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NEULICH BEI LECLERC IN COGOLIN
Intime Bekenntnisse beim Traiteur
Wer reist, lernt imbestenFall die kulturellenUnterschiede
des Gastlandes kennen. Das gilt auch für ganz einfache
Dinge. Zum Beispiel das EinkaufenimSupermarkt.
SCHLANGE STEHEN
À LA FRANÇAISE
Eine einzelne Angestellte, maskiert, flatternde Augen, steht leicht erhöht
hinter dem zehnMeter langen L-förmigen Tresen. Davorein halbes Dutzend
Kunden, eine Handam Einkaufswagen, die ihren Blick zu erhaschensuchen.
Hinter den Bergen von Quiches und Pasteten, Salaten undKäselaiben schwirrt
sie hin undher. Sie geht auf den dickbäuchigenMannim rosafarbenen
Lacoste-Shirtzu, der, da bin ich mir sicher, nach unsgekommenist.
Ausserdemhat er keine Nummerausdem etwas wackeligen
Nummernspendergezogen. Stehtdawie ein Wal, schautnicht linksnoch
rechts, zeigt mit dem Finger auf einen Berg Fleischsalat. Was zählt ist der
Augenkontaktmitder Verkäuferin.
«Ich würde gerne die Sommertrüffelpastetedort hintenprobieren.» Ich drehe
mich um. Es ist die dunkeläugigeBlondinezu meiner Rechten. Sie hält tapfer
ihre Nummerfest zwischen DaumenundZeigefinger: Die 67 ists, eine Position
nach meiner 66. MonsieurLacoste scheintfür eine Grossfamilie einzukaufen…
GEZERRTE WADE
UND COLETTES SCHICKSAL
Wenige Minutenreichen aus (MonsieurLacoste zeigt nunauf den Schinken),
um ein halbes provenzalischesLebenerzählt zu bekommen. Ichweiss jetzt,
dasssie im Frühling ihren Geruchssinnverloren hatte. Covid natürlich, aber
nicht nur. Als sie infiziert wurde, befandsie sich bereits in Behandlung wegen
dieser «unangenehmen Polypenin der Nase». Ich bin freundlich, lasse das
Sprachgeplätscherüber mich ergehen. «Es macht mir nichtsaus, zuwarten»,
beteuert sie, «obwohl ich mir eine schlimme Wadenzerrungzugezogen
habe». Natürlichist sie trotzdemzurArbeit gegangen. Acht Stundenauf den
Beinen. «Ich arbeite nämlich in einer Bäckerei. Nur wenn ich Absätze trage, ist
es erträglich.» Ich schauenach untenundsehe, dasssie tatsächlichweisse
Lackstiefel trägt, die mit ihrem geblümtenBaumwollkleid kontrastieren.
«Zum Glück hatmir die Frau, die sich ummeine Mutterkümmert, eine Salbe
gegen die Wadenschmerzen gegeben, die mir etwas Linderungverschafft.
Also, die, die am Abend kommt, verstehenSie. Meine Mutter brauchtviel
Pflege, und daist noch jemand, der sich umden Haushaltkümmert, weil ich
in der Bäckerei …» Icherfahre, dassihre 91-jährige Mutternochzu Hause
lebt, seit zehn Jahrenan Alzheimer leidet, die Krankheitaber glücklicherweise
nur langsamvoranschreite. «Ganz im Gegensatz zuColette, das ist die
Nachbarinmeiner Mutter, noch keine 60 ist die Arme. IhrMannmusstesie in
eine spezialisierte Einrichtung einweisen. Er konntenichtmehr.»
Der Lacoste-Walin Rosa ist plötzlichweg, aber ich habe den Augenkontakt
verpasst– die Verkäuferin steht jetzt ganz amanderen Ende der Theke und
bedient ein älteres Ehepaar.
AUTOUNFALL
UND ALZHEIMER
Ich wende mich wieder der leidenden Wade in denweissen Stiefeln zu: «Und
Ihre Mutter, hatsie sich auch mit demVirus angesteckt?» Dankbarschautsie
mich an, das Gespräch geht weiter. «Nein, nein, sie hatte Glück. Aber mein
Mann, denhat es erwischt. Er ist ja seit einem Autounfall körperlich
eingeschränkt. DasVirus hat ihn dannfür fünf Tage ins Spital gebracht.»
Aha.
«Leider hat meine Mutterschwere Darmprobleme, wenn Sie wissen, was ich
meine ...». Ich denke, ich kannes mir vorstellen. «Zum Glück kümmertsich
mein Vater umsie, wechselt ihr mehrmals am Tag die Windeln.»
Ihr behinderterEhemann, ihre verletzte Wade, Covid undGeruchsverlust, die
demente Mutterundder sie aufopferndpflegende Vater, dazuihre Arbeit in
der Bäckerei, die ausdem Verkauf vonBaguettes, Pains auChocolat und
Fougassesbesteht– ich sage mir, dassich ein Glückskindbin.
Ich wedle mit meinem zerknittertenZettel mit der Nummer66 der
Angestellten zu undkriege denAugenkontakt. Endlich. Ichbin dran.
Ich bin sicher: Ein solches Gespräch wie eben wäre in meiner Migros
undenkbar. DieKunden würden still undbrav in der Schlange stehen und das
Social distancinghumorlos respektieren. Die einzigen Worte, die ich mir in
dieser Situationin der Schweiz vorstellen kann, wären wohl an denrosa Herrn
Lacoste gerichtet worden:«Entschuldigung, welli i Nummerehänd Sie?»
Sylvie Castagné
Saint-Tropez, septembre2021

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  • 1. NEULICH BEI LECLERC IN COGOLIN Intime Bekenntnisse beim Traiteur Wer reist, lernt imbestenFall die kulturellenUnterschiede des Gastlandes kennen. Das gilt auch für ganz einfache Dinge. Zum Beispiel das EinkaufenimSupermarkt. SCHLANGE STEHEN À LA FRANÇAISE Eine einzelne Angestellte, maskiert, flatternde Augen, steht leicht erhöht hinter dem zehnMeter langen L-förmigen Tresen. Davorein halbes Dutzend Kunden, eine Handam Einkaufswagen, die ihren Blick zu erhaschensuchen. Hinter den Bergen von Quiches und Pasteten, Salaten undKäselaiben schwirrt sie hin undher. Sie geht auf den dickbäuchigenMannim rosafarbenen Lacoste-Shirtzu, der, da bin ich mir sicher, nach unsgekommenist. Ausserdemhat er keine Nummerausdem etwas wackeligen Nummernspendergezogen. Stehtdawie ein Wal, schautnicht linksnoch rechts, zeigt mit dem Finger auf einen Berg Fleischsalat. Was zählt ist der Augenkontaktmitder Verkäuferin. «Ich würde gerne die Sommertrüffelpastetedort hintenprobieren.» Ich drehe mich um. Es ist die dunkeläugigeBlondinezu meiner Rechten. Sie hält tapfer
  • 2. ihre Nummerfest zwischen DaumenundZeigefinger: Die 67 ists, eine Position nach meiner 66. MonsieurLacoste scheintfür eine Grossfamilie einzukaufen… GEZERRTE WADE UND COLETTES SCHICKSAL Wenige Minutenreichen aus (MonsieurLacoste zeigt nunauf den Schinken), um ein halbes provenzalischesLebenerzählt zu bekommen. Ichweiss jetzt, dasssie im Frühling ihren Geruchssinnverloren hatte. Covid natürlich, aber nicht nur. Als sie infiziert wurde, befandsie sich bereits in Behandlung wegen dieser «unangenehmen Polypenin der Nase». Ich bin freundlich, lasse das Sprachgeplätscherüber mich ergehen. «Es macht mir nichtsaus, zuwarten», beteuert sie, «obwohl ich mir eine schlimme Wadenzerrungzugezogen habe». Natürlichist sie trotzdemzurArbeit gegangen. Acht Stundenauf den Beinen. «Ich arbeite nämlich in einer Bäckerei. Nur wenn ich Absätze trage, ist es erträglich.» Ich schauenach untenundsehe, dasssie tatsächlichweisse Lackstiefel trägt, die mit ihrem geblümtenBaumwollkleid kontrastieren. «Zum Glück hatmir die Frau, die sich ummeine Mutterkümmert, eine Salbe gegen die Wadenschmerzen gegeben, die mir etwas Linderungverschafft. Also, die, die am Abend kommt, verstehenSie. Meine Mutter brauchtviel Pflege, und daist noch jemand, der sich umden Haushaltkümmert, weil ich in der Bäckerei …» Icherfahre, dassihre 91-jährige Mutternochzu Hause lebt, seit zehn Jahrenan Alzheimer leidet, die Krankheitaber glücklicherweise nur langsamvoranschreite. «Ganz im Gegensatz zuColette, das ist die Nachbarinmeiner Mutter, noch keine 60 ist die Arme. IhrMannmusstesie in eine spezialisierte Einrichtung einweisen. Er konntenichtmehr.» Der Lacoste-Walin Rosa ist plötzlichweg, aber ich habe den Augenkontakt verpasst– die Verkäuferin steht jetzt ganz amanderen Ende der Theke und bedient ein älteres Ehepaar. AUTOUNFALL UND ALZHEIMER Ich wende mich wieder der leidenden Wade in denweissen Stiefeln zu: «Und Ihre Mutter, hatsie sich auch mit demVirus angesteckt?» Dankbarschautsie mich an, das Gespräch geht weiter. «Nein, nein, sie hatte Glück. Aber mein Mann, denhat es erwischt. Er ist ja seit einem Autounfall körperlich eingeschränkt. DasVirus hat ihn dannfür fünf Tage ins Spital gebracht.» Aha. «Leider hat meine Mutterschwere Darmprobleme, wenn Sie wissen, was ich meine ...». Ich denke, ich kannes mir vorstellen. «Zum Glück kümmertsich mein Vater umsie, wechselt ihr mehrmals am Tag die Windeln.» Ihr behinderterEhemann, ihre verletzte Wade, Covid undGeruchsverlust, die demente Mutterundder sie aufopferndpflegende Vater, dazuihre Arbeit in der Bäckerei, die ausdem Verkauf vonBaguettes, Pains auChocolat und Fougassesbesteht– ich sage mir, dassich ein Glückskindbin. Ich wedle mit meinem zerknittertenZettel mit der Nummer66 der Angestellten zu undkriege denAugenkontakt. Endlich. Ichbin dran.
  • 3. Ich bin sicher: Ein solches Gespräch wie eben wäre in meiner Migros undenkbar. DieKunden würden still undbrav in der Schlange stehen und das Social distancinghumorlos respektieren. Die einzigen Worte, die ich mir in dieser Situationin der Schweiz vorstellen kann, wären wohl an denrosa Herrn Lacoste gerichtet worden:«Entschuldigung, welli i Nummerehänd Sie?» Sylvie Castagné Saint-Tropez, septembre2021