1. Spruchverfahren aktuell - Nr. 20/2015 SpruchZ 2015 Seite 375
Recht & Praxis bei Squeeze-out-Fällen, Delisting,
Organverträgen, Fusionen und Übernahmeangeboten
Nr. 20/2015 vom 20. Oktober 2015 ISSN 2195-7274
Inhaltsübersicht
Neuregelung des Delistings:
Karami/Schuster, Anmerkungen zur Delisting-Neuregelung aus ökonomischer Sicht, S. 376
Laufende Spruchverfahren S. 381
Generali Deutschland Holding AG, Celesio AG, Homag Group AG, Sky Deutschland AG, Bien-Zenker
AG, Rütgers AG
Anstehende Spruchverfahren & Mitteilungen S. 384
GFKL AG, MeVis Medical Solutions AG
Delisting-Fälle S. 385
„Bemerkenswerte Befunde“ von Prof. Knoll
Fall 9: Beta-Faktor: Blick über den Zaun, S. 387
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Spruchverfahren aktuell
2. Spruchverfahren aktuell - Nr. 20/2015 SpruchZ 2015 Seite 376
Neuregelung des Delistings
Anmerkungen zur Delisting-Neuregelung aus ökonomischer Sicht1
von Dr. Behzad Karami und René Schuster
Der Deutsche Bundestag hat am 1. Oktober 2015 das Umsetzungsgesetz zur Transparenzrichtlinie-
Änderungsrichtlinie in der Fassung der Beschlussempfehlung des Finanzausschusses vom
30. September 2015 beschlossen. In diesem Rahmen wurde ebenfalls der Anlegerschutz beim
Rückzug eines Emittenten aus dem regulierten Markt neu geregelt. Ziel der großen Koalition ist, den
Schutz von Aktionären bei einem Rückzug ihres Emittenten von der Börse – sog. Delisting
(einschließlich Downlisting) – zu stärken. Auslöser dafür war der Beschluss des BGH in der
Rechtssache „FRoSTA“ (BGH v. 8.10.2013 – II ZB 26/12).
Der mit der „FROSTA“-Entscheidung vollzogene Paradigmenwechsel des BGH führte im sich
anschließenden Zeitraum bis zum 30. September 2015 zu einer regelrechten Rückzugswelle am
deutschen Aktienmarkt. Gemäß der unter dem Titel „Eine empirische Analyse des Kurs- und
Liquiditätseffekts auf die Ankündigung eines Börsenrückzugs am deutschen Kapitalmarkt im Lichte
der ,FRoSTA‘-Entscheidung des BGH“ veröffentlichten empirischen Studie von Karami/Schuster sowie
weiterer Untersuchungen der Autoren haben im „FRoSTA“-Zeitalter bislang 53 Gesellschaften einen
freiwilligen Rückzug vom regulierten Markt (Delisting/Downlisting) angekündigt und teilweise bereits
vollzogen. Parallel zu der Ausfertigung der vorgenannten Studie entbrannte in Wissenschaft und in
praxi ein Streit darüber, ob und – wenn ja – auf welche Weise der Schutz der Anleger im „FRoSTA“-
Zeitalter sicherzustellen sei. Während einzelne Vertreter aus der Beratungspraxis die in den
Börsenordnungen vornehmlich vorgesehene Fristenlösung, wonach der Widerruf nicht sofort,
sondern nach Ablauf einer Frist wirksam wird, als ausreichende Schutzvorkehrung betrachteten,
vertrat die überwiegende Anzahl der Fachkundigen die Ansicht, dass nach der „FRoSTA“-
Entscheidung die (Vermögens-)Interessen von Aktionären im Falle eines Börsenrückzugs nicht mehr
hinreichend geschützt seien und vor diesem Hintergrund Einzelheiten des Anlegerschutzes nicht
mehr ausschließlich den Börsenordnungen überlassen werden dürften, die nur vereinzelt ein
Pflichtangebot vorsehen.
So groß die Einigkeit hinsichtlich des grundsätzlichen Handlungsbedarfs auch sein mag, so umstritten
war (und ist nach wie vor), wie dieses Anliegen (de lege ferenda) im Detail umgesetzt werden soll. Im
Schrifttum wurden mit dem gesellschaftsrechtlichen und dem kapitalmarktrechtlichen Ansatz zwei
Gestaltungsvarianten für eine gesetzliche Regelung intensiv diskutiert, wobei der Gesetzgeber im
Hinblick auf die Verortung der Neuregelung des Anlegerschutzes einen (vorläufigen) Schlusspunkt
1
Der Beitrag ist eine Zusammenfassung der Stellungnahme der Autoren, die als PDF-Datei (inklusive
Auswertung) unter folgendem Link frei abrufbar ist: Stellungnahme_Karami/Schuster
3. Spruchverfahren aktuell - Nr. 20/2015 SpruchZ 2015 Seite 377
hinter diese kontroverse Diskussion gesetzt hat. Er hat sich de lege lata für die sog.
kapitalmarktrechtliche Lösung entschieden. Gemäß dem Gesetzesvorschlag der Koalitionsfraktionen
vom 29. September 2015 wird § 39 BörsG in Abs. 2 modifiziert sowie um die Absätze 3 bis 6 ergänzt.
Die Neuregelung gilt rückwirkend für alle Widerrufe ab dem 7. September 2015, womit das rund
zweijährige Zeitfenster geschlossen wurde, in dem ein Börsenrückzug ohne Pflichtangebot möglich
war. Im Kern hat der Gesetzgeber die Generalklausel, wonach der Zulassungswiderruf dem
Anlegerschutz nicht widersprechen darf, näher konkretisiert. Danach ist ein freiwilliger
Börsenrückzug (Delisting/Downlisting) zulässig, wenn der Emittent dem Antrag ein Angebot zum
Erwerb aller Aktien, die Gegenstand des Antrags sind, beifügt. Dieses Erwerbsangebot hat nach § 39
Abs. 3 Satz 2 BörsG-Entwurf (Änderungsantrag) entsprechend den Vorschriften des WpÜG
mindestens dem gewichteten durchschnittlichen inländischen Börsenkurs der Aktien während der
letzten sechs Monate vor der Veröffentlichung nach § 10 Abs. 1 Satz 1 oder § 35 Abs. 1 Satz 1 WpÜG
zu entsprechen. Ausnahmen von dieser Regel sieht der Gesetzgeber im Falle der in § 39 Abs. 3 Satz 3
Nr. 1 ff. BörsG-Entwurf (Änderungsantrag) genannten Tatbestände vor. Danach bemisst sich das
Erwerbsangebot (ausnahmsweise) nach dem Fundamentalwert des Emittenten, wenn an der
Aussagekraft des Börsenkurses auf Grund von unberechtigterweise zurückgehaltenen oder unwahren
Insiderinformationen, nachweisbaren Kursmanipulationen seitens des Emittenten oder des Bieters
und/oder einer Marktenge in Anlehnung an § 5 Abs. 4 WpÜG-AngebotsVO (hier bezogen auf den
Sechsmoantszeitraum) berechtigte Zweifel bestehen.
Nach Auffassung von Karami/Schuster können empirische Studien zu den wirtschaftlichen
Konsequenzen eines freiwilligen Börsenrückzugs helfen, den Anlegerschutzes stärker evidenz-
orientiert und damit effektiver auszugestalten. Vor diesem Hintergrund setzen sich die Autoren in
ihrer hier wiedergegebenen Stellungnahme zum Ziel, den zuvor skizzierten Gesetzesentwurf vom
29. September 2015 unter Beachtung der von Karami/Schuster festgestellten empirischen Befunde
aus ökonomischer Sicht zu beleuchten und dabei speziell die dort als defizitär oder inkonsistent
erachteten Textstellen aufzuzeigen und erste Änderungsvorschlage einzubringen, ohne jedoch den
Anspruch einer systematisch rechtlichen Behandlung und Beurteilung einzelner Detailfragen zu
erheben. Karami/Schuster diskutieren, ob die Stärkung des Anlegerschutzes in dem vom Gesetzgeber
vorgesehenen Umfang angesichts der im Nachgang zur „FRoSTA“-Entscheidung ermittelten Kurs- und
Liquiditätseffekte auf die Ankündigung einer Rückzugsabsicht zweckgerecht ist. Nach deren
Auffassung wäre ein ausgewogener Anlegerschutz, der einerseits den berechtigten (Vermögens-
)Interessen betroffener (Minderheits-)Aktionäre Rechnung trägt, andererseits ökonomisch sinnvolle
Börsenrückzüge nicht erschwert, wünschenswert.
Mit Blick auf ihre aktuellen Untersuchungsergebnisse ist nach Ansicht von Karami/Schuster der vom
Gesetzgeber kodifizierte – sowie vom rechtlichen Schrifttum geforderte – undifferenzierte (!)
Anlegerschutz, der das obligatorische Erwerbsangebot ohne Beachtung der konkreten
Unternehmenssituation (z. B. Anteilsbesitzkonzentration, Bestehen eines Beherrschungs- und
Gewinnabführungsvertrages etc.) ausschließlich an den Verlust der Börsennotierung koppelt, nicht
zwingend ausgewogenen im oben verstandenen Sinne. Nach Ansicht der Autoren können an dieser
Sichtweise auch die im juristischen Schrifttum überwiegend vorgetragenen – und aus rein rechtlicher
Sicht durchaus nachvollziehbaren – Argumente nichts ändern. Danach schaffe das an die
Börsennotierung anknüpfende Normengeflecht einen größeren Anlegerschutz, der auch im Falle
einer Fortsetzung des Handels im „qualifizierten“ Freiverkehr nicht annähernd erreicht werde; schon
deshalb müsse der Anlegerschutz ohne weitere Differenzierungen auch das Downlisting erfassen.
4. Spruchverfahren aktuell - Nr. 20/2015 SpruchZ 2015 Seite 378
Dies sei nach Ansicht von Karami/Schuster allerdings keineswegs zwingend, denn damit werde,
soweit ersichtlich, ohne Rückgriff auf eine gesicherte empirische Datenbasis unterstellt, dass die
Börsennotierung selbst ein den Aktienkurs und die Verkehrsfähigkeit beeinflussender Faktor ist.
Wäre dies der Fall, müsste auch die Ad-hoc-Mitteilung zum Downlisting negative Kurs- und
Liquiditätseffekte auslösen. Allerdings können gemäß den empirischen Daten von Karami/Schuster
auf die Ankündigung eines Downlisting überwiegend keine signifikanten Kurs- und Liquiditätseffekte
festgestellt werden. Vielmehr deuten die Untersuchungsergebnisse der Autoren darauf hin, dass die
Anzahl der Handelstage, die Aktienkursvolatilität sowie die Höhe des Streubesitzanteils für einen
liquiden Handel entscheidender sind als das Börsensegment.
Nach Auffassung von Karami/Schuster bestehe keine Notwendigkeit, ein Erwerbsangebot per se
vorzusehen bzw. dieses an den Verlust der Börsennotierung zu knüpfen. Vielmehr sei es geboten,
den unbestimmten Rechtsbegriff „Anlegerschutz“ am Normzweck auszulegen. Insoweit ist nach dort
vertretener Ansicht das Aktionärsvertrauen in die Börsennotierung schutzwürdig, wenn die konkrete
rechtliche und wirtschaftliche Situation dieses Vertrauen rechtfertige. Bei einem Börsenrückzug ist
ein Aktionär in zwei Bereichen betroffen: Einerseits vergrößert der Widerruf das Informationsgefälle
zwischen Geschäftsleitung und (Minderheits-)Aktionären, soweit ausschließlich im regulierten Markt
vorgeschriebene Publizitätspflichten (und sonstige aus Anlegersicht wesentliche Schutzinstrumente –
z. B. die Pflichten nach dem WpÜG) wegfallen. Andererseits ist die (wirtschaftliche) Verkehrsfähigkeit
betroffen, soweit der Aktienmarkt für den Handel vollständig wegbricht. Die ökonomische Analyse
habe sich somit darauf zu konzentrieren, ob ein Börsenrückzug unter den vorgenannten Aspekten
einen Hauptversammlungsbeschluss und/oder ein Erwerbsangebot erfordere.
Darüber hinaus schlagen Karami/Schuster – quasi als eigenen Lösungsansatz – vor, die Bestimmung
in § 31 Abs. 5 WpÜG, die der Gesetzgeber de lege lata lediglich für die Person des
Abfindungspflichtigen (gewöhnlich der Groß- bzw. Mehrheitsaktionär) vorschreibt, auch auf einen
(noch) außenstehenden Dritten zu erstrecken. Danach müsse ein potentieller Investor, der innerhalb
eines zu definierenden Zeitraums (etwa zwei Jahre) ab Wirksamkeit des Widerrufs durch
außerbörslichen Beteiligungsverkauf des (ggf. zuvor abfindungspflichtigen) Großaktionärs die
Kontrolle über das betreffende Zielunternehmen i. S. d. § 29 Abs. 2 WpÜG erlangt, verpflichtet
werden, den übrigen Aktionären ebenfalls ein Erwerbsangebot in Höhe des an den (ehemaligen)
Großaktionär bezahlten (höchsten) Kaufpreises zu unterbreiten. Auf diese Weise könne gemäß den
Erläuterungen von Karami/Schuster der im Schrifttum mehrfach betonten Gefahr einer mutmaßlich
missbräuchlichen Übernahme durch Umgehung der übernahmerechtlichen Regelungskomplexe
begegnet werden. Schließlich bliebe ein potentieller Investor, der unter wirtschaftlichen Aspekten
gewöhnlich an einer schnellstmöglichen Übernahme und Integration der Zielgesellschaft interessiert
ist und mit dem der Mehrheitsaktionär womöglich bereits vor der Widerrufsentscheidung
Verhandlungen aufgenommen hat, auch nach einem Börsenrückzug abfindungspflichtig. Somit
könnten – trotz Nichtgeltung des WpÜG – alle Aktionäre von einer eventuellen Übernahmeprämie
profitieren.
Im Kern verbindet der von Karami/Schuster definierte ausgewogene Anlegerschutz rechtliche
Aspekte und empirische Erkenntnisse. Im Ausgangspunkt sei ein Beschluss der Hauptversammlung
mit qualifizierter Mehrheit immer dann erforderlich, wenn ein Großaktionär nicht über die benötigte
Kapitalmehrheit verfügt. Diese Regelung ist nach Ansicht der Autoren sinnvoll, weil im Lichte der
5. Spruchverfahren aktuell - Nr. 20/2015 SpruchZ 2015 Seite 379
aktuellen empirischen Befunde nicht lediglich Emittenten mit einem starken Mehrheitsaktionär und
geringem Streubesitzanteil einen Börsenrückzug vollziehen. Ungeachtet dessen sei darüber hinaus
ein zusätzliches Erwerbsangebot i. S. d. kapitalmarktrechtlichen Anlegerschutzes nur dann
erforderlich, wenn das Anlegervertrauen, die Aktien jederzeit zu einem „angemessenen“ Börsenkurs
veräußern zu können, gestört sei. Ob im Falle eines Börsenrückzugs dieses Vertrauen noch
schutzwürdig sei, hänge nach Auffassung von Karami/Schuster von der faktischen Möglichkeit einer
solchen Desinvestition ab, die stets im Einzelfall anhand der gegebenen Marktsituation zu prüfen sei.
Während Karami/Schuster beim regulären Delisting ein Erwerbsangebot für sachgerecht erachten,
weil gemäß deren Untersuchungsergebnisse unmittelbar nach der Ankündigung der Widerrufsabsicht
ein signifikanter Kursverfall liquider Aktien eintrete, der es den betroffenen Aktionären regelmäßig
unmöglich mache, die durch die Ankündigung verursachten Kursverluste im Zeitraum bis zur
Wirksamkeit auszugleichen, sei bei einem Downlisting ein Erwerbsangebot nicht zwingend.
Schließlich sei hier kein spürbarer Kursverfall oder keine wesentliche Einschränkung der Ver-
kehrsfähigkeit nach Ankündigung oder Wirksamkeit der Widerrufsabsicht belegbar.
Sofern das Erfordernis eines Erwerbsangebots bejaht wird, solle sich dieses jedoch nicht am
Börsendurchschnittskurs orientieren. Gemäß den Darlegungen von Karami/Schuster sei eine
Mittelung des Börsenkurses bei ökonomischer Betrachtungsweise über (deutlich) längere – ganz
gleich, ob drei- oder sechsmonatige – Zeiträume nicht zu rechtfertigen. Auch aus der Perspektive der
schutzwürdigen Aktionäre bedeute eine Durchschnittsbildung nicht unbedingt eine Verbesserung des
Anlegerschutzes. Werden etwa im (maßgeblichen sechsmonatigen) Referenzzeitraum positive
unternehmensspezifische Informationen und/oder Informationen, die den Kapitalmarkt als Ganzen
betreffen, veröffentlicht, schlagen sich diese auch in der Kursentwicklung nieder. Gleichwohl bilde
der Börsendurchschnittskurs diese neuen wertrelevanten Informationen nur partiell ab, d. h. der
positive Trend werde durch die Durchschnittsbildung abgeschwächt. Insoweit sei ökonomisch der
Desinvestitionswert, mithin der Preis, maßgeblich, zu dem ein Aktionär seine Anteile „eine juristische
Sekunde“ vor Ankündigung der Widerrufsabsicht bei einer freien Deinvestitionsentscheidung hätte
veräußern können; ein eventuell höhere Börsendurchschnittskurs könne allenfalls die Mindest-
kompensation darstellen.
Bei Bestehen eines Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrages (BGV) zum Zeitpunkt der
Ankündigung der Widerrufsabsicht sei gemäß den Ausführungen von Karami/Schuster jedenfalls in
den in § 305 Abs. 4 AktG genannten Fristen die Unterbreitung eines zusätzlichen Erwerbsangebots
entbehrlich. Schließlich müssen Beherrschungs- und Gewinnabführungsverträge neben der Ver-
pflichtung zum Ausgleich auch eine Abfindungspflicht i. S. d. § 305 Abs. 1 AktG enthalten, die dem
„vollen“ Wert der Beteiligung, mindestens dem „Stollwerck“-Börsendurchschnittskurs entsprechen
muss. Diese Abfindung (einschließlich etwaiger Abfindungsergänzungsansprüche) könne von den
betroffenen Minderheitsaktionären der Untergesellschaft bis zum Ablauf der in § 305 Abs. 4 AktG
genannten Fristen jederzeit von der Obergesellschaft eingefordert werden. Bei dieser Sachlage löse
ein Börsenrückzug weder einen Verkaufsdruck aus noch würde eine Beeinträchtigung der
Verkehrsfähigkeit angesichts der Verkaufsoption vorliegen.
Abschließend fordern Karami/Schuster mit Verweis auf ihre empirischen Befunde eine handels-
platzübergreifende Abstimmung der Schutzinstrumente, denn gewöhnlich werde im Schrifttum das
weitere, höchst praxisrelevante Problem, dass bei einem Rückzug aus dem Freiverkehr der
Anlegerschutz nur rudimentär geregelt sei, vernachlässigt. Dies sei bedenklich, denn beim Rückzug
6. Spruchverfahren aktuell - Nr. 20/2015 SpruchZ 2015 Seite 380
(„Delisting“) aus dem Freiverkehr seien zum Teil deutlich höhere Kursverluste als beim regulären
Delisting zu verzeichnen. Aus Sicht der Börsenträger und der Emittenten möge dies unbedenklich
erscheinen, aus Aktionärssicht sei jedoch der Gedanke des ausgewogenen Anlegerschutzes nicht dort
erschöpft, wo die rechtliche Grenze zwischen börsennotierten und nicht-börsennotierten
Gesellschaften gezogen werde.
Die Langfassung mit der Auswertung der Autoren ist kostenlos abrufbar unter:
http://bewertung-im-recht.de/blog/kritische-anmerkungen-zur-neugestaltung-des-anlegerschutzes-
beim-widerruf-der-boersenzulassung
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Stellungnahme der Bundesrechtsanwaltskammer zu der zwischenzeitlich
verabschiedeten Delisting-Neuregelung
http://spruchverfahren.blogspot.de/2015/10/stellungnahme-der-bundesrechtsanwaltska.html
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„Und raus bist Du! - Anlegerschutz beim Börsenrückzug“
Kommentar von Prof. Leonhard Knoll zur Delisting-Neuregelung:
http://wirtschaftlichefreiheit.de/wordpress/?p=18136
7. Spruchverfahren aktuell - Nr. 20/2015 SpruchZ 2015 Seite 381
Laufende Spruchverfahren
Beweisbeschluss im Spruchverfahren zu dem Squeeze-out bei der Generali
Deutschland Holding AG
In dem Spruchverfahren zu dem Squeeze-out der Minderheitsaktionäre bei der Generali Deutschland
Holding AG hat das Landgericht Köln einen Beweisbeschluss gefasst (Beschluss vom 17. August 2015,
Az. 82 O 49/14). Das Gericht hat Herrn Wirtschaftsprüfer StB Dipl.-Kfm. Andreas Creutzmann (c/o IVA
VALUATION & ADVISORY AG) mit der Überprüfung der Angemessenheit der Barabfindung beauftragt.
Er soll sein Gutachten innerhalb von zwei Jahren vorlegen.
Laut dem Beweisbeschluss soll der Sachverständige eine eigenständige Bewertung des Unter-
nehmenswerts der Generali Deutschland Holding AG vornehmen. Soweit der Unternehmenswert von
ihm gemäß IDW S 1 ermittelt wird, soll das Ergebnis nach den Vorgaben des Gerichts mittels eines
marktnahen Verfahrens plausibilisiert werden. Bei der Verwendung des CAPM zur Ermittlung des
Risikozuschlags soll der Sachverständige zusätzlich eine pauschale Risikoeinschätzung vornehmen,
bei der die Risikoeinschätzung auf der Planungsseite berücksichtigt wird. Um dem Gericht die
Sensitivität prozentualer Veränderungen sowie eine Bandbreite möglicher Werte zur Verfügung zu
stellen, soll der Sachverständige zusätzlich Unternehmenswerte mit variierenden Kapitalisierungs-
zinssätzen bzw. Wachstumsabschlägen errechnen.
Die Antragsgegnerin, die Assicurazioni Generali S.p.A., hatte eine Barabfindung in Höhe von EUR
107,77 je Generali Deutschland-Aktie angeboten.
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Spruchverfahren zu dem Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag mit
der Celesio AG
In dem Spruchverfahren zu dem Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag mit der Celesio AG
hat das Landgericht Stuttgart mit Beschluss vom 25. September 2015 die eingegangenen
Spruchanträge zu dem führenden Aktenzeichen 31 O 1/15 KfH SpruchG verbunden. Herr Rechts-
anwalt Ulrich Wecker, Stuttgart wurde zum gemeinsamen Vertreter der nicht antragstellenden
Aktionäre bestellt. Der Antragsgegnerin, der McKesson Deutschland GmbH & Co. KGaA, wurde eine
Frist zur Erwiderung auf die Spruchanträge bis zum 20. Januar 2015 gesetzt.
LG Stuttgart, Az. 31 O 1/15 KfH SpruchG
NEXBTL - Neue Exklusive Bio Toys Lüllemann GmbH u.a. ./. McKesson Deutschland GmbH & Co.
KGaA
gemeinsamer Vertreter: Rechtsanwalt Ulrich Wecker, 70182 Stuttgart
Verfahrensbevollmächtigte der Antragsgegnerin:
Rechtsanwälte Linklaters LLP, 60325 Frankfurt am Main
8. Spruchverfahren aktuell - Nr. 20/2015 SpruchZ 2015 Seite 382
Spruchverfahren zu dem Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag mit
der Homag Group AG
In dem Spruchverfahren zu dem Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag mit der Homag
Group AG hat das Landgericht Stuttgart mit Beschluss vom 25. September 2015 die eingegangenen
Spruchanträge zu dem führenden Aktenzeichen 31 O 50/15 KfH SpruchG verbunden. Herr
Rechtsanwalt Dr. Peter Maser, Stuttgart wurde zum gemeinsamen Vertreter der nicht
antragstellenden Aktionäre bestellt. Der Antragsgegnerin, der Dürr Technologies GmbH, wurde eine
Frist zur Erwiderung auf die Spruchanträge bis zum 20. Januar 2015 gesetzt.
LG Stuttgart, Az. 31 O 50/15 KfH SpruchG
ABS Aktiengesellschaft für Beteiligungen und Serviceleistungen AG u.a. ./. Dürr Technologies
GmbH
gemeinsamer Vertreter: Rechtsanwalt Dr. Peter Maser, 70597 Stuttgart
Verfahrensbevollmächtigte der Antragsgegnerin:
Rechtsanwälte Hengeler Mueller, 60323 Frankfurt am Main
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Spruchverfahren zum Squeeze-out bei der Sky Deutschland AG
Das Landgericht München I hat die bislang eingegangenen Spruchanträge zu dem führenden
Aktenzeichen 5 HK O 16585/15 verbunden. Ein gemeinsamer Vertreter wurde bislang noch nicht
bestellt.
Der Squeeze-out-Beschluss war am 15. September 2015 im Handelsregister der Gesellschaft
(Amtsgericht München) eingetragen und am 16. September 2015 im Registerportal bekannt gemacht
worden. Die dreimonatige Antragsfrist endet somit am 16. Dezember 2015.
Die Sky German Holdings GmbH hatte eine Barabfindung für die Übertragung der Aktien der
Minderheitsaktionäre auf EUR 6,68 je Stückaktie festgelegt.
LG München I, Az. 5 HK O 16585/15
Coriolix Capital GmbH u.a. ./. Sky German Holdings GmbH
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Spruchverfahren zum verschmelzungsrechtlichen Squeeze-out bei der Bien-
Zenker AG erstinstanzlich ohne Erhöhung
Das Landgericht Frankfurt am Main hat mit Beschluss vom 22. September 2015 die Spruchanträge zu
dem verschmelzungsrechtlichen Squeeze-out bei der Bien-Zenker AG, Schlüchtern, zurückgewiesen.
Es hat die Beschwerde nur bei einem Beschwerdewert in Höhe von mehr als EUR 600,- zugelassen.
Nach Ansicht des Landgerichts sind die Anträge zwar zulässig, aber nicht begründet. Hinsichtlich der
9. Spruchverfahren aktuell - Nr. 20/2015 SpruchZ 2015 Seite 383
Antragsfrist bei einem verschmelzungsrechtlichen Squeeze-out hat das Landgericht entgegen der
Ansicht der Antragsgegnerin auf die Eintragung der Verschmelzung im Handelsregister der
übernehmenden Gesellschaft und deren Bekanntmachung abgestellt (S. 11).
Bezüglich der Höhe der Abfindung stellt das LG Frankfurt a.M. - wie bereits in mehreren jüngeren
Entscheidungen - maßgeblich auf den Börsenkurs als "marktorientierte Wertermittlung" und nicht
auf das in Spruchverfahren üblicherweise verwendete Ertragswertverfahren ab (Ermittlung des
Barwerts der künftigen Unternehmenserträge). Der Ertragswert sei im Verhältnis zum Börsenwert
nicht der richtigere oder "wahre" Wert, sondern lediglich ein mithilfe einer andren Methode
gefundener Wert (S. 24). Für die ausgeschiedenen Minderheitsaktionäre gebe es nicht den
Grundsatz der Meistbegünstigung (S. 13). Der Schutz der Minderheitsaktionäre erfordere es auch
nicht, im Spruchverfahren grundsätzlich neben dem gerichtlich bestellten Prüfer einen weiteren
Sachverständigen heranzuziehen (S. 15). Im vorliegenden Fall bringe die von den Antragstellern und
dem gemeinsamen Vertreter gewünschte Neubegutachtung keinen weiteren Erkenntnisgewinn. Zu
einer weiteren Sachaufklärung bestehe keine Veranlassung. Börsenkursen sei tendenziell eine
größere Aussagekraft für den "wahren Wert" des Unternehmens zuzugestehen als Schätzungen von
Sachverständigen (S. 24).
Landgericht Frankfurt am Main, Az. 3-05 O 63/14
Buis ./. Bien Zenker GmbH
53 Antragsteller
gemeinsamer Vertreter: RA Dr. Kay-Michael Schanz, 60325 Frankfurt am Main
Verfahrensbevollmächtigte der Antragsgegnerin, Bien-Zenker AG:
Rechtsanwälte Gleiss Lutz, 70173 Stuttgart
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Unendliche Geschichte: Spruchverfahren zum Squeeze-out bei der Rütgers AG
In dem seit mehr als zwölf Jahren beim Landgericht Dortmund laufenden Spruchverfahren zum
Squeeze-out bei der Rütgers AG hatte die Antragsgegnerin eine Aussetzung des Verfahrens
beantragt. Dies hatte das Landgericht mit Beschluss vom 10. Juni 2015 zurückgewiesen. Dagegen
legte die Antragsgegnerin Beschwerde ein. Diese ist nunmehr beim OLG Düsseldorf unter dem Az. I-
26 W 14/15 AktE anhängig.
Wann in diesem Verfahren eine Sachentscheidung ergehen wird, ist derzeit nicht absehbar. Mehrere
Antragsteller haben angesichts der überlangen Dauer des Verfahrens Verzögerungsrügen erhoben (§
198 Abs. 3 GVG).
OLG Düsseldorf, Az. I-26 W 14/15 AktE
LG Dortmund, Az. 20 O 513/03
Horizont Holding AG u.a. ./. Rütgers GmbH
10. Spruchverfahren aktuell - Nr. 20/2015 SpruchZ 2015 Seite 384
Anstehende Spruchverfahren & Mitteilungen
Squeeze-out bei der GFKL Financial Services Aktiengesellschaft
Auf der ao. Hauptversammlung der GFKL Financial Services Aktiengesellschaft am 6. November 2015
soll ein Squeeze-out beschlossen werden:
Vorstand und Aufsichtsrat schlagen vor, folgenden Beschluss zu fassen:
„Die auf den Inhaber lautenden Stückaktien der übrigen Aktionäre (Minderheitsaktionäre) der
GFKL Financial Services Aktiengesellschaft werden gemäß dem Verfahren zum Ausschluss von
Minderheitsaktionären (§§ 327a ff. Aktiengesetz) gegen Gewährung einer von der Garfunkel
Holding GmbH mit Sitz in Frankfurt am Main, eingetragen im Handelsregister des
Amtsgerichts Frankfurt am Main unter der Registernummer HRB 101898 (Hauptaktionärin),
zu zahlenden Barabfindung in Höhe von EUR 23,71 für je eine auf den Inhaber lautende
Stückaktie auf die Garfunkel Holding GmbH übertragen.“
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MeVis Medical Solutions AG: Zustimmung zum Beherrschungs- und
Gewinnabführungsvertrag mit der VMS Deutschland Holdings GmbH
Corporate News
Bremen, 30. September 2015 - Die gestrige außerordentliche Hauptversammlung der MeVis Medical
Solutions AG hat dem Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag zwischen der VMS Deutschland
Holdings GmbH als herrschendem Unternehmen und der MeVis Medical Solutions AG als
beherrschtem Unternehmen zugestimmt. Der Beschlussvorschlag wurde mit einer Mehrheit von
98,40 % der in der Versammlung anwesenden bzw. vertretenen Aktionäre angenommen. Der
Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag bedarf zu seiner Wirksamkeit noch der Eintragung ins
Handelsregister.
Marcus Kirchhoff, Vorstandsvorsitzender der MeVis Medical Solutions AG, betont: "Die Zustimmung
zum Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag ist ein wichtiger Meilenstein für die Zukunft der
MeVis. Er ermöglicht eine enge Zusammenarbeit zwischen MeVis und der Varian-Gruppe sowie die
Umsetzung einheitlicher Organisationsstrukturen und Strategien in einem rechtssicheren Rahmen."
Dr. Robert Hannemann, Finanzvorstand, ergänzt: "Für die außenstehenden Aktionäre schafft der
Vertrag ebenfalls besondere Schutzmechanismen wie einen Anspruch auf eine jährliche
Ausgleichszahlung von brutto 1,13 Euro / netto 0,95 Euro je Aktie oder die Möglichkeit, MeVis-Aktien
gegen eine Abfindung von 19,77 Euro an die VMS zu übertragen."
11. Spruchverfahren aktuell - Nr. 20/2015 SpruchZ 2015 Seite 385
Delisting-Fälle
Deufol SE: Delisting - Kündigung der Einbeziehung in den Entry Standard
Corporate News
Hofheim, den 12. Oktober 2015
Die geschäftsführenden Direktoren haben mit Zustimmung des Verwaltungsrates der Deufol SE (ISIN:
DE000A1R1EE6, WKN: A1R1EE) beschlossen, die Einbeziehung der Aktien der Deufol SE in den Entry
Standard (Freiverkehr) an der Frankfurter Wertpapierbörse gemäß § 23 der Allgemeinen Geschäfts-
bedingungen der Deutsche Börse AG für den Freiverkehr an der Frankfurter Wertpapierbörse zu
kündigen. Die geschäftsführenden Direktoren haben daher heute ein Kündigungsschreiben an die
Deutsche Börse AG versendet. Die Kündigungsfrist beträgt sechs Wochen. Mit Ablauf der
Kündigungsfrist wird der Handel von Aktien der Deufol SE im Entry Standard eingestellt. Bis zum
Ablauf der genannten Sechs-Wochen-Frist haben die Aktionäre die Möglichkeit, ihre Aktien im Entry
Standard zu handeln. Die Einbeziehung der Aktien der Deufol SE in den Entry Standard an der
Frankfurter Wertpapierbörse bedeutet einen für die Gesellschaft nicht unerheblichen
Kostenaufwand. Durch die Beendigung der Börsennotierung spart die Gesellschaft erhebliche Kosten
ein.
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Sachsenmilch AG: Widerruf der Zulassung zum Handel im regulierten Markt
der Börse Berlin
Ad-hoc-Mitteilung nach § 15 WpHG
Leppersdorf, 14.10.2015
Die Börse Berlin hat mitgeteilt, dass sie dem Antrag der Sachsenmilch AG mit dem Sitz in
Leppersdorf, ISIN DE000A0DRXC4, WKN A0DRXC, vom 01. Oktober 2015 stattgibt und die Zulassung
der Aktien der Sachsenmilch AG zum Handel im regulierten Markt der Börse Berlin mit Wirkung zum
10. Oktober 2015 widerruft.
Der Vorstand
12. Spruchverfahren aktuell - Nr. 20/2015 SpruchZ 2015 Seite 386
Aufsätze zum Spruchverfahren
Puszkajler/Sekera-Terplan zur Reform des Spruchverfahrens
Puszkajler/Sekera-Terplan, Reform des Spruchverfahrens?, NZG 2015, 1055 ff
Dem sehr interessanten Beitrag der beiden ausgewiesenen Autoren, ein mit Spruchverfahren
befasster Vorsitzender Richter am OLG München a.D. und ein Fachanwalt für Handels- und
Gesellschaftsrecht, liegt eine Untersuchung der im Zeitraum 2002 bis Juni 2015 veröffentlichten
beendeten Spruchverfahren zugrunde. Die Dauer der Spruchverfahren habe sich – mit regionalen
Unterschieden - deutlich verkürzt und die zugesprochenen Zuzahlungen seien – vor allem seit 2011 –
erheblich zurückgegangen.
Die Autoren diskutieren zahlreiche Reformansätze. Das OLG als Eingangsinstanz wird abgelehnt, da
dies keine spürbare Verfahrensbeschleunigung bringe und mit einer Einbuße an materieller
Gerechtigkeit verbunden sei. Sie sprechen sich für eine länderübergreifende Konzentration auf
wenige Gerichtsorte aus, etwa bei den Gerichten an den Börsenplätzen. Begrüßt wird der Vorschlag,
einen Mehrheitsvergleich einzuführen (bei einer Akzeptanzquote von 90% der Antragsteller). Die
Verfahrensdauer sei durch das SpruchG hinreichend verkürzt worden. Angeregt wird lediglich, das
Abhilfeverfahren bei der Beschwerde abzuschaffen. Durch unmittelbare Einlegung der Beschwerde
beim OLG könnten ein bis zwei Monate Zeit gewonnen werden.
Die für die Unternehmensbewertung verwendeten Daten sollten von der Antragsgegnerin in einem
"Datenraum" bereitgestellt werden, auf den ausschließlich das Gericht und ein gerichtlicher
Sachverständiger Zugriff habe. Bei strittigen Bewertungsfragen mit erheblicher Auswirkung auf den
Anteilswert solle ein mit der Bewertung noch nicht vorbefasster gerichtlicher Sachverständiger
hinzuzuziehen sein.
14. Spruchverfahren aktuell - Nr. 20/2015 SpruchZ 2015 Seite 388
a) Ist es methodisch angemessen, weitere Risikofaktoren zu berücksichtigen, wenn man eine
CAPM-basierte Bewertung durchführt?
b) Ist die Festlegung des Beta-Faktors durch eine Peer Group durch den Verweis auf „die Praxis“
zu rechtfertigen? Falls nein, welche Bedingung müsste für eine Rechtfertigung erfüllte sein?
c) Ist die Wahl des Peer Group-Betas großer Versicherungen konsistent? Welche konsistenten
Alternativen bestehen, wenn man die Verwendung einer Peer Group an sich akzeptieren
würde?
In seinem an Kritik der Klägerseite anschließenden Ergänzungsgutachten hielt der Gerichtsgutachter
zu diesem Themenkomplex u.a. das Folgende fest:
„Im Weiteren möchte ich darauf hinweisen, dass gemäß [schweizerische Rechtschreibung!]
meiner Einschätzung in keinem Fall eine Korrelation zwischen Beta-Faktor und Small Cap
Premium besteht.“
Zu diesem Thema findet sich auf S. 126 des Buchs „Unternehmensbewertung für die Praxis“,
Stuttgart 2009, von Kruschwitz/Löffler/Essler eine interessante Tabelle:
Äußern Sie sich daher noch zur abschließenden Teilaufgabe:
d) Ist die Verwendung einer Small Cap Premium bei gleichzeitigem Ansatz eines Peer Group-
Betas großer Versicherungsgesellschaften durch die nachgeschobene Aussage des
Gutachters zu rechtfertigen?
15. Spruchverfahren aktuell - Nr. 20/2015 SpruchZ 2015 Seite 389
Lösungen:
a) Das CAPM ist ein 1-Faktor-Modell. Die Verwendung weiterer Faktoren als der Marktrisikoprämie
ist konzeptionell widersprüchlich und daher abzulehnen.
b) Mit der Praxis kann das Verhalten im Rahmen eines theoretisch fundierten Modells nicht
gerechtfertigt werden. Die theoretische Vorgabe für die Verwendung eines Peer Group-Betas für
den Fall, dass das eigene Beta aus noch zu klärenden Gründen nicht zu verwenden ist, lautet
vielmehr: Für alle betroffenen Unternehmen einschließlich dem Bewertungsobjekt muss das
geschätzte Beta derselben Verteilungsfunktion unterliegen, vgl. Ziemer, ZBB 2012, S. 50.
c) Nein, denn entweder hat man eine kleine Gesellschaft mit geringem Handelsvolumen und
kleinem Beta oder aber eine große mit höherem Beta, dann kann man aber über die
konzeptionellen Gründe hinaus erst recht keine SCP ansetzen! Möchte man die beschriebenen
Widersprüche auflösen, wäre zumindest entweder das erheblich geringere Beta der kleineren
Gesellschaften mit geringerem Handelsvolumen zu verwenden oder auf die „Small Cap
Premium“ zu verzichten.
d) Keine Rechtfertigung: Entweder nimmt man das CAPM ernst, dann darf von Hause aus keine SCP
angesetzt werden, oder man betrachtet die Empirie, dann verbietet sich der Ansatz eines Durch-
schnittsbetas großer Gesellschaften für eine bekundetermaßen kleine Gesellschaft (→ die
Tabelle spricht gegen die Aussage des Gutachters)!
Fazit: Nicht nur hinsichtlich aberwitziger Fehler ist die Situation in Deutschland kein Unikat,
sondern auch hinsichtlich deren fehlender Konsequenzen: Das Gericht in der Schweiz störte sich trotz
heftiger Kritik nicht an dem offensichtlichen Widerspruch und wies die Anträge hinsichtlich einer
Erhöhung der Abfindung ab!