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Urologe 2011 · 50:74–76
DOI 10.1007/s00120-010-2452-z
Online publiziert: 11. Dezember 2010
© Springer-Verlag 2010
T. Lehnert1 · H. Ahmed1 · R. Metzger1 · C. Geyer1 ·W. Hirsch2 · H. Till1
1 Klinik und Poliklinik für Kinderchirurgie, Universitätsklinikum Leipzig AöR, Leipzig
2 Abteilung Kinderradiologie, Klinik und Poliklinik für Diagnostische
und Interventionelle Radiologie, Universitätsklinikum Leipzig, Leipzig
Zystische abdominale Raum-
forderung als Komplikation
von posterioren
Harnröhrenklappen
Kasuistiken
Das Urinom ist eine flüssigkeitsge-
füllte Raumforderung, bei der extra-
vasaler Urin abgekapselt in der peri-
renalen Faszie vorzufinden ist. Dafür
bekannte Synonyme sind Pseudohy-
dronephrosis oder pararenale Pseu-
dozyste. Die folgenden für die Aus-
bildung eines Urinoms notwendigen
Faktoren wurden experimentell be-
stimmt: vorliegende renale Malfor-
mation, kaudal gelegene Obstruktion
sowie die Ruptur des renalen Urin-
sammelsystems [4]. Als Ursachen wer-
den renaleTraumata und obstruktive
Uropathien wie posteriore Harnröh-
renklappen, Harnleiterobstruktionen
sowie selten vorkommende uretero-
pelvine Obstruktionen beschrieben.
Die fetale Sonographie kann die Dia-
gnose bei obstruktiven Uropathien
einschließlich dem Auftreten eines
Urinoms ermöglichen [1].
Anamnese
Wir berichten über einen eutrophen
männlichen Säugling, bei dem bereits
pränatal sonographisch eine unklare zyst­
ische Struktur an der linken Niere eru­
iert wurde. Die Schwangerschaftsanam­
nese war unauffällig. Die Geburt erfolg­
te nach 38+5 Schwangerschaftswochen
(SSW) per Sectio. Das Geburtsgewicht
betrug 2610 g (BMI-SDS =−0,26), die Ge­
burtslänge 46 cm (SDS =−2,33), APGAR
9/10/10. Bei klinischen Untersuchungen
zeigten sich keine offensichtlichen konge­
nitalen Anomalien oder Malformationen.
Unmittelbar postnatal bestätigte sich mit­
tels Ultraschall die zystische Struktur um
die linke Niere. Weiterhin wurden beid­
seitige Megaureteren mit Harntransport­
störung dargestellt. Seit dem 2. Lebenstag
(LT) zeigte sich eine Größenprogredienz
der zystischen Struktur bei ansteigenden
Kreatininwerten. Die daraufhin durch­
geführte Magnetresonanztomographie
(MRT) des Abdomens wies eine große
septierte, zystische Raumforderung nach,
welche das linke perirenale Areal ein­
nimmt und die dysplastische Niere um­
fasst. Weiterhin waren bilaterale Megau­
reteren sowie eine vergrößerte Harnblase
mit Trabekulation und Pseudodivertikeln
eruierbar (. Abb. 1).
Befund
Bei Aufnahme am 4. LT präsentierte sich
der Patient in kreislaufstabilem Allge­
meinzustand (AZ) dyspnoeisch mit deut­
lich distendiertem Abdomen. Laborche­
misch zeigten sich erhöhte Werte für Se­
rumkreatinin (214 μmol/l), Harnstoff
(11 mmol/l), Serum-K+ (7,6 mmol/l), so­
wie eine Hypoalbuminämie. Die übrigen
Elektrolyt- und Entzündungswerte wa­
ren im altersentsprechenden Normbe­
reich. Die Ultraschalluntersuchung des
Abdomens zeigte eine 7×6×4 cm durch­
messende zystische, septierte Struktur im
Bereich der linken Niere, Megaureteren
sowie Urinaszites. Die Nierenperfusion
links war duplexsonographisch im Ver­
gleich zur Gegenseite deutlich vermin­
dert. Rechtsseitig zeigt sich eine Erweite­
rung des Nierenhohlsystems Grad II–III.
Therapie undVerlauf
Da eine Punktion des Nierenbeckenkelch­
systems aufgrund der Größe des Urinoms
nicht möglich war, erfolgte am 4. LT die
Urinomdrainage als Erstintervention. Da­
bei wurde die ultraschallgestützte perku­
tane Einlage eines Pigtail-Katheters in Sel­
dinger-Technik vorgenommen. Es ent­
leerte sich klare Flüssigkeit. Die postin­
terventionelle MR-Bildgebung zeigte eine
deutliche Regredienz der Zyste mit dar­
stellbarem Ursprung in der linken Niere
(. Abb. 2). Diese lag orthotop und stell­
te sich in sonographischen Verlaufskont­
rollen gut perfundiert dar. Klinisch fand
sich ein deutlicher Beschwerderückgang.
Die am 15. LT durchgeführte Urethro­
zystoskopie zeigte eine Blasenwandtrabe­
kulierung mit Pseudodivertikeln sowie
posteriore Harnröhrenklappen, welche
mittels Laser transurethral reseziert wur­
den. Der postoperative Verlauf gestalte­
te sich unauffällig. Der Pigtail-Katheter
wurde am 20. LT entfernt. Wiederholte
Harntraktsonographien zeigten rückläu­
fige Harntransportstörungen beidseits.
Die Nierenretentionsparameter befan­
den sich im Normbereich. Eine Tc99m-
Mercaptoacetyl-Triglycin- (MAG III-)
74 |  Der Urologe 1 · 2011
Abb. 1 8 MRT des Abdomens präinterventionell: a ausgeprägtes linksseitiges Urinom (U), welches die 
linke Niere (schwarze Pfeile) nach kaudal verdrängt; verdickte Harnblasenwand (HB). b Kennzeichnung 
der Hydronephrose rechts (schwarzer Pfeil)
Nierenszintigraphie in der 4. Lebenswo­
che ergab eine Partialfunktion von 25%
der rechten und 75% der linken Niere mit
beidseitig zügigem Urinabfluss nach La­
sixgabe.
Diskussion
Posteriore Harnröhrenklappen sind ab­
normale, angeborene Membranen, welche
in der Pars prostatica urethrae als segelar­
tige Ausläufer lateral des Colliculus semi­
nalis lokalisiert sind. Eine der meist an­
genommenen pathogenetischen Theorien
erwägt eine untypische Insertion des me­
sonephrischen Duktus in die Kloake oder
eine inkomplette Rückbildung der Plicae
colliculi [3]. Die klassische Einteilung von
posterioren Harnröhrenklappen erfolgt
seit 1919 in Typ I, II und III nach Young.
Im Laufe der Zeit wurden aufgrund zu­
nehmender Erkenntnis über die norma­
le embryologische Entwicklung der Harn­
röhre sowie klinischer Erfahrung Eintei­
lungsmodifikationen vorgenommen [6].
Posteriore Harnröhrenklappen stellen
beim männlichen Neugeborenen die häu­
figste Ursache für eine obstruktive Uro­
pathie dar. Dies kann sekundär zur An­
sammlung extravasalen Urins mit Ausbil­
dung eines Urinoms mit Urinaszites füh­
ren [5].
Das perirenale Urinom entsteht durch
eine Ruptur des Nierenbeckenkelchsys­
tems. Die Urinansammlung kann einer­
seits (wie im dargestellten Fall) subkapsu­
Zusammenfassung · Abstract
Urologe 2011 · 50:74–76
DOI 10.1007/s00120-010-2452-z
© Springer-Verlag 2010
T. Lehnert · H. Ahmed · R. Metzger · 
C. Geyer · W. Hirsch · H. Till
Zystische abdominale
Raumforderung als
Komplikation von posterioren
Harnröhrenklappen
Zusammenfassung
Wir berichten über einen Patienten mit 
einem postnatal diagnostizierten Urinom bei 
posterioren Harnröhrenklappen. Therapie-
strategien sowie Management werden prä-
sentiert und diskutiert. Harnröhrenklappen 
und ihre Sekundärpathologien sollten diffe-
rentialdiagnostisch bei Neugeborenen mit 
einer rasch progredienten, zystischen, abdo-
minalen Raumforderung in Betracht gezo-
gen werden. Die frühe Diagnostik und Inter-
vention sind die wichtigsten prognostischen 
Faktoren, um ein gutes Ergebnis zu gewähr-
leisten.
Schlüsselwörter
Urinom · Obstruktive Uropathie · 
Neugeborenes · Posteriore 
Harnröhrenklappen · Abdominale 
Raumforderung
Cystic abdominal mass
as a complication
due to posterior urethral valves
Abstract
A case of urinoma with posterior urethral 
valves and its management is presented. Di-
agnostic investigations and therapy strate-
gies are discussed. Though rare, this possibili-
ty should be considered in the differential di-
agnosis of neonates presenting with rapid-
ly expanding cystic masses in the abdomen. 
Early diagnosis and management are the 
most important prognostic factors that en-
sure a good outcome in such cases.
Keywords
Urinoma · Obstructive uropathy · Neonate · 
Posterior urethral valves · Abdominal mass
Abb. 2 8 MRT – postinterventionell: a Größenregredienz des Urinoms (U), a, b Darstellung beidseiti-
ger Hydronephrose (H) sowie Megaureteren
75Der Urologe 1 · 2011  | 
lär lokalisiert sein, andererseits im peri­
renalem Raum begrenzt durch die Gero­
ta-Faszie erfolgen. Das Urinom stellt eine
Komplikation einer ausgeprägten Harn­
transportstörung dar, jedoch wird eine
zunächst protektive Funktion für das Nie­
renparenchym angenommen.
Ein Urinom präsentiert sich klinisch
mit einer zunächst unklaren zystischen
Raumforderung im Bereich des Abdo­
mens, welche zu respiratorischem Stress,
eingeschränkter Nierenfunktion und
Harntraktinfektion führen kann. Die Ult­
raschalldiagnostik ist ein einfaches Werk­
zeug in der Erst- und Verlaufsdiagnostik
[2]. MRT-Untersuchungen können das
Urinom exakt abgrenzen und den Zu­
stand der Nieren darstellen.
Die ultraschallgestützte Urinomdrai­
nage führt zu einer raschen Verbesserung
des AZ des Patienten sowie zur Druck­
entlastung der Niere mit regredienten Re­
tentionsparametern (. Abb. 3). Die de­
finitive Therapie stellte die transurethrale
Harnröhrenklappenresektion dar.
Fazit für die Praxis
Das Urinom sollte differentialdiagnos-
tisch bei Neugeborenen mit einer rasch
progredienten, zystischen, abdomina-
len Raumforderung in Betracht gezogen
werden. Die frühe Diagnostik und Inter-
vention sind die wichtigsten prognos-
tischen Faktoren. Die perkutane ultra-
schallgestützte Urinomdrainage stellt die
essentielle Erstintervention dar, um eine
Verbesserung des Allgemeinzustands
und den Erhalt der Nierenfunktion zu ge-
währleisten.
Korrespondenzadresse
T. Lehnert
Klinik und Poliklinik für Kinderchirurgie,  
Universitätsklinikum Leipzig AöR,
Liebigstraße 20a, 04103 Leipzig
thomas.lehnert@uniklinikum-leipzig.de
Interessenkonflikt.  Der korrespondierende Autor
gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Literatur
  1.	 Connor JP, HensleTW, BerdonW et al (1988) Con-
tained neonatal urinoma: Management and func-
tional results. J Urol 140:1319–1322
  2.	 Ito S, Ikeda M, Asanuma H et al (2000) A gaint uri-
noma in a neonate without obstructive uropathy.
Pediatr Nephrol 14:831–832
  3.	 Manzoni C,Valentini AL (2002) Posterior urethral
valves. Rays 27(2):131–134
  4.	 McInerney D, Jones A, Roylance J (1977) Urinoma.
Clin Radiol 28:345–351
  5.	 Rao S (2007) Bilateral spontaneous asymptomatic
urinoma: Report of an unusual Case. J Pediatr Urol
3(6):507–508
  6.	 Young HH, FrontzWA, Baldwin JC (1919) Conge-
nital obstruction of the posterior urethra. J Urol
3:289–365. J Urol 167(1):265–268
Retentionsparameter
214 171
98
48
30 28
11 8,8
2,1
1,2
4,1 4
1
10
100
1000
Nephrostom
ie4
5
11
Klappenresektion
15
36
57
Lebenstag
Kreatinin in µmol/l Harnstoff in mmol/l
Abb. 3 9 Die ultra-
schallgestützte Uri-
nomdrainage führt zu
einerVerbesserung des
Allgemeinzustands des
Patienten sowie zur
Druckentlastung der
Niere mit regredien-
ten Retentionspara-
metern
76 |  Der Urologe 1 · 2011
Albarelli F,Widhalm S
Eiertanz.
Das Kinderwunschbuch
mvgVerlag 2010,
288 S., (ISBN-13: 978-3868822069)
Taschenbuch, 16.95 EUR
Jedes Jahr fangen in Deutschland rund
120.000 Menschen eine Kinderwunsch-
behandlung an. Zwei davon sind Simone
Widhalm und Flora Albarelli – eine medizini-
sche Fachfrau und eine Bloggerin. Die beiden
haben sich zusammengetan und ein Buch
geschrieben, in dem es nicht nur jede Menge
Informationen zu den unterschiedlichen
Behandlungsmöglichkeiten gibt, sondern
auch einen authentischen Erfahrungsbericht
aus der merkwürdigenWelt der Spritzen,
Warteschleifen und des hormongesteuerten
Kopfkinos.
„Dieses Buch beschreibt die Höhen und
Tiefen der Kinderwunschbehandlung aus der
Sicht von Betroffenen in gelungener Kom-
bination mit einer verständlichen Erklärung
der medizinischen Grundlagen und Fakten.
Bei der realistischen und teils amüsanten
Darstellung der oft langwierigen und be-
lastendenTherapie werden sich sicher viele
Kinderwunschpaare wiederfinden können
und feststellen, dass sie nicht allein sind. Sehr
empfehlenswert!“
Prof. Dr. med. Jan-Steffen Krüssel
Buchtipp

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  • 1. Urologe 2011 · 50:74–76 DOI 10.1007/s00120-010-2452-z Online publiziert: 11. Dezember 2010 © Springer-Verlag 2010 T. Lehnert1 · H. Ahmed1 · R. Metzger1 · C. Geyer1 ·W. Hirsch2 · H. Till1 1 Klinik und Poliklinik für Kinderchirurgie, Universitätsklinikum Leipzig AöR, Leipzig 2 Abteilung Kinderradiologie, Klinik und Poliklinik für Diagnostische und Interventionelle Radiologie, Universitätsklinikum Leipzig, Leipzig Zystische abdominale Raum- forderung als Komplikation von posterioren Harnröhrenklappen Kasuistiken Das Urinom ist eine flüssigkeitsge- füllte Raumforderung, bei der extra- vasaler Urin abgekapselt in der peri- renalen Faszie vorzufinden ist. Dafür bekannte Synonyme sind Pseudohy- dronephrosis oder pararenale Pseu- dozyste. Die folgenden für die Aus- bildung eines Urinoms notwendigen Faktoren wurden experimentell be- stimmt: vorliegende renale Malfor- mation, kaudal gelegene Obstruktion sowie die Ruptur des renalen Urin- sammelsystems [4]. Als Ursachen wer- den renaleTraumata und obstruktive Uropathien wie posteriore Harnröh- renklappen, Harnleiterobstruktionen sowie selten vorkommende uretero- pelvine Obstruktionen beschrieben. Die fetale Sonographie kann die Dia- gnose bei obstruktiven Uropathien einschließlich dem Auftreten eines Urinoms ermöglichen [1]. Anamnese Wir berichten über einen eutrophen männlichen Säugling, bei dem bereits pränatal sonographisch eine unklare zyst­ ische Struktur an der linken Niere eru­ iert wurde. Die Schwangerschaftsanam­ nese war unauffällig. Die Geburt erfolg­ te nach 38+5 Schwangerschaftswochen (SSW) per Sectio. Das Geburtsgewicht betrug 2610 g (BMI-SDS =−0,26), die Ge­ burtslänge 46 cm (SDS =−2,33), APGAR 9/10/10. Bei klinischen Untersuchungen zeigten sich keine offensichtlichen konge­ nitalen Anomalien oder Malformationen. Unmittelbar postnatal bestätigte sich mit­ tels Ultraschall die zystische Struktur um die linke Niere. Weiterhin wurden beid­ seitige Megaureteren mit Harntransport­ störung dargestellt. Seit dem 2. Lebenstag (LT) zeigte sich eine Größenprogredienz der zystischen Struktur bei ansteigenden Kreatininwerten. Die daraufhin durch­ geführte Magnetresonanztomographie (MRT) des Abdomens wies eine große septierte, zystische Raumforderung nach, welche das linke perirenale Areal ein­ nimmt und die dysplastische Niere um­ fasst. Weiterhin waren bilaterale Megau­ reteren sowie eine vergrößerte Harnblase mit Trabekulation und Pseudodivertikeln eruierbar (. Abb. 1). Befund Bei Aufnahme am 4. LT präsentierte sich der Patient in kreislaufstabilem Allge­ meinzustand (AZ) dyspnoeisch mit deut­ lich distendiertem Abdomen. Laborche­ misch zeigten sich erhöhte Werte für Se­ rumkreatinin (214 μmol/l), Harnstoff (11 mmol/l), Serum-K+ (7,6 mmol/l), so­ wie eine Hypoalbuminämie. Die übrigen Elektrolyt- und Entzündungswerte wa­ ren im altersentsprechenden Normbe­ reich. Die Ultraschalluntersuchung des Abdomens zeigte eine 7×6×4 cm durch­ messende zystische, septierte Struktur im Bereich der linken Niere, Megaureteren sowie Urinaszites. Die Nierenperfusion links war duplexsonographisch im Ver­ gleich zur Gegenseite deutlich vermin­ dert. Rechtsseitig zeigt sich eine Erweite­ rung des Nierenhohlsystems Grad II–III. Therapie undVerlauf Da eine Punktion des Nierenbeckenkelch­ systems aufgrund der Größe des Urinoms nicht möglich war, erfolgte am 4. LT die Urinomdrainage als Erstintervention. Da­ bei wurde die ultraschallgestützte perku­ tane Einlage eines Pigtail-Katheters in Sel­ dinger-Technik vorgenommen. Es ent­ leerte sich klare Flüssigkeit. Die postin­ terventionelle MR-Bildgebung zeigte eine deutliche Regredienz der Zyste mit dar­ stellbarem Ursprung in der linken Niere (. Abb. 2). Diese lag orthotop und stell­ te sich in sonographischen Verlaufskont­ rollen gut perfundiert dar. Klinisch fand sich ein deutlicher Beschwerderückgang. Die am 15. LT durchgeführte Urethro­ zystoskopie zeigte eine Blasenwandtrabe­ kulierung mit Pseudodivertikeln sowie posteriore Harnröhrenklappen, welche mittels Laser transurethral reseziert wur­ den. Der postoperative Verlauf gestalte­ te sich unauffällig. Der Pigtail-Katheter wurde am 20. LT entfernt. Wiederholte Harntraktsonographien zeigten rückläu­ fige Harntransportstörungen beidseits. Die Nierenretentionsparameter befan­ den sich im Normbereich. Eine Tc99m- Mercaptoacetyl-Triglycin- (MAG III-) 74 |  Der Urologe 1 · 2011
  • 2. Abb. 1 8 MRT des Abdomens präinterventionell: a ausgeprägtes linksseitiges Urinom (U), welches die  linke Niere (schwarze Pfeile) nach kaudal verdrängt; verdickte Harnblasenwand (HB). b Kennzeichnung  der Hydronephrose rechts (schwarzer Pfeil) Nierenszintigraphie in der 4. Lebenswo­ che ergab eine Partialfunktion von 25% der rechten und 75% der linken Niere mit beidseitig zügigem Urinabfluss nach La­ sixgabe. Diskussion Posteriore Harnröhrenklappen sind ab­ normale, angeborene Membranen, welche in der Pars prostatica urethrae als segelar­ tige Ausläufer lateral des Colliculus semi­ nalis lokalisiert sind. Eine der meist an­ genommenen pathogenetischen Theorien erwägt eine untypische Insertion des me­ sonephrischen Duktus in die Kloake oder eine inkomplette Rückbildung der Plicae colliculi [3]. Die klassische Einteilung von posterioren Harnröhrenklappen erfolgt seit 1919 in Typ I, II und III nach Young. Im Laufe der Zeit wurden aufgrund zu­ nehmender Erkenntnis über die norma­ le embryologische Entwicklung der Harn­ röhre sowie klinischer Erfahrung Eintei­ lungsmodifikationen vorgenommen [6]. Posteriore Harnröhrenklappen stellen beim männlichen Neugeborenen die häu­ figste Ursache für eine obstruktive Uro­ pathie dar. Dies kann sekundär zur An­ sammlung extravasalen Urins mit Ausbil­ dung eines Urinoms mit Urinaszites füh­ ren [5]. Das perirenale Urinom entsteht durch eine Ruptur des Nierenbeckenkelchsys­ tems. Die Urinansammlung kann einer­ seits (wie im dargestellten Fall) subkapsu­ Zusammenfassung · Abstract Urologe 2011 · 50:74–76 DOI 10.1007/s00120-010-2452-z © Springer-Verlag 2010 T. Lehnert · H. Ahmed · R. Metzger ·  C. Geyer · W. Hirsch · H. Till Zystische abdominale Raumforderung als Komplikation von posterioren Harnröhrenklappen Zusammenfassung Wir berichten über einen Patienten mit  einem postnatal diagnostizierten Urinom bei  posterioren Harnröhrenklappen. Therapie- strategien sowie Management werden prä- sentiert und diskutiert. Harnröhrenklappen  und ihre Sekundärpathologien sollten diffe- rentialdiagnostisch bei Neugeborenen mit  einer rasch progredienten, zystischen, abdo- minalen Raumforderung in Betracht gezo- gen werden. Die frühe Diagnostik und Inter- vention sind die wichtigsten prognostischen  Faktoren, um ein gutes Ergebnis zu gewähr- leisten. Schlüsselwörter Urinom · Obstruktive Uropathie ·  Neugeborenes · Posteriore  Harnröhrenklappen · Abdominale  Raumforderung Cystic abdominal mass as a complication due to posterior urethral valves Abstract A case of urinoma with posterior urethral  valves and its management is presented. Di- agnostic investigations and therapy strate- gies are discussed. Though rare, this possibili- ty should be considered in the differential di- agnosis of neonates presenting with rapid- ly expanding cystic masses in the abdomen.  Early diagnosis and management are the  most important prognostic factors that en- sure a good outcome in such cases. Keywords Urinoma · Obstructive uropathy · Neonate ·  Posterior urethral valves · Abdominal mass Abb. 2 8 MRT – postinterventionell: a Größenregredienz des Urinoms (U), a, b Darstellung beidseiti- ger Hydronephrose (H) sowie Megaureteren 75Der Urologe 1 · 2011  | 
  • 3. lär lokalisiert sein, andererseits im peri­ renalem Raum begrenzt durch die Gero­ ta-Faszie erfolgen. Das Urinom stellt eine Komplikation einer ausgeprägten Harn­ transportstörung dar, jedoch wird eine zunächst protektive Funktion für das Nie­ renparenchym angenommen. Ein Urinom präsentiert sich klinisch mit einer zunächst unklaren zystischen Raumforderung im Bereich des Abdo­ mens, welche zu respiratorischem Stress, eingeschränkter Nierenfunktion und Harntraktinfektion führen kann. Die Ult­ raschalldiagnostik ist ein einfaches Werk­ zeug in der Erst- und Verlaufsdiagnostik [2]. MRT-Untersuchungen können das Urinom exakt abgrenzen und den Zu­ stand der Nieren darstellen. Die ultraschallgestützte Urinomdrai­ nage führt zu einer raschen Verbesserung des AZ des Patienten sowie zur Druck­ entlastung der Niere mit regredienten Re­ tentionsparametern (. Abb. 3). Die de­ finitive Therapie stellte die transurethrale Harnröhrenklappenresektion dar. Fazit für die Praxis Das Urinom sollte differentialdiagnos- tisch bei Neugeborenen mit einer rasch progredienten, zystischen, abdomina- len Raumforderung in Betracht gezogen werden. Die frühe Diagnostik und Inter- vention sind die wichtigsten prognos- tischen Faktoren. Die perkutane ultra- schallgestützte Urinomdrainage stellt die essentielle Erstintervention dar, um eine Verbesserung des Allgemeinzustands und den Erhalt der Nierenfunktion zu ge- währleisten. Korrespondenzadresse T. Lehnert Klinik und Poliklinik für Kinderchirurgie,   Universitätsklinikum Leipzig AöR, Liebigstraße 20a, 04103 Leipzig thomas.lehnert@uniklinikum-leipzig.de Interessenkonflikt.  Der korrespondierende Autor gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht. Literatur   1. Connor JP, HensleTW, BerdonW et al (1988) Con- tained neonatal urinoma: Management and func- tional results. J Urol 140:1319–1322   2. Ito S, Ikeda M, Asanuma H et al (2000) A gaint uri- noma in a neonate without obstructive uropathy. Pediatr Nephrol 14:831–832   3. Manzoni C,Valentini AL (2002) Posterior urethral valves. Rays 27(2):131–134   4. McInerney D, Jones A, Roylance J (1977) Urinoma. Clin Radiol 28:345–351   5. Rao S (2007) Bilateral spontaneous asymptomatic urinoma: Report of an unusual Case. J Pediatr Urol 3(6):507–508   6. Young HH, FrontzWA, Baldwin JC (1919) Conge- nital obstruction of the posterior urethra. J Urol 3:289–365. J Urol 167(1):265–268 Retentionsparameter 214 171 98 48 30 28 11 8,8 2,1 1,2 4,1 4 1 10 100 1000 Nephrostom ie4 5 11 Klappenresektion 15 36 57 Lebenstag Kreatinin in µmol/l Harnstoff in mmol/l Abb. 3 9 Die ultra- schallgestützte Uri- nomdrainage führt zu einerVerbesserung des Allgemeinzustands des Patienten sowie zur Druckentlastung der Niere mit regredien- ten Retentionspara- metern 76 |  Der Urologe 1 · 2011 Albarelli F,Widhalm S Eiertanz. Das Kinderwunschbuch mvgVerlag 2010, 288 S., (ISBN-13: 978-3868822069) Taschenbuch, 16.95 EUR Jedes Jahr fangen in Deutschland rund 120.000 Menschen eine Kinderwunsch- behandlung an. Zwei davon sind Simone Widhalm und Flora Albarelli – eine medizini- sche Fachfrau und eine Bloggerin. Die beiden haben sich zusammengetan und ein Buch geschrieben, in dem es nicht nur jede Menge Informationen zu den unterschiedlichen Behandlungsmöglichkeiten gibt, sondern auch einen authentischen Erfahrungsbericht aus der merkwürdigenWelt der Spritzen, Warteschleifen und des hormongesteuerten Kopfkinos. „Dieses Buch beschreibt die Höhen und Tiefen der Kinderwunschbehandlung aus der Sicht von Betroffenen in gelungener Kom- bination mit einer verständlichen Erklärung der medizinischen Grundlagen und Fakten. Bei der realistischen und teils amüsanten Darstellung der oft langwierigen und be- lastendenTherapie werden sich sicher viele Kinderwunschpaare wiederfinden können und feststellen, dass sie nicht allein sind. Sehr empfehlenswert!“ Prof. Dr. med. Jan-Steffen Krüssel Buchtipp