1. SÜDKURIER NR. 280 | FN
F R E I TA G , 3 . D E Z E M B E R 2 010
22 Das besondere Thema
Endlich im richtigen Körper angekommen
Der Weg zur Selbstfindung
war lang für Zoe, die 43-jährige Blondine aus Tettnang
war einmal ein Mann und
hieß Thomas
VON BRIGITTE GEISELHART
................................................
Jahrgang 1967, 1,85 Meter groß, Schuhgröße 43. In Ailingen geboren und aufgewachsen, jetzt wohnhaft in Tettnang.
Drei Geschwister, die Mutter stand eines Tages ohne Mann da und hat trotz
knappen Geldes ihre Kinder alleine
großgezogen. Eine Biographie wie viele
andere auch, nichts Besonderes. Und
doch war Thomas anders – schon damals. Thomas heißt heute nicht mehr
Thomas, sondern Zoe. Zoe ist eine Frau,
eine durchaus attraktive Erscheinung.
Der Begriff „Transgender“ setzt sich
aus dem Lateinischen „trans“ – „jenseitig“ und dem Englischen „gender“ – „soziales Geschlecht“ zusammen. „Das
Wort ist einerseits eine Bezeichnung für
Menschen, die sich mit der Geschlechterrolle, die ihnen üblicherweise bei der
Geburt, in der Regel anhand der äußeren Geschlechtsmerkmale, zugewiesen wurde, nur unzureichend oder gar
nicht beschrieben fühlen, und andererseits eine Selbstbezeichnung für Men-
Das Schminken gehört zum morgendlichen
Ritual.
................................................
„Nach außen habe ich massiv versucht, die männliche Rolle zu leben.
Mit Schnauzbart und Krafttraining –
aber es hat nicht richtig funktioniert.
Mich selbst konnte ich nicht überlisten.“
Zoe – eine akttraktive
Frau, die sich in ihrem
Körper wohlfühlt. Die
43-Jährige, die in
Tettnang arbeitet,
wurde mit den körperlichen Merkmalen
eines Mannes geboren
und hieß einst Thomas.
Die Namensänderung
ist gerichtlich durch,
die geschlechtsverändernde Operation
steht für Zoe noch an.
Zoe, die einst Thomas hieß
................................................
schen, die sich mit ihren primären und
sekundären
Geschlechtsmerkmalen
nicht oder nicht vollständig identifizieren können“. So erklärt es jedenfalls Wikipedia. Tatsache ist, dass Thomas immer schon ein Mädchen sein und auch
lieber mit Mädchen als mit Buben spielen wollte. Aber was nicht sein sollte,
durfte auch nicht sein. Auch später galt
es sich abzulenken, wenigstens zu versuchen, sich berufsmäßig einzufinden –
was mit der Ausbildung zum Schwimmmeistergehilfen im Häfler Hallenbad
gelang. Eine richtige Freundin hatte
Thomas lange nicht, nur kurze Affären.
„Ich habe mich immer als Frau gefühlt,
nie homosexuell“, sagt Zoe heute. Eine
Selbsthilfegruppe? Die gab es damals in
der Region nicht – erst später ermöglichte das Internet Informationen und
Gesprächsforen.
Der Weg zur Selbstfindung war lang.
„Der härteste Knochen war die Familie“,
erzählt Zoe. „Zuerst habe ich es meiner
Mutter gesagt.“ Ihre Reaktion: „Du
bleibst mein Kind – so oder so“, zeigte
sie Verständnis, um im gleichen Atemzug hinzuzufügen: „Kannst du das denn
nicht in deinen eigenen vier Wänden
machen?“ Später erfuhr es der Bruder,
dann die Schwester. Beide waren entsetzt. „Reiß dich am Riemen, stell das
ab“, hieß es. „Wie es mir mit meinen Gefühlen ging, das fragte niemand“, sagt
Zoe. Vor 15 Jahren dann erste „unbeholfene Klamotten-Versuche“, aber Mutters Rock fühlte sich komisch an, „sah
fürchterlich aus“. Im Kaufhaus nach
B ILD E R: MORITZ KE MPF
Frauenkleidern zu suchen – auch das
war gewöhnungsbedürftig. Draußen
damit herumzulaufen? Völlig unmöglich.
„Nach außen habe ich massiv versucht, die männliche Rolle zu leben“, erzählt Zoe. „Mit Schnauzbart und Krafttraining – aber es hat nicht richtig funktioniert. Mich selbst konnte ich nicht
überlisten.“ Dann eine feste Freundin,
zehn Jahre lang. Heimlich wurde ihr
Schminkzeug ausprobiert. Der blanke
Horror, dabei erwischt zu werden. Das
erst Mal – Outdoor, ohne Schnauzbart,
in femininen Klamotten – war 1994.
„Schau, eine Tunte“, grölte eine Gruppe
Bundeswehr-Rekruten – Zoe hätte trotz
ihrer 185 Zentimeter in ein Mauseloch
gepasst. „Ich wollte es lieber langsam
angehen, nicht am Umwandlungsprozess scheitern, womöglich zum Sozialfall werden.“ Dennoch: Neuer Hausarzt,
Psychotherapie, auch Hormontherapie
– die Weichen waren gestellt.
Nicht jeder verträgt die Hormone
gleich. Man fühlt weiblicher, die Haut
wird weicher, das Hautbild anders, die
Brust beginnt zu wachsen, die Verteilung von Muskeln und Fett verändert
sich. Den Bartwuchs geht Thomas mit
Laserepilation an – das ist teuer und
wird von seiner Kasse nicht übernommen. Vor zehn Jahren befasst er sich
schon mit einer geschlechtsverändernden OP, dann kommt ein „Bio-Mädel“ –
so werden in Transgender-Kreisen
„echte“ Frauen bezeichnet – dazwischen. Heirat 2003. Doch mit zunehmender Beziehungsdauer zeigt sich,
dass „Ablenkung“ und „anderer Reiz“
sich als nicht nachhaltig erweisen. Die
Trennung ist unausweichlich. Im Rosenkrieg der Scheidung informiert die
Frau den Arbeitgeber.
Inzwischen ist aus Thomas Zoe geworden. Die Namensänderung ist auch
gerichtlich durch – mit „Geburtsdatum“
11. August. Zoe ist Meisterin für Badebetriebe, kommt beruflich in Tettnang gut
klar. „Die jobmäßige Outing-Situation
hätte nicht besser laufen können“, sagt
sie. Während der Arbeitszeit hat sie ihre
langen Haare zum einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Wenn
die Kinder sie ansprechen „Frau Bademeisterin, machst du die Rutsche auf“,
dann freut sie das ganz besonders. Zoe
reagiert, fühlt und handelt wie eine Frau,
liebt es, zu shoppen, diskutiert gerne
stundenlang, hat einen neuen Freundeskreis – und es geht ihr gut dabei.
Das Brustwachstum ist „super“, die
Stimme „leider noch etwas dunkel.“ Die
finale OP steht für Zoe noch an. „Die
Haut des Penis wird geteilt und als
Scheide verwendet“, erklärt sie mit bemerkenswerter Offenheit. „Es wird ein
Hohlraum geschaffen und die Eichel so
umfunktioniert, dass eine Klitoris entsteht. Das ist inzwischen so weit perfektioniert, dass man sogar orgasmusfähig
ist.“ Zoe kennt einige, die es hinter sich
haben und begeistert sind – will sich
aber trotzdem noch etwas Zeit lassen.
Zoe sieht sich als Botschafterin in Sachen Transgender. Sie will ihr Thema
authentisch und ohne Scheu nach außen tragen. „Es kann funktionieren. Ich
möchte Mut machen“, sagt sie. Ihr neues Lebensgefühl? „Super – einfach unbeschreiblich.“
Zoe in ihrem beruflichen Umfeld als Meisterin
für Badebetriebe.
Eine Frau, die auf ihr gepflegtes Äußeres Wert
legt.
„Ich sehe in diesem Thema ein hohes Aufklärungspotenzial“
Im Rahmen der Feierlichkeiten zu „200
Jahre Friedrichshafen“ im Jahr 2011 beteiligt
sich Moritz Kempf am Bürgerprojekt „24
Stunden Friedrichshafen – 200 Ansichten
einer Stadt“. Er begleitete Zoe 24 Stunden
lang.
Moritz Kempf begleitete sein „Fotoobjekt“
Zoe 24 Stunden lang. B I L D : GEI SEL HART
Moritz Kempf ist seit zehn Jahren
leidenschaftlicher Hobbyfotograf.
Zusammen mit Gleichgesinnten
beteiligt er sich am Fotoprojekt „24
Stunden Friedrichshafen – 200 Ansichten einer Stadt“, das von Stefan
Blank initiiert wurde. 20 ambitionierte
Amateurfotografen aus Friedrichshafen sollten die Stadt mit insgesamt
200 Bildern einfangen – und das in 24
Stunden – in der Zeit von Freitag, 3.
September 2010, 24 Uhr, bis Samstag,
4. September, 24 Uhr. Die Fotografen
sollten Motive finden von Menschen,
Orten, Begebenheiten, Nationalitäten,
Jungen und Alten, Arbeitswelt, Kultur,
Sport, Vereinsleben – kurz: das Miteinander in Friedrichshafen.
Einen Menschen einen Tag und eine
Nacht mit der Kamera in ganz normalen Situationen zu begleiten – vom
Aufstehen und Schminken bis zur
Arbeit und bis zum privaten QuadFahren, von der beschaulichen Wohnzimmeratmosphäre bis zur abendlichen Party, das reizte ihn.
Nicht klischeehaft darstellen, sondern
als „Geist“ 24 Stunden begleiten,
„normale Situationen eines normalen
Menschen“ ablichten, das war die
Herausforderung für den Fotografen.
Dass er sich als „Objekt“ gerade Zoe
ausgesucht hat, hängt vielleicht auch
damit zusammen, dass sich Moritz
Kempf mit seiner ungewöhnlichen
Körpergröße von 2,03 Metern oft
selbst benachteiligt und unsicher
gefühlt hat und er sich deswegen mit
Menschen, die aufgrund ihrer Randgruppenzugehörigkeit mit Vorurteilen
oder Beschimpfungen zu kämpfen
haben, gut identifizieren kann.
„Da ich selbst die Szene der transgenden Menschen als nicht würdigend vertreten sehe und die Region in
diesem Bereich leider immer noch
eine Wegsehgesellschaft ist, würde ich
die Gelegenheit gerne nutzen, das ist
völlig im Sinne meines Fotomodells,
die Gesellschaft etwas zu sensibilisieren und informieren“, sagt der 25jährige Häfler. „Das Projekt dokumentiert einen kompletten Tag mit ihr und
hat mir selbst den Blick in diese, mir
bis dato völlig fremde Welt ermöglicht. Ich sehe in diesem Thema auch
ein hohes Aufklärungspotenzial“,
bekennt Moritz Kempf.
BRIGITTE GEISELHART
Der Partybesuch am Abend steht an.