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HieristZwischenland:NeuenburgerseeundBielersee
imNordwesten,GenferseeimSĂŒdwestenunddiebei-
den grossen Berner Seen im SĂŒdosten. Hier treffen
Grenzenaufeinander,vermischensichSprachen,Kul-
turen und Religionen. Westlich der Saane spricht,
denkt, isst und lebt man Französisch, am entgegen-
gesetztenUferbeginntdieDeutschschweiz.DerFluss
schlÀngelt sich in verspielten Schlaufen nordwÀrts,
dem Schiffenensee entgegen. In einer dieser Schlau-
fen unweit von Freiburg im Ăechtland liegt das Klos-
ter Hauterive. Ihren Namen hat die Abtei von den ho-
henSandsteinklippenamrechtenUfer.DieSaanehat
sich hier wÀhrend Jahrmillionen ihr Bett tief aus dem
weichen Molassestein gewaschen und so das «hohe
Ufer» zurĂŒckgelassen.
Stillisteshier,nurdenRegenhörtmanandiesemkal-
tenSpÀtherbsttagleiseaufdieletztenBlÀtterderBÀu-
me trommeln. Der grosse Garten ist fast ganz abge-
erntet.RiesigeKohlköpfeundKopfsalatestehennoch
nebeneinerGruppegebeugter,schwarzblÀttrigerSon-
nenblumen. Ein riesiger Salbeistrauch tut so, als ma-
cheihmdieKÀltegarnichtsaus.SeineBlÀtterriechen
nach Sonne und MittelmeerkĂŒste.
Esistschönhier,alshabejemanddieZeitangehalten,
als sei der Ort aus der Zeit herausgefallen.
Grenzen, Ufer, Ăbergang, Zwischenland. Das Kloster
fĂŒgt sich perfekt in die Natur ein. «Zisterzienser-
klöster sind immer harmonisch mit dem Wasser und
der Natur der Umgebung verbunden», sagt Bruder
Henri-Marie.Der58-jÀhrigeBretoneistvor32Jahren
Ruchbrot und KrÀutertee: Bruder
Joseph und Bruder Gabriele-Maria (r.)
bei der Arbeit.
Bernhard von Clairvaux:
Kommentierte die Regel des
heiligen Benedikt.
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hierher gekommen. Es ist ein anspruchvolles Leben,
das viele Menschen von ausserhalb als entbehrungs-
reich, langweilig oder freudlos bezeichnen wĂŒrden.
Der Orden der Zisterzienser verlangt viel von jenen,
dieindieserGemeinschaftlebenwollen.WerdieEnt-
scheidung getroffen hat, hier zu leben, tritt eine
lebenslange Reise an: die Reise zu sich selbst.
Direkte BrĂŒcke zum Mittelalter
DieTagesindgeprÀgtvomGebet,demLesenderBibel
und dem Meditieren, der Arbeit und dem gemein-
schaftlichen Leben. Der Wecker geht gegen vier Uhr
morgens, um 4.15 Uhr treffen sich die BrĂŒder zum
erstengemeinsamenGebetdesTages.Insgesamtacht
Mal kommen die Mönche zum gesungenen Gebet in
der Kirche zusammen. Die gregorianischen GesÀnge
schlagen eine direkte BrĂŒcke ins Mittelalter, zu den
UrsprĂŒngendesOrdens.Geredetwirdnurzubestimm-
tenZeiten,dasEssenwirdschweigendeingenommen,
wÀhrenddem ein Mönch aus einem Buch vorliest.
Generationen von Mönchen haben hier seit 1138 nach
derRegeldesheiligenBenediktschongelebt.«Unsge-
ben diese Strukturen Hilfe, um das richtige Mass zu
ïŹnden.» Wer hier lebt, weiss um seine Wurzeln.
Bruder Henri-Marie stellt uns Bruder Joseph vor. Der
hatbeiderPĂ€pstlichenSchweizergardegedient,bevor
er nach Hauterive kam. Jetzt mostet er die Ăpfel aus
dem eigenen Obstgarten. 400 Liter wird es heute ge-
ben.ZumEigengebrauchseidasgedacht,sagter,lacht
und hantiert mit seinen SchlÀuchen. Am Samstag
Der Kreuzgang hat sich seit dem
14. Jahrhundert kaum verÀndert.
Die Tagesstruktur
in Hauterive
04.15Uhr â Vigilien (1 Stunde)
06.30Uhr â Laudes (30 Minuten)
09.15Uhr â Terz (15 Minuten)
11.50Uhr â Sext (15 Minuten)
13.50Uhr â Non (15 Minuten)
17.30Uhr â Vesper (30 Minuten)
19.50Uhr â Komplet (20 Minuten)
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5. dann wird Bruder Joseph Brot backen, ein Ruchbrot.
«Mit Milch», stellt er klar. Die Leute kÀmen teilweise
von weit her, um einen Laib zu kaufen.
18 Mönche leben hier. 27 Jahre jung der JĂŒngste, Bru-
derGabriele-Maria,eristvorvierJahrennachHaute-
rive gekommen. Weit ĂŒber 80 der Ălteste, Bruder
Raphaël, er stammt aus der Romandie. Die MÀnner
kommenausderDeutschschweiz,derRomandie,dem
Tessin, Frankreich, Belgien und Italien. Multikulti
schon seit Jahrhunderten, lange bevor es das Wort
ĂŒberhaupt gab. Im Klosterladen bietet die Gemein-
schaft Tees und Salben, Biskuits, Holzarbeiten oder
das samstĂ€gliche Brot zum Verkauf an. Die KonïŹtĂŒre
wird aus eigenen FrĂŒchten oder aus der Region ge-
kocht, der Wein stammt aus dem ehemals eigenen
RebbergimwaadtlÀndischenLavaux.Dergehörtzwar
seit 1848 dem Kanton Freiburg, «irgendwie hat der
Staatvergessen,ihnunszurĂŒckzugeben»,sagtBruder
Henri-Marie und lacht. «Aber immerhin drucken sie
den Hinweis auf den frĂŒheren EigentĂŒmer heute auf
dieEtikette.»Bier,HonigoderSeifenkommenvonan-
derenKlösternodervonProduzentenausderGegend.
DasistRegionalitÀtvomFeinsten.Dasgehtganzohne
Marketing, weil die QualitÀt stimmt.
Gegenentwurf zur Konsumgesellschaft
Die Zisterzienser von Hauterive, eine «weltfremde
MÀnnertruppe»? Das war der Kommentar einer Kol-
legin, als sie von meinem Besuch hörte. Nichts könn-
te dieser Gemeinschaft weniger gerecht werden. Es
sind Menschen, die sich einem Leben verschrieben
haben,dasmangetrostalsGegenentwurfzuunserem
modernen konsum- und erlebnisorientierten Leben
verstehenkann.AberessindauchMenschen,diesich
fĂŒr die Aussenwelt interessieren und gerne GĂ€ste
empfangen. Eine andere Welt halt. Aber genauso real
wie die unsere.
abbaye-hauterive.ch
Essen und schlafen in der
Umgebung
Brasserie de la Croix
Blanche, Posieux
In der eigenen Brauerei ent-
stehen hier diverse Biere, vom
Hellen bis zum Weizen. Die
eigene Metzgerei garantiert
beste QualitÀt, was man im Res-
taurant gleich selber probieren
kann. Wer vor lauter Essen und
Trinken am Abend nicht mehr
heimkommt, bucht ein Zimmer
gleich im Haus.
brasserie-fribourg.com
Auberge «Aux 4 vents»
Das Herrschaftshaus liegt etwas
ausserhalb von Fribourg und hat
acht Zimmer. KĂŒnstler haben
jeden Raum individuell einge-
richtet. Der Park ist ein Bijou,
die KĂŒche regional, frisch und
bio, das Ambiente romantisch
unkompliziert.
aux4vents.ch
Das Leben der Mönche kennenlernen
Die Mönche bieten gefĂŒhrte Besuche des Klosters an (Einzelheiten siehe Website
des Klosters). Wer ein paar Tage bleiben will â MĂ€nner und Frauen, Einzelpersonen
oder kleine Gruppen â wird im GĂ€stehaus des Klosters aufgenommen fĂŒr einen
Aufenthalt, der von einem Klima des Gebets und der Einkehr geprÀgt ist und von
den liturgischen Feiern der Mönche getragen wird. Aber: «Wir sind kein gĂŒnstiges
Exotikhotel; wer bei uns einige Tage verbringen möchte, muss unsere Regeln
akzeptieren», sagt Bruder Henri-Marie. Deshalb wird vor jedem Aufenthalt zuerst
die Motivation des Gastes abgeklÀrt. abbaye-hauterive.ch
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