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Prozessauslegung und Optimierung
des CNC-gesteuerten Formdrückens




        Von der Fakultät Maschinenbau
          der Universität Dortmund
          zur Erlangung des Grades
              Doktor-Ingenieur
           genehmigte Dissertation




                      von
           Dipl.-Ing. Roland Ewers
                      aus
               Recklinghausen

                    2005
Berichter:                    Prof. Dr.-Ing. Matthias Kleiner
Mitberichter:                 Prof. Dr. Joachim Kunert

Tag der mündlichen Prüfung:   12.08.2005
Dortmunder Umformtechnik




             Roland Ewers




Prozessauslegung und Optimierung
des CNC-gesteuerten Formdrückens




      D 290 (Diss. Universität Dortmund)



             Shaker Verlag
             Aachen 2006
Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek
Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen
Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über
http://dnb.ddb.de abrufbar.

Zugl.: Dortmund, Univ., Diss., 2005




Copyright Shaker Verlag 2006
Alle Rechte, auch das des auszugsweisen Nachdruckes, der auszugsweisen
oder vollständigen Wiedergabe, der Speicherung in Datenverarbeitungs-
anlagen und der Übersetzung, vorbehalten.

Printed in Germany.


ISBN-10: 3-8322-5177-4
ISBN-13: 978-3-8322-5177-2
ISSN 1619-6317

Shaker Verlag GmbH • Postfach 101818 • 52018 Aachen
Telefon: 02407 / 95 96 - 0 • Telefax: 02407 / 95 96 - 9
Internet: www.shaker.de • eMail: info@shaker.de
Danksagung
Die vorliegende Arbeit entstand während meiner Tätigkeit als wissenschaftlicher
Mitarbeiter am Institut für Umformtechnik und Leichtbau der Universität Dortmund.
Herrn Professor Dr.-Ing. Matthias Kleiner, dem Institutsleiter, möchte ich sehr
herzlich für sein Vertrauen, seinen Einsatz und für die stete, hilfsbereite Förderung
und Unterstützung in allen Belangen danken.
Dem Leiter des Lehrstuhls Mathematische Statistik und Naturwissenschaftliche
Anwendungen, Herrn Professor Dr. Joachim Kunert, danke ich für die vielen
anregenden Diskussionen sowie die Unterstützung, die notwendig war um die Arbeit
an der Schnittstelle zwischen Statistik und Maschinenbau realisieren zu können.
Prof. Dr. Holger Kantz, Leiter der Abteilung Nichtlineare Dynamik und
Zeitreihenanalyse des Max-Planck Instituts für Physik komplexer Systeme, Dresden
danke ich für die engagierte und freundschaftliche Zusammenarbeit.
Bei Frau Dr. Martina Erdbrügge und Frau Henkenjohann möchte ich mich ganz
herzlich bedanken für die hervorragende Kooperation und die Geduld, mit der sie
meinen Lernprozess in statistischen Fragen unterstützt haben.
Herrn Dr.-Ing. Werner Homberg und Herrn Heinrich Westermann von der Firma
Winkelmann Dynaform Technik GmbH & Co. KG, Ahlen/Westf.. danke ich sehr
herzlich für Ihre Unterstützung in allen fachlichen Fragen und ihre konstruktiven
Ideen und Vorschläge.
Ganz wesentlich zum Gelingen der Arbeit haben die vielen studentischen Hilfskräfte
beigetragen, ohne deren Einsatz die Arbeit nicht zu realisieren gewesen wäre. Mein
Dank gilt Kai Göbelsmann, Michael Hoos, André Janssen, Jan-Yves Schrage, Frank
Steinmann und Ralf Weiershausen.
Dank sagen möchte ich auch allen Arbeitskollegen für ihre Anregungen und für ihre
tatkräftige Unterstützung. Hervorheben möchte ich besonders Frau Ulm-Brandt für
die Durchsicht der Arbeit und ihre moralische Unterstützung während meiner Zeit am
IUL. Mein besonderer Dank gilt ebenso den Technikern des IUL für die
Unterstützung bei den experimentellen Arbeiten.
Nicht zuletzt möchte ich mich bei meiner Mutter bedanken, die mir diesen
Werdegang erst ermöglicht hat. Schließlich möchte ich mich bei meiner Frau Stefanie
bedanken, dass sie mir besonders während der gesamten Zeit meiner Promotion die
Unterstützung gegeben hat, ohne die die Arbeit nicht möglich gewesen wäre.


Dortmund, im August 2005                                            ROLAND EWERS
Kurzzusammenfassung
Drückverfahren dienen zur Herstellung präziser, zumeist rotations-symmetrischer
Hohlkörper mit nahezu beliebiger Mantellinien-Kontur. Die Fertigung erfolgt dabei
in erster Linie in kleinen und mittleren Stückzahlen, aber auch in Einzelstücken, z.B.
im Prototypenbau. Vorteile der Verfahren sind die hohe Flexibilität der Fertigung, die
hohe Präzision der Bauteile und das Vermögen, komplexe Geometrieformen auch aus
schwer umformbaren Werkstoffen herzustellen. Das Drückverfahren „Formdrücken“
ermöglicht dabei die Herstellung von Bauteilen aus einer ebenen Ronde ohne
beabsichtigte Wandstärkenreduktion.
Die Bauteilfertigung durch Formdrücken ist auch zum heutigen Zeitpunkt noch stark
handwerklich geprägt. Bei einer CNC-gesteuerten Fertigung gelingt es oftmals nicht,
bei dem breiten Spektrum herzustellender Geometrieformen auf die komplexen
Prozesszusammenhänge ohne ein umfassendes Feed-back aus dem Prozess adäquat
zu reagieren. Für konkrete Fertigungsaufgaben nutzbare Erfahrungen und Wissen
über den Prozess sind oft nur unvollständig vorhanden und in vielen Fällen lediglich
implizit verfügbar. Tragfähige Modelle des Drückprozesses liegen bislang nicht vor.
Im Rahmen dieser Arbeit wird das Prozess-Verständnis des Drückens durch eine
systematische Analyse der Vorgänge im Prozess erweitert. Basierend auf den so
gewonnenen Erkenntnissen wird ein neuer methodischer Ansatz für eine verbesserte
Prozessauslegung des CNC-Drückens realisiert. Zur Umsetzung dieser Aufgabe
werden Methoden der statistischen Versuchsplanung, der künstlichen Intelligenz
sowie der Finite Elemente-Simulation und nichtlinearen Dynamik zur
Prozessanalyse, -auslegung und -optimierung kombiniert und in einem
Prozessplanungssystem zusammengeführt. Der erarbeitete Ansatz wird anhand
ausgewählter Bauteile verifiziert.
I



Inhaltsverzeichnis

Formelzeichen ..................................................................................................... V

Abkürzungen......................................................................................................IX

1     Einleitung ...................................................................................................... 1

2     Stand der Kenntnisse ................................................................................... 7
    2.1     Handwerklich basierte Prozessauslegung mittels
            Teach-in / Play-back ................................................................................ 8
    2.2     Prozessoptimierung mittels Monitoring und Regelung........................... 9
    2.3     Prozessauslegung des Formdrückens mittels CNC-Programmierung .. 10
    2.4     Modellgestützte Prozessauslegung........................................................ 12
    2.5     Wissensbasierte Prozessauslegung........................................................ 15
    2.6     Schlussfolgerungen................................................................................ 20

3     Zielsetzung der Arbeit................................................................................ 23

4     Methodische Grundlagen .......................................................................... 27
    4.1     Grundlagen der Prozessanalyse ............................................................ 27
      4.1.1       Informationsstrukturierung ............................................................ 27
      4.1.2       Prozessmodellierung ...................................................................... 30
    4.2     Methode des Fallbasierten Schließens - Case-based Reasoning .......... 30
      4.2.1       Voraussetzungen für die Anwendung des CBR ............................ 31
      4.2.2       Struktur des CBR-Systems und Prozess des Schließens ............... 32
      4.2.3       Fallrepräsentation und -indizierung ............................................... 36
      4.2.4       Ähnlichkeitsmaße .......................................................................... 38
      4.2.5       Falladaption ................................................................................... 41
      4.2.6       Vergleich mit bestehenden, ähnlichkeitsbasierten
                   Ansätzen beim Drücken ................................................................ 42
    4.3     Methoden der statistischen Prozessmodellierung ................................. 44
      4.3.1       Multiple lineare Regressionsmodelle ............................................ 44
II


       4.3.2     Spatial Regression Models ............................................................ 49
       4.3.3     Modellierung qualitativer Zielgrößen ............................................ 53
       4.3.4     Multivariate Optimierung .............................................................. 56
       4.3.5     Versuchspläne ................................................................................ 58
       4.3.6     Versuchsauswertung und Identifikation
                 relevanter Einflussfaktoren ............................................................ 63



5      Prozessanalyse des Formdrückens............................................................ 67
     5.1    Grundlagen der experimentellen Untersuchungen ................................ 67
       5.1.1     Versuchsstand ................................................................................. 67
       5.1.2     Messaufbau ..................................................................................... 69
       5.1.3     Werkzeuge ...................................................................................... 70
     5.2    Analyse des Drückprozesses ................................................................. 72
     5.3    Vorarbeiten zur statistischen Prozessanalyse ........................................ 75
       5.3.1     Beschreibung der Randbegrenzungskurve ..................................... 75
       5.3.2     Versagensformen des Drückprozesses ........................................... 84
     5.4    Analyse der ersten Drückstufe............................................................... 92
       5.4.1     Parametrisierung des Stadienplans in der ersten Drückstufe ......... 92
       5.4.2     Berücksichtigte Einflussparameter in den ersten Drückstufen....... 94
       5.4.3     Qualitätsmerkmale der ersten Drückstufe ...................................... 95
       5.4.4     Versuchsplan Designs..................................................................... 99
       5.4.5     Versuchsergebnisse......................................................................... 99
       5.4.6     Ergänzende Untersuchungen zur Faltenbildung........................... 107
       5.4.7     Einfluss der Bahngeometrie.......................................................... 110
     5.5    Multivariate Optimierung der ersten drei Drückstufen ....................... 114
     5.6    Untersuchung vollständiger Bauteile .................................................. 119
       5.6.1     Qualitätsmerkmale bei der Optimierung vollständiger Bauteile.. 119
       5.6.2     Einflussparameter bei der Optimierung vollständiger Bauteile ... 120
       5.6.3     Optimierung eines zylindrischen Napfes...................................... 124
       5.6.4     Untersuchung des Einflusses der Drückrolle ............................... 128
       5.6.5     Parameterraumanalyse.................................................................. 132
III


      5.6.6     Zusammenfassung der Ergebnisse................................................ 135

6     Untersuchung der Faltenbildung beim Formdrückprozess................. 139
    6.1   Konventionelle Erklärungsansätze und Phänomenologie
          der Faltenbildung ................................................................................. 139
    6.2   Faltenbildung als nichtlineare, dynamische Instabilität ...................... 142
      6.2.1     Analytisches Beschreibungsmodell des Drückprozesses ............. 142
      6.2.2     Nichtlineare Zeitreihenanalyse zur Beschreibung
               der Faltenbildung........................................................................... 145
    6.3   Analyse der Faltenentstehung mit Hilfe der
          Finite Elemente-Simulation ................................................................. 153
      6.3.1     Spannungsverteilung bei der Bewegung zum Rondenrand.......... 155
      6.3.2     Spannungsverteilung bei der Bewegung zum Drückfutter........... 157
      6.3.3     Entstehung von symmetrischen Spannungsmustern .................... 158
      6.3.4     Einschränkungen der FE-Simulation............................................ 160
    6.4   Weiterführende experimentelle Untersuchungen ................................ 160
    6.5   Schlussfolgerungen zum Umgang mit der Faltenbildung
          beim Drücken....................................................................................... 162

7     Entwicklung eines Prozessplanungssystems für das Drücken ............. 165
    7.1   Grundlagen der wissensbasiert-sequentiellen Prozessauslegung........ 168
    7.2   Wissensbasierte Vorauslegung des Drückprozesses ........................... 170
      7.2.1     Fallrepräsentation und Fallindizierung für den Drückprozess ..... 171
      7.2.2     Fallbasis ........................................................................................ 176
      7.2.3     Ähnlichkeitskonzept für das Drücken .......................................... 180
      7.2.4     Parameterprognose und Falladaption ........................................... 188
    7.3   Sequentielle, modellbasierte Optimierung des Drückprozesses ......... 190
      7.3.1     Berücksichtigung vorhandener Versuchspunkte .......................... 191
      7.3.2     Adaptive, sequentielle Versuchsplanerzeugung........................... 192
      7.3.3     Sequentielle Prozessmodellierung................................................ 196
    7.4   Das Prozess-Planungs-System STADIplan......................................... 198
      7.4.1     Bauteil-, Prozess-, und Maschinendefinition................................ 199
IV


      7.4.2      Prozessparametrisierung und CNC-Datenerzeugung:
                 STADIplan/cnc.............................................................................. 203
      7.4.3      Wissensbasierte Parametererzeugung: STADIplan/knowledge... 204
      7.4.4      Analyse der Prozessergebnisse: STAIplan/analyze...................... 206
      7.4.5      Konventionelle Versuchsplanung: STADIplan/DoE ................... 207

8     Anwendungsbeispiel ................................................................................. 209
    8.1    Prozessrealisation in STADIplan ........................................................ 209
      8.1.1      Parameterschätzung mit Hilfe des CBR-Systems ........................ 212
    8.2    Adaptive, sequentielle Prozessoptimierung ........................................ 215
    8.3    Fazit ..................................................................................................... 225

9     Zusammenfassung und Ausblick ............................................................ 229

Literaturverzeichnis ........................................................................................ 233

Anhang: Geometrische Parameter zur Beschreibung des Stadienplans ...A-1
V



Formelzeichen

Formelzeichen Einheit Bezeichnung
              °       Konturwinkel des Bauteils
 1,        2    ° / rad   Start- und Endwinkel des Geometrieelements
                --        Drückverhältnis
 i,    i        --        Modellparameter der statistischen Modelle
                --        Fehlerterm
                --        Mittelwert
                --        Kovarianzparameter
                ° / rad   Winkel des Geometrieelements
                --        Vorschubverhältnis
 Boden          --        Maximaler Umformgrad in Blechdickenrichtung im
                          Bodenbereich
 Max            --        Maximaler Umformgrad in Blechdickenrichtung des
                          Bauteils
 Min            --        Minimaler Umformgrad in Blechdickenrichtung des
                          Bauteils
 Radius         --        Maximaler Umformgrad in Blechdickenrichtung im
                          Bodenradius
 s              --        Umformgrad in Blechdickenrichtung
 Zarge          --        Maximaler Umformgrad in Blechdickenrichtung im
                          Zargenbereich
                --        Standardabweichung
 ² = var[...]   --        Varianz
 a              mm        Abstand der Bahn auf der AQU
 s              mm        Range der Blechdickenwerte
A20             mm²       Flächenmaß unter der Blechdickenkurve für 20
                          Messpunkte
aRBK            mm        Abstand der Bahn auf der RBK
ARBK, RRBK      mm        Koordinaten der Randbegrenzungskurve
VI                    Formelzeichen


Axxx                 mm²    Schnittfläche des Geometrieelements xxx
C = cov[...]         --     Kovarianzfunktion
d(x,y)               --     Abstandsmaße der Punkte x, y
D0                   mm     Rondendurchmesser
D1                   mm     Bauteilreferenzdurchmesser
DBoden               mm     Durchmesser des Bauteilbodens
DDW                  mm     Durchmesser der Drückrolle
des(y)               --     Lokale Wünschbarkeit von y
DES(y)               --     Gesamtwünschbarkeit von y
DF                   mm     Durchmesser des zylindrischen Futters
Di                   mm     Innendurchmesser des Bauteils oder Halbzeugs
DMax                 mm     Maximaler Bauteildurchmesser
DNapf                mm     Durchmesser der Zwischenstufengeometrie
E(I)                 --     Expected Improvement
E(x)                 --     Erwartungswert
eAQU                 %      Endpunkt der Stadienplanrückbewegung auf der AQU in
                            % der Gesamtlänge der AQU
F                    mm/min Vorschubgeschwindigkeit
h(x, y)              mm     Abstandsmaß der Punkte x, y
h1 ... hn            mm     Rechnerische Höhen zur Volumenberechnung
hBauteil             mm     Theoretische Bauteilhöhe
hStart, hEnd, aEnd   mm     Geometrieparameter des Stadienplans
INT                  --     Wechselwirkung
k                    --     Anzahl Freiheitsgrad (Anzahl Faktoren)
kSh, kEh, kSr, kEr   mm     Bahnkrümmungen (S – Start, E – Ende, h – hin, r – rück)
lZylinder            mm     Höhe der Zarge
n                    --     Anzahl Merkmale
N                    --     Stufenanzahl im Stadienplan
P(E)                 --     Wahrscheinlichkeit des Ereignisses E
R2                   --     Bestimmtheitsmaß
RBahn                mm     Bahnradius
RDW, RK              mm     Arbeitsradius bzw. Kopfradius der Drückrolle
RF                   mm     Bodenradius am Futter
Formelzeichen                                                           VII


RS                mm      Schulterradius der Drückrolle
rSP_xx            mm      Schwerpunkt-Radius des Geometrieelements xx
S                 1/min   Spindeldrehzahl
s                 mm      Lokale Blechdicke
s0                mm      Rondenblechdicke
s1                mm      Bauteilreferenzblechdicke
SIM(x,y)          --      Globale Ähnlichkeit der Fälle x und y
simMerkmal(x,y)   --      Lokale Ähnlichkeit der Fälle x und y
tProd             s       Fertigungszeit
VAQU              --      Verteilung der Bahnen auf der AQU
VBauteil          mm³     Gesamtvolumen des Bauteils
VRBK              --      Verteilung der Bahnen auf der RBK
VRonde            mm³     Gesamtvolumen der Ronde
Vxxx              mm³     Volumen des Geometrieelements xxx
wi                --      Gewichtung des Merkmals i
xi                --      Einflussvariable i
x i, y i          --      Merkmal i der Fälle x und y
XSP, YSP          mm      Schwerpunktkoordinaten
yi                --      Zielvariable i
Z(x)              --      Zufallsvariable
IX



Abkürzungen
Abkürzung     Bezeichnung
AC            Adaptive Control
AQU           Äquidistante zum Futter (Definition zur Bahnprogrammierung)
ASOP          Adaptive Sequentielle Optimierungs-Prozedur
BDA           Blechdickenabnahme
CAD           Computer Aided Design
CAM           Computer Aided Manufacturing
CBR           Case Based Reasoning (Methode des fallbasierten Schließen)
CCD           Central Composite Design
CNC           Computer Numerical Control
DoE           Design of Experiments
DR            Durchmesserreduktion
DW            Drückwalze
FB            Faltenbildung
FE            Finite Elemente
FMEA          Fehler Möglichkeits und Einfluss Analyse
FTA           Fault Tree Analysis (Fehlerbaumanalyse)
HNP           Half-Normal-Plot
Kat.          Kategorie
NLD           Nichtlineare Dynamik
NT            Napftiefe
OF            Oberflächenqualität
OFAT          One Factor at a Time (Methode der empirischen Versuchsplanung)
OG            Obergrenze
RB            Rissbildung
RBK           Randbegrenzungskurve (Umklappbewegung des Rondenrandes)
REML          Residual Maximum Likelihood
RggH          Rondengegenhalter
RSM           Response Surface Model
SIM           Similarity (Ähnlichkeit)
SRM           Spatial Regression Model
UG            Untergrenze
WST           Werkstoff
1



1 Einleitung

In weiten Bereichen der Umformtechnik kommt der flexiblen Fertigung komplexer
Bauteile in kleinen und mittleren Stückzahlen eine hohe Bedeutung zu. Zur Fertigung
von rotationssymmetrischen Blechformteilen in diesem Marktsegment sind die
Drückverfahren hervorragend geeignet.
Drückverfahren dienen zur Herstellung präziser, zumeist rotationssymmetrischer
Hohlkörper mit nahezu beliebiger Mantellinien-Kontur. Zu diesen Verfahren gehören
das Drücken nach DIN 8584 [DIN8584], auch Metall- oder Formdrücken genannt,
sowie das Projizierdrückwalzen und das Zylinderdrückwalzen nach DIN 8583
[DIN8583], vgl. Abbildung 1-1.




Abbildung 1-1:   Einteilung der Drückverfahren nach DIN [DIN8583, DIN8584].

Beim Drücken nach DIN 8584 wird das Bauteil aus einer ebenen Ronde in mehreren
Stufen zur Endgeometrie umgeformt. Dabei liegt ein kombinierter Zug- /
Druckspannungszustand vor, der eine während der Umformung in etwa gleich
bleibende Wandstärke ermöglicht. Beim Projizierdrückwalzen erfolgt die
Formgebung in einem Überlauf entweder aus der Ronde oder einer Vorform. Es liegt
ein dreiachsiger Druckspannungszustand vor und die Wanddicke ist nach dem
2                                                             Kapitel 1 - Einleitung


Sinusgesetz vom vorliegenden Konturwinkel fest vorgegeben. Beim
Zylinderdrückwalzen liegt ebenfalls ein dreiachsiger Druckspannungszustand vor.
Ausgangsform ist hier ein zylindrischer Napf oder ein Rohr. Während der
Umformung erfolgt eine ein- oder mehrstufige, gezielte Reduktion der Wandstärke
durch einen Auswalzvorgang, was zu einer Längung des Bauteils führt.
Anwendung finden diese Verfahren beispielsweise im Bereich der Luft- und
Raumfahrttechnik, der Antriebstechnik, dem Apparatebau, der Leuchtenindustrie
oder der Haushaltsgeräteherstellung. Gefertigt wird dabei in erster Linie in kleinen
und mittleren Stückzahlen, aber auch in Einzelstücken, z.B. im Prototypenbau.
Lediglich Spezialvarianten der Drückverfahren wie beispielsweise die
Radfelgenfertigung werden auch in Großserien eingesetzt. Typische drücktechnisch
hergestellte Bauteile sind Haushaltsgegenstände wie Töpfe, Kannen, Kessel, etc.,
Kunst- und Ziergegenstände wie Vasen oder Pokale, Teile des Behälter- und
Apparatebaus wie Behälterböden oder Gasflaschen, Einströmringe und Düsen sowie
Lampen- und Radarreflektoren [Run93, Fin85].
Die hohe Form- und Maßgenauigkeit, die mit den Drückverfahren erreicht werden
kann, macht die spanende Nachbearbeitung der Werkstücke häufig überflüssig. So
sind sehr gute Oberflächen als optische Funktionsflächen im Reflektorbau herstellbar.
Weitere Vorteile sind die hohe Flexibilität der Fertigung, die hohe Präzision der
Bauteile, das Vermögen sehr komplexe Geometrieformen herzustellen, und die gute
Umformbarkeit ansonsten schwer umformbarer Werkstoffe. Als besonderer
wirtschaftlicher Aspekt können weitere Bearbeitungsvorgänge wie Glätten oder
Bordieren etc., aber auch spanende Bearbeitungen in derselben Aufspannung
durchgeführt werden [Run93, Fin85].
Trotz ihrer Vorteile sind die Drückverfahren im Vergleich zum Tiefziehen wenig
verbreitet. Zum einen beschränkt sich das Bauteilspektrum auf rotationssymmetrische
oder leicht elliptische Hohlkörper und weist somit ein eingeschränktes
Anwendungsfeld auf. In der Regel stehen die Drückverfahren aus technologischer
Sicht zudem in Konkurrenz zu anderen Verfahren wie dem z.B. Tiefziehen, der
wirkmedienbasierten Umformung oder dem Rundkneten, aber auch der spanenden
und fügetechnischen Fertigung, so dass in jedem Fall eine exakte
Wirtschaftlichkeitsbetrachtung notwendig ist. Erschwerend kommt hinzu, dass die
Drückverfahren schlichtweg einen geringen Bekanntheitsgrad besitzen. Zum anderen
handelt es sich bei diesen Verfahren um sehr alte, ursprünglich handwerklich
geprägte Verfahren. Aufgrund der hohen Komplexität der Prozessführung gelang es
Kapitel 1 - Einleitung                                                              3


erst sehr spät, die Verfahren in eine breitere industrielle Fertigung zu überführen.
Nicht zuletzt im Bereich des Handdrückens und der Teach-in / Playback
programmierten Prozesse sind nach wie vor ausgeprägte handwerkliche Kenntnisse
notwendig, die aber vielfach nicht mehr vorhanden sind.




Abbildung 1-2:   Prinzip des Formdrückens, Drückstufen und zylindrische Bauteile.

Die Herstellung von komplexen Bauteilen erfordert in der Regel eine Kombination
aus mehreren Drückverfahren. Das Formdrücken, welches Gegenstand dieser Arbeit
ist, wird eingesetzt, wenn ein Boden vorhanden ist. Die Herstellung des Bauteils
erfolgt dabei aus einer Ronde wobei zwischen Wand und Boden nur geringe
Blechdickenunterschiede toleriert werden.
Wie in Abbildung 1-2 dargestellt, wird beim Formdrücken eine Blechronde oder ein
bereits vorgefertigter Hohlkörper zentrisch gegen ein Drückfutter auf der
Hauptspindel gespannt und in Rotation versetzt. Die Umformung wird über eine
Drückrolle oder -walze, die das Werkstück über einen Zug-/Druckspannungszustand
in mehreren Umformstufen an die Drückfutterkontur anlegt, durchgeführt. Dabei ist
eine Reduktion der Blechdicke ungewollt. Eine detaillierte Beschreibung des
Verfahrens und der Anwendungsfelder kann beispielsweise [Run93, Lan75, Fin85]
entnommen werden.
4                                                                    Kapitel 1 - Einleitung


Beim Formdrücken handelt es sich um ein inkrementelles Umformverfahren, bei dem
der Werkstoff lokal in einer so genannten partiellen Umformzone plastifiziert wird.
Im Laufe der Umformung bewegt sich dieser plastifizierte Bereich durch die
Kombination aus Rotation des Bauteils und Bewegung der Drückrolle über die
gesamte Bauteiloberfläche, wodurch schrittweise die vollständige Umformung
erreicht wird. Die Formgebung ist bis zum Anliegen des Bauteils an das Futter durch
die Kinematik des Prozesses bestimmt. Dadurch ist das Prozess-Know-how
überwiegend in der Werkzeugbewegung gespeichert. Während das Drückfutter die
Endgeometrie des Bauteils bestimmt, wird die Umformung durch die
Verfahrbewegung der Drückrolle in der Ebene zwischen Ober- und Untersupport der
Maschine durchgeführt und ist somit ein wesentliches Kriterium zur Gestaltung des
Prozesses. Diese Verfahrbewegung kann frei gewählt werden und ist im so genannten
Stadienplan beschrieben, vgl. Abbildung 1-3.




Abbildung 1-3:   Beispiel eines linear-linearen Stadienplans mit 10 Stufen.

Durch die sich hieraus ergebende Kinematik der umlaufenden Umformzone in
Kombination mit den lokal auftretenden Kräften im Bereich des Werkzeugeingriffs
hat die Dynamik des Prozesses eine besondere Bedeutung für die Umformvorgänge.
Dies zeigt sich vor allem beim Auftreten von Versagensfällen wie beispielsweise der
Faltenbildung.
Die Kombination dieser Aspekte führt zu einer besonderen Komplexität des
Verfahrens. Aufgrund dieser Komplexität und des breiten Spektrums herzustellender
Geometrieformen stellt die systematische Auslegung von Drückprozessen nach wie
vor ein großes Problem dar. Für konkrete Fertigungsaufgaben nutzbares
Prozesswissen ist häufig nur unvollständig vorhanden und wird in vielen Fällen
Kapitel 1 - Einleitung                                                           5


lediglich implizit angewendet. Tragfähige Modelle des Drückprozesses liegen bislang
nicht vor. Durch die Anwendung des Drückens in der Fertigung kleinerer
Stückzahlen kommt der Gestaltung und Optimierung der Prozesse eine besondere
wirtschaftliche Bedeutung zu. So trägt der Aufwand zur Prozessauslegung aufgrund
der geringen Werkzeug- und Maschinenkosten und der geringen Stückzahlen zu
einem hohen Anteil an den Gesamtkosten der Fertigung bei.
Im Rahmen dieser Arbeit wird das Prozess-Verständnis des Drückens durch eine
systematische Analyse der Vorgänge im Prozess erweitert. Basierend auf den so
gewonnenen Erkenntnissen wird ein neuer methodischer Ansatz für eine verbesserte,
systematische Prozessauslegung des CNC-Drückens realisiert. Zur Umsetzung dieser
Aufgabe werden Methoden der statistischen Versuchsplanung, der künstlichen
Intelligenz sowie der Finite Elemente-Simulation und nichtlinearen Dynamik zur
Prozessanalyse, -auslegung und –optimierung kombiniert und in einem
Prozessplanungssystem zusammengeführt. Der erarbeitete Ansatz wird anhand
ausgewählter Bauteile verifiziert.
7



2 Stand der Kenntnisse

Die Drückprozessauslegung erfordert die Abstimmung einer großen Anzahl von Ein-
flussparametern1 auf den Prozess. Die Vorgehensweise richtet sich dabei nach der
herzustellenden Geometrieform und den Anforderungen an das Bauteil. Neben der
Auswahl von Werkzeugen und der Einstellung von Maschinenparametern ist auf-
grund der kinematischen Umformung in erster Linie die Gestaltung des Stadienplans
vorzunehmen, der die Bewegung der Drückrolle beschreibt. Aufgrund der Komplexi-
tät der Prozesskinematik und des breiten Spektrums herzustellender Geometriefor-
men stellt die Auslegung des Stadienplans jedoch nach wie vor ein großes Problem
dar.
Die Prozessauslegung des Formdrückens erfolgt in der Regel durch eine empirische
Vorgehensweise, basierend auf dem langjährigen Erfahrungswissen eines Drückex-
perten. Dazu werden neben dem Überprüfen von erfahrungsbasierten Hypothesen in
Einzelversuchen häufig so genannte One-factor-at-a-time-Experimente2 durchgeführt.
Dies hat sich als eine geeignete Vorgehensweise zur Bewältigung der komplexen
Problemstellungen herausgestellt, was die mit hoher Präzision gefertigten Bauteile
aus der industriellen Praxis belegen.
Unterschiede der Prozessauslegung ergeben sich in erster Linie in der Art der An-
wendung des Expertenwissens auf den Prozess und wie auf das in der Regel implizit
vorliegende Wissen zurückgegriffen wird. Aufbauend auf diesem Hintergrund wird
in diesem Kapitel eine Übersicht über die derzeit bekannten Methoden der Prozess-
auslegung des Formdrückens gegeben. Neben einer Einordnung der Vorgehenswei-
sen erfolgt eine kritische Diskussion zur Systematisierung und Eingrenzung der dar-
aus resultierenden Problemstellungen.




1
 Einflussparameter (Einflussgrößen) ermöglichen im Gegensatz zu Störgrößen eine kontrollierte
Einflussnahme auf das Prozessergebnis. Im statistischen Sprachgebrauch werden Parameter als
Faktoren bezeichnet.
2
  Mit „One-factor-at-a-time-Experimenten“ (OFAT) wird eine Versuchsdurchführung bezeichnet,
bei der sequentiell ein Faktor variiert wird, während alle anderen Parameter konstant gehalten wer-
den. Der jeweils vorhergehende Faktor wird auf seinem „besten“ Niveau gehalten. Im Gegensatz zu
einem rein empirischen Vorgehen erfolgt hier aber eine „geplante“ Versuchsdurchführung.
8                                                   Kapitel 2 - Stand der Kenntnisse


2.1 Handwerklich basierte Prozessauslegung mittels Teach-in / Play-back

Bei dem Formdrücken handelt es sich um ein altes Verfahren, welches bereits im
Mittelalter bekannt war und ursprünglich auf Handdrückbänken mit der Muskelkraft
des Maschinenbedieners ausgeführt wurde [Lud69, Pac76, Sel55, FiKö84]. Auch mit
der industriellen Nutzung des Verfahrens ist diese Form des Drückens insbesondere
bei der Herstellung von komplexen Bauteilen, Prototypen und kleinsten Stückzahlen
nach wie vor Stand der Technik. Die Auslegung des Prozesses basiert hierbei rein auf
der Erfahrung und dem handwerklichen Geschick des Drückexperten. Der direkte
Kontakt des Menschen mit dem umzuformenden Bauteil über das Drückwerkzeug
erlaubt dem geschickten Handwerker, ein Gefühl für den Prozess zu bekommen. Dies
gelingt intuitiv über die Verarbeitung haptischer, akustischer und visueller Eindrücke
aus dem Prozess. Somit kann der Mensch sehr sensibel und flexibel auf das Verhalten
des Materials während der Umformung reagieren. Eine systematische und reprodu-
zierbare Auslegung des Prozesses ist hierdurch jedoch nicht gegeben. Vielmehr stellt
das Drücken in dieser Form eine anspruchsvolle handwerkliche Kunst dar.
Mit der Weiterentwicklung der Maschinen- und Steuerungstechnik wurde auch das
Formdrücken für einen industriellen Einsatz vorbereitet. In Betrieben, in denen noch
das Erfahrungswissen eines Handdrückers vorhanden ist, werden nach heutigem
Stand der Technik üblicherweise CNC-gesteuerte Maschinen in Kombination mit ei-
ner Playback-Steuerung eingesetzt [Run93, Lei04]. Bei dem so genannten teach-in /
play-back wird die Drückrolle über einen Joystick verfahren. Damit kann die Bewe-
gung des Handdrückens nachvollzogen werden. Die Bewegung des Werkzeugs wird
dabei aufgezeichnet und am Rechner visualisiert. Die so gewonnenen Daten werden
dann in Kurven (z.B. Splines) konvertiert, die punktweise nachbearbeitet werden
können. Dadurch wird der Prozess über eine geometrische Anpassung der Werkzeug-
bewegung verbessert. Das endgültige Programm kann dann mit einer deutlich höhe-
ren Vorschubgeschwindigkeit und Drehzahl unter Berücksichtigung des Vorschub-
verhältnisses abgefahren werden, was zu einer deutlichen Steigerung der Wirtschaft-
lichkeit führt. Durch die Aufzeichnung der Verfahrbewegung ist im Gegensatz zum
reinen Handdrücken eine systematische, reproduzierbare Prozessauslegung möglich
[Run84, Run89, Run93, Kan89]. Das Prozesswissen wird bei dieser Form der Pro-
zessauslegung wie beim Handdrücken als Erfahrungswissen des Drückexperten über
sein handwerkliches Geschick in den Prozess eingebracht und liegt abgespeichert in
Form der Bahngeometrie vor.
Kapitel 2 - Stand der Kenntnisse                                                 9


2.2 Prozessoptimierung mittels Monitoring und Regelung

Bei der Prozessführung mittels Playbackverfahren besteht der wesentliche Nachteil
darin, dass für den Drückexperten das direkte Feed-back aus dem Prozess deutlich
reduziert ist. Das Feed-back beschränkt sich auf eine visuelle und akustische Beo-
bachtung der Prozessvorgänge durch den Maschinenbediener. Daher wurde im Rah-
men von Forschungsarbeiten versucht, über in der Maschine integrierte Sensorik zu-
sätzliche Informationen aus dem Prozess aufzuzeichnen und im Rahmen von Online-
Prozessregelungsstrategien zu nutzen. Im Rahmen der Arbeiten von Köhne [Köh84]
ist eine Messung der Umformkräfte realisiert worden. Dazu wurde eine Mehrkompo-
nenten-Kraftmesseinheit auf piezoelektrischer Basis realisiert, die zwischen Drück-
walzenaufnahme und Obersupport installiert ist. Im Rahmen umfangreicher Untersu-
chungen konnten eindeutige Zusammenhänge zwischen dem Bauteilverhalten und
den Kraftverläufen aufgezeigt werden. Basierend auf diesen Erkenntnissen haben
Dierig [Die92, FiDi90] und Reil [Rei94, FiRe93, FiRe95] neue Ansätze entwickelt,
die Kraftmessung in die Prozessauslegung zu integrieren. Dierig realisierte hierzu
eine AC-Regelung des Drückprozesses. Mit Hilfe der gemessenen Umformkraftver-
läufe erfolgt eine Online-Modifikation der axialen und radialen Drückrollenzustel-
lung sowie des Rondengegenhalterdrucks. Voraussetzung hierfür ist jedoch die Vor-
auswahl eines grundsätzlich geeigneten Stadienplans, der mit Hilfe der Regelung on-
line optimiert wird. Die für die Regelung notwendigen Informationen über Prozess-
zusammenhänge wurden in umfangreichen Versuchsreihen ermittelt. Die komplexen
Prozesszusammenhänge des Drückens konnten jedoch nur schwer exakt und voll-
ständig beschrieben werden. Dies führte zu Ungenauigkeiten in den zugrunde liegen-
den Prozessmodellen und eine Übertragung der Modelle auf andere Bauteile war
kaum möglich. Aus diesem Grund verfolgte Reil [FiRe93, Rei94, FiRe95] den An-
satz einer Fuzzy-Regelung. Die Fuzzyfizierung der Prozessgrößen erlaubt die zusätz-
liche Berücksichtigung von Wissen, welches nur in "unscharfer" Form vorliegt. Das
Wissen des Drückexperten wird hierbei in Form von linguistischen Regeln formuliert
und abgespeichert. Bei Reil wird, ausgehend von einem bauteilunabhängigen, „uni-
versellen“ Stadienplan, das Drückteil umgeformt. In Abhängigkeit der gemessenen
Kraftwerte und der Position der Drückrolle wird eine Anpassung der Bahnbewegung
vorgenommen. Problematisch bleibt jedoch nach wie vor, dass ein Großteil des Pro-
zesswissens nur in impliziter Form vorliegt (vgl. Prozessgefühl des Drückexperten)
und somit kaum in Form von Regeln erfasst werden kann. Hauptvorteil der Online-
Prozessregelung dürfte hingegen in der Kompensation von Chargenschwankungen zu
10                                                  Kapitel 2 - Stand der Kenntnisse


sehen sein [Run84]. Damit stellen diese Ansätze in erster Linie eine Optimierung be-
reits bestehender, funktionierender Prozesse dar und sind weniger für die grundsätzli-
che Prozessauslegung geeignet.
Klocke et. al. [KlZa95, KlWe04] nutzen ebenfalls eine Messung der Umformkräfte
für eine Anpassung der Prozessführung. Im Kombination mit einer lasergestützten
Erwärmung der Umformzone werden hier die gemessenen Kraftverläufe offline ana-
lysiert, um eine Anpassung der thermischen Prozessführung vorzunehmen und so op-
timierte Umformergebnisse für komplexe Werkstoffe wie X5CrNi1810 oder Ti-
Al6V4 zu erhalten. Hierbei wird nur auf den Parameter „Prozesstemperatur“ bzw.
„Temperaturverteilung“ zurückgegriffen, und die Bahnbewegung der Drückrolle wird
nicht betrachtet. Somit stellt dieser Ansatz eher eine Erweiterung der Formgebungs-
grenzen bestehender Drückprozesse dar, als die im Sinne dieser Arbeit verfolgte
grundsätzliche Prozessauslegung.


2.3 Prozessauslegung des Formdrückens mittels CNC-Programmierung

Kann nicht auf die Erfahrung eines Handdrückers zurückgegriffen werden, muss eine
direkte CNC-Programmierung der Drückmaschine vorgenommen werden. Um den
hohen Programmieraufwand, der sich beim Formdrücken aufgrund der zahlreichen
Zwischenstufen ergibt, zu reduzieren, wurde bereits seit Einführung der NC und
CNC-Technik an der Entwicklung von Programmiersystemen gearbeitet, welche die
manuelle Erstellung des Stadienplans erleichtern.
Zunächst wurden ähnliche Programmiersysteme entwickelt, wie sie gegen Ende der
70er Jahre in der spanenden Fertigung üblich waren. Winkels et. al. [WiRu80] als
auch Palten [Pal83] stellen erste Programmiersysteme für Drückmaschinen vor, die
unter Verwendung eines Digitzers eine Beschreibung des Stadienplans erstellen.
Auch Köhne [Köh81, Köh84, FiKö84] griff diesen Ansatz auf, bei dem im Dialog-
verfahren das Teileprogramm interaktiv erstellt wird. Der Stadienplan wird dabei aus
wenigen Grundelementen wie Geraden, Kreisbögen, Parabeln und Evolventen zu-
sammengesetzt. Der vollständige Stadienplan wird dann aus diesen Elementen und
den Informationen über die Futter- und Rondengeometrie grafisch erzeugt.
Dudziak [Dud81] entwickelte ein Programmiersystem unter Verwendung der Pro-
grammiersprache EXAPT, das in erster Linie mit einer parametrisierten Beschrei-
bung der Bahnbewegung arbeitet. Das neu zu erstellende Teileprogramm enthält in
Form von drückspezifischen Makroaufrufen die Geometriebeschreibung des Drück-
Kapitel 2 - Stand der Kenntnisse                                                  11


futters sowie die Beschreibung des Fertigungsablaufs. Durch die Parametrisierung ist
eine kompakte Beschreibung der Verfahrwege der Drückrolle möglich. Eine Opti-
mierung des Fertigungsablaufs kann durch eine Veränderung der Makroparameter in
einfacher Weise erreicht werden. Diese Lösung ermöglicht zudem eine einfache und
schnelle Erstellung der Steuerungsprogramme. Ergänzt wird der Ansatz zur Pro-
grammerstellung bei Dudziak um ein Modul zur wissensbasierten Prozessauslegung,
das in Kapitel 2.5 näher beschrieben wird.
Dierig [Die92, FiDi90] entwickelte ein Softwarepaket, welches neben der CNC-
Programmerstellung zur Versuchsvorbereitung und -auswertung eingesetzt wurde.
Grundlage sind mathematische Modelle der Drückfutter- und Drückrollengeometrie,
welche in einer Datenbank gespeichert werden und entsprechend dem eingemessenen
Koordinatensystem automatisch angeordnet werden. Der Arbeitsraum der Drückwal-
ze, bestehend aus Randbegrenzungskurve und Äquidistanten zu den Werkzeugen,
kann dadurch automatisch erzeugt werden. Die eigentliche Erstellung des Stadien-
plans erfolgt wie bei Köhne dialogorientiert über charakteristische Parameter der ein-
zelnen Bahnen. Eine wesentliche Erweiterung besteht in der Verbindung mit der in
Kapitel 2.2 beschriebenen AC-Regelung.
Die neueste Entwicklung auf dem Gebiet der computergestützten Stadienplangenerie-
rung stellen auf das Formdrücken spezialisierte CAD-CAM Programme wie bei-
spielsweise in den Maschinen der Firma Industrias Puigjaner, S.A., Polinyà, Spain
[Den04] oder die Software "SpinCAD" der Firma MJC Engineering & Technology,
Inc., Huntington Beach, USA [MJC04] dar. Diese erlauben die grafische Konstrukti-
on der Grundbahnformen in Kombination mit einer automatisierten Vervollständi-
gung des gesamten Stadienplans. Die Software „OPUS“ der Firma Leifeld GmbH,
Ahlen [Lei04], greift hingegen auf bestehende CAD-Zeichnungen des Bauteils zu
und konvertiert diese über steuerungsspezifische Postprozessoren in optimierte CNC-
Sätze.
Die hier dargestellten Ansätze zur direkten, computergestützten CNC-
Programmierung stellen zunächst nur Vereinfachungen des Ablaufs der Programmer-
stellung dar. Das Wissen über die exakte Vorgehensweise muss jedoch nach wie vor
vom Drückexperten eingebracht werden. Erschwerend hierbei ist vor allem, dass der
Prozess nun auf abstrakte Weise betrachtet wird und teilweise lediglich als Black-
Box über den Vergleich von CNC-Programm und fertigem Bauteil betrachtet wird.
Dadurch ist die Umsetzung des Expertenwissens nicht unerheblich erschwert. Dieser
Umstand wird auch durch die grafische Simulation der Verfahrbewegung nicht we-
12                                                        Kapitel 2 - Stand der Kenntnisse


sentlich verbessert. Das handwerkliche Gefühl für den Prozess geht hierdurch weit-
gehend verloren. Daher wurden zusammen mit der automatisierten Erstellung der
Stadienpläne für das Drücken bereits von Anfang an Ansätze verfolgt, den Program-
miervorgang wissensbasiert zu unterstützen bzw. gänzlich zu automatisieren. Grund-
lage hierfür ist eine Beschreibung und Modellierung der Prozesszusammenhänge, die
aus dem Expertenwissen und entsprechenden Experimenten erstellt wird.


2.4 Modellgestützte Prozessauslegung

Der erste Zugang zu einer Modellbildung des Prozesses erfolgt in der Regel auf expe-
rimentellem Weg. Folglich befasst sich ein großer Teil der Forschungstätigkeit mit
der systematischen Bestimmung der Prozesszusammenhänge und der Erarbeitung
eines fundierten Prozessverständnisses.
Die Forschungsarbeiten zum Drücken beschäftigten sich seit den 60er Jahren bis heu-
te im Wesentlichen mit qualititativen Analysen einzelner ausgesuchter Ein-
flussparameter auf den Drückprozess und das damit erzielbare Drückergebnis, siehe
beispielsweise Barkaja und Ruzanov, [BaRu73], El-Sheikh [ElSh86], Finckenstein,
Köhne, Dierig, Homberg und Reil [FiKö84, Köh84, FiDi90, Die92, Hom92, Rei94],
Hayama et. al. [HaMu63, Hay89, HaKu92], Khabeery et. al. [KhFa91], Keul
[Keu63], Küpers [Küp74], Mogil'nyj und Moiseev [MoMo75], Nawi und Mahdavian
[NaMa94], Radtke [Rad89] oder Smith [Smi92].
Im Vordergrund aller Untersuchungen steht die Bestimmung geeigneter Prozesspa-
rameter3 für verschiedene Bauteilformen sowie das Verhalten unterschiedlicher
Werkstoffe im Drückprozess. Eine Systematisierung der Ergebnisse erfolgt bei-
spielsweise bei Runge [Run93] und Dierig [Die92]. Hier werden mögliche Einfluss-
parameter auf den Prozess und Qualitätsmerkmale4 zusammengefasst und kategori-
siert. Von besonderer Bedeutung ist dabei die Einflussnahme auf den resultierende
Umformgradverlauf sowie Versagensfälle des Drückprozesses wie die Faltenbildung
und verschiedene Formen der Rissbildung.




3
 Als Prozessparameter werden in dieser Arbeit alle Parameter zusammengefasst, die einen Einfluss
auf das Fertigungsergebnis des Drückprozesses haben (Einfluss- und Störgrößen).
4
  Die Qualitätsmerkmale des Bauteils stellen in der Regel die Zielgrößen der statistischen Ver-
suchsplanung dar.
Kapitel 2 - Stand der Kenntnisse                                                                    13


Die Untersuchungen zeigen, dass die Bestimmung der Prozesszusammenhänge nicht
ohne Schwierigkeiten ist. Aufgrund der Vielzahl zu berücksichtigender Einflüsse sind
jeweils umfangreiche Untersuchungen notwendig. Viele Untersuchungen beschrän-
ken sich daher auf die Betrachtungen einzelner Effekte. Bereits hier zeigte sich je-
doch, dass die ermittelten Zusammenhänge komplex und oft nichtlinearer Natur sind
und viele Parameter in einer Wechselwirkung5 untereinander stehen. Zudem reagiert
der Drückprozess sensibel auf Störgrößen6 wie beispielsweise Chargenschwankun-
gen. Aufgrund der spezifizierten Versuchsbedingung ist eine Übertragung der Ver-
suchsergebnisse auf andere Bauteile vielfach nicht möglich. In den Untersuchungen
wird grundsätzlich nur ein einzelnes Qualitätsmerkmal betrachtet. Hier zeigt sich je-
doch, dass mit der Verbesserung eines Merkmals eine Verschlechterung anderer Bau-
teileigenschaften einhergeht, was zu bislang nicht gelösten Problemen führt. Die An-
forderungen an das Bauteil wechseln zudem häufig. In Kombination mit der Vielzahl
möglicher Geometrieformen ergibt sich daraus eine große Anzahl von Qualitätsan-
forderungskombinationen, auf die reagiert werden muss. Erschwert wird die Ausle-
gung und Optimierung des Drückens zudem durch Qualitätsanforderungen die sich
einer systematischen Messung entziehen und somit nur qualitativ beschreibbar sind,
wie beispielsweise das Auftreten der Faltenbildung. Methodisch erfolgten die expe-
rimentellen Untersuchungen ausschließlich durch One-factor-at-a-time-Experimente.
Zusammenfassend kann gefolgert werden, dass bereits die experimentelle Bestim-
mung der Prozesszusammenhänge zwischen den Einflussparametern und einzelnen
Qualitätsmerkmalen schwierig ist. Die Balancierung aller Qualitätsmerkmale eines
Bauteils ist bislang nicht vorgenommen worden. Auch wenn zuverlässige Ergebnisse
für ein spezifisches Bauteil ermittelt werden konnten, so war in der Regel eine Über-
tragung auf andere Randbedingungen nicht erfolgreich. Diese Ergebnisse sind somit
für ein übergeordnetes Prozessverständnis und die Auslegung neuer Bauteile nur
schwer anwendbar.
Auch Versuche, den Drückprozess analytisch zu beschreiben, erfolgten schon früh.
So untersuchte Dröge [Drö54] bereits 1954 die beim Drücken auftretenden Kräfte
und den Materialfluss. Hierzu übertrug er die Berechnungsgleichungen für das Tief-
ziehen auf die partielle Umformung beim Drücken, was sich allerdings als nur be-
dingt geeignet herausstellte. Eine analytische Studie der Spannungsverteilung in der


5
    Eine detaillierte Definition von Wechselwirkungen im statistischen Sinne erfolgt in Kapitel 4.4.2.
6
    Störgrößen sind Parameter, die während des Prozesses nicht gezielt beeinflusst werden können.
14                                                 Kapitel 2 - Stand der Kenntnisse


Umformzone sowie experimentelle Untersuchungen des Drückens in einem Überlauf
wurden 1963 bei Hayama und Murota [HaMu63] durchgeführt. Da jedoch die Be-
rechnungsansätze ungenaue Ergebnisse lieferten, wurden neue Ansätze erprobt, bei
denen eine Unterteilung des Drückvorgangs in einen Biege- und einen Tiefziehanteil
vorgenommen wurde. Dies führte bei der Untersuchung an Aluminium-Werkstoffen
zu verbesserten Ergebnissen, vgl. [Die92]. Alle analytischen Ansätze sind jedoch
vereinfachend und beschreiben nur modellhaft bestimmte Aspekte des Prozesses.
Während bei Umformprozessen wie dem Tiefziehen die Finite-Elemente-Simulation
seit langem erfolgreich zur Prozessauslegung und -optimierung eingesetzt wird,
konnte eine vollständige FE-Simulation des Drückprozesses bislang nicht realisiert
worden. Dies liegt darin begründet, dass es sich bei dem Drücken um ein inkremen-
telles Umformverfahren handelt. Die Plastifizierung des Werkstoffs erfolgt in einer
eng begrenzten, so genannten partiellen Umformzone, die sich mit der Rotation der
Ronde über das Bauteil bewegt. Die Mechanik dieses Vorgangs ohne ein inakzeptab-
les Anwachsen der Rechenfehler mit fortschreitender Simulation abzubilden, erfor-
dert eine genaue Abbildung der Zusammenhänge, was mit hohem Rechenaufwand
verbunden ist. Zusätzlich liegen beim Formdrücken im Vergleich zum Tiefziehen
lange Prozesszeiten von bis zu mehreren Minuten vor. Diese beiden Einflüsse erfor-
dern hohe Rechenleistungen, so dass geeignete Rechner erst seit kurzer Zeit zur Ver-
fügung stehen. Auf die hiermit verbundenen Besonderheiten der Simulation inkre-
menteller Umformprozesse wird beispielsweise in [QuMo02, HiKo04] hingewiesen.
Ein Überblick über den Stand der Kenntnisse zur FE-Simulation des Drückens ist in
[Seb03] gegeben. Erste Ansätze bestehen seit 1989. Ein erstes vereinfachtes Modell
wird bei Alberti et. al. [AlCa89] beschrieben. Als Solver dient Adina 84. Es handelt
sich hierbei um ein zweidimensionales Modell, bei dem die Symmetrie zur Rotati-
onsachse zur Vereinfachung genutzt wird. Dies setzt eine um den gesamten Umfang
gleichmäßig verlaufende Werkzeugbewegung voraus. Im realen Prozess verläuft die
Bewegung des Werkzeugs jedoch auf einer wendelförmigen Bahn, was bei einem
2D-Modell nicht realisiert werden kann.
Dai et. al. [DaGa99] beschrieben einen Ansatz, der die Prozesssimulation mit LS-
DYNA und ETA/Dynaform realisiert. Da der Schwerpunkt der Untersuchung auf der
kinematischen, inkrementellen Umformung liegt, wird nur der Spezialfall des futter-
losen Projizierens (Drückspannungszustand) untersucht. In Übereinstimmung mit
durchgeführten Experimenten zeigte sich eine gute Übereinstimmung bezüglich der
Wanddickenreduktion nach dem Sinusgesetz. Eine Übertragung auf den mehrstufigen
Kapitel 2 - Stand der Kenntnisse                                                15


Formdrückprozess mit einem Zug-Druck-Spannungszustand ist somit nur schwer
möglich.
Umfangreiche Untersuchungen zur Simulation des Drückprozesses wurden vor allem
von Quigley und Monaghan [QuMo98, QuMo99, QuMo00a, QuMo00b, QuMo02,
QuMo04] durchgeführt. Im Rahmen dieser Untersuchungen wurde ein impliziter FE-
Code des FE-Systems MARC von MSC genutzt. Mit vereinfachenden Annahmen wie
der Vernachlässigung der Reibung in der Kontaktzone sowie dynamischen Effekten
wurde eine Analyse der Spannungen in der Umformzone durchgeführt. Um die Re-
chenzeit zu minimieren, wurde nur ein kleines Segment der Ronde und der Werkzeu-
ge betrachtet. Die Prozessführung des simulierten Prozesses legt jedoch eine größere
Ähnlichkeit mit dem Projizieren als dem mehrstufigen Formdrücken nahe, so dass
auch hier eine Übertragbarkeit nur bedingt gegeben ist.
Wie die Literaturübersicht zeigt, liegen tragfähige Modelle des Formdrückprozesses
bislang nicht vor. Die dargestellten Ansätze zur analytischen Beschreibung und FE-
Simulation sind bislang nicht geeignet, die Auslegung und Optimierung des Form-
drückprozesses zu unterstützen. Für eine wissensbasierte Unterstützung der Stadien-
planerstellung kann daher trotz der beschriebenen Probleme nur auf experimentell
ermittelte Zusammenhänge zurückgegriffen werden, die in einfachen Modellen um-
gesetzt werden.


2.5 Wissensbasierte Prozessauslegung

Ziel der wissensbasierten Prozessauslegung ist die Nutzung und Umsetzung des vor-
liegenden Wissens für die Prozessauslegung in einer für die elektronische Datenver-
arbeitung geeigneten Form. Basierend auf dem vorhandenen Prozesswissen wurden
zunächst Ansätze verfolgt, das Wissen in geeigneter Weise zu klassifizieren, um es
für die wissensbasierte Prozessauslegung nutzbar zu machen. Der erste Schritt hierzu
stellt die Zusammenstellung und Systematisierung von Kawai et. al. [Kaw89, Ka-
Sa89] dar, die ausgehend von einer Systematisierung herstellbarer Geometrieformen
und möglicher Bahnbewegungen eine Drückdatenbank entwickelten, vgl. Abbildung
2-1.
16                                                     Kapitel 2 - Stand der Kenntnisse




Abbildung 2-1:   Geometrieklassifizierung nach Kawai et. al. [Kaw89, KaSa89].

Während diese Datenbank gut die in der Prozessauslegung zu berücksichtigenden
Aspekte verdeutlicht, zeigt sich jedoch eine Einschränkung in der Nutzbarkeit der
gespeicherten Informationen, die allgemein gehalten sind. Aus diesem Grund wurde
in den weiteren Arbeiten zunächst mit Wissensrepräsentationen gearbeitet, die spezi-
fisch an das gewählte Konzept angepasst sind.
Bei Köhne [Köh84] werden auf der Grundlage experimenteller Untersuchungen Ge-
setzmäßigkeiten entwickelt, die zur automatischen Generierung der Prozessparameter
und Stadienplangeometrieformen für die Fertigung zylindrischer Werkstücke genutzt
wurden. Nach einer Berechnung des Rondendurchmessers anhand des Gesetzes der
Volumenkonstanz erfolgt zunächst die Berechnung der Randbegrenzungskurve. Die-
se wird angenähert aus einem Geradenstück und einer Parabel zusammengesetzt. Die
zur Beschreibung notwendigen Parameter werden nach der erwarteten Blechdicken-
reduktion abgeschätzt. Für die Wahl des Vorschubverhältnisses werden empirisch
ermittelte Zusammenhänge zugrunde gelegt. Die Bestimmung der eigentlichen Bahn-
form erfolgt dann ebenfalls anhand eines Grundschemas, das durch empirische Ana-
lysen als vorteilhaft identifiziert wurde. Das Konzept von Köhne basiert damit auf
einem vorausgewählten Grundmodell des Drückprozesses, das mit Hilfe verschiede-
ner Parameter an die neue Fertigungsaufgabe angepasst wird.
Dudziak [Dud81] speichert bereits erfolgreich gefertigte Bauteile in einer Datenbank
und nutzt die mit den Bauteilen gespeicherten Stadienpläne für die Fertigung neuer
Bauteile, vgl. Abbildung 2-2.
Kapitel 2 - Stand der Kenntnisse                                                 17




Abbildung 2-2:   Aufbau des Expertensystem nach Dudziak [Dud81].

Grundlage für diesen Ansatz ist das Konzept einer Ähnlichkeit der Bauteile, nach
dem geeignete Stadienpläne ausgewählt werden. In dem von Dudziak erarbeiteten
Ähnlichkeitsansatz werden Informationen wie der verwendete Werkstoff, der Typ der
Geometrieelemente, die Hauptabmessungen der Bauteile, die Folge der Geometrie-
elemente sowie Zusatzinformationen wie der Blechdickenverlauf miteinander vergli-
chen. Für jedes Vergleichskriterium wird eine Grenzähnlichkeit definiert. Liegen alle
Kriterien innerhalb der definierten Grenzen, wird das entsprechende Bauteil ausge-
wählt und der mit dem Bauteil gespeicherte Stadienplan wird als Ausgangspunkt der
Umformung herangezogen. Diese Form der Nutzung von Expertenwissen über Ferti-
gungsbeispiele kann als ein Vorläufer eines Systems zum Fallbasierten Schließen ge-
sehen werden, vgl. Kapitel 4.2.
Hayama et. al. [HaKu92] entwickelten einen Algorithmus, basierend auf zuvor defi-
nierten Prozesskennwerten, um die wesentlichen Parameter für die Umformung zy-
lindrischer Bauteile zu ermitteln. Auch dieser Ansatz geht von der Idee einer univer-
sellen Grundvorgehensweise aus, die über die Kennwerte an die aktuellen Randbe-
dingungen angepasst wird.
Ein wissensbasierter Ansatz im Sinne eines klassischen Expertensystems wurde von
Schwager et. al. [ScHa93, Schw98, SchGo89, Krä94] entwickelt. Grundlage hierfür
18                                                    Kapitel 2 - Stand der Kenntnisse


ist ein durchgängiges CAD-CAM-System, das für die Fertigung von Haushaltsge-
schirr durch Drücken entwickelt wurde, vgl. Abbildung 2-3.




Abbildung 2-3:   Aufbau des Expertensystems nach Schwager et. al. [Schw98, SchGo89].

Nach der CAD-Konstruktion der Bauteilgeometrie wird im so genannten Technolo-
giemodul die Bauteilgeometrie auf ihre fertigungstechnische Realisierbarkeit hin ü-
berprüft und gegebenenfalls angepasst. Ausgehend von der Berechnung des Wanddi-
ckenverlaufs, erfolgt die Auswahl einer geeigneten Verfahrenskombination. Die
wichtigsten Verfahrensparameter werden berechnet und mit gespeicherten Grenzwer-
ten verglichen. Erfolgreich gefertigte Bauteile werden in einer Datenbank gespeichert
und können zur Unterstützung der Prozessgestaltung neuer Bauteile aufgerufen wer-
den. Basierend auf den bestimmten Bahnkurven können die CNC-Daten generiert
werden. Da dieser Ansatz festgelegte Algorithmen verwendet, wurde im Folgenden
kontinuierlich an der Weiterentwicklung zu einem wissensbasierten Expertensystem
gearbeitet [ScHa93, Schw98, SchGo89, Krä94]. Ausgangspunkt hierbei ist eine ähn-
liche Klassifizierung der Mantellinienkontur, wie sie von Kawai et. al. [Kaw89, Ka-
Sa89] in der Drückdatenbank eingeführt wurde. Durch einen so genannten "Muster-
vergleich" erfolgt die Suche nach geometrisch ähnlichen Bauteilen in der zugrunde
liegenden Datenbank. Zur Klassifizierung wurde ein 15-20stelliger Ziffernschlüssel
verwendet. Im Technologiebaustein wird dann Wissen über den Zusammenhang zwi-
schen Geometrie und Verfahrensablauf verarbeitet.
Kapitel 2 - Stand der Kenntnisse                                                19


Die Grundlagen für den Technologiebaustein werden bei Kräusel [Krä94] dargestellt.
Realisiert wurde das Technologiemodul in der Programmiersprache PROLOG. Die
Bestimmung der Verfahrenstechnologie erfolgt in vier Schritten, bestehend aus Zu-
schnittsermittlung, Verfahrenswahl und Erstellung eines Grobstadienplans sowie der
Maschinenwahl. Ausgegangen wird dabei von ebenen Blechzuschnitten, deren Be-
rechnung auf dem Gesetz der Volumenkonstanz beruht. Durch einen Vergleich der
Wanddickenverläufe der Konturelemente mit der Bodenblechdicke erfolgt eine Zu-
ordnung der Grundverfahren Formdrücken, Projizieren und Drückwalzen. Kombi-
niert ist dieser Schritt mit einer Überprüfung und Korrektur der Bauteilgeometrie.
Anhand der festgelegten Verfahrensfolge wird in den Verfahrensmodulen die Detail-
lierung der Bearbeitungsvorgänge vorgenommen, was in erster Linie eine Ermittlung
von technologischen Verfahrensparametern und des erforderlichen Kraft- und Dreh-
momentenbedarfs beinhaltet. Darauf basiert dann letztlich die Wahl einer geeigneten
Maschine.
Der Schwerpunkt dieses Expertensystems liegt auf der Verfahrensauswahl bei der
Fertigung komplexer, zusammengesetzter Geometrieformen und der geeigneten
Kombination aus Drücken, Projizieren und Drückwalzen. Eine wissensbasierte Un-
terstützung mehrstufiger Formdrückvorgänge ist dahingegen nicht möglich und be-
schränkt sich auf die Berücksichtigung einstufiger Formdrückvorgänge [Krä94].
Auch auf industrieller Seite wird seit langem an der Entwicklung von Systemen gear-
beitet, die den Verfahrensanwender durch eine automatische Stadienplangenerierung
unterstützen. So wurde bei der Firmal Leifeld, Ahlen, ein System zur benutzerunter-
stützten Stadienplangenerierung entwickelt, welches erstmals 1988 vorgestellt wurde,
vgl. [Run89, Run93]. Aufbauend auf der Eingabe grundlegender Parameter, generiert
das Programm selbstständig den Bewegungsablauf der Drückrolle. Dazu werden frei
programmierbare Zyklen der CNC-Steuerung aufgerufen. Über ein Grafikmodul wird
dieser Ablauf simuliert. So kann der Metalldrücker schon vor dem Fertigen des ersten
Werkstücks eine kritische Bewertung des Umformprozesses vornehmen und gegebe-
nenfalls durch die Eingabe weniger Parameter modifizieren. Die Konturgeometrie
des Drückfutters kann mit Hilfe von Konturelementen beschrieben werden oder über
einen Messtaster erfasst und elektronisch weitergegeben werden. Für das Abtasten
steht ein Messprogramm zur Verfügung, das über die Bedienführung angepasst wer-
den kann. Für die einzelnen Drückstufen können Höhenabstände, Neigungen und
Anzahl definiert werden. Vorschubgeschwindigkeit, Spindeldrehzahl und weitere
technologische Angaben werden vom Benutzer erfragt. Der aktuelle Stand dieser
20                                                Kapitel 2 - Stand der Kenntnisse


Entwicklung ist in das CAM-System "OPUS" integriert [Lei04]. Es liegen jedoch
keine Informationen über den technologischen Hintergrund vor.


2.6 Schlussfolgerungen

Die derzeit effizienteste Methode der Drückprozessauslegung stellt nach wie vor das
handwerklich basierte Playbackverfahren dar. Aufgrund des aussterbenden Berufs-
bildes des Handdrückers gelingt es oftmals jedoch nicht, das dazu notwendige hand-
werkliche Geschick im Betrieb zu speichern und weiterzugeben. Dadurch bekommt
die rechnerunterstützte Stadienplanerstellung eine immer stärkere Bedeutung. Das
schwerwiegendste Hindernis hierbei ist jedoch das nach wie vor mangelnde Prozess-
verständnis, das durch die hohe Komplexität des Prozesses begründet ist, sowie die
"Black-Box"-Betrachtung des Prozesses einer CNC-Fertigung ohne sensorisches
feed-back.
Auch nach heutigem Stand der Kenntnisse basiert die Prozessauslegung weitestge-
hend auf Erfahrungswerten und erfolgt nach dem Trial-and-Error-Prinzip. Das Erfah-
rungswissen ist nach empirischen Vorgehensweisen bestimmt worden und liegt dabei
vielfach nur in impliziter Form vor. Experimentell durchgeführte Untersuchungen
bleiben oftmals an die Randbedingungen der Versuche gebunden und lassen sich
nicht auf neue Bauteile übertragen. Auf Grund der großen Anzahl möglicher Ein-
flussparameter ist es bislang nicht gelungen, Gesetzmäßigkeiten zu formulieren, um
die am Prozess beteiligten Größen in einen mathematisch klar definierten Zusam-
menhang zu setzen und insbesondere deren Wechselwirkung zu bestimmen. Die vor-
handenen Beschreibungen der Prozesszusammenhänge sind somit recht unvollständig
und oft nur unscharf verbal zu formulieren.
Als bislang erfolgversprechendster Ansatz zur Verarbeitung des Expertenwissens für
eine direkte Programmierung des CNC-gesteuerten Drückens unter den aufgezeigten
Bedingungen erscheint die Verwendung von bereits erfolgreich gefertigten Bauteilen
als Referenz für neue Fertigungsaufgaben, wie es bei Dudziak [Dud81] und in Ansät-
zen auch bei Schwager et. al. [ScHa93, Schw98, SchGo89, Krä94] realisiert wurde.
Dieses Konzept erscheint geeignet, die Problematik der Verarbeitung nur implizit
vorliegenden, ungenauen Wissens zu lösen. Jedoch sind beide Ansätze nur rudimen-
tär ausgearbeitet und erfordern weitergehende Entwicklungsarbeiten. Dabei ist es
notwendig, neue Zugänge zu den komplexen Zusammenhängen des Formdrückpro-
zesses zu finden, um zu einer effizienten Prozessauslegung und -optimierung zu ge-
Kapitel 2 - Stand der Kenntnisse                                               21


langen. Insbesondere die Aspekte der Übertragbarkeit der Prozesszusammenhänge
von einem Bauteil auf ein anderes sowie die Balancierung der Maßnahmen zur Erfül-
lung aller qualitätsrelevanten Merkmale erfordern weitergehende Forschungsarbeiten.
23



3 Zielsetzung der Arbeit

Wie aus dem Stand der Kenntnisse ersichtlich ist, sind die Zusammenhänge zwischen
Einflussgrößen und Qualitätsmerkmalen des Formdrückprozesses sehr komplex. Dies
ist unter anderem begründet durch die inkrementelle, kinematische Gestalterzeugung
bei der Bauteilfertigung, mit vielen Freiheitsgraden des Prozesses. Abbildung 3-1
verdeutlicht das Spektrum der daraus resultierenden Problemstellungen.




Abbildung 3-1:   Problemstellungen der Drückprozessauslegung und –optimierung.

In Kombination mit der Vielzahl herzustellender Geometrieformen und der Notwen-
digkeit, durch die Fertigung in kleinen und mittleren Stückzahlen in hohem Umfang
auf neue Fertigungsaufgaben reagieren zu müssen, stellt die systematische Auslegung
von Drückprozessen nach wie vor ein großes Problem dar. Gelingt die Erfassung der
Prozesszusammenhänge nicht in adäquater Weise, führt dies zu Qualitätseinbußen
und zu einem hohen zeitlichen Aufwand bei der Prozessauslegung. Die Tatsache,
dass für konkrete Fertigungsaufgaben nutzbares Prozesswissen oft nur unvollständig
vorhanden ist und in vielen Fällen lediglich in impliziter Form vorliegt, macht eine
systematische Prozessauslegung schwierig. Tragfähige Modelle, wie beispielsweise
Finite Elemente Modelle des Drückprozesses, existieren bislang nicht.
24                                                Kapitel 3 - Zielsetzung der Arbeit


Die übliche Vorgehensweise zur Prozessauslegung - in Form von Trial-and-error-
oder One-factor-at-a-time-Experimenten, kombiniert mit Hypothesen, basierend auf
der Erfahrung des Drückexperten – führt zu Ergebnissen, die häufig nicht auf andere
Bauteile übertragen werden können. Zudem werden teils unzulässige Reduktionen
der Prozesszusammenhänge benutzt, wie die Vernachlässigung der Wechselwirkun-
gen der Parameter untereinander oder die isolierte Betrachtung einzelner Qualitäts-
merkmale. Der adäquate Umgang mit der vorhandenen Prozesskomplexität erfordert
hingegen neue Herangehensweisen an die Problemstellung und damit verbunden die
Nutzung neuer Methoden, welche das Zusammenspiel und die Wechselwirkung der
Einzelaspekte stärker berücksichtigen.
In der vorliegenden Arbeit soll daher ein neuer Ansatz zur Prozessauslegung und Op-
timierung des CNC-gesteuerten Formdrückens erarbeitet werden, der die beschriebe-
nen Probleme adäquat berücksichtigt und somit zu einer qualitätsgerechten, effizien-
ten und robusten Prozessauslegung unter technologischen und wirtschaftlichen Ge-
sichtspunkten beiträgt.
Besondere Bedeutung bei der Entwicklung dieses Ansatzes hat das Umfeld der
Drückteilefertigung, welche fast ausschließlich in kleinen und mittelständischen Be-
trieben in kleiner und mittlerer Stückzahl stattfindet. Dadurch ist der akzeptable
Aufwand zur Auslegung und Optimierung des Prozesses reduziert. Ziel muss daher
die Reduzierung des Versuchsumfangs bis zum Gutteil sein, verbunden mit einer ef-
fizienten Umsetzung der CNC-Daten-Generierung zur Prozessdurchführung. Unab-
dingbare Voraussetzung hierfür ist die Integration allgemeinen und betriebsspezifi-
schen Hintergrundwissens über die Fertigung.
Darüber hinaus ist die Erweiterung des Prozess-Verständnisses des Drückens Ziel der
Arbeit. Wie der Stand der Kenntnisse aufgezeigt hat, bestehen insbesondere zum
Verständnis der auftretenden Versagensfälle und hier insbesondere der Faltenbildung
nach wie vor nur grundlegende Konzepte. Daher soll im Rahmen der Arbeit ein tie-
fergehendes Verständnis für die Entstehung der Faltenbildung erarbeitet werden.
Zur Realisierung dieser Ziele wird in einem ersten Schritt eine systematische Analyse
des Prozesses durchgeführt. Anhand der hieraus resultierenden Erkenntnisse erfolgt
eine kombinierte Vorgehensweise zur Lösung der Problemstellung durch die Vernet-
zung von Methoden wissensbasierter Systeme und der statistischen Versuchsplanung.
Die Methoden werden in einem Prozess-Planungs-System zusammengeführt.
Kapitel 3 - Zielsetzung der Arbeit                                               25


Innerhalb dieses Ansatzes wird die Integration von unvollständigem, unexaktem und
implizitem Hintergrundwissen über den Drückprozess mit Hilfe der Methode des
Fallbasierten Schließens realisiert. Die Adaption des Wissens an die bauteilspezifi-
schen Gegebenheiten innerhalb des Fallbasierten Schließens sowie die abschließende
Optimierung erfolgt durch speziell für das Drücken angepasste Verfahren der statisti-
schen Versuchsplanung, die in der Lage sind, die komplexen Zusammenhänge, den
nur kleinen stabilen Bereich des Prozesses und den multivariaten Charakter des Op-
timierungsproblems abzubilden.
Die Realisierung dieses kombinierten Ansatzes erfordert eine Erweiterung des bishe-
rigen Prozessverständnisses. Dazu werden mit Methoden der statistischen Versuchs-
planung in einer sequentiellen Vorgehensweise, beginnend mit einer einzelnen
Drückstufe hin zu vollständigen Bauteilen, die zugrunde liegenden Prozesszusam-
menhänge erarbeitet. Ein wichtiger Aspekt hierbei ist die Berücksichtigung von kate-
gorialen Qualitätsmerkmalen wie der Faltenbildung. Der Versagensfall der Faltenbil-
dung kann zudem nicht alleine durch stetige, funktionale Zusammenhänge beschrie-
ben werden. Vielmehr sind Methoden der nichtlinearen Dynamik notwendig, die ins-
besondere dem Aspekt der dynamischen, nichtlinearen Instabilität der Faltenbildung
Rechnung tragen. Der so entwickelte Ansatz zur Prozessauslegung wird in einem für
das Drücken entwickeltes Prozess-Planungs-System umgesetzt.
Im Rahmen dieser Arbeit erfolgt aufgrund der umfangreichen Thematik eine Be-
schränkung auf das Drücken nach DIN 8584 - den reinen Formdrückprozess - und
hierbei auf die Betrachtung der CNC-gesteuerten Prozessführung. Auch ergänzende
Prozessoperationen, wie zwischen- oder nachgeschaltete Drückwalzstufen so wie
projizierte Bauteilbereiche, werden nicht berücksichtigt, da sie die Beurteilung des
Ergebnisses des reinen Formdrückprozesses erschweren.
Bei der Auswahl zu untersuchender Geometrieformen ist eine Auswahl repräsentati-
ver Geometrieformen und Formenkombinationen notwendig. Die umformtechnisch
schwierigste Geometrieform für den Drückprozess ohne einen Hinterschnitt stellt die
Fertigung eines zylindrischen Bauteils aus einer Ronde dar, da hierbei die größte
Durchmesserreduktion und damit die größte Materialverschiebung vorgenommen
werden muss. Daher erfolgt im Rahmen dieser Arbeit eine Beschränkung auf nicht
zusammengesetzte, zylindrische Bauteilformen, wobei jedoch die Erweiterung und
Übertragbarkeit des Ansatzes auf komplexe Geometrieformen berücksichtigt wird.
27



4 Methodische Grundlagen

Die im Stand der Kenntnisse erarbeiteten Grundlagen verdeutlichen die Notwendig-
keit, einen neuen Zugang zum Prozess und der Abbildung der Zusammenhänge im
Modell zu erarbeiten, damit eine systematische Prozessoptimierung ermöglicht wird.
Die im Rahmen dieser Arbeit genutzten Methoden zur Realisierung der Zielstellung
werden in diesem Kapitel theoretisch erarbeitet. Im Fokus stehen dabei die Methoden
des fallbasierten Schließens, das in Kapitel 4 theoretisch dargestellt wird und Metho-
den der statistischen Versuchsplanung, die sowohl zur Analyse als auch zur Model-
lierung der Prozesszusammenhänge genutzt werden, und in Kapitel 4.3 dargestellt
sind.


4.1 Grundlagen der Prozessanalyse

Der ersten Schritt eines neuen Zugangs zum Prozess ist die Ausarbeitung, Sammlung,
Auswertung und Strukturierung der vorhandenen Information. Im Anschluss an das
eigentliche Sammeln der Informationen kann bereits eine erste Charakterisierung z.B.
in qualitative und quantitative Parameter oder die Abschätzung von Wechselwirkun-
gen in einer Diskussion erfolgen. Als Grundlage konnte dabei auf ein Vorauswahl
und Einteilung möglicher Einfluss- und Zielparameter zurückgegriffen werden, die
bei Dierig [Die92] und Runge [Run93] veröffentlicht wurde.


4.1.1 Informationsstrukturierung

Ein einfache Erfassung der Informationen alleine ist nicht ausreichend und muss
durch die Strukturierung der Zusammenhänge ergänzt werden. Das Ishikawa-
Diagramm stellt dabei einen ersten möglichen Zusammenhang zwischen Wirkung
und Ursache dar, aus der Einflussmaßnahmen im Rahmen der Prozessoptimierung
abgeleitet werden können.
Mit dem Ishikawa-Diagramm, auch Ursache-Wirkungs-Diagramm oder Fischgräten-
Diagramm genannt, wird eine Strukturierung von Problemen durch eine Zuordnung
von potentiellen Ursachen zu den ermittelten Fehlern bestimmt. Im Rahmen der Sys-
temanalyse wird als Wirkung ein zu untersuchendes Systemelement berücksichtigt,
bei dem es zu einer Qualitätsabweichung gekommen ist. Dieser Qualitätsabweichung
werden mögliche Hauptursachen durch Pfeile grafisch zugeordnet, wobei diesen wie-
28                                             Kapitel 4 - Methodische Grundlagen


derum untergeordnete Ursachen zugeordnet sind [Pfe93, HeTr93, Fla95, May97].
Abbildung 4-1 stellt beispielhaft ein Ishikawa-Diagramm dar.
Da zu diesem Zeitpunkt die Ursachen nur vermutet werden, ist eine Zuordnung zur
Systemstruktur wichtig. Erleichtert wird die Erstellung des Diagramms daher durch
die Zuordnung der Ursachen zu den so genannten 6M: Mensch, Maschine, Material,
Methode, Messung und Mitwelt.




Abbildung 4-1:   Grundaufbau eines Ishikawa-Diagramms.

Aus den im Ishikawa-Diagramm geordneten Ursachen können dann diejenigen ermit-
telt werden, die als Einflussgrößen in Frage kommen [May97].
Die exakte Erfassung der im Drückprozess vorliegenden Struktur erfolgt mit Hilfe
der Funktionsstrukturanalyse. Bei der Prozessauslegung ist dies für das Erkennen von
Fehlerursachen besonders wichtig, die in frühen Phasen der Fertigung oder vorgela-
gerten Prozessschritten entstehen und erst im weiteren Verlauf identifiziert werden
können. Für den Drückprozess ist hier beispielsweise die Identifikation einzelner
Schritte der Rondenfertigung als Fehlerursache für die Rissbildung am Bauteilrand zu
nennen. Während zudem die Modellierung des Gesamtsystems schwierig werden
kann, ist es doch oftmals möglich, basierend auf der Systemstruktur, vernetzte Teil-
Kapitel 4 - Methodische Grundlagen                                               29


modelle zu erstellen, die zu einer hinreichend genauen Abbildung des Systems füh-
ren.
In der Funktionsstrukturanalyse wird ausgehend von einer Black-Box-Betrachtung
des Systems versucht, die Systemstruktur zu detektieren und Aussagen über die funk-
tionalen Abhängigkeiten zwischen Input- und Output des Systems zu machen
[Fla95]. Entsprechend dem Stoff-, Energie- und Informationsfluss im System wird
schrittweise die Struktur verfeinert. Über das Verhalten der Systemelemente können
dann Hypothesen formuliert werden, die zu einer qualitativen Modellbildung genutzt
werden können. Das Vorgehen ist beispielhaft in Abbildung 4-2 dargestellt [Fla95].




Abbildung 4-2:   Black-Box Betrachtung, nach [Fla95].

Für die Betrachtung eines Fertigungsprozesses bedeutet dies zunächst einmal im
Schritt der Black-Box Betrachtung die Definition aller im System auftretenden Input-
und Output-Größen. Im Schritt der Strukturverfeinerung erfolgt das Erstellen eines
Ablauf- und Aufbaudiagramms aller am Prozess beteiligten Systemelemente (z.B. die
Erfassung der Maschinenstruktur und des kinematischen Prozessablaufs). Im Rahmen
der Hypothesenformulierung werden vermutete Zusammenhänge innerhalb der Struk-
tur formuliert, die im Schritt der Informationsauswertung beispielsweise als Grundla-
ge für eine qualitative Modellbildung des Prozesses genutzt werden.
Aus der Kombination der Methoden zur Informationssammlung und –strukturierung
kann eine erste Prognose für die Drückprozessauslegung über Zusammenhänge zwi-
schen Einfluss- und Zielgrößen, sowie Wechselwirkungen der Parameter untereinan-
der vorgenommen werden.
30                                             Kapitel 4 - Methodische Grundlagen


4.1.2 Prozessmodellierung

Nachdem explizit verfügbare Informationen über den Prozess erfasst und systemati-
siert wurden, erfolgt eine Modellierung des Systemverhaltens, basierend auf den er-
hobenen, klassifizierten Informationen. Im Rahmen dieser Arbeit wird zur Modellie-
rung der Prozesszusammenhänge ein Ansatz verfolgt, der zum einen vorhandenes
Prozesswissen mit einbezieht und zum anderen in der Lage ist experimentell be-
stimmten Zusammenhänge in ihrer Komplexität adäquat abzubilden.
Da bereits vorhandenes Prozesswissen üblicherweise nicht in einer Form vorliegt, das
zur Modellierung genutzt werden kann, wird bei der Modellbildung des Drückens die
Methode des Fallbasierten Schließens, auch Case-based Reasoning (CBR) genannt,
eingesetzt, welche im folgenden Kapitel beschrieben wird. Das CBR verknüpft dabei
über ein Ähnlichkeitsmodell Prozesswissen und adaptiert dieses als Rückführung ei-
ner Qualitätsmerkmalsprognose an die neuen Bedingungen (Adaptionsmodell).


4.2 Methode des Fallbasierten Schließens – Case-based Reasoning

Unter klassischen Expertensystemen versteht man im Allgemeinen wissensbasierte
Systeme, die Wissen in Form von Wenn-dann-Regeln darstellen, so genannte regel-
basierte Systeme. Hierbei wird das Wissen in gut verständlicher Weise dargestellt
und lässt sich mit Hilfe der klassischen Logik adäquat verarbeiten. Die Regeln drü-
cken dabei generisches Wissen aus, das aus einem speziellen, abgegrenzten Kontext
abstrahiert wurde. Dies setzt jedoch einen klar strukturierten, gut verstandenen und
vor allem formalisierbaren Problembereich voraus. Diese Problematik in der Wis-
sensakquisition stellt das Hauptproblem regelbasierter Systeme dar [Lea96, BeKe00].
Häufig liegt Wissen jedoch nicht in formalisierter Form vor, sondern als Erfahrungs-
wissen, das mit konkreten Randbedingungen verbunden ist. Hierauf baut das Case-
based Reasoning auf. Hierbei liegt die primäre Wissensbasis in Form von gespeicher-
ten Fällen vor, in denen situationsspezifische Erfahrungen gespeichert sind. Neue
Probleme werden durch einen erinnerungsbasierten Prozess gelöst, indem relevante
Fälle aus der Datenbasis herausgesucht werden und deren Lösung auf das neue Prob-
lem übertragen werden. Beide Formen der Wissensverarbeitung, Regeln und Erfah-
rungen, sind im menschlichen Verhalten wiederzufinden, wobei das CBR einen for-
malisierten Ansatz darstellt, die Erfahrungskomponente im Rechner abzubilden
[Lea96, BeKe00].
Kapitel 4 - Methodische Grundlagen                                              31


4.2.1 Voraussetzungen für die Anwendung des CBR

Das CBR beruht auf zwei grundsätzlichen Annahmen, die erfüllt sein sollten, um zu
sinnvollen Ergebnissen der Methodik zu gelangen, [LeBa91, BeKe00]:
   1. Ähnliche Probleme haben ähnliche Lösungen. Hierbei wird vorausgesetzt, dass
      bei vergleichbaren Problemstellungen nicht grundsätzlich andere Vorgehens-
      weisen erfolgen müssen, um zu einer Lösung zu gelangen.
   2. Es existiert eine Zuordnungsmöglichkeit zu allgemeineren Problemtypen. Auch
      wenn die spezifische Problemstellung anders ist, so wiederholt sich doch der
      Typ der Aufgabenstellung, was genutzt wird, um bei einer Wiederholung der
      Problemlösung schnell zum Ergebnis zu kommen.
Durch diese beiden Annahmen wird ein Basis geliefert, welche die Lösung komple-
xer, schwer überschaubarer Problemfälle ermöglicht. Gerade in komplexen Situatio-
nen sind diese Annahmen jedoch nicht immer streng erfüllt. Dennoch stellt das CBR
dann oft den einzigen Zugang zu solchen Problemstellungen dar und kann als erster
Schritt zur Annäherung an die Problemstellung genutzt werden [BeKe00].
In der Anwendung auf den Drückprozess besteht die Problemstellung in der Frage-
stellung, wie die Einflussparameter des Drückprozesses eingestellt werden müssen,
um eine spezifische Fertigungsaufgabe, bestimmt durch die Geometrie des Bauteils,
den Werkstoff und die zugehörigen Anforderungen beschrieben durch die Qualitäts-
merkmale des Bauteils, zu lösen. Die Lösung des Problems besteht dann aus dem
Vektor der (optimierten) Prozessparameter. Für das Drücken scheint zunächst die ers-
te Voraussetzung nicht erfüllt zu sein. In der Praxis der Drückteilefertigung kann
immer wieder beobachtet werden, dass bei der Fertigung scheinbar ähnlicher Bauteile
grundsätzlich andere Vorgehensweisen gewählt werden müssen, um zu einem guten
Prozessergebnis zu gelangen. Die Untersuchungen im Rahmen dieser Arbeit haben
jedoch gezeigt, dass dies in der Regel auf lokale Optima im Parameterraum des Pro-
zesses zurückzuführen ist. Bei einer globaleren Betrachtung der Struktur des Parame-
terraums konnte bislang keine Abweichung von der Annahme 1, dass ähnliche Prob-
leme ähnliche Lösungen haben, festgestellt werden, so dass zunächst von der Gültig-
keit der Annahme für die Optimierung des Drückprozesses ausgegangen wird. Die
Ergebnisse dieser Untersuchungen sind in Kapitel 5.6.5 dargestellt. Voraussetzung 2
hingegen ist durch die Möglichkeit der Systematisierung von Bauteilgeometriefor-
men, wie sie beispielsweise bei [KaSa89, Kaw89] dargestellt ist, gegeben. Ein ver-
gleichbare Strukturierung ist auch für den Bauteilwerkstoff und die Qualitätsmerkma-
32                                            Kapitel 4 - Methodische Grundlagen


le problemlos möglich. Hierdurch wird ein Rahmen zur Einordnung gegeben, in den
die aktuelle Fertigungsaufgabe eingeordnet werden kann, was die Definition von
Problemtypen ermöglicht. Ein Beispiel für einen zu lösenden Fertigungsaufgabentyp
ist: Fertigungsaufgabentyp(1) = {Zylinder; niedriglegiertes Aluminium; hohe Maß-
genauigkeit bzw. in allgemeiner Form:
              Fertigungsaufgabentyp(x) = {Geometrie; Werkstoff; Qualitätsanfor
Gl. 4-1
                                          derungen}
Unter den dargestellten Annahmen bietet das CBR als pragmatischer Ansatz die
Möglichkeit, auch in komplexen Situationen schnell Problemlösungen präsentieren
zu können, auch wenn die Problemdomäne nur schwach strukturiert ist und unvoll-
ständige und ungenaue Informationen vorliegen [BeKe00]. Diese Situation liegt im
Fall der Drückprozessoptimierung vor.
Im Folgenden soll näher auf die Struktur eines CBR-Systems eingegangen werden
und der Zyklus dargestellt werden, der beim CBR durchlaufen wird.


4.2.2 Struktur des CBR-Systems und Prozess des Schließens

Die allgemeine schematische Darstellung eines CBR-Systems und des Ablaufzyklus
ist in Abbildung 4-3: gegeben [LeBa91, Aam94, Zen96, BeKe00, Pfu03].
Zentrales Element des CBR-Systems ist die Falldatensammlung bzw. Fallbasis. Die
darin gespeicherten Fälle werden zunächst genutzt, um über die darin enthaltenen,
bereits gelösten Fälle Lösungsmöglichkeiten für neue Probleme aufzuzeigen. Die so
gefundenen Lösungen stellen Näherungslösungen dar, die noch weiter an die neuen
Bedingungen angepasst werden müssen. Darüber hinaus liefern die Fälle auch einen
Kontext, um die neue Aufgabe besser zu verstehen und über den Vergleich in den
Gesamtzusammenhang einordnen zu können. Dieser Aspekt ist für das Verständnis
der Vorgänge beim Drücken von besonderer Bedeutung. Die im Stand der Kenntnisse
dargestellten Untersuchungen haben gezeigt, dass die beim Drücken beobachteten
Zusammenhänge bereits gut beschrieben sind und zuverlässige Erklärungsansätze
existieren. Jedoch fehlt nach wie vor die Einordnung in den Kontext des Gesamtsys-
tems „Drückprozess“, was die Übertragung der Ergebnisse erheblich erschwert. Hier
liefert das CBR einen leistungsfähigen Ansatz zur Lösung des Problems, indem ein
einfach zu handhabender Kontext aufgebaut wird, in dem die lokal beobachteten
Phänomene untereinander vernetzt werden. Diese Vernetzung erfolgt anhand eines
Kapitel 4 - Methodische Grundlagen                                                 33


Ähnlichkeitsmodells, das den Zusammenhang der Fälle untereinander beschreibt
[BeKe00].




Abbildung 4-3:   Struktur und Ablaufzyklus eines CBR-Systems [LeBa91, Aam94, Zen96, Be-
                 Ke00, Pfu03].

Aus dieser Struktur ergibt sich der Grundzyklus des CBR, vgl. Abbildung 4-3:
Retrieve (Fallselektion) – Reuse (Wiederverwendung des selektierten Falls) – Revise
(Überprüfung der vorgeschlagenen Lösung) – Retain (Aufnahme des neuen Falls in
die Fallbasis). Dieser (Grund-)Zyklus wird aufgrund der englischen Bezeichnungen
auch als 4RE-Zyklus bezeichnet [Aam94, BeKe00, Pfu03].
Bei dem hier dargestellten System handelt es sich um ein problemlösendes CBR, bei
dem auf der Basis eines ausgewählten Falls eine Lösung vorgeschlagen und adaptiert
wird. Daneben gibt es das beispielsweise aus Diagnosesystemen oder der Hilfsfunkti-
on der MICROSOFT WINDOWS Umgebung bekannte System des interpretativen CBR,
bei dem Lösungen (Hilfestellungen) vorgeschlagen und begründet oder erläutert wer-
den. Die Beschreibung des Problems definiert einen neuen Fall. Zu diesem Fall wird
ein geeigneter, bereits abgespeicherter Fall aus der Fallbasis herausgesucht, Dieser
wird mit dem neuen Fall anhand eines Kriteriums verglichen und die Lösung für das
neue Problem wird generiert. Diese Lösung wird getestet bzw. überprüft und der
letztlich gelöste Fall wird als neue Erfahrung in die Fallbasis aufgenommen [Aam94,
34                                              Kapitel 4 - Methodische Grundlagen


BeKe00]. Im Folgenden wird auf die einzelnen Schritte des CBR-Zyklus näher ein-
gegangen.


4.2.2.1 Schritt 1 - Retrieve

Der Schritt des Suchens passender Fälle aus der Fallbasis untergliedert sich in zwei
Einzelschritte. Zuerst wird die Fallbasis im Rahmen einer Grobsuche nach Fällen
durchsucht, die überhaupt für eine Problemlösung in Frage kommen. Aus diesen vor-
selektierten Fällen werden dann in einer Feinsuche die „besten“ Fälle herausgesucht.
Die Beurteilung, ob ein Fall für die Problemlösung in Frage kommt, wird mit Hilfe
eines Ähnlichkeitskriteriums gelöst, vgl. Kapitel 4.2.4. Das Ähnlichkeitskriterium
stellt dabei eine quantitative Beurteilung der Vergleichbarkeit zweier Problemstel-
lungen dar. Um einen Vergleich aber überhaupt durchführen zu können, wird nicht
ein qualitativer Abgleich spezifischer Merkmale vorgenommen, sondern ein speziel-
les Vokabular zur Fallbeschreibung eingeführt, das eine Indizierung der Fälle erlaubt,
über die der Vergleich durchgeführt wird, vgl. Kapitel 4.2.3 [Aam94, BeKe00]. Die
Beurteilung der Fallgüte erfolgt im einfachsten Fall ebenfalls über die Ausprägung
des Ähnlichkeitskriteriums oder vergleichbarer, fortschrittlicher Kriterien wie der
„Nützlichkeit“ (utility). Häufig wird dieser Prozess der Feinsuche jedoch vom An-
wender selbst anhand intuitiv vorliegender Kriterien ausgeführt. Der Anwender be-
kommt dann durch das System im Rahmen der Grobsuche nur Vorschläge unterbrei-
tet, anhand derer der Experte weiter entscheidet [Aam94].


4.2.2.2 Schritt 2 - Reuse

Das Ergebnis des Retrieve-Schrittes als Auswahl eines Falls beinhaltet nicht nur die
Auswahl einer vergleichbaren Problemstellung, sondern vor allem die Bereitstellung
der zusammen mit der Problembeschreibung gespeicherten Informationen. Dies kön-
nen sowohl erfolgreiche Lösungen sein, die im Schritt Reuse weiter verwendet wer-
den, als auch warnende Beispiele, die vor Fehlern schützen können. Zudem ist die
Bereitstellung auch nicht direkt verwendbarer Informationen, wie Kommentare, Gra-
fiken und Ähnliches zur Erfassung und Beurteilung eines Problems möglich und hilf-
reich.
Ein ausgewählte Lösung wird in der Regel aufgrund einer mehr oder minder starken
Abweichung der Problemstellung nicht direkt benutzt, sondern wird an das neue
Problem adaptiert [Aam94, BeKe00]. Neben der Modellierung der Fallähnlichkeit
Kapitel 4 - Methodische Grundlagen                                              35


stellt die Erstellung eines leistungsfähigen Adaptionsmodells die Hauptschwierigkeit
bei der Erstellung eines CBR-Systems dar und ist nur mit fundiertem Expertenwissen
möglich, vgl. Kapitel 4.2.5.


4.2.2.3 Schritt 3 - Revise

Die im Schritt Reuse ermittelte Lösung wird nun vor der realen Anwendung noch
einmal einer Revision unterzogen. Dazu wird die Fallbasis anhand der vorgeschlage-
nen Lösung durchsucht und überprüft, ob in einer ähnlichen Situation die Lösung be-
reits fehlgeschlagen ist. Ist dies der Fall, muss der gesamte Ablauf gegebenenfalls
noch einmal neu gestartet werden, wobei festgelegt werden muss, wo eine Abwei-
chung des Systemverhaltens notwendig ist [Aam94, BeKe00].
Erst dann erfolgt die Evaluation der Lösung am realen Problem. Das Ergebnis wird
vom Experten beurteilt, was im einfachsten Fall durch die Zuordnung Er-
folg/Fehlschlag geschieht. Das Resultat muss insbesondere im Fall eines Fehlschlags
umfassend analysiert werden und wird ebenfalls in die Fallbeschreibung mit aufge-
nommen [Aam94, BeKe00].


4.2.2.4 Schritt 4 - Retain

Nach der Beurteilung des Fallergebnisses steht ein neuer, vollständig beschriebener
Fall zur Verfügung, der über die Indizierung in die Struktur der Fallbasis aufgenom-
men werden kann.
Die Leistungsfähigkeit des CBR-Systems ist in der Regel um sobesser, je größer die
Fallbasis (der Erfahrungsumfang) ist. Die Suche in großen Fallbasen erfordert jedoch
effiziente Algorithmen und eine besonders strukturierte Organisation der Fallbasis.
Wesentlicher als der Umfang ist jedoch die Qualität der enthaltenen Fälle. Hierbei
sind besonders repräsentative Fälle, so genannte seed cases, von besonderer Bedeu-
tung [LeWi99, BeKe00]. Diese stellen Fälle mit einer umfassenden Gültigkeit für
eine gesamte Problemklasse dar und sind zudem mit einer hohen Informationsdichte
und hohen Qualität der zugeordneten Lösungen belegt. Mit Hilfe von seed cases ist
somit auch die Arbeit mit einer relativ kleinen Fallbasis möglich.
Kritisch in dem hier beschriebenen 4RE-Zyklus ist es, wenn neue Fälle nicht in die
bestehende Indizierung einzuordnen sind, weil sich aufgrund eines Wissenszuwach-
ses eine neue Indizierung ergibt, mit der die alten Fälle nicht abgeglichen wurden.
36                                              Kapitel 4 - Methodische Grundlagen


Um die Qualität der Fallbasis zu beurteilen und zu erhalten und das hier beschriebene
Problem der Retain-Phase zu lösen, wurde der 4R-Zyklus auf einen 6RE-Zyklus er-
weitert, der als wesentliche Ergänzung eine Maintenance-Phase des Systems enthält,
bei der ein neuer Fall erst nach erfolgreichem Durchlaufen der Maintenance-Schritte
in die Fallbasis eingepflegt wird. Da dieses Konzept in der Realisierung eines CBR-
Systems zur Drückprozessgestaltung nicht genutzt wird, sei an dieser Stelle nur auf
entsprechende Fachliteratur verwiesen [RoIg01, Pfu03, Igl04].
Wie aus der Beschreibung des allgemeinen CBR-Zyklus ersichtlich ist, kann das Sys-
tem je nach Umfang und Komplexität der Problemstellung angepasst werden und
Zyklenschritte auslassen. Mit steigender Komplexität und abnehmender Strukturie-
rung der Problemdomäne verfolgt der CBR-Ansatz weniger eine vollständige Auto-
matisierung der Lösungsfindung als vielmehr eine zielgerichtete Unterstützung des
Experten in der Lösungsfindung. Dieses Konzept wird auch bei der Realisierung des
Systems für das Drücken verfolgt.
Im Folgenden wird nun näher auf die drei zentralen Aspekte des CBR-Systems, die
Fallindizierung, die Modellierung der Ähnlichkeit sowie die Falladaption eingegan-
gen.


4.2.3 Fallrepräsentation und –indizierung

Im Rahmen des CBR wird das verarbeitete Wissen durch einen Fall in einer operati-
ven Art und Weise repräsentiert. Wesentlich ist, dass das Wissen in einem Kontext
dargestellt wird. Dabei wird eine Erfahrung dokumentiert, die eine wesentliche Aus-
sage im Hinblick auf definierte Ziele beinhaltet. Der Kontext bestimmt dabei die In-
dizierung des Falls. Die Indizierung beinhaltet geeignete Schlüsselparameter, unter
denen der Fall später selektiert werden kann [Aam94, BeKe00].
Im Allgemeinen setzt sich ein Fall zusammen aus einer Beschreibung des Problems
bzw. einer Situation, einer Lösung und einem Resultat bzw. einer Beurteilung der
Lösung. Die Darstellung eines Falls erhält damit die in Gl. 4-2 dargestellte allgemei-
ne Form:
Gl. 4-2       <Fall> = {Problembeschreibung; Lösung; Lösungsdiskussion}
Die Problembeschreibung kann im Fall eines problemlösenden CBR-Systems bei-
spielsweise aus den Komponenten Zielbeschreibung, Voraussetzungen und Randbe-
dingungen sowie der eigentlichen Beschreibung der Situation bestehen. Die Formu-
Kapitel 4 - Methodische Grundlagen                                                 37


lierung des Ziels legt dabei in der Regel fest, wie die Beschreibung der Lösung struk-
turiert ist. Die reine Formulierung der Lösung ist meist jedoch wenig nützlich, geht es
um die Ableitung neuen Wissens durch Lernkonzepte. Auch die Darstellung der Lö-
sungsschritte und Begründungen für das Vorgehen sind wesentlich. Dies ermöglicht
beispielsweise das Abstrahieren strukturellen Wissens. Weiterhin kann die Lösung
Hinweise enthalten, warum andere mögliche Lösungen nicht gewählt wurden. Somit
sind alle Zusatzinformationen nützlich, die mit der Lösung verknüpft sind. Bei der
Lösungsdiskussion steht die Beurteilung der Qualität der gefundenen Lösung im Vor-
dergrund. Neben der Einordnung als Erfolg oder Fehlschlag gehören hierzu Aspekte
wie eine Beschreibung des Ausgangs des Falls und Angaben über die Zielerfüllung.
Fehlt die Komponente der Lösungsdiskussion, können nur erfolgreich gelöste Prob-
leme in die Fallbasis aufgenommen werden. Durch eine Ergänzung der Lösungsdis-
kussion ist jedoch zudem eine Warnung vor Fehlschlägen möglich [Aam94, Be-
Ke00]. Insbesondere bei umfangreichen Lösungsräumen, wie sie auch beim Drück-
prozess vorkommen, stellt dies einen wesentlichen Ansatz zur Effizienzsteigerung
der Lösungsfindung dar. Hierdurch kann eine Eingrenzung des Lösungsraums nach
Ausschlusskriterien vorgenommen werden. Deshalb wurde die konsequente Integra-
tion warnender Beispiele im Rahmen der Drückprozessauslegung besonders berück-
sichtigt, vgl. Kapitel 7.3.
Die konkrete Darstellung dieser Informationen kann individuell gewählt werden und
hängt von der zu lösenden Problemstellung ab. Um auf die umfangreichen Informati-
onen der Fallrepräsentation effizient zugreifen zu können, wird eine Indizierung der
Fälle vorgenommen. Dadurch wird sichergestellt, dass ein relevanter Fall bei der Su-
che tatsächlich angesprochen wird. Dazu ist die Bereitstellung eines Indexvokabulars
notwendig, das einen festen Rahmen für die Beurteilung und Klassifizierung von Fäl-
len bereitstellt. Zum Indizieren sollen Konzepte verwendet werden, die der Termino-
logie des abgebildeten Problemgebiets entsprechen und die Begriffe enthalten, die bei
einer Fallselektion benutzt werden. Schwierig hierbei ist die richtige Balance zwi-
schen hoher Abstraktion und konkreter, detaillierter Beschreibung von Einzelaspek-
ten. Mit Hilfe dieses Indexvokabulars wird dann jeder Fall durch eine geeignete In-
dex-Kombination gekennzeichnet [Aam94, BeKe00].
Die beschriebenen Modelle zur Repräsentation von Fällen in einer Fallbasis besitzen
den gemeinsamen Nachteil, dass in der Regel eine eigene physische Fallbasiskompo-
nente erforderlich ist. Eine systeminterne Fallbasis ist aber mit einer Reihe von
Nachteilen verbunden. Aus diesem Grund wurde von Pfuhl [Pfu03] ein Ansatz zur
38                                                 Kapitel 4 - Methodische Grundlagen


Umsetzung in Relationalen Datenbanken verfolgt. Pfuhl realisiert dies am Beispiel
einer strukturierten Suche in Wirtschaftsnachrichten.
Für das CBR-System, wie es beim Drücken genutzt wird, ist hier durch die Struktu-
rierung der Fertigungsaufgabe bereits eine Grundstruktur der Indizierung vorgegeben
und enthält beispielsweise geometrische Aspekte, werkstoffseitige Aspekte, etc. Es
sind jedoch insbesondere Fragestellungen interessant, wie bestimmte Indizierungsvo-
kabeln beispielsweise durch die Definition von Kennwerten zu abstrakteren, aussage-
kräftigeren Werten zusammengefasst werden können. Grundlage zur Beantwortung
dieser Fragen sind die in Kapitel 5 dargestellten Untersuchungen. Ist die Indizierung
der Fälle umgesetzt, kann eine effektive Fallsuche durchgeführt werden.


4.2.4 Ähnlichkeitsmaße

Die Selektion geeigneter Fälle stellt die zentrale Aufgabe des CBR-Systems dar.
Aufbauend auf der Grundannahme des CBRs – ähnliche Probleme haben ähnliche
Lösungen – muss die Suche ähnlicher Fälle anhand eines Ähnlichkeitsmaßes oder
Ähnlichkeitsmodells vorgenommen werden. Ähnlichkeit ist dabei kein absoluter Beg-
riff, sondern ist relativ zum Kontext zu definieren. Notwendig ist hier eine operative
Definition, die mit dem Zweck verknüpft ist, mit dem der Fall verbunden ist. Im
Rahmen der Ähnlichkeitsdefinition sind nicht nur quantitative, sondern auch qualita-
tive Aspekte zu vergleichen [BeKe00].


4.2.4.1 Abstandsbasiertes Ähnlichkeitskonzept

Ähnlichkeitsmaße berechnen nun einen numerischen Wert, der die Ähnlichkeit zwi-
schen zwei Fällen ausdrückt. Diejenigen Fälle mit dem höchsten Ähnlichkeitswert
werden schließlich selektiert und dem User präsentiert oder zur Falladaption weiter-
geleitet. Grundlage zur Beschreibung der Ähnlichkeit ist die formale Repräsentation
des Falls, wobei x das Tupel der Deskriptoren ist:
Gl. 4-3       x = (x1, ..., xn)
Die Berechnung der Ähnlichkeit erfolgt in der Regel als Abgleich der einzelnen
Merkmale [BeKe00]:
Gl. 4-4       SIM(x,y) = f(sim(x1,y1), ..., sim(xn,yn))
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  • 2. Berichter: Prof. Dr.-Ing. Matthias Kleiner Mitberichter: Prof. Dr. Joachim Kunert Tag der mündlichen Prüfung: 12.08.2005
  • 3. Dortmunder Umformtechnik Roland Ewers Prozessauslegung und Optimierung des CNC-gesteuerten Formdrückens D 290 (Diss. Universität Dortmund) Shaker Verlag Aachen 2006
  • 4. Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar. Zugl.: Dortmund, Univ., Diss., 2005 Copyright Shaker Verlag 2006 Alle Rechte, auch das des auszugsweisen Nachdruckes, der auszugsweisen oder vollständigen Wiedergabe, der Speicherung in Datenverarbeitungs- anlagen und der Übersetzung, vorbehalten. Printed in Germany. ISBN-10: 3-8322-5177-4 ISBN-13: 978-3-8322-5177-2 ISSN 1619-6317 Shaker Verlag GmbH • Postfach 101818 • 52018 Aachen Telefon: 02407 / 95 96 - 0 • Telefax: 02407 / 95 96 - 9 Internet: www.shaker.de • eMail: info@shaker.de
  • 5.
  • 6.
  • 7. Danksagung Die vorliegende Arbeit entstand während meiner Tätigkeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Umformtechnik und Leichtbau der Universität Dortmund. Herrn Professor Dr.-Ing. Matthias Kleiner, dem Institutsleiter, möchte ich sehr herzlich für sein Vertrauen, seinen Einsatz und für die stete, hilfsbereite Förderung und Unterstützung in allen Belangen danken. Dem Leiter des Lehrstuhls Mathematische Statistik und Naturwissenschaftliche Anwendungen, Herrn Professor Dr. Joachim Kunert, danke ich für die vielen anregenden Diskussionen sowie die Unterstützung, die notwendig war um die Arbeit an der Schnittstelle zwischen Statistik und Maschinenbau realisieren zu können. Prof. Dr. Holger Kantz, Leiter der Abteilung Nichtlineare Dynamik und Zeitreihenanalyse des Max-Planck Instituts für Physik komplexer Systeme, Dresden danke ich für die engagierte und freundschaftliche Zusammenarbeit. Bei Frau Dr. Martina Erdbrügge und Frau Henkenjohann möchte ich mich ganz herzlich bedanken für die hervorragende Kooperation und die Geduld, mit der sie meinen Lernprozess in statistischen Fragen unterstützt haben. Herrn Dr.-Ing. Werner Homberg und Herrn Heinrich Westermann von der Firma Winkelmann Dynaform Technik GmbH & Co. KG, Ahlen/Westf.. danke ich sehr herzlich für Ihre Unterstützung in allen fachlichen Fragen und ihre konstruktiven Ideen und Vorschläge. Ganz wesentlich zum Gelingen der Arbeit haben die vielen studentischen Hilfskräfte beigetragen, ohne deren Einsatz die Arbeit nicht zu realisieren gewesen wäre. Mein Dank gilt Kai Göbelsmann, Michael Hoos, André Janssen, Jan-Yves Schrage, Frank Steinmann und Ralf Weiershausen. Dank sagen möchte ich auch allen Arbeitskollegen für ihre Anregungen und für ihre tatkräftige Unterstützung. Hervorheben möchte ich besonders Frau Ulm-Brandt für die Durchsicht der Arbeit und ihre moralische Unterstützung während meiner Zeit am IUL. Mein besonderer Dank gilt ebenso den Technikern des IUL für die Unterstützung bei den experimentellen Arbeiten. Nicht zuletzt möchte ich mich bei meiner Mutter bedanken, die mir diesen Werdegang erst ermöglicht hat. Schließlich möchte ich mich bei meiner Frau Stefanie bedanken, dass sie mir besonders während der gesamten Zeit meiner Promotion die Unterstützung gegeben hat, ohne die die Arbeit nicht möglich gewesen wäre. Dortmund, im August 2005 ROLAND EWERS
  • 8.
  • 9. Kurzzusammenfassung Drückverfahren dienen zur Herstellung präziser, zumeist rotations-symmetrischer Hohlkörper mit nahezu beliebiger Mantellinien-Kontur. Die Fertigung erfolgt dabei in erster Linie in kleinen und mittleren Stückzahlen, aber auch in Einzelstücken, z.B. im Prototypenbau. Vorteile der Verfahren sind die hohe Flexibilität der Fertigung, die hohe Präzision der Bauteile und das Vermögen, komplexe Geometrieformen auch aus schwer umformbaren Werkstoffen herzustellen. Das Drückverfahren „Formdrücken“ ermöglicht dabei die Herstellung von Bauteilen aus einer ebenen Ronde ohne beabsichtigte Wandstärkenreduktion. Die Bauteilfertigung durch Formdrücken ist auch zum heutigen Zeitpunkt noch stark handwerklich geprägt. Bei einer CNC-gesteuerten Fertigung gelingt es oftmals nicht, bei dem breiten Spektrum herzustellender Geometrieformen auf die komplexen Prozesszusammenhänge ohne ein umfassendes Feed-back aus dem Prozess adäquat zu reagieren. Für konkrete Fertigungsaufgaben nutzbare Erfahrungen und Wissen über den Prozess sind oft nur unvollständig vorhanden und in vielen Fällen lediglich implizit verfügbar. Tragfähige Modelle des Drückprozesses liegen bislang nicht vor. Im Rahmen dieser Arbeit wird das Prozess-Verständnis des Drückens durch eine systematische Analyse der Vorgänge im Prozess erweitert. Basierend auf den so gewonnenen Erkenntnissen wird ein neuer methodischer Ansatz für eine verbesserte Prozessauslegung des CNC-Drückens realisiert. Zur Umsetzung dieser Aufgabe werden Methoden der statistischen Versuchsplanung, der künstlichen Intelligenz sowie der Finite Elemente-Simulation und nichtlinearen Dynamik zur Prozessanalyse, -auslegung und -optimierung kombiniert und in einem Prozessplanungssystem zusammengeführt. Der erarbeitete Ansatz wird anhand ausgewählter Bauteile verifiziert.
  • 10.
  • 11. I Inhaltsverzeichnis Formelzeichen ..................................................................................................... V Abkürzungen......................................................................................................IX 1 Einleitung ...................................................................................................... 1 2 Stand der Kenntnisse ................................................................................... 7 2.1 Handwerklich basierte Prozessauslegung mittels Teach-in / Play-back ................................................................................ 8 2.2 Prozessoptimierung mittels Monitoring und Regelung........................... 9 2.3 Prozessauslegung des Formdrückens mittels CNC-Programmierung .. 10 2.4 Modellgestützte Prozessauslegung........................................................ 12 2.5 Wissensbasierte Prozessauslegung........................................................ 15 2.6 Schlussfolgerungen................................................................................ 20 3 Zielsetzung der Arbeit................................................................................ 23 4 Methodische Grundlagen .......................................................................... 27 4.1 Grundlagen der Prozessanalyse ............................................................ 27 4.1.1 Informationsstrukturierung ............................................................ 27 4.1.2 Prozessmodellierung ...................................................................... 30 4.2 Methode des Fallbasierten Schließens - Case-based Reasoning .......... 30 4.2.1 Voraussetzungen für die Anwendung des CBR ............................ 31 4.2.2 Struktur des CBR-Systems und Prozess des Schließens ............... 32 4.2.3 Fallrepräsentation und -indizierung ............................................... 36 4.2.4 Ähnlichkeitsmaße .......................................................................... 38 4.2.5 Falladaption ................................................................................... 41 4.2.6 Vergleich mit bestehenden, ähnlichkeitsbasierten Ansätzen beim Drücken ................................................................ 42 4.3 Methoden der statistischen Prozessmodellierung ................................. 44 4.3.1 Multiple lineare Regressionsmodelle ............................................ 44
  • 12. II 4.3.2 Spatial Regression Models ............................................................ 49 4.3.3 Modellierung qualitativer Zielgrößen ............................................ 53 4.3.4 Multivariate Optimierung .............................................................. 56 4.3.5 Versuchspläne ................................................................................ 58 4.3.6 Versuchsauswertung und Identifikation relevanter Einflussfaktoren ............................................................ 63 5 Prozessanalyse des Formdrückens............................................................ 67 5.1 Grundlagen der experimentellen Untersuchungen ................................ 67 5.1.1 Versuchsstand ................................................................................. 67 5.1.2 Messaufbau ..................................................................................... 69 5.1.3 Werkzeuge ...................................................................................... 70 5.2 Analyse des Drückprozesses ................................................................. 72 5.3 Vorarbeiten zur statistischen Prozessanalyse ........................................ 75 5.3.1 Beschreibung der Randbegrenzungskurve ..................................... 75 5.3.2 Versagensformen des Drückprozesses ........................................... 84 5.4 Analyse der ersten Drückstufe............................................................... 92 5.4.1 Parametrisierung des Stadienplans in der ersten Drückstufe ......... 92 5.4.2 Berücksichtigte Einflussparameter in den ersten Drückstufen....... 94 5.4.3 Qualitätsmerkmale der ersten Drückstufe ...................................... 95 5.4.4 Versuchsplan Designs..................................................................... 99 5.4.5 Versuchsergebnisse......................................................................... 99 5.4.6 Ergänzende Untersuchungen zur Faltenbildung........................... 107 5.4.7 Einfluss der Bahngeometrie.......................................................... 110 5.5 Multivariate Optimierung der ersten drei Drückstufen ....................... 114 5.6 Untersuchung vollständiger Bauteile .................................................. 119 5.6.1 Qualitätsmerkmale bei der Optimierung vollständiger Bauteile.. 119 5.6.2 Einflussparameter bei der Optimierung vollständiger Bauteile ... 120 5.6.3 Optimierung eines zylindrischen Napfes...................................... 124 5.6.4 Untersuchung des Einflusses der Drückrolle ............................... 128 5.6.5 Parameterraumanalyse.................................................................. 132
  • 13. III 5.6.6 Zusammenfassung der Ergebnisse................................................ 135 6 Untersuchung der Faltenbildung beim Formdrückprozess................. 139 6.1 Konventionelle Erklärungsansätze und Phänomenologie der Faltenbildung ................................................................................. 139 6.2 Faltenbildung als nichtlineare, dynamische Instabilität ...................... 142 6.2.1 Analytisches Beschreibungsmodell des Drückprozesses ............. 142 6.2.2 Nichtlineare Zeitreihenanalyse zur Beschreibung der Faltenbildung........................................................................... 145 6.3 Analyse der Faltenentstehung mit Hilfe der Finite Elemente-Simulation ................................................................. 153 6.3.1 Spannungsverteilung bei der Bewegung zum Rondenrand.......... 155 6.3.2 Spannungsverteilung bei der Bewegung zum Drückfutter........... 157 6.3.3 Entstehung von symmetrischen Spannungsmustern .................... 158 6.3.4 Einschränkungen der FE-Simulation............................................ 160 6.4 Weiterführende experimentelle Untersuchungen ................................ 160 6.5 Schlussfolgerungen zum Umgang mit der Faltenbildung beim Drücken....................................................................................... 162 7 Entwicklung eines Prozessplanungssystems für das Drücken ............. 165 7.1 Grundlagen der wissensbasiert-sequentiellen Prozessauslegung........ 168 7.2 Wissensbasierte Vorauslegung des Drückprozesses ........................... 170 7.2.1 Fallrepräsentation und Fallindizierung für den Drückprozess ..... 171 7.2.2 Fallbasis ........................................................................................ 176 7.2.3 Ähnlichkeitskonzept für das Drücken .......................................... 180 7.2.4 Parameterprognose und Falladaption ........................................... 188 7.3 Sequentielle, modellbasierte Optimierung des Drückprozesses ......... 190 7.3.1 Berücksichtigung vorhandener Versuchspunkte .......................... 191 7.3.2 Adaptive, sequentielle Versuchsplanerzeugung........................... 192 7.3.3 Sequentielle Prozessmodellierung................................................ 196 7.4 Das Prozess-Planungs-System STADIplan......................................... 198 7.4.1 Bauteil-, Prozess-, und Maschinendefinition................................ 199
  • 14. IV 7.4.2 Prozessparametrisierung und CNC-Datenerzeugung: STADIplan/cnc.............................................................................. 203 7.4.3 Wissensbasierte Parametererzeugung: STADIplan/knowledge... 204 7.4.4 Analyse der Prozessergebnisse: STAIplan/analyze...................... 206 7.4.5 Konventionelle Versuchsplanung: STADIplan/DoE ................... 207 8 Anwendungsbeispiel ................................................................................. 209 8.1 Prozessrealisation in STADIplan ........................................................ 209 8.1.1 Parameterschätzung mit Hilfe des CBR-Systems ........................ 212 8.2 Adaptive, sequentielle Prozessoptimierung ........................................ 215 8.3 Fazit ..................................................................................................... 225 9 Zusammenfassung und Ausblick ............................................................ 229 Literaturverzeichnis ........................................................................................ 233 Anhang: Geometrische Parameter zur Beschreibung des Stadienplans ...A-1
  • 15. V Formelzeichen Formelzeichen Einheit Bezeichnung ° Konturwinkel des Bauteils 1, 2 ° / rad Start- und Endwinkel des Geometrieelements -- Drückverhältnis i, i -- Modellparameter der statistischen Modelle -- Fehlerterm -- Mittelwert -- Kovarianzparameter ° / rad Winkel des Geometrieelements -- Vorschubverhältnis Boden -- Maximaler Umformgrad in Blechdickenrichtung im Bodenbereich Max -- Maximaler Umformgrad in Blechdickenrichtung des Bauteils Min -- Minimaler Umformgrad in Blechdickenrichtung des Bauteils Radius -- Maximaler Umformgrad in Blechdickenrichtung im Bodenradius s -- Umformgrad in Blechdickenrichtung Zarge -- Maximaler Umformgrad in Blechdickenrichtung im Zargenbereich -- Standardabweichung ² = var[...] -- Varianz a mm Abstand der Bahn auf der AQU s mm Range der Blechdickenwerte A20 mm² Flächenmaß unter der Blechdickenkurve für 20 Messpunkte aRBK mm Abstand der Bahn auf der RBK ARBK, RRBK mm Koordinaten der Randbegrenzungskurve
  • 16. VI Formelzeichen Axxx mm² Schnittfläche des Geometrieelements xxx C = cov[...] -- Kovarianzfunktion d(x,y) -- Abstandsmaße der Punkte x, y D0 mm Rondendurchmesser D1 mm Bauteilreferenzdurchmesser DBoden mm Durchmesser des Bauteilbodens DDW mm Durchmesser der Drückrolle des(y) -- Lokale Wünschbarkeit von y DES(y) -- Gesamtwünschbarkeit von y DF mm Durchmesser des zylindrischen Futters Di mm Innendurchmesser des Bauteils oder Halbzeugs DMax mm Maximaler Bauteildurchmesser DNapf mm Durchmesser der Zwischenstufengeometrie E(I) -- Expected Improvement E(x) -- Erwartungswert eAQU % Endpunkt der Stadienplanrückbewegung auf der AQU in % der Gesamtlänge der AQU F mm/min Vorschubgeschwindigkeit h(x, y) mm Abstandsmaß der Punkte x, y h1 ... hn mm Rechnerische Höhen zur Volumenberechnung hBauteil mm Theoretische Bauteilhöhe hStart, hEnd, aEnd mm Geometrieparameter des Stadienplans INT -- Wechselwirkung k -- Anzahl Freiheitsgrad (Anzahl Faktoren) kSh, kEh, kSr, kEr mm Bahnkrümmungen (S – Start, E – Ende, h – hin, r – rück) lZylinder mm Höhe der Zarge n -- Anzahl Merkmale N -- Stufenanzahl im Stadienplan P(E) -- Wahrscheinlichkeit des Ereignisses E R2 -- Bestimmtheitsmaß RBahn mm Bahnradius RDW, RK mm Arbeitsradius bzw. Kopfradius der Drückrolle RF mm Bodenradius am Futter
  • 17. Formelzeichen VII RS mm Schulterradius der Drückrolle rSP_xx mm Schwerpunkt-Radius des Geometrieelements xx S 1/min Spindeldrehzahl s mm Lokale Blechdicke s0 mm Rondenblechdicke s1 mm Bauteilreferenzblechdicke SIM(x,y) -- Globale Ähnlichkeit der Fälle x und y simMerkmal(x,y) -- Lokale Ähnlichkeit der Fälle x und y tProd s Fertigungszeit VAQU -- Verteilung der Bahnen auf der AQU VBauteil mm³ Gesamtvolumen des Bauteils VRBK -- Verteilung der Bahnen auf der RBK VRonde mm³ Gesamtvolumen der Ronde Vxxx mm³ Volumen des Geometrieelements xxx wi -- Gewichtung des Merkmals i xi -- Einflussvariable i x i, y i -- Merkmal i der Fälle x und y XSP, YSP mm Schwerpunktkoordinaten yi -- Zielvariable i Z(x) -- Zufallsvariable
  • 18.
  • 19. IX Abkürzungen Abkürzung Bezeichnung AC Adaptive Control AQU Äquidistante zum Futter (Definition zur Bahnprogrammierung) ASOP Adaptive Sequentielle Optimierungs-Prozedur BDA Blechdickenabnahme CAD Computer Aided Design CAM Computer Aided Manufacturing CBR Case Based Reasoning (Methode des fallbasierten Schließen) CCD Central Composite Design CNC Computer Numerical Control DoE Design of Experiments DR Durchmesserreduktion DW Drückwalze FB Faltenbildung FE Finite Elemente FMEA Fehler Möglichkeits und Einfluss Analyse FTA Fault Tree Analysis (Fehlerbaumanalyse) HNP Half-Normal-Plot Kat. Kategorie NLD Nichtlineare Dynamik NT Napftiefe OF Oberflächenqualität OFAT One Factor at a Time (Methode der empirischen Versuchsplanung) OG Obergrenze RB Rissbildung RBK Randbegrenzungskurve (Umklappbewegung des Rondenrandes) REML Residual Maximum Likelihood RggH Rondengegenhalter RSM Response Surface Model SIM Similarity (Ähnlichkeit) SRM Spatial Regression Model UG Untergrenze WST Werkstoff
  • 20.
  • 21. 1 1 Einleitung In weiten Bereichen der Umformtechnik kommt der flexiblen Fertigung komplexer Bauteile in kleinen und mittleren Stückzahlen eine hohe Bedeutung zu. Zur Fertigung von rotationssymmetrischen Blechformteilen in diesem Marktsegment sind die Drückverfahren hervorragend geeignet. Drückverfahren dienen zur Herstellung präziser, zumeist rotationssymmetrischer Hohlkörper mit nahezu beliebiger Mantellinien-Kontur. Zu diesen Verfahren gehören das Drücken nach DIN 8584 [DIN8584], auch Metall- oder Formdrücken genannt, sowie das Projizierdrückwalzen und das Zylinderdrückwalzen nach DIN 8583 [DIN8583], vgl. Abbildung 1-1. Abbildung 1-1: Einteilung der Drückverfahren nach DIN [DIN8583, DIN8584]. Beim Drücken nach DIN 8584 wird das Bauteil aus einer ebenen Ronde in mehreren Stufen zur Endgeometrie umgeformt. Dabei liegt ein kombinierter Zug- / Druckspannungszustand vor, der eine während der Umformung in etwa gleich bleibende Wandstärke ermöglicht. Beim Projizierdrückwalzen erfolgt die Formgebung in einem Überlauf entweder aus der Ronde oder einer Vorform. Es liegt ein dreiachsiger Druckspannungszustand vor und die Wanddicke ist nach dem
  • 22. 2 Kapitel 1 - Einleitung Sinusgesetz vom vorliegenden Konturwinkel fest vorgegeben. Beim Zylinderdrückwalzen liegt ebenfalls ein dreiachsiger Druckspannungszustand vor. Ausgangsform ist hier ein zylindrischer Napf oder ein Rohr. Während der Umformung erfolgt eine ein- oder mehrstufige, gezielte Reduktion der Wandstärke durch einen Auswalzvorgang, was zu einer Längung des Bauteils führt. Anwendung finden diese Verfahren beispielsweise im Bereich der Luft- und Raumfahrttechnik, der Antriebstechnik, dem Apparatebau, der Leuchtenindustrie oder der Haushaltsgeräteherstellung. Gefertigt wird dabei in erster Linie in kleinen und mittleren Stückzahlen, aber auch in Einzelstücken, z.B. im Prototypenbau. Lediglich Spezialvarianten der Drückverfahren wie beispielsweise die Radfelgenfertigung werden auch in Großserien eingesetzt. Typische drücktechnisch hergestellte Bauteile sind Haushaltsgegenstände wie Töpfe, Kannen, Kessel, etc., Kunst- und Ziergegenstände wie Vasen oder Pokale, Teile des Behälter- und Apparatebaus wie Behälterböden oder Gasflaschen, Einströmringe und Düsen sowie Lampen- und Radarreflektoren [Run93, Fin85]. Die hohe Form- und Maßgenauigkeit, die mit den Drückverfahren erreicht werden kann, macht die spanende Nachbearbeitung der Werkstücke häufig überflüssig. So sind sehr gute Oberflächen als optische Funktionsflächen im Reflektorbau herstellbar. Weitere Vorteile sind die hohe Flexibilität der Fertigung, die hohe Präzision der Bauteile, das Vermögen sehr komplexe Geometrieformen herzustellen, und die gute Umformbarkeit ansonsten schwer umformbarer Werkstoffe. Als besonderer wirtschaftlicher Aspekt können weitere Bearbeitungsvorgänge wie Glätten oder Bordieren etc., aber auch spanende Bearbeitungen in derselben Aufspannung durchgeführt werden [Run93, Fin85]. Trotz ihrer Vorteile sind die Drückverfahren im Vergleich zum Tiefziehen wenig verbreitet. Zum einen beschränkt sich das Bauteilspektrum auf rotationssymmetrische oder leicht elliptische Hohlkörper und weist somit ein eingeschränktes Anwendungsfeld auf. In der Regel stehen die Drückverfahren aus technologischer Sicht zudem in Konkurrenz zu anderen Verfahren wie dem z.B. Tiefziehen, der wirkmedienbasierten Umformung oder dem Rundkneten, aber auch der spanenden und fügetechnischen Fertigung, so dass in jedem Fall eine exakte Wirtschaftlichkeitsbetrachtung notwendig ist. Erschwerend kommt hinzu, dass die Drückverfahren schlichtweg einen geringen Bekanntheitsgrad besitzen. Zum anderen handelt es sich bei diesen Verfahren um sehr alte, ursprünglich handwerklich geprägte Verfahren. Aufgrund der hohen Komplexität der Prozessführung gelang es
  • 23. Kapitel 1 - Einleitung 3 erst sehr spät, die Verfahren in eine breitere industrielle Fertigung zu überführen. Nicht zuletzt im Bereich des Handdrückens und der Teach-in / Playback programmierten Prozesse sind nach wie vor ausgeprägte handwerkliche Kenntnisse notwendig, die aber vielfach nicht mehr vorhanden sind. Abbildung 1-2: Prinzip des Formdrückens, Drückstufen und zylindrische Bauteile. Die Herstellung von komplexen Bauteilen erfordert in der Regel eine Kombination aus mehreren Drückverfahren. Das Formdrücken, welches Gegenstand dieser Arbeit ist, wird eingesetzt, wenn ein Boden vorhanden ist. Die Herstellung des Bauteils erfolgt dabei aus einer Ronde wobei zwischen Wand und Boden nur geringe Blechdickenunterschiede toleriert werden. Wie in Abbildung 1-2 dargestellt, wird beim Formdrücken eine Blechronde oder ein bereits vorgefertigter Hohlkörper zentrisch gegen ein Drückfutter auf der Hauptspindel gespannt und in Rotation versetzt. Die Umformung wird über eine Drückrolle oder -walze, die das Werkstück über einen Zug-/Druckspannungszustand in mehreren Umformstufen an die Drückfutterkontur anlegt, durchgeführt. Dabei ist eine Reduktion der Blechdicke ungewollt. Eine detaillierte Beschreibung des Verfahrens und der Anwendungsfelder kann beispielsweise [Run93, Lan75, Fin85] entnommen werden.
  • 24. 4 Kapitel 1 - Einleitung Beim Formdrücken handelt es sich um ein inkrementelles Umformverfahren, bei dem der Werkstoff lokal in einer so genannten partiellen Umformzone plastifiziert wird. Im Laufe der Umformung bewegt sich dieser plastifizierte Bereich durch die Kombination aus Rotation des Bauteils und Bewegung der Drückrolle über die gesamte Bauteiloberfläche, wodurch schrittweise die vollständige Umformung erreicht wird. Die Formgebung ist bis zum Anliegen des Bauteils an das Futter durch die Kinematik des Prozesses bestimmt. Dadurch ist das Prozess-Know-how überwiegend in der Werkzeugbewegung gespeichert. Während das Drückfutter die Endgeometrie des Bauteils bestimmt, wird die Umformung durch die Verfahrbewegung der Drückrolle in der Ebene zwischen Ober- und Untersupport der Maschine durchgeführt und ist somit ein wesentliches Kriterium zur Gestaltung des Prozesses. Diese Verfahrbewegung kann frei gewählt werden und ist im so genannten Stadienplan beschrieben, vgl. Abbildung 1-3. Abbildung 1-3: Beispiel eines linear-linearen Stadienplans mit 10 Stufen. Durch die sich hieraus ergebende Kinematik der umlaufenden Umformzone in Kombination mit den lokal auftretenden Kräften im Bereich des Werkzeugeingriffs hat die Dynamik des Prozesses eine besondere Bedeutung für die Umformvorgänge. Dies zeigt sich vor allem beim Auftreten von Versagensfällen wie beispielsweise der Faltenbildung. Die Kombination dieser Aspekte führt zu einer besonderen Komplexität des Verfahrens. Aufgrund dieser Komplexität und des breiten Spektrums herzustellender Geometrieformen stellt die systematische Auslegung von Drückprozessen nach wie vor ein großes Problem dar. Für konkrete Fertigungsaufgaben nutzbares Prozesswissen ist häufig nur unvollständig vorhanden und wird in vielen Fällen
  • 25. Kapitel 1 - Einleitung 5 lediglich implizit angewendet. Tragfähige Modelle des Drückprozesses liegen bislang nicht vor. Durch die Anwendung des Drückens in der Fertigung kleinerer Stückzahlen kommt der Gestaltung und Optimierung der Prozesse eine besondere wirtschaftliche Bedeutung zu. So trägt der Aufwand zur Prozessauslegung aufgrund der geringen Werkzeug- und Maschinenkosten und der geringen Stückzahlen zu einem hohen Anteil an den Gesamtkosten der Fertigung bei. Im Rahmen dieser Arbeit wird das Prozess-Verständnis des Drückens durch eine systematische Analyse der Vorgänge im Prozess erweitert. Basierend auf den so gewonnenen Erkenntnissen wird ein neuer methodischer Ansatz für eine verbesserte, systematische Prozessauslegung des CNC-Drückens realisiert. Zur Umsetzung dieser Aufgabe werden Methoden der statistischen Versuchsplanung, der künstlichen Intelligenz sowie der Finite Elemente-Simulation und nichtlinearen Dynamik zur Prozessanalyse, -auslegung und –optimierung kombiniert und in einem Prozessplanungssystem zusammengeführt. Der erarbeitete Ansatz wird anhand ausgewählter Bauteile verifiziert.
  • 26.
  • 27. 7 2 Stand der Kenntnisse Die Drückprozessauslegung erfordert die Abstimmung einer großen Anzahl von Ein- flussparametern1 auf den Prozess. Die Vorgehensweise richtet sich dabei nach der herzustellenden Geometrieform und den Anforderungen an das Bauteil. Neben der Auswahl von Werkzeugen und der Einstellung von Maschinenparametern ist auf- grund der kinematischen Umformung in erster Linie die Gestaltung des Stadienplans vorzunehmen, der die Bewegung der Drückrolle beschreibt. Aufgrund der Komplexi- tät der Prozesskinematik und des breiten Spektrums herzustellender Geometriefor- men stellt die Auslegung des Stadienplans jedoch nach wie vor ein großes Problem dar. Die Prozessauslegung des Formdrückens erfolgt in der Regel durch eine empirische Vorgehensweise, basierend auf dem langjährigen Erfahrungswissen eines Drückex- perten. Dazu werden neben dem Überprüfen von erfahrungsbasierten Hypothesen in Einzelversuchen häufig so genannte One-factor-at-a-time-Experimente2 durchgeführt. Dies hat sich als eine geeignete Vorgehensweise zur Bewältigung der komplexen Problemstellungen herausgestellt, was die mit hoher Präzision gefertigten Bauteile aus der industriellen Praxis belegen. Unterschiede der Prozessauslegung ergeben sich in erster Linie in der Art der An- wendung des Expertenwissens auf den Prozess und wie auf das in der Regel implizit vorliegende Wissen zurückgegriffen wird. Aufbauend auf diesem Hintergrund wird in diesem Kapitel eine Übersicht über die derzeit bekannten Methoden der Prozess- auslegung des Formdrückens gegeben. Neben einer Einordnung der Vorgehenswei- sen erfolgt eine kritische Diskussion zur Systematisierung und Eingrenzung der dar- aus resultierenden Problemstellungen. 1 Einflussparameter (Einflussgrößen) ermöglichen im Gegensatz zu Störgrößen eine kontrollierte Einflussnahme auf das Prozessergebnis. Im statistischen Sprachgebrauch werden Parameter als Faktoren bezeichnet. 2 Mit „One-factor-at-a-time-Experimenten“ (OFAT) wird eine Versuchsdurchführung bezeichnet, bei der sequentiell ein Faktor variiert wird, während alle anderen Parameter konstant gehalten wer- den. Der jeweils vorhergehende Faktor wird auf seinem „besten“ Niveau gehalten. Im Gegensatz zu einem rein empirischen Vorgehen erfolgt hier aber eine „geplante“ Versuchsdurchführung.
  • 28. 8 Kapitel 2 - Stand der Kenntnisse 2.1 Handwerklich basierte Prozessauslegung mittels Teach-in / Play-back Bei dem Formdrücken handelt es sich um ein altes Verfahren, welches bereits im Mittelalter bekannt war und ursprünglich auf Handdrückbänken mit der Muskelkraft des Maschinenbedieners ausgeführt wurde [Lud69, Pac76, Sel55, FiKö84]. Auch mit der industriellen Nutzung des Verfahrens ist diese Form des Drückens insbesondere bei der Herstellung von komplexen Bauteilen, Prototypen und kleinsten Stückzahlen nach wie vor Stand der Technik. Die Auslegung des Prozesses basiert hierbei rein auf der Erfahrung und dem handwerklichen Geschick des Drückexperten. Der direkte Kontakt des Menschen mit dem umzuformenden Bauteil über das Drückwerkzeug erlaubt dem geschickten Handwerker, ein Gefühl für den Prozess zu bekommen. Dies gelingt intuitiv über die Verarbeitung haptischer, akustischer und visueller Eindrücke aus dem Prozess. Somit kann der Mensch sehr sensibel und flexibel auf das Verhalten des Materials während der Umformung reagieren. Eine systematische und reprodu- zierbare Auslegung des Prozesses ist hierdurch jedoch nicht gegeben. Vielmehr stellt das Drücken in dieser Form eine anspruchsvolle handwerkliche Kunst dar. Mit der Weiterentwicklung der Maschinen- und Steuerungstechnik wurde auch das Formdrücken für einen industriellen Einsatz vorbereitet. In Betrieben, in denen noch das Erfahrungswissen eines Handdrückers vorhanden ist, werden nach heutigem Stand der Technik üblicherweise CNC-gesteuerte Maschinen in Kombination mit ei- ner Playback-Steuerung eingesetzt [Run93, Lei04]. Bei dem so genannten teach-in / play-back wird die Drückrolle über einen Joystick verfahren. Damit kann die Bewe- gung des Handdrückens nachvollzogen werden. Die Bewegung des Werkzeugs wird dabei aufgezeichnet und am Rechner visualisiert. Die so gewonnenen Daten werden dann in Kurven (z.B. Splines) konvertiert, die punktweise nachbearbeitet werden können. Dadurch wird der Prozess über eine geometrische Anpassung der Werkzeug- bewegung verbessert. Das endgültige Programm kann dann mit einer deutlich höhe- ren Vorschubgeschwindigkeit und Drehzahl unter Berücksichtigung des Vorschub- verhältnisses abgefahren werden, was zu einer deutlichen Steigerung der Wirtschaft- lichkeit führt. Durch die Aufzeichnung der Verfahrbewegung ist im Gegensatz zum reinen Handdrücken eine systematische, reproduzierbare Prozessauslegung möglich [Run84, Run89, Run93, Kan89]. Das Prozesswissen wird bei dieser Form der Pro- zessauslegung wie beim Handdrücken als Erfahrungswissen des Drückexperten über sein handwerkliches Geschick in den Prozess eingebracht und liegt abgespeichert in Form der Bahngeometrie vor.
  • 29. Kapitel 2 - Stand der Kenntnisse 9 2.2 Prozessoptimierung mittels Monitoring und Regelung Bei der Prozessführung mittels Playbackverfahren besteht der wesentliche Nachteil darin, dass für den Drückexperten das direkte Feed-back aus dem Prozess deutlich reduziert ist. Das Feed-back beschränkt sich auf eine visuelle und akustische Beo- bachtung der Prozessvorgänge durch den Maschinenbediener. Daher wurde im Rah- men von Forschungsarbeiten versucht, über in der Maschine integrierte Sensorik zu- sätzliche Informationen aus dem Prozess aufzuzeichnen und im Rahmen von Online- Prozessregelungsstrategien zu nutzen. Im Rahmen der Arbeiten von Köhne [Köh84] ist eine Messung der Umformkräfte realisiert worden. Dazu wurde eine Mehrkompo- nenten-Kraftmesseinheit auf piezoelektrischer Basis realisiert, die zwischen Drück- walzenaufnahme und Obersupport installiert ist. Im Rahmen umfangreicher Untersu- chungen konnten eindeutige Zusammenhänge zwischen dem Bauteilverhalten und den Kraftverläufen aufgezeigt werden. Basierend auf diesen Erkenntnissen haben Dierig [Die92, FiDi90] und Reil [Rei94, FiRe93, FiRe95] neue Ansätze entwickelt, die Kraftmessung in die Prozessauslegung zu integrieren. Dierig realisierte hierzu eine AC-Regelung des Drückprozesses. Mit Hilfe der gemessenen Umformkraftver- läufe erfolgt eine Online-Modifikation der axialen und radialen Drückrollenzustel- lung sowie des Rondengegenhalterdrucks. Voraussetzung hierfür ist jedoch die Vor- auswahl eines grundsätzlich geeigneten Stadienplans, der mit Hilfe der Regelung on- line optimiert wird. Die für die Regelung notwendigen Informationen über Prozess- zusammenhänge wurden in umfangreichen Versuchsreihen ermittelt. Die komplexen Prozesszusammenhänge des Drückens konnten jedoch nur schwer exakt und voll- ständig beschrieben werden. Dies führte zu Ungenauigkeiten in den zugrunde liegen- den Prozessmodellen und eine Übertragung der Modelle auf andere Bauteile war kaum möglich. Aus diesem Grund verfolgte Reil [FiRe93, Rei94, FiRe95] den An- satz einer Fuzzy-Regelung. Die Fuzzyfizierung der Prozessgrößen erlaubt die zusätz- liche Berücksichtigung von Wissen, welches nur in "unscharfer" Form vorliegt. Das Wissen des Drückexperten wird hierbei in Form von linguistischen Regeln formuliert und abgespeichert. Bei Reil wird, ausgehend von einem bauteilunabhängigen, „uni- versellen“ Stadienplan, das Drückteil umgeformt. In Abhängigkeit der gemessenen Kraftwerte und der Position der Drückrolle wird eine Anpassung der Bahnbewegung vorgenommen. Problematisch bleibt jedoch nach wie vor, dass ein Großteil des Pro- zesswissens nur in impliziter Form vorliegt (vgl. Prozessgefühl des Drückexperten) und somit kaum in Form von Regeln erfasst werden kann. Hauptvorteil der Online- Prozessregelung dürfte hingegen in der Kompensation von Chargenschwankungen zu
  • 30. 10 Kapitel 2 - Stand der Kenntnisse sehen sein [Run84]. Damit stellen diese Ansätze in erster Linie eine Optimierung be- reits bestehender, funktionierender Prozesse dar und sind weniger für die grundsätzli- che Prozessauslegung geeignet. Klocke et. al. [KlZa95, KlWe04] nutzen ebenfalls eine Messung der Umformkräfte für eine Anpassung der Prozessführung. Im Kombination mit einer lasergestützten Erwärmung der Umformzone werden hier die gemessenen Kraftverläufe offline ana- lysiert, um eine Anpassung der thermischen Prozessführung vorzunehmen und so op- timierte Umformergebnisse für komplexe Werkstoffe wie X5CrNi1810 oder Ti- Al6V4 zu erhalten. Hierbei wird nur auf den Parameter „Prozesstemperatur“ bzw. „Temperaturverteilung“ zurückgegriffen, und die Bahnbewegung der Drückrolle wird nicht betrachtet. Somit stellt dieser Ansatz eher eine Erweiterung der Formgebungs- grenzen bestehender Drückprozesse dar, als die im Sinne dieser Arbeit verfolgte grundsätzliche Prozessauslegung. 2.3 Prozessauslegung des Formdrückens mittels CNC-Programmierung Kann nicht auf die Erfahrung eines Handdrückers zurückgegriffen werden, muss eine direkte CNC-Programmierung der Drückmaschine vorgenommen werden. Um den hohen Programmieraufwand, der sich beim Formdrücken aufgrund der zahlreichen Zwischenstufen ergibt, zu reduzieren, wurde bereits seit Einführung der NC und CNC-Technik an der Entwicklung von Programmiersystemen gearbeitet, welche die manuelle Erstellung des Stadienplans erleichtern. Zunächst wurden ähnliche Programmiersysteme entwickelt, wie sie gegen Ende der 70er Jahre in der spanenden Fertigung üblich waren. Winkels et. al. [WiRu80] als auch Palten [Pal83] stellen erste Programmiersysteme für Drückmaschinen vor, die unter Verwendung eines Digitzers eine Beschreibung des Stadienplans erstellen. Auch Köhne [Köh81, Köh84, FiKö84] griff diesen Ansatz auf, bei dem im Dialog- verfahren das Teileprogramm interaktiv erstellt wird. Der Stadienplan wird dabei aus wenigen Grundelementen wie Geraden, Kreisbögen, Parabeln und Evolventen zu- sammengesetzt. Der vollständige Stadienplan wird dann aus diesen Elementen und den Informationen über die Futter- und Rondengeometrie grafisch erzeugt. Dudziak [Dud81] entwickelte ein Programmiersystem unter Verwendung der Pro- grammiersprache EXAPT, das in erster Linie mit einer parametrisierten Beschrei- bung der Bahnbewegung arbeitet. Das neu zu erstellende Teileprogramm enthält in Form von drückspezifischen Makroaufrufen die Geometriebeschreibung des Drück-
  • 31. Kapitel 2 - Stand der Kenntnisse 11 futters sowie die Beschreibung des Fertigungsablaufs. Durch die Parametrisierung ist eine kompakte Beschreibung der Verfahrwege der Drückrolle möglich. Eine Opti- mierung des Fertigungsablaufs kann durch eine Veränderung der Makroparameter in einfacher Weise erreicht werden. Diese Lösung ermöglicht zudem eine einfache und schnelle Erstellung der Steuerungsprogramme. Ergänzt wird der Ansatz zur Pro- grammerstellung bei Dudziak um ein Modul zur wissensbasierten Prozessauslegung, das in Kapitel 2.5 näher beschrieben wird. Dierig [Die92, FiDi90] entwickelte ein Softwarepaket, welches neben der CNC- Programmerstellung zur Versuchsvorbereitung und -auswertung eingesetzt wurde. Grundlage sind mathematische Modelle der Drückfutter- und Drückrollengeometrie, welche in einer Datenbank gespeichert werden und entsprechend dem eingemessenen Koordinatensystem automatisch angeordnet werden. Der Arbeitsraum der Drückwal- ze, bestehend aus Randbegrenzungskurve und Äquidistanten zu den Werkzeugen, kann dadurch automatisch erzeugt werden. Die eigentliche Erstellung des Stadien- plans erfolgt wie bei Köhne dialogorientiert über charakteristische Parameter der ein- zelnen Bahnen. Eine wesentliche Erweiterung besteht in der Verbindung mit der in Kapitel 2.2 beschriebenen AC-Regelung. Die neueste Entwicklung auf dem Gebiet der computergestützten Stadienplangenerie- rung stellen auf das Formdrücken spezialisierte CAD-CAM Programme wie bei- spielsweise in den Maschinen der Firma Industrias Puigjaner, S.A., Polinyà, Spain [Den04] oder die Software "SpinCAD" der Firma MJC Engineering & Technology, Inc., Huntington Beach, USA [MJC04] dar. Diese erlauben die grafische Konstrukti- on der Grundbahnformen in Kombination mit einer automatisierten Vervollständi- gung des gesamten Stadienplans. Die Software „OPUS“ der Firma Leifeld GmbH, Ahlen [Lei04], greift hingegen auf bestehende CAD-Zeichnungen des Bauteils zu und konvertiert diese über steuerungsspezifische Postprozessoren in optimierte CNC- Sätze. Die hier dargestellten Ansätze zur direkten, computergestützten CNC- Programmierung stellen zunächst nur Vereinfachungen des Ablaufs der Programmer- stellung dar. Das Wissen über die exakte Vorgehensweise muss jedoch nach wie vor vom Drückexperten eingebracht werden. Erschwerend hierbei ist vor allem, dass der Prozess nun auf abstrakte Weise betrachtet wird und teilweise lediglich als Black- Box über den Vergleich von CNC-Programm und fertigem Bauteil betrachtet wird. Dadurch ist die Umsetzung des Expertenwissens nicht unerheblich erschwert. Dieser Umstand wird auch durch die grafische Simulation der Verfahrbewegung nicht we-
  • 32. 12 Kapitel 2 - Stand der Kenntnisse sentlich verbessert. Das handwerkliche Gefühl für den Prozess geht hierdurch weit- gehend verloren. Daher wurden zusammen mit der automatisierten Erstellung der Stadienpläne für das Drücken bereits von Anfang an Ansätze verfolgt, den Program- miervorgang wissensbasiert zu unterstützen bzw. gänzlich zu automatisieren. Grund- lage hierfür ist eine Beschreibung und Modellierung der Prozesszusammenhänge, die aus dem Expertenwissen und entsprechenden Experimenten erstellt wird. 2.4 Modellgestützte Prozessauslegung Der erste Zugang zu einer Modellbildung des Prozesses erfolgt in der Regel auf expe- rimentellem Weg. Folglich befasst sich ein großer Teil der Forschungstätigkeit mit der systematischen Bestimmung der Prozesszusammenhänge und der Erarbeitung eines fundierten Prozessverständnisses. Die Forschungsarbeiten zum Drücken beschäftigten sich seit den 60er Jahren bis heu- te im Wesentlichen mit qualititativen Analysen einzelner ausgesuchter Ein- flussparameter auf den Drückprozess und das damit erzielbare Drückergebnis, siehe beispielsweise Barkaja und Ruzanov, [BaRu73], El-Sheikh [ElSh86], Finckenstein, Köhne, Dierig, Homberg und Reil [FiKö84, Köh84, FiDi90, Die92, Hom92, Rei94], Hayama et. al. [HaMu63, Hay89, HaKu92], Khabeery et. al. [KhFa91], Keul [Keu63], Küpers [Küp74], Mogil'nyj und Moiseev [MoMo75], Nawi und Mahdavian [NaMa94], Radtke [Rad89] oder Smith [Smi92]. Im Vordergrund aller Untersuchungen steht die Bestimmung geeigneter Prozesspa- rameter3 für verschiedene Bauteilformen sowie das Verhalten unterschiedlicher Werkstoffe im Drückprozess. Eine Systematisierung der Ergebnisse erfolgt bei- spielsweise bei Runge [Run93] und Dierig [Die92]. Hier werden mögliche Einfluss- parameter auf den Prozess und Qualitätsmerkmale4 zusammengefasst und kategori- siert. Von besonderer Bedeutung ist dabei die Einflussnahme auf den resultierende Umformgradverlauf sowie Versagensfälle des Drückprozesses wie die Faltenbildung und verschiedene Formen der Rissbildung. 3 Als Prozessparameter werden in dieser Arbeit alle Parameter zusammengefasst, die einen Einfluss auf das Fertigungsergebnis des Drückprozesses haben (Einfluss- und Störgrößen). 4 Die Qualitätsmerkmale des Bauteils stellen in der Regel die Zielgrößen der statistischen Ver- suchsplanung dar.
  • 33. Kapitel 2 - Stand der Kenntnisse 13 Die Untersuchungen zeigen, dass die Bestimmung der Prozesszusammenhänge nicht ohne Schwierigkeiten ist. Aufgrund der Vielzahl zu berücksichtigender Einflüsse sind jeweils umfangreiche Untersuchungen notwendig. Viele Untersuchungen beschrän- ken sich daher auf die Betrachtungen einzelner Effekte. Bereits hier zeigte sich je- doch, dass die ermittelten Zusammenhänge komplex und oft nichtlinearer Natur sind und viele Parameter in einer Wechselwirkung5 untereinander stehen. Zudem reagiert der Drückprozess sensibel auf Störgrößen6 wie beispielsweise Chargenschwankun- gen. Aufgrund der spezifizierten Versuchsbedingung ist eine Übertragung der Ver- suchsergebnisse auf andere Bauteile vielfach nicht möglich. In den Untersuchungen wird grundsätzlich nur ein einzelnes Qualitätsmerkmal betrachtet. Hier zeigt sich je- doch, dass mit der Verbesserung eines Merkmals eine Verschlechterung anderer Bau- teileigenschaften einhergeht, was zu bislang nicht gelösten Problemen führt. Die An- forderungen an das Bauteil wechseln zudem häufig. In Kombination mit der Vielzahl möglicher Geometrieformen ergibt sich daraus eine große Anzahl von Qualitätsan- forderungskombinationen, auf die reagiert werden muss. Erschwert wird die Ausle- gung und Optimierung des Drückens zudem durch Qualitätsanforderungen die sich einer systematischen Messung entziehen und somit nur qualitativ beschreibbar sind, wie beispielsweise das Auftreten der Faltenbildung. Methodisch erfolgten die expe- rimentellen Untersuchungen ausschließlich durch One-factor-at-a-time-Experimente. Zusammenfassend kann gefolgert werden, dass bereits die experimentelle Bestim- mung der Prozesszusammenhänge zwischen den Einflussparametern und einzelnen Qualitätsmerkmalen schwierig ist. Die Balancierung aller Qualitätsmerkmale eines Bauteils ist bislang nicht vorgenommen worden. Auch wenn zuverlässige Ergebnisse für ein spezifisches Bauteil ermittelt werden konnten, so war in der Regel eine Über- tragung auf andere Randbedingungen nicht erfolgreich. Diese Ergebnisse sind somit für ein übergeordnetes Prozessverständnis und die Auslegung neuer Bauteile nur schwer anwendbar. Auch Versuche, den Drückprozess analytisch zu beschreiben, erfolgten schon früh. So untersuchte Dröge [Drö54] bereits 1954 die beim Drücken auftretenden Kräfte und den Materialfluss. Hierzu übertrug er die Berechnungsgleichungen für das Tief- ziehen auf die partielle Umformung beim Drücken, was sich allerdings als nur be- dingt geeignet herausstellte. Eine analytische Studie der Spannungsverteilung in der 5 Eine detaillierte Definition von Wechselwirkungen im statistischen Sinne erfolgt in Kapitel 4.4.2. 6 Störgrößen sind Parameter, die während des Prozesses nicht gezielt beeinflusst werden können.
  • 34. 14 Kapitel 2 - Stand der Kenntnisse Umformzone sowie experimentelle Untersuchungen des Drückens in einem Überlauf wurden 1963 bei Hayama und Murota [HaMu63] durchgeführt. Da jedoch die Be- rechnungsansätze ungenaue Ergebnisse lieferten, wurden neue Ansätze erprobt, bei denen eine Unterteilung des Drückvorgangs in einen Biege- und einen Tiefziehanteil vorgenommen wurde. Dies führte bei der Untersuchung an Aluminium-Werkstoffen zu verbesserten Ergebnissen, vgl. [Die92]. Alle analytischen Ansätze sind jedoch vereinfachend und beschreiben nur modellhaft bestimmte Aspekte des Prozesses. Während bei Umformprozessen wie dem Tiefziehen die Finite-Elemente-Simulation seit langem erfolgreich zur Prozessauslegung und -optimierung eingesetzt wird, konnte eine vollständige FE-Simulation des Drückprozesses bislang nicht realisiert worden. Dies liegt darin begründet, dass es sich bei dem Drücken um ein inkremen- telles Umformverfahren handelt. Die Plastifizierung des Werkstoffs erfolgt in einer eng begrenzten, so genannten partiellen Umformzone, die sich mit der Rotation der Ronde über das Bauteil bewegt. Die Mechanik dieses Vorgangs ohne ein inakzeptab- les Anwachsen der Rechenfehler mit fortschreitender Simulation abzubilden, erfor- dert eine genaue Abbildung der Zusammenhänge, was mit hohem Rechenaufwand verbunden ist. Zusätzlich liegen beim Formdrücken im Vergleich zum Tiefziehen lange Prozesszeiten von bis zu mehreren Minuten vor. Diese beiden Einflüsse erfor- dern hohe Rechenleistungen, so dass geeignete Rechner erst seit kurzer Zeit zur Ver- fügung stehen. Auf die hiermit verbundenen Besonderheiten der Simulation inkre- menteller Umformprozesse wird beispielsweise in [QuMo02, HiKo04] hingewiesen. Ein Überblick über den Stand der Kenntnisse zur FE-Simulation des Drückens ist in [Seb03] gegeben. Erste Ansätze bestehen seit 1989. Ein erstes vereinfachtes Modell wird bei Alberti et. al. [AlCa89] beschrieben. Als Solver dient Adina 84. Es handelt sich hierbei um ein zweidimensionales Modell, bei dem die Symmetrie zur Rotati- onsachse zur Vereinfachung genutzt wird. Dies setzt eine um den gesamten Umfang gleichmäßig verlaufende Werkzeugbewegung voraus. Im realen Prozess verläuft die Bewegung des Werkzeugs jedoch auf einer wendelförmigen Bahn, was bei einem 2D-Modell nicht realisiert werden kann. Dai et. al. [DaGa99] beschrieben einen Ansatz, der die Prozesssimulation mit LS- DYNA und ETA/Dynaform realisiert. Da der Schwerpunkt der Untersuchung auf der kinematischen, inkrementellen Umformung liegt, wird nur der Spezialfall des futter- losen Projizierens (Drückspannungszustand) untersucht. In Übereinstimmung mit durchgeführten Experimenten zeigte sich eine gute Übereinstimmung bezüglich der Wanddickenreduktion nach dem Sinusgesetz. Eine Übertragung auf den mehrstufigen
  • 35. Kapitel 2 - Stand der Kenntnisse 15 Formdrückprozess mit einem Zug-Druck-Spannungszustand ist somit nur schwer möglich. Umfangreiche Untersuchungen zur Simulation des Drückprozesses wurden vor allem von Quigley und Monaghan [QuMo98, QuMo99, QuMo00a, QuMo00b, QuMo02, QuMo04] durchgeführt. Im Rahmen dieser Untersuchungen wurde ein impliziter FE- Code des FE-Systems MARC von MSC genutzt. Mit vereinfachenden Annahmen wie der Vernachlässigung der Reibung in der Kontaktzone sowie dynamischen Effekten wurde eine Analyse der Spannungen in der Umformzone durchgeführt. Um die Re- chenzeit zu minimieren, wurde nur ein kleines Segment der Ronde und der Werkzeu- ge betrachtet. Die Prozessführung des simulierten Prozesses legt jedoch eine größere Ähnlichkeit mit dem Projizieren als dem mehrstufigen Formdrücken nahe, so dass auch hier eine Übertragbarkeit nur bedingt gegeben ist. Wie die Literaturübersicht zeigt, liegen tragfähige Modelle des Formdrückprozesses bislang nicht vor. Die dargestellten Ansätze zur analytischen Beschreibung und FE- Simulation sind bislang nicht geeignet, die Auslegung und Optimierung des Form- drückprozesses zu unterstützen. Für eine wissensbasierte Unterstützung der Stadien- planerstellung kann daher trotz der beschriebenen Probleme nur auf experimentell ermittelte Zusammenhänge zurückgegriffen werden, die in einfachen Modellen um- gesetzt werden. 2.5 Wissensbasierte Prozessauslegung Ziel der wissensbasierten Prozessauslegung ist die Nutzung und Umsetzung des vor- liegenden Wissens für die Prozessauslegung in einer für die elektronische Datenver- arbeitung geeigneten Form. Basierend auf dem vorhandenen Prozesswissen wurden zunächst Ansätze verfolgt, das Wissen in geeigneter Weise zu klassifizieren, um es für die wissensbasierte Prozessauslegung nutzbar zu machen. Der erste Schritt hierzu stellt die Zusammenstellung und Systematisierung von Kawai et. al. [Kaw89, Ka- Sa89] dar, die ausgehend von einer Systematisierung herstellbarer Geometrieformen und möglicher Bahnbewegungen eine Drückdatenbank entwickelten, vgl. Abbildung 2-1.
  • 36. 16 Kapitel 2 - Stand der Kenntnisse Abbildung 2-1: Geometrieklassifizierung nach Kawai et. al. [Kaw89, KaSa89]. Während diese Datenbank gut die in der Prozessauslegung zu berücksichtigenden Aspekte verdeutlicht, zeigt sich jedoch eine Einschränkung in der Nutzbarkeit der gespeicherten Informationen, die allgemein gehalten sind. Aus diesem Grund wurde in den weiteren Arbeiten zunächst mit Wissensrepräsentationen gearbeitet, die spezi- fisch an das gewählte Konzept angepasst sind. Bei Köhne [Köh84] werden auf der Grundlage experimenteller Untersuchungen Ge- setzmäßigkeiten entwickelt, die zur automatischen Generierung der Prozessparameter und Stadienplangeometrieformen für die Fertigung zylindrischer Werkstücke genutzt wurden. Nach einer Berechnung des Rondendurchmessers anhand des Gesetzes der Volumenkonstanz erfolgt zunächst die Berechnung der Randbegrenzungskurve. Die- se wird angenähert aus einem Geradenstück und einer Parabel zusammengesetzt. Die zur Beschreibung notwendigen Parameter werden nach der erwarteten Blechdicken- reduktion abgeschätzt. Für die Wahl des Vorschubverhältnisses werden empirisch ermittelte Zusammenhänge zugrunde gelegt. Die Bestimmung der eigentlichen Bahn- form erfolgt dann ebenfalls anhand eines Grundschemas, das durch empirische Ana- lysen als vorteilhaft identifiziert wurde. Das Konzept von Köhne basiert damit auf einem vorausgewählten Grundmodell des Drückprozesses, das mit Hilfe verschiede- ner Parameter an die neue Fertigungsaufgabe angepasst wird. Dudziak [Dud81] speichert bereits erfolgreich gefertigte Bauteile in einer Datenbank und nutzt die mit den Bauteilen gespeicherten Stadienpläne für die Fertigung neuer Bauteile, vgl. Abbildung 2-2.
  • 37. Kapitel 2 - Stand der Kenntnisse 17 Abbildung 2-2: Aufbau des Expertensystem nach Dudziak [Dud81]. Grundlage für diesen Ansatz ist das Konzept einer Ähnlichkeit der Bauteile, nach dem geeignete Stadienpläne ausgewählt werden. In dem von Dudziak erarbeiteten Ähnlichkeitsansatz werden Informationen wie der verwendete Werkstoff, der Typ der Geometrieelemente, die Hauptabmessungen der Bauteile, die Folge der Geometrie- elemente sowie Zusatzinformationen wie der Blechdickenverlauf miteinander vergli- chen. Für jedes Vergleichskriterium wird eine Grenzähnlichkeit definiert. Liegen alle Kriterien innerhalb der definierten Grenzen, wird das entsprechende Bauteil ausge- wählt und der mit dem Bauteil gespeicherte Stadienplan wird als Ausgangspunkt der Umformung herangezogen. Diese Form der Nutzung von Expertenwissen über Ferti- gungsbeispiele kann als ein Vorläufer eines Systems zum Fallbasierten Schließen ge- sehen werden, vgl. Kapitel 4.2. Hayama et. al. [HaKu92] entwickelten einen Algorithmus, basierend auf zuvor defi- nierten Prozesskennwerten, um die wesentlichen Parameter für die Umformung zy- lindrischer Bauteile zu ermitteln. Auch dieser Ansatz geht von der Idee einer univer- sellen Grundvorgehensweise aus, die über die Kennwerte an die aktuellen Randbe- dingungen angepasst wird. Ein wissensbasierter Ansatz im Sinne eines klassischen Expertensystems wurde von Schwager et. al. [ScHa93, Schw98, SchGo89, Krä94] entwickelt. Grundlage hierfür
  • 38. 18 Kapitel 2 - Stand der Kenntnisse ist ein durchgängiges CAD-CAM-System, das für die Fertigung von Haushaltsge- schirr durch Drücken entwickelt wurde, vgl. Abbildung 2-3. Abbildung 2-3: Aufbau des Expertensystems nach Schwager et. al. [Schw98, SchGo89]. Nach der CAD-Konstruktion der Bauteilgeometrie wird im so genannten Technolo- giemodul die Bauteilgeometrie auf ihre fertigungstechnische Realisierbarkeit hin ü- berprüft und gegebenenfalls angepasst. Ausgehend von der Berechnung des Wanddi- ckenverlaufs, erfolgt die Auswahl einer geeigneten Verfahrenskombination. Die wichtigsten Verfahrensparameter werden berechnet und mit gespeicherten Grenzwer- ten verglichen. Erfolgreich gefertigte Bauteile werden in einer Datenbank gespeichert und können zur Unterstützung der Prozessgestaltung neuer Bauteile aufgerufen wer- den. Basierend auf den bestimmten Bahnkurven können die CNC-Daten generiert werden. Da dieser Ansatz festgelegte Algorithmen verwendet, wurde im Folgenden kontinuierlich an der Weiterentwicklung zu einem wissensbasierten Expertensystem gearbeitet [ScHa93, Schw98, SchGo89, Krä94]. Ausgangspunkt hierbei ist eine ähn- liche Klassifizierung der Mantellinienkontur, wie sie von Kawai et. al. [Kaw89, Ka- Sa89] in der Drückdatenbank eingeführt wurde. Durch einen so genannten "Muster- vergleich" erfolgt die Suche nach geometrisch ähnlichen Bauteilen in der zugrunde liegenden Datenbank. Zur Klassifizierung wurde ein 15-20stelliger Ziffernschlüssel verwendet. Im Technologiebaustein wird dann Wissen über den Zusammenhang zwi- schen Geometrie und Verfahrensablauf verarbeitet.
  • 39. Kapitel 2 - Stand der Kenntnisse 19 Die Grundlagen für den Technologiebaustein werden bei Kräusel [Krä94] dargestellt. Realisiert wurde das Technologiemodul in der Programmiersprache PROLOG. Die Bestimmung der Verfahrenstechnologie erfolgt in vier Schritten, bestehend aus Zu- schnittsermittlung, Verfahrenswahl und Erstellung eines Grobstadienplans sowie der Maschinenwahl. Ausgegangen wird dabei von ebenen Blechzuschnitten, deren Be- rechnung auf dem Gesetz der Volumenkonstanz beruht. Durch einen Vergleich der Wanddickenverläufe der Konturelemente mit der Bodenblechdicke erfolgt eine Zu- ordnung der Grundverfahren Formdrücken, Projizieren und Drückwalzen. Kombi- niert ist dieser Schritt mit einer Überprüfung und Korrektur der Bauteilgeometrie. Anhand der festgelegten Verfahrensfolge wird in den Verfahrensmodulen die Detail- lierung der Bearbeitungsvorgänge vorgenommen, was in erster Linie eine Ermittlung von technologischen Verfahrensparametern und des erforderlichen Kraft- und Dreh- momentenbedarfs beinhaltet. Darauf basiert dann letztlich die Wahl einer geeigneten Maschine. Der Schwerpunkt dieses Expertensystems liegt auf der Verfahrensauswahl bei der Fertigung komplexer, zusammengesetzter Geometrieformen und der geeigneten Kombination aus Drücken, Projizieren und Drückwalzen. Eine wissensbasierte Un- terstützung mehrstufiger Formdrückvorgänge ist dahingegen nicht möglich und be- schränkt sich auf die Berücksichtigung einstufiger Formdrückvorgänge [Krä94]. Auch auf industrieller Seite wird seit langem an der Entwicklung von Systemen gear- beitet, die den Verfahrensanwender durch eine automatische Stadienplangenerierung unterstützen. So wurde bei der Firmal Leifeld, Ahlen, ein System zur benutzerunter- stützten Stadienplangenerierung entwickelt, welches erstmals 1988 vorgestellt wurde, vgl. [Run89, Run93]. Aufbauend auf der Eingabe grundlegender Parameter, generiert das Programm selbstständig den Bewegungsablauf der Drückrolle. Dazu werden frei programmierbare Zyklen der CNC-Steuerung aufgerufen. Über ein Grafikmodul wird dieser Ablauf simuliert. So kann der Metalldrücker schon vor dem Fertigen des ersten Werkstücks eine kritische Bewertung des Umformprozesses vornehmen und gegebe- nenfalls durch die Eingabe weniger Parameter modifizieren. Die Konturgeometrie des Drückfutters kann mit Hilfe von Konturelementen beschrieben werden oder über einen Messtaster erfasst und elektronisch weitergegeben werden. Für das Abtasten steht ein Messprogramm zur Verfügung, das über die Bedienführung angepasst wer- den kann. Für die einzelnen Drückstufen können Höhenabstände, Neigungen und Anzahl definiert werden. Vorschubgeschwindigkeit, Spindeldrehzahl und weitere technologische Angaben werden vom Benutzer erfragt. Der aktuelle Stand dieser
  • 40. 20 Kapitel 2 - Stand der Kenntnisse Entwicklung ist in das CAM-System "OPUS" integriert [Lei04]. Es liegen jedoch keine Informationen über den technologischen Hintergrund vor. 2.6 Schlussfolgerungen Die derzeit effizienteste Methode der Drückprozessauslegung stellt nach wie vor das handwerklich basierte Playbackverfahren dar. Aufgrund des aussterbenden Berufs- bildes des Handdrückers gelingt es oftmals jedoch nicht, das dazu notwendige hand- werkliche Geschick im Betrieb zu speichern und weiterzugeben. Dadurch bekommt die rechnerunterstützte Stadienplanerstellung eine immer stärkere Bedeutung. Das schwerwiegendste Hindernis hierbei ist jedoch das nach wie vor mangelnde Prozess- verständnis, das durch die hohe Komplexität des Prozesses begründet ist, sowie die "Black-Box"-Betrachtung des Prozesses einer CNC-Fertigung ohne sensorisches feed-back. Auch nach heutigem Stand der Kenntnisse basiert die Prozessauslegung weitestge- hend auf Erfahrungswerten und erfolgt nach dem Trial-and-Error-Prinzip. Das Erfah- rungswissen ist nach empirischen Vorgehensweisen bestimmt worden und liegt dabei vielfach nur in impliziter Form vor. Experimentell durchgeführte Untersuchungen bleiben oftmals an die Randbedingungen der Versuche gebunden und lassen sich nicht auf neue Bauteile übertragen. Auf Grund der großen Anzahl möglicher Ein- flussparameter ist es bislang nicht gelungen, Gesetzmäßigkeiten zu formulieren, um die am Prozess beteiligten Größen in einen mathematisch klar definierten Zusam- menhang zu setzen und insbesondere deren Wechselwirkung zu bestimmen. Die vor- handenen Beschreibungen der Prozesszusammenhänge sind somit recht unvollständig und oft nur unscharf verbal zu formulieren. Als bislang erfolgversprechendster Ansatz zur Verarbeitung des Expertenwissens für eine direkte Programmierung des CNC-gesteuerten Drückens unter den aufgezeigten Bedingungen erscheint die Verwendung von bereits erfolgreich gefertigten Bauteilen als Referenz für neue Fertigungsaufgaben, wie es bei Dudziak [Dud81] und in Ansät- zen auch bei Schwager et. al. [ScHa93, Schw98, SchGo89, Krä94] realisiert wurde. Dieses Konzept erscheint geeignet, die Problematik der Verarbeitung nur implizit vorliegenden, ungenauen Wissens zu lösen. Jedoch sind beide Ansätze nur rudimen- tär ausgearbeitet und erfordern weitergehende Entwicklungsarbeiten. Dabei ist es notwendig, neue Zugänge zu den komplexen Zusammenhängen des Formdrückpro- zesses zu finden, um zu einer effizienten Prozessauslegung und -optimierung zu ge-
  • 41. Kapitel 2 - Stand der Kenntnisse 21 langen. Insbesondere die Aspekte der Übertragbarkeit der Prozesszusammenhänge von einem Bauteil auf ein anderes sowie die Balancierung der Maßnahmen zur Erfül- lung aller qualitätsrelevanten Merkmale erfordern weitergehende Forschungsarbeiten.
  • 42.
  • 43. 23 3 Zielsetzung der Arbeit Wie aus dem Stand der Kenntnisse ersichtlich ist, sind die Zusammenhänge zwischen Einflussgrößen und Qualitätsmerkmalen des Formdrückprozesses sehr komplex. Dies ist unter anderem begründet durch die inkrementelle, kinematische Gestalterzeugung bei der Bauteilfertigung, mit vielen Freiheitsgraden des Prozesses. Abbildung 3-1 verdeutlicht das Spektrum der daraus resultierenden Problemstellungen. Abbildung 3-1: Problemstellungen der Drückprozessauslegung und –optimierung. In Kombination mit der Vielzahl herzustellender Geometrieformen und der Notwen- digkeit, durch die Fertigung in kleinen und mittleren Stückzahlen in hohem Umfang auf neue Fertigungsaufgaben reagieren zu müssen, stellt die systematische Auslegung von Drückprozessen nach wie vor ein großes Problem dar. Gelingt die Erfassung der Prozesszusammenhänge nicht in adäquater Weise, führt dies zu Qualitätseinbußen und zu einem hohen zeitlichen Aufwand bei der Prozessauslegung. Die Tatsache, dass für konkrete Fertigungsaufgaben nutzbares Prozesswissen oft nur unvollständig vorhanden ist und in vielen Fällen lediglich in impliziter Form vorliegt, macht eine systematische Prozessauslegung schwierig. Tragfähige Modelle, wie beispielsweise Finite Elemente Modelle des Drückprozesses, existieren bislang nicht.
  • 44. 24 Kapitel 3 - Zielsetzung der Arbeit Die übliche Vorgehensweise zur Prozessauslegung - in Form von Trial-and-error- oder One-factor-at-a-time-Experimenten, kombiniert mit Hypothesen, basierend auf der Erfahrung des Drückexperten – führt zu Ergebnissen, die häufig nicht auf andere Bauteile übertragen werden können. Zudem werden teils unzulässige Reduktionen der Prozesszusammenhänge benutzt, wie die Vernachlässigung der Wechselwirkun- gen der Parameter untereinander oder die isolierte Betrachtung einzelner Qualitäts- merkmale. Der adäquate Umgang mit der vorhandenen Prozesskomplexität erfordert hingegen neue Herangehensweisen an die Problemstellung und damit verbunden die Nutzung neuer Methoden, welche das Zusammenspiel und die Wechselwirkung der Einzelaspekte stärker berücksichtigen. In der vorliegenden Arbeit soll daher ein neuer Ansatz zur Prozessauslegung und Op- timierung des CNC-gesteuerten Formdrückens erarbeitet werden, der die beschriebe- nen Probleme adäquat berücksichtigt und somit zu einer qualitätsgerechten, effizien- ten und robusten Prozessauslegung unter technologischen und wirtschaftlichen Ge- sichtspunkten beiträgt. Besondere Bedeutung bei der Entwicklung dieses Ansatzes hat das Umfeld der Drückteilefertigung, welche fast ausschließlich in kleinen und mittelständischen Be- trieben in kleiner und mittlerer Stückzahl stattfindet. Dadurch ist der akzeptable Aufwand zur Auslegung und Optimierung des Prozesses reduziert. Ziel muss daher die Reduzierung des Versuchsumfangs bis zum Gutteil sein, verbunden mit einer ef- fizienten Umsetzung der CNC-Daten-Generierung zur Prozessdurchführung. Unab- dingbare Voraussetzung hierfür ist die Integration allgemeinen und betriebsspezifi- schen Hintergrundwissens über die Fertigung. Darüber hinaus ist die Erweiterung des Prozess-Verständnisses des Drückens Ziel der Arbeit. Wie der Stand der Kenntnisse aufgezeigt hat, bestehen insbesondere zum Verständnis der auftretenden Versagensfälle und hier insbesondere der Faltenbildung nach wie vor nur grundlegende Konzepte. Daher soll im Rahmen der Arbeit ein tie- fergehendes Verständnis für die Entstehung der Faltenbildung erarbeitet werden. Zur Realisierung dieser Ziele wird in einem ersten Schritt eine systematische Analyse des Prozesses durchgeführt. Anhand der hieraus resultierenden Erkenntnisse erfolgt eine kombinierte Vorgehensweise zur Lösung der Problemstellung durch die Vernet- zung von Methoden wissensbasierter Systeme und der statistischen Versuchsplanung. Die Methoden werden in einem Prozess-Planungs-System zusammengeführt.
  • 45. Kapitel 3 - Zielsetzung der Arbeit 25 Innerhalb dieses Ansatzes wird die Integration von unvollständigem, unexaktem und implizitem Hintergrundwissen über den Drückprozess mit Hilfe der Methode des Fallbasierten Schließens realisiert. Die Adaption des Wissens an die bauteilspezifi- schen Gegebenheiten innerhalb des Fallbasierten Schließens sowie die abschließende Optimierung erfolgt durch speziell für das Drücken angepasste Verfahren der statisti- schen Versuchsplanung, die in der Lage sind, die komplexen Zusammenhänge, den nur kleinen stabilen Bereich des Prozesses und den multivariaten Charakter des Op- timierungsproblems abzubilden. Die Realisierung dieses kombinierten Ansatzes erfordert eine Erweiterung des bishe- rigen Prozessverständnisses. Dazu werden mit Methoden der statistischen Versuchs- planung in einer sequentiellen Vorgehensweise, beginnend mit einer einzelnen Drückstufe hin zu vollständigen Bauteilen, die zugrunde liegenden Prozesszusam- menhänge erarbeitet. Ein wichtiger Aspekt hierbei ist die Berücksichtigung von kate- gorialen Qualitätsmerkmalen wie der Faltenbildung. Der Versagensfall der Faltenbil- dung kann zudem nicht alleine durch stetige, funktionale Zusammenhänge beschrie- ben werden. Vielmehr sind Methoden der nichtlinearen Dynamik notwendig, die ins- besondere dem Aspekt der dynamischen, nichtlinearen Instabilität der Faltenbildung Rechnung tragen. Der so entwickelte Ansatz zur Prozessauslegung wird in einem für das Drücken entwickeltes Prozess-Planungs-System umgesetzt. Im Rahmen dieser Arbeit erfolgt aufgrund der umfangreichen Thematik eine Be- schränkung auf das Drücken nach DIN 8584 - den reinen Formdrückprozess - und hierbei auf die Betrachtung der CNC-gesteuerten Prozessführung. Auch ergänzende Prozessoperationen, wie zwischen- oder nachgeschaltete Drückwalzstufen so wie projizierte Bauteilbereiche, werden nicht berücksichtigt, da sie die Beurteilung des Ergebnisses des reinen Formdrückprozesses erschweren. Bei der Auswahl zu untersuchender Geometrieformen ist eine Auswahl repräsentati- ver Geometrieformen und Formenkombinationen notwendig. Die umformtechnisch schwierigste Geometrieform für den Drückprozess ohne einen Hinterschnitt stellt die Fertigung eines zylindrischen Bauteils aus einer Ronde dar, da hierbei die größte Durchmesserreduktion und damit die größte Materialverschiebung vorgenommen werden muss. Daher erfolgt im Rahmen dieser Arbeit eine Beschränkung auf nicht zusammengesetzte, zylindrische Bauteilformen, wobei jedoch die Erweiterung und Übertragbarkeit des Ansatzes auf komplexe Geometrieformen berücksichtigt wird.
  • 46.
  • 47. 27 4 Methodische Grundlagen Die im Stand der Kenntnisse erarbeiteten Grundlagen verdeutlichen die Notwendig- keit, einen neuen Zugang zum Prozess und der Abbildung der Zusammenhänge im Modell zu erarbeiten, damit eine systematische Prozessoptimierung ermöglicht wird. Die im Rahmen dieser Arbeit genutzten Methoden zur Realisierung der Zielstellung werden in diesem Kapitel theoretisch erarbeitet. Im Fokus stehen dabei die Methoden des fallbasierten Schließens, das in Kapitel 4 theoretisch dargestellt wird und Metho- den der statistischen Versuchsplanung, die sowohl zur Analyse als auch zur Model- lierung der Prozesszusammenhänge genutzt werden, und in Kapitel 4.3 dargestellt sind. 4.1 Grundlagen der Prozessanalyse Der ersten Schritt eines neuen Zugangs zum Prozess ist die Ausarbeitung, Sammlung, Auswertung und Strukturierung der vorhandenen Information. Im Anschluss an das eigentliche Sammeln der Informationen kann bereits eine erste Charakterisierung z.B. in qualitative und quantitative Parameter oder die Abschätzung von Wechselwirkun- gen in einer Diskussion erfolgen. Als Grundlage konnte dabei auf ein Vorauswahl und Einteilung möglicher Einfluss- und Zielparameter zurückgegriffen werden, die bei Dierig [Die92] und Runge [Run93] veröffentlicht wurde. 4.1.1 Informationsstrukturierung Ein einfache Erfassung der Informationen alleine ist nicht ausreichend und muss durch die Strukturierung der Zusammenhänge ergänzt werden. Das Ishikawa- Diagramm stellt dabei einen ersten möglichen Zusammenhang zwischen Wirkung und Ursache dar, aus der Einflussmaßnahmen im Rahmen der Prozessoptimierung abgeleitet werden können. Mit dem Ishikawa-Diagramm, auch Ursache-Wirkungs-Diagramm oder Fischgräten- Diagramm genannt, wird eine Strukturierung von Problemen durch eine Zuordnung von potentiellen Ursachen zu den ermittelten Fehlern bestimmt. Im Rahmen der Sys- temanalyse wird als Wirkung ein zu untersuchendes Systemelement berücksichtigt, bei dem es zu einer Qualitätsabweichung gekommen ist. Dieser Qualitätsabweichung werden mögliche Hauptursachen durch Pfeile grafisch zugeordnet, wobei diesen wie-
  • 48. 28 Kapitel 4 - Methodische Grundlagen derum untergeordnete Ursachen zugeordnet sind [Pfe93, HeTr93, Fla95, May97]. Abbildung 4-1 stellt beispielhaft ein Ishikawa-Diagramm dar. Da zu diesem Zeitpunkt die Ursachen nur vermutet werden, ist eine Zuordnung zur Systemstruktur wichtig. Erleichtert wird die Erstellung des Diagramms daher durch die Zuordnung der Ursachen zu den so genannten 6M: Mensch, Maschine, Material, Methode, Messung und Mitwelt. Abbildung 4-1: Grundaufbau eines Ishikawa-Diagramms. Aus den im Ishikawa-Diagramm geordneten Ursachen können dann diejenigen ermit- telt werden, die als Einflussgrößen in Frage kommen [May97]. Die exakte Erfassung der im Drückprozess vorliegenden Struktur erfolgt mit Hilfe der Funktionsstrukturanalyse. Bei der Prozessauslegung ist dies für das Erkennen von Fehlerursachen besonders wichtig, die in frühen Phasen der Fertigung oder vorgela- gerten Prozessschritten entstehen und erst im weiteren Verlauf identifiziert werden können. Für den Drückprozess ist hier beispielsweise die Identifikation einzelner Schritte der Rondenfertigung als Fehlerursache für die Rissbildung am Bauteilrand zu nennen. Während zudem die Modellierung des Gesamtsystems schwierig werden kann, ist es doch oftmals möglich, basierend auf der Systemstruktur, vernetzte Teil-
  • 49. Kapitel 4 - Methodische Grundlagen 29 modelle zu erstellen, die zu einer hinreichend genauen Abbildung des Systems füh- ren. In der Funktionsstrukturanalyse wird ausgehend von einer Black-Box-Betrachtung des Systems versucht, die Systemstruktur zu detektieren und Aussagen über die funk- tionalen Abhängigkeiten zwischen Input- und Output des Systems zu machen [Fla95]. Entsprechend dem Stoff-, Energie- und Informationsfluss im System wird schrittweise die Struktur verfeinert. Über das Verhalten der Systemelemente können dann Hypothesen formuliert werden, die zu einer qualitativen Modellbildung genutzt werden können. Das Vorgehen ist beispielhaft in Abbildung 4-2 dargestellt [Fla95]. Abbildung 4-2: Black-Box Betrachtung, nach [Fla95]. Für die Betrachtung eines Fertigungsprozesses bedeutet dies zunächst einmal im Schritt der Black-Box Betrachtung die Definition aller im System auftretenden Input- und Output-Größen. Im Schritt der Strukturverfeinerung erfolgt das Erstellen eines Ablauf- und Aufbaudiagramms aller am Prozess beteiligten Systemelemente (z.B. die Erfassung der Maschinenstruktur und des kinematischen Prozessablaufs). Im Rahmen der Hypothesenformulierung werden vermutete Zusammenhänge innerhalb der Struk- tur formuliert, die im Schritt der Informationsauswertung beispielsweise als Grundla- ge für eine qualitative Modellbildung des Prozesses genutzt werden. Aus der Kombination der Methoden zur Informationssammlung und –strukturierung kann eine erste Prognose für die Drückprozessauslegung über Zusammenhänge zwi- schen Einfluss- und Zielgrößen, sowie Wechselwirkungen der Parameter untereinan- der vorgenommen werden.
  • 50. 30 Kapitel 4 - Methodische Grundlagen 4.1.2 Prozessmodellierung Nachdem explizit verfügbare Informationen über den Prozess erfasst und systemati- siert wurden, erfolgt eine Modellierung des Systemverhaltens, basierend auf den er- hobenen, klassifizierten Informationen. Im Rahmen dieser Arbeit wird zur Modellie- rung der Prozesszusammenhänge ein Ansatz verfolgt, der zum einen vorhandenes Prozesswissen mit einbezieht und zum anderen in der Lage ist experimentell be- stimmten Zusammenhänge in ihrer Komplexität adäquat abzubilden. Da bereits vorhandenes Prozesswissen üblicherweise nicht in einer Form vorliegt, das zur Modellierung genutzt werden kann, wird bei der Modellbildung des Drückens die Methode des Fallbasierten Schließens, auch Case-based Reasoning (CBR) genannt, eingesetzt, welche im folgenden Kapitel beschrieben wird. Das CBR verknüpft dabei über ein Ähnlichkeitsmodell Prozesswissen und adaptiert dieses als Rückführung ei- ner Qualitätsmerkmalsprognose an die neuen Bedingungen (Adaptionsmodell). 4.2 Methode des Fallbasierten Schließens – Case-based Reasoning Unter klassischen Expertensystemen versteht man im Allgemeinen wissensbasierte Systeme, die Wissen in Form von Wenn-dann-Regeln darstellen, so genannte regel- basierte Systeme. Hierbei wird das Wissen in gut verständlicher Weise dargestellt und lässt sich mit Hilfe der klassischen Logik adäquat verarbeiten. Die Regeln drü- cken dabei generisches Wissen aus, das aus einem speziellen, abgegrenzten Kontext abstrahiert wurde. Dies setzt jedoch einen klar strukturierten, gut verstandenen und vor allem formalisierbaren Problembereich voraus. Diese Problematik in der Wis- sensakquisition stellt das Hauptproblem regelbasierter Systeme dar [Lea96, BeKe00]. Häufig liegt Wissen jedoch nicht in formalisierter Form vor, sondern als Erfahrungs- wissen, das mit konkreten Randbedingungen verbunden ist. Hierauf baut das Case- based Reasoning auf. Hierbei liegt die primäre Wissensbasis in Form von gespeicher- ten Fällen vor, in denen situationsspezifische Erfahrungen gespeichert sind. Neue Probleme werden durch einen erinnerungsbasierten Prozess gelöst, indem relevante Fälle aus der Datenbasis herausgesucht werden und deren Lösung auf das neue Prob- lem übertragen werden. Beide Formen der Wissensverarbeitung, Regeln und Erfah- rungen, sind im menschlichen Verhalten wiederzufinden, wobei das CBR einen for- malisierten Ansatz darstellt, die Erfahrungskomponente im Rechner abzubilden [Lea96, BeKe00].
  • 51. Kapitel 4 - Methodische Grundlagen 31 4.2.1 Voraussetzungen für die Anwendung des CBR Das CBR beruht auf zwei grundsätzlichen Annahmen, die erfüllt sein sollten, um zu sinnvollen Ergebnissen der Methodik zu gelangen, [LeBa91, BeKe00]: 1. Ähnliche Probleme haben ähnliche Lösungen. Hierbei wird vorausgesetzt, dass bei vergleichbaren Problemstellungen nicht grundsätzlich andere Vorgehens- weisen erfolgen müssen, um zu einer Lösung zu gelangen. 2. Es existiert eine Zuordnungsmöglichkeit zu allgemeineren Problemtypen. Auch wenn die spezifische Problemstellung anders ist, so wiederholt sich doch der Typ der Aufgabenstellung, was genutzt wird, um bei einer Wiederholung der Problemlösung schnell zum Ergebnis zu kommen. Durch diese beiden Annahmen wird ein Basis geliefert, welche die Lösung komple- xer, schwer überschaubarer Problemfälle ermöglicht. Gerade in komplexen Situatio- nen sind diese Annahmen jedoch nicht immer streng erfüllt. Dennoch stellt das CBR dann oft den einzigen Zugang zu solchen Problemstellungen dar und kann als erster Schritt zur Annäherung an die Problemstellung genutzt werden [BeKe00]. In der Anwendung auf den Drückprozess besteht die Problemstellung in der Frage- stellung, wie die Einflussparameter des Drückprozesses eingestellt werden müssen, um eine spezifische Fertigungsaufgabe, bestimmt durch die Geometrie des Bauteils, den Werkstoff und die zugehörigen Anforderungen beschrieben durch die Qualitäts- merkmale des Bauteils, zu lösen. Die Lösung des Problems besteht dann aus dem Vektor der (optimierten) Prozessparameter. Für das Drücken scheint zunächst die ers- te Voraussetzung nicht erfüllt zu sein. In der Praxis der Drückteilefertigung kann immer wieder beobachtet werden, dass bei der Fertigung scheinbar ähnlicher Bauteile grundsätzlich andere Vorgehensweisen gewählt werden müssen, um zu einem guten Prozessergebnis zu gelangen. Die Untersuchungen im Rahmen dieser Arbeit haben jedoch gezeigt, dass dies in der Regel auf lokale Optima im Parameterraum des Pro- zesses zurückzuführen ist. Bei einer globaleren Betrachtung der Struktur des Parame- terraums konnte bislang keine Abweichung von der Annahme 1, dass ähnliche Prob- leme ähnliche Lösungen haben, festgestellt werden, so dass zunächst von der Gültig- keit der Annahme für die Optimierung des Drückprozesses ausgegangen wird. Die Ergebnisse dieser Untersuchungen sind in Kapitel 5.6.5 dargestellt. Voraussetzung 2 hingegen ist durch die Möglichkeit der Systematisierung von Bauteilgeometriefor- men, wie sie beispielsweise bei [KaSa89, Kaw89] dargestellt ist, gegeben. Ein ver- gleichbare Strukturierung ist auch für den Bauteilwerkstoff und die Qualitätsmerkma-
  • 52. 32 Kapitel 4 - Methodische Grundlagen le problemlos möglich. Hierdurch wird ein Rahmen zur Einordnung gegeben, in den die aktuelle Fertigungsaufgabe eingeordnet werden kann, was die Definition von Problemtypen ermöglicht. Ein Beispiel für einen zu lösenden Fertigungsaufgabentyp ist: Fertigungsaufgabentyp(1) = {Zylinder; niedriglegiertes Aluminium; hohe Maß- genauigkeit bzw. in allgemeiner Form: Fertigungsaufgabentyp(x) = {Geometrie; Werkstoff; Qualitätsanfor Gl. 4-1 derungen} Unter den dargestellten Annahmen bietet das CBR als pragmatischer Ansatz die Möglichkeit, auch in komplexen Situationen schnell Problemlösungen präsentieren zu können, auch wenn die Problemdomäne nur schwach strukturiert ist und unvoll- ständige und ungenaue Informationen vorliegen [BeKe00]. Diese Situation liegt im Fall der Drückprozessoptimierung vor. Im Folgenden soll näher auf die Struktur eines CBR-Systems eingegangen werden und der Zyklus dargestellt werden, der beim CBR durchlaufen wird. 4.2.2 Struktur des CBR-Systems und Prozess des Schließens Die allgemeine schematische Darstellung eines CBR-Systems und des Ablaufzyklus ist in Abbildung 4-3: gegeben [LeBa91, Aam94, Zen96, BeKe00, Pfu03]. Zentrales Element des CBR-Systems ist die Falldatensammlung bzw. Fallbasis. Die darin gespeicherten Fälle werden zunächst genutzt, um über die darin enthaltenen, bereits gelösten Fälle Lösungsmöglichkeiten für neue Probleme aufzuzeigen. Die so gefundenen Lösungen stellen Näherungslösungen dar, die noch weiter an die neuen Bedingungen angepasst werden müssen. Darüber hinaus liefern die Fälle auch einen Kontext, um die neue Aufgabe besser zu verstehen und über den Vergleich in den Gesamtzusammenhang einordnen zu können. Dieser Aspekt ist für das Verständnis der Vorgänge beim Drücken von besonderer Bedeutung. Die im Stand der Kenntnisse dargestellten Untersuchungen haben gezeigt, dass die beim Drücken beobachteten Zusammenhänge bereits gut beschrieben sind und zuverlässige Erklärungsansätze existieren. Jedoch fehlt nach wie vor die Einordnung in den Kontext des Gesamtsys- tems „Drückprozess“, was die Übertragung der Ergebnisse erheblich erschwert. Hier liefert das CBR einen leistungsfähigen Ansatz zur Lösung des Problems, indem ein einfach zu handhabender Kontext aufgebaut wird, in dem die lokal beobachteten Phänomene untereinander vernetzt werden. Diese Vernetzung erfolgt anhand eines
  • 53. Kapitel 4 - Methodische Grundlagen 33 Ähnlichkeitsmodells, das den Zusammenhang der Fälle untereinander beschreibt [BeKe00]. Abbildung 4-3: Struktur und Ablaufzyklus eines CBR-Systems [LeBa91, Aam94, Zen96, Be- Ke00, Pfu03]. Aus dieser Struktur ergibt sich der Grundzyklus des CBR, vgl. Abbildung 4-3: Retrieve (Fallselektion) – Reuse (Wiederverwendung des selektierten Falls) – Revise (Überprüfung der vorgeschlagenen Lösung) – Retain (Aufnahme des neuen Falls in die Fallbasis). Dieser (Grund-)Zyklus wird aufgrund der englischen Bezeichnungen auch als 4RE-Zyklus bezeichnet [Aam94, BeKe00, Pfu03]. Bei dem hier dargestellten System handelt es sich um ein problemlösendes CBR, bei dem auf der Basis eines ausgewählten Falls eine Lösung vorgeschlagen und adaptiert wird. Daneben gibt es das beispielsweise aus Diagnosesystemen oder der Hilfsfunkti- on der MICROSOFT WINDOWS Umgebung bekannte System des interpretativen CBR, bei dem Lösungen (Hilfestellungen) vorgeschlagen und begründet oder erläutert wer- den. Die Beschreibung des Problems definiert einen neuen Fall. Zu diesem Fall wird ein geeigneter, bereits abgespeicherter Fall aus der Fallbasis herausgesucht, Dieser wird mit dem neuen Fall anhand eines Kriteriums verglichen und die Lösung für das neue Problem wird generiert. Diese Lösung wird getestet bzw. überprüft und der letztlich gelöste Fall wird als neue Erfahrung in die Fallbasis aufgenommen [Aam94,
  • 54. 34 Kapitel 4 - Methodische Grundlagen BeKe00]. Im Folgenden wird auf die einzelnen Schritte des CBR-Zyklus näher ein- gegangen. 4.2.2.1 Schritt 1 - Retrieve Der Schritt des Suchens passender Fälle aus der Fallbasis untergliedert sich in zwei Einzelschritte. Zuerst wird die Fallbasis im Rahmen einer Grobsuche nach Fällen durchsucht, die überhaupt für eine Problemlösung in Frage kommen. Aus diesen vor- selektierten Fällen werden dann in einer Feinsuche die „besten“ Fälle herausgesucht. Die Beurteilung, ob ein Fall für die Problemlösung in Frage kommt, wird mit Hilfe eines Ähnlichkeitskriteriums gelöst, vgl. Kapitel 4.2.4. Das Ähnlichkeitskriterium stellt dabei eine quantitative Beurteilung der Vergleichbarkeit zweier Problemstel- lungen dar. Um einen Vergleich aber überhaupt durchführen zu können, wird nicht ein qualitativer Abgleich spezifischer Merkmale vorgenommen, sondern ein speziel- les Vokabular zur Fallbeschreibung eingeführt, das eine Indizierung der Fälle erlaubt, über die der Vergleich durchgeführt wird, vgl. Kapitel 4.2.3 [Aam94, BeKe00]. Die Beurteilung der Fallgüte erfolgt im einfachsten Fall ebenfalls über die Ausprägung des Ähnlichkeitskriteriums oder vergleichbarer, fortschrittlicher Kriterien wie der „Nützlichkeit“ (utility). Häufig wird dieser Prozess der Feinsuche jedoch vom An- wender selbst anhand intuitiv vorliegender Kriterien ausgeführt. Der Anwender be- kommt dann durch das System im Rahmen der Grobsuche nur Vorschläge unterbrei- tet, anhand derer der Experte weiter entscheidet [Aam94]. 4.2.2.2 Schritt 2 - Reuse Das Ergebnis des Retrieve-Schrittes als Auswahl eines Falls beinhaltet nicht nur die Auswahl einer vergleichbaren Problemstellung, sondern vor allem die Bereitstellung der zusammen mit der Problembeschreibung gespeicherten Informationen. Dies kön- nen sowohl erfolgreiche Lösungen sein, die im Schritt Reuse weiter verwendet wer- den, als auch warnende Beispiele, die vor Fehlern schützen können. Zudem ist die Bereitstellung auch nicht direkt verwendbarer Informationen, wie Kommentare, Gra- fiken und Ähnliches zur Erfassung und Beurteilung eines Problems möglich und hilf- reich. Ein ausgewählte Lösung wird in der Regel aufgrund einer mehr oder minder starken Abweichung der Problemstellung nicht direkt benutzt, sondern wird an das neue Problem adaptiert [Aam94, BeKe00]. Neben der Modellierung der Fallähnlichkeit
  • 55. Kapitel 4 - Methodische Grundlagen 35 stellt die Erstellung eines leistungsfähigen Adaptionsmodells die Hauptschwierigkeit bei der Erstellung eines CBR-Systems dar und ist nur mit fundiertem Expertenwissen möglich, vgl. Kapitel 4.2.5. 4.2.2.3 Schritt 3 - Revise Die im Schritt Reuse ermittelte Lösung wird nun vor der realen Anwendung noch einmal einer Revision unterzogen. Dazu wird die Fallbasis anhand der vorgeschlage- nen Lösung durchsucht und überprüft, ob in einer ähnlichen Situation die Lösung be- reits fehlgeschlagen ist. Ist dies der Fall, muss der gesamte Ablauf gegebenenfalls noch einmal neu gestartet werden, wobei festgelegt werden muss, wo eine Abwei- chung des Systemverhaltens notwendig ist [Aam94, BeKe00]. Erst dann erfolgt die Evaluation der Lösung am realen Problem. Das Ergebnis wird vom Experten beurteilt, was im einfachsten Fall durch die Zuordnung Er- folg/Fehlschlag geschieht. Das Resultat muss insbesondere im Fall eines Fehlschlags umfassend analysiert werden und wird ebenfalls in die Fallbeschreibung mit aufge- nommen [Aam94, BeKe00]. 4.2.2.4 Schritt 4 - Retain Nach der Beurteilung des Fallergebnisses steht ein neuer, vollständig beschriebener Fall zur Verfügung, der über die Indizierung in die Struktur der Fallbasis aufgenom- men werden kann. Die Leistungsfähigkeit des CBR-Systems ist in der Regel um sobesser, je größer die Fallbasis (der Erfahrungsumfang) ist. Die Suche in großen Fallbasen erfordert jedoch effiziente Algorithmen und eine besonders strukturierte Organisation der Fallbasis. Wesentlicher als der Umfang ist jedoch die Qualität der enthaltenen Fälle. Hierbei sind besonders repräsentative Fälle, so genannte seed cases, von besonderer Bedeu- tung [LeWi99, BeKe00]. Diese stellen Fälle mit einer umfassenden Gültigkeit für eine gesamte Problemklasse dar und sind zudem mit einer hohen Informationsdichte und hohen Qualität der zugeordneten Lösungen belegt. Mit Hilfe von seed cases ist somit auch die Arbeit mit einer relativ kleinen Fallbasis möglich. Kritisch in dem hier beschriebenen 4RE-Zyklus ist es, wenn neue Fälle nicht in die bestehende Indizierung einzuordnen sind, weil sich aufgrund eines Wissenszuwach- ses eine neue Indizierung ergibt, mit der die alten Fälle nicht abgeglichen wurden.
  • 56. 36 Kapitel 4 - Methodische Grundlagen Um die Qualität der Fallbasis zu beurteilen und zu erhalten und das hier beschriebene Problem der Retain-Phase zu lösen, wurde der 4R-Zyklus auf einen 6RE-Zyklus er- weitert, der als wesentliche Ergänzung eine Maintenance-Phase des Systems enthält, bei der ein neuer Fall erst nach erfolgreichem Durchlaufen der Maintenance-Schritte in die Fallbasis eingepflegt wird. Da dieses Konzept in der Realisierung eines CBR- Systems zur Drückprozessgestaltung nicht genutzt wird, sei an dieser Stelle nur auf entsprechende Fachliteratur verwiesen [RoIg01, Pfu03, Igl04]. Wie aus der Beschreibung des allgemeinen CBR-Zyklus ersichtlich ist, kann das Sys- tem je nach Umfang und Komplexität der Problemstellung angepasst werden und Zyklenschritte auslassen. Mit steigender Komplexität und abnehmender Strukturie- rung der Problemdomäne verfolgt der CBR-Ansatz weniger eine vollständige Auto- matisierung der Lösungsfindung als vielmehr eine zielgerichtete Unterstützung des Experten in der Lösungsfindung. Dieses Konzept wird auch bei der Realisierung des Systems für das Drücken verfolgt. Im Folgenden wird nun näher auf die drei zentralen Aspekte des CBR-Systems, die Fallindizierung, die Modellierung der Ähnlichkeit sowie die Falladaption eingegan- gen. 4.2.3 Fallrepräsentation und –indizierung Im Rahmen des CBR wird das verarbeitete Wissen durch einen Fall in einer operati- ven Art und Weise repräsentiert. Wesentlich ist, dass das Wissen in einem Kontext dargestellt wird. Dabei wird eine Erfahrung dokumentiert, die eine wesentliche Aus- sage im Hinblick auf definierte Ziele beinhaltet. Der Kontext bestimmt dabei die In- dizierung des Falls. Die Indizierung beinhaltet geeignete Schlüsselparameter, unter denen der Fall später selektiert werden kann [Aam94, BeKe00]. Im Allgemeinen setzt sich ein Fall zusammen aus einer Beschreibung des Problems bzw. einer Situation, einer Lösung und einem Resultat bzw. einer Beurteilung der Lösung. Die Darstellung eines Falls erhält damit die in Gl. 4-2 dargestellte allgemei- ne Form: Gl. 4-2 <Fall> = {Problembeschreibung; Lösung; Lösungsdiskussion} Die Problembeschreibung kann im Fall eines problemlösenden CBR-Systems bei- spielsweise aus den Komponenten Zielbeschreibung, Voraussetzungen und Randbe- dingungen sowie der eigentlichen Beschreibung der Situation bestehen. Die Formu-
  • 57. Kapitel 4 - Methodische Grundlagen 37 lierung des Ziels legt dabei in der Regel fest, wie die Beschreibung der Lösung struk- turiert ist. Die reine Formulierung der Lösung ist meist jedoch wenig nützlich, geht es um die Ableitung neuen Wissens durch Lernkonzepte. Auch die Darstellung der Lö- sungsschritte und Begründungen für das Vorgehen sind wesentlich. Dies ermöglicht beispielsweise das Abstrahieren strukturellen Wissens. Weiterhin kann die Lösung Hinweise enthalten, warum andere mögliche Lösungen nicht gewählt wurden. Somit sind alle Zusatzinformationen nützlich, die mit der Lösung verknüpft sind. Bei der Lösungsdiskussion steht die Beurteilung der Qualität der gefundenen Lösung im Vor- dergrund. Neben der Einordnung als Erfolg oder Fehlschlag gehören hierzu Aspekte wie eine Beschreibung des Ausgangs des Falls und Angaben über die Zielerfüllung. Fehlt die Komponente der Lösungsdiskussion, können nur erfolgreich gelöste Prob- leme in die Fallbasis aufgenommen werden. Durch eine Ergänzung der Lösungsdis- kussion ist jedoch zudem eine Warnung vor Fehlschlägen möglich [Aam94, Be- Ke00]. Insbesondere bei umfangreichen Lösungsräumen, wie sie auch beim Drück- prozess vorkommen, stellt dies einen wesentlichen Ansatz zur Effizienzsteigerung der Lösungsfindung dar. Hierdurch kann eine Eingrenzung des Lösungsraums nach Ausschlusskriterien vorgenommen werden. Deshalb wurde die konsequente Integra- tion warnender Beispiele im Rahmen der Drückprozessauslegung besonders berück- sichtigt, vgl. Kapitel 7.3. Die konkrete Darstellung dieser Informationen kann individuell gewählt werden und hängt von der zu lösenden Problemstellung ab. Um auf die umfangreichen Informati- onen der Fallrepräsentation effizient zugreifen zu können, wird eine Indizierung der Fälle vorgenommen. Dadurch wird sichergestellt, dass ein relevanter Fall bei der Su- che tatsächlich angesprochen wird. Dazu ist die Bereitstellung eines Indexvokabulars notwendig, das einen festen Rahmen für die Beurteilung und Klassifizierung von Fäl- len bereitstellt. Zum Indizieren sollen Konzepte verwendet werden, die der Termino- logie des abgebildeten Problemgebiets entsprechen und die Begriffe enthalten, die bei einer Fallselektion benutzt werden. Schwierig hierbei ist die richtige Balance zwi- schen hoher Abstraktion und konkreter, detaillierter Beschreibung von Einzelaspek- ten. Mit Hilfe dieses Indexvokabulars wird dann jeder Fall durch eine geeignete In- dex-Kombination gekennzeichnet [Aam94, BeKe00]. Die beschriebenen Modelle zur Repräsentation von Fällen in einer Fallbasis besitzen den gemeinsamen Nachteil, dass in der Regel eine eigene physische Fallbasiskompo- nente erforderlich ist. Eine systeminterne Fallbasis ist aber mit einer Reihe von Nachteilen verbunden. Aus diesem Grund wurde von Pfuhl [Pfu03] ein Ansatz zur
  • 58. 38 Kapitel 4 - Methodische Grundlagen Umsetzung in Relationalen Datenbanken verfolgt. Pfuhl realisiert dies am Beispiel einer strukturierten Suche in Wirtschaftsnachrichten. Für das CBR-System, wie es beim Drücken genutzt wird, ist hier durch die Struktu- rierung der Fertigungsaufgabe bereits eine Grundstruktur der Indizierung vorgegeben und enthält beispielsweise geometrische Aspekte, werkstoffseitige Aspekte, etc. Es sind jedoch insbesondere Fragestellungen interessant, wie bestimmte Indizierungsvo- kabeln beispielsweise durch die Definition von Kennwerten zu abstrakteren, aussage- kräftigeren Werten zusammengefasst werden können. Grundlage zur Beantwortung dieser Fragen sind die in Kapitel 5 dargestellten Untersuchungen. Ist die Indizierung der Fälle umgesetzt, kann eine effektive Fallsuche durchgeführt werden. 4.2.4 Ähnlichkeitsmaße Die Selektion geeigneter Fälle stellt die zentrale Aufgabe des CBR-Systems dar. Aufbauend auf der Grundannahme des CBRs – ähnliche Probleme haben ähnliche Lösungen – muss die Suche ähnlicher Fälle anhand eines Ähnlichkeitsmaßes oder Ähnlichkeitsmodells vorgenommen werden. Ähnlichkeit ist dabei kein absoluter Beg- riff, sondern ist relativ zum Kontext zu definieren. Notwendig ist hier eine operative Definition, die mit dem Zweck verknüpft ist, mit dem der Fall verbunden ist. Im Rahmen der Ähnlichkeitsdefinition sind nicht nur quantitative, sondern auch qualita- tive Aspekte zu vergleichen [BeKe00]. 4.2.4.1 Abstandsbasiertes Ähnlichkeitskonzept Ähnlichkeitsmaße berechnen nun einen numerischen Wert, der die Ähnlichkeit zwi- schen zwei Fällen ausdrückt. Diejenigen Fälle mit dem höchsten Ähnlichkeitswert werden schließlich selektiert und dem User präsentiert oder zur Falladaption weiter- geleitet. Grundlage zur Beschreibung der Ähnlichkeit ist die formale Repräsentation des Falls, wobei x das Tupel der Deskriptoren ist: Gl. 4-3 x = (x1, ..., xn) Die Berechnung der Ähnlichkeit erfolgt in der Regel als Abgleich der einzelnen Merkmale [BeKe00]: Gl. 4-4 SIM(x,y) = f(sim(x1,y1), ..., sim(xn,yn))