Bewertung, Auswahl und Priorisierung sind unausweichliche und spezifische Aufgaben von Gedächtnisinstitutionen. Es ist auch im audiovisuellen Bereich weder machbar noch sinnvoll, «alles» für die Ewigkeit aufzubewahren und die Gedächtnisinstitutionen ermöglichen mit der Bewertung eine konsistente und relevante Überlieferung für das kollektive Gedächtnis.
Archive beschäftigen sich schon seit langem mit der Frage, welche Unterlagen zwingend aufzubewahren sind und welche kassiert, d. h. vernichtet, werden können. Durch archivische Bewertung wird der überlieferungswürdige Teil übernommener Unterlagen identifiziert. Es geht also um die Identifikation derjenigen Videoaufnahmen oder Ensembles von Videos mit bleibendem Wert, welche u. a. für die langfristige Erhaltung digitalisiert werden müssen.
Die Archivistik hat verschiedene Grundsätze und Methoden der Bewertung entwickelt, die als Königsdisziplin der Archivistik gilt. Allerdings ist der archivwissenschaftliche Diskurs zur Bewertung fast vollständig auf (meist behördliche) Schriftakten ausgerichtet. Es gibt bisher kaum Theorie und Praxis zur Bewertung von audiovisuellem Kulturgut, das eine Reihe spezifischer Anforderungen an die Bewertung stellt.
Weil Video ein technisch reproduzierbares Medium ist, hat man es oft mit mehrfachen Kopien derselben Aufnahmen zu tun, die aber einen unterschiedlichen Status haben und in verschiedenen Versionen oder Generationen vorliegen. Die Identifikation des «Originals» bzw. der zu überliefernden Kopie(n) ist nicht immer einfach und neben den audiovisuellen Dokumenten spielen Begleitunterlagen eine wichtige Rolle.
Die Präsentation fasst anerkannte fachliche Grundsätze und Methoden der archivischen Bewertung zusammen und bezieht diese anhand von Beispielen auf Videobestände.
Archivierung von Video, HTW Modul Preservation and Access, Chur, 22.5.2012
Bewertung, Auswahl und Priorisierung von Videobeständen
1. Bewertung, Auswahl und Priorisierung von Videobeständen
VSA-Zyklus „Archivpraxis Schweiz“ 2018, Modul 7: Persönliche Erinnerung – öffentliches
Gedächtnis. Archivierung von Filmen und Videos aus privaten Beständen
Lichtspiel Bern, 16. November 2018
2. Programm
Bewertung von Videobeständen, VSA Archivpraxis Schweiz Modul 7, 16.11.2018
Vorbemerkungen
Worum geht es?
Begriffsklärungen
Methoden und Kriterien
Diskussion
3. Vorbemerkungen
Bewertung von Videobeständen, VSA Archivpraxis Schweiz Modul 7, 16.11.2018
Thema Bewertung hat in der Schweiz derzeit Konjunktur:
VSA Zyklus 2018 Modul 4: Überlieferungsbildung mit Einbezug
der Zivilgesellschaft
VSA Fachtagung 2018 "...denn sie wissen, was sie tun?“
Überlieferungsstrategien von Archiven
BAR publiziert Bewertungsentscheide
ArchiSelect, ou quand l’évaluation s’automatise (in: arbido
2018/2)
… et d‘ailleurs aussi en F: débat sur les #archivesessentielles
4. Vorbemerkungen
Bewertung von Videobeständen, VSA Archivpraxis Schweiz Modul 7, 16.11.2018
Bewertung ist die Königsdisziplin
der Archivistik
kaum Theorie und Praxis zur
Bewertung von AV-Kulturgut
spezifische Anforderungen
5. Vorbemerkungen
Bewertung von Videobeständen, VSA Archivpraxis Schweiz Modul 7, 16.11.2018
Deggeller, Kurt, ‘Fragen Der Bewertung und Überlieferungsbildung Im Bereich Audiovisueller Medien’, Schweizerische Zeitschrift Für Geschichte, 51 (2001), 504–512
Digital Preservation Coalition, ‘Decision Tree - Digital Preservation Handbook’ <http://dpconline.org/handbook/organisational-activities/decision-tree> [accessed 12
October 2017]
Harrison, Helen P., ‘Selection in Sound Archives’ (IASA, 1984) https://www.iasa-web.org/selection-sound-archives
Fleischhauer, Carl, and Kevin Bradley, eds., ‘IASA-TC 06: Guidelines for the Preservation of Video Recordings’, 2018 <https://www.iasa-
web.org/sites/default/files/publications/IASA-TC_06-A_20180401.pdf> [accessed 2 May 2018]
Indiana University Bloomington, ‘Why Prioritize?’, Media Preservation, 2011 <https://mediapreservation.wordpress.com/2011/12/12/why-prioritize/> [accessed 28
May 2018]
Kretzschmar, Robert, ‘Positionen des Arbeitskreises archivische Bewertung im VdA – Verband Deutscher Archivarinnen und Archivare – zur archivischen
Überlieferungsbildung’, Der Archivar, 58 (2005), 88–94
Kula, Sam, Archival Appraisal of Moving Images, in: A RAMP Study with Guidelines (UNESCO, 1983), S. 27–32
<http://unesdoc.unesco.org/images/0005/000576/057669e.pdf>
Lerman, Maya, ‘Appraisal and Priorities’, in ARSC Guide on Audio Preservation (o. O., 2015) <https://www.clir.org/pubs/reports/pub164/pub164.pdf>
Memoriav, ‘Bewertung Und Selektion’, Memoriav Empfehlungen Foto, 2017, 53–54
Menne-Haritz, Angelika, Schlüsselbegriffe Der Archivterminologie, Veröffentlichungen Der Archivschule Marburg, 20 (Marburg, Marburg)
<https://internet.archivschule.uni-marburg.de/datiii/index.html> [accessed 23 May 2018]
Messner, Philipp, and Gudrun Kling, ‘Das Projekt «Spitalfilme». Zur Archivischen Bewertung von Gebrauchsfilmen Aus Der Medizinischen Lehre’, Arbido, 2014
<http://www.arbido.ch/userdocs/arbidoprint/arbido_2_2014_low.pdf>
Oguey, Grégoire, Schneiter, Pascal, ‘ArchiSelect, ou quand l’évaluation s’automatise’, in: arbido, 2/2018, o. p. <https://arbido.ch/de/ausgaben-
artikel/2018/automatisierung-versprechen-oder-drohung/archiselect-ou-quand-l%C3%A9valuation-sautomatise> [accessed 7 November 2018]
Sidler, Franziska, ‘Erschliessung von Digitalisierten Videofiles. Erfahrungen aus Dem Projekt RüslerTV’, in: arbido, 2/2014, 40–41
Task Force to Establish Selection Criteria | International Association of Sound and Audiovisual Archives’ <https://www.iasa-web.org/task-force> [accessed 24 August
2017]
6. Worum geht es?
Bewertung von Videobeständen, VSA Archivpraxis Schweiz Modul 7, 16.11.2018
"Durch den Bewertungsvorgang verwandeln Archivarinnen und
Archivare Unterlagen des politischen Prozesses und
gesellschaftlichen Lebens in historische Quellen.“
Kretzschmar, Robert, ‘Positionen des Arbeitskreises Archivische Bewertung Im VdA – Verband Deutscher Archivarinnen Und Archivare Zur Archivischen
Überlieferungsbildung’, Der Archivar, 58 (2005), S. 91.
Identifikation derjenigen Videos oder Ensembles von Videos mit
bleibendem Wert
Primär- vs. Sekundärwert
Begleitunterlagen zu AV-Unterlagen!
Kassation (auch dokumentiert)
7. Begriffsklärungen
Bewertung von Videobeständen, VSA Archivpraxis Schweiz Modul 7, 16.11.2018
Sammlungspolitik, Übernahme,
Akquisition, Ablieferung
(archivische) Bewertung
Auswahl, Selektion
Priorisierung
Corso Variété, Aarbergergasse 40:
Maskenball, "ABC-Mädchen" (ev. Ansagerin,
Sängerin), Carl Jost, 1938; aus: Fotobestand
Carl Jost, Staatsarchiv des Kantons Bern
9. Bewertung von Videobeständen, VSA Archivpraxis Schweiz Modul 7, 16.11.2018
fachliche Prinzipien der Bewertung:
«authentische» Überlieferung
Dokumentation => Transparenz
und Nachvollziehbarkeit
Vermeidung von
Doppelüberlieferungen
Partizipation (Produzierende,
Fachleute, Nutzende etc.)
Methoden und Kriterien
Still aus: Modeschüler im Wettkampf (1006-2), Schweizer Filmwochenschau
vom 02.03.1962
10. Bewertung von Videobeständen, VSA Archivpraxis Schweiz Modul 7, 16.11.2018
Kategorien des bleibenden Werts
von Unterlagen:
Evidenzwert
Informationswert
ästhetischer oder
künstlerischer Wert
intrinsischer Wert
kommerzieller Wert
Methoden und Kriterien
Salatwettbewerb, Biel, 1955,
Dalain, Yvan, 1955; aus:
Fotosammlung Yvan Dalain,
Fotostiftung Schweiz, DAL.0747.01
11. Bewertung von Videobeständen, VSA Archivpraxis Schweiz Modul 7, 16.11.2018
Qualitative Kriterien
Bedeutung der Produzierenden
Historische Bedeutung
Soziale Bedeutung
Alter
Exemplarität
Besonderheiten des
Produktionskontextes
Rezeptionskontext
Repräsentation
Wiederverwendungswert
Methoden und Kriterien
Still aus: Amateur - Kochwettbewerb
(1385-2), Schweizer Filmwochenschau
vom 21.11.1969
12. Bewertung von Videobeständen, VSA Archivpraxis Schweiz Modul 7, 16.11.2018
Technische Kriterien
OAIS: «signifikante Eigenschaften»
(«significent properties»)
IASA TC-06: «video payload» und
technische Metadaten zur
Digitalisierung
Kompression: «lossless» vs. «visually
lossless» vs. «lossy»
Methoden und Kriterien
Still aus: Technik (0675-5), Schweizer
Filmwochenschau vom 03.06.1955
13. Methoden und Kriterien
Bewertung von Videobeständen, VSA Archivpraxis Schweiz Modul 7, 16.11.2018
Stufe Umschreibung Beispiel
Archiv Institution SRF
Bestand Produzierende/abliefernde
Stelle
Nachrichtenredaktion
Serie Sendegefäss Tagesschau
Dossier Einzelne Sendung Hauptausgabe vom
5.10.2010
Dokument Einzelne Dokumente Sendungsaufzeichnung oder
Beitrag, Zuspielungen,
schriftliche Unterlagen
Weitere Methoden
quantitative Bewertung
stufenweise Bewertung
prospektiven Bewertung
retrospektive Bewertung
automatisierte Verfahren
14. Methoden und Kriterien
Bewertung von Videobeständen, VSA Archivpraxis Schweiz Modul 7, 16.11.2018
Die angewendeten Methoden, Verfahren, Kriterien in einem
Bewertungskonzept festhalten!
15. Diskussion
Bewertung von Videobeständen, VSA Archivpraxis Schweiz Modul 7, 16.11.2018
Still aus: Du und ich - Ein Film der
Gewerkschaft Nahrung Genuss
Gaststätten, Schmidt, Karlheinz
(Regie), [Datum unbekannt]
16. Danke!
Bewertung von Videobeständen, VSA Archivpraxis Schweiz Modul 7, 16.11.2018
www.memoriav.ch
yves.niederhaeuser@memoriav.ch
+41 (0)31 380 10 87
slideshare.net/yvesnie
Still aus: Miss Schweiz 1968 (1306-2),
Schweizer Filmwochenschau vom 05.04.1968
Hinweis der Redaktion
Bild: Die Jury bei der Bewertung eines Pferdes am Marché-Concours des Chevaux, [Urheber/-in unbekannt], 01.01.1914 - 31.12.1918; aus: Fotosammlung Aktivdienst 1914 bis 1918 und Landesverteidigung, Schweizerisches Bundesarchiv, E27#1000/721#14095#3966*
Vorbemerkungen: Forschungsstand und Literatur
Begriffsklärungen: Begriffe aus dem Titel des Beitrags: archivische Bewertung vs. Auswahl vs. Priorisierung klären und einordnen
Methoden und Kriterien: Auslegeordnung versch. Herangehensweisen
Diskussion: weil wie gesagt Thema theoretisch wie praktisch unterentwickelt freue ich mich auf möglichst reichhaltige Diskussion (> genügend Zeit!)
Ich werde das Thema auf einer eher abstrakten Metaebene behandeln, um den allgemeinen Rahmen und die Grundlagen zu klären. Das ist vielleicht weniger unterhaltsam als über den Wert einzelner Dokumente zu diskutieren, scheint mir aber fruchtbarer, weil Bewertung ein Thema ist, welches in jeder Institution spezifisch angegangen werden muss.
Bilder meist nur als Illustrationen, der Beitrag zu diesem eher trockenen Thema soll so hoffentlich etwas unterhaltsamer werden…!
Ich habe mir relativ viel vorgenommen und werde vermutlich ziemlich rasch durch die Folien rauschen; bitte unterbrechen, zwischenfragen etc.!
Thema Bewertung scheint in der Schweiz derzeit Konjunktur zu haben; interessant sind dabei v. a. auch neue Ansätze wie Partizipation, Publikation (Transparenz) sowie Automatisierung
Grund für die Konjunktur ist sicher massiver Anstieg digitaler Produktion, die man mit herkömmlichen Mitteln nicht unter Kontrolle bringt
an sich nicht AV-spezifisch, aber durch die Digitalisierung werden alle Unterlagen zu Daten und dadurch verringern sich die Unterschiede
ich könnte mir vorstellen, dass AVK besonders geeignet wäre für partizipative Bewertung, weil Interesse und Neugier anregend
auch automatisierte Verfahren des Deep Learning, Data Mining etc. können im AV-Bereich erheblichen Nutzen stiften
Bewertung ist eine Kernfunktion der Archivistik, in Bibliotheken, Museen und Dokumentationszentren nicht oder völlig anders gehandhabt.
Der archivwissenschaftliche Diskurs zur Bewertung ist fast vollständig auf (meist behördliche) Schriftakten ausgerichtet.>> Es gibt bisher kaum Theorie und Praxis zur Bewertung von audiovisuellem Kulturgut, daher auch kaum Literatur; in der abgebildeten Ausgabe des arbido gibt es einen einzigen Artikel zu Foto im Museum, sonst nichts zu AV; in der abgebildeten SZG gibt es einen Artikel des ehemaligen Memoriav-Direktors zum Thema
Grund dafür ist wohl u. a. das agnostische Verständnis von Bewertung. Aber auch wenn Bewertungskonzepte eigentlich unabhängig von der Art der Unterlagen sind, stellen AV-Unterlagen eine Reihe spezifischer Anforderungen oder Fragen an die Bewertung.
Dieser Umstand hat uns veranlasst, für die in Vorbereitung befindlichen überarbeiteten Video-Erhaltungsempfehlungen ein Kapitel zu Bewertung aufzunehmen.
Mein Beitrag heute stützt sich v. a. auf dieses Kapitel, das noch unveröffentlicht ist, weshalb ich mich umso mehr über eine kritische und reichhaltige Diskussion freuen würde.
Literatur ist dispers
Hier eine nicht systematische Liste unterschiedlichster Ressourcen, die ich in unterschiedlichem Grad berücksichtigt habe
Def. vorlesen
Es geht also um die Identifikation derjenigen Videos oder Ensembles von Videos mit bleibendem Wert, welche beispielsweise für die langfristige Erhaltung digitalisiert werden müssen.
Primärwert: Wert, den Unterlagen für die Produzierenden haben, z. B. Videoaufnahmen, welche von einer Firma zu Schulungszwecken gemacht wurden
Sekundärwert: Wert, den Unterlagen für spätere, nicht vorgesehene Nutzung haben, z. B. die selben Videoaufnahmen, welche über den Umgang der Firma mit ihrem Personal Auskunft gibt
Begleitunterlagen sind oft unerlässlich für das Verständnis der AV-Unterlagen und müssen mit bewertet und überliefert werden
Ein Ergebnis der Bewertung ist die Kassation, also Vernichtung von Unterlagen, welche wie alle anderen Prozesse dokumentiert sein muss
Allgemein ist die Terminologie nicht einheitlich (v. a. sprachübergreifend und zwischen versch. Disziplinen).
Die Begriffe Auswahl oder Selektion werden oft unpräzis mit Bewertung oder Priorisierung synonym verwendet, was zu Missverständnissen führt. Ich schlage vor:
(archivische) Bewertung: Identifikation dessen, was einen Sekundärwert aufweist und deshalb archiviert werden soll, d. h. erhalten, erschlossen und zugänglich gemacht
Priorisierung ist eine der Bewertung nachgelagerte Aufgabe, welche beispielsweise im Zusammenhang eines Digitalisierungsprojekts feststellt, in welcher zeitlichen Abfolge die als erhaltungswürdig identifizierten Videos bearbeitet werden sollen. Dabei dienen praktische Fragen wie der Erhaltungszustand, drohende Obsoleszenz, Finanzierungsmöglichkeiten, Nachfrage durch Forschung oder Benutzende als Kriterien, welche bei der Bewertung weniger entscheidend sind.
Auswahl/Selektion auf Vorgehen bezüglich Vermittlungsaktivitäten oder Editionsprojekten zu beschränken, die anderen Fragestellungen und Kriterien unterworfen sind.
Sammlungspolitik: ist all diesen Prozessen vorgelagert und steuert allfällige Übernahmen oder Akquisition
Versuch, diese Begriffsklärungen zum besseren Verständnis zu visualisieren.
Erst die Bewertung macht Unterlagen zu Archivalien; dabei werden auch Unterlagen ausgeschieden bzw. kassiert
Grundlegende Prinzipien
«authentische» Überlieferung
Dokumentation und Begründung, um Transparenz und Nachvollziehbarkeit herzustellen
archivübergreifende Überlieferungsbildung in Zusammenarbeit mehrerer Archive zur Vermeidung von Doppelüberlieferungen und gegebenenfalls auch um verteilte Teilüberlieferungen zu identifizieren (> Rechte als Indiz)
wenn möglich Beteiligung der Produzierenden am Bewertungsprozess, oder eben auch andere Kreise (Fachleute, Nutzende, Forschung)
Neben diesen konkreten Kriterien spielen folgende Kategorien eine wichtige Rolle bei der Bestimmung des bleibenden Werts von Unterlagen.
Der Evidenzwert gibt Auskunft über den Produktionskontext von Unterlagen und dient deren Authentifizierung. Im Fall von Videos kann der Evidenzwert nur anhand von Metadaten und Begleitmaterialien ausreichend ermittelt und überliefert werden. Er ist eine Voraussetzung für die wissenschaftliche Auswertbarkeit von Videos und damit ein entscheidendes Kriterium archivischer Bewertung.
Der Informationswert dagegen liegt im Inhalt der Dokumente und besteht aus Fakten zu Personen, Orten und Ereignissen, welche eine Videoaufzeichnung dokumentiert.
Darüber hinaus AV-spezifische Werte
Die Bewertung sollte auch den ästhetischen oder künstlerischen Wert von Dokumenten berücksichtigen. Audiovisuelle Aufzeichnungsverfahren wurden seit ihrer Entstehung als Ausdruckmittel von verschiedenen Kunstformen verwendet. In den späten 1960er Jahren ist Videokunst entstanden, welche heute fest etabliert ist. Bei Videodokumenten mit ästhetischem Wert ist ganz besonders auf werkgetreue Überlieferung zu achten.
Abgesehen von Ästhetik kann einem Videodokument als physisches Objekt ein intrinsischer Wert innewohnen, der nicht anders als mit dem physischen Original selbst überlieferbar ist. Beispielsweise äusserlich aufwändig gestaltete Träger oder Installationen können nicht allein mit einem Digitalisat der Aufzeichnung und dokumentarischer Beschreibung des physischen Originals überliefert werden.
Kommerzieller Wert: AV-Dokumente können auch ein lukratives Handelsgut sein, was gegebenenfalls auch in die Bewertung einfliessen sollte
Die qualitative Bewertung (Methode) beurteilt die Aussagekraft von Videoaufzeichnungen für die Bildung einer konsistenten Überlieferung. Dafür dienen folgende Kriterien:
Bedeutung der Produzierenden in Bezug auf das Sammelgebiet.
Historische Bedeutung: Werden – unabhängig von der Form – wichtige politische, wirtschaftliche, wissenschaftliche, technische, soziale oder kulturelle Fakten dokumentiert?
Soziale Bedeutung: Ist – unabhängig von der Form – eine besondere Aussagekraft bezüglich der Bedeutung von Video und TV in der Gesellschaft enthalten?
Alter: Je älter ein Video, desto wahrscheinlicher, dass wenig ähnliche Videos überliefert wurden.
Exemplarität: Besonders typisches Beispiel für bestimmte Arten von Videoproduktionen.
Audiovisuelle Archive und insbesondere Rundfunkarchive berücksichtigen über die oben erwähnten Kriterien hinaus
Besonderheiten des Produktionskontextes bezüglich Technik, Form, Genre, Inhalten,
den Rezeptionskontext, z. B. umstrittene oder prämierte Produktionen,
die Repräsentation, z. B. ganze Sendungstage, um die Programmentwicklung zu dokumentieren,
und v. a. auch den Wiederverwendungswert für neue Produktionen (> kommerzieller Wert).
Videos und die meisten AV-Unterlagen sind technisch reproduzierbar, deshalb sind auch technische Kriterien wichtig
OAIS: «sigifikante Eigenschaften» («significent properties»): z. B. Steuerung von DVDs oder andere Arten der Interaktion, aber auch ganz banal Bild- und Tonqualität
IASA TC-06: «video payload» => „Begleitdaten“ im Videostream> vorliegende und neue Timecodes => Verlust bei Rewrapping!!> vorliegende Untertitel und andere Beschriftungen> „fixity“-Daten (Prüfsummen)> Erhaltungsinformationen (PREMIS)> Keyframes etc.
Kompression: kann man im weitesten Sinn auch als Bewertungsentscheid oder vielleicht komplementär zu solchem verstehen, weil allenfalls Informationsverluste in Kauf genommen werden
Bei der quantitativen Bewertung wird eine systematische, exemplarische Teilmenge (statistisch signifikanten Zufallsstichprobe) überliefert. Sie wird bei gleichförmiger Massenüberlieferung von Unterlagen mit geringer Individualität der einzelnen Dokumente angewendet. In einem Rundfunkarchiv würden dazu zum Beispiel die Tagesmitschnitte oder über einen längeren Zeitraum regelmässig produzierte Sendungen gehören, deren inhaltliche Unterschiede vernachlässigbar sind, z. B. Unterhaltungssendungen, dagegen für Informationssendungen nicht.
Die stufenweise Bewertung erlaubt eine gezielte Steuerung der anzuwendenden Methoden, Tiefe und damit des Aufwands.
Bei der prospektiven Bewertung (anhand Ordnungssystem, Registratur) wird aufgrund der vorhandenen Informationen über das Schicksal von Dokumenten entschieden, bevor sie überhaupt produziert werden. So können von einem bestimmten Sendegefäss nicht alle Sendungen überliefert werden, sondern z. B. pro Jahr 5 zufällig ausgewählte Sendungen, um einen repräsentativen Einblick in die Sendungsproduktion zu geben. Prospektive Bewertung reduziert den Aufwand wesentlich.
Die retrospektive Bewertung war über Jahrzehnte und ist auch heute noch oft der Regelfall. Für audiovisuelle Medien, deren Konsultation nur mittels Abspielgeräten und in Echtzeit möglich ist, ist das ohne ein Mindestmass an Metadaten, die bei der Entscheidungsfindung helfen, mit enormem Aufwand verbunden. Nur wenn Informationen wie Titel, Inhalt, Autor, Interpret, Aufnahmetechnik, Original vs. Kopie vorliegen ist es möglich, sich einen Überblick über den Bestand zu verschaffen und Rückschlüsse über den Erhaltungswert zu ziehen.
automatisierte Verfahren: siehe erwähntes Bsp. von StaNE, aber auch das Landesarchiv Baden-Württemberg wendet teilautomatisierte Verfahren an, welche die zu bewertenden Akten anhand verschiedenster Datenquellen im WWW abgleicht. Ich bin überzeugt, dass angesichts der in der letzten Zeit im AV-Bereich fruchtbar gemachten Verfahren des Deep Learning, KI, Data Mining etc. automatisierte Verfahren sehr bald auch für AV-Kulturgut verwendet wird.
Die angewendeten Methoden, Verfahren, Kriterien sollten unbedingt in einem Bewertungskonzept festgehalten werden!
Es handelt sich dabei um Arbeitspapiere, die laufend der Realität angepasst werden muss.
Bewertungskonzepte müssen auf übergeordnete Missionen, Strategien, Ziele etc. bezogen werden und sind daher institutionsspezifisch!
Ergibt das Präsentierte einigermassen Sinn für Sie?
Habe ich wichtige Kriterien oder Methoden vergessen oder sind genannte nicht plausibel?
Haben Sie eigene Erfahrungen mit Bewertung?