Dem Internet der Dinge sowie dessen Ausprägungen – z.B. Industrie 4.0, Smart Cities oder Smart Grids – werden in den kommenden Jahren wegweisende Bedeutungen für den Wirtschaftsstandort Deutschland zugeschrieben. Es steht unter Anderem sinnbildlich für autonom agierende und intelligente Computersysteme, die selbständig Entscheidungen treffen können, die nur bedingt vorbestimmt sind. Der Vertrag stellt dar, für wen sich juristischen Konsequenzen aus einem intelligenten Handeln autonomer Maschinen ableiten. Dabei wird zivil-, haftungs- und datenschutzrechtlichen Fragen autonomer Software und Systeme nachgegangen und aufgezeigt, welche rechtlichen Anforderungen bei Entwicklung und Einsatz von smarten Anwendungen im Internet der Dinge zu berücksichtigen sind.
9. Willenserklärungen
• Klassisches Verständnis „Computererklärung“:
• Keine Verantwortlichkeit der Maschine
• Verantwortlichkeit des Entwicklers = Geschäftsfähigen
• BGH, Urt. v. 26.1.2005 – VIII ZR 79/04:
• „Die Verfälschung des ursprünglich richtig Erklärten auf dem Weg zum
Empfänger durch eine unerkannt fehlerhafte Software ist als Irrtum in der
Erklärungshandlung [der den Programmablauf bestimmenden Person]
anzusehen.“
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10. Willenserklärungen
• Autonomes Handeln von Maschinen
• Autonomie-Grad 10: „The computer decides everything, acts
autonomously, ignoring the human“
• Autonome Systeme verfolgen eigene Interessen (gegen Entwickler)
• Entwickler beherrscht Programmablauf nicht (mehr)
• Subjektiver Erklärungstatbestand entfällt
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11. Willenserklärungen
• Autonomes System = kein Erklärungstatbestand
• Keine Willenserklärung = keine Rechtsgeschäfte?
• Fiktion einer Willenserklärung durch (vorherigen) Vertrag?
• Vereinbarung der Parteien über Erklärungsfähigkeit autonomer Systeme
• Beachte: Relativität der Vereinbarung = Bindung nur beteiligter Parteien
• Ersetzung Willenserklärung durch Risikozuordnung?
• mit BGB unvereinbar = §§ 104 ff. BGB analog?
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13. Haftung
• Beispiel: autonomes Fahren im Smart Car
• § 7 I StVG: „Wird bei dem Betrieb eines [Kfz ...] ein Mensch getötet
[...] oder eine Sache beschädigt, so ist der Halter verpflichtet, dem
Verletzten den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen.“
• § 7 II StVG: „Die Ersatzpflicht ist ausgeschlossen, wenn der Unfall
durch höhere Gewalt verursacht wird.“
• Fehlfunktion autonomes System = höhere Gewalt?
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14. Haftung
• Beispiel: autonomes Fahren im Smart Car
• § 18 I StVG: „In den Fällen des § 7 [I] ist auch der Führer des
Kraftfahrzeugs [...] zum Ersatz des Schadens [...] verpflichtet. Die
Ersatzpflicht ist ausgeschlossen, wenn der Schaden nicht durch ein
Verschulden des Führers verursacht ist.“
• Fehlfunktion autonomes System = kein Verschulden Führer Kfz?
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15. Haftung
• Vertragliche Haftung
• § 280 I 1 BGB: Pflichtverletzung beim Handeln autonomer Systeme?
• § 280 I 2 BGB: Vertreten müssen der Pflichtverletzung?
• § 241 II BGB: Schutzpflichten bei autonomen Systemen?
• § 311 II BGB: Vorvertragliche Aufklärungspflichten?
• § 434 I, 633 II BGB: Sachmangel bei Fehlfunktion?
• Darlegungs- und Beweislast? Umkehrung? Sekundäre Beweislast?
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16. Haftung
• Gesetzliche Haftung (I)
• § 823 I BGB: Deliktische Haftung (Verschulden)?
• § 823 II BGB: Schutzgesetzverletzung?
• § 831 I BGB: Haftung für Verrichtungsgehilfen?
• Hersteller autonomer Systeme als „zur Verrichtung Bestellter“?
• Auswahlverschulden?
• Ergänzend: Organisationsverschulden, § 823 I BGB?
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17. Haftung
• Gesetzliche Haftung (II)
• § 830 BGB: Mittäter und Beteiligte?
• § 830 I S. 2 BGB: „Das Gleiche gilt, wenn sich nicht ermitteln lässt, wer von
mehreren Beteiligten den Schaden durch seine Handlung verursacht hat.“
• Hersteller autonomer Systeme als Beteiligter = Gesamthaftung?
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23. Interaktionsfähigkeit
• Leistungsgegenstand Interaktionsfähigkeit bei Kauf
• Vereinbarte Beschaffenheit, § 434 I 1 BGB?
• Eignung für im Vertrag vorausgesetzte Verwendung,
§ 434 I 2 Nr. 1 BGB?
• Eignung für gewöhnliche Verwendung plus übliche
und zu erwartende Beschaffenheit für Sachen gleicher Art,
§ 434 I 2 Nr. 2 BGB?
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24. Interaktionsfähigkeit
• Leistungsgegenstand Interaktionsfähigkeit
• Erhaltung Interaktionsfähigkeit ist in Zukunft gerichtete Leistung
• Werkvertrag oder Mietvertrag mit Erhaltungspflicht?
• Kaufvertrag mit anschließendem Pflege-/Wartungsvertrag?
• Problem: Zugang Anbieter (Remote/IT-Sicherheit/Datenschutz)?
• Problem: Erhaltung Integration in Umsysteme?
• Problem: Test der (zukünftigen) autonomen Interaktionsfähigkeit?
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27. Telekommunikation
• Telekommunikationsdienst, § 3 Nr. 24 TKG:
• „in der Regel gegen Entgelt erbrachte Dienste, die ganz oder
überwiegend in der Übertragung von Signalen über
Telekommunikationsnetze bestehen, [...]“
• Diensteanbieter, § 3 Nr. 6 TKG:
• „jeder, der [...] geschäftsmäßig a) Telekommunikationsdienste
erbringt oder b) an der Erbringung solcher Dienste mitwirkt“
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28. Telekommunikation
• Signalübertragung = Rückgriff OSI-Schichtenmodell
• strittig: Einordnung OTT-Dienste („over the top“)
• VG Köln, Urt. v. 11.11.2015 – 21 K 450/15 (zu Google Mail)
• „wertend-funktionale Betrachtung“ erforderlich
• Veranlassung der Signalübertragung eines Dritten ausreichend
• Beachte: Drittbezug erforderlich (nicht ausreichend: interne Übertragung)
• Beachte: Nicht rechtskräftig, Sprungrevision zugelassen
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30. (personenbezogene) Daten
• Zuordnung der Daten von oder aus autonomen Systemen
• Kein Eigentum an Daten (fehlende Sacheigenschaft)
• Data Ownership bedarf vertraglicher Festlegung
• Data Quality bedarf vertraglicher Festlegung (vergleichbar SLA)
• Daten/Datensammlungen als sonstiges Recht?
• Daten/Datensammlungen als Betriebs-/Geschäftsgeheimnisse?
• Daten/Datensammlungen als Urheber-/Leistungsschutzrecht?
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31. (personenbezogene) Daten
• Personenbeziehbarkeit der Daten
• Weites Verständnis: absolute Theorie
• Zur Entscheidung beim EuGH – C 582/14
• Vorlage durch BGH, Beschl. v. 28.10.2014 –VI ZR 135/13
• Bei Personenbeziehbarkeit: Anwendbarkeit BDSG
• Zu beachten: ggf. Vorrang Spezialgesetze (TKG, siehe oben)
• Rechtsfolge: Verbot mit Erlaubnisvorbehalt, § 4 Abs. 1 BDSG
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32. (personenbezogene) Daten
• Lösungsansätze:
• Anonymisierung, § 3 VI BDSG = Datenschutzrecht unanwendbar
• Beachte: De-Anonymisierung führt zurück ins Datenschutzrecht
• Notwendig: Fortlaufende Überprüfung der Anonymität in Prozessen
• Pseudonymisierung, § 3 VIa BDSG = Datenschutzrecht anwendbar
• Eigene Erlaubnistatbestände (z.B. § 15 Abs. 3 TMG)
• Reduzierung der Anforderungen an TOM, § 9 BDSG
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33. (personenbezogene) Daten
• Folgeproblem im Datenschutzrecht: Transfer in Drittland
• Zweite Stufe Rechtmäßigkeitsprüfung, §§ 4b, 4c BDSG
• Voraussetzung: Angemessenes Datenschutzniveau im Drittland (oder
Einwilligung des Betroffenen u.a. Fälle, § 4c I BDSG)
• Unwirksamkeit Safe Harbor: EuGH, Urt. v. 6.10.2015 – C-362/14
• Alternativen:
• Binding Corporate Rules, EU Model Clauses (Standardverträge)?
• Art. 38, 39 DS-GVO (Code of Conduct, Zertifizierungen)?
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