiner Peer-group und
szene
• gering strukturiert
• verfügt über keinen Tool-Pool
• nach Belieben –> strategie der Digital Naives
22. Deer In THe He ADlIgHT s 22
Trüffelschwein-Taktik
• Definiert sein Ziel und die ungefähren Informationsquellen im
Voraus
• ist sich seiner Partikularinteressen bewusst
• akzeptiert Autoritäten, lässt aber neue Player zu
• relevanzmessung durch empfehlung (Kommunikation) mehr als
durch klassische Werbestrategien
• sucht seine Werkzeuge zu jedem einzelnen Task aus einem im
Hintergrund stets mitschwimmenden Tool-Pool zusammen
• akzeptiert und heisst Diversifikation der Werkzeuge willkommen
• greift auf adäquaten Tool-Pool zurück
23. Deer In THe He ADlIgHT s 23
Journalistische Tugenden
• werden zur allgemeinen richtschnur bei der
Informationsbeschaffung
• Quellensicherheit
• skepsis
• recherchevermögen
• grundlegendes Verständnis des Codes
• grundlegendes Verständnis der Dynamik von Information
24. Deer In THe He ADlIgHT s 24
soziale netzwerke in der Infosphäre? 1/2
• Die Kakophonie des lifestreams
• »ein Datenstrom kontextbefreiter Information« (Peter Kruse)
• Kuratieren des eigenen lifestreams
• netzwerke organisieren weniger die Information, sie geben dem
nutzer (und nutzergruppen) Tools an die Hand, um die Information
ihnen gemäß zu bündeln.
• »Aus der Musterbildung entsteht Wahrheit« (Peter Kruse)
( Pointilismus)
25. Deer In THe He ADlIgHT s 25
soziale netzwerke in der Infosphäre? 2/2
• Myspace als netzwerk zweiter Klasse: Homepages innerhalb eines
netzwerkgeflechts
• Facebook als netzwerk erste Klasse: Weg von der Homepage, hin
zum Multi-User-stream
• Was verändert das in der Infosphäre?
evolution der Empfehlungssyteme:
• 1. generation: Amazon
• 2. generation: lovelyBooks
26. Deer In THe He ADlIgHT s 26
nachweise
• Foto Folie 16: Flickr.com, gelöscht
• Foto Folie 18: HamburgerJung, Flickr.com, http://www.flickr.com/photos/
hamburgerjung/4460649944/
• Foto Folie 19: hddod, Flickr.com, http://www.flickr.com/photos/hddod/536392298/
• Foto Folie 21: das_sabrinchen, Flickr.com, http://www.flickr.com/photos/das_
sabrinchen/4218300417/
• schrift: grandesign neue serif (unter CC-lizenz)
27. Deer In THe He ADlIgHT s 27
Vielen Dank!
Mehr zu mir:
http://www.viess.org
Weiterdiskutieren ab Dienstag auf:
http://aviess.posterous.com
Diesen Vortrag online sehen und downloaden:
http://slideshare.net/aviess/buchcamp
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nc (namensnennung, nicht kommerziell). D.h. sie dürfen die Inhalte weitergeben, verändern und
weiterverarbeiten, solange dies nicht zu kommerziellen Zwecken geschieht und sie mich, Alexander
Vieß, als Urheber des Originalvortrages angeben.
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Creative_commons oder http://de.creativecommons.org/
28. Deer In THe He ADlIgHT s 28
nochmal: 3 Thesen zur Diskussion
• Informationsüberflutung ist kein außergewöhnlicher status,
sondern der zwangsläufige normalfall seit der Moderne.
• Das Internet ist mehr als ein weiteres Medium, weil es die
bisherigen medialen Techniken nahtlos (?) und mit nur geringen
reibungsverlusten inkorporiert.
• es gibt 4 Typen bzw. strategien zur Informationsbewältigung:
Vogel-strauß-Taktik
Deer in the headlights
Hühner-strategie
Trüffelschwein-Taktik