SlideShare ist ein Scribd-Unternehmen logo
1 von 5
Downloaden Sie, um offline zu lesen
6
Reise Schweiz
Sieben Mal am Tag beten die Mönche
in der Abteikirche.
7
Text: Gaston Haas; Fotos: Herbert Zimmermann
Dezember∙Januar | 2015/16
8
HieristZwischenland:NeuenburgerseeundBielersee
imNordwesten,GenferseeimSĂŒdwestenunddiebei-
den grossen Berner Seen im SĂŒdosten. Hier treffen
Grenzenaufeinander,vermischensichSprachen,Kul-
turen und Religionen. Westlich der Saane spricht,
denkt, isst und lebt man Französisch, am entgegen-
gesetztenUferbeginntdieDeutschschweiz.DerFluss
schlÀngelt sich in verspielten Schlaufen nordwÀrts,
dem Schiffenensee entgegen. In einer dieser Schlau-
fen unweit von Freiburg im Üechtland liegt das Klos-
ter Hauterive. Ihren Namen hat die Abtei von den ho-
henSandsteinklippenamrechtenUfer.DieSaanehat
sich hier wÀhrend Jahrmillionen ihr Bett tief aus dem
weichen Molassestein gewaschen und so das «hohe
Ufer» zurĂŒckgelassen.
Stillisteshier,nurdenRegenhörtmanandiesemkal-
tenSpÀtherbsttagleiseaufdieletztenBlÀtterderBÀu-
me trommeln. Der grosse Garten ist fast ganz abge-
erntet.RiesigeKohlköpfeundKopfsalatestehennoch
nebeneinerGruppegebeugter,schwarzblÀttrigerSon-
nenblumen. Ein riesiger Salbeistrauch tut so, als ma-
cheihmdieKÀltegarnichtsaus.SeineBlÀtterriechen
nach Sonne und MittelmeerkĂŒste.
Esistschönhier,alshabejemanddieZeitangehalten,
als sei der Ort aus der Zeit herausgefallen.
Grenzen, Ufer, Übergang, Zwischenland. Das Kloster
fĂŒgt sich perfekt in die Natur ein. «Zisterzienser-
klöster sind immer harmonisch mit dem Wasser und
der Natur der Umgebung verbunden», sagt Bruder
Henri-Marie.Der58-jÀhrigeBretoneistvor32Jahren
Ruchbrot und KrÀutertee: Bruder
Joseph und Bruder Gabriele-Maria (r.)
bei der Arbeit.
Bernhard von Clairvaux:
Kommentierte die Regel des
heiligen Benedikt.
9
hierher gekommen. Es ist ein anspruchvolles Leben,
das viele Menschen von ausserhalb als entbehrungs-
reich, langweilig oder freudlos bezeichnen wĂŒrden.
Der Orden der Zisterzienser verlangt viel von jenen,
dieindieserGemeinschaftlebenwollen.WerdieEnt-
scheidung getroffen hat, hier zu leben, tritt eine
lebenslange Reise an: die Reise zu sich selbst.
Direkte BrĂŒcke zum Mittelalter
DieTagesindgeprÀgtvomGebet,demLesenderBibel
und dem Meditieren, der Arbeit und dem gemein-
schaftlichen Leben. Der Wecker geht gegen vier Uhr
morgens, um 4.15 Uhr treffen sich die BrĂŒder zum
erstengemeinsamenGebetdesTages.Insgesamtacht
Mal kommen die Mönche zum gesungenen Gebet in
der Kirche zusammen. Die gregorianischen GesÀnge
schlagen eine direkte BrĂŒcke ins Mittelalter, zu den
UrsprĂŒngendesOrdens.Geredetwirdnurzubestimm-
tenZeiten,dasEssenwirdschweigendeingenommen,
wÀhrenddem ein Mönch aus einem Buch vorliest.
Generationen von Mönchen haben hier seit 1138 nach
derRegeldesheiligenBenediktschongelebt.«Unsge-
ben diese Strukturen Hilfe, um das richtige Mass zu
ïŹnden.» Wer hier lebt, weiss um seine Wurzeln.
Bruder Henri-Marie stellt uns Bruder Joseph vor. Der
hatbeiderPĂ€pstlichenSchweizergardegedient,bevor
er nach Hauterive kam. Jetzt mostet er die Äpfel aus
dem eigenen Obstgarten. 400 Liter wird es heute ge-
ben.ZumEigengebrauchseidasgedacht,sagter,lacht
und hantiert mit seinen SchlÀuchen. Am Samstag
Der Kreuzgang hat sich seit dem
14. Jahrhundert kaum verÀndert.
Die Tagesstruktur
in Hauterive
04.15Uhr – Vigilien (1 Stunde)
06.30Uhr – Laudes (30 Minuten)
09.15Uhr – Terz (15 Minuten)
11.50Uhr – Sext (15 Minuten)
13.50Uhr – Non (15 Minuten)
17.30Uhr – Vesper (30 Minuten)
19.50Uhr – Komplet (20 Minuten)
Dezember∙Januar | 2015/16
dann wird Bruder Joseph Brot backen, ein Ruchbrot.
«Mit Milch», stellt er klar. Die Leute kÀmen teilweise
von weit her, um einen Laib zu kaufen.
18 Mönche leben hier. 27 Jahre jung der JĂŒngste, Bru-
derGabriele-Maria,eristvorvierJahrennachHaute-
rive gekommen. Weit ĂŒber 80 der Älteste, Bruder
Raphaël, er stammt aus der Romandie. Die MÀnner
kommenausderDeutschschweiz,derRomandie,dem
Tessin, Frankreich, Belgien und Italien. Multikulti
schon seit Jahrhunderten, lange bevor es das Wort
ĂŒberhaupt gab. Im Klosterladen bietet die Gemein-
schaft Tees und Salben, Biskuits, Holzarbeiten oder
das samstĂ€gliche Brot zum Verkauf an. Die KonïŹtĂŒre
wird aus eigenen FrĂŒchten oder aus der Region ge-
kocht, der Wein stammt aus dem ehemals eigenen
RebbergimwaadtlÀndischenLavaux.Dergehörtzwar
seit 1848 dem Kanton Freiburg, «irgendwie hat der
Staatvergessen,ihnunszurĂŒckzugeben»,sagtBruder
Henri-Marie und lacht. «Aber immerhin drucken sie
den Hinweis auf den frĂŒheren EigentĂŒmer heute auf
dieEtikette.»Bier,HonigoderSeifenkommenvonan-
derenKlösternodervonProduzentenausderGegend.
DasistRegionalitÀtvomFeinsten.Dasgehtganzohne
Marketing, weil die QualitÀt stimmt.
Gegenentwurf zur Konsumgesellschaft
Die Zisterzienser von Hauterive, eine «weltfremde
MÀnnertruppe»? Das war der Kommentar einer Kol-
legin, als sie von meinem Besuch hörte. Nichts könn-
te dieser Gemeinschaft weniger gerecht werden. Es
sind Menschen, die sich einem Leben verschrieben
haben,dasmangetrostalsGegenentwurfzuunserem
modernen konsum- und erlebnisorientierten Leben
verstehenkann.AberessindauchMenschen,diesich
fĂŒr die Aussenwelt interessieren und gerne GĂ€ste
empfangen. Eine andere Welt halt. Aber genauso real
wie die unsere.
abbaye-hauterive.ch
Essen und schlafen in der
Umgebung
Brasserie de la Croix
Blanche, Posieux
In der eigenen Brauerei ent-
stehen hier diverse Biere, vom
Hellen bis zum Weizen. Die
eigene Metzgerei garantiert
beste QualitÀt, was man im Res-
taurant gleich selber probieren
kann. Wer vor lauter Essen und
Trinken am Abend nicht mehr
heimkommt, bucht ein Zimmer
gleich im Haus.
brasserie-fribourg.com
Auberge «Aux 4 vents»
Das Herrschaftshaus liegt etwas
ausserhalb von Fribourg und hat
acht Zimmer. KĂŒnstler haben
jeden Raum individuell einge-
richtet. Der Park ist ein Bijou,
die KĂŒche regional, frisch und
bio, das Ambiente romantisch
unkompliziert.
aux4vents.ch
Das Leben der Mönche kennenlernen
Die Mönche bieten gefĂŒhrte Besuche des Klosters an (Einzelheiten siehe Website
des Klosters). Wer ein paar Tage bleiben will – MĂ€nner und Frauen, Einzelpersonen
oder kleine Gruppen – wird im GĂ€stehaus des Klosters aufgenommen fĂŒr einen
Aufenthalt, der von einem Klima des Gebets und der Einkehr geprÀgt ist und von
den liturgischen Feiern der Mönche getragen wird. Aber: «Wir sind kein gĂŒnstiges
Exotikhotel; wer bei uns einige Tage verbringen möchte, muss unsere Regeln
akzeptieren», sagt Bruder Henri-Marie. Deshalb wird vor jedem Aufenthalt zuerst
die Motivation des Gastes abgeklÀrt. abbaye-hauterive.ch
11
Dezember∙Januar | 2015/16

Weitere Àhnliche Inhalte

Andere mochten auch

Mobile you follow the customer
Mobile you follow the customerMobile you follow the customer
Mobile you follow the customerBoris Janek
 
Nanna Grundell Scandinavian Kitchen
Nanna Grundell Scandinavian KitchenNanna Grundell Scandinavian Kitchen
Nanna Grundell Scandinavian KitchenNanna Grundell
 
White Paper_TK_POSpulse dti_August 2016
White Paper_TK_POSpulse dti_August 2016White Paper_TK_POSpulse dti_August 2016
White Paper_TK_POSpulse dti_August 2016Dominic Blank
 
Nilai ujian nasional smpn 3 gresik 2014
Nilai ujian nasional smpn 3 gresik 2014Nilai ujian nasional smpn 3 gresik 2014
Nilai ujian nasional smpn 3 gresik 2014smpn3gresik
 
ENVIRONMENTAL MONITORING PROGRAM RECOMMENDATIONS
ENVIRONMENTAL MONITORING PROGRAM RECOMMENDATIONSENVIRONMENTAL MONITORING PROGRAM RECOMMENDATIONS
ENVIRONMENTAL MONITORING PROGRAM RECOMMENDATIONSRobert Brewton Ryals
 
Reisen In Deutschland
Reisen In DeutschlandReisen In Deutschland
Reisen In Deutschlandelenaou
 
eLecture Der glÀserne Mensch
eLecture Der glÀserne MenscheLecture Der glÀserne Mensch
eLecture Der glÀserne Menschaquarana
 
Ultramat6 de
Ultramat6 deUltramat6 de
Ultramat6 deSonja Umbach
 
GRAZIA NOVEMBER 2013
GRAZIA NOVEMBER 2013GRAZIA NOVEMBER 2013
GRAZIA NOVEMBER 2013Donnay Torr
 
Pemerintah kab. barru
Pemerintah kab. barruPemerintah kab. barru
Pemerintah kab. barrusmpn05makassar
 
Neuigkeiten aus dem TYPO3-Projekt
Neuigkeiten aus dem TYPO3-ProjektNeuigkeiten aus dem TYPO3-Projekt
Neuigkeiten aus dem TYPO3-ProjektSteffen Gebert
 
Othello | Mottingers-Meinung.at
Othello | Mottingers-Meinung.atOthello | Mottingers-Meinung.at
Othello | Mottingers-Meinung.atAlexander Rossi
 
Zuzana Porkert_DE
Zuzana Porkert_DEZuzana Porkert_DE
Zuzana Porkert_DEzuzana Porkert
 

Andere mochten auch (16)

Mobile you follow the customer
Mobile you follow the customerMobile you follow the customer
Mobile you follow the customer
 
Storytelling tools (1)
Storytelling tools (1)Storytelling tools (1)
Storytelling tools (1)
 
Nanna Grundell Scandinavian Kitchen
Nanna Grundell Scandinavian KitchenNanna Grundell Scandinavian Kitchen
Nanna Grundell Scandinavian Kitchen
 
White Paper_TK_POSpulse dti_August 2016
White Paper_TK_POSpulse dti_August 2016White Paper_TK_POSpulse dti_August 2016
White Paper_TK_POSpulse dti_August 2016
 
Nilai ujian nasional smpn 3 gresik 2014
Nilai ujian nasional smpn 3 gresik 2014Nilai ujian nasional smpn 3 gresik 2014
Nilai ujian nasional smpn 3 gresik 2014
 
ENVIRONMENTAL MONITORING PROGRAM RECOMMENDATIONS
ENVIRONMENTAL MONITORING PROGRAM RECOMMENDATIONSENVIRONMENTAL MONITORING PROGRAM RECOMMENDATIONS
ENVIRONMENTAL MONITORING PROGRAM RECOMMENDATIONS
 
Reisen In Deutschland
Reisen In DeutschlandReisen In Deutschland
Reisen In Deutschland
 
eLecture Der glÀserne Mensch
eLecture Der glÀserne MenscheLecture Der glÀserne Mensch
eLecture Der glÀserne Mensch
 
Ultramat6 de
Ultramat6 deUltramat6 de
Ultramat6 de
 
GRAZIA NOVEMBER 2013
GRAZIA NOVEMBER 2013GRAZIA NOVEMBER 2013
GRAZIA NOVEMBER 2013
 
Pemerintah kab. barru
Pemerintah kab. barruPemerintah kab. barru
Pemerintah kab. barru
 
32779.00.014
32779.00.01432779.00.014
32779.00.014
 
Rokycany
RokycanyRokycany
Rokycany
 
Neuigkeiten aus dem TYPO3-Projekt
Neuigkeiten aus dem TYPO3-ProjektNeuigkeiten aus dem TYPO3-Projekt
Neuigkeiten aus dem TYPO3-Projekt
 
Othello | Mottingers-Meinung.at
Othello | Mottingers-Meinung.atOthello | Mottingers-Meinung.at
Othello | Mottingers-Meinung.at
 
Zuzana Porkert_DE
Zuzana Porkert_DEZuzana Porkert_DE
Zuzana Porkert_DE
 

Mehr von Gaston Haas

Visite en Arles
Visite en ArlesVisite en Arles
Visite en ArlesGaston Haas
 
Via 09 2013 tee
Via 09 2013 teeVia 09 2013 tee
Via 09 2013 teeGaston Haas
 
Via 09 2015 solothurn
Via 09 2015 solothurnVia 09 2015 solothurn
Via 09 2015 solothurnGaston Haas
 
Via 03 2014 provence avignon
Via 03 2014 provence avignonVia 03 2014 provence avignon
Via 03 2014 provence avignonGaston Haas
 
Via 06 2013 ursula meier
Via 06 2013 ursula meierVia 06 2013 ursula meier
Via 06 2013 ursula meierGaston Haas
 
Via 09 2013 miriam meckel
Via 09 2013 miriam meckelVia 09 2013 miriam meckel
Via 09 2013 miriam meckelGaston Haas
 
Via 02 2015 martin suter
Via 02 2015 martin suterVia 02 2015 martin suter
Via 02 2015 martin suterGaston Haas
 
Via 01 2015 fasnacht
Via 01 2015 fasnachtVia 01 2015 fasnacht
Via 01 2015 fasnachtGaston Haas
 
Via 06 2015 rhein rhone
Via 06 2015 rhein rhoneVia 06 2015 rhein rhone
Via 06 2015 rhein rhoneGaston Haas
 
Via 08 2015 lützelsee
Via 08 2015 lützelseeVia 08 2015 lützelsee
Via 08 2015 lützelseeGaston Haas
 
Via 01 2012 wettermacher
Via 01 2012 wettermacherVia 01 2012 wettermacher
Via 01 2012 wettermacherGaston Haas
 
Via 04 2012 menschenströme lenken
Via 04 2012 menschenströme lenkenVia 04 2012 menschenströme lenken
Via 04 2012 menschenströme lenkenGaston Haas
 
QuĂȘte intĂ©rieure. Les moines d'Hauterive.
QuĂȘte intĂ©rieure. Les moines d'Hauterive.QuĂȘte intĂ©rieure. Les moines d'Hauterive.
QuĂȘte intĂ©rieure. Les moines d'Hauterive.Gaston Haas
 

Mehr von Gaston Haas (13)

Visite en Arles
Visite en ArlesVisite en Arles
Visite en Arles
 
Via 09 2013 tee
Via 09 2013 teeVia 09 2013 tee
Via 09 2013 tee
 
Via 09 2015 solothurn
Via 09 2015 solothurnVia 09 2015 solothurn
Via 09 2015 solothurn
 
Via 03 2014 provence avignon
Via 03 2014 provence avignonVia 03 2014 provence avignon
Via 03 2014 provence avignon
 
Via 06 2013 ursula meier
Via 06 2013 ursula meierVia 06 2013 ursula meier
Via 06 2013 ursula meier
 
Via 09 2013 miriam meckel
Via 09 2013 miriam meckelVia 09 2013 miriam meckel
Via 09 2013 miriam meckel
 
Via 02 2015 martin suter
Via 02 2015 martin suterVia 02 2015 martin suter
Via 02 2015 martin suter
 
Via 01 2015 fasnacht
Via 01 2015 fasnachtVia 01 2015 fasnacht
Via 01 2015 fasnacht
 
Via 06 2015 rhein rhone
Via 06 2015 rhein rhoneVia 06 2015 rhein rhone
Via 06 2015 rhein rhone
 
Via 08 2015 lützelsee
Via 08 2015 lützelseeVia 08 2015 lützelsee
Via 08 2015 lützelsee
 
Via 01 2012 wettermacher
Via 01 2012 wettermacherVia 01 2012 wettermacher
Via 01 2012 wettermacher
 
Via 04 2012 menschenströme lenken
Via 04 2012 menschenströme lenkenVia 04 2012 menschenströme lenken
Via 04 2012 menschenströme lenken
 
QuĂȘte intĂ©rieure. Les moines d'Hauterive.
QuĂȘte intĂ©rieure. Les moines d'Hauterive.QuĂȘte intĂ©rieure. Les moines d'Hauterive.
QuĂȘte intĂ©rieure. Les moines d'Hauterive.
 

Via 10 2015 hauterive

  • 1. 6 Reise Schweiz Sieben Mal am Tag beten die Mönche in der Abteikirche.
  • 2. 7 Text: Gaston Haas; Fotos: Herbert Zimmermann Dezember∙Januar | 2015/16
  • 3. 8 HieristZwischenland:NeuenburgerseeundBielersee imNordwesten,GenferseeimSĂŒdwestenunddiebei- den grossen Berner Seen im SĂŒdosten. Hier treffen Grenzenaufeinander,vermischensichSprachen,Kul- turen und Religionen. Westlich der Saane spricht, denkt, isst und lebt man Französisch, am entgegen- gesetztenUferbeginntdieDeutschschweiz.DerFluss schlĂ€ngelt sich in verspielten Schlaufen nordwĂ€rts, dem Schiffenensee entgegen. In einer dieser Schlau- fen unweit von Freiburg im Üechtland liegt das Klos- ter Hauterive. Ihren Namen hat die Abtei von den ho- henSandsteinklippenamrechtenUfer.DieSaanehat sich hier wĂ€hrend Jahrmillionen ihr Bett tief aus dem weichen Molassestein gewaschen und so das «hohe Ufer» zurĂŒckgelassen. Stillisteshier,nurdenRegenhörtmanandiesemkal- tenSpĂ€therbsttagleiseaufdieletztenBlĂ€tterderBĂ€u- me trommeln. Der grosse Garten ist fast ganz abge- erntet.RiesigeKohlköpfeundKopfsalatestehennoch nebeneinerGruppegebeugter,schwarzblĂ€ttrigerSon- nenblumen. Ein riesiger Salbeistrauch tut so, als ma- cheihmdieKĂ€ltegarnichtsaus.SeineBlĂ€tterriechen nach Sonne und MittelmeerkĂŒste. Esistschönhier,alshabejemanddieZeitangehalten, als sei der Ort aus der Zeit herausgefallen. Grenzen, Ufer, Übergang, Zwischenland. Das Kloster fĂŒgt sich perfekt in die Natur ein. «Zisterzienser- klöster sind immer harmonisch mit dem Wasser und der Natur der Umgebung verbunden», sagt Bruder Henri-Marie.Der58-jĂ€hrigeBretoneistvor32Jahren Ruchbrot und KrĂ€utertee: Bruder Joseph und Bruder Gabriele-Maria (r.) bei der Arbeit. Bernhard von Clairvaux: Kommentierte die Regel des heiligen Benedikt.
  • 4. 9 hierher gekommen. Es ist ein anspruchvolles Leben, das viele Menschen von ausserhalb als entbehrungs- reich, langweilig oder freudlos bezeichnen wĂŒrden. Der Orden der Zisterzienser verlangt viel von jenen, dieindieserGemeinschaftlebenwollen.WerdieEnt- scheidung getroffen hat, hier zu leben, tritt eine lebenslange Reise an: die Reise zu sich selbst. Direkte BrĂŒcke zum Mittelalter DieTagesindgeprĂ€gtvomGebet,demLesenderBibel und dem Meditieren, der Arbeit und dem gemein- schaftlichen Leben. Der Wecker geht gegen vier Uhr morgens, um 4.15 Uhr treffen sich die BrĂŒder zum erstengemeinsamenGebetdesTages.Insgesamtacht Mal kommen die Mönche zum gesungenen Gebet in der Kirche zusammen. Die gregorianischen GesĂ€nge schlagen eine direkte BrĂŒcke ins Mittelalter, zu den UrsprĂŒngendesOrdens.Geredetwirdnurzubestimm- tenZeiten,dasEssenwirdschweigendeingenommen, wĂ€hrenddem ein Mönch aus einem Buch vorliest. Generationen von Mönchen haben hier seit 1138 nach derRegeldesheiligenBenediktschongelebt.«Unsge- ben diese Strukturen Hilfe, um das richtige Mass zu ïŹnden.» Wer hier lebt, weiss um seine Wurzeln. Bruder Henri-Marie stellt uns Bruder Joseph vor. Der hatbeiderPĂ€pstlichenSchweizergardegedient,bevor er nach Hauterive kam. Jetzt mostet er die Äpfel aus dem eigenen Obstgarten. 400 Liter wird es heute ge- ben.ZumEigengebrauchseidasgedacht,sagter,lacht und hantiert mit seinen SchlĂ€uchen. Am Samstag Der Kreuzgang hat sich seit dem 14. Jahrhundert kaum verĂ€ndert. Die Tagesstruktur in Hauterive 04.15Uhr – Vigilien (1 Stunde) 06.30Uhr – Laudes (30 Minuten) 09.15Uhr – Terz (15 Minuten) 11.50Uhr – Sext (15 Minuten) 13.50Uhr – Non (15 Minuten) 17.30Uhr – Vesper (30 Minuten) 19.50Uhr – Komplet (20 Minuten) Dezember∙Januar | 2015/16
  • 5. dann wird Bruder Joseph Brot backen, ein Ruchbrot. «Mit Milch», stellt er klar. Die Leute kĂ€men teilweise von weit her, um einen Laib zu kaufen. 18 Mönche leben hier. 27 Jahre jung der JĂŒngste, Bru- derGabriele-Maria,eristvorvierJahrennachHaute- rive gekommen. Weit ĂŒber 80 der Älteste, Bruder RaphaĂ«l, er stammt aus der Romandie. Die MĂ€nner kommenausderDeutschschweiz,derRomandie,dem Tessin, Frankreich, Belgien und Italien. Multikulti schon seit Jahrhunderten, lange bevor es das Wort ĂŒberhaupt gab. Im Klosterladen bietet die Gemein- schaft Tees und Salben, Biskuits, Holzarbeiten oder das samstĂ€gliche Brot zum Verkauf an. Die KonïŹtĂŒre wird aus eigenen FrĂŒchten oder aus der Region ge- kocht, der Wein stammt aus dem ehemals eigenen RebbergimwaadtlĂ€ndischenLavaux.Dergehörtzwar seit 1848 dem Kanton Freiburg, «irgendwie hat der Staatvergessen,ihnunszurĂŒckzugeben»,sagtBruder Henri-Marie und lacht. «Aber immerhin drucken sie den Hinweis auf den frĂŒheren EigentĂŒmer heute auf dieEtikette.»Bier,HonigoderSeifenkommenvonan- derenKlösternodervonProduzentenausderGegend. DasistRegionalitĂ€tvomFeinsten.Dasgehtganzohne Marketing, weil die QualitĂ€t stimmt. Gegenentwurf zur Konsumgesellschaft Die Zisterzienser von Hauterive, eine «weltfremde MĂ€nnertruppe»? Das war der Kommentar einer Kol- legin, als sie von meinem Besuch hörte. Nichts könn- te dieser Gemeinschaft weniger gerecht werden. Es sind Menschen, die sich einem Leben verschrieben haben,dasmangetrostalsGegenentwurfzuunserem modernen konsum- und erlebnisorientierten Leben verstehenkann.AberessindauchMenschen,diesich fĂŒr die Aussenwelt interessieren und gerne GĂ€ste empfangen. Eine andere Welt halt. Aber genauso real wie die unsere. abbaye-hauterive.ch Essen und schlafen in der Umgebung Brasserie de la Croix Blanche, Posieux In der eigenen Brauerei ent- stehen hier diverse Biere, vom Hellen bis zum Weizen. Die eigene Metzgerei garantiert beste QualitĂ€t, was man im Res- taurant gleich selber probieren kann. Wer vor lauter Essen und Trinken am Abend nicht mehr heimkommt, bucht ein Zimmer gleich im Haus. brasserie-fribourg.com Auberge «Aux 4 vents» Das Herrschaftshaus liegt etwas ausserhalb von Fribourg und hat acht Zimmer. KĂŒnstler haben jeden Raum individuell einge- richtet. Der Park ist ein Bijou, die KĂŒche regional, frisch und bio, das Ambiente romantisch unkompliziert. aux4vents.ch Das Leben der Mönche kennenlernen Die Mönche bieten gefĂŒhrte Besuche des Klosters an (Einzelheiten siehe Website des Klosters). Wer ein paar Tage bleiben will – MĂ€nner und Frauen, Einzelpersonen oder kleine Gruppen – wird im GĂ€stehaus des Klosters aufgenommen fĂŒr einen Aufenthalt, der von einem Klima des Gebets und der Einkehr geprĂ€gt ist und von den liturgischen Feiern der Mönche getragen wird. Aber: «Wir sind kein gĂŒnstiges Exotikhotel; wer bei uns einige Tage verbringen möchte, muss unsere Regeln akzeptieren», sagt Bruder Henri-Marie. Deshalb wird vor jedem Aufenthalt zuerst die Motivation des Gastes abgeklĂ€rt. abbaye-hauterive.ch 11 Dezember∙Januar | 2015/16