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FOTOGRAFIERTVONGUILLAUMEPERRET/LUNDI13
12•2015 | |13
Helden
GUY NOËL STEHT AM HAFEN von Nyon, schaut auf die
glitzernde Wasseroberfläche hinaus und weiter zum rund vier
Kilometer entfernten französischen Ufer auf der gegenüberliegen-
den Seeseite. Ein Fischerboot legt an. Noël grüsst den Fischer
und wechselt ein paar Worte mit ihm. Nyons Hafen ist wie ein
kleines Dorf, jeder kennt hier jeden.
„Ich kam zufällig zu den Wasserrettern“, gesteht der Präsident
der Sektion Nyon der Société Internationale de Sauvetage du Lac
Léman (SISL). Der freiwillige Wasserrettungsdienst ist seit
130 Jahren auf dem gesamten Genfersee im Einsatz. Die Sektion
Nyon ist eine der 34 Rettungsgruppen, die entlang des 200 Kilo-
meter langen Ufers auf schweizerischer und französischer See-
seite im Einsatz sind. „Ich kannte ein paar Leute, die bei der Ret-
tung mitmachten, und schaute einmal vorbei. Da hat es mir sofort
den Ärmel reingenommen.“ Das war 1974. Damals musste man
noch von zwei Mitgliedern empfohlen werden und sich ein Jahr
lang bewähren, bevor man offiziell in den Verein aufgenommen
wurde. Heute sind keine Empfehlungen mehr nötig, eine Probe-
zeit gibt es aber nach wie vor. Denn die ehrenamtlichen Rettungs-
einsätze sind sehr anspruchsvoll.
Die Hafenmauer bildet die Grenze zwischen zwei Welten.
Jenseits dieser Grenze, auf dem See, regiert die Bise. Bläst sie ➸
Guy Noël und sein Team sind zur Stelle, wenn
jemand auf dem Genfersee in Not gerät
Die Schutzengel
vom Lac Léman
VON SYLVIE CASTAGNÉ
| 12•201514
R E A D E R ’ S D I G E S T
„Wennjemand
insWasserfällt,
ziehtihndas
Gewichtder
durchnässten
Kleiderschnell
nachunten.“
stärker, treibt sie meterhohe Wellen
vor sich her. Unter solchen Bedin­
gungen erfordern die Rettungsein­
sätze viel Kraft und Konzentration.
Bereits 49­mal waren die Wasser­
retter der Sektion Nyon bis zum Ende
der Sommersaison 2015 im Einsatz.
Meistens war es nichts Schlimmes.
Manchmal sind es nur
ein paar Hobbysegler,
die nachts auf dem
Rückweg vom Ausgang
in Frankreich mitten
im dunklen See nicht
mehr weiterkommen.
Einen einzigen tragi­
schen Fall gab es dieses
Jahr zu beklagen. Ein
68­jähriger Mann fuhr
mit seinem kleinen
Motorboot von Pran­
gins aus auf den See
hinaus, um zu fischen. Etwa hundert
Meter vom Hafen entfernt fiel er ins
Wasser. Ein Passant, der den Unfall
vom Ufer aus beobachtet hatte, rief
den Hafenmeister. Dieser alarmierte
die Polizei und eilte dem Verunfall­
ten zur Hilfe. Die Polizei bot inzwi­
schen die Wasserretter auf.
Der Verunglückte war innerhalb
weniger Minuten vier Meter tief ab­
gesunken. Der Hafenmeister holte
ihn herauf, zog ihn aus dem Wasser
und begann mit der Herzdruckmas­
sage. „In weniger als einer Viertel­
stunde war der erste Wasserretter zur
Stelle und löste den Hafenmeister
bei den Wiederbelebungsversuchen
ab“, erinnert sich Noël sichtlich be­
wegt. Sie mussten aber feststellen,
dass die Lungen des Mannes mit
Wasser gefüllt waren. Die Chancen,
ihn zu retten, waren gering und er
verstarb wenig später im Spital.
Die Wasserrettungssektion Nyon
hat 224 Mitglieder, davon 72 Aktiv­
mitglieder und 20 junge
Anwärterinnen und An­
wärter in der Probezeit.
Die Sektion organisiert
regelmässig Kurse für
ihre Mitglieder: Leinen­
und Knotenkunde, Tau­
chen, Rettungsschwim­
men, Erste Hilfe. Der
Teamgeist werde zu­
dem in wöchentlichen
Rudertrainings gepflegt,
so Noël. Gerade für die
Anwärter seien die
Kurse wichtig. Sie müssten aber auch
bei den Sammelaktionen wie dem
Vereinslotto oder dem Glühwein­
verkauf mitwirken.
Den grössten Aufwand betreiben
die Wasserretter für den Rettungs­
posten. Da fast zwei Drittel der
Einsätze auf die Sommersaison ent­
fallen, ist der Posten an den Wochen­
enden von Mai bis September durch­
gehend besetzt. In der übrigen Zeit
werden Wassernotrufe über die
Nummer 117 an die Retter weiter­
geleitet. 18 Wasserretter erhalten
dann gleichzeitig einen Alarm übers
Handy oder über einen Pager. Sie
machen sich so schnell wie möglich
12•2015 | |15
Die Seeretter halten sich fit: Guy Noël
mit einem der gewonnenen Pokale des
hauseigenen Ruderclubs
auf zum Hafen. Die drei Ersten, die
dort ankommen, springen in ein
Einsatzboot, der Vierte bleibt im
Hafen am Funkgerät. Der Ablauf ist
genau festgelegt, denn im Notfall
zählt jede Minute. „Wenn jemand
ins Wasser fällt, zieht ihn das Ge­
wicht der durchnässten Kleider
nach unten“, erklärt Guy Noël.
Bereits 1885 begannen sich die
Wasserretter zu organisieren. Da­
mals waren sie noch mit Ruder­
booten im Einsatz. Die dunkelsten
Kapitel aus der traditionsreichen
und manchmal dramatischen
Geschichte des Wasserrettungs­
dienstes präsentiert das Musée
du Léman in Nyon in einer Multi­
media­Ausstellung.
Ein Unglück, das vielen Einhei­
mischen noch präsent ist, ist der
Untergang des Passagierschiffs
Fraidieu im August 1969, bei dem
24 Menschen ums Leben kamen,
darunter 14 Waisenkinder, die am
Genfersee in einem Ferienlager
waren. Schon im Jahr darauf erlitt
mit der Sainte-Odile ein weiteres
Passagierboot Schiffbruch. Nach die­
sen tragischen Unfällen wurde die
Schifffahrt auf dem Genfersee stärker
reglementiert und es wurden Sturm­
warnleuchten installiert.
In Nyon bringt man den Wasser­
rettern grossen Respekt entgegen.
Man weiss, dass der ehrenamtliche
Rettungsdienst von unschätzbarem
Wert ist. Schliesslich kann jede und
jeder irgendwann auf sie angewiesen
sein. Denn wenn der Sturm das
Wasser aufwühlt, wird es auf dem
See gefährlich. Trügerische Wellen
und heftige Windstösse können
Boote zum Kentern bringen. Mal
muss ein übermüdeter Kitesurfer
an Land gebracht werden, mal eine
Familie mit leerer Bootsbatterie.
Doch die Arbeit von Guy Noël
kennt auch heitere Seiten: zum Bei­
spiel wenn der Ruderclub der Ret­
tungsgesellschaft an Regatten teil­
nimmt oder Schwimmsportveran­
staltungen begleitet.

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Die Schutzengel vom Lac Léman

  • 1.
  • 2. FOTOGRAFIERTVONGUILLAUMEPERRET/LUNDI13 12•2015 | |13 Helden GUY NOËL STEHT AM HAFEN von Nyon, schaut auf die glitzernde Wasseroberfläche hinaus und weiter zum rund vier Kilometer entfernten französischen Ufer auf der gegenüberliegen- den Seeseite. Ein Fischerboot legt an. Noël grüsst den Fischer und wechselt ein paar Worte mit ihm. Nyons Hafen ist wie ein kleines Dorf, jeder kennt hier jeden. „Ich kam zufällig zu den Wasserrettern“, gesteht der Präsident der Sektion Nyon der Société Internationale de Sauvetage du Lac Léman (SISL). Der freiwillige Wasserrettungsdienst ist seit 130 Jahren auf dem gesamten Genfersee im Einsatz. Die Sektion Nyon ist eine der 34 Rettungsgruppen, die entlang des 200 Kilo- meter langen Ufers auf schweizerischer und französischer See- seite im Einsatz sind. „Ich kannte ein paar Leute, die bei der Ret- tung mitmachten, und schaute einmal vorbei. Da hat es mir sofort den Ärmel reingenommen.“ Das war 1974. Damals musste man noch von zwei Mitgliedern empfohlen werden und sich ein Jahr lang bewähren, bevor man offiziell in den Verein aufgenommen wurde. Heute sind keine Empfehlungen mehr nötig, eine Probe- zeit gibt es aber nach wie vor. Denn die ehrenamtlichen Rettungs- einsätze sind sehr anspruchsvoll. Die Hafenmauer bildet die Grenze zwischen zwei Welten. Jenseits dieser Grenze, auf dem See, regiert die Bise. Bläst sie ➸ Guy Noël und sein Team sind zur Stelle, wenn jemand auf dem Genfersee in Not gerät Die Schutzengel vom Lac Léman VON SYLVIE CASTAGNÉ
  • 3. | 12•201514 R E A D E R ’ S D I G E S T „Wennjemand insWasserfällt, ziehtihndas Gewichtder durchnässten Kleiderschnell nachunten.“ stärker, treibt sie meterhohe Wellen vor sich her. Unter solchen Bedin­ gungen erfordern die Rettungsein­ sätze viel Kraft und Konzentration. Bereits 49­mal waren die Wasser­ retter der Sektion Nyon bis zum Ende der Sommersaison 2015 im Einsatz. Meistens war es nichts Schlimmes. Manchmal sind es nur ein paar Hobbysegler, die nachts auf dem Rückweg vom Ausgang in Frankreich mitten im dunklen See nicht mehr weiterkommen. Einen einzigen tragi­ schen Fall gab es dieses Jahr zu beklagen. Ein 68­jähriger Mann fuhr mit seinem kleinen Motorboot von Pran­ gins aus auf den See hinaus, um zu fischen. Etwa hundert Meter vom Hafen entfernt fiel er ins Wasser. Ein Passant, der den Unfall vom Ufer aus beobachtet hatte, rief den Hafenmeister. Dieser alarmierte die Polizei und eilte dem Verunfall­ ten zur Hilfe. Die Polizei bot inzwi­ schen die Wasserretter auf. Der Verunglückte war innerhalb weniger Minuten vier Meter tief ab­ gesunken. Der Hafenmeister holte ihn herauf, zog ihn aus dem Wasser und begann mit der Herzdruckmas­ sage. „In weniger als einer Viertel­ stunde war der erste Wasserretter zur Stelle und löste den Hafenmeister bei den Wiederbelebungsversuchen ab“, erinnert sich Noël sichtlich be­ wegt. Sie mussten aber feststellen, dass die Lungen des Mannes mit Wasser gefüllt waren. Die Chancen, ihn zu retten, waren gering und er verstarb wenig später im Spital. Die Wasserrettungssektion Nyon hat 224 Mitglieder, davon 72 Aktiv­ mitglieder und 20 junge Anwärterinnen und An­ wärter in der Probezeit. Die Sektion organisiert regelmässig Kurse für ihre Mitglieder: Leinen­ und Knotenkunde, Tau­ chen, Rettungsschwim­ men, Erste Hilfe. Der Teamgeist werde zu­ dem in wöchentlichen Rudertrainings gepflegt, so Noël. Gerade für die Anwärter seien die Kurse wichtig. Sie müssten aber auch bei den Sammelaktionen wie dem Vereinslotto oder dem Glühwein­ verkauf mitwirken. Den grössten Aufwand betreiben die Wasserretter für den Rettungs­ posten. Da fast zwei Drittel der Einsätze auf die Sommersaison ent­ fallen, ist der Posten an den Wochen­ enden von Mai bis September durch­ gehend besetzt. In der übrigen Zeit werden Wassernotrufe über die Nummer 117 an die Retter weiter­ geleitet. 18 Wasserretter erhalten dann gleichzeitig einen Alarm übers Handy oder über einen Pager. Sie machen sich so schnell wie möglich
  • 4. 12•2015 | |15 Die Seeretter halten sich fit: Guy Noël mit einem der gewonnenen Pokale des hauseigenen Ruderclubs auf zum Hafen. Die drei Ersten, die dort ankommen, springen in ein Einsatzboot, der Vierte bleibt im Hafen am Funkgerät. Der Ablauf ist genau festgelegt, denn im Notfall zählt jede Minute. „Wenn jemand ins Wasser fällt, zieht ihn das Ge­ wicht der durchnässten Kleider nach unten“, erklärt Guy Noël. Bereits 1885 begannen sich die Wasserretter zu organisieren. Da­ mals waren sie noch mit Ruder­ booten im Einsatz. Die dunkelsten Kapitel aus der traditionsreichen und manchmal dramatischen Geschichte des Wasserrettungs­ dienstes präsentiert das Musée du Léman in Nyon in einer Multi­ media­Ausstellung. Ein Unglück, das vielen Einhei­ mischen noch präsent ist, ist der Untergang des Passagierschiffs Fraidieu im August 1969, bei dem 24 Menschen ums Leben kamen, darunter 14 Waisenkinder, die am Genfersee in einem Ferienlager waren. Schon im Jahr darauf erlitt mit der Sainte-Odile ein weiteres Passagierboot Schiffbruch. Nach die­ sen tragischen Unfällen wurde die Schifffahrt auf dem Genfersee stärker reglementiert und es wurden Sturm­ warnleuchten installiert. In Nyon bringt man den Wasser­ rettern grossen Respekt entgegen. Man weiss, dass der ehrenamtliche Rettungsdienst von unschätzbarem Wert ist. Schliesslich kann jede und jeder irgendwann auf sie angewiesen sein. Denn wenn der Sturm das Wasser aufwühlt, wird es auf dem See gefährlich. Trügerische Wellen und heftige Windstösse können Boote zum Kentern bringen. Mal muss ein übermüdeter Kitesurfer an Land gebracht werden, mal eine Familie mit leerer Bootsbatterie. Doch die Arbeit von Guy Noël kennt auch heitere Seiten: zum Bei­ spiel wenn der Ruderclub der Ret­ tungsgesellschaft an Regatten teil­ nimmt oder Schwimmsportveran­ staltungen begleitet.