1. Seite 24 LEIPZIG SPEZIAL Sonnabend / Sonntag, 13./14. Februar 2010
Leipziger Internet-Unternehmen Unister will schneller wachsen: Aber statt eines neuen Hauses für 1400 Jobs gibt es nur Ärger mit der Kommune
Sind 36,8 Meter Höhe für ein neues Bauwerk in der das alte Rektoratsgebäude der Universität oder die 1) Unister-Projekt, Baujahr offen, Höhe 36,8 Meter; 5) Europahaus, Baujahr 1929, Höhe 53 Meter; das Doppel-M-Signet 95 Meter;
Leipziger City zu viel? In dieses – schon etwas ältere ebenfalls schon verschwundenen LWB-Wohnblöcke 2) Oper, Baujahr 1864, Höhe 52 Meter; 6) Gewandhaus, Baujahr 1981, Höhe 33 Meter; 9) Museum der bildenden Künste, Baujahr 2004,
– Luftbild von der Innenstadt wurde der aktuelle Ent- am Brühl zu sehen. Doch die gelben Punkte weisen 3) Krochhochhaus, Baujahr 1927, Höhe 43 Meter 7) Unister-Nachbargebäude vom Novotel, Baujahr Höhe 36 Meter;
wurf für die Unister-Zentrale an der Ecke Goethestra- auf Gebäude in der Nähe hin, die ähnliche Größen (mit Glockenmännern 46 Meter); 2000, Höhe inklusive Turm 33 Meter; 10) Interpelz-Haus, Baujahr 1966, Höhe 40 Meter
ße/Brühl 76 hineinmontiert. Zwar sind ringsum noch haben wie das Unister-Projekt oder darüber liegen: 4) City-Hochhaus, Baujahr 1968, Höhe 142 Meter; 8) Wintergartenhochhaus, Baujahr 1969, Höhe ohne Fotomontage: Luka Kalkof Architektur
Historie Architektur
Georgenhalle und
Reichsgerichtssitz
Streit um drei Meter Jury lobt kompaktes
Bild mit Kolonnade
Auf dem Grundstück des Unister-Vor-
Millionen-Projekt an der Ecke Brühl / Goethestraße liegt seit Monaten auf Eis Am 1. Juli 2009 entschied sich eine fach-
habens gab es prominente Vorgänger- Absurd ist ein Wort, das Konstantin habe es seitdem gegeben, berichtet chende Änderungen einreichten, die erteilen würden, gegen die Anrainer kundige Jury einstimmig für den Entwurf
bauten. Vor 1856 gehörte das Areal mit Korosides bei diesem Thema häufig ge- Christian Albrecht, Baumanager bei Stadt diese aber nun als „nicht geneh- erfolgreich klagen können.“ des Leipziger Architekturbüros Luka
dem Frauen-Kolleg zur Universität. Mit braucht. Der Sprecher von Unister, ei- Unister. Nach langem Hinhalten und migungsfähig“ abschmetterte, so Al- Bei den im Herbst überarbeiteten Kalkof. In der Begründung sehr gelobt
dem Abriss des Waisenhauses St. Georg ner der erfolgreichsten Leipziger Inter- nur vagen Auskünften durch die Stadt- brecht. „Wir erhalten nie verlässliche Entwürfen würden die Nachbarhäuser wurden unter anderem der „kompakt
wurden der Brühl und die Goethestraße netfirmen, die bei Reise-Vermittlungen planer habe er im November 2009 Aussagen. So kann kein Investor pla- „nur noch wie Spielzeug aussehen“, so gegliederte neue Stadtbaustein, der sich
verbunden. 1857 entstand die Georgen- enorme Umsätze erzielt, findet es zum geglaubt, nun sei der Durchbruch nen.“ Laut Unister-Chef Thomas Wag- Heike Scheller, Sachgebietsleiterin Mitte durch eine plastisch klar strukturierte,
halle: eine Fleischverkaufshalle. Von Beispiel „absurd“, dass in Dubai gerade endlich erreicht. „Bei einer gemein- ner hat der Zeitverzug bereits 80 Jobs im Stadtplanungsamt. „Dabei sind wir ruhige Fassade auszeichnet“. Die turm-
1879 bis 1895 – also bis zum Umzug an ein Gebäude mit 800 Metern Höhe und samen Beratung schlug der Leiter des in Leipzig gekostet (siehe Interview). mit einer Traufhöhe von 23 Metern be- artige Ausprägung der Ecke Brühl /Goe-
den Simsonplatz – war dort auf Geheiß 160 Etagen eröffnet wurde. In Leipzig Stadtplanungsamtes Wolfgang Kunz Zur Nedden betont, bei den Hinwei- reits an die Grenzen dessen gegangen, thestraße betone den repräsentativen
Bismarcks der zentrale Standort des hingegen ringe Unister seit Monaten vor, das Höhenproblem durch eine sen im November habe es sich um Prüf- was die Innenstadtsatzung erlaubt.“ Eingang ins Gebäude und korrespondie-
Reichsgerichts. Daher auch der Name mit der Stadtverwaltung um die Frage, zweite Trauflinie und einen baulichen aufträge gehandelt. Im Dezember habe Schon die Wettbewerbsjury habe den re selbstbewusst mit dem benachbarten
eines Cafés „Zum Fürst Reichskanzler“. ob die neue Firmenzentrale am Brühl Rücksprung ab dem siebten Geschoss er sich erneut mit Unister getroffen. Investor gewarnt, „die Qualität des Ent- Brühl-Forum, hieß es weiter. „In Anleh-
Später nutzten die Stadtwerke das Ge- 76 am höchsten Punkt 36,8 Meter mes- zu lösen.“ Zudem hätten Kunz und Einen weiteren Termin im Januar, für wurfs durch eine Maximierung der ge- nung an die historische Architektur der
bäude – bis zur Kriegszerstörung 1943. sen darf. Das wären etwa drei Meter Baubürgermeister Martin zur Nedden den die Stadt neue Vorschläge erwar- planten Baumasse zu gefährden“. Leipziger City wird eine klassische Glie-
Erst gut 20 Jahre danach ließ der VEB mehr als es der Siegerentwurf eines (SPD) auf den Plänen von Hand Linien tete, habe der Investor abgesagt. „Uns Sprecher Korosides empfindet es als derung der Fassade in Sockel-/Ladenge-
Chemieanlagenbau einen Neubau für Architektenwettbewerbs vorsah, den eingezeichnet, wie die Übergänge der ist diese Firma sehr wichtig, natürlich „absurd“, ein 40-Millionen-Euro-Pro- schosse sowie Ober- und Dachgeschosse
seine Verwaltung errichten. Im Sommer Unister und die Stadt im Sommer 2009 Dachlandschaft zu den Nachbarbauten auch die Arbeitsplätze“, sagt er. „Doch jekt zu behindern, nur weil der Investor vorgeschlagen, die sich auch in der Wahl
2008 verkaufte die Stadt das Areal für gemeinsam veranstalteten. harmonisiert werden könnten. wir müssen uns an Rahmenbedingun- statt zehn nun elf Etagen braucht. „Auf der Materialien (Kalkstein) an tradierten
2,5 Millionen Euro, musste die Hälfte der Etliche Treffen und mehrere Varian- Um so größer sei die Enttäuschung gen halten. Auch Unister wäre nicht ge- der Etage wollen wir 200 Mitarbeiter Vorbildern orientiert. Die Ausbildung
Summe aber an den Bund abführen. jr ten für eine einvernehmliche Lösung gewesen, als die Architekten entspre- holfen, wenn wir eine Baugenehmigung unterbringen.“ Jens Rometsch einer Kolonnade wird begrüßt.“ jr
„200 Arbeitsplätze – das interessiert bei der Stadt niemanden“
Unister-Chef Thomas Wagner spricht über Verzögerungen beim Bau der neuen Firmenzentrale, mangelhafte Unterstützung und Führungsschwäche im Rathaus
Zwischen der Stadt Leipzig und der mit Terminproblemen, denn wenn es um es nicht. Schon gar storming“ bezeich- Vielleicht hat Unister bei dem Projekt Konsens herbeizuführen, doch etwas
Internetfirma Unister ist ein bizarrer 1400 Jobs geht, ist im Stadtplanungsamt keine Aussage, wie net, das nicht belast- an der Goethestraße selbst zu wenig Konkretes kam bisher nicht heraus. So
Streit ausgebrochen. Es geht um die keine Eile geboten. Herr Jung delegiert es geht. bar wäre. Nach über Kompromissbereitschaft gezeigt? hatte ich zunehmend den Eindruck, dass
Gebäudehöhe für die geplante Unter- die Verantwortung an die Zuständigen Sie kritisieren einem halben Jahr es nicht mehr um die Sache an sich geht,
Ursprünglich wollten wir den vorhan-
nehmenszentrale an der Goethestra- und vermeidet jede Entscheidung. Wie das Stadtplanungs- Hinhaltetaktik und sondern um die Sicherung stadtinterner
denen Altbau aus DDR-Zeiten sanieren.
ße. Der Konflikt gefährdet inzwischen der Teufel das Weihwasser. Eine solche amt? über einem Jahr Fürstentümer und Pflege persönlicher
Aufgrund unserer Anforderungen haben
etliche Arbeitsplätze in Leipzig. Wir Führungsschwäche auf dieser Ebene Gesprächen wird es Eitelkeiten oder Seilschaften.
Ja, insbesondere wir uns aber später für einen Neubau,
sprachen darüber mit Thomas Wagner, hatte ich bis dahin noch nicht erlebt. nun endlich Zeit für
den Baubürger- auch zu Gunsten der Attraktivität des Ein harter Vorwurf! Den Planern geht
31-jähriger Geschäftsführer und Mit- Sein vollkommenes Desinteresse und Entscheidungen. Wir
meister Herrn Mar- Standortes, entschieden, obwohl wir des- es doch sicher zuerst ums Stadtbild?
begründer von Unister, der nur äußerst seine Untätigkeit für die Schaffung neuer hatten von Beginn
tin zur Nedden. wegen extra Wohnfläche schaffen müs-
selten Interviews gibt. Jobs ist für Leipzig desolat und für mich an auf die gebotene Hier zählt aber scheinbar nur das sub-
sen. Die Traufe liegt jetzt bei 23 Metern
schockierend. Das habe ich ihm auch Dort sagt Ihnen Eile hingewiesen, jektive Empfinden Einzelner. Bei der
und nicht mehr bei 26 wie beim Altbau.
schriftlich mitgeteilt. Mehr als eine nichts niemand, wie hoch gerade weil es um Jury-Entscheidung zum Fassadenwett-
INTERVIEW Auf Bitten der Stadt gingen wir mit den
sagende E-Mail von seinem Referenten der Neubau maxi- die Schaffung hun- bewerb saß ich neben Herrn Jung und
Neubauplänen ins Gestaltungsforum für
kam aber nicht zurück. mal werden darf? derter neuer Jobs in Herrn zur Nedden. Der zweitplatzierte
Architektur, das einen Fassadenwett-
Wie kam es überhaupt zu dem Konflikt? Leipzig geht. Entwurf vom Hamburger Büro Spengler
bewerb vorschlug, der uns weitere
Foto: André Kempner
Frage: Es ist kaum zu glauben. Wegen Es wird immer Wiescholek verfügte über eine Höhe von
Im Juli 2009 – als eine Wettbewerbsjury nur im Konjunktiv Ist Ihr Plan, ein 60 000 Euro kostete. Das Verlegen der
des Streits um ein einziges Stockwerk einstimmig den Entwurf des Leipziger Haus für 1400 Mit- 36,2 Metern. Ich fragte Herrn zur Ned-
liegen seit Monaten die Pläne für Ihren gesprochen und ge- Tiefgarageneinfahrt vom Brühl auf die
Architekturbüros Luka Kalkof zum Sieger arbeiter zu bauen, den und Herrn Jung, ob diese Gebäude-
Neubau an der Goethestraße auf Eis. prüft. Ein Problem höher gelegene Ritterstraße hätte kein
kürte – schien doch alles noch in bester nicht zu sportlich? höhe genehmigungsfähig wäre? Herr zur
Dabei geht es um ein Projekt über 40 Mil- ist, dass es für die Architekt so geplant. Auch diese An-
Ordnung. Nedden meinte, das sei kein Problem,
lionen Euro und hunderte Jobs? Leipziger Innen- Wir liegen jetzt forderung der Stadt, die zusätzlich Geld
Thomas Wagner stammt aus Dessau. In denn durch die niedrige Traufhöhe seien
Allen Jurymitgliedern war klar, dass stadt noch immer bei knapp 700 und und Parkplätze kostet, haben wir akzep-
Thomas Wagner: Ich kann das Vor- Leipzig gründete er 2003 gemeinsam mit die zurückgesetzten Dachgeschosse vom
in der Kürze der Zeit nicht alles bis ins keinen hundertpro- haben die Zahl in tiert. Ob verschwiegene Baulasten beim
gehen der Stadt selbst nicht mehr nach- vier anderen Studenten die Firma Unister. Betrachter kaum wahrzunehmen. Herr
kleinste Detail durchdacht sein konn- zentig bestätigten den vergangenen Grundstücksverkauf durch die Stadt,
vollziehen. Bei DHL, die irgendwann Jung bestätigte das. Jetzt wollen wir 0,6
te, da die Architekturbüros nur sechs Bebauungsplan gibt. Jahren immer drei- Straßenbahnleitungen, eine Trafostation
3000 Mitarbeiter beschäftigen wollen, Meter mehr als Spengler Wiescholek,
Wochen Zeit hatten. Zudem war es im Also für Investoren keine klaren Regeln, stellig erhöht. Das sind wohlgemerkt für Teile der Innenstadt im Keller oder
wurden extra eine Nachtflugerlaubnis aber da gibt es keinen Weg. Da stellt sich
Wesentlichen ein Fassadenwettbewerb. an denen sie sich ausrichten könnten. feste Jobs, hinzu kommen noch etwa 50 zahlreiche weitere Belange: Wir haben
und andere Dinge durchgeboxt. Unister die Frage ob die Herren ihr eigenes Re-
Hier sind spätere Anpassungen an den Selbst wenn man dann einmal versucht, studentische Kräfte. Bei einer Bauzeit schon sehr viel Entgegenkommen gezeigt.
möchte in dem Neubau 1400 Mitarbeiter gelwerk nicht kennen oder nach Lust
Baukörper dahinter nicht ungewöhnlich. mit Mitarbeitern des Stadtplanungsamtes von 18 bis 20 Monaten ist eine Größe um Bislang vermissen wir aber die Unterstüt-
unterbringen. Aber da streiten wir uns und Laune entscheiden.
Dennoch wusste die Stadtverwaltung im gemeinsam einen Entwurf zu entwickeln die 1400 durchaus realistisch. Andere zung der Stadt in nahezu allen Belangen,
über Geschoss- und Traufhöhen. Nachgang nur noch, was nicht geht. Er- und diesen auch abstimmt, wird dieser Städte würden solche Firmen mit aller die den Bau betreffen. Es gab zahlreiche Wie soll es nun weitergehen?
Nun hat DHL ja nicht gegenüber der klärungen, warum etwas nicht geht, gab im Nachgang einfach als „lockeres Brain- Kraft unterstützen. Leipzig nicht. Versuche, mit dem Baudezernat einen
Ich würde mir wünschen, dass Herr
Oper gebaut, wie Sie das vorhaben? Jung oder Herr zur Nedden doch noch
Die Oper mit 52 Metern Höhe ist ein Entscheidungen treffen, die den hier an-
schönes Beispiel. Wir planen gerade mal sässigen Unternehmen nützen. Zurzeit
36,8 Meter am höchsten Punkt und in sagt die Stadt, unser Vorhaben sei nicht
der Umgebung gibt es genügend Bau- nach Paragraf 34 Baugesetzbuch geneh-
werke, die ähnlich hoch oder höher sind. migungsfähig. Gleichzeitig wird vorge-
Dennoch will uns die Stadt nicht entge- schlagen, ein Bebauungsplan-Verfahren
genkommen. Sie besteht darauf, dass wir einzuleiten, welches etwa 1,5 Jahre dau-
mindestens eine Etage streichen, was 200 ert und einen ungewissen Ausgang hat.
Arbeitsplätze weniger bedeutet. Aber das Angesichts der derzeitigen Wirtschafts-
interessiert bei der Stadt niemanden. krise und Arbeitslosigkeit ist das schon
ein wenig absurd. Was das für die Zahl
Oberbürgermeister Burkhard Jung war der Jobs bei Unister in Leipzig bedeutet,
erst im November 2009 bei Ihnen zum weiß ich noch nicht. Wir haben mitt-
Firmenbesuch. Haben Sie da die Proble- lerweile auch Büros in Düsseldorf, Berlin
me nicht angesprochen? und Hamburg. Im April eröffnet Dresden,
Doch, aber im Nachgang ist nichts pas- weitere werden dieses Jahr folgen. Auch
siert. Das war verschwendete Zeit. Keines Herrn Jung habe ich sehr klar kommuni-
der besprochenen Kernprobleme wurde ziert, dass das Vorgehen der Stadt bereits
seitdem gelöst. Im Nachgang glänzte Bau- jetzt circa 80 Stellen an andere Standorte
bürgermeister zur Nedden wochenlang Jüngst abgerissen: das Bürohaus des VEB Chemieanlagenbau von 1964/65. Foto: privat Diesen Entwurf will Unister an der Ecke zum Brühl verwirklichen. Entwurf: Luka Kalkof verlagert hat. Interview: Jens Rometsch