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Gottesdienst in der Tüte


Jeder Teil dieser Erde
Alle Menschen auf der Welt fangen an zu teilen.


Alle Wunden auf der Welt fangen an zu heilen.


Menschen teilen, Wunden heilen,


Knospen blühen, Nächte glühen.


 


Alle Augen springen auf. fangen an zu sehen.


Alle Lahmen stehen auf, fangen an zu gehen.


Augen sehen; Lahme gehen,


Menschen teilen, Wunden heilen,


Knospen blühen, Nächte glühen.


 


Alle Stummen hier und da fangen an zu grüßen.


Alle Mauern tot und hart werden weich und fließen.


Stumme grüßen, Mauern fließen,


Augen sehen, Lahme gehen,


Menschen teilen, Wunden heilen,


Knospen blühen, Nächte glühen.


Jeder Teil dieser Erde


Liebe Gemeinde, liebe Mitmenschen!


Bei vielen Gesprächen spüre ich große Vorfreude und hohe Erwar-
tungen für die ‚Zeit nach der Pandemie’, wenn wieder Normalität ein-
tritt in unser Leben.


Die Frage wann das denn sein wird bleibt ebenso noch offen wie die-
jenige, was Normalität bedeutet, aber die Sehnsucht ist eindeutig
nach ungebrochener Freude und ausgelassenem Zusammensein.


Leider ist aber das Leben selten einfach und reibungslos. Ausgelas-
sen und mit großer Freude feierten in Indien Millionen Menschen
miteinander mit schrecklichen Auswirkungen, die wir derzeit tagtäg-
lich in Nachrichten sehen. Oder jenes Unglück, das in der Nacht zum
30. April In Israel geschehen ist. Es ist anzunehmen, auch in großer
Freude über das neu erwachende Leben im Lande, über den bewun-
dernswerten Fortschritt beim Impfen, hatten sich nicht wie erlaubt
1.000, sondern an die 100.000 Menschen aufgemacht, um am Berg
Meron miteinander zu beten. Aus der Freude über die zurückgewon-
nene Gemeinschaft wurde eine Tragödie.


Wie bei der Love Parade in Duisburg 2010, gab es ein Gedränge, auf
rutschigem Untergrund kam es zur Massenpanik mit über 40 Todes-
opfern. Natürlich wirft das Fragen auf. Fragen nicht nur an die men-
schliche Unvernunft, sondern auch an Gott, denn offenbar hat Gott
wieder einmal die Menschen nicht beschützt, hat nicht eingegriffen,
hat die Arme nicht aufgehalten. Auch wenn wir über diese Fragen
vielleicht schon 1.000 Mal nachgedacht haben und sie womöglich als
irgendwie doch falsch gestellt betrachten: sie bleiben im Hintergrund
ja doch bestehen und beschäftigen uns.


Es ist dieses „Warum“, das nicht verstummen will. Es sind Fragen, die
uns begleiten wie ein dumpf pochender Zahnschmerz, wie ein ungu-
ter Geruch, der trotz Lüften im Raum hängenbleibt.


An vielen Stellen der Bibel wird diese Frage zugelassen: „Ich rufe,
und du hörst nicht?“ (Psalm 22,2) – an anderen Stellen scheint die Sa-
che frag-los und sonnenklar und ohne Zweifel: Gott schreitet ein, hilft,
handelt, lässt die Menschen nicht im Stich. „Wer Gott dient, den
nimmt Gott mit Wohlgefallen an“ heißt es etwa im Buch Jesus Sirach
mit deutlicher Betonung auf Arme, auf Witwen und Waisen.


Dieses besondere Augenmerk auf Arme, Witwen und Waisen, auf
Fremdlinge, die ja alle auch leben wollen, zieht sich wie ein roter Fa-
den durch die hebräische Bibel. Doch was heißt hier dann Gebet?
„Bitte Gott, mach die Hungrigen satt? Wirf Care-Pakete vom Him-
mel“? Eine absurde Vorstellung, obwohl unserem menschlichen Den-
ken nicht fremd.


Gott aber hilft den Armen, durch unsere Fürsorge, Freundlichkeit und
Nächstenliebe. Gott greift ein, auf eine zunächst sehr unspektakulär
scheinende Weise. Und das hat auch mit beten zu tun. Bei Jesus Si-
rach steht der merkwürdige Satz:


Das Gebet eines Demütigen dringt durch die Wolken, doch bis es
dort ist, bleibt er ohne Trost, und er lässt nicht nach, bis die Höchste
sich seiner annimmt.


Ein Gebet, unterwegs wie ein DHL-Paket per Luftfracht, in die Wolken
hinauf … und es dauert halt, bis es ankommt und Rückmeldung er-
folgt?


Unsere Bibel kennt aber auch ganz andere Töne etwa beim Prophet
en Daniel. Dort spricht ein Mensch, der am Boden zerstört und in tie-
fen Schuldgefühlen zerknirscht ist. Was haben wir getan? Wie weit
haben wir es kommen lassen? Gesündigt, Unrecht ausgeübt, gottlos
sind wir gewesen. Eine Wehklage in den Trümmern der Stadt Jerusa-
lem. Sich an die Brust schlagen, Schuldbekenntnis – und Anrufung
der Gottheit, die „groß und schrecklich“ ist … Nun, das war eine
ganz spezielle niederschmetternde Situation des Volkes Israel, da-
mals, die viele Fragen aufwarf. Unter anderem auch die wieder: War-
um? Hat Gott uns verlassen?


Ich spüre, dass mir dieses Gebet Daniels seltsam nah ist. Jerusalem
als Sinnbild, Brennpunkt, Mitte der Welt, als Symbol für die Welt, ihre
Kostbarkeit, ihre Schönheit, ihren Irrsinn, für Mord und Totschlag in
der heiligen Stadt …


Im Jahr 2021 sind die Trümmer der Stadt, ist das zerstörte Heiligtum
nichts anderes als unser Planet, diese ganze Welt, die es nur einmal
gibt, Grund der Klage und des sich an die Brust-Schlagens. In wie
kurzer Zeit haben wir (ja: wir, jede und jeder gehört ja zur Gattung,
Mensch genannt) es geschafft, so viel kaputt zu machen, dass es
möglicherweise kaum noch Rettung gibt vor einer gebeutelten und
gepeinigten Zukunft in Sturm, Hitze und Überschwemmung? Wie es
ein Satiriker mal in Anlehnung an das bekannte Lied formuliert hat:
„Wir versaufen unserm Herrgott sein klein Erdchen.“ Und das kann
nicht im Sinne des Erfinders sein.
Sie erinnern sich: Beten heißt nicht: „Gott, mach dass es nicht so
warm wird“ – Beten heißt, mein Gewissen schärfen, dass es den Wil-
len Gottes erkennt. Auf den Punkt gebracht: „Ich lebe, und ihr sollt
auch leben.“ Diese Welt wurde auf längere Perspektive errichtet, für
sehr viel mehr Generationen als die bisherigen.


So verstehe ich auch das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes von
letzter Woche. Das aktuelle Klimaschutzgesetz greift zu kurz. Es feh-
len ausreichende Vorgaben für den Ausstoß schädlicher Treibhausga-
se ab 2031 – mit anderen Worten: ohne Nachbesserung müssen die
kommenden Generationen sehr viel mehr Lasten und Kosten tragen
als wir, ohne dass sie den Schlamassel verursacht hätten. Damit wird
ihnen Freiheit und Lebensqualität genommen, die Grundlage eines
auskömmlichen, glücklichen Lebens.


Man kann über dieses Urteil sicher geteilter Meinung sein. Etwa, war-
um man nicht mehr auf unseren technischen Verstand und Erfin-
dungsreichtum vertraut, Maßnahmen zur Rettung herbeizuführen.
Aber – allen unterschiedlichen Sichtweisen zum Trotz – unwiderlegbar
ist so ein Urteil doch als eine Art Gebet zu verstehen, in die Zukunft,
in die Wolken hinauf gerichtet für die Kommenden, dass wir umkeh-
ren müssen, auch wenn es weh tut.


Mit Gottes Hilfe, wie sie der Prophet Daniel erfleht? Wenn wir uns im
Gebet an Gottes Willen orientieren, dass es „hier unten“ blühen und
gedeihen soll, auskömmlich bleiben und Mensch und Tier die Chan-
ce lassen soll, zu bestehen – dann wird Gott uns wohl Mut machen
dazu. „Denn deine Stadt und dein Volk ist nach deinem Namen ge-
nannt.“


Bleiben Sie behütet!
AUSZÜGE DER REDE DES HÄUPTLINGS SEATTLE


1855 machte der 14. Präsident der Vereinigten Staaten, Franklin Pierce, den Du-
wamish das Angebot ihr Land an weiße Siedler zu verkaufen. Sie selbst sollten in
ein Reservat ziehen. Die sogenannten Indianer verstanden das nicht, denn nach
ihrer Vorstellung kann man Land (Luft, Wasser, Wärme, Licht) nicht (ver-)kaufen.
Denn sie besitzen es schließlich nicht.


Wie kann man den Himmel kaufen oder verkaufen - oder die Wärme
der Erde?


Diese Vorstellung ist uns fremd. Wenn wir die Frische der Luft nicht
besitzen - wie könnt Ihr sie von uns kaufen? Wir werden unsere Ent-
scheidung treffen. (...)


Meine Worte sind wie Sterne, sie gehen nicht unter.


Jeder Teil dieser Erde ist meinem Volk heilig, jede glitzernde Tannen-
nadel, jeder sandige Strand, jeder Nebel in den dunklen Wäldern,
jede Lichtung, jedes summende Insekt ist heilig, in den Gedanken
und Erfahrungen meines Volkes. (...)


Wir sind ein Teil der Erde und sie ist ein Teil von uns.


Die duftenden Blumen sind unsere Schwestern. Die Rehe, das Pferd,
der große Adler sind unsere Brüder. Die felsigen Höhen, die saftigen
Wiesen, die Körperwärme des Ponys - und des Menschen - sie alle
gehören zur gleichen Familie. (…)


Was gibt es schon im Leben, wenn man nicht den einsamen Schrei
des Ziegenmelkervogels hören kann oder das Gestreite der Frösche
am Teich bei Nacht? Ich bin ein roter Mann und verstehe das nicht.


Der Indianer mag das sanfte Geräusch des Windes, der über eine
Teichfläche streicht - und den Geruch des Windes, gereinigt vom Mit-
tagsregen oder schwer vom Duft der Kiefern. Die Luft ist kostbar für
den roten Mann - denn alle Dinge teilen den selben Atem - das Tier,
der Baum, der Mensch - sie alle teilen den selben Atem. (...)


Lehrt Eure Kinder, was wir unsere Kinder lehren: Die Erde ist unsere
Mutter. Was die Erde befällt, befällt auch die Söhne der Erde. Wenn
Menschen auf die Erde spucken, bespeien sie sich selbst. (...)


Und mit all Eurer Stärke, Eurem Geist, Eurem Herzen, erhaltet es für
Eure Kinder und liebt es - so wie Gott uns alle liebt. Denn eines wis-
sen wir - unser Gott ist Euer Gott. Diese Erde ist ihm heilig. selbst der
weiße Mann kann der gemeinsamen Bestimmung nicht entgehen.


Vielleicht sind wir doch - Brüder?


Die nächste ‚Kirchentüte‘ finden Sie zum 23. Mai 2021




Sie erreichen uns so:


Pfarrerin Sylvia Winterberg 06732 96 31 57


	
sylvia.winterberg@ekhn.de


Pfarrer Esders-Winterberg 06732 96 38 87


	
harald.esders-winterberg@ekhn.de


Gemeindepädagogin Alexandra Scheffel 06136 92 696-35


	
alexandra.scheffel@ekhn.de


Das Pfarrbüro, Frau Ademes Di-Do 9-12:00h 06732 89 88


	
heike.ademes@ekhn.de

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  • 1. Gottesdienst in der Tüte Jeder Teil dieser Erde
  • 2.
  • 3. Alle Menschen auf der Welt fangen an zu teilen. Alle Wunden auf der Welt fangen an zu heilen. Menschen teilen, Wunden heilen, Knospen blühen, Nächte glühen.   Alle Augen springen auf. fangen an zu sehen. Alle Lahmen stehen auf, fangen an zu gehen. Augen sehen; Lahme gehen, Menschen teilen, Wunden heilen, Knospen blühen, Nächte glühen.   Alle Stummen hier und da fangen an zu grüßen. Alle Mauern tot und hart werden weich und fließen. Stumme grüßen, Mauern fließen, Augen sehen, Lahme gehen, Menschen teilen, Wunden heilen, Knospen blühen, Nächte glühen. Jeder Teil dieser Erde Liebe Gemeinde, liebe Mitmenschen! Bei vielen Gesprächen spüre ich große Vorfreude und hohe Erwar- tungen für die ‚Zeit nach der Pandemie’, wenn wieder Normalität ein- tritt in unser Leben. Die Frage wann das denn sein wird bleibt ebenso noch offen wie die- jenige, was Normalität bedeutet, aber die Sehnsucht ist eindeutig nach ungebrochener Freude und ausgelassenem Zusammensein. Leider ist aber das Leben selten einfach und reibungslos. Ausgelas- sen und mit großer Freude feierten in Indien Millionen Menschen
  • 4. miteinander mit schrecklichen Auswirkungen, die wir derzeit tagtäg- lich in Nachrichten sehen. Oder jenes Unglück, das in der Nacht zum 30. April In Israel geschehen ist. Es ist anzunehmen, auch in großer Freude über das neu erwachende Leben im Lande, über den bewun- dernswerten Fortschritt beim Impfen, hatten sich nicht wie erlaubt 1.000, sondern an die 100.000 Menschen aufgemacht, um am Berg Meron miteinander zu beten. Aus der Freude über die zurückgewon- nene Gemeinschaft wurde eine Tragödie. Wie bei der Love Parade in Duisburg 2010, gab es ein Gedränge, auf rutschigem Untergrund kam es zur Massenpanik mit über 40 Todes- opfern. Natürlich wirft das Fragen auf. Fragen nicht nur an die men- schliche Unvernunft, sondern auch an Gott, denn offenbar hat Gott wieder einmal die Menschen nicht beschützt, hat nicht eingegriffen, hat die Arme nicht aufgehalten. Auch wenn wir über diese Fragen vielleicht schon 1.000 Mal nachgedacht haben und sie womöglich als irgendwie doch falsch gestellt betrachten: sie bleiben im Hintergrund ja doch bestehen und beschäftigen uns. Es ist dieses „Warum“, das nicht verstummen will. Es sind Fragen, die uns begleiten wie ein dumpf pochender Zahnschmerz, wie ein ungu- ter Geruch, der trotz Lüften im Raum hängenbleibt. An vielen Stellen der Bibel wird diese Frage zugelassen: „Ich rufe, und du hörst nicht?“ (Psalm 22,2) – an anderen Stellen scheint die Sa- che frag-los und sonnenklar und ohne Zweifel: Gott schreitet ein, hilft, handelt, lässt die Menschen nicht im Stich. „Wer Gott dient, den nimmt Gott mit Wohlgefallen an“ heißt es etwa im Buch Jesus Sirach mit deutlicher Betonung auf Arme, auf Witwen und Waisen. Dieses besondere Augenmerk auf Arme, Witwen und Waisen, auf Fremdlinge, die ja alle auch leben wollen, zieht sich wie ein roter Fa- den durch die hebräische Bibel. Doch was heißt hier dann Gebet? „Bitte Gott, mach die Hungrigen satt? Wirf Care-Pakete vom Him- mel“? Eine absurde Vorstellung, obwohl unserem menschlichen Den- ken nicht fremd. Gott aber hilft den Armen, durch unsere Fürsorge, Freundlichkeit und
  • 5. Nächstenliebe. Gott greift ein, auf eine zunächst sehr unspektakulär scheinende Weise. Und das hat auch mit beten zu tun. Bei Jesus Si- rach steht der merkwürdige Satz: Das Gebet eines Demütigen dringt durch die Wolken, doch bis es dort ist, bleibt er ohne Trost, und er lässt nicht nach, bis die Höchste sich seiner annimmt. Ein Gebet, unterwegs wie ein DHL-Paket per Luftfracht, in die Wolken hinauf … und es dauert halt, bis es ankommt und Rückmeldung er- folgt? Unsere Bibel kennt aber auch ganz andere Töne etwa beim Prophet en Daniel. Dort spricht ein Mensch, der am Boden zerstört und in tie- fen Schuldgefühlen zerknirscht ist. Was haben wir getan? Wie weit haben wir es kommen lassen? Gesündigt, Unrecht ausgeübt, gottlos sind wir gewesen. Eine Wehklage in den Trümmern der Stadt Jerusa- lem. Sich an die Brust schlagen, Schuldbekenntnis – und Anrufung der Gottheit, die „groß und schrecklich“ ist … Nun, das war eine ganz spezielle niederschmetternde Situation des Volkes Israel, da- mals, die viele Fragen aufwarf. Unter anderem auch die wieder: War- um? Hat Gott uns verlassen? Ich spüre, dass mir dieses Gebet Daniels seltsam nah ist. Jerusalem als Sinnbild, Brennpunkt, Mitte der Welt, als Symbol für die Welt, ihre Kostbarkeit, ihre Schönheit, ihren Irrsinn, für Mord und Totschlag in der heiligen Stadt … Im Jahr 2021 sind die Trümmer der Stadt, ist das zerstörte Heiligtum nichts anderes als unser Planet, diese ganze Welt, die es nur einmal gibt, Grund der Klage und des sich an die Brust-Schlagens. In wie kurzer Zeit haben wir (ja: wir, jede und jeder gehört ja zur Gattung, Mensch genannt) es geschafft, so viel kaputt zu machen, dass es möglicherweise kaum noch Rettung gibt vor einer gebeutelten und gepeinigten Zukunft in Sturm, Hitze und Überschwemmung? Wie es ein Satiriker mal in Anlehnung an das bekannte Lied formuliert hat: „Wir versaufen unserm Herrgott sein klein Erdchen.“ Und das kann nicht im Sinne des Erfinders sein.
  • 6. Sie erinnern sich: Beten heißt nicht: „Gott, mach dass es nicht so warm wird“ – Beten heißt, mein Gewissen schärfen, dass es den Wil- len Gottes erkennt. Auf den Punkt gebracht: „Ich lebe, und ihr sollt auch leben.“ Diese Welt wurde auf längere Perspektive errichtet, für sehr viel mehr Generationen als die bisherigen. So verstehe ich auch das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes von letzter Woche. Das aktuelle Klimaschutzgesetz greift zu kurz. Es feh- len ausreichende Vorgaben für den Ausstoß schädlicher Treibhausga- se ab 2031 – mit anderen Worten: ohne Nachbesserung müssen die kommenden Generationen sehr viel mehr Lasten und Kosten tragen als wir, ohne dass sie den Schlamassel verursacht hätten. Damit wird ihnen Freiheit und Lebensqualität genommen, die Grundlage eines auskömmlichen, glücklichen Lebens. Man kann über dieses Urteil sicher geteilter Meinung sein. Etwa, war- um man nicht mehr auf unseren technischen Verstand und Erfin- dungsreichtum vertraut, Maßnahmen zur Rettung herbeizuführen. Aber – allen unterschiedlichen Sichtweisen zum Trotz – unwiderlegbar ist so ein Urteil doch als eine Art Gebet zu verstehen, in die Zukunft, in die Wolken hinauf gerichtet für die Kommenden, dass wir umkeh- ren müssen, auch wenn es weh tut. Mit Gottes Hilfe, wie sie der Prophet Daniel erfleht? Wenn wir uns im Gebet an Gottes Willen orientieren, dass es „hier unten“ blühen und gedeihen soll, auskömmlich bleiben und Mensch und Tier die Chan- ce lassen soll, zu bestehen – dann wird Gott uns wohl Mut machen dazu. „Denn deine Stadt und dein Volk ist nach deinem Namen ge- nannt.“ Bleiben Sie behütet!
  • 7. AUSZÜGE DER REDE DES HÄUPTLINGS SEATTLE 1855 machte der 14. Präsident der Vereinigten Staaten, Franklin Pierce, den Du- wamish das Angebot ihr Land an weiße Siedler zu verkaufen. Sie selbst sollten in ein Reservat ziehen. Die sogenannten Indianer verstanden das nicht, denn nach ihrer Vorstellung kann man Land (Luft, Wasser, Wärme, Licht) nicht (ver-)kaufen. Denn sie besitzen es schließlich nicht. Wie kann man den Himmel kaufen oder verkaufen - oder die Wärme der Erde? 
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 Jeder Teil dieser Erde ist meinem Volk heilig, jede glitzernde Tannen- nadel, jeder sandige Strand, jeder Nebel in den dunklen Wäldern, jede Lichtung, jedes summende Insekt ist heilig, in den Gedanken und Erfahrungen meines Volkes. (...) 
 Wir sind ein Teil der Erde und sie ist ein Teil von uns. 
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 Lehrt Eure Kinder, was wir unsere Kinder lehren: Die Erde ist unsere Mutter. Was die Erde befällt, befällt auch die Söhne der Erde. Wenn Menschen auf die Erde spucken, bespeien sie sich selbst. (...) 
 Und mit all Eurer Stärke, Eurem Geist, Eurem Herzen, erhaltet es für Eure Kinder und liebt es - so wie Gott uns alle liebt. Denn eines wis-
  • 8. sen wir - unser Gott ist Euer Gott. Diese Erde ist ihm heilig. selbst der weiße Mann kann der gemeinsamen Bestimmung nicht entgehen. 
 Vielleicht sind wir doch - Brüder? 
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 Sie erreichen uns so: Pfarrerin Sylvia Winterberg 06732 96 31 57 
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