1. d a t u t s i c h wa s
Friedemann hesse, Balthasar schmid
Optimiertes
Medikamentenmanagement
das Pilotprojekt «Modell titlis» hat im Bereich der Medikamentensicherheit Pioniercharakter
die stiftung für schwerbehinderte des Kantons Luzern Die wichtigsten festgelegten Ele
(ssBL) hat seit 2004 ein internes Fehlermeldesystem. mente für das neue Medikamenten
die auswertung von 2009 ergab, dass rund zwei management beinhalten:
drittel aller freiwillig gemeldeten Fehler bei der Medi- • Bezeichnung klarer Ansprechper
kation auftraten. alle Bemühungen, diese Fehlerquote son für alle Produkte und Medi
zu senken, brachten nicht den gewünschten Erfolg. kamentenfragen;
Erst durch die systematische Vorgehensweise und • Bereitstellung aller Produkte durch
den Einbezug aller beteiligten akteure im Rahmen einen Lieferanten direkt an die
des Pilotprojektes «Modell titlis» konnten die ge- Wohngruppen an 6 Tagen pro
wünschten Verbesserungen erreicht werden. Woche inkl. Notfallbelieferungen
und Entsorgung von Heilmittel
Die Bereitstellung der Medikamente in den Wohngrup abfällen;
pen soll unter Einbezug aller Beteiligten optimiert wer • Beschriftung aller Produkte mit Friedemann hesse
den. Und dies im Auftrag der Geschäftsleitung. Für die Name des Bewohners, den Inhalts
Umsetzung dieser Aufgabe wurde ein Pilotprojekt im angaben, dem Lieferdatum sowie
Wohnheim Titlis mit fünf Wohngruppen zu sieben bis optionalen Zusatzinformationen;
neun Bewohnerinnen gestartet. • Unterstützung der Mitarbeiter bei
der Umsetzung der Richtlinien
und der Ausführung der sicheren
Ziele und Erwartungen
Medikamentenabgabe;
Die SSBL erwartete vom neuen Medikamentenmanage
• Kommunikation und Datenein
ment grundlegend drei Verbesserungen:
gabeKontrolle nach dem Vier
• Erhöhung der Sicherheit: Durch das Projekt sollen
AugenPrinzip, validieren und frei
im Wohnheim Titlis der Umgang, der Transport und
geben der Identität, Qualität und
die Lagerung der Medikamente verbessert und opti
Menge der konfektionierten Medi
miert werden.
kamente;
• Optimierung der Prozesse: Es wird geprüft, ob durch
• Periodische Evaluation und Sicher Balthasar schmid
eine Teilauslagerung des Medikamentenmanagements
stellung der Abläufe in den Wohn
an einen Drittanbieter die Bedürfnisse optimaler abge
gruppen;
deckt werden können.
• Erarbeitung eines Behandlungskonsenses zuhanden des
• Klärung der notwendigen Abläufe: Im Projekt wird
behandelnden Arztes/Therapeuten;
ein konkreter Ablauf für die Implementierung des
• Kostentransparenz und klare Rechnungsstellung gegen
neuen Medikamentenmanagements erstellt.
über den Verbrauchern.
Die darauf folgende Implementierung erfolgte schritt
die wesentlichen Elemente weise. Die Apothekerdienstleistungen im Wohnheim
Über ein Dreivierteljahr hat sich die Projektgruppe wurden durch einen Zusammenarbeitsvertrag geregelt.
intensiv mit den Möglichkeiten, die zur Erhöhung der Zur Einhaltung der gesetzlichen Verordnungen und
Sicherheit beitragen könnten, auseinandergesetzt. Die rechtlichen Bestimmungen wurde hierfür der Kantons
Projektgruppe trug dazu Erfahrungen von vergleich apotheker aktiv in die Projektbegleitung mit ein
baren Einrichtungen, Experten aus dem Spitalbereich gebunden. So konnten die gesetzlichen Rahmenbedin
und diversen Firmen zusammen. In der Folge entschied gungen im neuen Konzept integriert und strukturiert
sie, ein bewährtes und marktgängiges Blistermedika in die Prozesse übernommen werden.
tionssystem zu wählen und für die Umsetzung mit einer
Apotheke als Medikamenten und Betreuungspartner
zusammenzuarbeiten.
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2. d a t u t s i c h wa s
Zusammenarbeit mit dem hausarzt Ausserhalb des Medikamentenwagens werden in den
Diese spielte bei der Einführung des Pilotprojektes eben Wohngruppen direkt keine weiteren Medikamente mehr
falls eine sehr grosse Rolle. Aufgrund mehrerer Gesprä gelagert. Der Medikamentenwagen ist abschliessbar.
che konnten hier gemeinsame Verbesserungen eingeführt Das Betreuungspersonal gibt die Medikamente und Pro
werden. Früher wurden die Wohngruppen z.B. punk dukte ab und dokumentiert diese im Erfassungssystem.
tuell begleitet. Jetzt kommt der Arzt nach einem Die Wohngruppenverantwortliche kontrolliert zusätzlich
gemeinsam erstellten Plan. Besprechungspunkte werden täglich die Abgabe auf Vollständigkeit.
vorgängig notiert und die Visiten gestalten sich für Eine gemeinsam erarbeitete Evaluation begleitet das Pro
das Wohnheim und den Arzt effizienter. jekt und überprüft die Prozesse zukünftig jährlich.
der konkrete ablauf Erkenntnisse und interpretation
Ein neu entwickeltes Datenblatt «Verordnung Arznei Sechs Monate nach Einführung des neuen Medikamen
mittel Rezept» ist die wichtige Plattform und das zen tenmanagements konnte festgestellt werden, dass die drei
trale Kommunikationsmittel für alle Beteiligten und Hauptziele erreicht werden können. Dabei wurde die
basiert auf der neu «6RplusRegel». Der behandelnde Zusammenarbeit mit den beteiligten Dienstleistern
Arzt begutachtet und visiert dabei die Therapie sowie die (Pflegefachperson, Arzt, Apotheke) als sehr professionell
und nutzbringend eingeschätzt.
Die Kooperation mit der Apotheke
Erhöhung der sicherheit
und die zeitnahe Lieferung der Medikamente
• In der Zeit von September 2010 bis September 2011
ermöglichen eine noch bessere Kontrolle. wurden 87 950 feste und flüssige Medikamentenein
heiten abgegeben. Unsere geschulten und sensibili
Änderungen auf diesem Dokument, das anschliessend sierten Mitarbeitenden rapportierten via internem
an die Apotheke übermittelt wird. Fehlermeldesystem in dieser Zeit gesamthaft 18 gene
Die Apothekerin überprüft die Medikation auf Inter relle Fehler. Die Fehlerauswertung und Optimierung
aktionen und optimiert die Therapie (Einnahmezeiten, der Sicherheit wird in enger Zusammenarbeit mit der
Einsatz von Generika) und teilt auf Wunsch die Empfeh Vertragsapotheke bewertet und im Rahmen des Quali
lungen dem behandelten Arzt und dem Pflegeteam mit. tätsmanagements – Selbstevaluation – kontinuierlich
Die PharmaAssistentin gibt die validierte Medikation verbessert. Die Grundlage der Berechnung lieferte das
auf einer Internetplattform des Blisteranbieters ein. Die QMSCIRS, dabei wurden alle rezeptpflichtigen fes
Apothekerin kontrolliert die Medikation aufgrund des ten und flüssigen Produkte einbezogen.
aktualisierten Therapieblattes und gibt die Medikation • Die Lagerung der Medikamente im mobilen Medi
frei. Die PharmaAssistentin bestellt anschliessend die kamentenwagen wird als anwenderfreundlich und pra
Blister. Der Anbieter garantiert den korrekten Inhalt der xisnah positiv beurteilt. Alle Medikamente werden
Blister. Diese tragen den Namen des Bewohners, Datum somit neu bewohnerspezifisch im abschliessbaren
und Zeitpunkt der vorgesehenen Abgabe, den Namen Medikamentenwagen gelagert, was Arbeit erspart und
der Medikamente und eine Beschreibung von Grössse zur Arzneimittelsicherheit beiträgt. Dabei ist eine ver
und Farbe der Medikamente. Die Tabletten sind somit einfachte Abgabepraxis mit dem mobilen Medikamen
bis an den PointofCare identifizierbar. tenwagen am PointofCare möglich.
Die Auslieferung der Blister zusammen mit den nicht • Die auf der Basis von Interviews durchgeführte Eva
blisterbaren Medikamenten wie z.B. Tropfen und Brause luation der Wohngruppen zeigte eine grosse Zufrie
tabletten erfolgt wöchentlich in einem mit dem Be denheit bezüglich der fachtechnischen Apotheken
wohnernamen bezeichneten Behälter direkt in die betreuung, auch erwies sich die Wahl der Ein
Wohngruppe. Dort werden alle Medikamente nach LieferantenStrategie als vorteilhaft.
der Eingangskontrolle bewohnerspezifisch im mobilen
Medikamentenwagen versorgt. Im Wagen sind für jeden Optimierung der Prozesse
Bewohner vordefinierte und gekennzeichnete Abteile • Durch die Kooperation mit der Apotheke und die
für Blister und weitere Medikamente sowie Reserve zeitnahe Lieferung der Medikamente ist eine noch
medikamente, welche vom Arzt als solche auf dem neu bessere Kontrolle möglich: Die einzelnen Tabletten
erstellten Therapieblatt (Rezept) verordnet wurden, sind bis zur Abgabe an den Bewohner identifizierbar,
eingerichtet. was zusätzlich zur Arzneimittelsicherheit beiträgt.
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3. d a t u t s i c h wa s
abb. 1 Vergleich des Gesamtlager-
Anzahl der Einheiten
bestandes vor (2009) und nach 0 100 200 300 400 500 600 700 800
(2010) der Einführung des neuen
Medikamentenmanagementsystems Jahr vor 2009
«Modell titlis».
Jahr nach 2010
rezeptpflichtige Medikamente nicht rezeptpflichtige Medikamente Anwendungen und Produkte
• Durch die beeindruckende Reduktion der Einheiten spricht im mittleren Aufwand einer durchschnittli
um 56% wird die Abgabe der Medikamente wesent chen Ressourcenoptimierung und Zeitreduktion von
lich einfacher und übersichtlicher. Die Abbildung 1 60%, zugunsten des Kernauftrages der Begleitung und
weist einen Unterschied der Lageroptimierung auf. Betreuung unserer Bewohnerinnen.
Die Lagermenge an rezeptpflichtigen Medikamenten
wurde von 358 um 77% auf 83 Einheiten reduziert. Klärung der notwendigen abläufe
Die Lagermenge an nicht rezeptpflichtigen Medika • Mittels internes QMS sind die Prozesse und Abläufe
menten sank von 121 Einheiten um 40% auf 73. des neuen Medikamentenmanagementsystems allen
• Die Lagermenge an sonstigen Anwendungen und Pro Beteiligten kommuniziert.
dukten, z.B. Bepanthen Plus Creme, Schnellverbände, • Im Umgang mit dem neuen einheitlichen Datenblatt
sank von 294 Einheiten um 38% auf 183 Einheiten, werden alle wichtigen Informationen an alle Beteilig
nach dem Einführungen des neuen Medikamenten ten auf einer Oberfläche zur Verfügung gestellt.
managements. • Der Prozess der Abgabesicherheit wird durch die
• Die Reduktion des Lagers bedeutet einen geringeren Pflegefachperson auf einem Formular zur jeweiligen
Ausfall durch Verfall. Zudem ist eine klare Kosten Tageszeit dokumentiert. Zusätzlich erfolgt eine
transparenz bei allen Produkten für unsere Bewohner/ Doppelkontrolle durch die tagesverantwortliche Mit
innen und deren gesetzliche Vertretungen und Ange arbeiterin.
hörige sichergestellt. • Die periodischen medikamentenspezifischen Schulun
• Die fehleranfällige und zeitraubende Arbeit der Be- gen fördern die Aufmerksamkeit der Mitarbeitenden
reitstellung von Medikamenten entfällt durch die für alle Aspekte der Medikation. Die erhöhte Wach
Auslagerung zum grössten Teil. Die Abbildung 2 zeigt, samkeit trägt zur ständigen Verbesserung der Medika
dass aufgrund des neuen Medikamentenmanagements mentenabgabe bei.
im Durchschnitt pro Wohngruppe und Monat sechs • Für die weitere Ausdehnung des Projekts wurden kon
Arbeitsstunden eingespart werden konnten. Dies ent krete Abläufe erstellt.
en.)
abb. 2 Vergleich der arbeitsstunden Arbeitsstunden pro Monat
vor (2009) und nach (2010) Ein- 0 2 4 6 8 10 12 14
führung des neuen Medikamenten-
managementsystems «Modell titlis». Wohngruppe 1
(aufwand pro Monat und wohngruppe
für bestellen, rüsten, kontrollieren,
Wohngruppe 2
dokumentieren und instruieren.)
Wohngruppe 3
Wohngruppe 4
Wohngruppe 5
Arbeitsstunden in 2009 Arbeitsstunden in 2010
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4. d a t u t s i c h wa s
Ein positives Fazit
die apotheke der Zukunft
Wohnheime und Institutionen sind gegenüber Dritten
Am 30. November und 1. Dezember 2011 wird im
verantwortlich für korrekte Verabreichung von Arznei
Casino Kursaal in Interlaken die Rolle der Apotheke in
mitteln. Dabei sind die gesetzlichen Verordnungen und den nächsten 10 Jahren diskutiert: aus Sicht der Politik,
Auflagen zu berücksichtigen. der Kostenträger sowie der Apotheker selber. In Key-
Die Begutachtung und Analyse des aktuellen Medika notes, Plenarsessions und interaktiven Workshops wer-
mentenmanagements erwies sich als sehr sinnvoll: Sie den ausserdem spezifische Herausforderungen beleuch-
zeigte umgehend die Schwachstellen in allen wichtigen tet wie das elektronisch vernetzte Patientendossier, die
Bereichen auf. verstärkte interdisziplinäre Zusammenarbeit, die Rolle
Die Umstellung wurde von allen Beteiligten mitgetra des Apothekers zwischen stationärer und ambulanter
gen und zeigte die gewünschten Resultate bezüglich der Betreuung.
Fehlerreduktion, der grösseren Arzneimittelsicherheit, 1. Schweizerischer Apothekerkongress. Die Apotheke der
genaueren Abgabepraxis, der Reduktion der Lagermenge Zukunft: interdisziplinäre Zusammenarbeit und Entwick-
sowie einer Zeitersparnis. lung von spezialisierten Dienstleistungen. Weitere Infor-
Im Bereich der Zusammenarbeit konnte bei den beteilig mationen: http://gsasa-pharmasuisse2011.ch/
ten Dienstleistern Pflegefachperson, Arzt, Apotheker ein
guter Konsens erreicht werden: Die Zusammenarbeit
willkommene Pionier-arbeit
funktioniert heute gut. Einen wesentlichen Beitrag leis
Wir gratulieren unseren Kollegen Schmid und Hesse zu
tet das neu eingesetzte und vom Apotheker kontrollierte
ihrer Arbeit über das Medikamenten-Management in
Blistersystem, welches eine zu jedem Zeitpunkt identifi einem Wohnheim für Schwerbehinderte im Kanton
zierbare Medikation sicherstellt. Luzern. Mit bestehenden Technologien (Medifilm ®),
Der Apotheker trägt in Zusammenarbeit mit Wohn einer sehr systematischen Vorgehensweise, dem Einbe-
heimverantwortlichen, Pflegefachpersonen sowie dem zug von allen wichtigen Akteure (Pflegefachpersonen,
behandelnden Arzt wesentlich zur Optimierung der Arzt, Apotheker, Drogist und Dienstleistungsanbieter),
Arzneimittelsicherheit und Lebensqualität bei. und unter Berücksichtigung der legalen Rahmenbedin-
gungen haben sie eine unbefriedigende und kosten-
intensive Situation verbessert und Vorgehen sowie erst-
Der Artikel erschien am 28. August 2011 im pharmaJournal. malige Resultate rapportiert.
Eine Beobachtungsstudie liefert per definitionem weniger
stringente Evidenz, doch sie bildet die Wirklichkeit viel
besser ab. Wird sie sauber geplant und durchgeführt,
ist ihr Erfahrungswert gross und sie wird oft Inspiration
für weitere Untersuchungen. Jede wissenschaftliche
Methode hat ihre Stärken und Schwächen. Der grösste
Teil des Erfahrungsschatzes, insbesondere das gesamte
Korrespondenz: epidemiologische Wissen, stammt aus Beobachtungs-
Friedemann Hesse studien, die wo immer möglich mit kontrollierten, dafür
Institutionsleitung Wohnheim Titlis meist wirklichkeitsferneren Studien überprüft werden
Stiftung für Schwerbehinderte Luzern sollen.
Rathausen, 6032 Emmen Wir möchten unsere Kolleginnen und Kollegen einladen,
dem Beispiel der Herren Schmid und Hesse zu folgen. Die
friedemann.hesse@ssbl.ch
vorgetragene Arbeit hat einen Pioniercharakter, der Bei-
fall und Anerkennung von allen Apothekern verdient.
Dr. Balthasar Schmid
Dr. Isabelle Arnet, Prof. Dr. Kurt Hersberger, Prof. Dr.
See-Apotheke
Rudolf Bruppacher, Pharmaceutical Care Research
Kapellplatz 1, 6004 Luzern Group, Universität Basel
seeapotheke@drschmid.ch
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