2. Liebe Leserinnen, liebe Leser!
Vor mehr als drei Jahrzehnten ist sie mir ins Auge
gestochen: die Zeichnung von Max Peintner mit
dem Titel „Die ungebrochene Anziehungskraft der
Natur“. Der österreichische Künstler war mir zwar
ein Begriff, mit seinen Arbeiten hatte ich mich aber
nicht näher beschäftigt. Doch das Bild des Waldes im
Stadion, das die Zuschauer von ihren Rängen herab
bestaunen, hat mich fasziniert und nicht mehr losge-
lassen. Ich wollte die Zeichnung erwerben, doch sie
war bereits in eine amerikanische Privatsammlung
verkauft worden.
Seit vielen Jahren beschäftige ich mich in meinen
Kunstprojekten mit der Wahrnehmung. Ich ver-
suche den Betrachter aus seinen Sehgewohnheiten
herauszuholen und ihn das, was er als alltäglich, nor-
mal, schon immer da gewesen oder auch banal emp-
findet, hinterfragen zu lassen. Ein Wald im Stadion
ist ein völlig ungewohntes Bild, das irritiert und auch
schockiert, denn wir werden uns zunehmend be-
Klaus Littmann
Die Bildidee „Die ungebrochene Anziehungskraft der Natur“ wird nach bald 50 Jahren für zwei Monate zur
Realität. Sie alle sind eingeladen, das Stadion im kommenden September und Oktober (täglich von 10:00 bis
22:00) frei zu besuchen – zu verschiedene Tageszeiten, verschiedenen Wetterbedingungen und den Wandel
des herbstlichen Waldes zu erleben – eben „die ungebrochene Anziehungskraft der Natur“.
Bis dahin gibt es für das ganze Projektteam noch viel
zu tun. Die Dimension des Projektes ist gigantisch
und unzählige Detailfragen müssen berücksichtigt
werden. Für die naturgetreue Umsetzung des Waldes
zeichnet sich Enea Landscape Architecture, ein welt-
weit herausragendes Unternehmen für Landschaft-
architektur, verantwortlich. Enzo Eneas erklärtes Ziel
seiner Arbeit ist, die Menschen für die Natur zu sensi-
bilisieren. Nach Projektende wird der Stadionwald der
Stadt Klagenfurt geschenkt und dauerhaft an einen
definitiven Ort im Umkreis des Wörthersee Stadions
verpflanzt. So wird der Stadionwald als Waldskulptur
in der Erinnerung verwurzelt.
Die meisten Institutionen in Klagenfurt wie das Mu-
seum MMKK, mehrere Ausstellungshäuser (Stadt-
galerie, Haus der Architektur, Kunstverein), Kino,
Robert-Musil-Literaturhaus, Musik-Konservatorium,
mehrere Theater, Konzerte, Aktivisten der freien Szene
usw. haben ihr Programm auf For Forest ausgerichtet.
Es gibt immer noch viel Skepsis, Unsicherheit und
auch Unwahrheiten rund um den Wald im Stadion.
Mit dieser Zeitung möchten wir Ihnen die temporäre
Kunstintervention For Forest näherbringen und diese
von verschiedenen Seiten beleuchten. Und wir wol-
len Transparenz schaffen, denn das Projekt spielt sich
nicht nur im öffentlichen Raum ab, es lebt von der
Öffentlichkeit.
In den vergangenen fünf Jahren bin ich unzählige
Male von Basel nach Klagenfurt gereist, denn es
brauchte viel Überzeugungskraft, um die Verant-
wortlichen in Stadt und Land für die Idee zu gewin-
nen. Das Projekt verfolgt nicht nur eine Botschaft.
Es ist in erster Linie eine Kunstintervention, zu der
jeder Betrachter seinen eigenen Zugang finden soll
und kann. Dabei können neben künstlerischen
ebenso ökologische und philosophische Aspekte
mitspielen. Das Kunstprojekt versteht sich auch als
Mahnmal dafür, dass die Selbstverständlichkeit der
Natur eines Tages nur noch in ihr speziell zugew-
iesenen Gefässen zu bestaunen sein könnte, wie
das bereits heute etwa mit Tieren im Zoo der Fall
ist. Mit dieser monumentalen Installation möchte
ich unsere Wahrnehmung der Natur herausfordern
und den Blick auf die Zukunft der Mensch-Natur
Beziehung schärfen.
wusst, dass wir von der Vision Peintners vielleicht
gar nicht mehr so weit weg sind. Insofern hat das
Bild in den letzten Jahren leider noch viel mehr an
Aktualität gewonnen.
Vor 30 Jahren war ich aber vor allem von der Aus-
sagekraft von Peintners Bild begeistert und ich wol-
lte es unbedingt Realität werden lassen. So habe
ich den Künstler aufgesucht und ihm von meinem
Projekt erzählt. Max Peintner hat mir aufmerksam
zugehört und sagte dann jovial: „Wenn Sie mei-
nen, junger Mann.“ Er war wohl nicht sehr zuver-
sichtlich, dass der Wald im Stadion jemals Wirk-
lichkeit werden würde.
Doch das Bild hat mich weiterhin verfolgt und
bei der Realisierung meiner Kunstprojekte in der
Schweiz, in Europa und in Asien habe ich immer
auch Ausschau nach einem Stadion gehalten, das
sich eignen würde.
Vor sechs Jahren realisierte ich in Basel einen tem-
porären Skulpturenpark und zufällig zeigte mir
einer der beteiligten Künstler ein Foto, auf dem
ein Stadion zu sehen war – das Wörthersee Stadi-
on in Klagenfurt, einer Stadt, die ich bis dahin nur
vom Namen her und als Vergabeort des Ingeborg-
Bachmann-Preises kannte. Erste Nachforschun-
gen ergaben, dass dieses für die in Österreich und
der Schweiz ausgetragene EM 2008 erbaute Sta-
dion mit 30.000 Plätzen nur wenig genutzt wird.
Kurzerhand machte ich mich auf den Weg, um mir
das Stadion anzuschauen.
EINE IDEE WIRD REALITÄT
Das Bild des Waldes im
Wörthersee Stadion wird
um die Welt gehen.
Am 8. September 2019
ist es soweit:
Wir eröffnen
3. „Ich verstehe nichts von Kunst“. Diesen Satz hört Klaus
Littmann, der seit einem Jahr in Kärnten für höchst emo-
tionale Diskussionen sorgt, immer wieder. Dann, wenn
er erläutert, warum er für ein paar Wochen im Herbst
2019 Bäume in das Klagenfurter EM-Stadion verpflanzen
will. Wenn er argumentiert, dass er wirklich nichts gegen
Fußball hat. Und wenn er agitiert und erklärt. Und über-
zeugt.
Zugegeben: Es klingt zunächst ein bisschen merkwürdig.
Die Tatsache, dass das blechverkleidete Rund im Süd-
westen der Landeshauptstadt, das uns alle so viel gekostet
hat und immer noch kostet, und das nur ein paar wenige
Male in seiner Geschichte voller Besucher gewesen war,
jetzt mit Bäumen bestückt werden soll; als Kunstinstalla-
tion mit Naturschutz-Hintergrund.
Und es klingt merkwürdig, dass da ein Schweizer nach
Klagenfurt kommt, um hier das umzusetzen, was ein
Tiroler in einer Lithographie, die weltbekannt ist, in ein
imaginäres Wiener Stadion gezeichnet hat.
Und es klingt merkwürdig, wenn jene, die Klaus Litt-
mann schon von sich und seinem Vorhaben überzeugen
hat können, nunmehr zuversichtlich sind, dass dieses
Projekt für Kärnten, für Österreich, wirklich etwas be-
deuten wird. Dass die Welt darüber berichten und reden
wird. Dass die Welt nach Klagenfurt reisen und sich das
Werk anschauen wird …
Die Geschichte zeigt, dass derartige Vorhaben immer
Kontroversen auslösen. Und dass eben diese Kontrovers-
en auch Teil des Gesamtvorhabens sind; wie der Kunst
per se. Bevor der große Christo zum Beispiel 1995 den
Berliner Reichstag verhüllen konnte und durfte und
damit ein temporäres Kunstwerk von epochalem Format
schuf, das heute jeder kennt, auch wenn er „nichts von
Kunst versteht“, musste er in zahllosen Einzelgesprächen
überzeugen. Und auch danach haben die Abgeordneten
nur mit 292 zu 223 Stimmen die Umsetzung „abgeseg-
net“. Als Christo dann im Jahr 2016 „The Floating piers“
am oberitalienischen „Lago d’Iseo“ installierte, hatte er es
nicht mehr ganz so schwer. Am Ende hat dieses Projekt
die kühnsten Erwartungen übertroffen: 1,2 Millionen (!)
Menschen wanderten über das Wasser; doppelt so viele,
wie man sich erhofft hatte.
„For Forest“ ist freilich wieder ganz etwas anderes; und
das ist gut so. Sehr gut sogar, weil frei von Vergleichen,
frei von jedem Verdacht, dass derlei schon einmal
irgendwann, irgendwo von irgendwem gemacht worden
wäre. Es ist neu und einzigartig und gerade deshalb ver-
lockend.
„Ich verstehe nichts von Kunst“, sagen auch jene, die
nicht einsehen wollen, warum man denn Bäume in ein
Stadion pflanzen müsse, wenn drum herum ohnehin
genug wachsen würden.
Nun, das mit dem Wald, das kann man auch anders be-
trachten. Denn gerade das, was im Überfluss vorhanden
ist, entrückt so oft jener Wahrnehmung, die es verdienen
würde. So soll „For Forest“ auch eine Hommage an den
Wald, an das Grün, das uns die Luft zum Atmen schenkt,
werden. Perfekt in Zeiten, wo Wellness im Wald wieder-
entdeckt wird, und sogar der Begriff „Waldness“ kreiert
und geschützt wurde.
Klaus Littmann geht mit der Idee übrigens schon lange
„schwanger“; eigentlich schon seit er die Lithographie
mit dem bedeutungsschweren Titel „Die ungebrochene
Anziehungskraft der Natur“ von Max Peintner zum
ersten Mal gesehen hat. Was man braucht, um derlei
Vision Wirklichkeit werden zu lassen, ist klar: ein
Stadion für einen längeren Zeitraum; und davon nicht
irgendeines.
Das zu finden, schien lange unmöglich, ehe das Klagen-
furter „UFO“ ins Visier kam. Es ist ein wirklich beein-
druckendes Bauwerk; architektonisch sogar als „schön“
zu bezeichnen. Und es ist nur selten ausgelastet. Robbie
Williams etwa hatte es zuletzt gefüllt; und das auch nicht
mit seinen Fußballkünsten …
Ah, welch ein Stichwort: Fußballkünste! „Ich verstehe
nichts von Kunst“, schmettern Klaus Littmann auch
jene entgegen, die ihn als Feind des Ballsports sehen.
Doch weit gefehlt! „Fußball in der Vitrine“ nannte sich
eine Ausstellung in Basel im Jahr 1982. Und da schrieb
eben dieser Littmann im Vorwort: „Der Fußball produzi-
ert so viel Ästhetisches, von seiner Choreographie her
und von der Art und Weise wie er aufgenommen wird
in den Medien. Man spricht vom Schauspiel im Zusam-
menhang mit dem Fußballspiel, und man spricht von
Ballkünstlern. Flankenbälle können stilvoll herübergege-
ben werden, und Torhüterparaden werden als elegant
und schön bezeichnet.“
„For Forest“ ist mehr als eine Ausstellung, als „nur“
Kunst; es ist ein Hybrid, etwas Neues, Interessantes,
Verrücktes, Unglaubliches; etwas, das Neugierde weckt.
Und eine Chance verdient.
Hannes Mößlacher
Chefredakteur „Kärntner Krone“
VOM WALD IM STADION
ODER: „ICH VERSTEHE NICHTS VON KUNST“
Was der „Stadionwald“ von Klagenfurt mit dem Berliner Reichstag und dem
italienischen Iseo-See gemeinsam hat. Und warum das größte Kunstprojekt im
öffentlichen Raum, das je in Österreich zu sehen gewesen ist, eine Chance verdient.
Christo, Wrapped trees, Project for Avenue des Champs-Élysées and Rond Point des Champs-Élysées 1987, Collage
4. WIR BRAUCHEN UNS NICHT GESCHLAGEN ZU GEBEN
„Ich habe nie in Betracht gezogen, dass meine Idee
verwirklicht werden könnte“, sagt Max Peintner im
Interview über die Idee, die er 1970/71 mit Bleistift auf
Papier gebracht hat. Es liegt zweifellos am feinen Humor
der Zeichnung, dass sie über die Jahre in Schulbüchern
in vielen Ländern abgebildet wurde. Hier wird die Be-
drohung der Natur nicht didaktisch mit erhobenem
Zeigefinger, sondern über eine Gedankenfigur vermit-
telt: Stell dir vor, den Wald gibt es nur mehr als Ausstel-
lungsstück! Mit dieser Fiktion war der Künstler seiner
Zeit weit voraus, wurde das Problem des Waldsterbens
doch erst in den 1980er-Jahren breit diskutiert.
In den Boomjahren der Nachkrieszeit wurden fleißig
Straßen gebaut und Autos verkauft; erst langsam setzte
sich die unangenehme Erkenntnis durch, dass Abgase
eine schädliche Wirkung haben. Bereits 1969 – im Jahr
der Mondlandung – veröffentlichte Peintner erste futur-
istische Zeichnungen. Sein im Eigenverlag publiziertes
Heft trug den Titel „Sechs Beiträge zur Zukunft. Tech-
nik- und Zivilisationskritik unter dem Deckmantel der
Utopie“. In präzis-realistischem Stil thematisierten diese
Bilder die moderne Mediengesellschaft, die Landschaft
nur mehr aus dem Autofenster oder auf einem Bild-
schirm wahrnimmt.
Mittag, 1974
Ein total reguliertes Tal, 1972
Das riesige Stadion ist bis auf die letzten Ränge besetzt. Zwei Männer im Anzug haben sich für einen noch
besseren Blick auf das Spielfeld erhoben. Obwohl kein Match stattfindet, wirken sie gespannt. In der Arena selbst
stehen zwar einige Figuren, aber alle Aufmerksamkeit gilt den Bäumen hinter ihnen. Inmitten des Sportplatzes
wächst ein Wald. Mit dem Titel seiner Zeichnung „Die ungebrochene Anziehungskraft der Natur“ legt der Künst-
ler Max Peintner nahe, dass die Stadionbesucher Eintritt für die Betrachtung der Bäume bezahlt haben. Durch
die Wolkenkratzer am Horizont erscheint das Gehölz wie der letzte Rest Vegetation in der Betonlandschaft der
Großstadt.
5. Dürfen die Sonnenanbeter darin schwimmen, bis sie das
Zeitliche segnen? Noch zynischer kommt die Bleistif-
tarbeit „Autobahngräber“ daher, in der eine Fernstraße
den Blick zum Horizont führt. Auf den Asphalt sind mit
weißer Markierungsfarbe Kreuze gemalt, sowie Namen
und Lebensdaten Verstorbener vermerkt. Ein Memento
für Unfallopfer? Der Titel legt eher einen Friedhof zum
Darüberpreschen nahe.
Der Tod hat bei Peintner aber auch noch ein anderes
Gesicht: Die ausgebeutete, zubetonierte Natur hat nichts
Lebendiges mehr. Das Bild „Ein total reguliertes Tal“
(„Macht euch die Erde untertan“) macht den kritischen Im-
petus des studierten Bauingenieurs besonders deutlich.
An die Stelle von bewachsenen Böschungen treten hier
gepflasterte Oberflächen, die den felsigen Bergeinschnitt
wie mit einer Schuppenhaut überziehen. Anstelle von
Bäumen ragen Strommasten zum Himmel. Das Pano-
rama „Garten“ konterkariert seinen Titel, zeigt es doch
keine Pflanzen, sondern bloß ein vertrocknetes, steini-
ges Flussbett. Wenn bei Peintner Wasser fließt, dann nur
über betonierte Staustufen.
Als Bergfex und Wildwasserfahrer war sein Sinn für die
Einfassungen der alpinen Landschaft zweifellos geschärft.
„Wir waren damals alle auf diesem morbiden Trip“, ant-
wortet der heute 80-jährige Künstler auf die Frage, warum
der Tod in vielen seiner Arbeiten aus den 1970er-Jahren
so eine wichtige Rolle spielt. Der Kalte Krieg und das
Wettrüsten hätten seine Generation geprägt. Die nukleare
Bedrohung rückte bald in Form der Kernkraft näher. Als
1978 das Atomkraftwerk Zwentendorf in Probebetrieb
gehen sollte, schloss sich der Künstler mit Freunden zu
einer Widerstandsaktion zusammen. „Zwentendorf: Es
ist fünf vor zwölf“ stand auf dem Plakat, das sie wenige
Tage vor der Volksabstimmung am 5. November 1978
affichierten. Für die Illustration fiel die Wahl auf
Peintners Zeichnung „Mittag“, die ein Flugzeug kurz vor
seinem Crash in eine Bergwand zeigt.
„Max war ein glühender Zwentendorf-Gegner“, erinnert
sich der ehemalige Kunsthochschulprofessor Christian
Reder, der mit Peintner den Protest organisierte. „Wir
plakatierten auch rund um den Zentralfriedhof, weil am
nächsten Tag Allerheiligen war und die Leute die Gräber
besuchten“, erzählt Peintner über die nächtliche Aktion.
Allerdings schritt nach kürzester Zeit die Polizei ein
und riss die Plakate ab. Für Reder war der Widerstand
gegen das AKW Zwentendorf, das bei der Volksabstim-
mung schließlich mit 50,47 Prozent abgelehnt wurde, ein
wichtiges Lebenszeichen der Zivilgesellschaft.
„Geistig waren wir Vorläufer der Grünen“, sagt er zu dem
ökologischen Bewusstsein, das um jene Zeit erwachte.
Ab 1982 wirkte der Projektleiter und Kulturpublizist am
Aufbau der Wiener Stadtzeitung Falter mit. In dem links-
liberalen Wochenmagazin wurden gesellschaftspolitische
Debatten ausgefochten, aber auch Kunst bekam viel
Raum. Als die Redaktion 1982 beschloss, Kunstwerke auf
den Zeitungs-Covers zu publizieren, wurde auch ein Bild
von Peintner ausgewählt.
„Die Idee dahinter war, das künstlerische Bild in den
öffentlichen Raum tragen“, erklärt der Falter-Gründer
Armin Thurnher, der auf diese Weise Zeitungskioske zu
Ausstellungsflächen machte.
Die Wiener Kunstszene sei damals sehr überschaubar
gewesen, erinnert sich Reder. Man traf sich in nicht
mehr als drei, vier Lokalen und kam über Gott und die
Welt ins Gespräch. Die Künstlerinnen und Künstler, die
etwas bewegten, waren wie Peintner fast alle „Zugere-
iste“ aus der lokalen Bourgeoisie stammten nur wenige.
Das Fehlen eines heimischen Kunstmarkts – kommer-
zielle Galerien eröffneten erst Mitte der 1980er Jahre –
hätte einen Freiheitsraum bedeutet. Peintner war nicht
nur durch seine Zeichnungen bekannt, sondern auch
durch die wichtige Monografie „Otto Wagner 1841–1918.
Unbegrenzte Großstadt, Beginn der modernen Architek-
tur“, die er 1964 gemeinsam mit Heinz Geretsegger ver-
öffentlicht hatte. Die Clique rund um Walter Pichler
und den Architekten Raimund Abraham, zu der auch
Peintner gehörte, wurde aufgrund ihrer eleganten Anzüge
„Englische Flotte“ getauft. Ein Fotoporträt zeigt den
30-jährigen Künstler stilvoll gekleidet – keine Spur von
einem Tiroler Naturburschen oder einem rebellischen
Bohémien.
Mit seinem Entwurf „Autobett“ erdachte Peintner ein
Schlafzimmer, auf dessen Wand der Blick durch eine
Windschutzscheibe projiziert wird. Die Benützer dieses
medial aufgepimpten Schlafmöbels sollten auf der
Matratze liegend den Blick auf vorbeiziehende Hoch-
häuser am urbanen Highway genießen. Die Ironie dieses
Entwurfs wird spätestens im Untertitel klar: „Begleitung
durch Geräusch und Vibration. Regelung der Filmge-
schwindigkeit über das Gaspedal, die Pedale links zum
Umschalten auf Überhol-Film.“
Peintners frühe Papierarbeiten stehen im Zusammen-
hang mit den utopischen Architekturen, die seine Wiener
Weggefährten Walter Pichler und Hans Hollein damals
beschäftigten. Die Kollegen präsentierten bereits 1963 in
der Galerie nächst St. Stephan Entwürfe monumentaler
Stadtmodelle und Bunkerbauten, die an Science-Fiction
gemahnten. Peintner hatte selbst an der Akademie der
bildenden Künste Architektur studiert, aber der Bezug
zur Landschaft interessierte den Sohn eines Tischler-
meisters mehr als ein revolutionärer Architekturbegriff.
Das zeigt etwa sein satirischer Entwurf für „Verschieb-
bare Hügel und künstliche Wolken zur Belebung eintöni-
ger Autofahrten“. Der Künstler treibt die Entfremdung
gegenüber der natürlichen Umwelt auf die Spitze: Land-
schaft und Himmelsphänomene werden zur Kulisse, die
je nach Unterhaltungsbedarf mobilisiert werden können.
In seinen frühen Dreißigern reiste Peintner nach New
York und las regelmäßig Wissenschaftsmagazine aus
den USA wie Scientific American oder Discover. Zum
Broterwerb arbeitete er damals als Werbegrafiker
und auch in seinen eigenen Zeichnungen griff er Ver-
satzstücke der Reklame auf. Der Einfluss der amerika-
nischen Konsumkultur spiegelt sich in etlichen Arbei-
ten wieder. Aus einer Coca Cola-Werbung stammt ein
Paar attraktiver Segler, das Peintner in seiner Zeichnung
„Die Verdunklung Amerikas durch stationäre chine-
sische Satellitenkontinente. Anfangsphase. Ansicht vor
der kalifornischen Küste“ aufgriff. Wie das gewaltige
Raumschiff aus dem Sci-Fi-Film „Independence Day“
(1996) schiebt sich eine Plattenstruktur über den Pazifik.
Die Gefahr unbemerkt im Rücken, blicken die Limo-
nadentrinker optimistisch nach vorne. Dass Peint-
ner seinem „Satellitenkontinent“ ausgerechnet eine
chinesische Herkunft gibt, lässt seine fast fünfzig Jahre
alte Zeichnung aktueller denn je erscheinen: China ist
gegenüber dem Westen wirtschaftlich und technologisch
längst auf der Überholspur.
Viele seiner damaligen Arbeiten wären „reine Kalauer“
gewesen, sagt Peintner im Gespräch. Der Künstler war
aber 1969 doch schon so stark von der Durchschlagskraft
seiner bewusst schlechten Witze überzeugt, dass er sie an
führende Medien im deutschen Sprachraum verschickte.
Zu seiner Überraschung sprang die Süddeutsche Zeitung
auf den bissigen Humor des in Wien lebenden Tirolers an
und veröffentlichte einen ganzseitigen Artikel über ihn.
Das sei ein „Kaltstart“ gewesen, der in der Folge zu Aus-
stellungseinladungen der Kunsthalle Baden-Baden und
der Kunsthalle Kiel führte. 1977 wurden seine Arbeiten
auch auf der documenta 6 in Kassel gezeigt.
Bei allem Sarkasmus durchzieht Peintners Frühwerk
auch eine düstere Tendenz. „Mein eigenes Fesselgrab“
titelt die Zeichnung eines Wasserbeckens, in dem ein mit
Seilen befestigter, länglicher Ballon schwimmt. Die auf
der Oberfläche schwebende Kapsel trägt Name und Ge-
burtsdatum des Künstlers; der Sterbetag ist noch offen.
Makaber wirkt auch das Bild „Familiengrab als provi-
sorischer Swimmingpool“. Zwei Badende sind hier vor
einem Wasserbecken mit einem Grabstein platziert,
während sich das Kreuz im Wasser spiegelt.
Familiengrab als provisorischer Swimmingpool, 1970
Die Verdunklung Amerikas, 1970
6. „WIR DÜRFEN NICHT VERGES-
SEN, WIR DÜRFEN NICHT ZUR
TAGESORDNUNG ÜBERGEHEN,
ALS WÄRE WIEDER EINMAL
NICHTS GEWESEN“
In jenen bitterkalten Wintertagen, als Tausende Natur-
schützer in die Au strömten, heulten immer wieder die
Motorsägen auf. Um das große Gelände zu schützen,
übernachteten die Gegnern des Wasserkraftwerks in
Zelten. Untertags verhinderten sie die Rodung, indem sie
Bäume umarmten. Den Demonstranten standen Hun-
dertschaften von Polizei, Bauern und Holzarbeitern mit
schwerem Gerät gegenüber, die auf ein Signal der Politik
zum Vorrücken warteten.
„Keiner wusste damals, was passieren würde“, sagt
Reder über die Nacht vom 19. Dezember 1984, in der
es zu gewaltvollen Zusammenstößen zwischen Au-
Besetzern und der Polizei kam. Sogar Bundeskanzler
Fred Sinowatz hatte bei einem Interview im Fernsehen
ängstlich gewirkt. Auch Peintner war damals vor Ort.
InseinemFalter-Artikel„MirwernkanGärtnerbrauchen“
schilderte er, wie ein Arbeiter blindlings mit der Ketten-
säge auf irgendeinen Baum losgegangen war. In die
Kameras der Fernsehjournalisten verkündete der unge-
haltene Holzfäller: „Wir werden eisern bleiben!“
Echte Haltung bewies für Peintner sein Kollege
Friedensreich Hundertwasser, der in Hainburg aus
Protest vor den laufenden Kameras seine 1981 erhaltene
Auszeichnung des Großen Österreichischen Staatspreis
zerriss. Hundertwasser stellt in der österreichischen
Nachkriegskunst einen der wenigen Künstler dar, der wie
Peintner die in der Gegenwartskunst wieder so virulente
Ökothematik aufgriff.
„Während wir unsere Aufmerksamkeit den Strahlen zu-
wenden mussten, ist im übrigen auch in Österreich der
Wald in aller Stille dazu übergegangen, „flächenhaft“ ab-
zusterben“, schreibt Peintner und prangert die Fixierung
auf den motorisierten Straßenverkehr an. Die Natur habe
begonnen, „unberührbar zu werden“ und die Qualitäten
einer „bloßen Bildschirmwelt" anzunehmen. Diese Zeilen
des Künstlers muten in der gegenwärtigen Informations-
gesellschaft aktueller denn je an. Schon seine Zeichnung
vom Wald im Stadion veranschaulicht diese Distanz.
Haben wir vielleicht bald so eine Angst vor der Natur,
dass wir sie wie ein Tier im Käfig halten müssen? Das ist
eine andere Lesart der Zeichnung. Die „ungebrochene
Anziehungskraft“ rührt schließlich auch daher, dass der
Mensch auch in einer hochtechnologischen Umgebung
selbst noch ein Stück Natur bleibt.
„Wir brauchen uns nicht geschlagen zu geben; aber eine
Chance, der Vernichtung zu entgehen, haben wir nur
dann, wenn wir uns nicht weiterhin schrittweise in die
Zumutungen eingewöhnen lassen“, mahnt Peintner im
Hinblick auf Tschernobyl. „Wir dürfen nicht vergessen,
wir dürfen nicht zur Tagesordnung übergehen, als wäre
wieder einmal nichts gewesen“. In Zeiten, in denen der
Klimawandel von führenden Politikern und mächtigen
Lobbys in Abrede gestellt wird, lohnt der Rückblick auf
die Kämpfe der Vergangenheit ebenso wie die Ausein-
andersetzung mit diesem kritischen Künstler.
Nicole Scheyerer
Auch wenn sich Peintner ab 1976 stark mit Fragen der
Wahrnehmung auseinanderzusetzen begann, sind auch
diese nicht von der Umweltthematik zu trennen. Wie
müssten wir die Natur und auch unseren eigenen Körper
sehen, hören, riechen und tasten, damit die Zerstörung
ein Ende nehmen würde? In Berufung auf den Wiener
Wissenschaftsphilosophen Ernst Mach widmete sich
Peintner mit Buntstiften und Ölkreiden der „Analyse
der Sinnesempfindungen“. Aber die Umweltproblematik
holte den Künstler mit ganz konkreten Schrecken ein. Als
er 1986 im österreichischen Pavillon auf der Biennale in
Venedig ausstellte, schrieb er über die Katastrophe von
Tschernobyl. „Was tun“ lautet der Titel des Beitrags, in
dem er eine Verbindung zwischen Hainburg und dem
Super-GAU herstellt.
„Ich finde visionär, dass sich Peintner so früh und so ve-
hement dem Ökothema widmete“, betont Falter-Heraus-
geber Thurnher, der dessen Zeichnungen als „tech-
nokritische Ikonen“ lobt. Im Sommer 1984 unternahmen
sie gemeinsam einen langen Fußmarsch durch die Hain-
burger Au, um das Gelände zu sichten, wo ein Wasser-
kraftwerk errichtet werden sollte.
Die geplante Verbauung dieser naturbelassenen Flussland-
schaft hat Peintner zutiefst empört. „Mein Freund Wal-
ter Pichler hatte mir nach einem Familienausflug in die
Au erzählt, dass dort Düsenjäger exerzierten“, erinnert er
sich an den Moment, als ihm die Problematik erstmals zu
Ohren kam. Im Winter 1982/83 startete der Umweltver-
band WWF Österreich die Kampagne „Rettet die Auen“.
Ein paar Monate später publizierte Peintner im Falter den
Text „Die Namen sind die Dinge“ in dem er aus gege-
benen Anlass über den Clash von Zivilisation und Natur
reflektierte.
Das Schreiben nahm im Schaffen des Künstlers seit Ende
der 1970er Jahre eine wichtige Rolle ein. Die Ebenen Bild
und Text fungierten dabei unabhängig voneinander. Sein
poetisch-philosophischer Stil grenzte ihn von jedweder
Öko-Propaganda ab. Peintner ging es um Grundsätzli-
ches, das er mit seinen Assoziationen einkreiste. In der
Frage Hainburg spitzte sich die Lage im Dezember 1984
auf verhängnisvolle Weise zu.
Autobett, 1969
Max Peintner
7. Die Villa am Ring: Das repräsentative Gebäude ist zu
einem neuen Kulturzentrum in Klagenfurt geworden.
Hier arbeiten nicht nur Klaus Littmann und sein Team
für das Projekt „For Forest“, denn am jeweils ersten und
letzten Mittwoch im Monat sind die Türen auch für Inter-
essierte offen. Wechselnde Ausstellungen beleuchten par-
allel die Themen Wald und Bäume in der Kunst. Selbst-
verständlich sind auch Pläne, Visualisierungen und ein
Modell des Stadionprojektes zu sehen. In der Immobilie
finden außerdem regelmäßig Konzerte, Lesungen und
Theatervorführungen statt.
Wirtschaft trifft Kunst: Möglich gemacht hat dies der
Unternehmer Herbert Waldner, Geschäftsführer von Rie-
dergarten Immobilien. Seine Intention: Die Villa soll ein
offener Ort für Kunst und Kultur in Klagenfurt werden.
Die Lancierung von For Forest ist dabei nur der Anfang,
denn Herbert Waldner verfolgt konkrete Pläne, Teile des
Gebäudes in eine Kulturstiftung einzubringen und öffen-
tlich zugänglich zu machen. Seit über 20 Jahren agiert der
Kärntner erfolgreich am Immobilienmarkt und ist durch
zahlreiche Aktivitäten im Bereich Kunst, Sport und So-
ziales bemüht, andere Menschen am Erfolg seines Un-
ternehmens teilhaben zu lassen.
Begeisterung von Anfang an: Vom Kunstprojekt erfuhr
Herbert Waldner über seinen Freund Erwin Soravia, der
auch das erste Treffen mit Klaus Littmann vermittelte.
Der Künstler war auf der Suche nach Räumlichkeiten in
Klagenfurt sowie nach Projekt-Sponsoren. „Das Konzept
und die Idee der temporären Kunstintervention haben
mich sofort überzeugt“, erzählt Herbert Waldner. „Be-
sonders die For Forest-Botschaften zur Zukunft unseres
Planeten und unserer Wälder haben für mich absolute
Wichtigkeit.“
Herbert Waldner bot Klaus Littmann bereits nach dem
ersten Treffen per Handschlag das Gebäude zur Nutzung
an. Schon bald folgten dem symbolischen Akt konkrete
Taten.
Offene Türen: Mittlerweile ist Herbert Waldner der
wichtigste Ermöglicher von For Forest geworden. Er
ließ in der Villa die notwendige Infrastruktur einrichten,
sodass hier nicht nur Littmann und sein Team arbeiten
iten, sondern auch kulturelle Veranstaltungen stattfin-
den können. Am Projekt „For Forest“ begeistert ihn als
heimatverbundenen Naturmenschen die Verbindung
von Wald und Kunst. Die Öffnung der Villa, sowohl für
Befürworter als auch Kritiker des Kulturprojektes, ist für
Waldner ein entscheidender Schritt. „Je mehr die Men-
schen über For Forest erfahren, desto leiser werden die
Stimmen gegen eine Realisierung des Projektes“, zeigt
sich der Unternehmer überzeugt. „Bei den Veranstaltun-
gen in der Villa können viele Wissenslücken geschlossen
und Vorurteile abgebaut werden. Daher ist es mir ein so
wichtiges Anliegen, die Villa der Kunst zur Verfügung
zu stellen.“ Mit der Villa schuf er einen Ort für das For
Forest-Team, an dem sie sowohl die notwendige Ruhe
als auch ausreichend Platz vorfinden, um das gigantische
Kunstprojekt planmäßig realisieren zu können. Darüber
hinaus unterstützt der Unternehmer For Forest sowohl
finanziell als auch durch sein betriebswirtschaftliches
Know-how. Denn das größte Kunstprojekt Österreichs ist
auch in kalkulatorischer Hinsicht eine Mammutaufgabe.
DIE VILLA FOR FORESTDie Schaltzentrale für das Projekt For Forest ist die Villa am Viktringer Ring 21.
Herbert Waldner, Unternehmer Villa For Forest, Klagenfurt
FOR FOREST Spendenkonto: IBAN: AT68 3954 3000 0010 5965 | BIC: RZKTAT2K543
Als Baumpate / Baumpatin können Sie unverzichtbarer Teil des grössten
bisher in Österreich realisierten Kunstprojekts im öffentlichen Raum werden.
Eine Baumpatenschaft kostet 5000€, wofür Sie eines unserer limitierten, handkolorierten
Unikate in Serie der Zeichnung „Die ungebrochene Anziehungskraft der Natur“, signiert von
Max Peintner und Klaus Littmann erhalten. Dieses Unikat gilt auch als Spendenbescheinigung.
Sie würden so mit diesem Engagement beweisen,
dass Sie zu den Menschen gehören, die nicht nur
über Kunst reden, sondern auch effektiv dazu
beitragen, diese zu realisieren. Menschen, die daran
glauben, dass Kunst vor allem dann etwas bewegen
kann, wenn sie dort stattfindet, wo eine breite Öffen-
tlichkeit mit ihr konfrontiert wird.
Besuchen Sie uns auf unserer Website oder einer
unserer Social Media Plattformen. Gerne stehen wir
auch zur Verfügung, um etwaige Fragen dahingehend
zu beantworten: Jeden ersten und letzten Mittwoch
im Monat stehen die Türen der Villa am Viktring-
er Ring 21 von 17-20 Uhr für Sie offen. Wenn sie
darüber hinaus Kontakt mit uns aufnehmen möchten,
schreiben Sie uns auf info@forforest.net.
Wir freuen uns über jede Unterstützung!
8. Wollen Sie Klagenfurt über dieses Projekt noch breiter
als Kulturstadt positionieren?
Absolut. Städte wie Basel leben das ja vor. Ich bin über-
zeugt, dass Kunst und Kultur die Seele einer Stadt sind
und ihre Atmosphäre ganz massgeblich beeinflussen.
Deshalb ist dieser Blick über den Tellerrand hinaus in
die Welt wichtig. Ich bin überzeugt, dass es wichtig und
notwendig ist, Klagenfurt zu öffnen und entsprechend zu
positionieren.
Wie wichtig ist Ihnen der Inhalt dieses Kunstprojektes?
Für mich ist es in erster Linie ein einzigartiges Projekt
von Klaus Littmann, der hundertprozentig dahinter steht
und all seine Energie darauf verwendet, es zu realisieren.
Deshalb unterstütze ich das auch. Natürlich sollte man
die Gelegenheit nützen und in diesem Zusammenhang
über Themen wie Nachhaltigkeit oder Klimawandel
diskutieren. Aber ich sage ganz ehrlich: Für mich steht die
Kunstinstallation im öffentlichen Raum im Vordergrund.
Und eine solche Intervention im öffentlichen Raum
hat es in Klagenfurt bisher noch nicht gegeben?
Viel zu wenig. Es gab immer wieder Ansätze für einzelne
Projekte, die dann aber an der Finanzierung scheiterten.
Es wurden früher aber auch andere Prioritäten gesetzt.
Ich bin hingegen überzeugt, dass man die Atmosphäre
einer Stadt mit Kunst und Kultur verändern kann.
Die Kunst ist mittlerweile aber auch ein ökonomischer
Faktor geworden. Der Kunsttourismus boomt.
Ja genau. Beispiele wie Bilbao beweisen das. Als ich Bür-
germeisterin geworden bin, habe ich mir lange überlegt,
ob und welche Referate ich übernehmen soll. Ich habe
mich bewusst für das Kulturreferat auf der einen und
das Finanzreferat auf der anderen Seite entschieden, weil
ich denke, dass es wichtig ist, in diesen beiden Bereichen
Einfluss zu nehmen.
Wie ist denn die Stimmung in der Bevölkerung
diesem Projekt gegenüber?
Ich denke, dass an den Stammtischen die negativen Stim-
men derzeit noch überwiegen. Dort ist man der Meinung,
dass die Organisatoren einfach spinnen. Auf der anderen
Seite wird aber auch die Neugierde immer stärker. Und
je mehr sich die Leute mit diesem Projekt auseinander-
setzen, desto stärker wird die Ansicht, wieso eigentlich
nicht? Dabei ist aber auch der Faktor, dass der Steuer-
zahler hier nichts übernehmen muss ein wesentlicher. Ich
habe den Eindruck, dass sich die Stimmung allmählich
immer mehr in eine Neugierde und positive Offenheit
wandelt.
Was war Ihre Reaktion, als Sie vom Wald im Fussball-
stadion zum ersten Mal gehört haben?
Ich habe mir gedacht, das ist eine spannende Sache.
Allerdings habe ich mir nicht vorstellen können, was alles
an Arbeit hinter diesem Projekt steckt. Mich fasziniert,
wieviel Kraft und Energie investiert und wieviele Men-
schen motiviert und begeistert werden müssen, damit
eine solche Idee Wirklichkeit werden kann.
Haben Sie diese Idee nie als verrückt abgetan?
Nein, dazu bin ich zu wenig Techniker, um zu über-
blicken, was alles nicht funktionieren kann. Ich finde
die Idee wirklich toll und habe immer gedacht, es wird
Möglichkeiten und Lösungen geben, damit dieses Pro-
jekt realisiert werden kann – wenn auch mit einem unge-
heuren Aufwand.
Klagenfurt ist durch den Bachmann-Preis in der Kul-
turszene ein Begriff. Sonst weiß man vor allem im
Ausland weniger über die Stadt. Ist das nicht eine Hy-
pothek?
Nein, überhaupt nicht. Der Bachmann-Preis hat sich
international etabliert und ist ein kulturelles Merkmal
dieser Stadt, das wir hegen und pflegen müssen.
Wie bringen Sie als Bürgermeisterin Ihren
Mitbürgern das Projekt näher?
Das mache ich laufend. Wenn ich angesprochen werde
oder höre, dass über das Projekt geredet wird, klinke ich
mich ein. Zurzeit geht es aber vor allem darum, das Pro-
jekt aufzugleisen. Ich hätte nie gedacht, was alles aufkom-
mt. Es müssen so viele Fragen abgeklärt werden, damit
das Projekt überhaupt zustande kommen kann.
Glauben Sie, dass im kommenden Herbst eine
Mehrheit der Klagenfurter Bevölkerung hinter dem
Projekt stehen wird?
Ich könnte mir vorstellen, dass diese positive Stimmung
in Klagenfurt erreicht wird. Dass wir dann als Stadt stolz
sind und uns über dieses Projekt freuen. Wir haben noch
einige Monate Zeit und werden die Öffentlichkeitsarbeit
dramaturgisch aufbauen und verstärken. Dann wird hof-
fentlich aus der Neugierde eine positive Erwartungshal-
tung dieser Kunstinstallation gegenüber.
Sie wollen also das Projekt bewusst offen lassen?
Ja genau. Zuerst sieht man das Projekt als Kunstinstalla-
tion. Aber dann können natürlich auch andere Themen
wie der Wald, der Klimawandel oder das Eingesperrt-
sein in der Natur hineininterpretiert werden. Das ist aber
letztlich jedem einzelnen überlassen.
Haben sich denn schon Institutionen gemeldet, die
sich mit dem Projekt vernetzen möchten?
Da gibt es bereits einige. Ganz wichtig ist aber auch, dass
nicht nur die Stadt Klagenfurt, sondern auch das Land
hinter dem Projekt steht. Unser Landeshauptmann, der
auch Kulturreferent ist, arbeitet mit uns Hand in Hand
zusammen.
Wollen Sie dem Stadionprojekt andere Kunstprojekte
folgen lassen?
Wir sind in der Anfangsphase eines Kulturleitbildes. Die
erste Massnahme, die wir setzen werden, ist, unsere Kul-
turinstitutionen sichtbar zu machen. Bislang sind sie oft
nur den Insidern bekannt. Ich bin sicher, dass manche
Klagenfurter nicht wissen, wo beispielsweise die Stadt-
galerie ist. Es gibt jetzt einen Ideenwettbewerb, um beste-
hende Kultureinrichtungen sichtbar zu machen.
ICH BIN ÜBERZEUGT, DASS
KUNST UND KULTUR DIE SEELE
EINER STADT SIND UND IHRE AT-
MOSPHÄRE GANZ MASSGEBLICH
BEEINFLUSSEN.
ICH DENKE, DASS
AN DEN STAMMTISCHEN DIE
NEGATIVEN STIMMEN DERZEIT
NOCH ÜBERWIEGEN.
DORT IST MAN DER MEINUNG,
DASS DIE ORGANISATOREN
EINFACH SPINNEN.
FÜR MICH IST ES
IN ERSTER LINIE
EIN EINZIGARTIGES
PROJEKT
Dr. Maria-Luise Mathiaschitz
Bürgermeisterin Klagenfurt a.W.
Für Raimund Spöck vom Verein Innenhofkultur zeigt
das Projekt von Klaus Littmann, was ein Einzelner
bewirken kann. „Er macht etwas, vom dem man ei-
gentlich denkt, dass es nicht machbar ist“, sagt Spöck.
Deshalb hofft er auch, dass Littmanns Projekt in der
Form belohnt wird, dass für die Freie Szene in Kärn-
ten neue bzw. andere Perspektiven entstehen, ohne zu
vergessen, dass die öffentliche Hand nicht aus ihrem
Förderauftrag entlassen wird, die Szene aber ander-
erseits ein grösseres, weil verdientes, Selbstbewusst-
sein erhält. Die Freie Szene selbst ist sich noch nicht
einig über das Projekt, meint Raimund Spöck, denn
viele entzweiende und spaltende Jahre hat man erst seit
kurzem hinter sich und die Aufarbeitung dieser Peri-
ode braucht Zeit. „Aber je näher die Eröffnung rückt,
desto mehr wird darüber diskutiert und die befürwor-
tenden Stimmen werden immer mehr.“
Er schätzt, dass sich Klaus Littmann bewusst und of-
fen mit der lokalen Kunstszene zu vernetzen versucht.
„Ein Problem mit der Augenhöhe mag auch die Grösse
des Projektes sein, da man hier einer solchen Dimen-
sion noch nie begegnet ist“. Und diese Grösse des
Projektes macht auch einige skeptisch. „Manche haben
Vorbehalte gegen Gigantomanie, wie wir sie aus
Haider-zeiten kennen“, betont Spöck. Doch seiner Mei-
nung nach ist gerade das Stadion-Projekt eine Chance
die Vergangenheit aufzuarbeiten - „denn damit, mit
Aufarbeitung, haben wir in Österreich generell unsere
Probleme“. Das System Haider habe einen gesellschaft-
lichen Flurschaden angerichtet, der nicht so leicht und
schnell behoben werden kann. Letztlich gehe es um die
Entnazifizierung Kärntens.
„Natürlich sehe ich das auch als Aufgabe des Landes
inklusive seiner Erziehungsstellen, sowie des Bundes
wie auch der Kommunalpolitik und der Medien, aber,
wie eigentlich schon erwähnt, natürlich auch der Kul-
tur- und Kunstszene, eine solche mit unterschiedli-
chen Mitteln voranzutreiben. Das Symbol dafür, das
Stadion, ist eigentlich für die Freie Szene sehr geeignet.
Man kann dort was Neues einpflanzen“, meint Spöck.
Er selbst unterstützt Littmanns Projekt und veranstalt-
et als Verantwortlicher für den Verein Innenhofkultur
in der Villa For Forest u.a. das Festival „New Adits“,
welches sich der „gegenwärtigen Musik“ widmet und
bereits diesen Herbst zum neunten Mal stattfindet -
immer in Kooperation mit dem Verein Flechtwerk.
9. Dort, an der Nahtstelle, irgendwo zwischen Zeit und
Raum, Wachen und Träumen, Werden und Vergehen,
wächst der Weltenbaum. Seine Wurzeln greifen tief in den
heiligen Leib der Erde, in seiner Krone nisten Sonne und
Mond. Dort, im Anbeginn unseres Erwachens, schließen
wir den Bund mit ihm, und schreiben unseren Namen
unauslöschlich in sein Fleisch. Seitdem sind wir mitein-
ander verwachsen, Mensch und Baum: Er, unser ewiger
Inhaltsträger, Symbol, Objekt, Metapher, Werkstoff, der
aus dem ersten Feuer der Menschheit Funken schlägt für
die Hochblüten der Kulturen. Immer wieder neue Bedeu-
tungsebenen hat unsere Verbindung erfahren. Oft sind sie
religiös geprägt, fast immer weisen sie ins Metaphorische.
Von den Steineichen im antiken Griechenland, aus denen
die Götter sprechen, über Ovids Metamorphosen, Bud-
dhas Erleuchtung unter der Pappel-Feige und dem
paradiesischen Baum der Erkenntnis mit seiner verbo-
tenen Frucht, bis hin zum Garten des Exils im jüdischen
Museum in Berlin; ein Labyrinth aus sechs Meter hohen
Betonsäulen mit gekipptem Boden: Nichts als Haltlosig-
keit und Chaos, von Architekt Daniel Libeskind im Wort-
sinn zum schweren Gang verdichtet, der mit jedem unsi-
cheren Schritt Körper (und Geist!) wanken lässt, darüber
ein Baumhimmel aus lebenden Ölweiden, die aus den
Säulen wachsen. Sie hüten die Hoffnung, dass es ein En-
trinnen gibt aus Angst, Vernichtung und NS-Wahnsinn.
Ein grünes Blätterdach: Es ist das Licht, das brennt, wenn
alle anderen verlöschen. Im Schlaglicht der zeitgenös-
sischen Kunst ist Bruder Baum ein Leuchtturm, dessen
Strahlkraft allein schon durch die physische Präsenz be-
gründet ist: Das Hohe, Gerade, Standhafte, Aufrechte,
Attribute, mit denen der Mensch gerne selbst auf den
grünen Zweig kommt. Dazu Rindenhaut und Blätterhaar,
die ihn zum Wahlverwandten machen, der uns seinen
Atem schenkt und die Asthand reicht. Für den Wimpern-
schlag unserer Existenz scheint sein Dasein der Ewigkeit
entwachsen, denn Bäume vermessen Lebenszyklen im
Kreisen der Gezeiten und verdichten Zeit im Inneren zu
konzentrischen Jahresringen. Was gäben wir darum,
könnten wir es ihnen gleich tun. Doch letztendlich ist es
wohl der erlösende Gedanke von Joseph Beuys, der dem
lebendigen Organismus Baum seine Dankbarkeit dafür
ausspricht, dass er für uns leidet. Ein fast schon göttli-
cher Ansatz, den auch die uralte keltische Idee nährt, dass
jeder Mensch in seinen Wesenszügen einem bestimmten
Baum zugehört. Nicht nur in diesem Kontext kann ein
Wald zum Ort tiefster Kontemplation und Selbsterkennt-
nis werden. Aber was passiert mit uns, wenn wir ihn be-
treten? Was sehen, schmecken, riechen, hören und emp-
finden wir?
Welchen Samen sie in uns zum Keimen und Wachsen
bringt, darum geht es. Was wir sehen, hören, riechen,
schmecken, empfinden, wenn wir in ihren Bannkreis
geraten. Und, ob wir danach noch dieselben sind. Der
Wald, der zwei Monate lang Grenzen verwischt zwischen
Kultur und Natur, Kunst und Architektur, Gesellschaft
und Individuum, bleibt davon unberührt. An den Ufern
ewiger Wiederkehr, denen er geweiht ist, vollzieht er
seine Bestimmung, trinkt Licht, wiegt sich im Wind, färbt
Blätter, lebt und stirbt vor unseren Augen und hält dabei
allen himmelhohen Sinn, den wir so verzweifelt suchen,
in weichen warmen Wurzelarmen.
Doch Kunst kann Blicke öffnen und Bäume können zu
sprechen, zu weinen, zu klingen und zu schreien begin-
nen. Sie können mahnen, anklagen, aufzeigen, verbin-
den, trennen, in den Himmel wachsen und den Tod in
den Ästen wiegen. Entsprechend fein verzweigt und
grenzüberschreitend vernetzt ist das Wurzelwerk an
hochkomplexen Bezügen, die Kunst und Natur aus dem
Blickwinkel einer urban geprägten Welt betrachten, die
sich im Fluss von Migration und dem Verlust natürli-
cher Ressourcen in Hochgeschwindigkeit verändert. Das
spektakuläre Kunstprojekt von Klaus Littmann im Kla-
genfurter Stadion hält diesem rasenden Wandel die lang-
sam gewachsene Beständigkeit eines typischen Kärntner
Mischwaldes entgegen, der das visionäre Bild von Max
Peintner Wirklichkeit werden lässt. Wie mit dem Skalpell
aus dem Raum geschnitten und des natürlichen Bedeu-
tungsrahmens entwurzelt, füllen mächtige, lebende Bäu-
me, gebettet auf Totholz, Moose und Farne das Spielfeld,
umfasst von Glas, Stahl und Beton „Die ungebrochene
Anziehungskraft der Natur“ zu besingen. Ist es Abgesang
oder Hymne, Klagelied oder Symphonie? Alles! Weil
der Wald alles ist. In glatter, harter, von Menschenhand
gemachter Architektur erhebt er sich, Raum und Geist
füllend, als eindringliches Sinnbild voller Poesie und
Schönheit, das uns einen Spiegel vor Augen hält. Leises
Mahnmal für unsere zerstörerische Gier, die den Ast, auf
dem wir sitzen, fast schon abgesägt hat, ist dieser Stadi-
onwald ebenso wie beseelter Hoffnungsträger und gran-
diose Intervention, die Klagenfurt souverän auf dem
Feld internationaler Beachtung pflanzt. Doch eigentlich
ist es nicht so wichtig, was „Die ungebrochene Anzie-
hungskraft der Natur“ ist.
Und sind wir noch dieselben, wenn wir ihn verlassen? Oder haben wir uns erkannt, in diesem riesigen, atmenden,
singenden Resonanzkörper, der alle unsere Erwartungshaltungen erfüllt und doch ganz für sich alleine steht in seiner
leuchtenden Stille ... Wie hat der Tischler die Buche gesehen, die erhaben wie eine Kathedrale in den Himmel greift?
Hat der Bildhauer die mächtige Eiche im Geiste schon geschnitten? Die Geigenbauerin die Krümmung der Fichte
vermessen? Und haben die Liebenden das in die Rinde eingeritzte Herz nur einander geschenkt? Oder sind sie ja doch
einen Schritt aus dem eigenen Kreis getreten und zum Echoraum geworden – für das Flüstern der Natur? Nun, es wird
wohl immer der subjektive Erfahrungsraster sein, der unser Sehen und Fühlen bestimmt.
Irina Lino
Kulturredakteurin Kärntner Krone
Sonnengeflechte der Land-Art-Künstlerin Elke Maier im Klostergarten MillstattExilgarten im Jüdischen Museum, Berlin
11. STADIEN KÖNNEN STÄDTE ZERSTÖREN
SIE ABER AUCH RETTEN
Kupferstich des Amphitheaters in Arles, das im
achtzehnten Jahrhundert als Dorf fungierte.
[Bild: JB Guibert/Wiki Commons]
Piazza dell’Anfiteatro in Lucca Bild: Ukususha/iStock
Kaohsiung National Stadium, Taiwan
[BILD: chungphoto/Shutterstock]
Stadien sind eine der ältesten Formen urbaner Architek-
tur: Von Olympia bis Rom waren Stadien schon lange vor
den mittelalterlichen Kathedralen und den Eisenbahnsta-
tionen der industriellen Revolution im Zentrum westli-
cher Städte zu finden.
Heutzutage betrachtet man Stadien allerdings mit wach-
sender Skepsis. Die Baukosten können über eine Milli-
arde Dollar betragen, und insbesondere Stadien, die für
riesige Events wie die Olympischen Spiele oder den FIFA
World Cup errichtet werden, werden oft bald nicht mehr
genutzt und verfallen.
Das muss jedoch nicht passieren. Die Geschichte zeigt
uns, dass Stadien die urbane Entwicklung ankurbeln
und sich der Kultur jedes Zeitalters anpassen können.
Architekten und Städteplaner finden neue Wege, die ein-
seitig benutzbaren Sportarenen, die symbolisch für die
Modernisierung des zwanzigsten Jahrhunderts wurden,
zu adaptieren.
WANDLUNGSFÄHIGE AMPHITHEATER
Das Amphitheater von Arles, Frankreich, in dem 25.000
Zuschauer Platz finden, ist wahrscheinlich das beste
Beispiel, um zu zeigen, wie wandlungsfähig Stadien sein
können. Das 90 n. Chr. von den Römern erbaute Am-
phitheater wurde nach dem fünften Jahrhundert zu ein-
er Festung mit vier Türmen und später in ein Dorf mit
mehr als 200 Häusern umfunktioniert. Als das Interesse
an der Erhaltung alter Bauten im neunzehnten Jahrhun-
dert stieg, wurde das Bauwerk in eine Stierkampfarena
umgebaut.
Die imposante Arena von Verona, Italien, in der 30.000
Zuschauer Platz haben, wurde sechzig Jahre vor dem
Amphitheater in Arles und vierzig Jahre vor dem Kolos-
seum errichtet. Es hat die Jahrhunderte überdauert und
wird heute aufgrund der erstklassigen Akustik als einer
der heiligen Tempel der Oper angesehen.
Die Forschungsarbeit von Taisuke Kuroda von der
Kanto Gaukin Universität hat gezeigt, dass die Piazza
dell’Anfiteatro in Lucca (Fassungsvermögen: 10.000
Besucher) ein weiteres eindrucksvolles Beispiel für ein
Amphitheater ist, das in das Stadtgefüge eingegliedert
wurde.
Architekten wie Herzog & De Meuron, Zaha Hadid Ar-
chitects und Toyo Ito sehen jedoch Möglichkeiten, dass
Stadien zur Verbesserung von Städten beitragen könnt-
en. Unter den aktuellen Strategien scheinen sich zwei
besonderen Erfolgs zu erfreuen: das Stadium als urbanes
Zentrum, und als Kraftwerk.
Es gibt die Tendenz, Stadien mit öffentlichen Flächen und
Einrichtungen, die eine Funktion außerhalb des Sports
haben, wie Hotels, Einzelhandelsverkaufsstellen, Kon-
gresszentren, Restaurants und Bars, Kinderspielplätzen
und Grünflächen auszustatten. Solche Entwicklungen
mit vielfältiger Nutzung verstärken Kompaktheit und
Multifunktionalität, sodass Grund und Boden effizient-
er genutzt werden und sich urbane Räume regenerieren
können.
So wird der Raum für Familien und einen breiteren
Querschnitt der Mittelklasse geöffnet, anstatt sich aus-
schließlich nach Sportlern und deren Unterstützern zu
richten. Im Vereinigten Königreich gibt es viele solche
Beispiele: Die Anlagen mit gemischter Nutzung in Wem-
bley und das Old Trafford sind zum Vorbild vieler an-
derer Stadien auf der Welt geworden. Und die Fulham
FC Riverside Stand Sanierung, die in den nächsten zwei
Jahren fertiggestellt werden soll, wird die Uferpromenade
mit Wohngelegenheiten und Einzelhandel erweitern.
POWERING UP
Das Konzept, Stadien als Kraftwerke zu nutzen, rührt
von der Idee her, dass Energieprobleme gelöst werden
können, indem man zusammenhängende Gebäude mit
hilfe eines intelligenten Stromnetz integriert. Das ist ein
Stromversorgungsnetzwerk, das digitale Kommunika-
tionstechnik verwendet, um ohne signifikanten Energie-
verlust lokale Veränderungen im Verbrauch festzustellen
und darauf zu reagieren. Stadien sind für diesen Zweck
ideal, da ihre Überdachungen eine große Oberfläche für
die Installation von Photovoltaik-Paneelen bieten und sie
hoch genug liegen (höher als 40 m), um Micro Wind Tur-
binen einzusetzen.
Das Freiburg Mage Solar Stadium ist das erste einer
neuen Generation von Stadien, die als Kraftwerke dienen,
andere Beispiele sind die Amsterdam Arena und das
Taiwanesische Kaohsiung National Stadium.
Taiwans Kaohsiung National Stadium, das 2009 eröffnet
wurde, hat 8,844 Photovoltaik-Paneele, die bis zu 1.14
GWh Elektrizität jährlich erzeugen. Das reduziert den
jährlichen CO2-Ausstoß um 660 Tonnen und versorgt
bis zu 80 Prozent der umliegenden Gebiete, wenn das
Stadion nicht benutzt wird. Dieses Beispiel zeigt, dass ein
Stadium seiner Stadt von Nutzen sein und einen deutlich
positiven Einfluss im Zusammenhang mit der Reduktion
des CO2-Ausstoßes haben kann.
Stadien bleiben der unsterbliche Motor der Stadt. In jeder
Ära hat das Stadion neuen Wert und Nutzen erlangt: von
der Militärgarnison zum bewohnten Dorf, vom öffentli-
chen Raum zum Theater, und zuletzt Experimentierfeld
für fortschrittliche Technologien. Jetzt erfüllt das Stadi-
on, anstatt sich wieder in Etwas anderes zu verwandeln,
zahlreiche Funktionen, die Städten ermöglichen, eine
nachhaltige Zukunft zu gestalten.
Alessandro Melis ist Hauptdozent im Fach Nachhaltige
Städte an der University of Portsmouth. Dieser Artikel
wurde von The Conversation unter einer Creative Com-
mons Lizenz wiederveröffentlicht.
Originalartikel:
https://theconversation.com/stadiums-arent-fated-to-
disrepair-and-disuse-history-shows-they-can-change-
with-the-city-109076
Die Piazza hat sich ähnlich wie ihr Pendant in Arles en-
twickelt, und wurde schrittweise vom Mittelalter bis zum
19. Jahrhundert mit Gebäuden gefüllt, die verschiedena-
rtige Nutzungen erfuhren, unter ihnen Wohnhäuser, ein
Salzlager, ein Pulvermagazin und ein Gefängnis. Aber
anstatt sich wieder zu einer Arena zurückzuentwickeln,
wurde sie zu einem vom romantischen Architekten Lor-
enzo Nottolini entworfenen Marktplatz. Heute sind die
Ruinen des Amphitheaters integriert in die Geschäfte
und Wohnungen, die den öffentlichen Platz umgeben.
EIN PLATZ FÜR DIE ÖFFENTLICHKEIT
Es gibt viele Ähnlichkeiten zwischen modernen Stadien
und den historischen Amphitheatern, die für Wettkämp-
fe vorgesehen waren. Die Flexibilität solcher Arenen ging
jedoch anfangs des 20. Jahrhunderts teilweise verloren,
als man anfing, Stadien mit neuen Materialien wie Stahl
und Stahlbeton zu errichten und mit grellem Licht für
Nachtmatches auszustatten.
Viele moderne Stadien befinden sich in städtischen
Außenbezirken, sind ausschließlich für sportliche Nut-
zung ausgelegt und von großen, betonierten Parkplätzen
umgeben. Diese Faktoren können sie für die Allge-
meinheit schwerer zugänglich machen, erfordern einen
höheren Energieaufwand und tragen zur Bildung von ur-
banen Hitzeinseln bei.
12. Max Peintner, „Die ungebrochene Anziehungskraft der Natur“,
Bleistiftzeichnung 1970/71, handkoloriert von Klaus Littmann 2018,
Unikat in Serie
13. DER BOTSCHAFTER DER BÄUME
Enzo Enea,der international renommierte Landschaftsarchitekt und
Schöpfer des weltweit einzigen Baummuseums, konnte für die Gestal-
tung des Stadionwaldes gewonnen werden.
Jede Zeit hat ihre Herausforderungen. Eine der größten
Herausforderungen unserer Zeit ist der Klimawandel.
Eine Herausforderung, die nicht in der technischen
Komplexität besteht, sondern eine reine Frage der
Prioritäten ist. Nach Jahrhunderten des technischen
Fortschritts ist es an der Zeit, den Menschen daran zu
erinnern, dass er Teil der Natur ist und ohne sie nicht
überleben kann. Das Projekt For Forest von Klaus Litt-
mann ist genau so ein Projekt und spricht Enzo Enea
damit aus dem Herzen.
„Ohne Bäume kein Leben“
ist Eneas einfache, aber eindringliche Botschaft, die er
mit seinen Projekten der Enea GmbH in die Welt hin-
austrägt. Mit ein Grund dafür, warum Klaus Littmann
auf den Landschaftsarchitekten aufmerksam wurde. Als
Littmann erfahren hat, dass Enea an seinem Hauptsitz in
Rapperswil-Jona ein Baummuseum errichtet hat, war für
ihn klar, für die Kulturintervention in Klagenfurt den fa-
chlich richtigen Partner gefunden zu haben.
In gemeinsamer Mission wollen Littmann und Enea
den Menschen den Ernst der Lage klarmachen. Max
Peintners 1970/71 entstandene Zeichnung „Die un-
gebrochene Anziehungskraft der Natur“ galt noch als
verrückte Dystopie, aber der beschleunigte Klimawan-
del und die schleichende Abnabelung des Menschen
von der Natur lassen unruhig in die Zukunft blicken.
Einer für alle
DerWaldempfängtjedengleich.ErentfaltetseineWirkung
bereits auf den ersten Schritten. Zivilisationsgeräusche
weichen Naturgeräuschen, im Gegensatz zur Stadt ist
der Weg nicht vorgegeben sondern will gewählt werden
und der Blick an den Horizont, der dem Menschen ein
gewisses Gefühl der Grösse gibt, wird von Riesen verstellt.
Diese Riesen sind die Bäume, die seit zirka 300 Millionen
Jahren unseren Planeten mitgestalten. Sie geben uns Luft,
Lebensraum und Werkstoff. Und sie ertragen stoisch das
Einwirken der Menschen. Erst langsam begreifen wir,
dass Bäume auch Lebewesen sind. Lebewesen, die Leben-
sräume brauchen genau wie wir. Bäume geben uns diesen
Raum. Das können wir aber nur, solange wir sie lassen.
„Vor allem aber müssen wir uns über
eines im Klaren sein – wir brauchen die
Natur, sie aber braucht uns nicht.“
Wie der Wald ins Stadion kommt
Dank seiner jahrzehntelangen Erfahrung mit der Pflege,
dem Transport und der Verpflanzung von Bäumen
wissen Enzo Enea und sein Team von Spezialisten genau,
wie sie ihren Teil zum Gelingen der grössten Kunstinter-
vention Österreichs beitragen können.
Ausgangpunkt des Konzepts war es, einen idealen
Mischwald im Stadion zu kreieren. Die von Enea gestalt-
ete Komposition umfasst die verschiedenen Typologien
des Waldes, wie er in Kärnten vorkommen kann.
Die Entstehungsdauer eines Waldes beträgt mehrere
Generationen. Während dieser Zeit bilden sich Mikrole-
bensräume, Symbiosen mit Tieren, Pilzen und Pflanzen.
All diese Vernetzungen, Lebenszyklen und Proportionen
gilt es zu verstehen, bevor man sie zitieren kann. Hil-
freich für das Verständnis der lokalen Vegetation sind
auch die Gespräche mit lokalen Förstern und Biologen.
Gemeinsamer Lebensraum
Enzo Enea möchte über das Kunstprojekt von Klaus Litt-
mann die Menschen für die Wichtigkeit und Fragilität
der Natur im Allgemeinen und des Waldes im Speziel-
len sensibilisieren. Schließlich hat jede Handlung Aus-
wirkungen auf das gesamte Ökosystem.
„Ich freue mich, kann
ich dank diesem Projekt
den Menschen vom Wald
vorschwärmen.“
For Forest Lagerplatz, Klagenfurt
Entwurf für Baumgruppierung For Forest
Enzo Enea, Landschaftsarchitekt
14. Corrado: Kärntn werd a, wenn da Klaus Littmonn dos
mocht, sich an Noman in Kunst- und Ökologiekreis’n moch’n.
Erika: Des wär’ ma gor nit so wichtig. Für mi is dos Projekt a
Denkanstoß. Naturkunde pur. Vor Ort und spektakulär.
Peter: A teira Denkonstoß.
Corrado: Und wos hot dos Stadion bis heit’ gekost’?
Und dabei is drin gor nit so oft Fuaßboll g’spült word’n.
Franz: A blede Frog: Is des übahaupt Kunst?
Erika: I würd’ sogn, jo. Nämlich Kunst amol ondas.
Franz: Ja e, a teirare.
Pia: Kost’ des den Steiazohla überhaupt wos?
Corrado: I hätt’ do noch a Frog’: Wenn des uns gor nix
kost’n tat, warst Du donn noch imma dageg’n, Fronz?
Franz: Jo. Aus Prinzip.
Pia: Prinzip is imma donn,
wenn ma ka Argument mehr hot.
Corrado: Auweh; der wor guat, Pia.
Franz: Es geht also wieda amol geg’n an Monn,
der zu seina Meinung steht.
Rosi: Wir respektier’n Dei Meinung.
Corrado: Sölbstvaständlich.
Franz: Was haßt do, amol wos Onderes?
I brauch’ nix Onderes!
Rosi: Wenn Du amol Dein zwölf Johr’ oltn Whiskey
bestöllst, hört ma a von Dir imma: Amol wos Onderes…
Franz: Des is do nit dessölbe. I kann des bezahln.
Und muass nit Bam in an Fuaßballföld mitfinanzier’n.
Pia: Und wer hot Dir g’sogt, dass Du des muasst, ha?
Franz: Parteifreind holt…
Peter: Mei Chef sogt des a. Und de san überhaupt nur
zwa Monat’ durt, hot a g’sagt.
Erika: A, möchst epa, dass se länga durt steh’n?
Franz: Gor nit soll’ns durt steh’n. Das is jo a Zweckentfremdung…
Corrado: Und wenn da Christo dos Berlina Reichstogs-Gebäude
in Tiacha einpockt, ist des a a Zweckentfremdung?
Peter: Olta, wer is da Christo?
Corrado: A weltberühmta Künstla ...
Franz: Wöltberühmt? I hob noch nia von dem g’hört …
Rosi: Auf jedn Foll tat des Wörthersee-Stadion donn a
weltberühmt werd’n.
Erika: Ka Frog.
Pia: Mia leb’n in ana Demokratie.
Peter: Und i respektier’ sie nit nur; i teil’ sie a.
Erika: I stöll damit fest: 4 zu 2. A schen’s Fuaßboll-Resultat.
Franz: Jo, drei Frau’n und a Künstla gegn zwa Realist’n.
Erika: Des hob’ i jetzt nit g’hört.
Pia: Fronz, mia leb’n nit nur in ana Demokratie,
sondern a im anezwanzigst’n Johrhundat.
Peter: Er hot’s jo nit so g´mant.
Franz: Entschuldige, des wor übaflüssig.
So wia Bam in an Fuaßbollstadion.
Erika: Hortnäckig is a. Wia a aufsässiga
Rechtsateidiga im Fuaßboll.
Franz: Wos vasteht’s Ihr denn schon von Fuaßboll?
Corrado: A Prohaska bin i nit grod, ob immahin waß i,
doss dos Fuaßbollstadion in Frankfurt Woldstadion g’haßn
hot. Und hot’s nit a in Pasching a Woldstadion geb’n?
Peter: I glab’, mit solche Witz’ kumma da Soch’ nit näha.
Pia: Die Idee stommt jo von an Tirola Künstla
nomens Max Peintner. Der hot a Zeichung g’mocht,
auf der a Wold im Protastadion steht.
Rosi: Der hot holt „im Prota blüh’n wieda die Bäume“
wörtlich g’nomman.
Erika: Wia da Littmonn die Zeichnung.
Peter: Intaressiert mi nit …
Erika: Die Natur is dos größte Schauspül, dos größte Event
übahaupt auf dera Wölt. Warum soll sie nit in an
Fuaßbollstadion a klans Gostspül geb’n?
Corrado: Klaus Littmonn hot sich vapflichtat, vülleicht
hot a jo a Sponsor’n?
Franz: Wer is da Sponsor, ha?
Corrado: Dos waß i doch nit.
Auf jed’n Foll nit unsa Steiabehörde.
Pia: I bin a bissl in da Wölt umakumman. Mant’s ihr,
unsare Gest schau’n sich in da Fremd’n ane Fuaßbollstadien on?
De woll’n olte Bauwerke und große Kunstobjekte seg’n.
Franz: I bin do ka Tourist.
Erika: De an san dafür und die ondan san dageg’n.
Dos is doch wia a Parteigezänk. Nemmas doch a
bissale lockera.
Corrado: Dos Projekt is für Kärnt’n und Östareich a
Chance. Basta, Schluss und a Ruah’ is.
Rosi: Erika hot Recht.
Untaholt’ ma uns a bissl entsponnta.
Erika: Olso guat. I bestell’ jetzt für´n Fronz, damit
a sich wia im Grünan fühlt, an Veltlina.
Pia: Und i spendier’ dem Peter an Lindnbliatntee.
Die reinste Kroft da Natur.
Peter: Donn gib i fia Erika a Red Bull aus.
Aus Solzburg, da Fuaßbollhochburg. Und fia Rosi an
Likör Crème de Banane.
Rosi: Wia kummst auf an Crème de Banane?
Peter: Noch nia wos von ana Bananenflanke g’hert?
Und Du, Pia, wüllst an Screwball?
Franz: Hert’s doch mit dem Scheißdreck auf! (Laut):
Monika, bring’ sechse von mein’ Zwölfjährig’n
zum Stommtisch! Und zwor glei! Und fia Di a an!
Erika: Da Fronz scheit wieda amol kane Kost’n…
Ein uriges Landgasthaus. Heute am Stammtisch: Franz, der Bauunternehmer; Erika, die Lehrerin;
Pia, die Reiseleiterin; Corrado, der Künstler; Rosi, die Telefonistin; Und Peter, der Heizungstechniker.
Autor: Robert Stalder Bearbeitung: Hannes Möβlacher
„im Prota blüh’n
wieda die Bäume“
Dos Projekt is für Kärntn
Basta, Schluss und a Ruah is.
17. DER WALD ALS BESCHÜTZER
VOR NATURGEWALTEN
Der Klimawandel kommt Österreich teuer: Acht Milliarden Euro kosten uns bereits
die Folgen der Erderwärmung. Klimaforscherin Helga Kromp-Kolb über den Wald als
natürlicher Schutz vor Muren und Hochwasser, über das Verschwinden der Fichten,
Konsumdruck, Diversität und Bäume als CO2-Speicher.

von Thomas Leitner
Österreich ist ein Land der Wälder. Warum ist es so
wichtig, den Waldbestand bei uns und weltweit zu er-
halten?
Dem Wald kommen weltweit und auch in Österreich
viele Funktionen zu. Bei uns ist vielleicht die Schutzfunk-
tion als wichtigste zu nennen, denn die Täler sind zuneh-
mend von Naturgefahren bedroht – zunehmend, weil der
Klimawandel im alpinen Gelände durch Gletscherrück-
gang und Auftauen des Permafrosts Instabilitäten ver-
schärft wird. Der Wald ist aber auch Wasserspeicher, und
damitHochwasserschutz,eristLebensraumvielerTier-und
Pflanzenarten, er ist Wirtschaftsfaktor und spielt eine
wichtige Rolle als Erholungsraum.
Das Projekt Stadionwald soll auf die Bedeutung der
Wälder hinweisen. Welche Punkte halten Sie für die
wichtigsten für unsere Gesellschaft, die Ökologie?
Nachhaltiges Wirtschaften ist eine Grundvoraussetzung
für die Zukunftsfähigkeit unserer Zivilisation – und wir
haben für die Transformation nicht viel Zeit. Wälder kön-
nen vorzeigen, dass Nachhaltigkeit nicht ewiges Wachs-
tum bedeutet, sondern auch Platz machen für Neues. Im
Übrigen ist Forstwirtschaft nicht per se nachhaltig, sonst
hätte ja Freiherr Carl von Carlowitz den Begriff gar nicht
erst prägen müssen. Es ist wichtig, dass das (auch von den
Forstleuten) verstanden wird, denn nur dann wird das ei-
gene Tun kritisch betrachtet.
Österreich hat eine neue Klimastrategie.
Wird genug unternommen, um gegen den Klimawan-
del anzukämpfen?
Dass es eine Klima- und Energiestrategie gibt, ist ein
Fortschritt – es müssten jetzt auch Schritte folgen und
Mittel verfügbar gemacht werden, um die darin ent-
haltenen Maßnahmen auch umzusetzen. Das würde zur
Erreichung der Pariser Ziele oder gar dem im letzten
IPCC Bericht urgierten 1,5°-Grad-Ziel nicht reichen, es
müsste also nachgebessert werden. Die logische Fort-
setzung wäre die für 2020 vorgesehene Steuerreform zu
einer ökologischen Steuerreform zu machen.
Der Klimawandel bietet nicht nur Nachteile, sondern
auch Chancen. Wie lassen sich die Vorteile zu unseren
Gunsten nutzen, in welchen Bereichen sehen Sie die
größten Chancen für Österreich?
Ich sehe die größte Chance, die der Klimawandel bietet,
in der Notwendigkeit nachzudenken, uns zu besinnen,
welche Werte uns eigentlich wichtig sind. Dann kom-
men wir drauf, dass wir eigentlich diesen Konsumdruck
und das dahinter stehende Wirtschaftsdenken weder
brauchen noch wollen. Die lauen Abende, die der Kli-
mawandel beschert, wären für solche Überlegungen
bestens geeignet.
Welche Alternativenergien sehen Sie als die zukunfts-
trächtigtsten?
Es ist meines Erachtens wichtig, von erneuerbarer Ener-
gien zu sprechen, denn in der Sprache der EU gehört zu
den Alternativen auch die keineswegs nachhaltige Kern-
energie. Es geht jedenfalls um einen Mix erneuerbarer
Energien - es sollte jeweils die an dem betreffenden
Standort geeignetste Form primär genutzt werden
(Sonne, Wind, Wellen, ...). Biomasse hat vor allem als
speicherbare Energie Bedeutung und sollte nicht für den
ständigen Bedarf genutzt werden. Aber parallel muss
die Energieeffizienz deutlich angehoben werden, und es
muss geprüft werden, wofür die Energie eingesetzt wird.
Einsparung ist die sauberste Form der Energie und das
Potential ist auch in Österreich enorm hoch.
Welche Rolle kommt den Wäldern im Zusammenhang
mit dem Klimawandel zu?
Wald ist ein wichtiges Element im Klimaschutz und in
der Klimaanpassung: Wald speichert CO2 und liefert
erneuerbare Energie, Baumaterialien und Zellulose und
andere Grundstoffe, die sonst mehr oder weniger kli-
maschädlich hergestellt werden müssen. Er trägt zum
Schutz vor Hochwasser, Muren, Hangrutschungen, Stein-
schlag und Lawinen bei und bietet einen Erholungsraum
für Menschen, in den man vor der Hitze in den Städten
fliehen kann – und das ohne wesentliche Treibhausgas-
emissionen.
Wie helfen Bäume gegen die Erderwärmung?
Der österreichische Wald speichert zirka 800 Millionen
Tonnen Kohlenstoff. Das entspricht der 40-fachen Menge
der jährlichen Treibhausgasemissionen. Wichtiger ist
allerdings der Zuwachs an Wald: Bis etwa 2003 hat er
15 Prozent der Treibhausgasemissionen Österreichs ent-
sprochen. Inzwischen sind die Einschläge gestiegen, und
auch das Verrechnungssystem wurde leicht modifiziert,
sodass der Wald derzeit in der Treibhausgasbilanz Öster-
reichs praktisch keine Rolle mehr spielt. Das ist im Ös-
terreichischen Sachstandsbericht Klimawandel 2014 aus-
führlich beschrieben.
Wie hat sich die Forstwirtschaft in Zeiten des Kli-
mawandelsverändert,wiewirdsiesichnochverändern?
Der Klimawandel, insbesondere Temperaturanstieg und
veränderteNiederschlagsregime,setzenvielenBaumarten
des Waldes zu. Es gibt Karten, die zeigen, wie dramatisch
sich die klimatische Eignung der verschiedenen Regionen
Österreichs für bestimmte Baumarten ändern wird. Die
Fichte, als derzeit wichtigste Baumart in Österreich, wird
zum Beispiel, außer in höheren Lagen, weitgehend ver-
schwinden. Dazu kommen günstigere Bedingungen für
manche Schädlinge, wie etwa den Borkenkäfer, und mehr
Zerstörung durch Extremwetter. Die Forstwirtschaft steht
daher vor der schwierigen Frage, welche Bäume jetzt ge-
pflanzt werden sollen, die jetzt schon gedeihen, aber die
Klimaänderungen der kommenden 100 Jahre auch mit-
machen. Diversität wird hier eine wichtige Rolle spielen
(ich hoffe, auch im Stadion!).
Helga Kromp-Kolb ist emeritierte Universitätsprofessorin für Meteorologie und Klimatologie an
der Universität für Bodenkultur, Wien, wo sie auch das Zentrum für Globalen Wandel und Nach-
haltigkeit gründete und leitete. Als Universitätslehrerin und Forscherin liegt ihr Schwerpunkt bei der
Umweltmeteorologie, insbesondere Schadstoffausbreitung in der Atmosphäre und Klimawandel. Sie
befasst sich auch mit Fragen der nachhaltigen Entwicklung, der Transformation der Gesellschaft, der
Bildung für nachhaltige Entwicklung und dem notwendigen Paradigmenwechsel in Wissenschaft und
Gesellschaft. Sie war maßgeblich an der Gründung des Climate Change Centers Austria (CCCA) sowie
der Allianz Nachhaltige Universitäten in Österreich beteiligt.
18. Jean Tinguely und Klaus Littmann,
Installation Unnatural Bodies von Jim Whiting, Basel
Wer in Basel wohnt, wer Basel besucht, wird alle paar
Jahre oder Monate an ausgewählten Orten überra-
schende Kunstwerke antreffen: Fassaden erhalten raffini-
erte Farbabfolgen, eine Gasse verändert durch hohe
Tücher die gewohnte Proportion, Lastwagen fahren mit
aufrüttelnden Bildern von Basel durch Europa. Im Fach-
jargon nennt man dies „künstlerische Interventionen im
öffentlichen Raum“. Erfinder, Initiator und Realisator
ist Klaus Littmann. Vor Jahrzehnten organisierte er als
Galerist in Basel zahlreiche Ausstellungen. Heute arbeitet
er mit Künstlern fernab vom marktorientierten Kunstbe-
trieb. Wer ist der Mann, der bei wechselnden Tätigkeits-
feldern sich treu bleibt im Wunsch und in der Überzeu-
gung, mit Kunst eingeschliffene Seh- und Denkmuster zu
verändern?
Wir wissen: Man kann nicht mit Klaus Littmann durch
eine Strasse gehen, ohne dass ihm nicht irgendetwas
auffällt, einfällt: eine Beschriftung, ein Lichtspiel, ein
kleiner Laden. Ein Beispiel: In China hat er 1995 die Fahr-
räder gesehen, auf denen Lasten und Güter transportiert
werden. Bei jedem Gefährt tauchten Assoziationen an
Künstlerfreunde auf. Daraus ist die Ausstellung „Chi-
netik – das chinesische Tricycle zwischen Alltags-Eth-
nologie und Kunstintervention“ im Museum Tinguely
entstanden. Sie ist ein Beispiel für Littmanns Seh- und
Arbeitsweise: Beobachtungen, die später zu Kunstinter-
ventionen im öffentlichen Raum führen.
Wie nennt sich ein Mann, der Alltagsdinge als etwas
Besonderes erfasst, sie heraushebt und sie einer unge-
wohnten Wahrnehmung zuführt? Kurator, Kunstint-
endant, Ausstellungsmacher, Kulturmanager, Galerist
– oder? Littmann selber findet keine Berufsbezeichnung:
Eher so etwas wie Überzeugungsarbeiter, oder Mitstre-
iter von Künstlern. „Am schönsten war für mich das
Kompliment von Jean Tinguely: Du bist einer von uns.“
Wie kam Klaus Littmann zu seinem speziellen Kunstver-
stehen? Wurde es ihm in die Wiege gelegt? Nicht eigen-
tlich, aber es gab Vorbilder. Er erzählt, als wärs gestern
gewesen:
„Der Vater war ein linker Journalist. Er setzte sich für
Minderheiten ein. Das öffnete mir die Augen für alles,
was ausserhalb liegt. Der Kulturschub kam von meiner
Mutter. Grazita Hettinger kam aus grossbürgerlichem
Basler Haus, wurde Schauspielerin, spielte noch unter
Gründgens in Berlin. Sie nahm mich früh mit ins Theat-
er, in Konzerte. Sie und ihre Schwester, eine Pianistin,
spielten zu Hause täglich Klavier. Sie förderte mich, ohne
dass ich es merkte.
Heimlich besprach sich Mama mit meinen Lehrern,
ich sollte nicht untergehen. Unvergesslich sind mir
die sonntäglichen Mittagessen bei der Grossmutter:
unablässig heftige Diskussionen über Kunst und Politik,
Streitgespräche bis in den Abend hinein. Was habe ich
als Bub verstanden? Jedenfalls blieb ich sitzen im rauchi-
gen „Salon“ der „Grossen“, fasziniert von einer Atmos-
phäre leidenschaftlich engagierter Kultur. Die ich heute
so sehr vermisse ...“
Was tut ein junger Mann, der mit so speziellen Menschen
aufgewachsen ist? „In der Kunstgewerbeschule (heute
Hochschule für Gestaltung) in Basel war es ein Lehrer,
der mir die Initialzündung gab: Joos Hutter lehrte uns
das Staunen, die Begeisterung. Er lehrte uns den Sinn
für Materialien, für die Erfahrung von Körpern, er hat
mich regelrecht infiziert. 1969 ging er mit uns in die
Kunsthalle Basel, in die Retrospektive von Kurt Schwit-
ters. Ich weiss noch, wie er mich am Oberarm packte,
meine Nase auf die Objekte drückte: „Schau, was der alles
macht mit ganz gewöhnlichen Dingen.“ Mit meinem
kleinen Taschengeld kaufte ich den ersten Katalog,
las Namen wie Hülsenbeck, suchte weiter, entdeckte
Typografie, Sprache, Grafik, das fabelhafte installative
und literarische Werk von Schwitters, die Ursonate.“
Kurt Schwitters ist für Klaus Littmann einer der wichtig-
sten Künstler geblieben, ein Schlüssel zu seinem Arbeiten
bis heute: „Der ist so breit angelegt, das hat mich umge-
hauen. Alles kommt aus dem Leben: Humor, Freude,
Witz, Leidenschaft, Trauer. Alle Künstler, mit denen ich
zu tun habe, sind irgendwie verschwittert.“
So weit war Klaus Littmann aber noch nicht. Es folgten
Jahre in Düsseldorf, er wurde Schüler von Joseph Beuys,
nahm seine Idee der „sozialen Skulptur“ in seinen Ruck-
sack. 1972 gewann er ein dreimonatiges Stipendium in
New York, ging in der Stadt herum (wie er es auch heute
tut), wusste nicht, was er hier sollte. Da sah er erstmals
Graffiti, der Funke sprang über, er fotografierte. Die da-
raus entstandene grafische Arbeit machte ihn in Düssel-
dorf zum Meisterschüler.
ERFINDER, INITIATOR
UND REALISATOR
Seit über 30 Jahren fällt Klaus Littmann mit
seinen ungewöhnlichen Kunstprojekten auf.
Annemarie Monteil & Raphael Suter
Das grosse Stilleben, Tinguely Museum Basel, 2004
19. Wieder in Basel, holte ihn Niklaus Morgenthaler, der
damalige Direktor der Kunstgewerbeschule Basel, als
Lehrer in seine Schule. Littmann unterrichtete „Farbe
+ Form“ an der Textilfachklasse. Am Montagmittag ass
man traditionell mit den Kollegen in der Kunsthalle. Am
Nebentisch sass Felix Handschin, der originelle Galerist
von der Bäumleingasse, und wollte wissen, wer der Neue
da sei. Es klang aggressiv, aber man kam ins Gespräch.
Nach vielen Stunden befand Handschin, der Junge solle
ihm in der Galerie helfen, zahlen könne er nichts. Ein
Jahr lang lernte Littmann die lichten und dunklen Seiten
der Galeriearbeit kennen, dann verabschiedete er sich;
zu abenteuerlich war dort das Leben. Als aber Handschin
später die Galerie aufgeben musste, bat er Littmann, die
Räume zu übernehmen: keine Klamotten, nichts anderes
an die Bäumleingasse als Kunst. Littmann stieg ein.
Künstler und Publikum waren misstrauisch. Vor der Ge-
fahr, blosser Nachahmer zu werden, befreite Littmann
die Zusammenarbeit mit Werner Jehle in den Jahren 1982
bis 1993. Jehle war Kunsthistoriker und Dozent an der
Kunstgewerbeschule Basel und an der ETH Zürich. In
seinen Vorlesungen über Film und Alltagskultur erweit-
erte er die Kunstgeschichte unter dem Stichwort „visuelle
Kommunikation“. Werner Jehle gehört Littmanns ganze
Bewunderung: „Meine zweite wichtigste Initialzünd-
ung. Werner konnte über den Isenheimer Altar so seriös
schreiben wie über das Sechstagerennen in Zürich. Er
lehrte mich, was Alltagskultur ist. Bis heute sind meine
Projekte eine Art Hommage an Werner Jehle.“
„Fussball in der Vitrine“ hiess 1982 die erste Ausstellung
Jehle/Littmann. Die beiden gingen vor wie Ethnologen,
dieFussballentdecken,ausgraben,inTeilezerlegen,einen
Schuss Dada beigeben. Das Publikum reagierte fasziniert
und irritiert. Hier wurde ein Thema aufgegriffen, das ei-
gentlich in ein Gewerbemuseum gehört hätte. Es folgten
weitere Ausstellungen, die man heute der soziokulturel-
len Forschung zurechnen würde, die aber amüsanter und
vielschichtiger waren. Immer in Zusammenarbeit mit
Werner Jehle wollte man „Themen nicht aus-, sondern
zur Diskussion stellen“.
Move for Life, 2006-2011
In seiner Neugier ist Littmann öfter der Zeit voraus. 1995
reiste er nach China und zeigte ein Jahr später die in der
Schweiz völlig unbekannte zeitgenössische chinesische
Ölmalerei, zuerst in seinen Ausstellungsräumen und dann
– China überhaupt zum ersten Mal – an der Art 27’96.
Kein einziges Bild wurde verkauft. Heute sind die Werke
von Yue Minjun und anderen ein Vielfaches wert. Litt-
mann selber kaufte damals auch kein Bild, ihm fehlte das
Geld. „China now“ wurde dafür in Japan gezeigt vor dem
politischen Hintergrund damals eine kleine Sensation.
Ob die weite Welt, ob Basel intim: Die Sorgfalt bleibt sich
gleich. „Le Musée sentimental de Bâle“ führte der Stadt
1991 eine Geschichtsausstellung vor Augen, wie sie diese
noch nie gesehen hatte. Das Raritätenkabinett von über
1000 Objekten sprengte die Grenzen der Galerie und zog
ins Museum für Gestaltung. Von Prunkobjekten aus dem
Münsterschatz bis zu Alltagsgegenständen und allen
Brillen von Karl Jaspers erzählten die Dinge historische,
charmante und schreckliche Geschichten. Die mit Daniel
Spoerri erarbeitete Ausstellung bleibt in der Erinnerung
haften, der Katalog ist eine gesuchte Rarität.
Zum „Auto in der Vitrine“ schrieb Klaus Littmann 1983,
es gehe um einen „Kulturbegriff, der über die traditionel-
len Künste hinausreicht und alle Lebens-Äusserungen
einschliesst“. 30 Jahre später bleibt er seinem Anliegen
treu. Was einst mit Werner Jehle begann, ist heute sichtbar
für jeden Bewohner Basels: Seit Jahren erfindet der Ein-
zelkämpfer Littmann immer wieder ein neues Projekt,
eine neue Überraschung. Man könnte die Interventionen
im öffentlichen Raum bezeichnen als „Gegengeschichten“
zum Galerie- und Kunsthandelsbetrieb. Kommerziell
sind die Projekte nicht ausnutzbar, Verkäufe sind kaum
möglich. Und der Ruhm hält sich in Grenzen. Allerdings
verlieh ihm der Kanton Basel Stadt 2002 den Kulturpreis.
Eine Pioniertat war die Einrichtung von „Bimbo Town“
in der alten Stückfärberei. Jim Whiting schuf mit seinem
Team ein surreales Szenarium, das manche als faszinier-
ende Kunst, andere einfach als attraktiven Nachtclub er-
lebten. „Bimbo Town“ wurde 1993 zu einem der weltweit
besten Clubs erkoren und später dennoch geschlossen.
Klaus Littmann hatte ihn als Provisorium konzipiert und
dabei sollte es bleiben.
Er formuliert, was man als sein Credo bezeichnen könnte:
„Es wird viel zu viel für die Ewigkeit gemacht. Wenn eine
Sache beschränkt ist, lassen sich die Menschen viel eher
darauf ein.“
Eines der spektakulärsten Projekte begann mit einem
Zufall, der bei Littmann immer mit Wahrnehmung zu
tun hat. In einer 5-Euro-Bücherkiste in Frankfurt fiel ihm
ein Buch über Tazro Niscino zu. Begeistert von der Ar-
beit des japanischen Künstlers (geboren 1960 in Nagoya,
Japan), lud er ihn nach Basel ein, wanderte mit ihm einen
Tag lang durch die Stadt, um etwas zu finden, das ihn zu
einer seiner Installationen anregen würde. Erfolglos.
Auch der nächste Tag verlief ohne Resultat. Littmann
wollte es nicht glauben: So viele Brunnen, Plätze, Skulptu-
renhatdieStadt.Erüberredetedenbereitsabreisewilligen
NiscinozueinemletztenRundgang,allein.Plötzlichstand
der Künstler in seinem Büro, er habe „es“ gefunden: „Ein
Mädchen mit Röckchen“. Littmann hat keine Ahnung.
Niscino zeigt eine Ansichtskarte des Münsters. Littmann
begreift: Das „Mädchen mit Röckchen“ steht hoch über
dem Dach des Chors des Münsters und ist ein Engel als
Wetterfahne.
Fünf Wochen residierte das „Mädchen mit Röckchen“
in seiner 25 Quadratmeter grossen Wohnstube in lufti-
ger Höhe zwischen Sofa, Bücherwand, Topfpflanzen und
Stehlampe. Stehend auf seinem Teetischchen empfing der
Engel über 30.000 Besucher.
Was Littmann als wichtig ansieht: Dass ein Projekt im
Kopf hängen bleibt, das hat sich vielfach erfüllt – und
nicht nur im Kopf, sondern in der Seele. Gewiss hat das
Ungewöhnliche, ja Absurde der Situation einiges dazu
beigetragen. Der Aufstieg über eine enge Wendeltreppe
und Baugerüste war nicht schwindelfrei, die Ankunft
auf der Plattform im leise schwankenden Häuschen ein
befreiendes Atemholen. Was geschieht im Menschen
beim Zeit- und Distanzsprung auf 37 Metern über dem
Erdboden, mit Blick auf Rhein und weiten Himmel in
Gegenwart eines Engels? Klaus Littmann sagt:
„Es ist ein Geheimnis.“
Frontside, 2001
SKULTUR, Basel 2000
Engel, 2002
Dazu gehörten Ausstellungen, die bis heute aktuell geblie-
ben sind: „Das Auto in der Vitrine“ (mit Leonardo Bez-
zola) galt 1983 dem Leitfossil Auto. „Der Bilderbuchindi-
aner“ stellte 1987 die Frage nach dem Kulturverständnis,
und „Das Matterhorn – What’s the matter?“. Er befasste
sich 1989 mit dem Entstehen nationaler Wahrzeichen.
1991 die bitteraktuellen „Drogen – Welt in Trance“ und
im selben Jahr „Schlachtfelder“ (mit Christian Vogt). Zu
jedem Thema entstanden feine kenntnisreiche Bücher,
augenöffnend, neuartig. Bleibende Beispiele fundierten
optischen und geistigen Wissens.
1986 schloss Littmann die Galerie an der Bäumleingasse
und entwickelte seine Tätigkeiten an wechselnden Orten
wie an der Elisabethenstrasse oder im St.-Alban-Tal.
Es ist fast unmöglich, sich einen Überblick über die
facettenreichen Ausstellungstätigkeiten zu machen. Da
gibt es Installationen, Interventionen, Themenausstellun-
gen, Fotodokumentationen sowie Einzelausstellungen
von schweizerischen und internationalen Künstlerin-
nen und Künstlern, berühmten, bekannten, unbekannt-
en. Und als Motto „Nicht nur: Künstler, die noch nicht
alle kennen, sondern: Künstler, wie man sie noch nicht
kennt.“ Das heisst: Die Arbeiten sind persönlich, origi-
nell, auf den Ort hin ausgewählt. Der Bogen reicht von
Eva Aeppli zu Bernar Venet, bei den Fotografen von
Anna und Johannes Bernhard Blume zu Christian Vogt.
Manche der Ausstellungen wanderten weiter in Kunst-
hallen und Museen der ganzen Welt – eine damals für
eine Galerie rare Auszeichnung.
Real Fiction Cinema, Schweiz / China, 2010-2016