2. John Langshaw Austin
Biographisches
26.3.1911 geboren in Lancaster.
1924-1935 Ausbildung und erste Lehrerfahrung in Oxford: Balliol College, All Souls College,
Magdalen College. Studien zur klassischen Philologie, Linguistik und Philosophie.
1940-1945 steht er im Dienst des britischen Intelligence Service und war beteiligt an
organisatorischen und koordinatorischen Vorbereitungen der Normandie-Invasion. Über seine
Arbeit wurde gesagt: “He more than anybody was responsible for the life-saving accuracy of
the D-Day intelligence.” Erhielt hochrangige Auszeichnungen: Order of the British Empire,
Croix de Guerre und Legion of Merit.
1945 Fortsetzung seiner Lehrtätigkeit in Oxford.
1950 erscheint seine Übersetzung von Freges Grundlagen der Arithmetik.
1952 wird er White’s Professor of Moral Philosophy in Oxford.
1955 hält er die William James Lectures in Harvard, die später unter dem Titel How to
Do Things with Words publiziert werden.
1956 Publikation: A Plea for Excuses.
1956-1957 Präsident der Aristotelian Society.
8.2.1960 gestorben in Oxford.
Posthume Publikationen: Philosophical Papers (1961), How to Do Things with Words
(1962); dt.: Zur Theorie der Sprechakte (1972) und Sense and Sensibilia (1962).
3. John Langshaw Austin
Sprechakttheorie
Unterscheidung:
● Konstative Äußerungen
● Performative Äußerungen
z.B.: ‚Ja’ bei Trauung
Ich taufe dieses Schiff auf den Namen…
Ich vermache meine Uhr…(Testament)
Ich wette, dass es morgen regnet.
Einen derartigen Satz äußern heißt: es tun!!!
Keine dieser Äußerungen ist wahr oder falsch.
Abgeleitet von ‚to perform’=vollziehen, wobei man eben Handlungen vollzieht.
Derartige Sprachhandlungen hängen jedoch zumeist auch noch mit anderen Handlungen
zusammen: „Ganz allgemein gesagt, ist es immer nötig, dass die Umstände, unter denen die
Worte geäußert werden, in bestimmter Hinsicht oder in mehreren Hinsichten passen, und es
ist sehr häufig nötig, dass der Sprecher oder andere Personen zusätzlich gewisse
weitere Handlungen vollziehen – ob nun ‚körperliche’ oder ‚geistige’ Handlungen oder
einfach die, gewisse andere Worte zu äußern.“ (John L. Austin, Zur Theorie der Sprechakte [How to
do things with Words], Stuttgart 2002, S.31 – Folgezitate verzeichnen nur mehr die Seitenzahl nach dem
Zitat)
Z.B. muss beim Schenken das Geschenk auch wirklich übergeben werden!
4. John Langshaw Austin
Sprechakttheorie
Allgemein gehört zu den Gelingensbedingungen (felicity conditions) eine gewisse
»Ernsthaftigkeit« beim Äußern. [außerdem eine Kompetenz.] Schwierigkeit des
Stellenwerts von vorgespielten Handlungen, etwa der Vollzug einer Heirat in einem
Theaterstück auf der Bühne.
Frage nach dem Misserfolg derartiger Handlungen:
Bei performativen Äußerungen impliziert der Misserfolg keinerlei Art von Falschheit, sondern
es handelt sich darum, dass derlei Äußerungen sich als verunglückt [unhappy] erweisen
können: Austin spricht hier von einer „Lehre von den Unglücksfällen“ [infelicities] (36)
Verunglücken können im Allgemeinen konventionale (bzw. zeremonielle) Handlungen.
Doch das Glücken oder Verunglücken betrifft auch Feststellungen (zumindest einige, vgl.76)
„Und je mehr wir Feststellungen nicht als Sätze und nicht als Propositionen ansehen, sondern
als einen Akt des Sprechens, aus dem Satz und Proposition sich logisch konstruieren lassen,
desto näher rücken wir sie in unserer Betrachtung an Handlungen heran.“ (42)
„In einer ganz besonderen Weise sind performative Äußerungen unernst oder nichtig, wenn
ein Schauspieler sie auf der Bühne tut oder wenn sie in einem Gedicht vorkommen oder wenn
jemand sie zu sich selbst sagt. […] Das gehört zur Lehre von der Auszehrung [etiolation]
der Sprache.“ (43/44)
5. John Langshaw Austin
Sprechakttheorie
Abhebung von explizit und implizit (primär) performativen Äußerungen
„Aber natürlich ist es ebenso augenscheinlich wie wichtig, daß wir die Äußerung »Gehen
Sie!« unter Umständen mit praktisch demselben Ergebnis wie die Äußerung »Ich
befehle Ihnen zu gehen« benutzen können“. (52)
Beispiel: »Auf dem Feld ist ein Stier«: Warnung oder Beschreibung. --- „Das sind gegenüber den
explizit performativen primitiv performative Äußerungen; […] In einer bestimmten Situation
kann es mir freistehen, sie als performativ aufzufassen oder nicht.“ (53)
„Ich glaube nun, daß wir […] mit gutem Grund vermuten dürfen, daß historisch, also im
Laufe der Sprachentwicklung die explizit performative Äußerung später entstanden
sein muß als gewisse ihr gegenüber primäre Äußerungen, von denen viele
wenigstens schon implizit performativ sind und die als Teile der meisten oder jedenfalls
von vielen explizit performativen Äußerungen auftreten. Zum Beispiel ist »Ich werde…«
älter als »Ich verspreche, daß ich…werde«. Die plausibelste Ansicht wäre wohl […], daß in
primitiven Sprachen noch nicht klar und noch nicht zu unterscheiden wäre, welche von den
(hinsichtlich späterer Unterscheidungen) unterschiedlichen Handlungen, die wir zur Auswahl
hätten, wir nun wirklich vollzögen. In einer primitiven Sprache mit Ein-Wort-Äußerungen könnte
man mit »Stier« oder »Donner« zum Beispiel warnen, mitteilen, voraussagen und so weiter. Und
genauso plausibel ist die Auffassung, daß die Sprache erst in späteren Stadien die
ausdrückliche Unterscheidung der verschiedenartigen Rollen [forces], welche die
Äußerungen spielen können, entwickelt hat; und damit hat sie viel erreicht.“ (92)
6. John Langshaw Austin
Sprechakttheorie
„Kann ich zum Beispiel jemandem etwas schenken, ohne daß er das Geschenk annimmt? Im
formellen Verfahren geht das sicher nicht; wie sieht es im Alltag aus? Dieselbe Unklarheit bleibt,
wenn jemand ernannt wird, ohne der Ernennung zuzustimmen – inwieweit können
Handlungen einseitig sein?“ (56)
Anmerkung:
Abhebung zwischen Austin (Subjektivität der Intersubjektivität)
und Wittgenstein (Intersubjektivität der Subjektivität):
Beim späten Wittgenstein wird schon gesehen, dass die Bedeutung wesentlich intersubjektiv
konstituiert wird, sodass die Fragen nach nicht vorhandener Absicht, Unernsthaftigkeit,
Inkompetenz oder allgemeiner nach „Unglücksfällen“ eigentlich obsolet werden. Bei Austin wird
von getrennten Subjekten ausgegangen, die etwas in einen Diskurs einbringen, der stets von
Disharmonien gekennzeichnet ist und meist das nicht zum Resultat hat, was von einem
Individuum aus intendiert wird. Wittgenstein achtet eher auf das Allgemeine, das im Medium des
Intersubjektiven stets generiert wird und darin bedeutungsvoll wird, egal in welcher Ausprägung.
Das kann nicht mehr an den vereinzelten Vorhaben der Akteure gemessen werden. --- Wollte
man in dieser Richtung Genaueres sagen, bräuchte man ein differenzierteres Vokabular, so wie es
etwa in Brandoms Scorekeeping-Konzeption zum Einsatz kommt.
7. John Langshaw Austin
Sprechakttheorie
Lokutionärer Akt
„Zu Beginn haben wir ein paar zusammengehörige Bedeutungen von »etwas tun«
gekennzeichnet, die alle in der selbstverständlichen Feststellung enthalten sind, wer
(im vollen Sinne des Wortes) etwas sage, tue etwas. Er äußert gewisse Geräusche,
äußert gewisse Wörter in einer gewissen Konstruktion, und er äußert sie mit einer
gewissen »Bedeutung« im üblichen philosophischen Sinne dieses Wortes, d.h., es ist
von etwas die Rede und darüber wird etwas gesagt.
Diese gesamte Handlung, »etwas zu sagen«, nenne – d.h. taufe – ich den
Vollzug eines lokutionären [locutionary] Aktes und die Untersuchung von
Äußerungen unter diesen Gesichtspunkten die Untersuchung der
Lokutionen [locutions], d.h. der vollständigen Einheiten der Rede. Freilich
interessieren wir uns für den lokutionären Akt hauptsächlich deshalb, weil wir durch
seine Klärung andere Akte, um die wir uns vor allem bemühen werden, von ihm
unterscheiden wollen.“ (112)
8. John Langshaw Austin
Sprechakttheorie
Momente des lokutionären Akts
„Der phonetische Akt besteht einfach im Äußern gewisser Geräusche.
Der phatische Akt besteht im Äußern gewisser Vokabeln, also Wörter, d.h.
Geräusche bestimmter Gestalt, die zu einem bestimmten Vokabular gehören und einer
gewissen Grammatik folgen (und zwar als dem Vokabular zugehörig und als der
Grammatik entsprechend). Der rhetische Akt besteht darin, daß man diese Vokabeln
benutzt, über etwas mehr oder weniger genau Festgelegtes zu reden und darüber
etwas mehr oder weniger genau Bestimmtes zu sagen. »Er sagte: >Die Katze ist auf
der Matte<« ist zum Beispiel ein Bericht über einen phatischen Akt, wogegen »Er
sagte, die Katze sei auf der Matte« über einen rhetischen Akt berichtet.“ (113)
„Das Phem ist eine Einheit der Sprache (langue); sein typischer Fehler ist, sinnlos zu
sein. Das Rhem dagegen ist eine Einheit der Rede (parole); sein typischer Fehler ist,
vage, leer, unklar und so weiter zu sein.“ (115)
9. John Langshaw Austin
Sprechakttheorie
Illokutionärer Akt
„Einen lokutionären Akt vollziehen heißt im allgemeinen auch und eo ipso einen
illokutionären [illocutionary] Akt vollziehen, wie ich ihn nennen möchte. So
werden wir im Vollzug eines lokutionären Aktes auch einen Akt vollziehen wie etwa:
eine Frage stellen oder beantworten;
informieren, eine Versicherung abgeben, warnen;
eine Entscheidung verkünden, eine Absicht erklären;
ein Urteil fällen;
berufen, appellieren, beurteilen;
identifizieren oder beschreiben; und zahlreiche derartige Dinge.“ (116)
„Den Vollzug einer Handlung in diesem neuen, zweiten Sinne habe ich den Vollzug
eines »illokutionären« Aktes genannt, d.h. einen Akt, den man vollzieht,
indem man etwas sagt, im Unterschied zu dem Akt, daß man etwas sagt; der
vollzogene Akt soll »Illokution« heißen, und die Theorie der verschiedenen
Funktionen, die die Sprache unter diesem Aspekt haben kann, nenne ich die Theorie
der »illokutionären Rollen« [illocutionary forces].“ (117)
10. John Langshaw Austin
Sprechakttheorie
Perlokutionärer Akt
„Wer einen lokutionären und damit einen illokutionären Akt vollzieht, kann in einem
dritten Sinne ( C ) auch noch eine weitere Handlung vollziehen. Wenn etwas gesagt
wird, dann wird das oft, ja gewöhnlich, gewisse Wirkungen auf die Gefühle,
Gedanken oder Handlungen des oder der Hörer, des Sprechers oder anderer
Personen haben; und die Äußerung kann mit dem Plan, in der Absicht, zu dem Zweck
getan worden sein, die Wirkungen hervorzubringen. Wenn wir das im Auge haben,
dann können wir den Sprecher als Täter einer Handlung bezeichnen, in deren
Namen der lokutionäre und der illokutionäre Akt nur indirekt (C.a) oder überhaupt
nicht (C.b) vorkommen. Das Vollziehen einer solchen Handlung wollen wir das
Vollziehen eines perlokutionären [perlocutionary] Aktes nennen und den
vollzogenen Akt, wo das paßt – im wesentlichen in den Fällen unter (C.a) -,
»Perlokution«. (119)
„Der perlokutionäre Akt besteht entweder darin, daß ein perlokutionäres Ziel erreicht
(überzeugen, überreden) oder ein perlokutionäres Nachspiel erzeugt wird.“ (134)
11. John Langshaw Austin
Sprechakttheorie
Beispiel
„Akt ( A ), Lokution
Er hat zu mir gesagt: »Schieß sie nieder!« und meinte mit »schieß« wirklich schießen
und mit »sie« wirklich sie.
Akt ( B ), Illokution
Er hat mich gedrängt (hat mir geraten, hat mir befohlen), sie zu erschießen.
Akt ( C ), Perlokution
(C.a) Er hat mich überredet, sie zu erschießen.
(C.b) Er hat mich dazu gebracht, sie zu erschießen; er hat mich sie erschießen
lassen.“ (119)
„Ganz ähnlich können wir den lokutionären Akt »Er hat gesagt, daß…« von dem
illokutionären Akt »Er hat die Meinung vertreten, daß…« und dem perlokutionären
»Er hat mich überzeugt, daß…« unterscheiden.“ (119)