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Mathematisches Institut
                        der
Bayerischen Julius-Maximilians-Universit¨t Wurzburg
                                        a   ¨



        ¨
        Uber die Darstellung von
                Raumkurven
         durch ihre Invarianten


                   Diplomarbeit
                        von

                  Toni Menninger
                 aus Ballingshausen



                     Betreuer:
     Dr. Johann Hartl, Prof. Dr. Helmut Pabel


           M¨rz 1996 (erg¨nzt August 2001)
            a            a
Inhaltsverzeichnis


Einfuhrung
    ¨                                                                     2


I. Pr¨liminarien
     a                                                                    9

  1    Der Orientierte Euklidische Raum . . . . . . . . . . . . . .        9

  2    Begleitbasen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .   12

  3    Polarkoordinaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .     15


II. Zur Theorie der Frenetkurven                                          20

  4    Raumkurven . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .     21

       4.1    Kurve, Tangente, Bogenl¨nge und Kr¨mmungsmaß
                                     a          u                         21

       4.2    Tangentiale Systeme . . . . . . . . . . . . . . . . .       24

  5    Frenetkurven . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .     28

       5.1    Frenetsysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .     28

       5.2    (Un-)Eindeutigkeit der Frenetkr¨mmungen . . . . .
                                             u                            35

  6    Das Bishopsystem einer Raumkurve . . . . . . . . . . . . .         44

  7    Zusammenhang zwischen Frenet- und Bishopsystem . . . .             50

                                    1
INHALTSVERZEICHNIS                                                         2


III. Spezielle Klassen von Raumkurven                                     58

  8    Fl¨chenkurven und sph¨rische Kurven . . . . . . . . . . .
         a                  a                                             59

       8.1    Die Darbouxbegleitbasis einer Fl¨chenkurve . . . .
                                              a                           59

       8.2    Sph¨rische Kurven . . . . . . . . . . . . . . . . . .
                 a                                                        62

       8.3    Lokale Kurvengeometrie . . . . . . . . . . . . . . .        66

  9    Explizit integrierbare Frenetkurven . . . . . . . . . . . . .      72

       9.1    Geradlinige Kurven . . . . . . . . . . . . . . . . . .      72

       9.2    Ebene Kurven . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .      73

       9.3    B¨schungslinien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
               o                                                          75

       9.4    Kreisellinien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .   80


Literaturverzeichnis                                                      86
Einfuhrung
    ¨

Ausgangspunkt dieser Arbeit war der Fundamentalsatz der Kurventheorie
f¨r den dreideimensionalen euklidischen Raum: durch zwei stetige Funk-
 u
tionen ist eindeutig eine Raumkurve mit den vorgegebenen Funktionen als
Kr¨mmung und Torsion (als Funktionen der Bogenl¨nge) – ihren skalaren
  u                                            a
Invarianten – festgelegt. Die Fragestellung lautet nun: Wie kann aus den
vorgegebenen Kr¨mmungen m¨glichst viel Information uber die durch sie
               u         o                         ¨
definierte Kurve abgeleitet werden? Insbesondere, wann kann diese Kur-
ve explizit bestimmt werden? (dann bezeichnen wir sie als explizit inte-
grierbar). Dazu muß im allgemeinen ein System von linearen Differential-
gleichungen, den Frenetschen Ableitungsgleichungen oder den nat¨rlichen
                                                               u
Gleichungen der Kurve, gel¨st werden (sie wurden 1847 von Frenet und
                          o
1851 unabh¨ngig von Serret aufgestellt). Das generelle Verfahren zur
          a
L¨sung linearer Differentialgleichungen hat den Nachteil, daß es unendlich
 o
viele Integrationen erfordert. Lie (1882) und Darboux (1914, Ch. I-IV)
zeigten, daß die L¨sung der Frenetgleichungen aquivalent zur L¨sung einer
                  o                           ¨               o
Riccatischen Differentialgleichung ist, die im allgemeinen nicht integrierbar
ist. L¨sungen der Frenetgleichungen in einer Reihe von Spezialf¨llen (bis
      o                                                        a
auf Integration) sind jedoch wohlbekannt. Schon Euler (1736) fand die
explizite Darstellung ebener Kurven aus ihrer Kr¨mmung. Hoppe (1862)
                                                u
¨
EINFUHRUNG                                                                 4


entwickelte einen Ansatz zur Reduzierung der Frenetgleichungen mittels
Integraltransformationen. F¨r vier der einfachsten F¨lle gab er L¨sungen
                           u                        a            o
an, ohne dabei auf ihre geometrische Interpretation einzugehen. Sie f¨hren
                                                                     u
auf ebene Kurven, B¨schungslinien und Kurven konstanter Pr¨zession, die
                   o                                      a
erst k¨rzlich von Scofield (1995) eingehend untersucht wurden. Weitere
      u
Beispiele f¨r aus ihren Kr¨mmungen explizit angebbaren Kurvenklassen
           u              u
wurden bisher nicht bekannt.

    Neuere Ans¨tze von Hartl und Scofield haben dieses Bild vervollst¨ndigt.
              a                                                     a
Hartl (1983) stellte fest, daß die linearen Frenet-Differentialgleichungen
(verallgemeinert auf den Rn ) unter bestimmten Bedingungen durch Expo-
nentierung des Integrals uber ihre Koeffizientenmatrix l¨sbar sind. Hartl
                         ¨                            o
kl¨rte, daß diese direkt integrierbaren Kurven genau die (Hyper)B¨schungs-
  a                                                              o
linien im n-dimensionalen Raum sind. Im Dreidimensionalen f¨hrt das auf
                                                           u
die bekannten B¨schungslinien.
               o

    Scofield (1994) versucht, die Frenetgleichungen frontal anzugehen.
Er findet eine pr¨gnante Neuformulierung des Problems unter Verwendung
                a
von Integraloperatoren, auf deren Invertierung es nun ankommt. Scofield
zeigt auch, daß diese Methode praktisch anwendbar ist; er erh¨lt eine neue
                                                             a
Differentialgleichung, die in einem Sonderfall zwanglos zur L¨sung f¨hrt,
                                                            o      u
n¨mlich genau im Falle von Kurven konstanter Pr¨zession. Allerdings sieht
 a                                             a
diese Differentialgleichung in allen anderen F¨llen hoffnungslos aus. Ob der
                                             a
Ansatz mittels Integraloperatoren neue Ergebnisse bringen wird, bleibt
abzuwarten.

    In dieser Arbeit wurde ein rein geometrischer Zugang gew¨hlt. Nir-
                                                            a
                                                             ¨
gends werden explizit Differentialgleichungen diskutiert. Die Uberlegung
ist folgende: Die drei bisher als explizit integrierbar erkannten Kurvenklas-
¨
EINFUHRUNG                                                                5


sen - ebene Kurven, B¨schungslinien und Kurven konstanter Pr¨zession -
                     o                                      a
sind dies aufgrund ihrer speziellen geometrischen Eigenschaften, genauer:
aufgrund bestimmter Eigenschaften ihrer Tangenten und Normalen. Die-
se Kurvenklassen sind als Glieder einer Folge aufsteigender Komplexit¨t
                                                                     a
interpretierbar: Eine B¨schungslinie hat ein ebenes Tangentenbild, das ei-
                       o
ner Kurve konstanter Pr¨zession liegt wiederum auf einer B¨schungslinie,
                       a                                  o
w¨hrend ihr Normalenbild eben ist. Allgemein werden Kurven mit ebenem
 a
Normalenbild als Kreisellinien definiert; die Kurven konstanter Pr¨zession
                                                                 a
sind ein Sonderfall davon, bei dem gewisse Parameter konstant sind.

    Insgesamt kann nach diesem Schema eine unendliche Folge von Kur-
venklassen definiert werden, deren erste Glieder ebene Kurven, B¨schungs-
                                                               o
linien und Kreisellinien und deren Spezialf¨lle, die Kreise, Schraubenlinien
                                           a
und Kurven konstanter Pr¨zession, sind. In Abschnitt 7 wird dieses Prinzip
                        a
pr¨zisiert und die Beziehung zwischen den aufeinanderfolgenden Kurven-
  a
klassen gekl¨rt. Es zeigt sich, daß, ausgehend von der Eulerschen L¨sung
            a                                                      o
f¨r ebene Kurven, alle Folgekurvenklassen explizit integrierbar sind. Dabei
 u
kommt die Verallgemeinerung einer Rekursionsformel von Bilinski (1955)
                       ¨
zur Anwendung, die den Ubergang von der Frenetbegleitbasis einer Kurve
zu der der Folgekurve beschreibt.

    Hauptergebnis dieser Arbeit ist die Ermittlung expliziter Parameter-
darstellungen f¨r ebene Kurven, B¨schungslinien und erstmals f¨r Krei-
               u                 o                            u
sellinien nach der skizzierten Methode (Abschnitt 9). Die Vermutung liegt
nahe, daß die Kurvenklassen dieser Folge die einzigen sind, die durch end-
lich viele Integrationen aus ihren Kr¨mmungen bestimmbar sind.
                                     u

    In der dreidimensionalen Kurventheorie ist es weithin ublich, sich auf
                                                          ¨
wendepunktfreie Kurven zu beschr¨nken. Auf diese Einschr¨nkung wurde
                                a                       a
¨
EINFUHRUNG                                                              6


hier jedoch verzichtet, denn die Theorie der Differentialgleichungen garan-
tiert die Existenz einer L¨sung der Frenetgleichungen auch dann, wenn
                          o
die vorgegebene Kr¨mmungsfunktion Nullstellen besitzt; vorausgesetzt ist
                  u
allein die Stetigkeit. Um aber Kurven mit Wendepunkten in die Analyse
dieser Arbeit einzubeziehen, brauchen wir eine Verallgemeinerung der Fre-
nettheorie, die es erlaubt, die bekannten Methoden auch auf solche Kurven
anzuwenden. Auf die M¨glichkeit dieser verallgemeinerten Frenettheorie
                     o
wies zuerst Wintner (1956) hin, und Nomizu (1959) und Wong &
Lai (1967) bauten sie aus. Es zeigt sich, daß nicht alle Kurven in die
Frenettheorie einbezogen werden k¨nnen und daß die von wendepunktfrei-
                                 o
en Kurven her gewohnte Eindeutigkeit von Begleitbasis, Kr¨mmung und
                                                         u
Torsion verloren geht. Aber wichtige Kurvenklassen wie die hier unter-
suchten sind als Frenetkurven beschreibbar und besitzen charakteristische,
 nat¨rliche“ Begleitbasen.
    u
”
    Die ausf¨hrliche Darstellung der verallgemeinerten Frenettheorie nimmt
            u
den gesamten Teil II in Anspruch. Einen zentralen Stellenwert nimmt da-
bei der Begriff der Begleitbasis ein, dem schon der vorbereitende 2. Ab-
schnitt gewidmet ist. Zun¨chst werden allgemeine Eigenschaften gewisser
                         a
tangentialer Begleitbasen betrachtet (Abschnitt 4). Die interessantesten
von ihnen sind die bekannten Frenetbegeitbasen (Abschnitt 5) und die
von Bishop (1975) eingef¨hrten, die hier als Bishopbegleitbasen bezeich-
                        u
net werden (Abschnitt 6). Letztere zeichnen sich dadurch aus, daß ihre
Existenz schon unter schwachen Voraussetzungen gesichert ist, anders als
bei Frenetbegleitbasen.

    Der Zusammenhang zwischen Frenet- und Bishopbegleitbasen (Ab-
schnitt 7) erweist sich in verschiedener Hinsicht als Schl¨ssel. Zum einen
                                                          u
wird daraus die Rekursionsformel gewonnen, die u.a. die L¨sung der Fre-
                                                         o
¨
EINFUHRUNG                                                                7


netgleichungen f¨r Kreisellinien erm¨glicht. Zum anderen bieten die Bi-
                u                   o
shopbegleitbasen einen besonders nat¨rlichen Zugang zu einer Reihe wich-
                                    u
tiger Probleme. So gewonnene Ergebnisse k¨nnen dann in die Begriffe der
                                         o
Frenettheorie ubertragen werden. Einige Anwendungen, insbesondere f¨r
              ¨                                                    u
sph¨rische Kurven, werden in Abschnitt 8 gezeigt.
   a

    Sph¨rische Kurven sind im allgemeinen nicht explizit integrierbar. Zu-
       a
mindest ist die Eigenschaft, sph¨risch zu sein, aus den Invarianten ables-
                                a
bar. Eine umfassende notwendige und hinreichende Bedingung daf¨r, daß
                                                              u
eine Kurve sph¨risch ist, wurde erst von Wong (1967, 1972) formuliert.
              a
Bishop (1975) erkannte, daß diese Bedingungen mit Hilfe von Bishopbe-
gleitbasen sehr leicht abzuleiten sind. Fast von selbst ergibt sich dann der
Satz uber die Gesamttorsion geschlossener sph¨rischer Kurven.
     ¨                                       a
I. Pr¨liminarien
     a


1       Der Orientierte Euklidische Raum

Thema dieser Arbeit sind Kurven im orientierten euklidischen Raum Rn .
In diesem Abschnitt werden einige wichtige Begriffe zusammengestellt und
die Notationen eingef¨hrt.
                     u

Gegeben ist der Vektorraum Rn mit kanonischer Basis e1 , . . . , en und
kanonischem Skalarprodukt ·, · mit den Eigenschaften

    ei , ej = δij ,   aV + bW, X = a V, X + b W, X ,         V, W = W, V

f¨r a, b ∈ R, V, W, X ∈ Rn , durch das der Vektorbetrag
 u

                         |X| =     X, X       f¨r X ∈ Rn
                                               u

definiert ist. Zugleich ist der Winkel Θ zwischen zwei Vektoren V, W er-
kl¨rt durch
  a
                                            V, W
                                 cos Θ =            .
                                           |V ||W |
Die Menge der Einheitsvektoren bilden die Einheitssph¨re
                                                     a

                         S n = {X ∈ Rn+1         |X| = 1}.
¨
PRALIMINARIEN                                                                       10


Vektoren werden durch ihre kartesischen Koordinaten in Spaltenform be-
schrieben,
                                                                n
                                                        t
                                  X = (x1 , . . . , xn ) =          xi ei
                                                             i=1
      t
(wo       Transposition bezeichnet). Dann ist X, Y = X t Y . Punkte werden
auf die gleiche Weise in Koordinaten geschrieben; eine strenge begriffli-
che Unterscheidung zwischen Punkten und Vektoren wird in dieser Arbeit
nicht gemacht. Wir schreiben

          X Y       ⇔ die Vektoren X und Y sind linear abh¨ngig, und
                                                          a

   X ⊥ Y ⇔ X, Y = 0                    ⇔ die Vektoren X und Y sind orthogonal.

Das lineare Erzeugnis eines Vektortupels V1 , . . . Vk ist
                                          k
                V1 , . . . , Vk    =           αi Vi αi ∈ R, f¨r i = 1, . . . , k
                                                              u
                                         i=1

und das orthogonale Komplement ist

  {V1 , . . . , Vk }⊥ = V1⊥ ∩ . . . ∩ Vk⊥ = {X ∈ Rn X ⊥ Vi f¨r i = 1 . . . k}.
                                                            u


Eine Orthonormalbasis (ONB) des Rn ist ein Vektortupel B1 , . . . Bn mit

                                              Bi , Bj = δij .

Orthonormalbasen werden als Spaltentupel B = (B1 , . . . Bn )t geschrieben
und mit ihrer orthogonalen Koordinatenmatrix B ∈ Rn×n identifiziert. Es
gilt B t B = I mit Einheitsmatrix I. Eine ONB B heißt positiv orientiert,
falls det B = +1.

Die Orthogonalen Matrizen mit Determinante +1 heißen auch eigentlich
orthogonal. Sie bilden die Gruppe

                SO(n) = {M ∈ Rn×n M t M = I ∧ det M = +1}.
¨
PRALIMINARIEN                                                             11


Eine Abbildung X ∈ Rn → M X ∈ Rn heißt Drehung, falls M ∈ SO(n).
                   ¨
Sie beschreibt den Ubergang von der kanonischen Basis auf die Basis mit
Koordinatenmatrix M . Eine Abbildung

      α : R n → Rn ,    α(X) = X0 + M X          (X0 ∈ Rn , M ∈ SO(n)),

eine Drehung, kombiniert mit einer Translation, heißt eigentliche oder ori-
entierungserhaltende Bewegung.

Ein beliebiger Vektor X besitzt zur ONB B = (B1 , . . . Bn )t die Darstellung
                                 n
                            X=         X, Bi Bi = B t X.
                                 i=1

X ist der Koordinatenvektor von X bez¨glich B:
                                     u

                       X = ( X, B1 . . . X, Bn )t = BX.


Im R3 , f¨r den wir uns haupts¨chlich interessieren, ist zus¨tzlich das Vek-
         u                    a                             a
torpodukt zweier Vektoren definiert. F¨r eine beliebige positiv orientierte
                                     u
ONB (B1 , B2 , B3 )t gilt

             B1 × B2 = B3 ,      B2 × B3 = B1 ,      B3 × B1 = B2

und f¨r a, b ∈ R und V, W, X ∈ R3 ist
     u

    (aV + bW ) × X = a(V × X) + b(W × X),              V × W = −W × V.

Schließlich gilt f¨r Vektoren X, Y ∈ R3
                  u

                            X Y ⇐⇒ X × Y = 0.


Eine Gerade im R3 ist eine Punktmenge

          g = x0 +      S   = {x ∈ R3 x × S = x0 × S = const.},
¨
PRALIMINARIEN                                                             12


wobei S ∈ R3  0 Richtungsvektor der Geraden und x0 ∈ R ein Punkt auf
ihr ist.

Eine Ebene im R3 ist eine Punktmenge

 E = x0 +     V, W    = x0 + N ⊥ = {x ∈ R3      x, N = x0 , N = const.},

wobei x0 ∈ R3 ein Punkt auf ihr, V und W zwei linear unabh¨ngige
                                                          a
Richtungsvektoren und N V × W = 0 ein Normalenvektor der Ebene
ist.

Eine Sph¨re schließlich mit Mittelpunkt m ∈ R3 und Radius R ∈ R+ ist
        a
eine Punktmenge

                     SR,m = {x ∈ R3 |x − m| = R}.

Nat¨rlich ist S 2 = S1,0 . Die Schnittmenge aus einer Sph¨re und einer Ebe-
   u                                                     a
ne wird, falls sie mehr als einen Punkt enth¨lt, als Kreislinie bezeichnet.
                                            a



2      Begleitbasen

Das f¨r diese Arbeit wichtigste Hilfsmittel der Kurventheorie ist die Be-
     u
gleitbasis. Ziel ist, einer Kurve in jedem Punkt eine an sie angepaßte ONB
anzuheften, die oft als begleitendes Dreibein‘ bezeichnet wird. Zun¨chst
                                                                    a
                        ’
dient der Begriff nur zur Unterscheidung einer variablen von einer starren
Basis (etwa im Sinne von ‘moving frame’).

Definition 1 (Begleitbasis). Ein Vektortupel B1 , . . . , Bn von C k -Ein-
heitsvektorfeldern Bi : G → S n−1 (G ⊂ R eine offene Menge) heißt C k -
Begleitbasis, falls die Komponenten f¨r jeden Parameterwert t ∈ G eine posi-
                                     u
tiv orientierte Orthonormalbasis des Rn bilden. Die Begleitbasis wird mit der
¨
PRALIMINARIEN                                                                13


matrixwertigen Funktion

                  B : G → Rn , B(t) = (B1 (t), . . . , Bn (t))t

identifiziert mit B(t) ∈ SO(n) f¨r alle t aus G.
                               u


Die Ableitungen der Begleitbasisvektoren (falls k ≥ 1) k¨nnen nun wieder
                                                        o
durch die Basis selbst ausgedr¨ckt werden. Wir haben dann
                              u

               B = B B t · B = (B1 , . . . , Bn )t (B1 , . . . Bn ) · B.

Ausgeschrieben, erhalten wir so Ableitungsgleichungen der Form
                                                    
                   B                                B
                1                                1 
                .                                . 
                .  = Bi , Bj
                    .                           ·  . .
                                                     .                     (2.1)
                                      i=1...n       
                                        j=1...n
                   Bn                               Bn


Auf die Koeffizientenmatrix (mit Zeilenindex i und Spaltenindex j) dieser
Ableitungsgleichungen kommt es an.

Definition 2 (Ableitungsmatrix). Sei B = (B1 , . . . , Bn )t eine C 1 -Be-
gleitbasis (k ≥ 1). Die Matrix

               ΦB = B B t       mit Eintr¨gen
                                         a           Φi,j = Bi , Bj
                                                      B


heißt Ableitungsmatrix der Begleitbasis B.


Nun ist
                ΦB + Φt = B B t + BB t = (BB t ) = I = 0
                      B


wegen der Orthogonalit¨t. Daraus folgt
                      a

Lemma 1. Die Ableitungsmatrix einer C 1 -Begleitbasis ist schiefsymmetrisch.
¨
PRALIMINARIEN                                                                           14


Umgekehrt legt eine schiefsymmetrischen Matrix eine im wesentlichen ein-
deutige Begleitbasis fest.

Lemma 2. Sei Φ : I → Rn×n eine schiefsymmetrische Matrix mit stetigen
Koeffizientenfunktionen auf einem offenen Intervall I ∈ R, und sei t0 ∈ I
und B0 eine positiv orientierte ONB des Rn . Dann gibt es genau eine Rn -
Begleitbasis B mit ΦB = Φ und B(t0 ) = B0 . Sie ist aus Φ und B0 als
Grenzfunktion der Picardschen Folge von Integraliterationen darstellbar:
                    t                     t             σ2
    B(t) = B0 +         Φ(σ1 )B0 dσ1 +        Φ(σ2 )         Φ(σ1 )B0 dσ1 dσ2 + · · ·
                   t0                    t0            t0

Beweis. Die lineare Differentialgleichung               B = ΦB besitzt zu der vor-
gegebenen Anfangsbelegung B0 eine eindeutig bestimmte L¨sung in der
                                                       o
angegebenen Form, wie aus der Theorie der Differentialgleichungen be-
kannt ist. Die L¨sung B = (B1 , . . . , Bn )t ist nun tats¨chlich eine Begleit-
                o                                         a
basis. Denn aus der Schiefsymmetrie von Φ folgt, daß alle Skalarprodukte
Bi , Bj konstant sind:

                         Bi , Bj ≡ Bi (t0 ), Bj (t0 ) ≡ δij .

B bleibt auf dem ganzen Intervall kongruent; da der Anfangswert als ONB
gew¨hlt wurde, bleibt diese Eigenschaft erhalten. Auch die Orientierung
   a
bleibt erhalten wegen der Stetigkeit der Determinante.

Korollar. Zwei auf einem Intervall definierte Begleitbasen mit der selben
Ableitungsmatrix unterscheiden sich h¨chstens durch eine Drehung.
                                     o

Beweis. Seien B und B Begleitbasen mit ΦB = ΦB . Die beiden ONBen
                                             ˜

B(t0 ) und B(t0 ) sind durch eine Drehung M ineinander uberf¨hrbar, also
                                                       ¨    u
B(t0 ) = B(t0 )M (Gruppeneigenschaft von SO(n)). Nun ist (BM ) = ΦB ·
BM . BM hat die selbe Ableitungsmatrix und den selben Anfangswert wie
B. Nach Lemma 2 ist dann B ≡ BM .
¨
PRALIMINARIEN                                                             15


Bemerkung. In der Begleitbasisdefinition wurden auch unzusammenh¨n-
                                                               a
gende Definitionsmengen G zugelassen. F¨r das Lemma muß nat¨rlich
                                      u                   u
Zusammenhang vorausgesetzt werden. Im folgenden bezeichnet I immer
ein offenes Intervall.

                                                        1
Das Lemma k¨nnte auch so formuliert werden: die
           o                                            2
                                                          n(n   − 1) Koeffizi-
entenfunktionen der schiefsymmetrischen Ableitungsmatrix legen im we-
sentlichen eine Rn -Begleitbasis fest. Die in der Kurventheorie bevorzugte
Frenetbegleitbasis hat den Vorteil, daß alle bis auf n − 1 Koeffizienten ver-
schwinden.



3      Polarkoordinaten

Zu jedem nichtverschwindenden Vektor W ∈ R2 gibt es eindeutig be-
stimmte Polarkoordinaten r > 0 und ϕ ∈ [0; 2π[, so daß          W = r · E(ϕ).
Dabei ist r = |W | als Betrag und ϕ als Polarwinkel zu interpretieren, den
W mit der positiven ersten Koordinatenachse einschließt, und         E(ϕ) =
(cos ϕ, sin ϕ)t bezeichne den vom Winkel ϕ festgelegten Einheitsvektor.
Wir werden uns h¨ufig die Darstellung zweidimensionaler Vektoren (bzw.
                a
ebener Kurven) in Polarkoordinaten zunutze machen.

                                                x
Definition 3 (Polarkoordinaten). Sei V =         y
                                                     : I → R2 ein Vektorfeld.
Die stetigen Funktionen r und ϕ : I → R heißen Polarkoordinaten von V ,
falls gilt:

                        x                  r cos ϕ
                            = r · E(ϕ) =                                (3.1)
                        y                  r sin ϕ

Wir bezeichnen ϕ als Polarwinkel und r als Polarabstand von V .
¨
PRALIMINARIEN                                                                      16


Die Definition l¨ßt bewußt auch negativen oder verschwindenden Polar-
               a
abstand zu. Soweit m¨glich, sollen auch einem Vektorfeld mit Nullstellen
                    o
Polarkoordinaten zugeschrieben werden.

F¨r die weitere Untersuchung f¨hren wir die Drehmatrix
 u                            u
                                         
                            cos ϕ − sin ϕ
                  D(ϕ) =                  ∈ SO(2).
                            sin ϕ cos ϕ

ein, die die Drehung eines Vektors um den Winkel ϕ im positiven Drehsinn
(gegen den Uhrzeigersinn) vermittelt. Offensichtlich gelten die Beziehun-
gen:

                           D(ϕ) · E(ψ)     = E(ϕ + ψ)

                           D(ϕ) · D(ψ)     = D(ϕ + ψ)
                                       x        −y
                           D(π/2) ·        =
                                       y        x

Ist ϕ eine differenzierbare Winkelfunktion, so gilt:

                            E (ϕ) = ϕ · E (ϕ + π/2)

                            D (ϕ) = ϕ · D (ϕ + π/2) .


Die Polarkoordinatengleichung (3.1) liefert mit Hilfe dieser Beziehungen

                     x                   x cos ϕ + y sin ϕ            r
         D(−ϕ) ·         = rE(0) ⇔                            =                (3.2)
                     y                  −x sin ϕ + y cos ϕ            0

und es folgt

       r2 = r(x cos ϕ + y sin ϕ) = x · r cos ϕ + y · r sin ϕ = x2 + y 2 .      (3.3)

Ableitung der linken Gleichung von (3.2) ergibt

                         x        x             r                 x           r
−ϕ D(π/2)D(−ϕ)             +D(−ϕ)          =         ⇔ D(−ϕ)              =        ⇒
                         y        y             0                 y           ϕr
¨
PRALIMINARIEN                                                              17


                x          x     y       x        rr
 =⇒ rD(−ϕ)           =               ·       =          ⇒ −yx + xy = r2 ϕ .
                y         −y     x       y       r2 ϕ
                                                                         (3.4)

Aus den Gleichungen 3.2, 3.3 und 3.4 erhalten wir das Lemma

                     x
Lemma 3. Sei         y
                         : I → R2 ein Vektorfeld. ϕ : I → R ist genau dann
zugeh¨rige Polarwinkelfunktion, wenn gilt
     o

                                x sin ϕ = y cos ϕ.

Durch den Polarwinkel sind bereits eindeutig Polarkoordinaten festgelegt, wo-
bei der Polarabstand durch

                               r = x cos ϕ + y sin ϕ

gegeben ist. Es gelten die Beziehungen

    r 2 = x2 + y 2   und, falls x, y, ϕ differenzierbar, ϕ r2 = xy − yx .

Bemerkung. Offensichtlich sind Polarkoordinaten nicht eindeutig fest-
gelegt. Sind (r, ϕ) Polarkoordinaten, so auch (r, ϕ + 2kπ) und (−r,
ϕ + (2k + 1)π) (f¨r k ∈ Z). Verschwindet die Vektorfunktion auf einem
                 u
gewissen Intervall, so ist der Polarwinkel im Innern dieses Intervalls sogar
v¨llig unbestimmt.
 o


Andernfalls gilt eine eingeschr¨nkte Eindeutigkeitsaussage.
                               a

Lemma 4. Sei V : I → R2 ein Vektorfeld, das auf keinem ganzen Intervall
verschwindet, d.h. die Nullstellenmenge      I0 = {t ∈ I | V (t) = 0} enthalte
keine inneren Punkte. Wenn V Polarkoordinaten besitzt, dann ist der Pola-
rabstand bis aufs globale Vorzeichen und der Polarwinkel (mod π) eindeutig
bestimmt.
¨
PRALIMINARIEN                                                                  18


Beweis. Seien (r, ϕ) und (˜, ϕ) Polarkoordinaten von v, also rE(ϕ) =
                          r ˜
rE(ϕ), so muß auf I  I0 gelten
˜ ˜
                             1                   r 1
                                                 ˜
      rD(−ϕ)E(ϕ) = r
          ˜        ˜             ⇒ E(ϕ − ϕ) =
                                         ˜                 ⇒ sin(ϕ − ϕ) = 0.
                                                                     ˜
                             0                   r 0
Die auf I stetige Funktion          sin(ϕ − ϕ) verschwindet auf einer dichten
                                            ˜
Teilmenge von I, also verschwindet sie identisch auf ganz I. Daraus folgt
ϕ − ϕ = kπ und r = ±r.
    ˜          ˜

Beispiel 1. Polarkoordinaten existieren nicht immer. Die Vektorfunktion
 x
 y
     : R → R2 mit
                                                     
                 −1/t2
                te                                    −1/t2
                              f¨r t = 0,
                               u                      te        f¨r t < 0,
                                                                  u
         x(t) =                              y(t) =
                0            f¨r t = 0
                               u                      0         f¨r t ≥ 0,
                                                                  u
                                                     

ist C ∞ -differenzierbar, hat aber keine stetige Polarwinkelfunktion. Ihr Bild
ist eine im Nullpunkt geknickte Gerade, die beiden Halbgeraden schließen
              3
den Winkel    4
                π   ein. Nach dem Lemma m¨ßte sich der Polarwinkel im
                                         u
Nullpunkt um diesen Betrag (mod π) ¨ndern, also sprunghaft. W¨rde
                                   a                         u
v auf einem ganzen Intervall verschwinden, dann h¨tte der Polarwinkel
                                                 a
allerdings Gelegenheit, sich kontinuierlich zu ¨ndern.
                                               a

Es ist anschaulich klar, daß Probleme mit der Stetigkeit des Polarwinkels
nur in Nullstellen einer Kurve auftauchen. Ansonsten ist die Existenz von
Polarkoordinaten gesichert.

Lemma 5. Seien α und β skalare C k -Funktionen auf einem offenen Intervall
I ⊂ R, die nirgends gleichzeitig verschwinden. Dann gibt es C k -Polarkoordina-
                    α
ten r und ϕ f¨r
             u      β
                        . Sie sind im wesentlichen eindeutig (im Sinne von Lemma
4) und f¨r sie gilt
        u
                                                             β α−αβ
          r = ± α2 + β 2          und (falls k ≥ 1)    ϕ =             .
                                                              α2 + β 2
¨
PRALIMINARIEN                                                                     19


Beweis. Wir setzen r :=              α2 + β 2 (r ∈ C k , da r > 0) und betrachten
                               1 α
den Einheitsvektor U :=        r β
                                     . Sei ϕ0 der Polarwinkel zum Parameterwert
t0 ∈ I, also U = E(ϕ0 ), und t1 ∈ I ein anderer Parameterwert. W¨hrend
                                                                a
der Parameter stetig von t0 nach t1 l¨uft, bewegt sich U stetig auf dem
                                     a
Einheitskreis von U (t0 ) nach U (t1 ). Der dabei uberstrichene Gesamtwin-
                                                  ¨
kel (oder die auf dem Einheitskreis insgesamt zur¨ckgelegte Bogenl¨nge,
                                                 u                a
wobei Bewegung in negativer Richtung auch negativ gewertet wird) sei
∆ϕt1 . Dann ist durch ϕ(t1 ) := ϕ0 + ∆ϕt1 eine stetige Polarwinkelfunkti-
                                                                        α
on f¨r U definiert und damit sind (r, ϕ) Polarkoordinaten f¨r
    u                                                     u             β
                                                                            , f¨r die
                                                                               u
die Eindeutigkeitsaussage von Lemma 4 gilt.1 Wir haben nun
                         α                          β
                           = cos ϕ       und          = sin ϕ.
                         r                          r
Kosinus und Sinus sind lokal umkehrbar, ϕ also lokal durch einen Ast
von Arkuskosinus bzw. Arkussinus darstellbar und damit differenzierbar,
falls k ≥ 1. Die Formel f¨r ϕ folgt dann aus Lemma 3; sie garantiert die
                         u
Differentiationsordnung f¨r ϕ.
                        u

Bemerkung. Ist eine der Funktionen positiv, etwa α > 0, so ist nat¨rlich
                                                                  u
                                                β
                                  ϕ = arctan
                                                α
ein Polarwinkel. Im allgemeinen kann ϕ aber nicht so einfach ausgedr¨ckt
                                                                    u
werden.

Mit Hilfe dieses Lemmas k¨nnen wir insbesondere einen ebenen Einheits-
                         o
vektor bez¨glich einer beliebigen (festen oder Begleit-)Basis durch den
          u
   1
       Eine andere Beweism¨glichkeit f¨r diese wichtige Existenzaussage w¨re die Zu-
                          o           u                                  a
sammensetzung einer Polarwinkelfunktion mit Hilfe von lokalen,    mod π eindeutigen
Polarwinkeln (analog Satz 11). Der hier gegebene Beweis folgt Wong & Lai (1967,
10). Andere Beweise bei Spivak (1979, Vol. II, 22 f.) und Chern (1957, Ch. 1, §3.2).
¨
PRALIMINARIEN                                                                    20


Polarwinkel ausdr¨cken. Setzen wir T = αU1 + βU2 , β 2 + α2 = 1, so folgt
                 u
mit Lemma 5

Korollar. Jede C k -Einheitsvektorfunktion T : I → R2 ist als T = E(ψ) mit
einer C k -Funktion ψ darstellbar. Bez¨glich einer C k -Begleitbasis (U1 , U2 )t des
                                      u
R2 lautet ihre Darstellung

                                T = cos θU1 + sin θU2 .

(U1 , U2 ) wiederum kann als E(ϕ), E(ϕ + π/2) geschrieben werden (θ und
ϕ sind ebenfalls C k ; es gilt dann ψ = θ + ϕ) und ihre Ableitungsgleichung
lautet (falls k ≥ 1)
                                               
                           U1             0   ϕ      U
                                =             ·  1 .
                           U2            −ϕ   0      U2

Die Basis beschreibt eine Drehung mit Winkelgeschwindigkeit ϕ .
II. Zur Theorie der
Frenetkurven


4      Raumkurven

4.1     Kurve, Tangente, Bogenl¨nge und Krummungs-
                               a          ¨
        maß

Wir beginnen mit einer Zusammenstellung elementarer Definitionen und
Tatsachen der Kurventheorie im euklidischen Raum.


    1. Eine parametrisierte C r -Kurve ist eine C r -Abbildung x : I → Rn eines
       offenen Intervalls I in den euklidischen Raum Rn . Ihr Bild x[I] heißt
       Spur.

    2. Ein Kurvenpunkt x(t0 ) einer parametrisierten Kurve heißt regul¨r, falls
                                                                      a
       x in t0 eine nichtverschwindende Ableitung x(t0 ) = 0 besitzt. Eine para-
                                                  ˙
       metrisierte C 1 -Kurve heißt regul¨r, falls alle ihre Kurvenpunkte regul¨r
                                         a                                     a
       sind.
THEORIE DER FRENETKURVEN                                                    22


 3. Ist x : I → Rn eine regul¨re parametrisierte C r -Kurve (r ≥ 1), so heißt
                             a
    das C r−1 -Vektorfeld

                                                       x
                                                       ˙
                            T : I → S n−1 ,     T =
                                                      |x|
                                                       ˙

    Tangentenvektor(feld) der parametrisierten Kurve. Ein Vektorfeld V :
    I → Rn heißt normal zur parametrisierten Kurve oder ein Normalen-
    vektor von x, falls ¨berall T ⊥ V , und tangential, falls ¨berall T V
                        u                                     u
    ist.

 4. Ist x eine regul¨re parametrisierte Kurve auf einem Intervall I, so heißt
                    a
    die Funktion
                                         t
                              s(t) :=        |x(τ )| dτ
                                              ˙
                                        t0

    f¨r beliebiges t0 ∈ I Bogenl¨nge(nfunktion) von x. Sie mißt die Bo-
     u                          a
    genl¨nge der parametrisierten Kurve von einem festen Kurvenpunkt x(t0 )
        a
    aus in der von der Parametrisierung festgelegten Orientierung.

                                                    ˜ ˜
 5. Zwei parametrisierte C r -Kurven x : I → Rn und x : I → Rn heißen
    C r -¨quivalent, falls sie durch einen orientierungstreuen C r -Diffeomor-
         a
                    ˜
    phismus µ : I → I ineinander ¨berf¨hrbar sind, d.h. x = x ◦ µ. Eine
                                 u    u                     ˜
                        ¨
    C r -Kurve ist eine Aquivalenzklasse [s → x(s)] von regul¨ren parametri-
                                                             a
    sierten C r -Kurven. Man beachte, daß dieser Kurvenbegriff Regularit¨t
                                                                       a
    (und damit Differenzierbarkeit) impliziert, anders als der Begriff para-
                                                                     ’
    metrisierte Kurve‘.

 6. F¨r jede regul¨re parametrisierte C r -Kurve gibt es eine ¨quivalente C r -
     u            a                                           a
    Parametrisierung x(s) nach ihrer Bogenl¨nge s. Sie ist bis auf eine
                                           a
    Translation des Parameterbereichs eindeutig bestimmt. Deshalb kann
    als Repr¨sentant einer Kurve stets ihre Bogenl¨ngenparametrisierung
            a                                     a
THEORIE DER FRENETKURVEN                                                       23


     gew¨hlt werden. Alle Kurvengr¨ßen, die aus dieser Parametrisierung ge-
        a                         o
     wonnen werden, sind stets invariant gegen¨ber Parametertransformatio-
                                              u
     nen.

  7. F¨r die Bogenl¨ngenparametrisierung x(s) einer Kurve gilt
      u            a

                        |x (s)| ≡ 1        und       T =x

     (der Strich bezeichnet hier wie im folgenden immer Differentiation nach
     der Bogenl¨nge). Umgekehrt ist durch Vorgabe eines Einheitsvektorfel-
               a
     des T (s) und eines Anfangspunktes x0 = x(s0 ) eine Kurve mit Tangen-
     tialvektor T und Bogenl¨nge s eindeutig festgelegt. Ihre Bogenl¨ngen-
                            a                                       a
     parametrisierung ist gegeben durch
                                             s
                             x(s) = x0 +         T (σ)dσ.                   (4.1)
                                            s0


Wir beschr¨nken uns ab jetzt auf Raumkurven im R3 . Die Schreibweise
          a
 γ : x = x(s) (oder k¨rzer γ : x(s)) ist eine Kurve‘ bedeutet, daß die
                     u
’
Raumkurve γ durch eine regul¨re Parametrisierung x : I → R3 nach der
                             a
Bogenl¨nge s gegeben sein soll.
      a

Definition 4 (Krummungsmaß). Sei γ : x = x(s) eine C 2 -Kurve und
               ¨
T = x ihr Tangentenvektor. Dann bezeichnen wir die stetige Funktion

                   κN : I → R+ ,
                             0        κN := |T | = |x |

als ihr Kr¨mmungsmaß. Ein Kurvenpunkt x(s0 ) mit
          u                                                 κN (s0 ) = 0 heißt ein
Wendepunkt.

Lemma 6. Eine Raumkurve ist genau dann geradlinig, wenn ihr Kr¨mmungs-
                                                              u
maß verschwindet. Sie ist genau dann eben, wenn sie einen konstanten Nor-
malenvektor M = 0 besitzt.
THEORIE DER FRENETKURVEN                                                     24


Beweis. Die Spur einer Kurve γ : x(t) liegt genau dann auf einer Geraden,
wenn     x × R ≡ const. f¨r einen Richtungsvektor
                         u                                  R = 0 ⇔ T ×R ≡
0 ⇔ T (t) ∈     R     f¨r alle t. Da
                       u                   R    nur zwei Vektoren der L¨nge 1
                                                                       a
enth¨lt und T stetig ist, ist das ¨quivalent zu T ≡ const., also κN ≡ 0.
    a                             a

Die Spur liegt genau dann auf einer Ebene, wenn f¨r einen festen Vektor
                                                 u
M = 0 gilt    x(s), M ≡ const., also        T, M ≡ 0, M ist Normalenvektor.




4.2    Tangentiale Systeme

Definition 5 (Tangentiale Begleitbasen). Sei γ : x = x(s), s ∈ I eine
Kurve. Eine Begleitbasis U : I → R3×3 , U = (U1 , U2 , U3 )t heißt tangential
zu γ, falls U1 ≡ x . Ist U differenzierbar mit Ableitungsmatrix
                                                
                                  0     p3 −p2
                                                
                         ΦU = −p3 0          p1  ,
                                                
                                                
                                  p2 −p1 0

so ist das stetige Vektorfeld
                                                    
                                p        U ,U
                                1  2 3              
                        p(U) = p2  =  U3 , U1
                                                    
                                                       
                                                    
                                p3       U1 , U2

der Koeffizientenvektor der Begleitbasis. Das Tupel          (U, p(U)) aus tangen-
tialer C 1 - Begleitbasis und Koeffizientenvektor bildet ein tangentiales System
der Kurve.

                                3
Bemerkung. Mit DU :=            i=1    pi Ui = U t p(U) kann die Ableitungsglei-
THEORIE DER FRENETKURVEN                                                    25


chung auch als
                                                        
                                             D × U1
                                            U       
                 U = ΦU U = U t p(U) × U = DU × U2 
                                                    
                                                    
                                             DU × U3

geschrieben werden (das gilt auch f¨r nichttangentiale C 1 -Begleitbasen).
                                   u
Die Begleitbasis beschreibt momentan eine Drehung um die Achse         DU
mit Winkelgeschwindigkeit |p|. Diese Momentandrehachse wird auch als
Zentrode und DU als der nicht normierte Drehvektor bezeichnet.

Definition 6 (Drehvektor). Ein stetiges Einheitsvektorfeld D : G → S 2
(G ⊂ R offen) heißt Drehvektor oder Zentrodenvektor der Begleitbasis U :
G → R3×3 , falls DU D auf ganz G gilt mit DU = U t p(U).


Die Ableitungsgleichung lautet dann

                 U = ωD × U         mit     ω := D, DU .

Offensichtlich sind Zentrode und Drehvektor eindeutig bzw. bis aufs Vor-
zeichen eindeutig bestimmt, falls G zusammenh¨ngend und die Begleitba-
                                             a
sis nirgends station¨r, d.h. p = 0 ist.
                    a

Die Relevanz der tangentialen Systeme und ihrer Koeffizienten f¨r die
                                                             u
Kurventheorie besteht in der M¨glichkeit, sie zur Charakterisierung von
                              o
Kurven zu verwenden.

Satz 1 (Fundamentalsatz fur tangentiale Systeme). Seien ein steti-
                         ¨
ges Vektorfeld p : I → R3 , p = p(s), ein Parameterwert s0 ∈ I, ein Punkt
x0 ∈ R3 und eine positiv orientierte ONB U0 des R3 vorgegeben. Dann gibt
es eine eindeutig bestimmte C 2 -Kurve γ : x = x(s), s ∈ I und eine eindeutig
bestimmte Begleitbasis U auf I, die folgende Bedingungen erf¨llen:
                                                            u
THEORIE DER FRENETKURVEN                                                   26


   • x(s0 ) = x0   und U(s0 ) = U0 ,

   • s ist Bogenl¨ngenfunktion der Kurve,
                 a

   • (U, p) ist tangentiales System der Kurve.

Beweis. Durch p ist eine schiefsymmetrische Koeffizientenmatrix nach
dem Schema von Definition 5 festgelegt, die zusammen mit U0 eine C 1 -
Begleitbasis U festlegt (Lemma 2). Deren erster Vektor U1 ist Tangenti-
alvektor einer C 2 -Raumkurve, deren Bogenl¨ngenparametrisierung aus U1
                                           a
und x0 eindeutig durch Integration (Gleichung 4.1) hervorgeht. Sie erf¨llt
                                                                      u
offensichtlich die Bedingungen.

Analog zum Korollar zu Lemma 2 gilt das

Korollar. Durch ein stetiges Vektorfeld p auf einem Intervall I ist eine C 2 -
Kurve samt tangentialer Begleitbasis bis auf eine orientierungstreue Bewegung
(eine Drehung, kombiniert mit einer Translation) eindeutig festgelegt.

Nat¨rlich kann eine Kurve viele tangentialen Systeme haben. Im R3 h¨ngen
   u                                                               a
sie alle durch eine einfache Transformation zusammen.

Satz 2 (Transformation zwischen tangentialen Systemen). Sei
(U, p) ein tangentiales System einer C 2 -Kurve. Dann ist die Gesamtheit ihrer
tangentialen Systeme (U, p) der Kurve genau durch
                         ˜

                        t                   t
                   U = D1 (ϕ) U,       p = D1 (ϕ) p + ϕ e1
                                       ˜

gegeben, wobei ϕ eine beliebige differenzierbare Winkelfunktion ist und
                                                    
                                1      0        0
                                                    
                   D1 (ϕ) =  0      cos ϕ − sin ϕ .
                                                    
                                                    
                                0    sin ϕ     cos ϕ
THEORIE DER FRENETKURVEN                                                      27


Beweis. Offensichtlich sind die U nach Konstruktion ebenfalls tangentiale
Begleitbasen. Daß jede tangentiale Begleitbasis in der angegebenen Form
darstellbar ist, ist eine f¨r diese Arbeit zentrale Folgerung aus dem Lemma
                           u
uber die Existenz von Polarkoordinaten. Ist U = (U1 , U2 , U3 )t , so hat jede
¨
                                                             ˜ ˜           ˜
weitere tangentiale C 1 -Begleitbasis eine Darstellung (U1 , U2 , U3 ) mit U2 =
              ˜         ˜
αU2 + βU3 und U3 = U1 × U2 = −βU2 + αU3 . Wegen (α, β) = 0 ist Lemma
5 anwendbar, es gibt eine C 1 -Funktion ϕ mit (α, β) = (cos ϕ, sin ϕ).

        ˜    t
Ist nun U = D1 (ϕ)U, so ergibt sich

    ˜    t
    U = D1 (ϕ)U                          ˜                   ˜
                     = D1 (−ϕ)ΦU · D1 (ϕ)U + D1 (−ϕ) · D1 (ϕ)U           =⇒

              =⇒     ΦU = D1 (−ϕ)ΦU D1 (ϕ) + D1 (−ϕ)D1 (ϕ).
                      ˜


Wir erhalten
                                                                   
                 0    p3 cos ϕ − p2 sin ϕ    −p2 cos ϕ − p3 sin ϕ
                                                                   
      ΦU =  ∗                                                      ,
                                                                   
       ˜                      0                   p1 + ϕ
                                                                   
             ∗                ∗                       0

wobei die Sternchen f¨r schiefsymmetrische Eintr¨ge stehen. Das bedeutet
                     u                          a

                                            p2
                                            ˜               p2
               p1 = p1 + ϕ
               ˜                  und            = Dt (ϕ)
                                            p3
                                            ˜               p3

wie behauptet.


Wenn ein tangentiales System bekannt ist, sind im Prinzip schon alle be-
kannt. Aber gibt es uberhaupt f¨r jede C 2 -Kurve tangentiale Systeme? In
                    ¨          u
einem sp¨teren Abschnitt (Satz 11) wird die Existenz eines solchen gezeigt,
        a
das i. A. aber nicht direkt konstruierbar ist. Folgendes Lemma zeigt, wie
unter Umst¨nden eines konstruiert werden kann. Dazu wird als Keim‘des
           a
                                                             ’
Systems ein nirgends tangentiales Vektorfeld ben¨tigt.
                                                o
THEORIE DER FRENETKURVEN                                               28


Lemma 7. Sei γ : x = x(s), s ∈ I eine C 2 -Kurve und V : I → R3 ein
nirgends tangentiales C 1 -Vektorfeld, d.h. x × V = 0 auf ganz I. Dann ist
(U1 , U2 , U3 ) mit
                                     U1 × V
               U1 := x ,    U2 :=             ,   U3 := U1 × U2
                                    |U1 × V |
eine tangentiale C 1 -Begleitbasis von x.

Beweis. Dies ist eine Anwendung des Schmidtschen Orthogonalisierungs-
verfahrens. Nach Voraussetzung und Konstruktion sind die Ui wohldefi-
nierte Einheitsvektoren, orthogonal, positiv orientiert und C 1 .

Bemerkung. Ebene Kurven (Lemma 6) besitzen einen konstanten Nor-
malenvektor und damit eine tangentiale Begleitbasis mit einer konstanten
Komponente. Eine C 2 -Kurve ist also genau dann eben, wenn es ein tangen-
tiales System mit zwei verschwindenden Koeffizienten gibt. Sie ist genau
dann geradlinig, wenn sie ein tangentiales System mit verschwindendem
Koeffizientenvektor besitzt.

Bei nichtebenen Raumkurven wird h¨chstens ein Koeffizient verschwinden.
                                 o
Tangentiale Systeme, bei denen gerade ein Koeffizient verschwindet, sind
nat¨rlich von besonderem Interesse. In den folgenden Abschnitten werden
   u
alle Systeme dieser Art untersucht. Die Bedingung p2 ≡ 0 f¨hrt auf die
                                                          u
Frenetsysteme.



5      Frenetkurven

5.1     Frenetsysteme

Die Aufgabe, ein tangentiales System einer Kurve zu konstruieren, ist im
R3 und in h¨herdimensionalen R¨umen keineswegs trivial (im Gegensatz
           o                  a
THEORIE DER FRENETKURVEN                                                29


zum R2 ). Nach Lemma 7 brauchen wir daf¨r ein differenzierbares, nir-
                                       u
gends tangentiales Vektorfeld. Bei einer Fl¨chenkurve (der Spezialfall ebe-
                                           a
ner Kurven wurde schon erw¨hnt) kann daf¨r die Fl¨chennormale l¨ngs
                          a             u        a             a
der Kurve gew¨hlt werden (s. Abschnitt 8.1). Ansonsten ist als Anhalts-
             a
punkt nur die Tangentenfunktion T der Kurve gegeben. Ihre Ableitung
ist normal und kann als ‘Keim’ im Sinne des Lemmas gew¨hlt werden.
                                                      a
Das ist der wohl einzige sinnvolle Weg, ein tangentiales System f¨r ei-
                                                                 u
ne Raumkurve aus ihrer Parametrisierung (also in intrinsischer Weise) zu
konstruieren. Er ist allerdings nur gangbar, wenn T = 0 und T /|T | dif-
ferenzierbar ist, also zumindest f¨r C 3 -Kurven ohne Wendepunkte. Das
                                  u
Ergebnis ist die intrinsische Frenetbegleitbasis der Kurve und f¨r sie ver-
                                                                u
schwindet der Koeffizient p2 . Auf dieser Idee ist die klassische Frenettheo-
rie aufgebaut. In diesem Abschnitt wird dieser Zugang unter teilweisem
Verzicht auf Eindeutigkeit und intrinsischen Charakter auf Kurven mit
Wendepunkten verallgemeinert.

Definition 7 (Geradenstucke und gekrummte Bogen). F¨r eine C 2 -
                      ¨            ¨      ¨       u
Kurve γ : x = x(s), s ∈ I mit Kr¨mmungsmaß κN erkl¨ren wir die Bezeich-
                                u                 a
nungen

                  • IN := {s ∈ I κN (s) = 0}

                  • IW := {s ∈ I κN (s) = 0} = I  IN
                           ◦
                  • IG := I W
                                     ◦
                  • IK := I  IG = IN

Eine regul¨re Kurve heißt wendepunktfrei, falls IW = ∅, und geradenst¨ck-
          a                                                          u
frei, falls IG = ∅. Die Einschr¨nkung der Kurve auf eine Zusammenhangs-
                               a
komponente von IG bzw. IK heißt ein Geradenst¨ck bzw. ein gekr¨mmter
                                             u                u
THEORIE DER FRENETKURVEN                                                    30


Bogen der Kurve. Das Urbild eines Geradenst¨cks nennen wir ein Geradenin-
                                           u
tervall.

Bemerkung. Die Menge IN ist offen. Sie ist das Urbild der Menge der
Nichtwendepunkte und ist komplement¨r zur abgeschlossenen Parameter-
                                   a
menge der Wendepunkte IW . IN liegt dicht in IK (K steht f¨r krumm‘).
                                                          u
                                                             ’
Eine Kurve ist aus abz¨hlbar vielen gekr¨mmten B¨gen und Geradenst¨cken
                      a                 u       o                 u
zusammengesetzt.


Auf IN kann wie oben angedeutet eine Begleitbasis konstruiert werden.

Definition 8 (Intrinsische Kurvengroßen). Sei γ : x = x(s), s ∈ I
                                  ¨
eine regul¨re C 2 -Kurve mit Tangentenvektor T . Wir definieren die Einheits-
          a
vektorfelder

               • NN : IN → S 2 ,          NN :=    1
                                                  κN
                                                     T   und

               • BN : IN → S 2 ,          BN := T × NN . Es sei

               • FN := (T, NN , BN )t .


Ist NN differenzierbar, so definieren wir weiter


               • τN : IN → R,             τN := NN , BN ,

               • ωN : IN → R+ ,           ωN :=     κ2 + τN
                                                     N
                                                          2
                                                                und
                                                   1
               • DN : IN → S 2 ,          DN :=      (τN T + κN B).
                                                  ωN

Wir bezeichnen NN und BN als intrinsische Haupt- bzw. Binormale der Kurve
und τN als ihre intrinsische Torsion.

Satz 3 (Ableitungsgleichungen von Frenet und Darboux). Sei γ :
x = x(s), s ∈ I eine C 2 -Kurve. Dann ist FN eine stetige Begleitbasis auf IN .
THEORIE DER FRENETKURVEN                                                          31


Ist FN außerdem differenzierbar, so gelten auf IN die Ableitungsgleichungen2
                                                             
        T           0     κN     0         T              D ×T
                                                  N          
      NN  = −κN              τN  · NN  = ωN · DN × NN 
                                                             
                           0
                                                             
        BN          0    −τN 0            BN             DN × BN

Beweis. Nach Konstruktion ist FN stetige Begleitbasis, denn T ⊥ T . κN
und τN sind nach Definition die Eintr¨ge ihrer Ableitungsmatrix und DN
                                    a
ist Drehvektor gem¨ß Definition 6.
                  a

Bemerkung. In der Definition der Begleitbasen wurden auch unzusam-
menh¨ngende Parameterbereiche wie hier IN zugelassen. FN ist aber kei-
    a
ne tangentiale Begleitbasis, da eine solche auf dem gesamten Intervall I
definiert sein muß (sonst w¨rde sie die Kurve nicht mehr ganz charakteri-
                          u
sieren).


FN ist nur f¨r wendepunktfreie Kurven uberall definiert. Auch in anderen
            u                         ¨
F¨llen gibt es aber Begleitbasen mit denselben Eigenschaften (tangentialer
 a
Basisvektor und p2 ≡ 0).

Definition 9 (Frenetsysteme).


a)         Ein tangentiales System (F, p(F)) einer Raumkurve heißt Frenetsystem
           der Kurve, falls p2 (F) ≡ 0. F ist eine Frenetbegleitbasis der Kurve
           und ihre stetigen Koeffizienten κ := p3 und τ := p1 heißen Kr¨mmung
                                                                      u
           und Torsion bzw. die Frenetschen Kr¨mmungen des Frenetsystems. Wir
                                              u
                                             √
           bezeichnen außerdem ωL := |p| = κ2 + τ 2 als Lancretsches Kr¨m-u
           mungsmaß des Systems.
     2
         Aufgestellt 1847 von Frenet und 1851 unabh¨ngig von Serret. Den rechten Teil
                                                   a
der Gleichung fand Darboux.
THEORIE DER FRENETKURVEN                                                        32


b)     Ein Drehvektor eines Frenetsystems heißt Darbouxvektor.

c)     Eine Kurve heißt Frenetkurve, falls sie ein Frenetsystem besitzt.

Bemerkung. Ein Darbouxvektor existiert i. A. nicht, wenn ωL Nullstellen
hat. Sonst ist der Darbouxvektor
                                      1
                             D=±        (τ T + κB).
                                     ωL

Diese Frenetkurvendefinition geht auf Wintner (1956), Nomizu (1959)
und Wong & Lai (1967) zur¨ck. Nomizu und Wong & Lai definieren als
                         u
Frenetkurve eine Kurve mit einer Begleitbasis, die die Frenetgleichungen
erf¨llt, ¨hnlich wie in der hier verwendeten Definition.
   u     a

Wintner definierte eine regul¨re C 2 -Kurve in ¨quivalenter Weise als Fre-
                            a                 a
netkurve, wenn sie eine C 1 -Binormale gem¨ß folgender Definition besitzt.
                                          a

Definition 10 (Haupt- und Binormale). Sei eine C 2 -Kurve mit Tan-
gentialvektor T gegeben.

     • Ein Normaleneinheitsvektorfeld N : I → S 2 heißt Hauptnormale der
       Kurve, falls die Tangentenableitung ¨berall kollinear zu ihm ist:
                                           u                                T   N.

     • Ein Normaleneinheitsvektorfeld B : I → S 2 heißt Binormale der Kurve,
       falls die Tangentenableitung ¨berall orthogonal zu ihm ist:
                                    u                                      T ⊥ B.

Lemma 8. Eine regul¨re C 2 -Kurve ist genau dann eine Frenetkurve, wenn sie
                   a
eine C 1 -Hauptnormale oder eine C 1 -Binormale besitzt. Ihre Frenetbegleitbasis
besteht genau aus der Tangente, einer Hauptnormalen und einer Binormalen.

Beweis. Ist (T, N, B) eine Frenetbegleitbasis, so ist wegen p2 = 0 T , B =
0 ⇒ T ⊥ B und T            N . N ist Hauptnormale und B ist Binormale. Ist
N eine C 1 -Hauptnormale einer Kurve, so ist nat¨rlich (T, N, T × N ) eine
                                                u
Frenetbegleitbasis und analog f¨r B.
                               u
THEORIE DER FRENETKURVEN                                              33


Bemerkung 1. Frenetsysteme werden k¨nftig in der Form (F, κ, τ ) ge-
                                   u
schrieben mit F = (T, N, B)t . Wir haben dann

                   κ = T ,N          und     τ = N ,B .

Bemerkenswert sind auch die Beziehungen:

        κ2 = T , T     = κ2 ,
                          N
                                     2
                                    ωL = N , N ,      τ2 = B , B .

Die drei Funktionen sind also Maße f¨r die momentane Ver¨nderung des
                                    u                   a
Normalenraums          N, B     , der rektifizierenden Ebene   T, B   und
des Schmiegraums        T, N    .

Bemerkung 2. Nat¨rlich ist eine wendepunktfreie C 3 -Kurve eine Frenet-
                u
kurve mit Frenetbegleitbasis FN und Kr¨mmungen κN , τN .
                                      u

Bemerkung 3. Ebenso sind ebene C 2 -Kurven Frenetkurven, da ihr kon-
stanter Normalenvektor (normiert auf die L¨nge 1) als Binormale gew¨hlt
                                          a                        a
werden kann. Die Torsion des so definierten Frenetsystems verschwindet.

Bemerkung 4. Eine Frenetkurve ist mindestens von der Ordnung C 2 .
Die sonst ubliche Voraussetzung C 3 ist aber nicht notwendig; schon eine
          ¨
C 2 -Kurve kann eine C 1 -Begleitbasis haben (vgl. Hartman & Wintner
(1959), S. 770-774).

Die S¨tze der klassischen Theorie gelten, soweit sie allein aus den Fre-
     a
netgleichungen gefolgert wurden, auch f¨r verallgemeinerte Frenetkurven.
                                       u
¨
Uber die wendepunktfreien Kurven hinaus kann jetzt eine Vielzahl weite-
rer Kurven in die Frenettheorie einbezogen werden. U. a. sind die ebenen
Kurven bruchlos in die Theorie der Raumkurven integrierbar; weitere Bei-
spiele von Frenetkurven werden am Ende des n¨chsten Abschnitts und in
                                            a
8.1 erw¨hnt.
       a
THEORIE DER FRENETKURVEN                                                               34


In der verallgemeinerten Frenettheorie gilt eine erweiterte Version des Fun-
damentalsatzes der Kurventheorie. Sie best¨tigt die N¨tzlichkeit des Fre-
                                          a          u
netkurvenbegriffes.

Satz 4 (Fundamentalsatz der Frenettheorie). Durch zwei beliebige
stetige, reelle Funktionen κ = κ(s) und τ = τ (s) auf einem offenen Intervall
I ⊂ R ist eine Frenetkurve mit κ und τ als Kr¨mmungen und Bogenl¨nge s
                                             u                  a
bis auf eine orientierungstreue Bewegung eindeutig festgelegt.

Beweis. Dies ist ein Spezialfall von Satz 1. Nat¨rlich ist die durch p =
                                                u
(τ, 0, κ)t als Koeffizientenvektor festgelegte Kurve eine Frenetkurve.


In der klassischen Theorie wird dieser Satz in abgeschw¨chter Version for-
                                                       a
muliert, indem κ als positiv und differenzierbar vorausgesetzt wird.3 Dies
entspricht der Beschr¨nkung auf wendepunktfreie C 3 -Kurven. Unter die-
                     a
ser Einschr¨nkung ist umgekehrt Existenz und Eindeutigkeit der Frenet-
           a
begleitbasis und der Kr¨mmungen gew¨hrleistet. In dieser Formulierung
                       u           a
bleibt aber die Frage offen, welche Bedeutung die L¨sungen der Frenetglei-
                                                  o
chungen haben, die man erh¨lt, wenn man eine beliebige stetige Funktion
                          a
   3
       So bei Blaschke & Leichtweiß (1973, 43); Brauner (1981, 97); Do Carmo
(1983, 16 f. und 241 f.); Laugwitz (1968, 18 ff.); Stoker (1969, 65 f.). Norden (1956,
92) und Spivak (1979, Vol. II, 45) fordern f¨r κ Positivit¨t, aber nur Stetigkeit. Als Be-
                                            u             a
gr¨ndung f¨r die Beschr¨nkung gibt Spivak (ebd., 63 f.) die Kurve von Beispiel 2 unten,
  u       u            a
die keine Frenetkurve ist, an. Blaschke (1921, 21) l¨ßt beide Einschr¨nkungen weg;
                                                    a                a
erst in der Bearbeitung von Leichtweiß wurden sie eingef¨gt. Allerding gibt Blaschke,
                                                        u
ebenso wie Kommerell & Kommerell (1931, 39) die Kehrwerte der Kr¨mmungen
                                                                u
vor, so daß Wendepunkte auch in der urspr¨nglichen Version implizit ausgeschlossen
                                         u
werden. Strubecker (1964, §§15-16) fordert κ ≡ 0 und stetig; Duschek & Mayer
(1931, 50) und Struik (1957, 29) setzen explizit nur Stetigkeit voraus.
THEORIE DER FRENETKURVEN                                                            35


κ als Kr¨mmung vorgibt. Die Antwort ist nun klar: Diese L¨sungen ent-
        u                                                o
sprechen genau der Klasse der Frenetkurven.4



5.2        (Un-)Eindeutigkeit der Frenetkrummungen
                                          ¨

Im Unterschied zur klassischen Theorie haben wir nicht mehr eine vorgege-
bene Frenetbegleitbasis, sondern m¨ssen im Zweifelsfall erst eine suchen.
                                  u
Es stellt sich daher die Frage nach Existenz und Eindeutigkeit von Frenet-
begleitbasis und -kr¨mmmungen.
                    u

Beispiel 2. Nicht jede vern¨nftige“ Kurve ist eine Frenetkurve. Sei
                             u
                       ”
                               
                                −1/t2
                               e      f¨r t < 0
                                        u
                      f (t) :=
                               0      f¨r t ≥ 0.
                                        u
                               


Dann ist
                                                         t
                        γ : x = x(t) = t, f (t), f (−t) , t ∈ I

eine C ∞ -Kurve, aber keine Frenetkurve.5 Die Kurve, die nicht zuf¨llig
                                                                  a
stark an Beispiel 1 erinnert, besteht aus zwei ebenen gekr¨mmten B¨gen.
                                                          u       o
   4
       Fast in keinem der g¨ngigen Lehrb¨cher wird die L¨cke zwischen dem eingeschr¨nk-
                           a            u               u                          a
ten Fundamentalsatz und den weitergehenden M¨glichkeiten, die aus der Theorie der
                                            o
Differentialgleichungen folgen, diskutiert. Wahrscheinlich ist es ohne den begrifflichen
Rahmen der verallgemeinerten Frenetkurve schwierig, mit den theoretisch existieren-
den L¨sungen f¨r κ beliebig‘etwas anzufangen. Einzig Stoker (1969) stellt die Frage,
     o        u
                 ’
“What about κ = 0?” (S. 67 f.) Er nennt ein Beispiel, das zeigen soll, daß, entgegen
dem oben bewiesenen Satz, verschiedene Raumkurven dieselben Kr¨mmungen haben
                                                              u
k¨nnen, wenn κ = 0 zugelassen ist. Tats¨chlich sind die Kurven in seinem Beispiel aber
 o                                     a
durch eine Drehung ineinander uberf¨hrbar, verletzen also nicht den Satz.
                              ¨    u
   5
       Die Beispielkurve wird auch bei Nomizu (1959, 111) und Spivak (1979, Vol. II, 63
f.) angef¨hrt.
         u
THEORIE DER FRENETKURVEN                                                  36


Im Wendepunkt x(0) wechselt sie sprunghaft von der x1 /x2 - auf die x1 /x3 -
Ebene: die Schmiegebene ver¨ndert sich unstetig. Der linke Grenzwert der
                           a
Hauptnormalen liegt auf der x2 -, der rechte auf der x3 -Achse. Solche Un-
stetigkeiten kommen bei Frenetkurven nicht vor. Die geforderte Existenz
einer stetigen Hauptnormale impliziert n¨mlich, daß die Hauptnormalen-
                                        a
                                                        ’
raum‘-Abbildung

          NN : IN → P2 ,         NN (s) :=   T (s)   =   NN (s)

auf ganz I stetig fortsetzbar ist (analog f¨r den Binormalenraum).
                                           u


Eine Frenetbegleitbasis existiert also nicht immer, und wenn sie existiert,
ist sie i. A. nicht eindeutig.

Beispiel 3. Es gibt Frenetkurven mit unendlich vielen verschiedenen Fre-
netbegleitbasen. Ein regul¨res Geradenst¨ck ist Frenetkurve. Ist (N1 , N2 )
                          a             u
eine feste ONB des konstanten Normalraumes T ⊥ der Kurve, so daß die
Basis F0 = (T, N1 , N2 )t positiv orientiert ist, so haben die Frenetbegleit-
basen gerade die Form F = D1 (ϕ)F0 (ϕ eine C 1 -Funktion) mit Koeffi-
                           t


zientenvektor p(F) = ϕ e1 , also κ = 0 und τ = ϕ (Satz 2).


In diesem Beispiel hat die Torsion“ keinerlei geometrische Bedeutung f¨r u
                            ”
die eigentliche Kurve. Sie beschreibt die Geschwindigkeit, mit der die Nor-
malenvektoren um die Tangente rotieren, und kann v¨llig beliebig sein.
                                                  o
Die Frenetschen Kr¨mmungen sind in diesem Fall keine echten Invarian-
                  u
ten der Kurve wie in der klassischen Theorie. Es k¨nnte immerhin sein,
                                                  o
daß es unter den verschiedenen Begleitbasen und Torsionen eine spezielle
gibt, die gegen¨ber den anderen aufgrund intrinsischer Eigenschaften der
               u
Kurve ausgezeichnet ist. Es w¨rde nahe liegen, Geradenst¨cken die Torsion
                             u                          u
THEORIE DER FRENETKURVEN                                                 37


Null zuzuschreiben. In der Tat hat Wintner (1956, §§1-4) diese L¨sung
                                                                o
vorgeschlagen. Er nahm an, daß jeder Frenetkurve eindeutige und stetige
Kr¨mmungen zugeschrieben werden k¨nnten, indem einfach κ ≡ κN und
  u                              o
auf Geradenst¨cken τ ≡ 0 gesetzt werden.
             u

Gegenbeispiele widerlegen diese Annahme.

Beispiel 4. Wir betrachten eine Variante von Beispiel 2. Der Wendepunkt
an der Stelle t = 0 werde zu einem ganzen Intervall [0, a] verl¨ngert, auf
                                                               a
dem die Kurve geradlinig verl¨uft. Sie besteht dann aus zwei ebenen ge-
                             a
kr¨mmten B¨gen mit einem Geradenst¨ck dazwischen. Diese so modifi-
  u       o                       u
zierte Kurve ist eine Frenetkurve. Ebene B¨gen sind wie schon erw¨hnt
                                          o                      a
Frenetkurven. Wir k¨nnen eine Frenetbegleitbasis F f¨r beide B¨gen defi-
                   o                                u         o
nieren und diese auf das Geradenst¨ck fortsetzen. Das geht nach folgendem
                                  u
allgemeinen Prinzip: F(0), F(a), τ0 und τa werden jeweils durch die Grenz-
werte dieser Gr¨ßen in 0 und a erkl¨rt (im Beispiel τa = τ0 = 0). Wegen
               o                   a
                                                  t
T (0) = T (a) gibt es einen Winkel ϕa mit F(a) = D1 (ϕa ) F(0). Sei nun ϕ
eine auf [0, a] definierte, im Innern differenzierbare Funktion mit

     ϕ(0) = 0,   ϕ(a) = ϕa ,     lim ϕ (s) = τ0 und lim ϕ (s) = τa .   (5.1)
                                 s→0                    s→a


Dann ist F mit der Fortsetzung

                                           t
                          F    [0,a]
                                       :≡ D1 (ϕ) F(0)                  (5.2)

eine Frenetbegleitbasis der ganzen Kurve. Auf dem Geradenst¨ck ist die
                                                           u
                                     ¨
Situation wie in Beispiel 3, und der Ubergang an den Endpunkten ist
nach Konstruktion differenzierbar. Auf ]0, a[ ist p = ϕ e1 und auf den
gekr¨mmten B¨gen p = (τ, 0, κ)t , wobei κ(0) = κ(a) = 0 und τ und ϕ
    u       o
an den Endpunkten die selben Grenzwerte haben.
THEORIE DER FRENETKURVEN                                                                 38


Diese Konstruktion ist f¨r jedes Geradenst¨ck einer Frenetkurve m¨glich,
                        u                 u                      o
und ϕ kann beliebig gew¨hlt werden, wenn nur die Festlegungen 5.1 und
                       a
5.2 erf¨llt sind. Daraus folgt:
       u

Satz 5 (Frenetkurven mit Geradenstucken). Eine Frenetkurve, die
                                  ¨
Geradenst¨cke enth¨lt, besitzt unendlich viele verschiedene Frenetsysteme.
         u        a

Insbesondere ist es i. A. unm¨glich, die Torsion auf Geradenst¨cken Null
                             o                                u
zu setzen. Die Kurve von Beispiel 4 kann als Flugbahn eines Punktes ver-
anschaulicht werden, an den die Frenetbegleitbasis als Dreibein geheftet
ist. Der Punkt kommt im Parameter 0 mit einer Hauptnormalen paral-
lel zur x2 -Achse an und verl¨ßt das Geradenst¨ck mit der Hauptnorma-
                             a                u
len in x3 -Richtung. Auf ]0, a[ muß sich das Dreibein um 90◦ um die x1 -
Achse drehen, und die Torsion ist die Winkelgeschwindigkeit, also sicher
nicht verschwindend. Unter den unendlich vielen M¨glichkeiten, die Dre-
                                                 o
hung zu realisieren, ist keine in irgend einer Weise vor den anderen ausge-
zeichnet. Frenetbegleitbasis und Torsion einer Kurve mit Geradenst¨cken
                                                                  u
sind wirklich uneindeutig. Wong & Lai (1967, 9) haben daher den Be-
griff Pseudotorsion vorgeschlagen, um dieser Uneindeutigkeit Rechnung
zu tragen. Konsequenterweise m¨ßte man eigentlich sogar von Pseudo-
                              u
kr¨mmung, Pseudohauptnormale etc. sprechen.
  u

Allerdings herrschen zumindest auf gekr¨mmten Kurvenb¨gen recht klare
                                       u             o
Verh¨ltnisse.
    a

Lemma 9. Zwischen einem Frenetsystem ((T, N, B)t , κ, τ ) einer Frenetkurve
und ihren intrinsischen Gr¨ßen gelten die Beziehungen
                          o

N   IN
         = εNN ,   B   IN
                            = εBN ,   κ   IN
                                               = εκN ,   τ   IN
                                                                  ≡ τN ,   ωL   IN
                                                                                     ≡ ωN ,

wobei ε : IN → {−1, +1} eine auf jeder Zusammenhangskomponente von IN
konstante Vorzeichenfunktion ist.
THEORIE DER FRENETKURVEN                                                      39


Beweis. N und NN sind beide Einheitsvektoren und ihre Richtung ist auf
IN durch T = 0 festgelegt. Also nimmt die Funktion ε := N, NN nur die
Werte ±1 an. ε ist stetig und diskret, muß also auf jeder zusammenh¨ngen-
                                                                   a
den Menge konstant sein und damit auch differenzierbar. Dann ist auch
NN = εN auf IN differenzierbar (N wurde ja C 1 vorausgesetzt) und τN
wohldefiniert. Weiter ist (jeweils auf IN ) B = T × N = T × εNN = εBN
und κ = N, T          = εNN , T       = εκN . Schließlich ist τ = N , B        =
                                  √
εNN , εBN = +τN und ωL =              κ2 + τ 2 =   κ2 + τN = ωN .
                                                    N
                                                         2




Daraus folgt, daß die Torsion einer Frenetkurve auf jedem gekr¨mmten
                                                              u
Bogen eindeutig bestimmt ist. Es gilt sogar:

Satz 6 (Frenetkurven ohne Geradenstucke). Eine geradenst¨ckfreie
                                   ¨                    u
Frenetkurve besitzt ein bis aufs Vorzeichen von Haupt- und Binormale und
Kr¨mmung eindeutig bestimmtes Frenetsystem. Insbesondere ist ihre Torsion
  u
eindeutig bestimmt.

                    ˜                                          ˜
Beweis. Seien N und N C 1 -Hauptnormalen. Die Funktion ε := N, N
                                                       ˆ
ist stetig differenzierbar. Auf IN existieren Funktionen ε, ε, so daß N =
                                                           ˜
        ˜
εNN und N = εNN (Lemma 9), die auf jeder Zusammenhangskomponente
            ˜
von IN konstant ±1 sind. Also ist ε I = ε˜ und ε
                                  ˆ      ε     ˆ          IN
                                                               ≡ 0. IN liegt nach
                                           N

Voraussetzung dicht im Definitionsbereich I, und aus Stetigkeitsgr¨nden
                                                                 u
    ˆ                                   ˜
ist ε konstant +1 oder −1, demnach N ≡ ±N . Nat¨rlich ist dann auch
                                               u
     ˜
B ≡ ±B, κ ≡ ±˜ und τ ≡ +˜.
             κ          τ

Bemerkung. Die Torsion ist somit zumindest auf gekr¨mmten B¨gen ei-
                                                   u       o
ne echte Invariante, die Kr¨mmung aber nur fast. Zwar ist der Betrag der
                           u
Kr¨mmung, der ja mit dem Kr¨mmungsmaß κN ubereinstimmt, eindeutig,
  u                        u             ¨
er gen¨gt aber nicht zur vollst¨ndigen Charakterisierung einer Kurve; denn
      u                        a
THEORIE DER FRENETKURVEN                                                  40


                        u                  ¨
Vorzeichenwechsel der Kr¨mmung zeigen eine Anderung der Kr¨mmungs-
                                                          u
richtung an und sind nicht zu vernachl¨ssigen. Lassen wir eine stetige
                                      a
Funktion κ mit Vorzeichenwechseln zusammen mit einer anderen Funkti-
on τ eine Kurve charakterisieren (gem¨ß Fundamentalsatz 4), so erhalten
                                     a
wir f¨r (|κ|, τ ) eine v¨llig andere Kurve, f¨r (−κ, τ ) dagegen dieselbe. Es
     u                  o                    u
ist also nicht m¨glich, gem¨ß der Annahme von Wintner (s.o.) jeder Fre-
                o          a
netkurve eine nichtnegative Kr¨mmung zuzuschreiben. Bei Kurven mit
                              u
Geradenst¨cken ist die Situation wiederum un¨bersichtlicher. Es kann in
         u                                  u
diesem Fall unendlich viele verschiedene Kr¨mmungen geben, denn das
                                           u
Vorzeichen von κ kann auf jedem gekr¨mmten Bogen jeweils unabh¨ngig
                                    u                         a
variiert werden, und unter ihnen gibt es i. A. keine bevorzugte Wahl.

In der klassischen Theorie bilden Kr¨mmung und Torsion einer wende-
                                    u
punktfreien Kurve ein vollst¨ndiges Invariantensystem einer Kurve. In der
                            a
Verallgemeinerung gilt das noch mit einer kleinen Einschr¨nkung f¨r ge-
                                                         a       u
radenst¨ckfreie Kurven. Allgemein bilden sie zwar eine vollst¨ndige, aber
       u                                                     a
keine invariante Charakterisierung der Kurve: verschiedene Paare von Fre-
netschen Kr¨mmungen k¨nnen zu verschiedenen Begleitbasen derselben
           u         o
Kurve geh¨ren.
         o

         ¨
Satz 7 (Aquivalenz von Frenetschen Krummungen). Zwei Paare ste-
                                                 ¨
                              κ ˜
tiger Funktionen (κ, τ ) und (˜ , τ ) sind genau dann Frenetsche Kr¨mmungen
                                                                   u
derselben Kurve, wenn es eine C 1 -Funktion θ gibt mit

           κ sin θ = 0,       κ cos θ = κ
                                        ˜       und θ = τ − τ.
                                                        ˜

Beweis. Ist p = (τ, 0, κ)t Ableitungsvektor eines Frenetsystems, so hat
jeder andere Ableitungsvektor p nach Satz 2 die Form
                               ˜
                                                 
                            p2
                            ˜          cos θ sin θ   0
              p1 = τ + θ ,   = 
              ˜                                     
                            p3
                            ˜        − sin θ cos θ   κ
THEORIE DER FRENETKURVEN                                                 41


mit einer C 1 -Funktion θ. Die Bedingung

                                          !
                            (˜1 , p2 , p3 ) = (˜, 0, κ)
                             p ˜ ˜             τ     ˜

f¨hrt dann auf obige Beziehungen.
 u

In der Beziehung zwischen verschiedenen Frenetkr¨mmungspaaren spie-
                                                u
len die Torsionsintegrale eine wichtige Rolle. Bei der Untersuchung von
Geradenst¨cken (Beispiele 3 und 4) stellte sich das Torsionsintegral l¨ngs
         u                                                            a
eines Geradenst¨cks als der Winkel, um den sich die Begleitbasis dreht,
               u
heraus. Bis auf ein ganzzahliges Vielfaches von π ist dieser Winkel durch
die Kurve offensichtlich eindeutig festgelegt. Wir bezeichnen diesen Win-
kel als Torsionswinkel und stellen seine intrinsische Eigenschaft allgemein
fest.

Definition 11 (Torsionswinkel). Sei τ Torsion einer Frenetkurve auf I
und G ⊂ I ein Intervall. Die Gesamttorsion ΛG und der Torsionswinkel Λπ
                                                                      G

der Kurve entlang G sind durch

                ΛG :=       τ (s) ds,      Λπ = ΛG
                                            G             (mod π)
                        G

definiert.

Satz 8 (Der Torsionswinkel als intrinsische Gr¨ße). Der Torsions-
                                              o
winkel Λπ einer Frenetkurve ist eine intrinsische Gr¨ße der Kurve, falls die
        G                                           o
Endpunkte des Intervalls G nicht in einem Geradenintervall liegen. Insbeson-
dere sind der Torsionswinkel einer Frenetkurve entlang eines Geradenst¨cks
                                                                      u
und der Torsionswinkel Λπ := Λπ
                        γ     [a,a+L] (mit a ∈ IG ) ¨ber einer geschlossenen
                                             /      u
Kurve γ der L¨nge L eindeutig bestimmt.
             a

Beweis. Sind τ und τ Torsionen der selben Frenetkurve, dann gibt es
                   ˜
nach Satz 7 eine Funktion θ mit κ sin θ = 0 und θ = τ − τ . Auf IN gilt
                                                    ˜
THEORIE DER FRENETKURVEN                                                                        42


dann sin θ = 0 ⇒ θ = kπ. Aus Stetigkeitsgr¨nden gilt das sogar auf dem
                                          u
Abschluß IN = I  IG . F¨r s0 und s1 aus dieser Menge folgt dann
                        u
                                               s1
                  ˜
                  Λπ 0 ,s1 ] − Λπ 0 ,s1 ] =         (˜(s) − τ (s))ds (mod π) =
                                                     τ
                    [s          [s
                                              s0

            s1
    =            θ (s) ds    (mod π) = θ(s1 ) − θ(s0 )               (mod π) ≡ 0 (mod π).
          s0

Nat¨rlich k¨nnen f¨r s0 und s1 auch die Endpunkte eines Geradenintervalls
   u       o      u
gew¨hlt werden.
   a

Zu kl¨ren ist noch, daß der Torsionswinkel einer geschlossenen Kurve wohl-
     a
definiert ist. O. B. d. A. sei eine geschlossene Kurve der L¨nge L als L-
                                                           a
periodische Parametrisierung x auf R gegeben (eine andere Parametri-
sierung kann periodisch auf R fortgesetzt werden). Da ein Geradenst¨ck
                                                                   u
nicht geschlossen ist, ist IN = ∅ und f¨r beliebige a, b ∈ IN (b > a) gilt
                                       u
Λπ = Λπ
 [a,b] [a+L,b+L] . Das folgt aus x                   [a,b]
                                                             ≡x   [a+L,b+L]
                                                                              und dem intrinsischen
Charakter des Torsionswinkels. Dann ist weiter

         Λπ          π          π        π          π            π
          [a,a+L] − Λ[b,b+L] = Λ[a,b] + Λ[b,b+L] − Λ[a+L,b+L] − Λ[b,b+L] = 0.


Also ist der Torsionswinkel einer geschlossenen Kurve unabh¨ngig von
                                                           a
der Wahl des Anfangspunktes, sofern dieser nicht in einem Geradenst¨ck
                                                                   u
liegt.

Bemerkung. Eine ebene Kurve besitzt ein Frenetsystem mit verschwin-
dender Torsion; also verschwindet auch generell der Torsionswinkel auf
zul¨ssigen Intervallen. Insbesondere gilt: Die Torsion verschwindet auf al-
   a
len gekr¨mmten B¨gen und der Torsionswinkel verschwindet auf jedem
        u       o
Geradenst¨ck. Diese Bedingungen sind auch hinreichend daf¨r, daß ir-
         u                                               u
gendwelche Kr¨mmungen (κ, τ ) zu einer ebenen Kurve geh¨ren. Denn ver-
             u                                         o
schwindender Torsionswinkel auf einem Geradenst¨ck ist ¨quivalent dazu,
                                               u       a
THEORIE DER FRENETKURVEN                                                  43


daß die Schmiegebene in den Endpunkten die gleiche ist; die Kurvenb¨gen
                                                                   o
liegen also alle in der gleichen Ebene.


    ¨
Das Aquivalenzkriterium wurde erstmals von Wong & Lai (1967) ange-
geben und durch elementare Rechnung bewiesen. Sie formulierten auch die
Aussage f¨r den Torsionswinkel, f¨r geschlossene Kurven sogar mod 2π;
         u                       u
dies w¨rde bedeuten, daß alle Frenetsysteme die selbe Periodizit¨t aufwei-
      u                                                         a
sen (vom Verhalten auf Geradenst¨cken abgesehen). Dem ist nicht so. Eine
                                u
geschlossene Frenetkurve der L¨nge L mit einem Geradenst¨ck besitzt so-
                              a                         u
wohl ein 2L-periodisches Frenetsystem, bei dem Haupt- und Binormale
nach jedem vollen Durchlauf das Vorzeichen wechseln, als auch ein L-pe-
riodisches. Die Gesamttorsionen beider Systeme unterscheiden sich um π,
deshalb ist der Satz nur modulo π richtig. F¨r geradenst¨ckfreie Kurven ist
                                            u           u
nat¨rlich die Gesamttorsion intrinsisch, da ja die Torsion selber intrinsisch
   u
ist.

Zum Schluß dieses Abschnitts uber Existenz und (Un)Eindeutigkeit von
                             ¨
Frenetsystemen m¨chte ich noch einen sch¨nen Satz von Nomizu (1959),
                o                       o
der im folgenden allerdings nicht weiter gebraucht wird, zitieren (ohne
Beweis):

Satz 9 (Analytische Kurven). Jede (regul¨re) analytische Kurve ist eine
                                        a
Frenetkurve. Falls sie nicht geradlinig ist, sind ihre Wendepunkte allesamt
isolierte Punkte und das Frenetsystem ist bis auf ein Vorzeichen eindeutig
bestimmt.
THEORIE DER FRENETKURVEN                                                          44


6     Das Bishopsystem einer Raumkurve

Tangentiale Systeme mit verschwindendem Koeffizienten p2 wurden als
Frenetsysteme untersucht. Der Fall p3 ≡ 0 f¨hrt auf die selbe Situation nur
                                           u
mit anderer Numerierung. Im folgenden betrachten wir den verbleibenden
Fall p1 ≡ 0.

Definition 12 (Bishopsystem). Ein tangentiales Sytem (B, p(B)) einer
Kurve γ : x := x(s), s ∈ I heißt Bishopsystem, falls der erste Koeffizient p1
des Ableitungsvektors verschwindet. B =: (T, M1 , M2 )t heißt Bishopbegleit-
basis der Kurve und die stetige parametrisierte Kurve

                                                  p2         M2 , T
                   k : I → R2 ,        k=               =
                                                  p3         T , M1

heißt Normalenentwicklung des Systems.

Bemerkung          1. Die      Ableitungsgleichungen            eines   Bishopsystems
((T, M1 , M2 )t , (k1 , k2 )t ) sehen dann   so aus:
                                                             
                          T            0     k2 −k1           T
                                                        
                      M1  = −k2                     0  · M 1  .
                                                        
                                              0
                                                        
                         M2            k1     0        0      M2

Bemerkung 2. Es gilt              |k| = |T | = κN , also entspricht die Null-
stellenmenge der Normalenentwicklung genau der Wendepunktmenge der
Kurve. Insbesondere sind Geradenst¨cke durch k ≡ 0 gekennzeichnet.
                                  u


Die Normalenkomponenten einer Bishopbegleitbasis haben tangentiale Ab-
leitungen. Solche Normalenfelder, die hier als relativ parallel bezeichnet
werden, sind nicht nur zur Konstruktion von Bishopsystemen n¨tzlich,
                                                            u
sondern auch f¨r die Untersuchung von Parallelkurven.
              u
THEORIE DER FRENETKURVEN                                                    45


Definition 13 (Relativ parallel).


   1. Ein C 1 -Normalenfeld entlang einer Kurve heißt relativ paralleles Norma-
      lenfeld (RPNF) der Kurve, falls seine Ableitung tangential ist.

   2. Zwei C 1 -Kurven heißen Parallelkurven, falls sie diffeomorph aufeinan-
      der bezogen werden k¨nnen so, daß die Normalebenen beider Kurven in
                          o
      entsprechenden Punkten ¨bereinstimmen. Das heißt, es gibt C 1 -Para-
                             u
      metrisierungen x(t), x(t) f¨r die beiden Kurven, so daß f¨r alle Para-
                                 u                             u
      meterwerte gilt
                           x(t) + x(t)⊥ = x(t) + x(t)⊥ .
                                  ˙              ˙

Bemerkung. Normalenfelder mit tangentialer Ableitung und daraus kon-
struierte Begleitbasen wurden m. W. erstamls von Bishop (1975) ausf¨hr-
                                                                   u
lich untersucht. In der Literatur (vgl. Blaschke 1921) tauchen sie aber
schon im Zusammenhang mit sogenannten Kr¨mmungsstreifen auf. Ist
                                        u
E(s) ein Vektorfeld l¨ngs einer regul¨ren Kurve γ : x(s), so ist durch
                     a               a
R(s, v) := x(s) + vE(s) eine Regelfl¨che definiert. Sie ist eine Torse, al-
                                   a
so in die Ebene verbiegbar, falls die Torsenbedingung det(E, E , T ) = 0
erf¨llt ist. Dies ist sicher der Fall, wenn f¨r E ein RPNF gew¨hlt wird.
   u                                         u                a
Die so definierte Torse wird als Kr¨mmungsstreifen bezeichnet.
                                  u

Satz 10 (Parallelkurven). Zwei C 1 -Kurven γ : x = x(s), s ∈ I und
γ : x = x(s) sind genau dann Parallelkurven, wenn es ein RPNF M auf I
zu γ gibt, so daß die parametrisierte Kurve x := x + M regul¨r und C 1 -
                                            ˜               a
¨quivalent zu x ist.
a

Beweis. Ist M RPNF zu γ, so haben die parametrisierten Kurven x und
x in entsprechenden Punkten gleiche Normalebenen. Die Tangential- und
˜
THEORIE DER FRENETKURVEN                                                             46


                                   ¨             ˙
damit auch die Normalr¨ume stimmen uberein wegen x = αx = 0. M ist
                      a                          ˜    ˙
                                 ˙        ˙            ˙    ˜ ˜ ˙
normal, also ist x = x + M ∈ x + x⊥ ⇒ x + x⊥ = x + M + x⊥ = x + x⊥ .
                 ˜

Sind umgekehrt zwei Parallelkurven γ : x(t) und γ : x(t) gegeben mit
                                                ˜ ˜
                    ˙                   ˙
x(t)+ x(t)⊥ = x(t)+ x(t)⊥ , so ist x(t) x(t) ⇒ M := x−x hat tangentiale
      ˙                            ˙
Ableitung zu beiden Kurven und die Normalenr¨ume stimmen uberein.
                                            a            ¨
Offensichtlich ist M dann selbst normal und damit ein RPNF.


Parallelkurven haben also die interessante Eigenschaft, daß sie in entspre-
chenden Punkten parallele Tangenten haben und die Verbindungsstrecke
dazwischen auf beiden Kurven senkrecht ist.6

Wir bemerken einige Eigenschaften der RPNFs.

Lemma 10. Sei eine C 2 -Kurve mit Tangentialvektor T gegeben; M und M1
seien relativ parallele Normalenfelder (RPNFs). Dann gilt:


a)         |M | ≡ const.

b)          M, M1 ≡ const.

c)                                              ˆ
           Sind c, c1 reelle Konstanten, so ist M := cM + c1 M1 wieder relativ
           parallel.

d)         M := T × M ist wieder relativ parallel.

Beweis. M ist tangential ⇒ M, M                  ≡ 0 ⇒ M, M ≡ const. Genauso
ist M, M1 ≡ const.
     6
         Zuweilen werden Kurven auch als Parallelkurven bezeichnet, wenn nur die Tangen-
ten parallel, d.h. ihre Tangentenbilder kongruent sind. In diesem Sinne w¨re ein RPNF
                                                                         a
einer Kurve, aufgegaßt als parametrisierte Kurve, sogar selbst Parallelkurve (falls re-
gul¨r).
   a
THEORIE DER FRENETKURVEN                                                   47


Linearkombinationen von RPNF sind nat¨rlich wieder RPNF, denn die
                                     u
Ableitungen der Summanden sind alle tangential.
Zu (d):   M = (T × M ) = T × M + T × M = T × M. Da T und M
beide normal sind, muß das Kreuzprodukt tangential und M daher relativ
parallel sein.


RPNFs haben also konstante L¨nge und schließen untereinander feste
                            a
Winkel ein. Außerdem legt ein RPNF zugleich eine Bishopbegleitbasis fest.

Lemma 11. Sei γ : x(s) eine C 2 -Kurve mit Tangentenvektor T und M ≡ 0
ein RPNF.


a)    Mit M1 := M/|M | und         M2 := T × M1 ist        (T, M1 , M2 )t eine
      Bishopbegleitbasis der Kurve.

b)    Ist M0 ein Normalenvektor im Punkt x(s0 ), so gibt es genau ein RPNF
      M der Kurve mit M (s0 ) = M0 , n¨mlich
                                      a

                       M := |M0 | · (cos ϕ0 M1 + sin ϕ0 M2 ),

      wobei f¨r ϕ0 der durch T orientierte Winkel zwischen M0 und M1 (s0 )
             u
      zu w¨hlen ist.
          a

Beweis. a) M1 und M2 sind RPNFs nach Lemma 10, c) und d) und
erg¨nzen T nach Konstruktion zu einer Begleitbasis.
   a

b) M ist gem¨ß Lemma 10 c) RPNF und ϕ0 wurde so gew¨hlt, daß
            a                                      a
                   ˜                       ˜
M (s0 ) = M0 . Ist M ein weiteres RPNF mit M (s0 ) = M0 , so ist die Dif-
                                                 ˜
ferenz wieder relativ parallel und folglich |M − M | ≡ const. = |M (s0 ) −
˜
M (s0 )| = 0. Daraus folgt die Eindeutigkeit.
¨Uber die Darstellung von Raumkurven durch ihre Invarianten
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¨Uber die Darstellung von Raumkurven durch ihre Invarianten

  • 1. Mathematisches Institut der Bayerischen Julius-Maximilians-Universit¨t Wurzburg a ¨ ¨ Uber die Darstellung von Raumkurven durch ihre Invarianten Diplomarbeit von Toni Menninger aus Ballingshausen Betreuer: Dr. Johann Hartl, Prof. Dr. Helmut Pabel M¨rz 1996 (erg¨nzt August 2001) a a
  • 2. Inhaltsverzeichnis Einfuhrung ¨ 2 I. Pr¨liminarien a 9 1 Der Orientierte Euklidische Raum . . . . . . . . . . . . . . 9 2 Begleitbasen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 3 Polarkoordinaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 II. Zur Theorie der Frenetkurven 20 4 Raumkurven . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 4.1 Kurve, Tangente, Bogenl¨nge und Kr¨mmungsmaß a u 21 4.2 Tangentiale Systeme . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 5 Frenetkurven . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 5.1 Frenetsysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 5.2 (Un-)Eindeutigkeit der Frenetkr¨mmungen . . . . . u 35 6 Das Bishopsystem einer Raumkurve . . . . . . . . . . . . . 44 7 Zusammenhang zwischen Frenet- und Bishopsystem . . . . 50 1
  • 3. INHALTSVERZEICHNIS 2 III. Spezielle Klassen von Raumkurven 58 8 Fl¨chenkurven und sph¨rische Kurven . . . . . . . . . . . a a 59 8.1 Die Darbouxbegleitbasis einer Fl¨chenkurve . . . . a 59 8.2 Sph¨rische Kurven . . . . . . . . . . . . . . . . . . a 62 8.3 Lokale Kurvengeometrie . . . . . . . . . . . . . . . 66 9 Explizit integrierbare Frenetkurven . . . . . . . . . . . . . 72 9.1 Geradlinige Kurven . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 9.2 Ebene Kurven . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 9.3 B¨schungslinien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . o 75 9.4 Kreisellinien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 Literaturverzeichnis 86
  • 4. Einfuhrung ¨ Ausgangspunkt dieser Arbeit war der Fundamentalsatz der Kurventheorie f¨r den dreideimensionalen euklidischen Raum: durch zwei stetige Funk- u tionen ist eindeutig eine Raumkurve mit den vorgegebenen Funktionen als Kr¨mmung und Torsion (als Funktionen der Bogenl¨nge) – ihren skalaren u a Invarianten – festgelegt. Die Fragestellung lautet nun: Wie kann aus den vorgegebenen Kr¨mmungen m¨glichst viel Information uber die durch sie u o ¨ definierte Kurve abgeleitet werden? Insbesondere, wann kann diese Kur- ve explizit bestimmt werden? (dann bezeichnen wir sie als explizit inte- grierbar). Dazu muß im allgemeinen ein System von linearen Differential- gleichungen, den Frenetschen Ableitungsgleichungen oder den nat¨rlichen u Gleichungen der Kurve, gel¨st werden (sie wurden 1847 von Frenet und o 1851 unabh¨ngig von Serret aufgestellt). Das generelle Verfahren zur a L¨sung linearer Differentialgleichungen hat den Nachteil, daß es unendlich o viele Integrationen erfordert. Lie (1882) und Darboux (1914, Ch. I-IV) zeigten, daß die L¨sung der Frenetgleichungen aquivalent zur L¨sung einer o ¨ o Riccatischen Differentialgleichung ist, die im allgemeinen nicht integrierbar ist. L¨sungen der Frenetgleichungen in einer Reihe von Spezialf¨llen (bis o a auf Integration) sind jedoch wohlbekannt. Schon Euler (1736) fand die explizite Darstellung ebener Kurven aus ihrer Kr¨mmung. Hoppe (1862) u
  • 5. ¨ EINFUHRUNG 4 entwickelte einen Ansatz zur Reduzierung der Frenetgleichungen mittels Integraltransformationen. F¨r vier der einfachsten F¨lle gab er L¨sungen u a o an, ohne dabei auf ihre geometrische Interpretation einzugehen. Sie f¨hren u auf ebene Kurven, B¨schungslinien und Kurven konstanter Pr¨zession, die o a erst k¨rzlich von Scofield (1995) eingehend untersucht wurden. Weitere u Beispiele f¨r aus ihren Kr¨mmungen explizit angebbaren Kurvenklassen u u wurden bisher nicht bekannt. Neuere Ans¨tze von Hartl und Scofield haben dieses Bild vervollst¨ndigt. a a Hartl (1983) stellte fest, daß die linearen Frenet-Differentialgleichungen (verallgemeinert auf den Rn ) unter bestimmten Bedingungen durch Expo- nentierung des Integrals uber ihre Koeffizientenmatrix l¨sbar sind. Hartl ¨ o kl¨rte, daß diese direkt integrierbaren Kurven genau die (Hyper)B¨schungs- a o linien im n-dimensionalen Raum sind. Im Dreidimensionalen f¨hrt das auf u die bekannten B¨schungslinien. o Scofield (1994) versucht, die Frenetgleichungen frontal anzugehen. Er findet eine pr¨gnante Neuformulierung des Problems unter Verwendung a von Integraloperatoren, auf deren Invertierung es nun ankommt. Scofield zeigt auch, daß diese Methode praktisch anwendbar ist; er erh¨lt eine neue a Differentialgleichung, die in einem Sonderfall zwanglos zur L¨sung f¨hrt, o u n¨mlich genau im Falle von Kurven konstanter Pr¨zession. Allerdings sieht a a diese Differentialgleichung in allen anderen F¨llen hoffnungslos aus. Ob der a Ansatz mittels Integraloperatoren neue Ergebnisse bringen wird, bleibt abzuwarten. In dieser Arbeit wurde ein rein geometrischer Zugang gew¨hlt. Nir- a ¨ gends werden explizit Differentialgleichungen diskutiert. Die Uberlegung ist folgende: Die drei bisher als explizit integrierbar erkannten Kurvenklas-
  • 6. ¨ EINFUHRUNG 5 sen - ebene Kurven, B¨schungslinien und Kurven konstanter Pr¨zession - o a sind dies aufgrund ihrer speziellen geometrischen Eigenschaften, genauer: aufgrund bestimmter Eigenschaften ihrer Tangenten und Normalen. Die- se Kurvenklassen sind als Glieder einer Folge aufsteigender Komplexit¨t a interpretierbar: Eine B¨schungslinie hat ein ebenes Tangentenbild, das ei- o ner Kurve konstanter Pr¨zession liegt wiederum auf einer B¨schungslinie, a o w¨hrend ihr Normalenbild eben ist. Allgemein werden Kurven mit ebenem a Normalenbild als Kreisellinien definiert; die Kurven konstanter Pr¨zession a sind ein Sonderfall davon, bei dem gewisse Parameter konstant sind. Insgesamt kann nach diesem Schema eine unendliche Folge von Kur- venklassen definiert werden, deren erste Glieder ebene Kurven, B¨schungs- o linien und Kreisellinien und deren Spezialf¨lle, die Kreise, Schraubenlinien a und Kurven konstanter Pr¨zession, sind. In Abschnitt 7 wird dieses Prinzip a pr¨zisiert und die Beziehung zwischen den aufeinanderfolgenden Kurven- a klassen gekl¨rt. Es zeigt sich, daß, ausgehend von der Eulerschen L¨sung a o f¨r ebene Kurven, alle Folgekurvenklassen explizit integrierbar sind. Dabei u kommt die Verallgemeinerung einer Rekursionsformel von Bilinski (1955) ¨ zur Anwendung, die den Ubergang von der Frenetbegleitbasis einer Kurve zu der der Folgekurve beschreibt. Hauptergebnis dieser Arbeit ist die Ermittlung expliziter Parameter- darstellungen f¨r ebene Kurven, B¨schungslinien und erstmals f¨r Krei- u o u sellinien nach der skizzierten Methode (Abschnitt 9). Die Vermutung liegt nahe, daß die Kurvenklassen dieser Folge die einzigen sind, die durch end- lich viele Integrationen aus ihren Kr¨mmungen bestimmbar sind. u In der dreidimensionalen Kurventheorie ist es weithin ublich, sich auf ¨ wendepunktfreie Kurven zu beschr¨nken. Auf diese Einschr¨nkung wurde a a
  • 7. ¨ EINFUHRUNG 6 hier jedoch verzichtet, denn die Theorie der Differentialgleichungen garan- tiert die Existenz einer L¨sung der Frenetgleichungen auch dann, wenn o die vorgegebene Kr¨mmungsfunktion Nullstellen besitzt; vorausgesetzt ist u allein die Stetigkeit. Um aber Kurven mit Wendepunkten in die Analyse dieser Arbeit einzubeziehen, brauchen wir eine Verallgemeinerung der Fre- nettheorie, die es erlaubt, die bekannten Methoden auch auf solche Kurven anzuwenden. Auf die M¨glichkeit dieser verallgemeinerten Frenettheorie o wies zuerst Wintner (1956) hin, und Nomizu (1959) und Wong & Lai (1967) bauten sie aus. Es zeigt sich, daß nicht alle Kurven in die Frenettheorie einbezogen werden k¨nnen und daß die von wendepunktfrei- o en Kurven her gewohnte Eindeutigkeit von Begleitbasis, Kr¨mmung und u Torsion verloren geht. Aber wichtige Kurvenklassen wie die hier unter- suchten sind als Frenetkurven beschreibbar und besitzen charakteristische, nat¨rliche“ Begleitbasen. u ” Die ausf¨hrliche Darstellung der verallgemeinerten Frenettheorie nimmt u den gesamten Teil II in Anspruch. Einen zentralen Stellenwert nimmt da- bei der Begriff der Begleitbasis ein, dem schon der vorbereitende 2. Ab- schnitt gewidmet ist. Zun¨chst werden allgemeine Eigenschaften gewisser a tangentialer Begleitbasen betrachtet (Abschnitt 4). Die interessantesten von ihnen sind die bekannten Frenetbegeitbasen (Abschnitt 5) und die von Bishop (1975) eingef¨hrten, die hier als Bishopbegleitbasen bezeich- u net werden (Abschnitt 6). Letztere zeichnen sich dadurch aus, daß ihre Existenz schon unter schwachen Voraussetzungen gesichert ist, anders als bei Frenetbegleitbasen. Der Zusammenhang zwischen Frenet- und Bishopbegleitbasen (Ab- schnitt 7) erweist sich in verschiedener Hinsicht als Schl¨ssel. Zum einen u wird daraus die Rekursionsformel gewonnen, die u.a. die L¨sung der Fre- o
  • 8. ¨ EINFUHRUNG 7 netgleichungen f¨r Kreisellinien erm¨glicht. Zum anderen bieten die Bi- u o shopbegleitbasen einen besonders nat¨rlichen Zugang zu einer Reihe wich- u tiger Probleme. So gewonnene Ergebnisse k¨nnen dann in die Begriffe der o Frenettheorie ubertragen werden. Einige Anwendungen, insbesondere f¨r ¨ u sph¨rische Kurven, werden in Abschnitt 8 gezeigt. a Sph¨rische Kurven sind im allgemeinen nicht explizit integrierbar. Zu- a mindest ist die Eigenschaft, sph¨risch zu sein, aus den Invarianten ables- a bar. Eine umfassende notwendige und hinreichende Bedingung daf¨r, daß u eine Kurve sph¨risch ist, wurde erst von Wong (1967, 1972) formuliert. a Bishop (1975) erkannte, daß diese Bedingungen mit Hilfe von Bishopbe- gleitbasen sehr leicht abzuleiten sind. Fast von selbst ergibt sich dann der Satz uber die Gesamttorsion geschlossener sph¨rischer Kurven. ¨ a
  • 9. I. Pr¨liminarien a 1 Der Orientierte Euklidische Raum Thema dieser Arbeit sind Kurven im orientierten euklidischen Raum Rn . In diesem Abschnitt werden einige wichtige Begriffe zusammengestellt und die Notationen eingef¨hrt. u Gegeben ist der Vektorraum Rn mit kanonischer Basis e1 , . . . , en und kanonischem Skalarprodukt ·, · mit den Eigenschaften ei , ej = δij , aV + bW, X = a V, X + b W, X , V, W = W, V f¨r a, b ∈ R, V, W, X ∈ Rn , durch das der Vektorbetrag u |X| = X, X f¨r X ∈ Rn u definiert ist. Zugleich ist der Winkel Θ zwischen zwei Vektoren V, W er- kl¨rt durch a V, W cos Θ = . |V ||W | Die Menge der Einheitsvektoren bilden die Einheitssph¨re a S n = {X ∈ Rn+1 |X| = 1}.
  • 10. ¨ PRALIMINARIEN 10 Vektoren werden durch ihre kartesischen Koordinaten in Spaltenform be- schrieben, n t X = (x1 , . . . , xn ) = xi ei i=1 t (wo Transposition bezeichnet). Dann ist X, Y = X t Y . Punkte werden auf die gleiche Weise in Koordinaten geschrieben; eine strenge begriffli- che Unterscheidung zwischen Punkten und Vektoren wird in dieser Arbeit nicht gemacht. Wir schreiben X Y ⇔ die Vektoren X und Y sind linear abh¨ngig, und a X ⊥ Y ⇔ X, Y = 0 ⇔ die Vektoren X und Y sind orthogonal. Das lineare Erzeugnis eines Vektortupels V1 , . . . Vk ist k V1 , . . . , Vk = αi Vi αi ∈ R, f¨r i = 1, . . . , k u i=1 und das orthogonale Komplement ist {V1 , . . . , Vk }⊥ = V1⊥ ∩ . . . ∩ Vk⊥ = {X ∈ Rn X ⊥ Vi f¨r i = 1 . . . k}. u Eine Orthonormalbasis (ONB) des Rn ist ein Vektortupel B1 , . . . Bn mit Bi , Bj = δij . Orthonormalbasen werden als Spaltentupel B = (B1 , . . . Bn )t geschrieben und mit ihrer orthogonalen Koordinatenmatrix B ∈ Rn×n identifiziert. Es gilt B t B = I mit Einheitsmatrix I. Eine ONB B heißt positiv orientiert, falls det B = +1. Die Orthogonalen Matrizen mit Determinante +1 heißen auch eigentlich orthogonal. Sie bilden die Gruppe SO(n) = {M ∈ Rn×n M t M = I ∧ det M = +1}.
  • 11. ¨ PRALIMINARIEN 11 Eine Abbildung X ∈ Rn → M X ∈ Rn heißt Drehung, falls M ∈ SO(n). ¨ Sie beschreibt den Ubergang von der kanonischen Basis auf die Basis mit Koordinatenmatrix M . Eine Abbildung α : R n → Rn , α(X) = X0 + M X (X0 ∈ Rn , M ∈ SO(n)), eine Drehung, kombiniert mit einer Translation, heißt eigentliche oder ori- entierungserhaltende Bewegung. Ein beliebiger Vektor X besitzt zur ONB B = (B1 , . . . Bn )t die Darstellung n X= X, Bi Bi = B t X. i=1 X ist der Koordinatenvektor von X bez¨glich B: u X = ( X, B1 . . . X, Bn )t = BX. Im R3 , f¨r den wir uns haupts¨chlich interessieren, ist zus¨tzlich das Vek- u a a torpodukt zweier Vektoren definiert. F¨r eine beliebige positiv orientierte u ONB (B1 , B2 , B3 )t gilt B1 × B2 = B3 , B2 × B3 = B1 , B3 × B1 = B2 und f¨r a, b ∈ R und V, W, X ∈ R3 ist u (aV + bW ) × X = a(V × X) + b(W × X), V × W = −W × V. Schließlich gilt f¨r Vektoren X, Y ∈ R3 u X Y ⇐⇒ X × Y = 0. Eine Gerade im R3 ist eine Punktmenge g = x0 + S = {x ∈ R3 x × S = x0 × S = const.},
  • 12. ¨ PRALIMINARIEN 12 wobei S ∈ R3 0 Richtungsvektor der Geraden und x0 ∈ R ein Punkt auf ihr ist. Eine Ebene im R3 ist eine Punktmenge E = x0 + V, W = x0 + N ⊥ = {x ∈ R3 x, N = x0 , N = const.}, wobei x0 ∈ R3 ein Punkt auf ihr, V und W zwei linear unabh¨ngige a Richtungsvektoren und N V × W = 0 ein Normalenvektor der Ebene ist. Eine Sph¨re schließlich mit Mittelpunkt m ∈ R3 und Radius R ∈ R+ ist a eine Punktmenge SR,m = {x ∈ R3 |x − m| = R}. Nat¨rlich ist S 2 = S1,0 . Die Schnittmenge aus einer Sph¨re und einer Ebe- u a ne wird, falls sie mehr als einen Punkt enth¨lt, als Kreislinie bezeichnet. a 2 Begleitbasen Das f¨r diese Arbeit wichtigste Hilfsmittel der Kurventheorie ist die Be- u gleitbasis. Ziel ist, einer Kurve in jedem Punkt eine an sie angepaßte ONB anzuheften, die oft als begleitendes Dreibein‘ bezeichnet wird. Zun¨chst a ’ dient der Begriff nur zur Unterscheidung einer variablen von einer starren Basis (etwa im Sinne von ‘moving frame’). Definition 1 (Begleitbasis). Ein Vektortupel B1 , . . . , Bn von C k -Ein- heitsvektorfeldern Bi : G → S n−1 (G ⊂ R eine offene Menge) heißt C k - Begleitbasis, falls die Komponenten f¨r jeden Parameterwert t ∈ G eine posi- u tiv orientierte Orthonormalbasis des Rn bilden. Die Begleitbasis wird mit der
  • 13. ¨ PRALIMINARIEN 13 matrixwertigen Funktion B : G → Rn , B(t) = (B1 (t), . . . , Bn (t))t identifiziert mit B(t) ∈ SO(n) f¨r alle t aus G. u Die Ableitungen der Begleitbasisvektoren (falls k ≥ 1) k¨nnen nun wieder o durch die Basis selbst ausgedr¨ckt werden. Wir haben dann u B = B B t · B = (B1 , . . . , Bn )t (B1 , . . . Bn ) · B. Ausgeschrieben, erhalten wir so Ableitungsgleichungen der Form     B B  1   1   .   .   .  = Bi , Bj . ·  . . . (2.1)   i=1...n   j=1...n Bn Bn Auf die Koeffizientenmatrix (mit Zeilenindex i und Spaltenindex j) dieser Ableitungsgleichungen kommt es an. Definition 2 (Ableitungsmatrix). Sei B = (B1 , . . . , Bn )t eine C 1 -Be- gleitbasis (k ≥ 1). Die Matrix ΦB = B B t mit Eintr¨gen a Φi,j = Bi , Bj B heißt Ableitungsmatrix der Begleitbasis B. Nun ist ΦB + Φt = B B t + BB t = (BB t ) = I = 0 B wegen der Orthogonalit¨t. Daraus folgt a Lemma 1. Die Ableitungsmatrix einer C 1 -Begleitbasis ist schiefsymmetrisch.
  • 14. ¨ PRALIMINARIEN 14 Umgekehrt legt eine schiefsymmetrischen Matrix eine im wesentlichen ein- deutige Begleitbasis fest. Lemma 2. Sei Φ : I → Rn×n eine schiefsymmetrische Matrix mit stetigen Koeffizientenfunktionen auf einem offenen Intervall I ∈ R, und sei t0 ∈ I und B0 eine positiv orientierte ONB des Rn . Dann gibt es genau eine Rn - Begleitbasis B mit ΦB = Φ und B(t0 ) = B0 . Sie ist aus Φ und B0 als Grenzfunktion der Picardschen Folge von Integraliterationen darstellbar: t t σ2 B(t) = B0 + Φ(σ1 )B0 dσ1 + Φ(σ2 ) Φ(σ1 )B0 dσ1 dσ2 + · · · t0 t0 t0 Beweis. Die lineare Differentialgleichung B = ΦB besitzt zu der vor- gegebenen Anfangsbelegung B0 eine eindeutig bestimmte L¨sung in der o angegebenen Form, wie aus der Theorie der Differentialgleichungen be- kannt ist. Die L¨sung B = (B1 , . . . , Bn )t ist nun tats¨chlich eine Begleit- o a basis. Denn aus der Schiefsymmetrie von Φ folgt, daß alle Skalarprodukte Bi , Bj konstant sind: Bi , Bj ≡ Bi (t0 ), Bj (t0 ) ≡ δij . B bleibt auf dem ganzen Intervall kongruent; da der Anfangswert als ONB gew¨hlt wurde, bleibt diese Eigenschaft erhalten. Auch die Orientierung a bleibt erhalten wegen der Stetigkeit der Determinante. Korollar. Zwei auf einem Intervall definierte Begleitbasen mit der selben Ableitungsmatrix unterscheiden sich h¨chstens durch eine Drehung. o Beweis. Seien B und B Begleitbasen mit ΦB = ΦB . Die beiden ONBen ˜ B(t0 ) und B(t0 ) sind durch eine Drehung M ineinander uberf¨hrbar, also ¨ u B(t0 ) = B(t0 )M (Gruppeneigenschaft von SO(n)). Nun ist (BM ) = ΦB · BM . BM hat die selbe Ableitungsmatrix und den selben Anfangswert wie B. Nach Lemma 2 ist dann B ≡ BM .
  • 15. ¨ PRALIMINARIEN 15 Bemerkung. In der Begleitbasisdefinition wurden auch unzusammenh¨n- a gende Definitionsmengen G zugelassen. F¨r das Lemma muß nat¨rlich u u Zusammenhang vorausgesetzt werden. Im folgenden bezeichnet I immer ein offenes Intervall. 1 Das Lemma k¨nnte auch so formuliert werden: die o 2 n(n − 1) Koeffizi- entenfunktionen der schiefsymmetrischen Ableitungsmatrix legen im we- sentlichen eine Rn -Begleitbasis fest. Die in der Kurventheorie bevorzugte Frenetbegleitbasis hat den Vorteil, daß alle bis auf n − 1 Koeffizienten ver- schwinden. 3 Polarkoordinaten Zu jedem nichtverschwindenden Vektor W ∈ R2 gibt es eindeutig be- stimmte Polarkoordinaten r > 0 und ϕ ∈ [0; 2π[, so daß W = r · E(ϕ). Dabei ist r = |W | als Betrag und ϕ als Polarwinkel zu interpretieren, den W mit der positiven ersten Koordinatenachse einschließt, und E(ϕ) = (cos ϕ, sin ϕ)t bezeichne den vom Winkel ϕ festgelegten Einheitsvektor. Wir werden uns h¨ufig die Darstellung zweidimensionaler Vektoren (bzw. a ebener Kurven) in Polarkoordinaten zunutze machen. x Definition 3 (Polarkoordinaten). Sei V = y : I → R2 ein Vektorfeld. Die stetigen Funktionen r und ϕ : I → R heißen Polarkoordinaten von V , falls gilt: x r cos ϕ = r · E(ϕ) = (3.1) y r sin ϕ Wir bezeichnen ϕ als Polarwinkel und r als Polarabstand von V .
  • 16. ¨ PRALIMINARIEN 16 Die Definition l¨ßt bewußt auch negativen oder verschwindenden Polar- a abstand zu. Soweit m¨glich, sollen auch einem Vektorfeld mit Nullstellen o Polarkoordinaten zugeschrieben werden. F¨r die weitere Untersuchung f¨hren wir die Drehmatrix u u   cos ϕ − sin ϕ D(ϕ) =   ∈ SO(2). sin ϕ cos ϕ ein, die die Drehung eines Vektors um den Winkel ϕ im positiven Drehsinn (gegen den Uhrzeigersinn) vermittelt. Offensichtlich gelten die Beziehun- gen: D(ϕ) · E(ψ) = E(ϕ + ψ) D(ϕ) · D(ψ) = D(ϕ + ψ) x −y D(π/2) · = y x Ist ϕ eine differenzierbare Winkelfunktion, so gilt: E (ϕ) = ϕ · E (ϕ + π/2) D (ϕ) = ϕ · D (ϕ + π/2) . Die Polarkoordinatengleichung (3.1) liefert mit Hilfe dieser Beziehungen x x cos ϕ + y sin ϕ r D(−ϕ) · = rE(0) ⇔ = (3.2) y −x sin ϕ + y cos ϕ 0 und es folgt r2 = r(x cos ϕ + y sin ϕ) = x · r cos ϕ + y · r sin ϕ = x2 + y 2 . (3.3) Ableitung der linken Gleichung von (3.2) ergibt x x r x r −ϕ D(π/2)D(−ϕ) +D(−ϕ) = ⇔ D(−ϕ) = ⇒ y y 0 y ϕr
  • 17. ¨ PRALIMINARIEN 17 x x y x rr =⇒ rD(−ϕ) = · = ⇒ −yx + xy = r2 ϕ . y −y x y r2 ϕ (3.4) Aus den Gleichungen 3.2, 3.3 und 3.4 erhalten wir das Lemma x Lemma 3. Sei y : I → R2 ein Vektorfeld. ϕ : I → R ist genau dann zugeh¨rige Polarwinkelfunktion, wenn gilt o x sin ϕ = y cos ϕ. Durch den Polarwinkel sind bereits eindeutig Polarkoordinaten festgelegt, wo- bei der Polarabstand durch r = x cos ϕ + y sin ϕ gegeben ist. Es gelten die Beziehungen r 2 = x2 + y 2 und, falls x, y, ϕ differenzierbar, ϕ r2 = xy − yx . Bemerkung. Offensichtlich sind Polarkoordinaten nicht eindeutig fest- gelegt. Sind (r, ϕ) Polarkoordinaten, so auch (r, ϕ + 2kπ) und (−r, ϕ + (2k + 1)π) (f¨r k ∈ Z). Verschwindet die Vektorfunktion auf einem u gewissen Intervall, so ist der Polarwinkel im Innern dieses Intervalls sogar v¨llig unbestimmt. o Andernfalls gilt eine eingeschr¨nkte Eindeutigkeitsaussage. a Lemma 4. Sei V : I → R2 ein Vektorfeld, das auf keinem ganzen Intervall verschwindet, d.h. die Nullstellenmenge I0 = {t ∈ I | V (t) = 0} enthalte keine inneren Punkte. Wenn V Polarkoordinaten besitzt, dann ist der Pola- rabstand bis aufs globale Vorzeichen und der Polarwinkel (mod π) eindeutig bestimmt.
  • 18. ¨ PRALIMINARIEN 18 Beweis. Seien (r, ϕ) und (˜, ϕ) Polarkoordinaten von v, also rE(ϕ) = r ˜ rE(ϕ), so muß auf I I0 gelten ˜ ˜ 1 r 1 ˜ rD(−ϕ)E(ϕ) = r ˜ ˜ ⇒ E(ϕ − ϕ) = ˜ ⇒ sin(ϕ − ϕ) = 0. ˜ 0 r 0 Die auf I stetige Funktion sin(ϕ − ϕ) verschwindet auf einer dichten ˜ Teilmenge von I, also verschwindet sie identisch auf ganz I. Daraus folgt ϕ − ϕ = kπ und r = ±r. ˜ ˜ Beispiel 1. Polarkoordinaten existieren nicht immer. Die Vektorfunktion x y : R → R2 mit    −1/t2 te  −1/t2 f¨r t = 0, u te f¨r t < 0, u x(t) = y(t) = 0 f¨r t = 0 u 0 f¨r t ≥ 0, u   ist C ∞ -differenzierbar, hat aber keine stetige Polarwinkelfunktion. Ihr Bild ist eine im Nullpunkt geknickte Gerade, die beiden Halbgeraden schließen 3 den Winkel 4 π ein. Nach dem Lemma m¨ßte sich der Polarwinkel im u Nullpunkt um diesen Betrag (mod π) ¨ndern, also sprunghaft. W¨rde a u v auf einem ganzen Intervall verschwinden, dann h¨tte der Polarwinkel a allerdings Gelegenheit, sich kontinuierlich zu ¨ndern. a Es ist anschaulich klar, daß Probleme mit der Stetigkeit des Polarwinkels nur in Nullstellen einer Kurve auftauchen. Ansonsten ist die Existenz von Polarkoordinaten gesichert. Lemma 5. Seien α und β skalare C k -Funktionen auf einem offenen Intervall I ⊂ R, die nirgends gleichzeitig verschwinden. Dann gibt es C k -Polarkoordina- α ten r und ϕ f¨r u β . Sie sind im wesentlichen eindeutig (im Sinne von Lemma 4) und f¨r sie gilt u β α−αβ r = ± α2 + β 2 und (falls k ≥ 1) ϕ = . α2 + β 2
  • 19. ¨ PRALIMINARIEN 19 Beweis. Wir setzen r := α2 + β 2 (r ∈ C k , da r > 0) und betrachten 1 α den Einheitsvektor U := r β . Sei ϕ0 der Polarwinkel zum Parameterwert t0 ∈ I, also U = E(ϕ0 ), und t1 ∈ I ein anderer Parameterwert. W¨hrend a der Parameter stetig von t0 nach t1 l¨uft, bewegt sich U stetig auf dem a Einheitskreis von U (t0 ) nach U (t1 ). Der dabei uberstrichene Gesamtwin- ¨ kel (oder die auf dem Einheitskreis insgesamt zur¨ckgelegte Bogenl¨nge, u a wobei Bewegung in negativer Richtung auch negativ gewertet wird) sei ∆ϕt1 . Dann ist durch ϕ(t1 ) := ϕ0 + ∆ϕt1 eine stetige Polarwinkelfunkti- α on f¨r U definiert und damit sind (r, ϕ) Polarkoordinaten f¨r u u β , f¨r die u die Eindeutigkeitsaussage von Lemma 4 gilt.1 Wir haben nun α β = cos ϕ und = sin ϕ. r r Kosinus und Sinus sind lokal umkehrbar, ϕ also lokal durch einen Ast von Arkuskosinus bzw. Arkussinus darstellbar und damit differenzierbar, falls k ≥ 1. Die Formel f¨r ϕ folgt dann aus Lemma 3; sie garantiert die u Differentiationsordnung f¨r ϕ. u Bemerkung. Ist eine der Funktionen positiv, etwa α > 0, so ist nat¨rlich u β ϕ = arctan α ein Polarwinkel. Im allgemeinen kann ϕ aber nicht so einfach ausgedr¨ckt u werden. Mit Hilfe dieses Lemmas k¨nnen wir insbesondere einen ebenen Einheits- o vektor bez¨glich einer beliebigen (festen oder Begleit-)Basis durch den u 1 Eine andere Beweism¨glichkeit f¨r diese wichtige Existenzaussage w¨re die Zu- o u a sammensetzung einer Polarwinkelfunktion mit Hilfe von lokalen, mod π eindeutigen Polarwinkeln (analog Satz 11). Der hier gegebene Beweis folgt Wong & Lai (1967, 10). Andere Beweise bei Spivak (1979, Vol. II, 22 f.) und Chern (1957, Ch. 1, §3.2).
  • 20. ¨ PRALIMINARIEN 20 Polarwinkel ausdr¨cken. Setzen wir T = αU1 + βU2 , β 2 + α2 = 1, so folgt u mit Lemma 5 Korollar. Jede C k -Einheitsvektorfunktion T : I → R2 ist als T = E(ψ) mit einer C k -Funktion ψ darstellbar. Bez¨glich einer C k -Begleitbasis (U1 , U2 )t des u R2 lautet ihre Darstellung T = cos θU1 + sin θU2 . (U1 , U2 ) wiederum kann als E(ϕ), E(ϕ + π/2) geschrieben werden (θ und ϕ sind ebenfalls C k ; es gilt dann ψ = θ + ϕ) und ihre Ableitungsgleichung lautet (falls k ≥ 1)       U1 0 ϕ U   =  ·  1 . U2 −ϕ 0 U2 Die Basis beschreibt eine Drehung mit Winkelgeschwindigkeit ϕ .
  • 21. II. Zur Theorie der Frenetkurven 4 Raumkurven 4.1 Kurve, Tangente, Bogenl¨nge und Krummungs- a ¨ maß Wir beginnen mit einer Zusammenstellung elementarer Definitionen und Tatsachen der Kurventheorie im euklidischen Raum. 1. Eine parametrisierte C r -Kurve ist eine C r -Abbildung x : I → Rn eines offenen Intervalls I in den euklidischen Raum Rn . Ihr Bild x[I] heißt Spur. 2. Ein Kurvenpunkt x(t0 ) einer parametrisierten Kurve heißt regul¨r, falls a x in t0 eine nichtverschwindende Ableitung x(t0 ) = 0 besitzt. Eine para- ˙ metrisierte C 1 -Kurve heißt regul¨r, falls alle ihre Kurvenpunkte regul¨r a a sind.
  • 22. THEORIE DER FRENETKURVEN 22 3. Ist x : I → Rn eine regul¨re parametrisierte C r -Kurve (r ≥ 1), so heißt a das C r−1 -Vektorfeld x ˙ T : I → S n−1 , T = |x| ˙ Tangentenvektor(feld) der parametrisierten Kurve. Ein Vektorfeld V : I → Rn heißt normal zur parametrisierten Kurve oder ein Normalen- vektor von x, falls ¨berall T ⊥ V , und tangential, falls ¨berall T V u u ist. 4. Ist x eine regul¨re parametrisierte Kurve auf einem Intervall I, so heißt a die Funktion t s(t) := |x(τ )| dτ ˙ t0 f¨r beliebiges t0 ∈ I Bogenl¨nge(nfunktion) von x. Sie mißt die Bo- u a genl¨nge der parametrisierten Kurve von einem festen Kurvenpunkt x(t0 ) a aus in der von der Parametrisierung festgelegten Orientierung. ˜ ˜ 5. Zwei parametrisierte C r -Kurven x : I → Rn und x : I → Rn heißen C r -¨quivalent, falls sie durch einen orientierungstreuen C r -Diffeomor- a ˜ phismus µ : I → I ineinander ¨berf¨hrbar sind, d.h. x = x ◦ µ. Eine u u ˜ ¨ C r -Kurve ist eine Aquivalenzklasse [s → x(s)] von regul¨ren parametri- a sierten C r -Kurven. Man beachte, daß dieser Kurvenbegriff Regularit¨t a (und damit Differenzierbarkeit) impliziert, anders als der Begriff para- ’ metrisierte Kurve‘. 6. F¨r jede regul¨re parametrisierte C r -Kurve gibt es eine ¨quivalente C r - u a a Parametrisierung x(s) nach ihrer Bogenl¨nge s. Sie ist bis auf eine a Translation des Parameterbereichs eindeutig bestimmt. Deshalb kann als Repr¨sentant einer Kurve stets ihre Bogenl¨ngenparametrisierung a a
  • 23. THEORIE DER FRENETKURVEN 23 gew¨hlt werden. Alle Kurvengr¨ßen, die aus dieser Parametrisierung ge- a o wonnen werden, sind stets invariant gegen¨ber Parametertransformatio- u nen. 7. F¨r die Bogenl¨ngenparametrisierung x(s) einer Kurve gilt u a |x (s)| ≡ 1 und T =x (der Strich bezeichnet hier wie im folgenden immer Differentiation nach der Bogenl¨nge). Umgekehrt ist durch Vorgabe eines Einheitsvektorfel- a des T (s) und eines Anfangspunktes x0 = x(s0 ) eine Kurve mit Tangen- tialvektor T und Bogenl¨nge s eindeutig festgelegt. Ihre Bogenl¨ngen- a a parametrisierung ist gegeben durch s x(s) = x0 + T (σ)dσ. (4.1) s0 Wir beschr¨nken uns ab jetzt auf Raumkurven im R3 . Die Schreibweise a γ : x = x(s) (oder k¨rzer γ : x(s)) ist eine Kurve‘ bedeutet, daß die u ’ Raumkurve γ durch eine regul¨re Parametrisierung x : I → R3 nach der a Bogenl¨nge s gegeben sein soll. a Definition 4 (Krummungsmaß). Sei γ : x = x(s) eine C 2 -Kurve und ¨ T = x ihr Tangentenvektor. Dann bezeichnen wir die stetige Funktion κN : I → R+ , 0 κN := |T | = |x | als ihr Kr¨mmungsmaß. Ein Kurvenpunkt x(s0 ) mit u κN (s0 ) = 0 heißt ein Wendepunkt. Lemma 6. Eine Raumkurve ist genau dann geradlinig, wenn ihr Kr¨mmungs- u maß verschwindet. Sie ist genau dann eben, wenn sie einen konstanten Nor- malenvektor M = 0 besitzt.
  • 24. THEORIE DER FRENETKURVEN 24 Beweis. Die Spur einer Kurve γ : x(t) liegt genau dann auf einer Geraden, wenn x × R ≡ const. f¨r einen Richtungsvektor u R = 0 ⇔ T ×R ≡ 0 ⇔ T (t) ∈ R f¨r alle t. Da u R nur zwei Vektoren der L¨nge 1 a enth¨lt und T stetig ist, ist das ¨quivalent zu T ≡ const., also κN ≡ 0. a a Die Spur liegt genau dann auf einer Ebene, wenn f¨r einen festen Vektor u M = 0 gilt x(s), M ≡ const., also T, M ≡ 0, M ist Normalenvektor. 4.2 Tangentiale Systeme Definition 5 (Tangentiale Begleitbasen). Sei γ : x = x(s), s ∈ I eine Kurve. Eine Begleitbasis U : I → R3×3 , U = (U1 , U2 , U3 )t heißt tangential zu γ, falls U1 ≡ x . Ist U differenzierbar mit Ableitungsmatrix   0 p3 −p2   ΦU = −p3 0 p1  ,     p2 −p1 0 so ist das stetige Vektorfeld     p U ,U  1  2 3  p(U) = p2  =  U3 , U1          p3 U1 , U2 der Koeffizientenvektor der Begleitbasis. Das Tupel (U, p(U)) aus tangen- tialer C 1 - Begleitbasis und Koeffizientenvektor bildet ein tangentiales System der Kurve. 3 Bemerkung. Mit DU := i=1 pi Ui = U t p(U) kann die Ableitungsglei-
  • 25. THEORIE DER FRENETKURVEN 25 chung auch als   D × U1  U  U = ΦU U = U t p(U) × U = DU × U2      DU × U3 geschrieben werden (das gilt auch f¨r nichttangentiale C 1 -Begleitbasen). u Die Begleitbasis beschreibt momentan eine Drehung um die Achse DU mit Winkelgeschwindigkeit |p|. Diese Momentandrehachse wird auch als Zentrode und DU als der nicht normierte Drehvektor bezeichnet. Definition 6 (Drehvektor). Ein stetiges Einheitsvektorfeld D : G → S 2 (G ⊂ R offen) heißt Drehvektor oder Zentrodenvektor der Begleitbasis U : G → R3×3 , falls DU D auf ganz G gilt mit DU = U t p(U). Die Ableitungsgleichung lautet dann U = ωD × U mit ω := D, DU . Offensichtlich sind Zentrode und Drehvektor eindeutig bzw. bis aufs Vor- zeichen eindeutig bestimmt, falls G zusammenh¨ngend und die Begleitba- a sis nirgends station¨r, d.h. p = 0 ist. a Die Relevanz der tangentialen Systeme und ihrer Koeffizienten f¨r die u Kurventheorie besteht in der M¨glichkeit, sie zur Charakterisierung von o Kurven zu verwenden. Satz 1 (Fundamentalsatz fur tangentiale Systeme). Seien ein steti- ¨ ges Vektorfeld p : I → R3 , p = p(s), ein Parameterwert s0 ∈ I, ein Punkt x0 ∈ R3 und eine positiv orientierte ONB U0 des R3 vorgegeben. Dann gibt es eine eindeutig bestimmte C 2 -Kurve γ : x = x(s), s ∈ I und eine eindeutig bestimmte Begleitbasis U auf I, die folgende Bedingungen erf¨llen: u
  • 26. THEORIE DER FRENETKURVEN 26 • x(s0 ) = x0 und U(s0 ) = U0 , • s ist Bogenl¨ngenfunktion der Kurve, a • (U, p) ist tangentiales System der Kurve. Beweis. Durch p ist eine schiefsymmetrische Koeffizientenmatrix nach dem Schema von Definition 5 festgelegt, die zusammen mit U0 eine C 1 - Begleitbasis U festlegt (Lemma 2). Deren erster Vektor U1 ist Tangenti- alvektor einer C 2 -Raumkurve, deren Bogenl¨ngenparametrisierung aus U1 a und x0 eindeutig durch Integration (Gleichung 4.1) hervorgeht. Sie erf¨llt u offensichtlich die Bedingungen. Analog zum Korollar zu Lemma 2 gilt das Korollar. Durch ein stetiges Vektorfeld p auf einem Intervall I ist eine C 2 - Kurve samt tangentialer Begleitbasis bis auf eine orientierungstreue Bewegung (eine Drehung, kombiniert mit einer Translation) eindeutig festgelegt. Nat¨rlich kann eine Kurve viele tangentialen Systeme haben. Im R3 h¨ngen u a sie alle durch eine einfache Transformation zusammen. Satz 2 (Transformation zwischen tangentialen Systemen). Sei (U, p) ein tangentiales System einer C 2 -Kurve. Dann ist die Gesamtheit ihrer tangentialen Systeme (U, p) der Kurve genau durch ˜ t t U = D1 (ϕ) U, p = D1 (ϕ) p + ϕ e1 ˜ gegeben, wobei ϕ eine beliebige differenzierbare Winkelfunktion ist und   1 0 0   D1 (ϕ) =  0 cos ϕ − sin ϕ .     0 sin ϕ cos ϕ
  • 27. THEORIE DER FRENETKURVEN 27 Beweis. Offensichtlich sind die U nach Konstruktion ebenfalls tangentiale Begleitbasen. Daß jede tangentiale Begleitbasis in der angegebenen Form darstellbar ist, ist eine f¨r diese Arbeit zentrale Folgerung aus dem Lemma u uber die Existenz von Polarkoordinaten. Ist U = (U1 , U2 , U3 )t , so hat jede ¨ ˜ ˜ ˜ weitere tangentiale C 1 -Begleitbasis eine Darstellung (U1 , U2 , U3 ) mit U2 = ˜ ˜ αU2 + βU3 und U3 = U1 × U2 = −βU2 + αU3 . Wegen (α, β) = 0 ist Lemma 5 anwendbar, es gibt eine C 1 -Funktion ϕ mit (α, β) = (cos ϕ, sin ϕ). ˜ t Ist nun U = D1 (ϕ)U, so ergibt sich ˜ t U = D1 (ϕ)U ˜ ˜ = D1 (−ϕ)ΦU · D1 (ϕ)U + D1 (−ϕ) · D1 (ϕ)U =⇒ =⇒ ΦU = D1 (−ϕ)ΦU D1 (ϕ) + D1 (−ϕ)D1 (ϕ). ˜ Wir erhalten   0 p3 cos ϕ − p2 sin ϕ −p2 cos ϕ − p3 sin ϕ   ΦU =  ∗ ,   ˜ 0 p1 + ϕ   ∗ ∗ 0 wobei die Sternchen f¨r schiefsymmetrische Eintr¨ge stehen. Das bedeutet u a p2 ˜ p2 p1 = p1 + ϕ ˜ und = Dt (ϕ) p3 ˜ p3 wie behauptet. Wenn ein tangentiales System bekannt ist, sind im Prinzip schon alle be- kannt. Aber gibt es uberhaupt f¨r jede C 2 -Kurve tangentiale Systeme? In ¨ u einem sp¨teren Abschnitt (Satz 11) wird die Existenz eines solchen gezeigt, a das i. A. aber nicht direkt konstruierbar ist. Folgendes Lemma zeigt, wie unter Umst¨nden eines konstruiert werden kann. Dazu wird als Keim‘des a ’ Systems ein nirgends tangentiales Vektorfeld ben¨tigt. o
  • 28. THEORIE DER FRENETKURVEN 28 Lemma 7. Sei γ : x = x(s), s ∈ I eine C 2 -Kurve und V : I → R3 ein nirgends tangentiales C 1 -Vektorfeld, d.h. x × V = 0 auf ganz I. Dann ist (U1 , U2 , U3 ) mit U1 × V U1 := x , U2 := , U3 := U1 × U2 |U1 × V | eine tangentiale C 1 -Begleitbasis von x. Beweis. Dies ist eine Anwendung des Schmidtschen Orthogonalisierungs- verfahrens. Nach Voraussetzung und Konstruktion sind die Ui wohldefi- nierte Einheitsvektoren, orthogonal, positiv orientiert und C 1 . Bemerkung. Ebene Kurven (Lemma 6) besitzen einen konstanten Nor- malenvektor und damit eine tangentiale Begleitbasis mit einer konstanten Komponente. Eine C 2 -Kurve ist also genau dann eben, wenn es ein tangen- tiales System mit zwei verschwindenden Koeffizienten gibt. Sie ist genau dann geradlinig, wenn sie ein tangentiales System mit verschwindendem Koeffizientenvektor besitzt. Bei nichtebenen Raumkurven wird h¨chstens ein Koeffizient verschwinden. o Tangentiale Systeme, bei denen gerade ein Koeffizient verschwindet, sind nat¨rlich von besonderem Interesse. In den folgenden Abschnitten werden u alle Systeme dieser Art untersucht. Die Bedingung p2 ≡ 0 f¨hrt auf die u Frenetsysteme. 5 Frenetkurven 5.1 Frenetsysteme Die Aufgabe, ein tangentiales System einer Kurve zu konstruieren, ist im R3 und in h¨herdimensionalen R¨umen keineswegs trivial (im Gegensatz o a
  • 29. THEORIE DER FRENETKURVEN 29 zum R2 ). Nach Lemma 7 brauchen wir daf¨r ein differenzierbares, nir- u gends tangentiales Vektorfeld. Bei einer Fl¨chenkurve (der Spezialfall ebe- a ner Kurven wurde schon erw¨hnt) kann daf¨r die Fl¨chennormale l¨ngs a u a a der Kurve gew¨hlt werden (s. Abschnitt 8.1). Ansonsten ist als Anhalts- a punkt nur die Tangentenfunktion T der Kurve gegeben. Ihre Ableitung ist normal und kann als ‘Keim’ im Sinne des Lemmas gew¨hlt werden. a Das ist der wohl einzige sinnvolle Weg, ein tangentiales System f¨r ei- u ne Raumkurve aus ihrer Parametrisierung (also in intrinsischer Weise) zu konstruieren. Er ist allerdings nur gangbar, wenn T = 0 und T /|T | dif- ferenzierbar ist, also zumindest f¨r C 3 -Kurven ohne Wendepunkte. Das u Ergebnis ist die intrinsische Frenetbegleitbasis der Kurve und f¨r sie ver- u schwindet der Koeffizient p2 . Auf dieser Idee ist die klassische Frenettheo- rie aufgebaut. In diesem Abschnitt wird dieser Zugang unter teilweisem Verzicht auf Eindeutigkeit und intrinsischen Charakter auf Kurven mit Wendepunkten verallgemeinert. Definition 7 (Geradenstucke und gekrummte Bogen). F¨r eine C 2 - ¨ ¨ ¨ u Kurve γ : x = x(s), s ∈ I mit Kr¨mmungsmaß κN erkl¨ren wir die Bezeich- u a nungen • IN := {s ∈ I κN (s) = 0} • IW := {s ∈ I κN (s) = 0} = I IN ◦ • IG := I W ◦ • IK := I IG = IN Eine regul¨re Kurve heißt wendepunktfrei, falls IW = ∅, und geradenst¨ck- a u frei, falls IG = ∅. Die Einschr¨nkung der Kurve auf eine Zusammenhangs- a komponente von IG bzw. IK heißt ein Geradenst¨ck bzw. ein gekr¨mmter u u
  • 30. THEORIE DER FRENETKURVEN 30 Bogen der Kurve. Das Urbild eines Geradenst¨cks nennen wir ein Geradenin- u tervall. Bemerkung. Die Menge IN ist offen. Sie ist das Urbild der Menge der Nichtwendepunkte und ist komplement¨r zur abgeschlossenen Parameter- a menge der Wendepunkte IW . IN liegt dicht in IK (K steht f¨r krumm‘). u ’ Eine Kurve ist aus abz¨hlbar vielen gekr¨mmten B¨gen und Geradenst¨cken a u o u zusammengesetzt. Auf IN kann wie oben angedeutet eine Begleitbasis konstruiert werden. Definition 8 (Intrinsische Kurvengroßen). Sei γ : x = x(s), s ∈ I ¨ eine regul¨re C 2 -Kurve mit Tangentenvektor T . Wir definieren die Einheits- a vektorfelder • NN : IN → S 2 , NN := 1 κN T und • BN : IN → S 2 , BN := T × NN . Es sei • FN := (T, NN , BN )t . Ist NN differenzierbar, so definieren wir weiter • τN : IN → R, τN := NN , BN , • ωN : IN → R+ , ωN := κ2 + τN N 2 und 1 • DN : IN → S 2 , DN := (τN T + κN B). ωN Wir bezeichnen NN und BN als intrinsische Haupt- bzw. Binormale der Kurve und τN als ihre intrinsische Torsion. Satz 3 (Ableitungsgleichungen von Frenet und Darboux). Sei γ : x = x(s), s ∈ I eine C 2 -Kurve. Dann ist FN eine stetige Begleitbasis auf IN .
  • 31. THEORIE DER FRENETKURVEN 31 Ist FN außerdem differenzierbar, so gelten auf IN die Ableitungsgleichungen2         T 0 κN 0 T D ×T        N  NN  = −κN τN  · NN  = ωN · DN × NN          0         BN 0 −τN 0 BN DN × BN Beweis. Nach Konstruktion ist FN stetige Begleitbasis, denn T ⊥ T . κN und τN sind nach Definition die Eintr¨ge ihrer Ableitungsmatrix und DN a ist Drehvektor gem¨ß Definition 6. a Bemerkung. In der Definition der Begleitbasen wurden auch unzusam- menh¨ngende Parameterbereiche wie hier IN zugelassen. FN ist aber kei- a ne tangentiale Begleitbasis, da eine solche auf dem gesamten Intervall I definiert sein muß (sonst w¨rde sie die Kurve nicht mehr ganz charakteri- u sieren). FN ist nur f¨r wendepunktfreie Kurven uberall definiert. Auch in anderen u ¨ F¨llen gibt es aber Begleitbasen mit denselben Eigenschaften (tangentialer a Basisvektor und p2 ≡ 0). Definition 9 (Frenetsysteme). a) Ein tangentiales System (F, p(F)) einer Raumkurve heißt Frenetsystem der Kurve, falls p2 (F) ≡ 0. F ist eine Frenetbegleitbasis der Kurve und ihre stetigen Koeffizienten κ := p3 und τ := p1 heißen Kr¨mmung u und Torsion bzw. die Frenetschen Kr¨mmungen des Frenetsystems. Wir u √ bezeichnen außerdem ωL := |p| = κ2 + τ 2 als Lancretsches Kr¨m-u mungsmaß des Systems. 2 Aufgestellt 1847 von Frenet und 1851 unabh¨ngig von Serret. Den rechten Teil a der Gleichung fand Darboux.
  • 32. THEORIE DER FRENETKURVEN 32 b) Ein Drehvektor eines Frenetsystems heißt Darbouxvektor. c) Eine Kurve heißt Frenetkurve, falls sie ein Frenetsystem besitzt. Bemerkung. Ein Darbouxvektor existiert i. A. nicht, wenn ωL Nullstellen hat. Sonst ist der Darbouxvektor 1 D=± (τ T + κB). ωL Diese Frenetkurvendefinition geht auf Wintner (1956), Nomizu (1959) und Wong & Lai (1967) zur¨ck. Nomizu und Wong & Lai definieren als u Frenetkurve eine Kurve mit einer Begleitbasis, die die Frenetgleichungen erf¨llt, ¨hnlich wie in der hier verwendeten Definition. u a Wintner definierte eine regul¨re C 2 -Kurve in ¨quivalenter Weise als Fre- a a netkurve, wenn sie eine C 1 -Binormale gem¨ß folgender Definition besitzt. a Definition 10 (Haupt- und Binormale). Sei eine C 2 -Kurve mit Tan- gentialvektor T gegeben. • Ein Normaleneinheitsvektorfeld N : I → S 2 heißt Hauptnormale der Kurve, falls die Tangentenableitung ¨berall kollinear zu ihm ist: u T N. • Ein Normaleneinheitsvektorfeld B : I → S 2 heißt Binormale der Kurve, falls die Tangentenableitung ¨berall orthogonal zu ihm ist: u T ⊥ B. Lemma 8. Eine regul¨re C 2 -Kurve ist genau dann eine Frenetkurve, wenn sie a eine C 1 -Hauptnormale oder eine C 1 -Binormale besitzt. Ihre Frenetbegleitbasis besteht genau aus der Tangente, einer Hauptnormalen und einer Binormalen. Beweis. Ist (T, N, B) eine Frenetbegleitbasis, so ist wegen p2 = 0 T , B = 0 ⇒ T ⊥ B und T N . N ist Hauptnormale und B ist Binormale. Ist N eine C 1 -Hauptnormale einer Kurve, so ist nat¨rlich (T, N, T × N ) eine u Frenetbegleitbasis und analog f¨r B. u
  • 33. THEORIE DER FRENETKURVEN 33 Bemerkung 1. Frenetsysteme werden k¨nftig in der Form (F, κ, τ ) ge- u schrieben mit F = (T, N, B)t . Wir haben dann κ = T ,N und τ = N ,B . Bemerkenswert sind auch die Beziehungen: κ2 = T , T = κ2 , N 2 ωL = N , N , τ2 = B , B . Die drei Funktionen sind also Maße f¨r die momentane Ver¨nderung des u a Normalenraums N, B , der rektifizierenden Ebene T, B und des Schmiegraums T, N . Bemerkung 2. Nat¨rlich ist eine wendepunktfreie C 3 -Kurve eine Frenet- u kurve mit Frenetbegleitbasis FN und Kr¨mmungen κN , τN . u Bemerkung 3. Ebenso sind ebene C 2 -Kurven Frenetkurven, da ihr kon- stanter Normalenvektor (normiert auf die L¨nge 1) als Binormale gew¨hlt a a werden kann. Die Torsion des so definierten Frenetsystems verschwindet. Bemerkung 4. Eine Frenetkurve ist mindestens von der Ordnung C 2 . Die sonst ubliche Voraussetzung C 3 ist aber nicht notwendig; schon eine ¨ C 2 -Kurve kann eine C 1 -Begleitbasis haben (vgl. Hartman & Wintner (1959), S. 770-774). Die S¨tze der klassischen Theorie gelten, soweit sie allein aus den Fre- a netgleichungen gefolgert wurden, auch f¨r verallgemeinerte Frenetkurven. u ¨ Uber die wendepunktfreien Kurven hinaus kann jetzt eine Vielzahl weite- rer Kurven in die Frenettheorie einbezogen werden. U. a. sind die ebenen Kurven bruchlos in die Theorie der Raumkurven integrierbar; weitere Bei- spiele von Frenetkurven werden am Ende des n¨chsten Abschnitts und in a 8.1 erw¨hnt. a
  • 34. THEORIE DER FRENETKURVEN 34 In der verallgemeinerten Frenettheorie gilt eine erweiterte Version des Fun- damentalsatzes der Kurventheorie. Sie best¨tigt die N¨tzlichkeit des Fre- a u netkurvenbegriffes. Satz 4 (Fundamentalsatz der Frenettheorie). Durch zwei beliebige stetige, reelle Funktionen κ = κ(s) und τ = τ (s) auf einem offenen Intervall I ⊂ R ist eine Frenetkurve mit κ und τ als Kr¨mmungen und Bogenl¨nge s u a bis auf eine orientierungstreue Bewegung eindeutig festgelegt. Beweis. Dies ist ein Spezialfall von Satz 1. Nat¨rlich ist die durch p = u (τ, 0, κ)t als Koeffizientenvektor festgelegte Kurve eine Frenetkurve. In der klassischen Theorie wird dieser Satz in abgeschw¨chter Version for- a muliert, indem κ als positiv und differenzierbar vorausgesetzt wird.3 Dies entspricht der Beschr¨nkung auf wendepunktfreie C 3 -Kurven. Unter die- a ser Einschr¨nkung ist umgekehrt Existenz und Eindeutigkeit der Frenet- a begleitbasis und der Kr¨mmungen gew¨hrleistet. In dieser Formulierung u a bleibt aber die Frage offen, welche Bedeutung die L¨sungen der Frenetglei- o chungen haben, die man erh¨lt, wenn man eine beliebige stetige Funktion a 3 So bei Blaschke & Leichtweiß (1973, 43); Brauner (1981, 97); Do Carmo (1983, 16 f. und 241 f.); Laugwitz (1968, 18 ff.); Stoker (1969, 65 f.). Norden (1956, 92) und Spivak (1979, Vol. II, 45) fordern f¨r κ Positivit¨t, aber nur Stetigkeit. Als Be- u a gr¨ndung f¨r die Beschr¨nkung gibt Spivak (ebd., 63 f.) die Kurve von Beispiel 2 unten, u u a die keine Frenetkurve ist, an. Blaschke (1921, 21) l¨ßt beide Einschr¨nkungen weg; a a erst in der Bearbeitung von Leichtweiß wurden sie eingef¨gt. Allerding gibt Blaschke, u ebenso wie Kommerell & Kommerell (1931, 39) die Kehrwerte der Kr¨mmungen u vor, so daß Wendepunkte auch in der urspr¨nglichen Version implizit ausgeschlossen u werden. Strubecker (1964, §§15-16) fordert κ ≡ 0 und stetig; Duschek & Mayer (1931, 50) und Struik (1957, 29) setzen explizit nur Stetigkeit voraus.
  • 35. THEORIE DER FRENETKURVEN 35 κ als Kr¨mmung vorgibt. Die Antwort ist nun klar: Diese L¨sungen ent- u o sprechen genau der Klasse der Frenetkurven.4 5.2 (Un-)Eindeutigkeit der Frenetkrummungen ¨ Im Unterschied zur klassischen Theorie haben wir nicht mehr eine vorgege- bene Frenetbegleitbasis, sondern m¨ssen im Zweifelsfall erst eine suchen. u Es stellt sich daher die Frage nach Existenz und Eindeutigkeit von Frenet- begleitbasis und -kr¨mmmungen. u Beispiel 2. Nicht jede vern¨nftige“ Kurve ist eine Frenetkurve. Sei u ”   −1/t2 e f¨r t < 0 u f (t) := 0 f¨r t ≥ 0. u  Dann ist t γ : x = x(t) = t, f (t), f (−t) , t ∈ I eine C ∞ -Kurve, aber keine Frenetkurve.5 Die Kurve, die nicht zuf¨llig a stark an Beispiel 1 erinnert, besteht aus zwei ebenen gekr¨mmten B¨gen. u o 4 Fast in keinem der g¨ngigen Lehrb¨cher wird die L¨cke zwischen dem eingeschr¨nk- a u u a ten Fundamentalsatz und den weitergehenden M¨glichkeiten, die aus der Theorie der o Differentialgleichungen folgen, diskutiert. Wahrscheinlich ist es ohne den begrifflichen Rahmen der verallgemeinerten Frenetkurve schwierig, mit den theoretisch existieren- den L¨sungen f¨r κ beliebig‘etwas anzufangen. Einzig Stoker (1969) stellt die Frage, o u ’ “What about κ = 0?” (S. 67 f.) Er nennt ein Beispiel, das zeigen soll, daß, entgegen dem oben bewiesenen Satz, verschiedene Raumkurven dieselben Kr¨mmungen haben u k¨nnen, wenn κ = 0 zugelassen ist. Tats¨chlich sind die Kurven in seinem Beispiel aber o a durch eine Drehung ineinander uberf¨hrbar, verletzen also nicht den Satz. ¨ u 5 Die Beispielkurve wird auch bei Nomizu (1959, 111) und Spivak (1979, Vol. II, 63 f.) angef¨hrt. u
  • 36. THEORIE DER FRENETKURVEN 36 Im Wendepunkt x(0) wechselt sie sprunghaft von der x1 /x2 - auf die x1 /x3 - Ebene: die Schmiegebene ver¨ndert sich unstetig. Der linke Grenzwert der a Hauptnormalen liegt auf der x2 -, der rechte auf der x3 -Achse. Solche Un- stetigkeiten kommen bei Frenetkurven nicht vor. Die geforderte Existenz einer stetigen Hauptnormale impliziert n¨mlich, daß die Hauptnormalen- a ’ raum‘-Abbildung NN : IN → P2 , NN (s) := T (s) = NN (s) auf ganz I stetig fortsetzbar ist (analog f¨r den Binormalenraum). u Eine Frenetbegleitbasis existiert also nicht immer, und wenn sie existiert, ist sie i. A. nicht eindeutig. Beispiel 3. Es gibt Frenetkurven mit unendlich vielen verschiedenen Fre- netbegleitbasen. Ein regul¨res Geradenst¨ck ist Frenetkurve. Ist (N1 , N2 ) a u eine feste ONB des konstanten Normalraumes T ⊥ der Kurve, so daß die Basis F0 = (T, N1 , N2 )t positiv orientiert ist, so haben die Frenetbegleit- basen gerade die Form F = D1 (ϕ)F0 (ϕ eine C 1 -Funktion) mit Koeffi- t zientenvektor p(F) = ϕ e1 , also κ = 0 und τ = ϕ (Satz 2). In diesem Beispiel hat die Torsion“ keinerlei geometrische Bedeutung f¨r u ” die eigentliche Kurve. Sie beschreibt die Geschwindigkeit, mit der die Nor- malenvektoren um die Tangente rotieren, und kann v¨llig beliebig sein. o Die Frenetschen Kr¨mmungen sind in diesem Fall keine echten Invarian- u ten der Kurve wie in der klassischen Theorie. Es k¨nnte immerhin sein, o daß es unter den verschiedenen Begleitbasen und Torsionen eine spezielle gibt, die gegen¨ber den anderen aufgrund intrinsischer Eigenschaften der u Kurve ausgezeichnet ist. Es w¨rde nahe liegen, Geradenst¨cken die Torsion u u
  • 37. THEORIE DER FRENETKURVEN 37 Null zuzuschreiben. In der Tat hat Wintner (1956, §§1-4) diese L¨sung o vorgeschlagen. Er nahm an, daß jeder Frenetkurve eindeutige und stetige Kr¨mmungen zugeschrieben werden k¨nnten, indem einfach κ ≡ κN und u o auf Geradenst¨cken τ ≡ 0 gesetzt werden. u Gegenbeispiele widerlegen diese Annahme. Beispiel 4. Wir betrachten eine Variante von Beispiel 2. Der Wendepunkt an der Stelle t = 0 werde zu einem ganzen Intervall [0, a] verl¨ngert, auf a dem die Kurve geradlinig verl¨uft. Sie besteht dann aus zwei ebenen ge- a kr¨mmten B¨gen mit einem Geradenst¨ck dazwischen. Diese so modifi- u o u zierte Kurve ist eine Frenetkurve. Ebene B¨gen sind wie schon erw¨hnt o a Frenetkurven. Wir k¨nnen eine Frenetbegleitbasis F f¨r beide B¨gen defi- o u o nieren und diese auf das Geradenst¨ck fortsetzen. Das geht nach folgendem u allgemeinen Prinzip: F(0), F(a), τ0 und τa werden jeweils durch die Grenz- werte dieser Gr¨ßen in 0 und a erkl¨rt (im Beispiel τa = τ0 = 0). Wegen o a t T (0) = T (a) gibt es einen Winkel ϕa mit F(a) = D1 (ϕa ) F(0). Sei nun ϕ eine auf [0, a] definierte, im Innern differenzierbare Funktion mit ϕ(0) = 0, ϕ(a) = ϕa , lim ϕ (s) = τ0 und lim ϕ (s) = τa . (5.1) s→0 s→a Dann ist F mit der Fortsetzung t F [0,a] :≡ D1 (ϕ) F(0) (5.2) eine Frenetbegleitbasis der ganzen Kurve. Auf dem Geradenst¨ck ist die u ¨ Situation wie in Beispiel 3, und der Ubergang an den Endpunkten ist nach Konstruktion differenzierbar. Auf ]0, a[ ist p = ϕ e1 und auf den gekr¨mmten B¨gen p = (τ, 0, κ)t , wobei κ(0) = κ(a) = 0 und τ und ϕ u o an den Endpunkten die selben Grenzwerte haben.
  • 38. THEORIE DER FRENETKURVEN 38 Diese Konstruktion ist f¨r jedes Geradenst¨ck einer Frenetkurve m¨glich, u u o und ϕ kann beliebig gew¨hlt werden, wenn nur die Festlegungen 5.1 und a 5.2 erf¨llt sind. Daraus folgt: u Satz 5 (Frenetkurven mit Geradenstucken). Eine Frenetkurve, die ¨ Geradenst¨cke enth¨lt, besitzt unendlich viele verschiedene Frenetsysteme. u a Insbesondere ist es i. A. unm¨glich, die Torsion auf Geradenst¨cken Null o u zu setzen. Die Kurve von Beispiel 4 kann als Flugbahn eines Punktes ver- anschaulicht werden, an den die Frenetbegleitbasis als Dreibein geheftet ist. Der Punkt kommt im Parameter 0 mit einer Hauptnormalen paral- lel zur x2 -Achse an und verl¨ßt das Geradenst¨ck mit der Hauptnorma- a u len in x3 -Richtung. Auf ]0, a[ muß sich das Dreibein um 90◦ um die x1 - Achse drehen, und die Torsion ist die Winkelgeschwindigkeit, also sicher nicht verschwindend. Unter den unendlich vielen M¨glichkeiten, die Dre- o hung zu realisieren, ist keine in irgend einer Weise vor den anderen ausge- zeichnet. Frenetbegleitbasis und Torsion einer Kurve mit Geradenst¨cken u sind wirklich uneindeutig. Wong & Lai (1967, 9) haben daher den Be- griff Pseudotorsion vorgeschlagen, um dieser Uneindeutigkeit Rechnung zu tragen. Konsequenterweise m¨ßte man eigentlich sogar von Pseudo- u kr¨mmung, Pseudohauptnormale etc. sprechen. u Allerdings herrschen zumindest auf gekr¨mmten Kurvenb¨gen recht klare u o Verh¨ltnisse. a Lemma 9. Zwischen einem Frenetsystem ((T, N, B)t , κ, τ ) einer Frenetkurve und ihren intrinsischen Gr¨ßen gelten die Beziehungen o N IN = εNN , B IN = εBN , κ IN = εκN , τ IN ≡ τN , ωL IN ≡ ωN , wobei ε : IN → {−1, +1} eine auf jeder Zusammenhangskomponente von IN konstante Vorzeichenfunktion ist.
  • 39. THEORIE DER FRENETKURVEN 39 Beweis. N und NN sind beide Einheitsvektoren und ihre Richtung ist auf IN durch T = 0 festgelegt. Also nimmt die Funktion ε := N, NN nur die Werte ±1 an. ε ist stetig und diskret, muß also auf jeder zusammenh¨ngen- a den Menge konstant sein und damit auch differenzierbar. Dann ist auch NN = εN auf IN differenzierbar (N wurde ja C 1 vorausgesetzt) und τN wohldefiniert. Weiter ist (jeweils auf IN ) B = T × N = T × εNN = εBN und κ = N, T = εNN , T = εκN . Schließlich ist τ = N , B = √ εNN , εBN = +τN und ωL = κ2 + τ 2 = κ2 + τN = ωN . N 2 Daraus folgt, daß die Torsion einer Frenetkurve auf jedem gekr¨mmten u Bogen eindeutig bestimmt ist. Es gilt sogar: Satz 6 (Frenetkurven ohne Geradenstucke). Eine geradenst¨ckfreie ¨ u Frenetkurve besitzt ein bis aufs Vorzeichen von Haupt- und Binormale und Kr¨mmung eindeutig bestimmtes Frenetsystem. Insbesondere ist ihre Torsion u eindeutig bestimmt. ˜ ˜ Beweis. Seien N und N C 1 -Hauptnormalen. Die Funktion ε := N, N ˆ ist stetig differenzierbar. Auf IN existieren Funktionen ε, ε, so daß N = ˜ ˜ εNN und N = εNN (Lemma 9), die auf jeder Zusammenhangskomponente ˜ von IN konstant ±1 sind. Also ist ε I = ε˜ und ε ˆ ε ˆ IN ≡ 0. IN liegt nach N Voraussetzung dicht im Definitionsbereich I, und aus Stetigkeitsgr¨nden u ˆ ˜ ist ε konstant +1 oder −1, demnach N ≡ ±N . Nat¨rlich ist dann auch u ˜ B ≡ ±B, κ ≡ ±˜ und τ ≡ +˜. κ τ Bemerkung. Die Torsion ist somit zumindest auf gekr¨mmten B¨gen ei- u o ne echte Invariante, die Kr¨mmung aber nur fast. Zwar ist der Betrag der u Kr¨mmung, der ja mit dem Kr¨mmungsmaß κN ubereinstimmt, eindeutig, u u ¨ er gen¨gt aber nicht zur vollst¨ndigen Charakterisierung einer Kurve; denn u a
  • 40. THEORIE DER FRENETKURVEN 40 u ¨ Vorzeichenwechsel der Kr¨mmung zeigen eine Anderung der Kr¨mmungs- u richtung an und sind nicht zu vernachl¨ssigen. Lassen wir eine stetige a Funktion κ mit Vorzeichenwechseln zusammen mit einer anderen Funkti- on τ eine Kurve charakterisieren (gem¨ß Fundamentalsatz 4), so erhalten a wir f¨r (|κ|, τ ) eine v¨llig andere Kurve, f¨r (−κ, τ ) dagegen dieselbe. Es u o u ist also nicht m¨glich, gem¨ß der Annahme von Wintner (s.o.) jeder Fre- o a netkurve eine nichtnegative Kr¨mmung zuzuschreiben. Bei Kurven mit u Geradenst¨cken ist die Situation wiederum un¨bersichtlicher. Es kann in u u diesem Fall unendlich viele verschiedene Kr¨mmungen geben, denn das u Vorzeichen von κ kann auf jedem gekr¨mmten Bogen jeweils unabh¨ngig u a variiert werden, und unter ihnen gibt es i. A. keine bevorzugte Wahl. In der klassischen Theorie bilden Kr¨mmung und Torsion einer wende- u punktfreien Kurve ein vollst¨ndiges Invariantensystem einer Kurve. In der a Verallgemeinerung gilt das noch mit einer kleinen Einschr¨nkung f¨r ge- a u radenst¨ckfreie Kurven. Allgemein bilden sie zwar eine vollst¨ndige, aber u a keine invariante Charakterisierung der Kurve: verschiedene Paare von Fre- netschen Kr¨mmungen k¨nnen zu verschiedenen Begleitbasen derselben u o Kurve geh¨ren. o ¨ Satz 7 (Aquivalenz von Frenetschen Krummungen). Zwei Paare ste- ¨ κ ˜ tiger Funktionen (κ, τ ) und (˜ , τ ) sind genau dann Frenetsche Kr¨mmungen u derselben Kurve, wenn es eine C 1 -Funktion θ gibt mit κ sin θ = 0, κ cos θ = κ ˜ und θ = τ − τ. ˜ Beweis. Ist p = (τ, 0, κ)t Ableitungsvektor eines Frenetsystems, so hat jeder andere Ableitungsvektor p nach Satz 2 die Form ˜      p2 ˜ cos θ sin θ 0 p1 = τ + θ ,   =  ˜   p3 ˜ − sin θ cos θ κ
  • 41. THEORIE DER FRENETKURVEN 41 mit einer C 1 -Funktion θ. Die Bedingung ! (˜1 , p2 , p3 ) = (˜, 0, κ) p ˜ ˜ τ ˜ f¨hrt dann auf obige Beziehungen. u In der Beziehung zwischen verschiedenen Frenetkr¨mmungspaaren spie- u len die Torsionsintegrale eine wichtige Rolle. Bei der Untersuchung von Geradenst¨cken (Beispiele 3 und 4) stellte sich das Torsionsintegral l¨ngs u a eines Geradenst¨cks als der Winkel, um den sich die Begleitbasis dreht, u heraus. Bis auf ein ganzzahliges Vielfaches von π ist dieser Winkel durch die Kurve offensichtlich eindeutig festgelegt. Wir bezeichnen diesen Win- kel als Torsionswinkel und stellen seine intrinsische Eigenschaft allgemein fest. Definition 11 (Torsionswinkel). Sei τ Torsion einer Frenetkurve auf I und G ⊂ I ein Intervall. Die Gesamttorsion ΛG und der Torsionswinkel Λπ G der Kurve entlang G sind durch ΛG := τ (s) ds, Λπ = ΛG G (mod π) G definiert. Satz 8 (Der Torsionswinkel als intrinsische Gr¨ße). Der Torsions- o winkel Λπ einer Frenetkurve ist eine intrinsische Gr¨ße der Kurve, falls die G o Endpunkte des Intervalls G nicht in einem Geradenintervall liegen. Insbeson- dere sind der Torsionswinkel einer Frenetkurve entlang eines Geradenst¨cks u und der Torsionswinkel Λπ := Λπ γ [a,a+L] (mit a ∈ IG ) ¨ber einer geschlossenen / u Kurve γ der L¨nge L eindeutig bestimmt. a Beweis. Sind τ und τ Torsionen der selben Frenetkurve, dann gibt es ˜ nach Satz 7 eine Funktion θ mit κ sin θ = 0 und θ = τ − τ . Auf IN gilt ˜
  • 42. THEORIE DER FRENETKURVEN 42 dann sin θ = 0 ⇒ θ = kπ. Aus Stetigkeitsgr¨nden gilt das sogar auf dem u Abschluß IN = I IG . F¨r s0 und s1 aus dieser Menge folgt dann u s1 ˜ Λπ 0 ,s1 ] − Λπ 0 ,s1 ] = (˜(s) − τ (s))ds (mod π) = τ [s [s s0 s1 = θ (s) ds (mod π) = θ(s1 ) − θ(s0 ) (mod π) ≡ 0 (mod π). s0 Nat¨rlich k¨nnen f¨r s0 und s1 auch die Endpunkte eines Geradenintervalls u o u gew¨hlt werden. a Zu kl¨ren ist noch, daß der Torsionswinkel einer geschlossenen Kurve wohl- a definiert ist. O. B. d. A. sei eine geschlossene Kurve der L¨nge L als L- a periodische Parametrisierung x auf R gegeben (eine andere Parametri- sierung kann periodisch auf R fortgesetzt werden). Da ein Geradenst¨ck u nicht geschlossen ist, ist IN = ∅ und f¨r beliebige a, b ∈ IN (b > a) gilt u Λπ = Λπ [a,b] [a+L,b+L] . Das folgt aus x [a,b] ≡x [a+L,b+L] und dem intrinsischen Charakter des Torsionswinkels. Dann ist weiter Λπ π π π π π [a,a+L] − Λ[b,b+L] = Λ[a,b] + Λ[b,b+L] − Λ[a+L,b+L] − Λ[b,b+L] = 0. Also ist der Torsionswinkel einer geschlossenen Kurve unabh¨ngig von a der Wahl des Anfangspunktes, sofern dieser nicht in einem Geradenst¨ck u liegt. Bemerkung. Eine ebene Kurve besitzt ein Frenetsystem mit verschwin- dender Torsion; also verschwindet auch generell der Torsionswinkel auf zul¨ssigen Intervallen. Insbesondere gilt: Die Torsion verschwindet auf al- a len gekr¨mmten B¨gen und der Torsionswinkel verschwindet auf jedem u o Geradenst¨ck. Diese Bedingungen sind auch hinreichend daf¨r, daß ir- u u gendwelche Kr¨mmungen (κ, τ ) zu einer ebenen Kurve geh¨ren. Denn ver- u o schwindender Torsionswinkel auf einem Geradenst¨ck ist ¨quivalent dazu, u a
  • 43. THEORIE DER FRENETKURVEN 43 daß die Schmiegebene in den Endpunkten die gleiche ist; die Kurvenb¨gen o liegen also alle in der gleichen Ebene. ¨ Das Aquivalenzkriterium wurde erstmals von Wong & Lai (1967) ange- geben und durch elementare Rechnung bewiesen. Sie formulierten auch die Aussage f¨r den Torsionswinkel, f¨r geschlossene Kurven sogar mod 2π; u u dies w¨rde bedeuten, daß alle Frenetsysteme die selbe Periodizit¨t aufwei- u a sen (vom Verhalten auf Geradenst¨cken abgesehen). Dem ist nicht so. Eine u geschlossene Frenetkurve der L¨nge L mit einem Geradenst¨ck besitzt so- a u wohl ein 2L-periodisches Frenetsystem, bei dem Haupt- und Binormale nach jedem vollen Durchlauf das Vorzeichen wechseln, als auch ein L-pe- riodisches. Die Gesamttorsionen beider Systeme unterscheiden sich um π, deshalb ist der Satz nur modulo π richtig. F¨r geradenst¨ckfreie Kurven ist u u nat¨rlich die Gesamttorsion intrinsisch, da ja die Torsion selber intrinsisch u ist. Zum Schluß dieses Abschnitts uber Existenz und (Un)Eindeutigkeit von ¨ Frenetsystemen m¨chte ich noch einen sch¨nen Satz von Nomizu (1959), o o der im folgenden allerdings nicht weiter gebraucht wird, zitieren (ohne Beweis): Satz 9 (Analytische Kurven). Jede (regul¨re) analytische Kurve ist eine a Frenetkurve. Falls sie nicht geradlinig ist, sind ihre Wendepunkte allesamt isolierte Punkte und das Frenetsystem ist bis auf ein Vorzeichen eindeutig bestimmt.
  • 44. THEORIE DER FRENETKURVEN 44 6 Das Bishopsystem einer Raumkurve Tangentiale Systeme mit verschwindendem Koeffizienten p2 wurden als Frenetsysteme untersucht. Der Fall p3 ≡ 0 f¨hrt auf die selbe Situation nur u mit anderer Numerierung. Im folgenden betrachten wir den verbleibenden Fall p1 ≡ 0. Definition 12 (Bishopsystem). Ein tangentiales Sytem (B, p(B)) einer Kurve γ : x := x(s), s ∈ I heißt Bishopsystem, falls der erste Koeffizient p1 des Ableitungsvektors verschwindet. B =: (T, M1 , M2 )t heißt Bishopbegleit- basis der Kurve und die stetige parametrisierte Kurve p2 M2 , T k : I → R2 , k= = p3 T , M1 heißt Normalenentwicklung des Systems. Bemerkung 1. Die Ableitungsgleichungen eines Bishopsystems ((T, M1 , M2 )t , (k1 , k2 )t ) sehen dann so aus:       T 0 k2 −k1 T       M1  = −k2 0  · M 1  .       0       M2 k1 0 0 M2 Bemerkung 2. Es gilt |k| = |T | = κN , also entspricht die Null- stellenmenge der Normalenentwicklung genau der Wendepunktmenge der Kurve. Insbesondere sind Geradenst¨cke durch k ≡ 0 gekennzeichnet. u Die Normalenkomponenten einer Bishopbegleitbasis haben tangentiale Ab- leitungen. Solche Normalenfelder, die hier als relativ parallel bezeichnet werden, sind nicht nur zur Konstruktion von Bishopsystemen n¨tzlich, u sondern auch f¨r die Untersuchung von Parallelkurven. u
  • 45. THEORIE DER FRENETKURVEN 45 Definition 13 (Relativ parallel). 1. Ein C 1 -Normalenfeld entlang einer Kurve heißt relativ paralleles Norma- lenfeld (RPNF) der Kurve, falls seine Ableitung tangential ist. 2. Zwei C 1 -Kurven heißen Parallelkurven, falls sie diffeomorph aufeinan- der bezogen werden k¨nnen so, daß die Normalebenen beider Kurven in o entsprechenden Punkten ¨bereinstimmen. Das heißt, es gibt C 1 -Para- u metrisierungen x(t), x(t) f¨r die beiden Kurven, so daß f¨r alle Para- u u meterwerte gilt x(t) + x(t)⊥ = x(t) + x(t)⊥ . ˙ ˙ Bemerkung. Normalenfelder mit tangentialer Ableitung und daraus kon- struierte Begleitbasen wurden m. W. erstamls von Bishop (1975) ausf¨hr- u lich untersucht. In der Literatur (vgl. Blaschke 1921) tauchen sie aber schon im Zusammenhang mit sogenannten Kr¨mmungsstreifen auf. Ist u E(s) ein Vektorfeld l¨ngs einer regul¨ren Kurve γ : x(s), so ist durch a a R(s, v) := x(s) + vE(s) eine Regelfl¨che definiert. Sie ist eine Torse, al- a so in die Ebene verbiegbar, falls die Torsenbedingung det(E, E , T ) = 0 erf¨llt ist. Dies ist sicher der Fall, wenn f¨r E ein RPNF gew¨hlt wird. u u a Die so definierte Torse wird als Kr¨mmungsstreifen bezeichnet. u Satz 10 (Parallelkurven). Zwei C 1 -Kurven γ : x = x(s), s ∈ I und γ : x = x(s) sind genau dann Parallelkurven, wenn es ein RPNF M auf I zu γ gibt, so daß die parametrisierte Kurve x := x + M regul¨r und C 1 - ˜ a ¨quivalent zu x ist. a Beweis. Ist M RPNF zu γ, so haben die parametrisierten Kurven x und x in entsprechenden Punkten gleiche Normalebenen. Die Tangential- und ˜
  • 46. THEORIE DER FRENETKURVEN 46 ¨ ˙ damit auch die Normalr¨ume stimmen uberein wegen x = αx = 0. M ist a ˜ ˙ ˙ ˙ ˙ ˜ ˜ ˙ normal, also ist x = x + M ∈ x + x⊥ ⇒ x + x⊥ = x + M + x⊥ = x + x⊥ . ˜ Sind umgekehrt zwei Parallelkurven γ : x(t) und γ : x(t) gegeben mit ˜ ˜ ˙ ˙ x(t)+ x(t)⊥ = x(t)+ x(t)⊥ , so ist x(t) x(t) ⇒ M := x−x hat tangentiale ˙ ˙ Ableitung zu beiden Kurven und die Normalenr¨ume stimmen uberein. a ¨ Offensichtlich ist M dann selbst normal und damit ein RPNF. Parallelkurven haben also die interessante Eigenschaft, daß sie in entspre- chenden Punkten parallele Tangenten haben und die Verbindungsstrecke dazwischen auf beiden Kurven senkrecht ist.6 Wir bemerken einige Eigenschaften der RPNFs. Lemma 10. Sei eine C 2 -Kurve mit Tangentialvektor T gegeben; M und M1 seien relativ parallele Normalenfelder (RPNFs). Dann gilt: a) |M | ≡ const. b) M, M1 ≡ const. c) ˆ Sind c, c1 reelle Konstanten, so ist M := cM + c1 M1 wieder relativ parallel. d) M := T × M ist wieder relativ parallel. Beweis. M ist tangential ⇒ M, M ≡ 0 ⇒ M, M ≡ const. Genauso ist M, M1 ≡ const. 6 Zuweilen werden Kurven auch als Parallelkurven bezeichnet, wenn nur die Tangen- ten parallel, d.h. ihre Tangentenbilder kongruent sind. In diesem Sinne w¨re ein RPNF a einer Kurve, aufgegaßt als parametrisierte Kurve, sogar selbst Parallelkurve (falls re- gul¨r). a
  • 47. THEORIE DER FRENETKURVEN 47 Linearkombinationen von RPNF sind nat¨rlich wieder RPNF, denn die u Ableitungen der Summanden sind alle tangential. Zu (d): M = (T × M ) = T × M + T × M = T × M. Da T und M beide normal sind, muß das Kreuzprodukt tangential und M daher relativ parallel sein. RPNFs haben also konstante L¨nge und schließen untereinander feste a Winkel ein. Außerdem legt ein RPNF zugleich eine Bishopbegleitbasis fest. Lemma 11. Sei γ : x(s) eine C 2 -Kurve mit Tangentenvektor T und M ≡ 0 ein RPNF. a) Mit M1 := M/|M | und M2 := T × M1 ist (T, M1 , M2 )t eine Bishopbegleitbasis der Kurve. b) Ist M0 ein Normalenvektor im Punkt x(s0 ), so gibt es genau ein RPNF M der Kurve mit M (s0 ) = M0 , n¨mlich a M := |M0 | · (cos ϕ0 M1 + sin ϕ0 M2 ), wobei f¨r ϕ0 der durch T orientierte Winkel zwischen M0 und M1 (s0 ) u zu w¨hlen ist. a Beweis. a) M1 und M2 sind RPNFs nach Lemma 10, c) und d) und erg¨nzen T nach Konstruktion zu einer Begleitbasis. a b) M ist gem¨ß Lemma 10 c) RPNF und ϕ0 wurde so gew¨hlt, daß a a ˜ ˜ M (s0 ) = M0 . Ist M ein weiteres RPNF mit M (s0 ) = M0 , so ist die Dif- ˜ ferenz wieder relativ parallel und folglich |M − M | ≡ const. = |M (s0 ) − ˜ M (s0 )| = 0. Daraus folgt die Eindeutigkeit.