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Arbeitsgemeinschaften zum
Grundkurs Öffentliches Recht II
Sommersemester 2017
f
Lösungsskizze Fall 3: „Nachtarbeitsverbot“:
Schwerpunkte des Falles: Aufbau der Grundrechtsprüfung bei Gleichheits-
grundrechten, allgemeiner und besonderer Gleichheitssatz des Art. 3 GG,
konkrete Normenkontrolle.
Zur Vertiefung: BVerfGE 85, 191. Zur Einbettung der Prüfung von Art. 3 GG in
die Prüfung von Art. 12 GG vgl. auch BVerfG, NJW 2008, 2409.
Frage 1: .......................................................................................................2
A. Verletzung von Art. 14 GG ...................................................................2
I. Schutzbereich......................................................................................2
II. Zwischenergebnis...............................................................................3
B. Verletzung von Art. 12 Abs. 1 GG ........................................................3
I. Eröffnung des Schutzbereichs ..............................................................3
II. Eingriff ..............................................................................................4
III. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung ................................................5
1. Schranken........................................................................................5
a) Gesetzliche Grundlage ...................................................................6
b) Formelle Verfassungsmäßigkeit der Rechtsgrundlage .....................6
c) Materielle Verfassungsmäßigkeit der Rechtsgrundlage ...................6
aa) Ungleichbehandlung .................................................................7
bb) Verfassungsrechtliche Rechtfertigung der Ungleichbehandlung
nach Geschlecht .......................................................................7
α) Rechtfertigungsmaßstab ..........................................................8
β) Rechtfertigungsmöglichkeit......................................................8
(1) Zwingendes Erfordernis aufgrund biologischer
Unterschiede?......................................................................9
(2) Rechtfertigung durch Gleichberechtigungsgebot? ...............10
2. Zwischenergebnis..................................................................... 10
IV. Ergebnis ....................................................................................11
LUDWIG-MAXIMILIANS-UNIVERSITÄT MÜNCHEN SEITE 2 VON 13
Frage 2 ......................................................................................................11
A. Zulässigkeit ....................................................................................... 11
I. Zuständigkeit des BVerfG ..................................................................11
II. Vorlageberechtigung ........................................................................11
III. Vorlagegegenstand ..........................................................................11
IV. Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit ....................................12
V. Entscheidungserheblichkeit ..............................................................12
B. Ergebnis............................................................................................. 13
Frage 1:
A selbst ist ganz offensichtlich nicht in ihren Rechten aus Art. 3 Abs. 1 oder 3
GG betroffen, denn vorliegend sind allenfalls die von ihr beschäftigten Arbeit-
nehmerinnen, nicht aber sie selbst einer Ungleichbehandlung (z.B. gegenüber
anderen Unternehmen o.ä.) ausgesetzt. In Betracht kommt daher nur ein Ein-
griff in ihre Freiheitsrechte aus Art. 12 oder 14 GG. A ist in einem dieser
Grundrechte verletzt, wenn der Schutzbereich eines Grundrechts, auf das sie
sich berufen kann, eröffnet ist, die Verhängung der Geldbuße in den Schutz-
bereich eingreift und dieser Eingriff nicht gerechtfertigt ist.
A. Verletzung von Art. 14 GG
A könnte durch die Verhängung der Geldbuße zunächst in ihrem Grundrecht
auf Eigentum aus Art. 14 GG verletzt sein.
I. Schutzbereich
Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG schützt das Eigentum. Unter Eigentum sind alle vermö-
genswerten Rechte zu verstehen, die dem Berechtigten in der Weise zugeord-
net sind, dass er die damit verbundenen Befugnisse nach eigenverantwortli-
cher Entscheidung zu seinem privaten Nutzen ausüben darf.1 Diesen konkre-
ten vermögenswerten Positionen steht das Vermögen als solches (in seiner
1
Vgl. bspw. BVerfGE 83, 201 (208).
LUDWIG-MAXIMILIANS-UNIVERSITÄT MÜNCHEN SEITE 3 VON 13
Gesamtheit) gegenüber, das nicht unmittelbar von Art. 14 GG geschützt wird.2
Die Einbeziehung des Vermögens in den Schutzbereich des Art. 14 Abs. 1
S. 1 GG scheitert bereits daran, dass es sich beim Vermögen nicht um ein ein-
fach-gesetzlich ausgestaltetes Recht, sondern den Inbegriff aller geldwerten
Güter einer Person handelt.3
Durch die Verhängung der Geldbuße wird A nicht in Bezug auf ein konkretes
vermögenswertes Recht beeinträchtigt. Ihr wird vielmehr nur die Zahlung ei-
nes Geldbetrages auferlegt, unabhängig davon, wie sie die Mittel aufbringt,
um diese Zahlung zu leisten, so dass allein ihr Vermögen betroffen ist. Der
Schutzbereich des Art. 14 GG ist daher nicht berührt.
II. Zwischenergebnis
Eine Verletzung des Art.14 GG scheidet daher aus.
B. Verletzung von Art. 12 Abs. 1 GG
A könnte aber in ihrem Grundrecht auf Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs.1 GG
verletzt sein.
I. Eröffnung des Schutzbereichs
Dann müsste zunächst der Schutzbereich eröffnet sein.
1. Sachlicher Schutzbereich
In sachlicher Hinsicht schützt Art. 12 Abs. 1 GG die Berufsfreiheit. Unter Be-
ruf ist jede erlaubte, auf eine gewisse Dauer angelegte Tätigkeit, die der
Schaffung oder Erhaltung einer Lebensgrundlage dient, zu verstehen.4 Die
Tätigkeit der A, Tortenböden in ihrer Fabrik verpacken zu lassen, ist auf Dau-
er angelegt und dient der Erhaltung ihrer Lebensgrundlage. Es handelt sich
dabei mithin um einen Beruf i.S.v. Art. 12 Abs. 1 GG. Der sachliche Schutzbe-
reich ist demnach eröffnet.
2
BVerfGE 91, 207 (220); Jarass, in: ders./Pieroth, GG, Art. 14, Rn. 5; Kingreen/Poscher, Grundrechte –
Staatsrecht II, Rn.1003; Papier, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 14, Rn. 160 ff., 165 ff.; Wieland, in: Drei-
er, GG, Art. 14, Rn. 65 ff.
3
BVerfGE 95, 267 (301).
4
BVerfGE 7, 377 (397); 54, 301 (313); 102, 197 (212); BVerwGE 87, 37 (40 f.); vgl. auch Scholz, in:
Maunz/Dürig, GG, Art. 12 Rn. 18.
LUDWIG-MAXIMILIANS-UNIVERSITÄT MÜNCHEN SEITE 4 VON 13
2. Persönlicher Schutzbereich
In persönlicher Hinsicht schützt Art. 12 Abs.1 GG alle Deutschen, d.h. alle
deutschen Staatsangehörigen. A ist deutsche Staatsangehörige, so dass auch
der persönliche Schutzbereich eröffnet ist.
II. Eingriff
Weiterhin müsste auch ein Eingriff in die Berufsfreiheit der A vorliegen.
Um als Eingriff im klassischen Sinn qualifiziert werden zu können, muss die
mit der Verfassungsbeschwerde angegriffene Maßnahme: (1) final und nicht
bloß unbeabsichtigte Folge eines auf ganz andere Ziele gerichteten Staats-
handelns, (2) unmittelbar und nicht bloß zwar beabsichtigte, aber nur mittel-
bare Folge des Staatshandelns, (3) rechtsförmig, d.h. ein Rechtsakt mit nicht
bloß faktischer Wirkung sein und (4) imperativ sein, d.h. mit Befehl und
Zwang angeordnet und durchgesetzt werden können.
Als Besonderheit der Eingriffe in das Grundrecht der Berufsfreiheit gem.
Art. 12 GG ist zusätzlich das Erfordernis der berufsregelnden Tendenz des
staatlichen Handelns zu beachten. Eigenständige Relevanz gewinnt dieses
Merkmal jedoch nur, wenn nicht schon die Voraussetzungen des klassischen
Eingriffs vorliegen, insbesondere wenn die Finalität oder Unmittelbarkeit
fehlt. (Nur) in diesem Fall muss sich die staatliche Maßnahme entweder un-
mittelbar auf die berufliche Tätigkeit auswirken oder – fehlt es an der Unmit-
telbarkeit – zumindest in einem engen Zusammenhang mit der beruflichen
Tätigkeit stehen. Staatliche Maßnahmen, die erkennbar einem anderen Zweck
dienen und lediglich entfernte mittelbare Auswirkungen auf die Berufsfreiheit
zeitigen (und damit die mittelbaren Folgen sich nur als sog. bloßer Reflex
darstellen5), sind dagegen nicht als Eingriff anzusehen.
Die Verhängung des Bußgelds stellt eine unmittelbare, imperative und norma-
tive Freiheitsverkürzung dar. Fraglich ist jedoch, ob diese auch final auf die
5
Vgl. BVerfGE 116, 202 (222).
LUDWIG-MAXIMILIANS-UNIVERSITÄT MÜNCHEN SEITE 5 VON 13
Verkürzung gerade der Berufsfreiheit der A gerichtet ist, da A nur zu einer
Bußgeldzahlung herangezogen wird, die sie primär zunächst nur in ihrem
Vermögen beeinträchtigt. Es könnte daher eine bloße (unbeachtliche) Rück-
wirkung auf die Berufstätigkeit vorliegen und deshalb die Finalität in Bezug
auf die Berufsfreiheit zu verneinen sein.
Die Bußgeldzahlung erfüllt aber keinen Selbstzweck, sondern dient der
Durchsetzung des in § 6a ArbZG enthaltenen Verbots, Arbeitnehmerinnen in
der Nachtzeit zu beschäftigen. Dieses Verbot beschneidet die Möglichkeit des
freien Einsatzes der Arbeitnehmerinnen von A und zielt daher auf die Verkür-
zung der Freiheit der Berufsausübung.6 Das Gleiche muss daher für die der
Durchsetzung des Verbots dienende Geldbuße gelten. Die Freiheitsverkürzung
wirkt daher auch bezogen auf die Berufsfreiheit der A final. Es liegt damit be-
reits ein klassischer Eingriff für A vor. Auf die Kriterien des modernen Ein-
griffs kommt es daher nicht an.
III. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung
Fraglich ist, ob der Eingriff gerechtfertigt ist. Dies ist der Fall, wenn sich der
Eingriff auf eine taugliche gesetzliche Grundlage als Schranke stützen kann,
die verfassungsgemäß ist, und der Eingriff die Schranken-Schranken des
Grundrechts wahrt.
Anmerkung: Zum ebenfalls möglichen und genauso richtigen Alternativauf-
bau siehe den Hinweis in Fall 1.
1. Schranken
Gemäß Art. 12 Abs.1 S. 2 GG kann die Berufsausübung durch Gesetz oder auf
Grund eines Gesetzes geregelt werden. Dieser Regelungsvorbehalt, der der
Sache nach ein Gesetzesvorbehalt ist,7 betrifft entgegen dem Wortlaut nicht
nur die Berufsausübung, sondern die gesamte Berufsfreiheit, also auch die
Berufswahl. Die Ausübung des Berufes lässt sich stets auch als ein bekräfti-
6
Vgl. zum Eingriff in die Berufsfreiheit durch Einschränkung der Verfügung über die Arbeitskraft der
Arbeitnehmer BVerfGE 77, 308 (332).
7
BVerfGE 33, 125 (159).
LUDWIG-MAXIMILIANS-UNIVERSITÄT MÜNCHEN SEITE 6 VON 13
gender Ausdruck der Wahl dieses Berufes verstehen.8 Art. 12 Abs.1 GG wird
insoweit als ein einheitliches Grundrecht der Berufsfreiheit verstanden. Kon-
sequenterweise gilt dieses einheitliche Verständnis auch für die Schranke des
Art. 12 Abs.1 S. 2 GG. Diese stellt somit einen einfachen Gesetzesvorbehalt
auf.9 Eine Einschränkung ist demnach aufgrund eines einfachen Parlaments-
gesetzes möglich.
a) Gesetzliche Grundlage
Eine gesetzliche Grundlage für die Verhängung des Bußgelds ist durch § 22
i.V.m. § 6a ArbZG gegeben. Allerdings kann nicht jede gesetzliche Grundlage
taugliche Schranke für ein Grundrecht sein, sondern nur eine verfassungskon-
forme gesetzliche Grundlage.
Fraglich ist daher, ob § 22 i.V.m. § 6a ArbZG formell und materiell verfas-
sungsgemäß sind.
b) Formelle Verfassungsmäßigkeit der Rechtsgrundlage
Das Gesetz müsste zunächst formell verfassungsgemäß sein. Die Gesetzge-
bungskompetenz für dessen Erlass kommt dem Bund kraft seiner Zuständig-
keit aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG für das Arbeitsrecht zu, von der Einhaltung
der Verfahrens- und Formbestimmungen ist mangels anderweitiger Anhalts-
punkte im Sachverhalt auszugehen.
Anmerkung: Wenn sich im Sachverhalt keine Hinweise auf formelle Mängel
des Gesetzes ergeben, kann der Prüfungspunkt der formellen Verfassungsmä-
ßigkeit in der Grundrechtsklausur in der Regel relativ kurz behandelt werden.
c) Materielle Verfassungsmäßigkeit der Rechtsgrundlage
Fraglich ist, ob § 22 i.V.m. § 6a ArbZG auch materiell verfassungsgemäß sind.
Dabei können ungeachtet der Anforderungen, die sich unmittelbar aus
Art. 12 Abs.1 GG ergeben, gesetzliche Eingriffe in die Berufsfreiheit nur dann
Bestand haben, wenn sie auch sonst in jeder Hinsicht verfassungsmäßig sind
8
BVerfGE 7, 377 (401).
9
BVerfGE 33, 125 (159).
LUDWIG-MAXIMILIANS-UNIVERSITÄT MÜNCHEN SEITE 7 VON 13
und insbesondere die Gleichheitsrechte des Art. 3 GG beachten.10 Hier könnte
§ 6a Abs. 1 ArbZG gegen Art. 3 GG verstoßen.
Anmerkung: Ein Gesetz, das ein Grundrecht einschränkt, muss nicht nur in
Hinblick auf diese spezifische subjektive Einschränkung, sondern insgesamt
objektiv verfassungskonform sein. Deshalb dient hier Art. 3 GG als Prü-
fungsmaßstab für § 6a Abs. 1 ArbZG, obwohl A hier nicht unmittelbar in die-
sem Grundrechte betroffen ist.
Eine solche Verletzung des Art. 3 GG liegt vor, wenn durch § 6a ArbZG eine
verfassungsrechtlich relevante Ungleichbehandlung erfolgt und diese Un-
gleichbehandlung nicht gerechtfertigt ist.
aa) Ungleichbehandlung
Der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs.1 GG verpflichtet den Gesetz-
geber, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu be-
handeln.11
Eine verfassungsrechtlich relevante Ungleichbehandlung durch einen Ho-
heitsträger liegt vor, wenn sich zu der von der Regelung erfassten Gruppe ei-
ne Vergleichsgruppe bestimmen lässt, die durch die Regelung anders behan-
delt wird als die Ausgangsgruppe, obwohl beide Gruppen durch ein gemein-
sames Merkmal einem einenden Oberbegriff unterstellt werden können.
Durch § 6a ArbZG wird eine solche Ungleichbehandlung zwischen weiblichen
Arbeitnehmerinnen und männlichen Arbeitnehmern vorgenommen, d.h. eine
Unterscheidung innerhalb der Gruppe „Arbeitnehmer“ nach Geschlecht.
bb) Verfassungsrechtliche Rechtfertigung der Ungleichbehandlung nach
Geschlecht
Diese Unterscheidung innerhalb der Gruppe der „Arbeitnehmer“ nach Ge-
schlecht müsste verfassungsrechtlich gerechtfertigt sein.
10
Vgl. BVerfG, NJW 2008, 2409 (2417); BVerfGE 25, 236 (251).
11
Vgl. BVerfGE 1, 14 (52); 98, 365 (385); 116, 164 (180).
LUDWIG-MAXIMILIANS-UNIVERSITÄT MÜNCHEN SEITE 8 VON 13
α) Rechtfertigungsmaßstab
Dabei ist zunächst fraglich, welcher Rechtfertigungsmaßstab hier heranzuzie-
hen ist. Hier könnte zum einen Art. 3 Abs. 2 GG, der ein Gleichbehandlungs-
gebot für Männer und Frauen statuiert, zum anderen Art. 3 Abs. 3 GG, der ei-
ne Benachteiligung wegen des Geschlechts verbietet, einschlägig sein.
Zunächst scheint Art. 3 Abs. 2 GG hier spezieller zu sein, da er ausschließlich
auf die Differenzierung zwischen Männern und Frauen eingeht. Allerdings
enthält Art. 3 Abs. 3 GG explizit das Verbot der Diskriminierung nach Ge-
schlecht, als nach Unterscheidung zwischen Mann und Frau.
Tatsächlich ist hier Art. 3 Abs. 3 GG die relevante Norm zur Beurteilung von
Ungleichbehandlungen aufgrund des Geschlechts. Denn soweit es um die
Frage geht, ob eine Regelung Frauen wegen ihres Geschlechts zu Unrecht be-
nachteiligt, enthält Art. 3 Abs. 2 GG keine weitergehenden oder spezielleren
Anforderungen als Art. 3 Abs. 3 GG. Der über das Diskriminierungsverbot des
Art. 3 Abs. 3 GG hinausreichende Regelungsgehalt von Art. 3 Abs. 2 GG be-
steht darin, dass er ein Gleichberechtigungsgebot aufstellt und dieses auch
auf die gesellschaftliche Wirklichkeit erstreckt.12 Da es hier nicht um eine
Gleichstellungsmaßnahme geht, ist die Ungleichbehandlung hier an Art. 3
Abs. 3 GG zu messen.
β) Rechtfertigungsmöglichkeit
Nach Art. 3 Abs. 3 GG darf niemand wegen seines Geschlechts benachteiligt
oder bevorzugt werden. Die Vorschrift verstärkt den allgemeinen Gleichheits-
satz des Art. 3 Abs. 1 GG, indem sie der dem Gesetzgeber darin eingeräumten
Gestaltungsfreiheit engere Grenzen zieht. Das Geschlecht darf grundsätzlich –
ebenso wie die anderen in Absatz 3 genannten Merkmale – nicht als Anknüp-
fungspunkt für eine rechtliche Ungleichbehandlung herangezogen werden.
Das gilt auch dann, wenn eine Regelung nicht auf eine nach Art. 3 Abs. 3 GG
12
BVerfGE 85, 191 (206 f.).
LUDWIG-MAXIMILIANS-UNIVERSITÄT MÜNCHEN SEITE 9 VON 13
verbotene Ungleichbehandlung angelegt ist, sondern in erster Linie andere
Ziele verfolgt.13
Dieser Grundsatz gilt gleichwohl – auch wenn der Wortlaut anderes nahe le-
gen mag – nicht ausnahmslos: Nicht jede Ungleichbehandlung, die an das Ge-
schlecht anknüpft, verstößt automatisch gegen Art. 3 Abs. 3 GG. Zum einen
können differenzierende Regelungen vielmehr zulässig sein, soweit sie zur
Lösung von Problemen, die ihrer Natur nach nur entweder bei Männern oder
bei Frauen auftreten können, zwingend erforderlich sind14, soweit sie also an
„objektive biologische Unterschiede“15 anknüpfen und zu deren Bewältigung
im strengen Sinne erforderlich sind.16 Zum anderen können differenzierende
Regelungen zulässig sein, wenn sie durch das besondere Gleichberechti-
gungsgebot des Art. 3 Abs. 2 GG gerechtfertigt sind (kollidierendes Verfas-
sungsrecht).
(1) Zwingendes Erfordernis aufgrund biologischer Unterschiede?
Fraglich ist, ob ein solches zwingendes Erfordernis für den vorliegenden Fall
besteht. Der Grund für die gesetzliche Differenzierung liegt in der Annahme
des Gesetzgebers, dass Frauen wegen ihrer Konstitution stärker unter Nacht-
arbeit leiden als männliche Arbeitnehmer. Für diese These gibt es indes keine
gesicherten Anhaltspunkte: Nachtarbeit ist grundsätzlich für jeden Menschen
schädlich.
Selbst wenn in rein tatsächlicher Hinsicht belegbar wäre, dass Frauen durch
Nachtarbeit stärker beeinträchtigt werden, weil – was zu belegen wäre – sta-
tistisch betrachtet mehr Frauen als Männer mit der Haushaltsführung und
Kinderbetreuung befasst sind, würde dies nicht zu einer abweichenden Be-
wertung führen. Diese Belastung wäre dann kein geschlechtsspezifischer bio-
logischer, sondern ein sozialer Grund für die Ungleichbehandlung. Denn von
dieser Doppelbelastung wären alleinerziehende Väter in gleicher Weise, kin-
derlose, alleinlebende Frauen hingegen nicht in gleichem Maße betroffen. Ein
solcher sozialer Befund reicht daher zur Rechtfertigung einer geschlechtsbe-
13
BVerfGE 85, 191 (206).
14
BVerfGE 85, 191 (207).
15
Kingreen/Poscher, Grundrechte – Staatsrecht II, Rn. 514.
16
BVerfGE 85, 191 (207).
LUDWIG-MAXIMILIANS-UNIVERSITÄT MÜNCHEN SEITE 10 VON 13
zogenen Ungleichbehandlung nicht aus, da er sich nicht auf zwingende biolo-
gische Unterschiede stützen lässt.
Ein zwingendes Erfordernis für die Regelung aufgrund biologischer Unter-
schiede liegt somit nicht vor.
(2) Rechtfertigung durch Gleichberechtigungsgebot?
Die Regelung könnte aber durch das Gleichberechtigungsgebot des Art. 3
Abs. 2 GG gerechtfertigt sein. Dafür müsste das Nachtarbeitsverbot den Zwe-
cken des Art. 3 Abs. 2 GG aber objektiv förderlich sein.
Das Nachtarbeitsverbot „schützt zwar zahlreiche Frauen, die neben Kinderbe-
treuung und Hausarbeit beruflich tätig sind, vor gesundheitsgefährdender
Nachtarbeit. Dieser Schutz ist aber mit erheblichen Nachteilen verbunden:
Frauen werden dadurch bei der Stellensuche benachteiligt. Arbeit, die min-
destens zeitweise auch nachts geleistet werden muß, können sie nicht an-
nehmen. [...] Darüber hinaus werden [Arbeitnehmerinnen] daran gehindert,
über ihre Arbeitszeit frei zu disponieren. Nachtarbeitszuschläge können sie
nicht verdienen. All das kann auch zur Folge haben, daß Frauen weiterhin in
größerem Umfang als Männer neben einer Berufsarbeit noch mit Kinderbe-
treuung und Hausarbeit belastet werden und daß sich damit die überkommene
Rollenverteilung zwischen den Geschlechtern verfestigt. Insofern erschwert
das Nachtarbeitsverbot einen Abbau von gesellschaftlichen Nachteilen der
Frau.“17
Eine Rechtfertigung durch das besondere Gleichberechtigungsgebot liegt da-
her ebenfalls nicht vor.
2. Zwischenergebnis
Soweit § 6a ArbZG zwischen weiblichen und männlichen Arbeitnehmern diffe-
renziert, verstößt die Vorschrift somit gegen Art. 3 Abs. 3 GG. Die Vorschrift
bildet somit keine verfassungsgemäße gesetzliche Schranke, auf die die Buß-
geldverhängung gestützt werden kann.
17
BVerfGE 85, 191 (209 f.).
LUDWIG-MAXIMILIANS-UNIVERSITÄT MÜNCHEN SEITE 11 VON 13
IV. Ergebnis
Mangels verfassungsgemäßer Schranke ist der Eingriff in die Berufsfreiheit
der A aus Art. 12 Abs. 1 GG somit verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt
und damit verfassungswidrig. A ist in ihrem Grundrecht aus Art. 12 Abs. 1 GG
verletzt.
C. Ergebnis
A ist in ihrem Grundrecht verletzt.
Frage 2
Das Bundesverfassungsgericht wird der Konkreten Normenkontrolle stattge-
ben, wenn sie zulässig und begründet ist.
A. Zulässigkeit
I. Zuständigkeit des BVerfG
Das BVerfG ist gem. Art. 100 Abs.1 GG, § 13 Nr.11 BVerfGG zuständig.
II. Vorlageberechtigung
Das Amtsgericht müsste auch vorlageberechtigt sein. Nach Art. 100 Abs.1 GG
sind vorlageberechtigt alle Gerichte. Das Amtsgericht ist ein solches Gericht
und damit vorlageberechtigt.
III. Vorlagegegenstand
Weiterhin müsst ein tauglicher Vorlagegegenstand vorliegen. Tauglicher Vor-
lagegegenstand sind gem. Art. 100 Abs. 1 GG Gesetze. Darunter sind nur for-
melle, nachkonstitutionelle18 Gesetze zu verstehen. Da es sich bei § 6a ArbZG
um ein (nachkonstitutionelles) Bundesgesetz handelt, ist die Norm grundsätz-
lich tauglicher Vorlagegegenstand.
18
Vgl. zur Vorlagefähigkeit vorkonstitutioneller, in den Willen des Bundesgesetzgebers aufgenommener
Gesetze BVerfGE 45, 187 (221 f.); 48, 396 (398); Degenhart, Staatsrecht I – Staatsorganisationsrecht,
Rn. 838.
LUDWIG-MAXIMILIANS-UNIVERSITÄT MÜNCHEN SEITE 12 VON 13
IV. Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit
Weiterhin müsste das vorlegende Amtsgericht § 6a ArbZG für verfassungswid-
rig und damit nichtig halten. Das Amtsgericht hat laut Sachverhalt aber ledig-
lich Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des § 6a ArbZG. Zweifel an der Ver-
fassungsmäßigkeit reichen aber bei der konkreten Normenkontrolle, anders
als in den Fällen des Art. 100 Abs. 2 GG und Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG, gerade
nicht aus. Das vorlegende Gericht muss vielmehr von der Verfassungswidrig-
keit überzeugt sein.19 An dieser Überzeugung fehlt es hier jedoch, so dass die
Vorlagevoraussetzungen bereits insoweit nicht erfüllt sind.
Anmerkung: Der Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit eines Gesetzes
steht grundsätzlich nicht entgegen, dass das BVerfG bereits in einer früheren
Entscheidung die Vereinbarkeit dieser Norm mit dem Grundgesetz festgestellt
hat. Die erneute Vorlage einer bereits zuvor durch das BVerfG geprüften
Norm kann trotz der Bindungs- und Rechtskraftwirkungen des § 31 BVerfGG
zulässig sein. In diesem Fall muss das Gericht jedoch neue Tatsachen darle-
gen, die geeignet sind, eine von der früheren Entscheidung abweichende Ent-
scheidung des BVerfG zu ermöglichen. Hierfür genügt allerdings nicht schon
der Vortrag, das BVerfG habe in der vorherigen Entscheidung einen Aspekt
unberücksichtigt gelassen.20
V. Entscheidungserheblichkeit
Schließlich müsste die Norm aber auch im konkreten Fall entscheidungser-
heblich sein.
Dies ist dann der Fall, wenn die Entscheidung des Gerichts bei Gültigkeit der
Norm anders ausfallen würde als bei ihrer Nichtigkeit.21 Das ist jedenfalls
dann nicht (mehr) der Fall, wenn die Unanwendbarkeit der Norm bereits aus
anderen Gründen feststeht. Hier hat der EuGH bereits in einem Urteil aus dem
Jahre 1991 festgestellt hat, dass sich aus unmittelbar anwendbaren europa-
rechtlichen Vorschriften eine Verpflichtung der Mitgliedstaaten ergebe, kein
19
Vgl. BVerfGE 78, 104 (117); E 80, 54 (59); Maunz/Dürig/Dederer GG Art. 100 Rn. 129.
20
Maunz/Dürig/Dederer GG Art. 100 Rn. 131.
21
Vgl. BVerfGE 80, 96 (101).
LUDWIG-MAXIMILIANS-UNIVERSITÄT MÜNCHEN SEITE 13 VON 13
Verbot der Nachtarbeit für Frauen aufzustellen, wenn es kein Verbot der
Nachtarbeit für Männer gebe.
Damit liegt ein Konflikt zwischen § 6a ArbZG und unmittelbar anwendbarem
Unionsrecht offen zutage. Kollidiert Unionsrecht mit nationalem Recht, so
muss das Gericht den Normenkonflikt lösen. Dabei ist der Vorrang des Uni-
onsrechts zu beachten. § 6a ArbZG wird daher in seiner Anwendbarkeit durch
entgegenstehende, unmittelbar anwendbare Unionsrechtsnormen verdrängt.
Diese genießen Anwendungsvorrang, so dass § 6a ArbZG nicht mehr ange-
wendet werden kann.
Für die Entscheidung des Gerichts ist daher die Verfassungsmäßigkeit von
§ 6a ArbZG ohne Belang, da die Norm ohnehin nicht angewendet werden darf.
Es fehlt daher auch an der Entscheidungserheblichkeit der Norm.
B. Ergebnis
Mangels ausreichender Überzeugung von der Nichtigkeit sowie der fehlenden
Entscheidungserheblichkeit ist die konkrete Normenkontrolle somit unzuläs-
sig.

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Verfassungsargumente
 

Fall 3 lösung

  • 1. Arbeitsgemeinschaften zum Grundkurs Öffentliches Recht II Sommersemester 2017 f Lösungsskizze Fall 3: „Nachtarbeitsverbot“: Schwerpunkte des Falles: Aufbau der Grundrechtsprüfung bei Gleichheits- grundrechten, allgemeiner und besonderer Gleichheitssatz des Art. 3 GG, konkrete Normenkontrolle. Zur Vertiefung: BVerfGE 85, 191. Zur Einbettung der Prüfung von Art. 3 GG in die Prüfung von Art. 12 GG vgl. auch BVerfG, NJW 2008, 2409. Frage 1: .......................................................................................................2 A. Verletzung von Art. 14 GG ...................................................................2 I. Schutzbereich......................................................................................2 II. Zwischenergebnis...............................................................................3 B. Verletzung von Art. 12 Abs. 1 GG ........................................................3 I. Eröffnung des Schutzbereichs ..............................................................3 II. Eingriff ..............................................................................................4 III. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung ................................................5 1. Schranken........................................................................................5 a) Gesetzliche Grundlage ...................................................................6 b) Formelle Verfassungsmäßigkeit der Rechtsgrundlage .....................6 c) Materielle Verfassungsmäßigkeit der Rechtsgrundlage ...................6 aa) Ungleichbehandlung .................................................................7 bb) Verfassungsrechtliche Rechtfertigung der Ungleichbehandlung nach Geschlecht .......................................................................7 α) Rechtfertigungsmaßstab ..........................................................8 β) Rechtfertigungsmöglichkeit......................................................8 (1) Zwingendes Erfordernis aufgrund biologischer Unterschiede?......................................................................9 (2) Rechtfertigung durch Gleichberechtigungsgebot? ...............10 2. Zwischenergebnis..................................................................... 10 IV. Ergebnis ....................................................................................11
  • 2. LUDWIG-MAXIMILIANS-UNIVERSITÄT MÜNCHEN SEITE 2 VON 13 Frage 2 ......................................................................................................11 A. Zulässigkeit ....................................................................................... 11 I. Zuständigkeit des BVerfG ..................................................................11 II. Vorlageberechtigung ........................................................................11 III. Vorlagegegenstand ..........................................................................11 IV. Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit ....................................12 V. Entscheidungserheblichkeit ..............................................................12 B. Ergebnis............................................................................................. 13 Frage 1: A selbst ist ganz offensichtlich nicht in ihren Rechten aus Art. 3 Abs. 1 oder 3 GG betroffen, denn vorliegend sind allenfalls die von ihr beschäftigten Arbeit- nehmerinnen, nicht aber sie selbst einer Ungleichbehandlung (z.B. gegenüber anderen Unternehmen o.ä.) ausgesetzt. In Betracht kommt daher nur ein Ein- griff in ihre Freiheitsrechte aus Art. 12 oder 14 GG. A ist in einem dieser Grundrechte verletzt, wenn der Schutzbereich eines Grundrechts, auf das sie sich berufen kann, eröffnet ist, die Verhängung der Geldbuße in den Schutz- bereich eingreift und dieser Eingriff nicht gerechtfertigt ist. A. Verletzung von Art. 14 GG A könnte durch die Verhängung der Geldbuße zunächst in ihrem Grundrecht auf Eigentum aus Art. 14 GG verletzt sein. I. Schutzbereich Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG schützt das Eigentum. Unter Eigentum sind alle vermö- genswerten Rechte zu verstehen, die dem Berechtigten in der Weise zugeord- net sind, dass er die damit verbundenen Befugnisse nach eigenverantwortli- cher Entscheidung zu seinem privaten Nutzen ausüben darf.1 Diesen konkre- ten vermögenswerten Positionen steht das Vermögen als solches (in seiner 1 Vgl. bspw. BVerfGE 83, 201 (208).
  • 3. LUDWIG-MAXIMILIANS-UNIVERSITÄT MÜNCHEN SEITE 3 VON 13 Gesamtheit) gegenüber, das nicht unmittelbar von Art. 14 GG geschützt wird.2 Die Einbeziehung des Vermögens in den Schutzbereich des Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG scheitert bereits daran, dass es sich beim Vermögen nicht um ein ein- fach-gesetzlich ausgestaltetes Recht, sondern den Inbegriff aller geldwerten Güter einer Person handelt.3 Durch die Verhängung der Geldbuße wird A nicht in Bezug auf ein konkretes vermögenswertes Recht beeinträchtigt. Ihr wird vielmehr nur die Zahlung ei- nes Geldbetrages auferlegt, unabhängig davon, wie sie die Mittel aufbringt, um diese Zahlung zu leisten, so dass allein ihr Vermögen betroffen ist. Der Schutzbereich des Art. 14 GG ist daher nicht berührt. II. Zwischenergebnis Eine Verletzung des Art.14 GG scheidet daher aus. B. Verletzung von Art. 12 Abs. 1 GG A könnte aber in ihrem Grundrecht auf Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs.1 GG verletzt sein. I. Eröffnung des Schutzbereichs Dann müsste zunächst der Schutzbereich eröffnet sein. 1. Sachlicher Schutzbereich In sachlicher Hinsicht schützt Art. 12 Abs. 1 GG die Berufsfreiheit. Unter Be- ruf ist jede erlaubte, auf eine gewisse Dauer angelegte Tätigkeit, die der Schaffung oder Erhaltung einer Lebensgrundlage dient, zu verstehen.4 Die Tätigkeit der A, Tortenböden in ihrer Fabrik verpacken zu lassen, ist auf Dau- er angelegt und dient der Erhaltung ihrer Lebensgrundlage. Es handelt sich dabei mithin um einen Beruf i.S.v. Art. 12 Abs. 1 GG. Der sachliche Schutzbe- reich ist demnach eröffnet. 2 BVerfGE 91, 207 (220); Jarass, in: ders./Pieroth, GG, Art. 14, Rn. 5; Kingreen/Poscher, Grundrechte – Staatsrecht II, Rn.1003; Papier, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 14, Rn. 160 ff., 165 ff.; Wieland, in: Drei- er, GG, Art. 14, Rn. 65 ff. 3 BVerfGE 95, 267 (301). 4 BVerfGE 7, 377 (397); 54, 301 (313); 102, 197 (212); BVerwGE 87, 37 (40 f.); vgl. auch Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 12 Rn. 18.
  • 4. LUDWIG-MAXIMILIANS-UNIVERSITÄT MÜNCHEN SEITE 4 VON 13 2. Persönlicher Schutzbereich In persönlicher Hinsicht schützt Art. 12 Abs.1 GG alle Deutschen, d.h. alle deutschen Staatsangehörigen. A ist deutsche Staatsangehörige, so dass auch der persönliche Schutzbereich eröffnet ist. II. Eingriff Weiterhin müsste auch ein Eingriff in die Berufsfreiheit der A vorliegen. Um als Eingriff im klassischen Sinn qualifiziert werden zu können, muss die mit der Verfassungsbeschwerde angegriffene Maßnahme: (1) final und nicht bloß unbeabsichtigte Folge eines auf ganz andere Ziele gerichteten Staats- handelns, (2) unmittelbar und nicht bloß zwar beabsichtigte, aber nur mittel- bare Folge des Staatshandelns, (3) rechtsförmig, d.h. ein Rechtsakt mit nicht bloß faktischer Wirkung sein und (4) imperativ sein, d.h. mit Befehl und Zwang angeordnet und durchgesetzt werden können. Als Besonderheit der Eingriffe in das Grundrecht der Berufsfreiheit gem. Art. 12 GG ist zusätzlich das Erfordernis der berufsregelnden Tendenz des staatlichen Handelns zu beachten. Eigenständige Relevanz gewinnt dieses Merkmal jedoch nur, wenn nicht schon die Voraussetzungen des klassischen Eingriffs vorliegen, insbesondere wenn die Finalität oder Unmittelbarkeit fehlt. (Nur) in diesem Fall muss sich die staatliche Maßnahme entweder un- mittelbar auf die berufliche Tätigkeit auswirken oder – fehlt es an der Unmit- telbarkeit – zumindest in einem engen Zusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit stehen. Staatliche Maßnahmen, die erkennbar einem anderen Zweck dienen und lediglich entfernte mittelbare Auswirkungen auf die Berufsfreiheit zeitigen (und damit die mittelbaren Folgen sich nur als sog. bloßer Reflex darstellen5), sind dagegen nicht als Eingriff anzusehen. Die Verhängung des Bußgelds stellt eine unmittelbare, imperative und norma- tive Freiheitsverkürzung dar. Fraglich ist jedoch, ob diese auch final auf die 5 Vgl. BVerfGE 116, 202 (222).
  • 5. LUDWIG-MAXIMILIANS-UNIVERSITÄT MÜNCHEN SEITE 5 VON 13 Verkürzung gerade der Berufsfreiheit der A gerichtet ist, da A nur zu einer Bußgeldzahlung herangezogen wird, die sie primär zunächst nur in ihrem Vermögen beeinträchtigt. Es könnte daher eine bloße (unbeachtliche) Rück- wirkung auf die Berufstätigkeit vorliegen und deshalb die Finalität in Bezug auf die Berufsfreiheit zu verneinen sein. Die Bußgeldzahlung erfüllt aber keinen Selbstzweck, sondern dient der Durchsetzung des in § 6a ArbZG enthaltenen Verbots, Arbeitnehmerinnen in der Nachtzeit zu beschäftigen. Dieses Verbot beschneidet die Möglichkeit des freien Einsatzes der Arbeitnehmerinnen von A und zielt daher auf die Verkür- zung der Freiheit der Berufsausübung.6 Das Gleiche muss daher für die der Durchsetzung des Verbots dienende Geldbuße gelten. Die Freiheitsverkürzung wirkt daher auch bezogen auf die Berufsfreiheit der A final. Es liegt damit be- reits ein klassischer Eingriff für A vor. Auf die Kriterien des modernen Ein- griffs kommt es daher nicht an. III. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung Fraglich ist, ob der Eingriff gerechtfertigt ist. Dies ist der Fall, wenn sich der Eingriff auf eine taugliche gesetzliche Grundlage als Schranke stützen kann, die verfassungsgemäß ist, und der Eingriff die Schranken-Schranken des Grundrechts wahrt. Anmerkung: Zum ebenfalls möglichen und genauso richtigen Alternativauf- bau siehe den Hinweis in Fall 1. 1. Schranken Gemäß Art. 12 Abs.1 S. 2 GG kann die Berufsausübung durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes geregelt werden. Dieser Regelungsvorbehalt, der der Sache nach ein Gesetzesvorbehalt ist,7 betrifft entgegen dem Wortlaut nicht nur die Berufsausübung, sondern die gesamte Berufsfreiheit, also auch die Berufswahl. Die Ausübung des Berufes lässt sich stets auch als ein bekräfti- 6 Vgl. zum Eingriff in die Berufsfreiheit durch Einschränkung der Verfügung über die Arbeitskraft der Arbeitnehmer BVerfGE 77, 308 (332). 7 BVerfGE 33, 125 (159).
  • 6. LUDWIG-MAXIMILIANS-UNIVERSITÄT MÜNCHEN SEITE 6 VON 13 gender Ausdruck der Wahl dieses Berufes verstehen.8 Art. 12 Abs.1 GG wird insoweit als ein einheitliches Grundrecht der Berufsfreiheit verstanden. Kon- sequenterweise gilt dieses einheitliche Verständnis auch für die Schranke des Art. 12 Abs.1 S. 2 GG. Diese stellt somit einen einfachen Gesetzesvorbehalt auf.9 Eine Einschränkung ist demnach aufgrund eines einfachen Parlaments- gesetzes möglich. a) Gesetzliche Grundlage Eine gesetzliche Grundlage für die Verhängung des Bußgelds ist durch § 22 i.V.m. § 6a ArbZG gegeben. Allerdings kann nicht jede gesetzliche Grundlage taugliche Schranke für ein Grundrecht sein, sondern nur eine verfassungskon- forme gesetzliche Grundlage. Fraglich ist daher, ob § 22 i.V.m. § 6a ArbZG formell und materiell verfas- sungsgemäß sind. b) Formelle Verfassungsmäßigkeit der Rechtsgrundlage Das Gesetz müsste zunächst formell verfassungsgemäß sein. Die Gesetzge- bungskompetenz für dessen Erlass kommt dem Bund kraft seiner Zuständig- keit aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG für das Arbeitsrecht zu, von der Einhaltung der Verfahrens- und Formbestimmungen ist mangels anderweitiger Anhalts- punkte im Sachverhalt auszugehen. Anmerkung: Wenn sich im Sachverhalt keine Hinweise auf formelle Mängel des Gesetzes ergeben, kann der Prüfungspunkt der formellen Verfassungsmä- ßigkeit in der Grundrechtsklausur in der Regel relativ kurz behandelt werden. c) Materielle Verfassungsmäßigkeit der Rechtsgrundlage Fraglich ist, ob § 22 i.V.m. § 6a ArbZG auch materiell verfassungsgemäß sind. Dabei können ungeachtet der Anforderungen, die sich unmittelbar aus Art. 12 Abs.1 GG ergeben, gesetzliche Eingriffe in die Berufsfreiheit nur dann Bestand haben, wenn sie auch sonst in jeder Hinsicht verfassungsmäßig sind 8 BVerfGE 7, 377 (401). 9 BVerfGE 33, 125 (159).
  • 7. LUDWIG-MAXIMILIANS-UNIVERSITÄT MÜNCHEN SEITE 7 VON 13 und insbesondere die Gleichheitsrechte des Art. 3 GG beachten.10 Hier könnte § 6a Abs. 1 ArbZG gegen Art. 3 GG verstoßen. Anmerkung: Ein Gesetz, das ein Grundrecht einschränkt, muss nicht nur in Hinblick auf diese spezifische subjektive Einschränkung, sondern insgesamt objektiv verfassungskonform sein. Deshalb dient hier Art. 3 GG als Prü- fungsmaßstab für § 6a Abs. 1 ArbZG, obwohl A hier nicht unmittelbar in die- sem Grundrechte betroffen ist. Eine solche Verletzung des Art. 3 GG liegt vor, wenn durch § 6a ArbZG eine verfassungsrechtlich relevante Ungleichbehandlung erfolgt und diese Un- gleichbehandlung nicht gerechtfertigt ist. aa) Ungleichbehandlung Der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs.1 GG verpflichtet den Gesetz- geber, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu be- handeln.11 Eine verfassungsrechtlich relevante Ungleichbehandlung durch einen Ho- heitsträger liegt vor, wenn sich zu der von der Regelung erfassten Gruppe ei- ne Vergleichsgruppe bestimmen lässt, die durch die Regelung anders behan- delt wird als die Ausgangsgruppe, obwohl beide Gruppen durch ein gemein- sames Merkmal einem einenden Oberbegriff unterstellt werden können. Durch § 6a ArbZG wird eine solche Ungleichbehandlung zwischen weiblichen Arbeitnehmerinnen und männlichen Arbeitnehmern vorgenommen, d.h. eine Unterscheidung innerhalb der Gruppe „Arbeitnehmer“ nach Geschlecht. bb) Verfassungsrechtliche Rechtfertigung der Ungleichbehandlung nach Geschlecht Diese Unterscheidung innerhalb der Gruppe der „Arbeitnehmer“ nach Ge- schlecht müsste verfassungsrechtlich gerechtfertigt sein. 10 Vgl. BVerfG, NJW 2008, 2409 (2417); BVerfGE 25, 236 (251). 11 Vgl. BVerfGE 1, 14 (52); 98, 365 (385); 116, 164 (180).
  • 8. LUDWIG-MAXIMILIANS-UNIVERSITÄT MÜNCHEN SEITE 8 VON 13 α) Rechtfertigungsmaßstab Dabei ist zunächst fraglich, welcher Rechtfertigungsmaßstab hier heranzuzie- hen ist. Hier könnte zum einen Art. 3 Abs. 2 GG, der ein Gleichbehandlungs- gebot für Männer und Frauen statuiert, zum anderen Art. 3 Abs. 3 GG, der ei- ne Benachteiligung wegen des Geschlechts verbietet, einschlägig sein. Zunächst scheint Art. 3 Abs. 2 GG hier spezieller zu sein, da er ausschließlich auf die Differenzierung zwischen Männern und Frauen eingeht. Allerdings enthält Art. 3 Abs. 3 GG explizit das Verbot der Diskriminierung nach Ge- schlecht, als nach Unterscheidung zwischen Mann und Frau. Tatsächlich ist hier Art. 3 Abs. 3 GG die relevante Norm zur Beurteilung von Ungleichbehandlungen aufgrund des Geschlechts. Denn soweit es um die Frage geht, ob eine Regelung Frauen wegen ihres Geschlechts zu Unrecht be- nachteiligt, enthält Art. 3 Abs. 2 GG keine weitergehenden oder spezielleren Anforderungen als Art. 3 Abs. 3 GG. Der über das Diskriminierungsverbot des Art. 3 Abs. 3 GG hinausreichende Regelungsgehalt von Art. 3 Abs. 2 GG be- steht darin, dass er ein Gleichberechtigungsgebot aufstellt und dieses auch auf die gesellschaftliche Wirklichkeit erstreckt.12 Da es hier nicht um eine Gleichstellungsmaßnahme geht, ist die Ungleichbehandlung hier an Art. 3 Abs. 3 GG zu messen. β) Rechtfertigungsmöglichkeit Nach Art. 3 Abs. 3 GG darf niemand wegen seines Geschlechts benachteiligt oder bevorzugt werden. Die Vorschrift verstärkt den allgemeinen Gleichheits- satz des Art. 3 Abs. 1 GG, indem sie der dem Gesetzgeber darin eingeräumten Gestaltungsfreiheit engere Grenzen zieht. Das Geschlecht darf grundsätzlich – ebenso wie die anderen in Absatz 3 genannten Merkmale – nicht als Anknüp- fungspunkt für eine rechtliche Ungleichbehandlung herangezogen werden. Das gilt auch dann, wenn eine Regelung nicht auf eine nach Art. 3 Abs. 3 GG 12 BVerfGE 85, 191 (206 f.).
  • 9. LUDWIG-MAXIMILIANS-UNIVERSITÄT MÜNCHEN SEITE 9 VON 13 verbotene Ungleichbehandlung angelegt ist, sondern in erster Linie andere Ziele verfolgt.13 Dieser Grundsatz gilt gleichwohl – auch wenn der Wortlaut anderes nahe le- gen mag – nicht ausnahmslos: Nicht jede Ungleichbehandlung, die an das Ge- schlecht anknüpft, verstößt automatisch gegen Art. 3 Abs. 3 GG. Zum einen können differenzierende Regelungen vielmehr zulässig sein, soweit sie zur Lösung von Problemen, die ihrer Natur nach nur entweder bei Männern oder bei Frauen auftreten können, zwingend erforderlich sind14, soweit sie also an „objektive biologische Unterschiede“15 anknüpfen und zu deren Bewältigung im strengen Sinne erforderlich sind.16 Zum anderen können differenzierende Regelungen zulässig sein, wenn sie durch das besondere Gleichberechti- gungsgebot des Art. 3 Abs. 2 GG gerechtfertigt sind (kollidierendes Verfas- sungsrecht). (1) Zwingendes Erfordernis aufgrund biologischer Unterschiede? Fraglich ist, ob ein solches zwingendes Erfordernis für den vorliegenden Fall besteht. Der Grund für die gesetzliche Differenzierung liegt in der Annahme des Gesetzgebers, dass Frauen wegen ihrer Konstitution stärker unter Nacht- arbeit leiden als männliche Arbeitnehmer. Für diese These gibt es indes keine gesicherten Anhaltspunkte: Nachtarbeit ist grundsätzlich für jeden Menschen schädlich. Selbst wenn in rein tatsächlicher Hinsicht belegbar wäre, dass Frauen durch Nachtarbeit stärker beeinträchtigt werden, weil – was zu belegen wäre – sta- tistisch betrachtet mehr Frauen als Männer mit der Haushaltsführung und Kinderbetreuung befasst sind, würde dies nicht zu einer abweichenden Be- wertung führen. Diese Belastung wäre dann kein geschlechtsspezifischer bio- logischer, sondern ein sozialer Grund für die Ungleichbehandlung. Denn von dieser Doppelbelastung wären alleinerziehende Väter in gleicher Weise, kin- derlose, alleinlebende Frauen hingegen nicht in gleichem Maße betroffen. Ein solcher sozialer Befund reicht daher zur Rechtfertigung einer geschlechtsbe- 13 BVerfGE 85, 191 (206). 14 BVerfGE 85, 191 (207). 15 Kingreen/Poscher, Grundrechte – Staatsrecht II, Rn. 514. 16 BVerfGE 85, 191 (207).
  • 10. LUDWIG-MAXIMILIANS-UNIVERSITÄT MÜNCHEN SEITE 10 VON 13 zogenen Ungleichbehandlung nicht aus, da er sich nicht auf zwingende biolo- gische Unterschiede stützen lässt. Ein zwingendes Erfordernis für die Regelung aufgrund biologischer Unter- schiede liegt somit nicht vor. (2) Rechtfertigung durch Gleichberechtigungsgebot? Die Regelung könnte aber durch das Gleichberechtigungsgebot des Art. 3 Abs. 2 GG gerechtfertigt sein. Dafür müsste das Nachtarbeitsverbot den Zwe- cken des Art. 3 Abs. 2 GG aber objektiv förderlich sein. Das Nachtarbeitsverbot „schützt zwar zahlreiche Frauen, die neben Kinderbe- treuung und Hausarbeit beruflich tätig sind, vor gesundheitsgefährdender Nachtarbeit. Dieser Schutz ist aber mit erheblichen Nachteilen verbunden: Frauen werden dadurch bei der Stellensuche benachteiligt. Arbeit, die min- destens zeitweise auch nachts geleistet werden muß, können sie nicht an- nehmen. [...] Darüber hinaus werden [Arbeitnehmerinnen] daran gehindert, über ihre Arbeitszeit frei zu disponieren. Nachtarbeitszuschläge können sie nicht verdienen. All das kann auch zur Folge haben, daß Frauen weiterhin in größerem Umfang als Männer neben einer Berufsarbeit noch mit Kinderbe- treuung und Hausarbeit belastet werden und daß sich damit die überkommene Rollenverteilung zwischen den Geschlechtern verfestigt. Insofern erschwert das Nachtarbeitsverbot einen Abbau von gesellschaftlichen Nachteilen der Frau.“17 Eine Rechtfertigung durch das besondere Gleichberechtigungsgebot liegt da- her ebenfalls nicht vor. 2. Zwischenergebnis Soweit § 6a ArbZG zwischen weiblichen und männlichen Arbeitnehmern diffe- renziert, verstößt die Vorschrift somit gegen Art. 3 Abs. 3 GG. Die Vorschrift bildet somit keine verfassungsgemäße gesetzliche Schranke, auf die die Buß- geldverhängung gestützt werden kann. 17 BVerfGE 85, 191 (209 f.).
  • 11. LUDWIG-MAXIMILIANS-UNIVERSITÄT MÜNCHEN SEITE 11 VON 13 IV. Ergebnis Mangels verfassungsgemäßer Schranke ist der Eingriff in die Berufsfreiheit der A aus Art. 12 Abs. 1 GG somit verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt und damit verfassungswidrig. A ist in ihrem Grundrecht aus Art. 12 Abs. 1 GG verletzt. C. Ergebnis A ist in ihrem Grundrecht verletzt. Frage 2 Das Bundesverfassungsgericht wird der Konkreten Normenkontrolle stattge- ben, wenn sie zulässig und begründet ist. A. Zulässigkeit I. Zuständigkeit des BVerfG Das BVerfG ist gem. Art. 100 Abs.1 GG, § 13 Nr.11 BVerfGG zuständig. II. Vorlageberechtigung Das Amtsgericht müsste auch vorlageberechtigt sein. Nach Art. 100 Abs.1 GG sind vorlageberechtigt alle Gerichte. Das Amtsgericht ist ein solches Gericht und damit vorlageberechtigt. III. Vorlagegegenstand Weiterhin müsst ein tauglicher Vorlagegegenstand vorliegen. Tauglicher Vor- lagegegenstand sind gem. Art. 100 Abs. 1 GG Gesetze. Darunter sind nur for- melle, nachkonstitutionelle18 Gesetze zu verstehen. Da es sich bei § 6a ArbZG um ein (nachkonstitutionelles) Bundesgesetz handelt, ist die Norm grundsätz- lich tauglicher Vorlagegegenstand. 18 Vgl. zur Vorlagefähigkeit vorkonstitutioneller, in den Willen des Bundesgesetzgebers aufgenommener Gesetze BVerfGE 45, 187 (221 f.); 48, 396 (398); Degenhart, Staatsrecht I – Staatsorganisationsrecht, Rn. 838.
  • 12. LUDWIG-MAXIMILIANS-UNIVERSITÄT MÜNCHEN SEITE 12 VON 13 IV. Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit Weiterhin müsste das vorlegende Amtsgericht § 6a ArbZG für verfassungswid- rig und damit nichtig halten. Das Amtsgericht hat laut Sachverhalt aber ledig- lich Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des § 6a ArbZG. Zweifel an der Ver- fassungsmäßigkeit reichen aber bei der konkreten Normenkontrolle, anders als in den Fällen des Art. 100 Abs. 2 GG und Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG, gerade nicht aus. Das vorlegende Gericht muss vielmehr von der Verfassungswidrig- keit überzeugt sein.19 An dieser Überzeugung fehlt es hier jedoch, so dass die Vorlagevoraussetzungen bereits insoweit nicht erfüllt sind. Anmerkung: Der Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit eines Gesetzes steht grundsätzlich nicht entgegen, dass das BVerfG bereits in einer früheren Entscheidung die Vereinbarkeit dieser Norm mit dem Grundgesetz festgestellt hat. Die erneute Vorlage einer bereits zuvor durch das BVerfG geprüften Norm kann trotz der Bindungs- und Rechtskraftwirkungen des § 31 BVerfGG zulässig sein. In diesem Fall muss das Gericht jedoch neue Tatsachen darle- gen, die geeignet sind, eine von der früheren Entscheidung abweichende Ent- scheidung des BVerfG zu ermöglichen. Hierfür genügt allerdings nicht schon der Vortrag, das BVerfG habe in der vorherigen Entscheidung einen Aspekt unberücksichtigt gelassen.20 V. Entscheidungserheblichkeit Schließlich müsste die Norm aber auch im konkreten Fall entscheidungser- heblich sein. Dies ist dann der Fall, wenn die Entscheidung des Gerichts bei Gültigkeit der Norm anders ausfallen würde als bei ihrer Nichtigkeit.21 Das ist jedenfalls dann nicht (mehr) der Fall, wenn die Unanwendbarkeit der Norm bereits aus anderen Gründen feststeht. Hier hat der EuGH bereits in einem Urteil aus dem Jahre 1991 festgestellt hat, dass sich aus unmittelbar anwendbaren europa- rechtlichen Vorschriften eine Verpflichtung der Mitgliedstaaten ergebe, kein 19 Vgl. BVerfGE 78, 104 (117); E 80, 54 (59); Maunz/Dürig/Dederer GG Art. 100 Rn. 129. 20 Maunz/Dürig/Dederer GG Art. 100 Rn. 131. 21 Vgl. BVerfGE 80, 96 (101).
  • 13. LUDWIG-MAXIMILIANS-UNIVERSITÄT MÜNCHEN SEITE 13 VON 13 Verbot der Nachtarbeit für Frauen aufzustellen, wenn es kein Verbot der Nachtarbeit für Männer gebe. Damit liegt ein Konflikt zwischen § 6a ArbZG und unmittelbar anwendbarem Unionsrecht offen zutage. Kollidiert Unionsrecht mit nationalem Recht, so muss das Gericht den Normenkonflikt lösen. Dabei ist der Vorrang des Uni- onsrechts zu beachten. § 6a ArbZG wird daher in seiner Anwendbarkeit durch entgegenstehende, unmittelbar anwendbare Unionsrechtsnormen verdrängt. Diese genießen Anwendungsvorrang, so dass § 6a ArbZG nicht mehr ange- wendet werden kann. Für die Entscheidung des Gerichts ist daher die Verfassungsmäßigkeit von § 6a ArbZG ohne Belang, da die Norm ohnehin nicht angewendet werden darf. Es fehlt daher auch an der Entscheidungserheblichkeit der Norm. B. Ergebnis Mangels ausreichender Überzeugung von der Nichtigkeit sowie der fehlenden Entscheidungserheblichkeit ist die konkrete Normenkontrolle somit unzuläs- sig.