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FASZINATION
BLECH
Ein Material mit grenzenlosen Möglichkeiten
Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte, auch die der
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oder von Teilen daraus, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf ohne
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Die Autorin, der Herausgeber sowie der Verlag versichern, dass die
Inhalte dieses Buches gewissenhaft und sorgfältig auf Fehlerfreiheit
überprüft worden sind. Verlag, Herausgeber und Autorin schließen eine
Haftung aus, soweit gesetzlich zulässig.
IMPRESSUM
Herausgeber Dr. Nicola Leibinger-Kammüller, TRUMPF GmbH + Co. KG, Ditzingen
Autorin Gabriela Buchfink
Projektleitung Frank Neidhart, Gabriela Buchfink
Projektbegleitung Dr. Nicola Leibinger-Kammüller, Dr. Klaus Parey, Ingo Schnaitmann
Gestaltung und Umsetzung Felix Schramm, Karen Neumeister (SANSHINE GmbH, Stuttgart)
Lektorat Steffen Sommer (Wortfreunde GmbH, Stuttgart)
Drucktechnische Koordination J. F. Steinkopf Druck GmbH, Stuttgart
Druck Rösler Druck GmbH, Schorndorf
Veredelung Oskar Imberger & Söhne GmbH, Stuttgart
Verarbeitung Josef Spinner Großbuchbinderei GmbH, Ottersweier
Bildbearbeitung Reprotechnik Herzog GmbH, Stuttgart
Verlag Vogel Buchverlag, Würzburg
ISBN-13 978-3-8343-3051-2
ISBN-10 3-8343-3051-5
26
BLECHTEILE
GESTALTEN
28 | DAS ZEICHENBRETT HAT AUSGEDIENT
30 | DIE PROZESSKETTE BLECH
Abläufe verzahnen
Schritt für Schritt zum fertigen Teil
Daten im Fluss
34 | BEVOR DER KONSTRUKTEUR BEGINNT
Wann lohnt sich Blech?
Mit Strategie zu neuen Lösungen
36 | ENTSPANNT IM SPANNUNGSFELD
Funktionsgerecht konstruieren
Wirtschaftlich konstruieren
Fertigungsgerecht konstruieren
46 | KREATIV IM CYBERSPACE
BLECHTEILE GESTALTEN
27
28 | Blechteile gestalten 29
Pergamentpapier, Tuschezeichenstifte, Rasierklinge zum Radie-
ren, Zeichenbrett und viele DIN -Tabellen mit Normteilen – das
waren früher die wichtigsten Arbeitsutensilien der Konstruk-
teure. Blech ließ sich noch nicht so flexibel und vielseitig
bearbeiten. Deshalb wurden Teile oft aus vorgefertigten, nor-
mierten Einzelteilen aufgebaut.
In den letzten 25 Jahren hat sich das Arbeitsumfeld der
Konstrukteure komplett verändert. Blech lässt sich mit den
heutigen Fertigungsverfahren fast beliebig ausschneiden,
umformen, biegen und fügen. Galt es früher, eine Baugruppe
aus vielen einfachen Teilen zusammenzusetzen, so geht es
heute darum, möglichst wenige Einzelteile zu verwenden. Die
dürfen dafür auch sehr komplex sein.
Das Zeichenbrett als zentrales Arbeitsmittel ist schon
lange aus den Konstruktionsbüros verschwunden: Heute
modelliert der Konstrukteur das Blechteil gleich in der drei-
dimensionalen Ansicht am Bildschirm des Computers. Alle
weiteren Schritte – von der Abwicklung des Blechteils bis zur
Das Zeichenbrett hat ausgedient
Programmierung der Maschinen – übernimmt ebenfalls der
Computer. Selbst die Fertigung lässt sich im Büro simulieren,
mit Hilfe von Konstruktions- und Programmiersystemen. Meldet
das System Probleme, so passt der Konstrukteur das Teil
entsprechend an. Der elektronische Datenfluss schließt die
Kluft zwischen den Schnittstellen Konstruktion, Programmie-
rung und Fertigung. Der Konstrukteur steht heute wie damals
am Beginn einer Prozesskette, für deren reibungslosen Ablauf
er eine Schlüsselrolle innehat.
1 2
43
Das Ende der Weißkittel Das Bild des Konstrukteurs war lange Zeit
mit Vorbehalten behaftet. Konstrukteure galten als penibel, engstirnig
und perfektionistisch und waren durch ihre weißen Arbeitskittel leicht
zu erkennen. „Weißkittel“ nannte man sie deshalb. Dabei waren
Konstrukteure auch früher, was sie heute sind: erfinderische, kreative
Köpfe, die eine Menge Anforderungen erfüllen müssen.
HEISSE TELLER STEHEN AUF BLECH
„Was darf’s sein?“ „Nummer eins, Spaghetti Bolognese bitte.“
Mit leisem Klatschen landet die extragroße Portion Spaghetti
auf einem heißen Teller, wird mit Soße übergossen, mit Parme-
san bestreut und steht kurz danach vor Reinhold Portscheller
auf dem Tisch. Der freut sich nicht nur über die Spaghetti.
Als Konstrukteur bei der Rieber GmbH + Co. KG in Reutlingen
kennt er auch das Innenleben des Tellerspenders genau, aus
dem gerade eben der heiße Teller kam. Und er weiß: Das Blech-
teil, das die Teller trägt und gleichmäßig nach oben schiebt,
sah vor einiger Zeit noch ganz anders aus.
„Früher bestand das Trägerelement aus 7 Einzelteilen
mit insgesamt 39 Biegungen und vielen Schweißpunkten“,
erinnert sich Portscheller. Der Fertigungsaufwand war enorm.
Alle Einzelteile wurden getrennt hergestellt, zwischengela-
gert und schließlich verbunden. Allein die Vorrichtung fürs
Punktschweißen war laut Portscheller „ein echter Koloss“.
Kein Zweifel: Das Blechteil musste in der Fertigung dringend
abspecken. Verbesserte Funktion zu geringeren Herstell-
kosten, das war das Ziel, das Portscheller und seine Kolle-
gen mit auf den Weg bekamen. Um das Teil zu optimieren,
besuchte der Konstrukteur einen Workshop außer Haus.
„Das war eine gute Entscheidung“, meint Portscheller im
Nachhinein, „weil Kollegen aus anderen Firmen und Branchen
mit am Tisch saßen. Wir waren alle offen, unser Wissen auszu-
tauschen, und gingen die Sache ohne Scheuklappen an.“
Anstatt das Teil nur stückweise zu verändern, begannen die
Workshopteilnehmer ganz von vorn. Ist die sechseckige Form
nötig? Das war die entscheidende Frage, die zur jetzigen
Lösung führte.
Heute präsentiert sich das Blechteil mit einer dreieckigen Grund-
fläche. „Die 7 Einzelteile haben wir auf 2 reduziert. Außerdem
kommen wir jetzt mit nur noch 7 Biegungen und wenigen
Schweißpunkten aus“, berichtet Portscheller und lächelt. Die
neue Lösung bietet noch mehr.
„Die Teller fahren noch gleichmäßiger nach oben, das Teil sieht
ansprechender aus und unsere Herstellungskosten sind deutlich
gesunken“, erläutert er. Zum Laserschneiden, Biegen und Punkt-
schweißen brauchen Portschellers Kollegen jetzt viel weniger
Zeit als früher. Außerdem müssen sie die Einzelteile nicht mehr
zwischenlagern. Das spart zusätzlich Platz und Zeit. Eine Erfolgs-
geschichte also? „Ja, in der Tat“, bestätigt der Konstrukteur,
bevor er sich endlich dem Mittagessen widmet.
1 Konstruieren am Zeichenbrett
2 Konstruieren in 3D am Computer
3 Einfaches Blechteil
4 Komplexes Blechteil
Der Tellerspender hält heiße Teller zum Servieren bereit.
Sie stehen auf einem optimierten Trägerelement aus Blech.
30 | Blechteile gestalten
Die Prozesskette Blech
ABLÄUFE VERZAHNEN
Von der Idee zum fertigen Teil – damit lässt sich die Pro-
zesskette Blech in wenigen Worten zusammenfassen. Das
Ziel jedes Unternehmens lautet, hochwertige Teile schnell
und kostengünstig zu fertigen. Dazu müssen die einzelnen
Prozessschritte genau aufeinander abgestimmt werden.
Das beginnt schon in der Konstruktion: Sieht der Konstruk-
teur beispielsweise runde Stanzlöcher im Blechteil vor, so
wird er nach Möglichkeit nur die Durchmesser verwenden,
für die bereits passende Werkzeuge vorhanden sind. Auch
in der Fertigung genügt es nicht, die Stanzmaschine schneller
laufen zu lassen, wenn vor der Abkantpresse bereits ein
Berg von Platinen liegt und der Programmierer noch dabei
ist, die Maschine zu programmieren. Vielmehr gilt es, die ein-
zelnen Abläufe so zu verzahnen, dass sie reibungslos inein-
ander greifen. Wer sich dieser Herausforderung schon in der
Unternehmensorganisation und in der technischen Infrastruk-
tur stellt, ist auch für eilige Aufträge gerüstet. Ein Kunde, der
am Montag 500 Blechwinkel für Donnerstagabend ordert, löst
dann lediglich einen weiteren Lauf durch die Prozesskette
aus und keinen Wettlauf mit der Zeit.
SCHRITT FÜR SCHRITT ZUM FERTIGEN TEIL
Zwischen der Bestellung und der Auslieferung eines Teils
liegen mehrere Prozessschritte, die sich wiederum in einzelne
Aufgaben unterteilen lassen:
• Konstruktion
• Programmierung
• Fertigung (Flachbearbeitung, Biegen, Fügen)
• Endbearbeitung
Konstruktion Programmierung Flachbearbeitung
Konstruktion | Genau genommen beginnt die Konstruktion
nicht mit der Idee für ein Teil oder eine Baugruppe, sondern
mit der Beschreibung der Funktionen, die das Teil oder die
Baugruppe erfüllen muss. Sie werden im so genannten
Pflichtenheft zusammengefasst.
Davon ausgehend entwickelt der Konstrukteur mehrere
erste Ideen, wie das Teil aussehen könnte, und skizziert diese
auf Papier. Häufig arbeiten mehrere Kollegen zusammen und
entwickeln eine Fülle von Entwürfen. Oft nutzen sie Papier-
modelle, um zu sehen, welcher Entwurf zur optimalen Lösung
führt. Diesen Entwurf zeichnet der Konstrukteur im Konstruk-
tionssystem. Während er das Teil modelliert, entsteht auf
dem Bildschirm die dreidimensionale Form. Auch Material-,
Werkzeug- und Maschinendaten lassen sich bereits berück-
sichtigen. Anhand dieser Daten kann das System prüfen, ob
sich das Teil fertigen lässt.
Konstruktionsskizze
Ideen werden zunächst von Hand zu Papier gebracht.
Biegen Fügen Endbearbeitung
31
32 | Blechteile gestalten 33
Häufige Probleme sind:
• Fehlende Werkzeuge | Wenn beispielsweise ovale
Stanzlöcher vorgesehen sind, aber nur kreisförmige
Stanzwerkzeuge vorhanden sind.
• Überlappungen | Wenn sich Blechflächen in der
Abwicklung des Teils überlappen.
• Kollisionen beim Biegen | Das Werkstück stößt beim
Biegen mit Maschine oder Werkzeug zusammen.
• Zu kurze Biegeschenkel | Die Biegekante liegt zu
nahe am Rand des Werkstücks, so dass der Schenkel
beim Biegen in die Matrize rutscht.
• Durchbrüche zu nahe an der Biegekante | Wenn bei-
spielsweise Löcher so nahe an der Biegekante liegen,
dass sie beim Biegen verformt werden.
Diese und weitere Probleme erkennt das Programm und warnt
den Konstrukteur. Am Bildschirm entwirft der Konstrukteur das
dreidimensionale Endprodukt. Die Produktion startet jedoch
mit der flachen Blechtafel. Deshalb endet der Prozessschritt
Konstruktion damit, dass das virtuelle, dreidimensionale Blech-
teil am Bildschirm abgewickelt, sprich: auseinander gefaltet
wird. Die so genannte Abwicklung zeigt das flache Blechteil,
wie es aus der Tafel geschnitten oder gestanzt wird. Löcher,
Umformungen und Biegekanten sind ebenfalls bereits ent-
halten. Die notwendigen Daten werden an das Programmier-
system weitergeleitet.
Programmierung | Auf Basis der Abwicklung erstellt der
Programmierer die NC-Programme für alle Maschinen, an
denen das Teil bearbeitet wird. NC-Programme sagen der
Maschine, welche Arbeitsschritte sie ausführen muss, um
ein Teil zu fertigen. Sie werden heute nicht mehr manuell
programmiert, sondern halbautomatisch erstellt. Das leisten
Programmiersysteme, die Maschine und Werkzeuge genau
kennen. Der Programmierer kann Bearbeitungsstrategien
wählen, Werkzeuge bestimmen und Parameter optimieren.
Das NC-Programm wird dann mit einem weiteren Mausklick
direkt vom Programmiersystem generiert.
Programmiersysteme legen die optimale Bearbeitungsfolge
fest und erzeugen fehlerfreie NC-Programme. Früher konnte
man Fehler nur durch einen Testlauf mit einem Probeteil
feststellen. Heute kann man sicher sein, dass der NC-Code
keine Tippfehler oder unzulässigen Befehlsfolgen enthält, die
zum Programmabbruch führen.
Fertigung | Jedes Teil durchläuft in der Fertigung mehrere
Stationen. Der erste Fertigungsschritt ist immer die Flach-
bearbeitung. Aus der Blechtafel werden Platinen ausgestanzt
oder mit dem Laser ausgeschnitten. Dann werden die Platinen
an der Gesenkbiegepresse gebogen. Bei Baugruppen verbindet1
Dünnes Blech kann stark sein Hohe Strommasten trotzen Orkanen mit
Windgeschwindigkeiten von über 120 Stundenkilometern, obwohl sie nur
aus jeder Menge Blech mit einer Dicke von einigen Millimetern bestehen.
Das liegt an ihrer Konstruktion. Viele Verstrebungen machen sie stabil.
man anschließend die einzelnen Blechteile miteinander. Um
schnell und kostengünstig produzieren zu können, gilt es, mit
möglichst wenigen Fertigungsschritten zur endgültigen Form
zu kommen. Dies erreicht man zum einen durch konstruktive
Maßnahmen, indem man beispielsweise alle Konturen und
Umformungen so wählt, dass sie an der Stanzmaschine her-
gestellt werden können.
Zum anderen gibt es Maschinen, die Fertigungsverfahren
kombinieren. Mit Stanz-Laser-Maschinen lassen sich kom-
plexe Konturen fertigen, die nur mit dem Laser geschnitten
werden können und gleichzeitig Umformungen einbringen.
Endbearbeitung | Wenn Blechteile aus der Fertigung kom-
men, ist das Blech selbst noch im Rohzustand. Man sieht
jeden Kratzer, sieht Schweißnähte oder Schmutz. Die Endbe-
arbeitung umfasst alle Arbeitsschritte, die jetzt noch nötig
sind, um das Teil fertig zu stellen.
Typische Verfahren sind:
• Verputzen von Schweißkanten
• Härten
• Beschichten
• Beschriften
• Lackieren
Auch die Endbearbeitung soll so schnell wie möglich gehen.
Durch konstruktive Maßnahmen lassen sich beispielsweise
die Verputzarbeiten für Schweißkanten reduzieren.
DATEN IM FLUSS
Mittlerweile ist die IT-Infrastruktur auch in der Blechfertigung
zum Schlüsselfaktor für die Produktivität von Mensch und
Maschine geworden. Ohne den elektronischen Datenfluss
zwischen allen am Gesamtprozess Beteiligten ginge nichts
mehr: Im Warenwirtschafts- oder Produktionsplanungssystem
wird ein Auftrag erfasst und angelegt. Mit dem Konstruktions-
system modelliert der Konstrukteur das Blechteil. Die Daten
gehen ein in das Programmiersystem, mit dem die Programme
für die Fertigung erstellt werden. Ist der Auftrag erledigt, muss
der Einkauf unter Umständen Material nachbestellen, und die
Buchhaltung verschickt die Rechnung.
Dieser Gesamtprozess läuft nur dann reibungslos, wenn
jeder in seinem Arbeitsschritt die notwendigen Daten findet
und mit ihnen arbeiten kann. Für den Konstrukteur heißt
das dann zum Beispiel, dass er während des Entwurfs auf
Maschinen-, Technologie- und Werkzeugdaten zurückgreifen
kann. Außerdem lässt sich die Konstruktion bis zu einem
gewissen Grad standardisieren. Bei ähnlichen Blechteilen
greift der Konstrukteur auf bestehende Entwürfe zurück und
passt sie nur noch entsprechend an.
1 Ebene Platine und gebogenes Teil
2 Für die Flachbearbeitung: Stanz-Laser-Maschine mit Lager
2
34 | Blechteile gestalten 35
WANN LOHNT SICH BLECH?
Für Unternehmen stellt sich oft die Frage, wann es sich denn
lohnt, Blechteile einzusetzen. Die Antwort lautet: öfter, als
man denkt. Klassische Blechteile sind Abdeckungen und
Verkleidungen, Halter und Winkel, Wannen und Profile sowie
Maschinenbauteile, die besonders leicht sein müssen, damit
man sie sehr schnell bewegen kann. In diesen Fällen liegt
die Entscheidung für Blech klar auf der Hand. Immer häufiger
werden Blechteile jedoch auch da eingesetzt, wo bisher
andere Fertigungsverfahren eingesetzt wurden.
Bevor der Konstrukteur beginnt
Blechteile ersetzen beispielsweise:
• Gussteile, die aus flüssigem Metall gegossen werden,
zum Beispiel Heizkörper.
• Frästeile, die aus einem massiven Metallblock
herausgearbeitet werden, zum Beispiel Halter mit
vielen Löchern und Gewinden.
• Gesenkschmiedeteile, die aus glühenden Metallblöcken
in eine Form gepresst werden, zum Beispiel die Klaue,
die im Getriebe die Verbindung zwischen den einzelnen
Gängen herstellt. Statt sie zu schmieden, schweißt man
zwei Schalen aus Blech zu einem Hohlkörper zusammen.
Dafür gibt es zwei Gründe. Die Fertigungsverfahren, mit denen
Blech bearbeitet wird, sind heute so genau, dass man die
geforderten Toleranzen erreicht. Darüber hinaus hat sich der
Werkstoff Stahl verteuert. Massive Teile, die aus dem Vollen
gearbeitet werden, erfordern viel Material und werden daher
ebenfalls teurer. Unternehmen suchen aus Kostengründen
nach Alternativen und landen beim Blech.
Für Blech sprechen das Gewicht, der Preis und die Flexi-
bilität, mit der es bearbeitet werden kann. Blechteile sind auch
besser verfügbar: Ein Blechteil ist beispielsweise wesentlich
schneller hergestellt als ein Gussteil, bei dem zuerst das
Modell und eine Form gefertigt werden müssen, bevor das
erste Teil produziert werden kann.
Ein wesentlicher Faktor ist dabei jedoch die Stückzahl:
Bei kleinen bis mittleren Losgrößen ist Blech günstiger. Bei
Stückzahlen über 100 000 Teile sind Gussteile meist wieder
günstiger und auch schneller hergestellt. Letztlich gilt es, alle
Faktoren gegenüberzustellen und von Teil zu Teil abzuwägen,
ob Blech die günstigere Variante ist und qualitativ gleich-
oder höherwertige Lösungen bietet.2
1
Ob ein Blechteil als Ersatz für ein massives Teil in Frage kommt,
sollte man immer dann prüfen, wenn ein Teil
• von Grund auf neu entwickelt wird
• oder ein bestehendes Teil verändert werden soll, das
bisher aus dem vollen Material herausgearbeitet wurde.
Doch auch wenn ein Teil schon aus Blech besteht, kann man
durch eine Optimierung Kosten sparen. Wenn sich Einzelteile
zusammenfassen lassen, ist das insgesamt meist günstiger.
Vor allem bei Standardteilen, die in großen Stückzahlen her-
gestellt werden, summieren sich kleine Sparbeträge.
MIT STRATEGIE ZU NEUEN LÖSUNGEN
Neu und intelligent soll die Lösung sein, günstiger und dazu
qualitativ hochwertiger als bisher. Mit diesen Forderungen ist
der Konstrukteur konfrontiert. Doch wie erfüllt er sie? Drei
Strategien helfen weiter. Die erste lautet: immer neu anfangen.
Sie gilt auch dann, wenn ein bestehendes Teil nur optimiert
werden soll. Das öffnet den Kopf für neue Gedanken und
unkonventionelle Lösungen. Zweitens: von der Funktion aus-
gehen, nicht davon, wie das Teil jetzt aussieht und gefertigt
ist. Damit bleiben nur die Elemente übrig, die auch gebraucht
werden. Und drittens: Gemeinsam ist man schneller! Denn
die entscheidenden Impulse und Ideen entstehen oft in
Gesprächen mit Kollegen.
Da Blech ein sehr flexibler Werkstoff ist, lassen sich sehr
unterschiedliche Lösungen entwickeln. Vielleicht darf die Kante
ja anderswo sitzen, das Loch eine andere Form haben und
der 90-Grad-Winkel auch ein 120-Grad-Winkel sein. Schon
mit kleinen Variationen lassen sich Fertigungsprobleme ganz
einfach umgehen. Die optimale Lösung entsteht meistens
aus einer Mischung von genialem Einfall, geduldigem Auspro-
bieren und handfesten Regeln.
1 Gehäuse sind typische Blechteile.
2 Der Laser schneidet auch Konturen in tiefgezogene Bleche.
3 Multi-Layer-Technik: Aus Platinen entsteht ein komplexes Bauteil.
3
Multi-Layer-Technik Blech wird massiv, wenn man viele Lagen über-
einander schichtet und die Flächen miteinander verbindet. Diese Technik
nutzt man für Teile mit komplexen Formen im Inneren. Dabei bearbeitet
man jedes flache Blechteil zunächst einzeln. Die fertigen Teile werden
übereinander geschichtet und im Vakuumofen miteinander verlötet.
Funktionstüchtige Teile zu geringen Kosten, bei möglichst
kurzen Fertigungszeiten – dieser Anspruch richtet sich an
jeden Blechfertiger. Der Konstrukteur muss all diesen Forde-
rungen gerecht werden. Strategien und Faustregeln helfen
ihm dabei.
FUNKTIONSGERECHT KONSTRUIEREN
Jedes Blechteil hat eine bestimmte Aufgabe oder wird für
einen bestimmten Zweck verwendet. Zum Beispiel muss es
ein anderes Teil stützen, Maschinenelemente abdecken oder
sich sehr schnell bewegen lassen. Funktionsgerecht konstru-
ieren heißt, das Teil so zu gestalten, dass es seine Aufgabe
Entspannt im Spannungsfeld
und seinen Verwendungszweck erfüllen kann. Dabei muss
der Konstrukteur die Eigenschaften des Werkstoffes Blech
genau kennen und berücksichtigen.
Blech hat Vorzüge: Es wiegt weniger als der massive
Metallblock und lässt sich gut verformen. Dafür ist Blech
aber auch weniger stabil und steif. Wenn es falsch oder zu
stark belastet wird, kann es durchbiegen und knicken. Mit
konstruktiven Maßnahmen lässt es sich jedoch steifer und
stabiler machen. Neben der Belastbarkeit spielt in vielen Fällen
auch das Aussehen eine Rolle. Besonders Abdeckungen und
Verkleidungen müssen von außen makellos sein. Dafür kennen
Konstrukteure ebenfalls Tricks.
Kräfte verteilt einleiten | Wo eine große Kraft auf eine
ungünstige Stelle oder eine zu kleine Fläche drückt, kann
sich das Blechteil verformen. Deshalb gestaltet man es so,
dass die einwirkende Kraft auf mehrere Stellen verteilt wird.
Damit reduziert sich die Kraft, die auf jede einzelne Stelle
wirkt. Ist die Belastung dann immer noch zu groß, stützt man
die Stellen ab, zum Beispiel mit Verstrebungen.
Zug- statt Druckkraft | Lange Bauteile mit schmalen Quer-
schnitten können leicht knicken oder ausbeulen, wenn sie
auf Druck belastet werden. Das liegt daran, dass Kraft und
Gegenkraft im Blech aufeinander treffen. Die gleichen Bau-
teile bleiben jedoch stabil, wenn sie auf Zug belastet werden,
weil der Kraftfluss dann günstiger ist. Deshalb gestaltet man
Baugruppen so, dass Bauteile mit schmalen Querschnitten
auf Zug statt auf Druck belastet werden.
Unterschiedliche Dicken | Je dicker ein Blech ist, desto
stärker kann es belastet werden, bevor es sich verformt. Wer
also mehr Stabilität braucht, kann einfach ein dickeres Blech
verwenden. Mit zunehmender Blechdicke erhöht sich aller-
dings auch das Gewicht. Großflächige Teile müssen oft leicht
sein und werden nur an wenigen Stellen stark beansprucht.
Deshalb erhöht man genau an diesen Stellen die Blechdicke.
In der Großserienfertigung kann man auf so genannte
Tailored Blanks zurückgreifen. Sie bestehen aus unterschied-
lichen Blechstücken, die zu einer Blechtafel verschweißt
sind. Dicke und teure Materialen werden nur an den Stellen
verwendet, an denen sie auch tatsächlich notwendig sind.
Für kleine und mittlere Stückzahlen lohnt es sich nicht,
Tailored Blanks fertigen zu lassen. Hier geht man einen anderen
Weg: Wo das Blechteil dicker sein soll, wird lediglich ein zweites
Blech als Verstärkung aufgeschweißt.
Eine große Kraft, die punktuell wirkt, verformt das Blech. Deshalb wird sie
verteilt eingeleitet. Die Einleitepunkte werden zusätzlich abgestützt.
Wird ein langes Bauteil auf Druck belastet, besteht die Gefahr, dass
es ausknickt. Günstiger ist es, das Bauteil auf Zug zu belasten.
„Oft kennen Konstrukteure gar nicht alle Möglichkeiten, die Blech bietet.
Deshalb zeige ich in Workshops viele Beispielteile, Tipps und Tricks.
Viele Teilnehmer sind erstaunt, wenn sie hören, dass sich ein 10 Millimeter
dickes Blech problemlos schneiden und biegen lässt. Andere sind von
komplexen Blechteilen begeistert. Normalerweise geht jeder mit seinem
ganz persönlichen Aha-Erlebnis in den Arbeitsalltag zurück.“
Jörg Heusel, Konstruktion
Im Spannungsfeld: Der Konstrukteur muss unterschiedlichen Forderungen gerecht werden.
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3736 | Blechteile gestalten
38 | Blechteile gestalten 39
Stabilität durch Umformen | Umformungen sind das
gängigste Mittel, um Blech stabiler zu machen. Bei dünnen
Blechdosen sorgen beispielsweise die umlaufenden Rillen
dafür, dass die Dose stabil bleibt. Der Fachmann spricht
jedoch nicht von Rillen, sondern von Sicken. Sicken können
unterschiedlich geformt sein. Sie machen nicht nur Dosen
stabil. Man findet sie auch in Autos oder in Regalwinkeln
1 Umlaufende Sicken verstärken Dosen.
2 Knicke verstärken Kanalwände.
Kantenvarianten
Kanten werden stabiler, wenn man sie abkantet, falzt oder sie an den Ecken verbindet.
aus dem Baumarkt. Großflächige Blechteile, wie beispiels-
weise Kanalwände, werden durch kreuzweise Knicke in der
Fläche stabiler. Sie beulen dann nicht so schnell aus und sind
gleichzeitig schwingfester. Mehr Stabilität lässt sich auch
erreichen, indem der Rand des Blechteils umgeformt wird.
Oft genügt es dazu schon, den Rand einfach abzukanten
oder zu falzen.
1 2
Querschnitte schließen | Geschlossene Blechkörper sind
wesentlich stabiler als offene. Dies gilt besonders dann, wenn
sie auf Torsion belastet, sprich: verdreht werden. Kastenartige
Formen sollten daher immer geschlossen werden, zum Beispiel
indem man die Kanten zusammenschweißt.
Verbundkonstruktionen | Rippen, Stäbe, Verstrebungen
und Versteifungsbleche machen Teile aus dünnem Blech
ebenfalls stabiler. Bei offenen Kästen aus Profilen (Rohre mit
beliebigem Querschnitt), wie man sie etwa im Messebau findet,
setzt man häufig Eck- oder Mittelbleche ein. Blechteile mit
einem großen Volumen werden in regelmäßigen Abständen
mit Rippen versteift.
Sichtkanten von innen fügen | Wenn Blechteile von
außen makellos erscheinen sollen, dürfen keine Bearbeitungs-
spuren zu sehen sein. Problematisch sind vor allem Sichtkanten,
die von außen geschweißt werden. Damit sie nicht von Hand
verputzt werden müssen, wählt man ein Verfahren, das sehr
saubere Nähte erzeugt, zum Beispiel WIG-Schweißen bei
Edelstahl oder Laserschweißen. Die Alternative besteht darin,
die Kanten von innen zu schweißen. Dazu formt man die Blech-
ränder so um, dass die Schweißnaht innen liegt.
Zug Die Kräfte weisen voneinander weg und dehnen das Teil.
Eck- oder Mittelbleche verstärken offene Kästen aus Profilen.
Druck Die Kräfte weisen aufeinander zu und stauchen das Teil.
Torsion Die Kräfte weisen aneinander vorbei und verdrehen das Teil.
Biegung Die Kraft weist in eine Richtung und verbiegt das Teil.
„Vollkommenheit entsteht nicht dann, wenn man nichts mehr hinzuzufügen
hat, sondern dann, wenn man nichts mehr wegnehmen kann.“
Antoine de Saint-Exupéry
WIRTSCHAFTLICH KONSTRUIEREN
Wie viel ein Blechteil kosten darf, ist zu Beginn einer Kon-
struktion festgelegt. Natürlich soll es möglichst günstig sein.
Es gibt zwei Strategien, das zu erreichen: Man kann beim
Material sparen oder in der Fertigung. Wirtschaftlich ist aber
nicht gleichzusetzen mit billig. Das Ziel heißt vielmehr, die
Produktionsfaktoren Materialart, Materialverbrauch, Zeit, Ma-
schinen und Werkzeuge optimal zu nutzen.
Da die Produktionsfaktoren sich gegenseitig beeinflussen,
wirkt sich eine Maßnahme häufig auch mehrfach positiv aus.
Verringert man beispielsweise die Einzelteile einer Baugruppe,
so verbraucht man weniger Material und spart gleichzeitig
Zeit in der Fertigung. Für wirtschaftliches Konstruieren haben
sich folgende Maßnahmen bewährt:
Geringe Blechdicke wählen | Beim Material lässt sich
sparen, indem man eine möglichst geringe Blechdicke wählt.
Damit reduzieren sich nicht nur die Materialkosten, sondern
auch das Gewicht des Blechteils und die Fertigungszeit.
Gleiche Blechdicke wählen | Bei Baugruppen sollten die
Einzelteile – wenn möglich – gleich dick sein, damit man sie
in einem Arbeitsgang aus einer Blechtafel fertigen kann. In
der Flachbearbeitung verarbeitet man dann eine Blechtafel im
Ganzen, statt mehrere Blechtafeln anzubrechen. Besonders
wichtig ist dies für kleine Blechfertiger, die jeden Auftrag einzeln
abwickeln. Denn Einkauf und Lagerung werden einfacher, und
Transportwege zwischen Lager und Maschine reduzieren sich.
Darüber hinaus verkürzen sich die Rüstzeiten der Maschine.
Möglichst gut verschachtelbar | Alles was übrig bleibt,
wenn die Teile aus der Tafel herausgestanzt oder -geschnitten
sind, ist Abfall. Dazu gehören das Restgitter, das zwischen
den Teilen stehen bleibt, und die Ausschnitte, sprich: die
Öffnungen innerhalb der Teile. Wie eng sich später die Teile
auf der Blechtafel schachteln lassen, kann der Konstrukteur
beeinflussen, indem er die Teile entsprechend gestaltet. In
größere Ausschnitte lassen sich eventuell noch kleinere
Teile hineinlegen. Oder die Vergrößerung einer Ausklinkung
in der Außenkontur bewirkt, dass sich Teile enger ineinan-
der verschachteln lassen. Teile mit geraden Konturen können
direkt aneinander gelegt und mit einem gemeinsamen Schnitt
getrennt werden. Das reduziert den Abfall ebenfalls.
Diese Maßnahmen lohnen sich besonders, wenn Teile in
großen Stückzahlen hergestellt werden oder wenn die Bau-
teile von Blechbaugruppen in Teilesätzen gefertigt werden.
Gleiches Teil für mehrere Funktionen | In vielen Fällen
lässt sich ein Blechteil so gestalten, dass es zwei oder mehr
Funktionen erfüllen kann. Oft sind dafür nur zusätzliche
Löcher oder größere Aussparungen notwendig. Die Vorteile:
Man erreicht größere Stückzahlen und benötigt nur einen
Lagerplatz.
„Was nicht da ist, kostet nix. Das gilt vor allem für die Blechdicke und
die Zahl der Einzelteile, aus denen sich ein Werkstück zusammensetzt.“
Lutz Hartmann, Konstruktion
Abfall konstruktiv verringern: Je enger sich die Teile verschachteln lassen,
desto besser wird die Blechtafel genutzt.
Möglichst wenige Einzelteile | Grundsätzlich sollten Bau-
gruppen besser aus wenigen komplexen als aus vielen
einfachen Einzelteilen bestehen. Denn Fügeprozesse sind
meist sehr zeitaufwendig. Mit den heutigen Fertigungsver-
fahren und Programmiersystemen lassen sich auch komplexe
Einzelteile problemlos herstellen.
Abkanten statt schweißen | Jeder Schweißvorgang kos-
tet Zeit und birgt die Gefahr, dass sich das Werkstück durch
die Hitze verzieht. Deshalb sollte man immer prüfen, ob sich
ein angesetztes Teil durch eine abgekantete Fläche ersetzen
lässt. Neben dem Schweißen entfallen dann auch alle Vor-
arbeiten wie Anordnen, Ausrichten und Festspannen der Teile.
Verputzarbeiten reduzieren | Verputzarbeiten lassen sich
reduzieren, indem man Schweißnähte ganz einspart, sie von
innen schweißt oder die Kanten so gestaltet, dass sie beim
Schweißen glatt verlaufen. Neue Fertigungsverfahren wie
beispielsweise das Laserschweißen reduzieren die Verputz-
arbeiten ebenfalls.
1 Die Sichtkanten dieser Haube sind lasergeschweißt. Die Schweißnähte
werden so sauber und glatt, dass Verputzarbeiten entfallen.
Statt schweißen: Laschen abkanten und Seitenteile durch Buckel fixieren, die in Löcher einrasten.
1
4140 | Blechteile gestalten
43
FERTIGUNGSGERECHT KONSTRUIEREN
Neben Funktion und Kosten muss der Konstrukteur auch die
Fertigung im Auge behalten, wenn er ein Teil entwirft. Hierfür
gibt es ebenfalls einige Strategien, die sich immer wieder
anwenden lassen.
Biegezonen freischneiden | Beim Biegen wird das Blech
an der Innenseite der Kante gestaucht. Das überschüssige
Material drückt an den Enden der Kante nach außen und
kann zu Ungenauigkeiten führen. Um das zu vermeiden, setzt
man kleine Aussparungen an die Kantenenden und schafft
damit Platz für die Verformung. Man spricht dabei vom Frei-
schneiden der Biegezonen.
Biegezonen schneidet man häufig frei, egal ob zwei Kanten
an einer Ecke zusammenstoßen oder ob eine Lasche aus einer
Blechfläche nach oben gebogen wird. Man erhält dadurch
bessere Ecken und hat einen größeren Spielraum beim Aus-
wählen und Anordnen der Biegewerkzeuge.
Um Biegezonen freizuschneiden, gibt es einige Möglichkeiten:
Mit der Stanzmaschine stanzt man runde Löcher am Beginn
und am Ende der Biegekante. Mit dem Laser können auch
komplexere Ausrundungen geschnitten werden. Damit bilden
sich beim Biegen noch schönere Ecken.
Vorhandene Werkzeuge nutzen | Besonders bei kleinen
und mittleren Stückzahlen lohnt es sich für ein Unternehmen
nicht, neue Werkzeuge anzuschaffen. Meist ist es auch nicht
nötig. Denn für viele Formen und Funktionen gibt es mehrere
Alternativen. Für den Konstrukteur gilt es also diejenige zu
finden, die mit den vorhandenen Werkzeugen auskommt.
Beispiel Lüftungsöffnungen in einem PC-Gehäuse: Mit
einer Stanzmaschine, bei der sich das Werkzeug drehen kann,
lässt sich ein einfaches Langloch sternförmig anordnen. Eine
Alternative wäre, die Lüftungsschlitze mit einem Kiemenwerk-
zeug zu fertigen oder kleine Quadrate aneinander zu setzen.
Positionier- und Fügehilfen verwenden | Nach links
oder nach rechts, wohin gehört dieses Teil? Die Frage lässt
sich vermeiden, wenn man Teile so konstruiert, dass sie nur in
einer Art und Weise zusammenpassen. Dazu verwendet man
Löcher und Zapfen, mit denen Teile ineinander gesteckt werden.
Biegezonen werden freigeschnitten, damit sich schönere Ecken bilden.
1
Gleichzeitig reduzieren Fügehilfen die Vorarbeit, wenn bei-
spielsweise geschweißt werden muss. Statt mehrere Teile
mit Hilfe einer Vorrichtung zu positionieren und zu spannen,
steckt man sie zunächst ineinander. Die Schweißvorrichtung
benötigt man nun nur noch zum Spannen. Deshalb kann sie
einfacher gestaltet sein.
Microjoints anwenden | Die Idee der Microjoints entstand
zunächst beim Laserschneiden. Microjoints sind dünne Stege,
die zwischen Werkstück und Blechtafel stehen bleiben. Sie
halten das Werkstück in der Blechtafel, damit es nicht kippen
kann. Wenn die Tafel komplett bearbeitet ist, werden die
Werkstücke von Hand herausgedrückt.
Microjoints lassen sich aber auch anders einsetzen: zum
Beispiel als Fertigungshilfe bei kleinen Winkeln. Dazu bleiben
die Zuschnitte mit Microjoints verbunden, werden gemein-
sam abgekantet und danach von Hand getrennt. Ein anderes
Beispiel: Biegungen, bei denen es nicht auf die Genauigkeit
ankommt, können von Hand gemacht werden, wenn man
entlang der Biegekante Microjoints setzt.
Alles an der Stanzmaschine | Wenn massive Teile durch
Blechteile ersetzt werden, entstehen oft Lösungen, bei denen
immer noch spanende Fertigungsverfahren eingesetzt werden
müssen. Löcher werden da noch gebohrt, und Gewinde werden
geschnitten. Die wirtschaftlichste Lösung ist allerdings erst
dann erreicht, wenn man ganz ohne die spanende Bearbeitung
auskommt, zum Beispiel durch spanloses Gewindeformen an
der Stanzmaschine.
Über die Fertigung hinausdenken | Das eigentliche
Leben eines Blechteils beginnt erst nach der Fertigung. Daher
sollte der Konstrukteur auch Aspekte wie Transport, Lage-
rung, Montage und Demontage berücksichtigen. Teile, die in
großen Stückzahlen transportiert und gelagert werden müssen,
sollte man beispielsweise so gestalten, dass sie sich Platz
sparend ineinander stapeln lassen.
1 Gehäuse mit verschiedenen Lüftungsschlitzen
2 Microjoints: Dünne Stege halten die gestanzten Teile im Restgitter.
Fügehilfe inklusive: Es gibt nur eine Möglichkeit, die Teile zu verbinden.
2
42 | Blechteile gestalten
44 | Blechteile gestalten
Fertigung simulieren | Mit vielen Konstruktions- und Pro-
grammiersystemen lässt sich die Fertigung am Computer
simulieren. Der Konstrukteur kann damit beliebig oft testen,
ob sich das Blechteil fertigen lässt und wo Probleme auf-
treten könnten. Besonders bei komplexen Teilen kommt man
nicht mehr ohne die Simulation im Vorfeld aus.
Nutzt man diese Möglichkeit, so kann sich auch der Kollege
in der Fertigung sicher sein, dass er nicht mehr mehrere
Stunden an der Maschine stehen und am Probeteil den
optimalen Fertigungsablauf herausfinden muss. Sein Chef
wird es ebenfalls gerne sehen, wenn die Maschine produziert,
anstatt erst stundenlang Testläufe zu absolvieren.
Erfahrung zur Routine machen | Wer über längere Zeit
hinweg als Konstrukteur in einem Unternehmen arbeitet, greift
bei jeder neuen Aufgabe auf seine persönlichen Erfahrungen
zurück. Aus Gesprächen mit seinen Fertigungskollegen kennt
er erreichbare Toleranzen sowie erprobte Lochabstände, Rand-
abstände, Schenkellängen und Biegeradien. Damit dieses
Wissen auch von anderen genutzt werden kann, sollte es doku-
mentiert werden. Am besten direkt im Konstruktionssystem.
Die Erfahrung eines Einzelnen wird dann zur Routine, die Unter-
nehmensstandards sichert.
DIE 5 WEGE ZUM BLECHWINKEL
Konstruktion ist eine Kunst. Sie besteht darin, viele Tricks zu
kennen und sie im richtigen Moment anzuwenden. Blech ist so
vielseitig und die Teile sind oft so komplex, dass Konstrukteure
nicht sofort die vorhandenen Möglichkeiten erkennen. Jörg
Heusel, Konstrukteur und Seminarleiter bei der TRUMPF Werk-
zeugmaschinen GmbH + Co. KG in Ditzingen, kennt diese
Herausforderung. Er leitet Workshops, in denen die Teilnehmer
neue Lösungen für ihre bestehenden Teile suchen. „Meine
Kursteilnehmer fragen häufig, ob ich nicht die vielen Möglich-
keiten an einem einfachen Beispiel zeigen könnte“, berichtet
er. Er zeigt dann immer die 5 Wege zum Blechwinkel. Blechwin-
kel sitzen immer dort, wo 2 Flächen aufeinander treffen. Sie
halten die Flächen und übernehmen zusätzlich eine stützende
Funktion, wenn eine Fläche stark belastet wird. Wenn der
Winkel dabei sehr belastet wird, muss er verstärkt werden.
Dafür gibt es ganz unterschiedliche Möglichkeiten.
Weg 1 | Mit Querrippe Der erste Ansatz, den Blechwinkel
stabiler zu machen, besteht darin, eine Querrippe mittig ein-
zuschweißen. Die Fertigungsbilanz: 2 Teile müssen gestanzt
oder lasergeschnitten werden; der Winkel wird gebogen, die
Querrippe positioniert und an 2 Nähten festgeschweißt. Wie
kommen wir zu einer besseren Lösung?
Weg 2 | Fügehilfen verwenden Die erste Idee lautet: Posi-
tionier- und Schweißarbeiten reduzieren. Dazu bekommt die
Querrippe 2 Zapfen und der Winkel 2 rechteckige Löcher. Jetzt
steckt man Winkel und Querrippe ineinander und schweißt die
Fügestellen von außen an 2 Punkten fest.
1 Virtueller Blick in die Fertigung: Die Bewegungen des Laserschneid-
kopfes werden am Computer simuliert.
1
Weg 3 | Nur ein Teil Zwei Teile bedeuten meist mehr Aufwand
als eines, weil sie häufig getrennt gefertigt und dann zwischen-
gelagert werden. Also reduzieren wir auf ein Teil. 2 Stützflä-
chen an den Seiten des Winkels ersetzen nun die Querrippe.
Natürlich verfügen auch sie wieder über die Fügehilfen für
das Schweißen. Der Winkel wird wieder gestanzt oder laser-
geschnitten, anschließend dreimal abgekantet und schließlich
an den Seiten verschweißt. Der Fertigungsaufwand ist noch
nicht entscheidend reduziert. Der Winkel ist dafür sehr stabil.
Weg 4 | Um die Ecke gedacht Doch was tun, wenn die Rippe
unbedingt in der Mitte sitzen muss? Wir denken um die Ecke
und finden eine Lösung, in der die Rippe über 2 Kantungen
an ihre Position kommt. Sie wird dann ebenfalls mit Hilfe
eines Zapfens am Winkel fixiert. Es bleibt bei einem Teil mit
3 Kantungen. Die Rippe wird nur noch an einem einzigen
Punkt angeschweißt.
Weg 5 | Funktion hinterfragen Blicken wir noch einmal
zurück auf die Funktion des Blechwinkels. Er muss stabil
sein und stützen können. Braucht er dazu überhaupt eine
Querrippe? Oder genügt nicht auch eine einfache Quersicke?
Wenn eine Quersicke genügt, bietet sich folgende Lösung an:
Aus der Blechtafel stanzen oder schneiden wir die rechtecki-
gen Teile. Anschließend werden Kante und Sicke in einem
Biegevorgang gefertigt. Damit erreichen wir nicht nur die
kürzeste Fertigungszeit, die Teile lassen sich auch noch Platz
sparend stapeln und lagern.
3
Aus einem Stück: Seitenflä-
chen ersetzen die Querrippe.
4
Mit 3 Kantungen wird die
Rippe ums Eck gebogen.
5
Nur einmal Abkanten – mit
Quersicke statt Querrippe
1
Winkel mit aufgeschweißter
Querrippe als Verstärkung
2
Die Querrippe bekommt
Zapfen als Fügehilfe.
45
Kreativ im Cyberspace
Arbeitswelt im Wandel | Die Arbeitswelt der Konstruk-
teure verändert sich ständig: Mit jedem neuen Werkstoff, mit
jedem neuen Werkzeug und mit jedem neuen Fertigungs-
verfahren erweitern sich die Gestaltungsmöglichkeiten für
Blechteile. Mit jeder neuen Konstruktionssoftware und durch
den virtuellen Raum verändert sich die Arbeitsweise beim
Modellieren und Präsentieren eines Teils. Bis das Neue be-
kannt ist und genutzt wird, vergehen jedoch meist Jahre.
Viele Unternehmer bedauern, dass das Konstruieren mit
Blech in den einschlägigen Studiengängen nur als Randthema
behandelt wird und daher zu kurz kommt. An dieser Stelle
setzen Workshops und Weiterbildungsmaßnahmen an.
Der virtuelle Raum | In einigen Firmen wird der virtuelle
Raum bereits eingesetzt, um Entwürfe zu präsentieren und sie
zu verändern. Dabei wird das Bild eines Teils mit mehreren
Beamern auf mehrere Leinwände projiziert. Als Betrachter
trägt man eine spezielle Brille, durch die ein dreidimensio-
nales Bild aus den einzelnen Bildern entsteht. Ein ähnliches
Prinzip wird auch im 3D-Kino benutzt. In der Automobilindus-
trie projiziert man beispielsweise einen kompletten Fahrzeug-
innenraum um einen Fahrersitz herum. Damit lässt sich virtuell
erfahren, ob die Elemente zusammenpassen oder das Lenk-
rad an der richtigen Stelle sitzt. Was nicht passt, lässt sich
intuitiv verschieben.
Auch Maschinenbauer nutzen den virtuellen Raum, um
Baugruppen oder ganze Maschinen zu präsentieren und den
Entwurf abteilungsübergreifend zu diskutieren.
Wenn sich die Technik weiter vereinfacht und die Kosten
sinken, wird sich der virtuelle Raum weiter verbreiten. Für das
Entwerfen eines Teils wird jedoch das Konstruktionssystem
wichtiger bleiben als der virtuelle Raum, weil die Hauptarbeit
darin besteht, das Teil zu zeichnen.
Vollautomatisch konstruieren? | Die menschliche Krea-
tivität wird sich – trotz aller computertechnischer Raffines-
sen – auch in Zukunft nicht durch ein Programm ersetzen
lassen. Konstruktionssysteme werden lediglich das Mittel
bleiben, mit dem der Konstrukteur seinen Entwurf immer
komfortabler modellieren und besser aufbereiten kann.
Dabei werden die Datenschnittstellen zwischen Warenwirt-
schaftssystem, Konstruktionssystem und Programmiersystem
immer weiter optimiert werden. Das eigentliche Ziel und
Wesen der Konstruktion wird sich nicht verändern: Lösungen
finden, die sich nur kreative, ganzheitlich denkende Menschen
ausdenken können.1
Virtueller Raum oder Cave Hinter diesen Schlagworten verbirgt sich
komplexe Computer- und Projektionstechnik: Über mehrere Beamer
wird das Bild eines Teils an Projektionswände geworfen. Die Besucher
der Cave tragen spezielle Brillen. Damit sehen sie keine einzelnen
Bilder, sondern ein dreidimensionales Bild. Kameras beobachten die
Position des Betrachters. Bewegt er sich, so verändert sich das Bild:
Er kann durch das Teil hindurchgehen, es von innen, von oben und
von unten betrachten.
1, 2 Im Konstruktionsstadium und doch schon real erfahrbar:
Entwickler besprechen ihre Entwürfe im virtuellen Raum.
2
4746 | Blechteile gestalten

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  • 1. FASZINATION BLECH Ein Material mit grenzenlosen Möglichkeiten
  • 2. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte, auch die der Übersetzung, des Nachdrucks und der Vervielfältigung des Buches oder von Teilen daraus, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf ohne schriftliche Genehmigung des Herausgebers in irgendeiner Form reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden. Die Autorin, der Herausgeber sowie der Verlag versichern, dass die Inhalte dieses Buches gewissenhaft und sorgfältig auf Fehlerfreiheit überprüft worden sind. Verlag, Herausgeber und Autorin schließen eine Haftung aus, soweit gesetzlich zulässig. IMPRESSUM Herausgeber Dr. Nicola Leibinger-Kammüller, TRUMPF GmbH + Co. KG, Ditzingen Autorin Gabriela Buchfink Projektleitung Frank Neidhart, Gabriela Buchfink Projektbegleitung Dr. Nicola Leibinger-Kammüller, Dr. Klaus Parey, Ingo Schnaitmann Gestaltung und Umsetzung Felix Schramm, Karen Neumeister (SANSHINE GmbH, Stuttgart) Lektorat Steffen Sommer (Wortfreunde GmbH, Stuttgart) Drucktechnische Koordination J. F. Steinkopf Druck GmbH, Stuttgart Druck Rösler Druck GmbH, Schorndorf Veredelung Oskar Imberger & Söhne GmbH, Stuttgart Verarbeitung Josef Spinner Großbuchbinderei GmbH, Ottersweier Bildbearbeitung Reprotechnik Herzog GmbH, Stuttgart Verlag Vogel Buchverlag, Würzburg ISBN-13 978-3-8343-3051-2 ISBN-10 3-8343-3051-5
  • 3. 26 BLECHTEILE GESTALTEN 28 | DAS ZEICHENBRETT HAT AUSGEDIENT 30 | DIE PROZESSKETTE BLECH Abläufe verzahnen Schritt für Schritt zum fertigen Teil Daten im Fluss 34 | BEVOR DER KONSTRUKTEUR BEGINNT Wann lohnt sich Blech? Mit Strategie zu neuen Lösungen 36 | ENTSPANNT IM SPANNUNGSFELD Funktionsgerecht konstruieren Wirtschaftlich konstruieren Fertigungsgerecht konstruieren 46 | KREATIV IM CYBERSPACE BLECHTEILE GESTALTEN 27
  • 4. 28 | Blechteile gestalten 29 Pergamentpapier, Tuschezeichenstifte, Rasierklinge zum Radie- ren, Zeichenbrett und viele DIN -Tabellen mit Normteilen – das waren früher die wichtigsten Arbeitsutensilien der Konstruk- teure. Blech ließ sich noch nicht so flexibel und vielseitig bearbeiten. Deshalb wurden Teile oft aus vorgefertigten, nor- mierten Einzelteilen aufgebaut. In den letzten 25 Jahren hat sich das Arbeitsumfeld der Konstrukteure komplett verändert. Blech lässt sich mit den heutigen Fertigungsverfahren fast beliebig ausschneiden, umformen, biegen und fügen. Galt es früher, eine Baugruppe aus vielen einfachen Teilen zusammenzusetzen, so geht es heute darum, möglichst wenige Einzelteile zu verwenden. Die dürfen dafür auch sehr komplex sein. Das Zeichenbrett als zentrales Arbeitsmittel ist schon lange aus den Konstruktionsbüros verschwunden: Heute modelliert der Konstrukteur das Blechteil gleich in der drei- dimensionalen Ansicht am Bildschirm des Computers. Alle weiteren Schritte – von der Abwicklung des Blechteils bis zur Das Zeichenbrett hat ausgedient Programmierung der Maschinen – übernimmt ebenfalls der Computer. Selbst die Fertigung lässt sich im Büro simulieren, mit Hilfe von Konstruktions- und Programmiersystemen. Meldet das System Probleme, so passt der Konstrukteur das Teil entsprechend an. Der elektronische Datenfluss schließt die Kluft zwischen den Schnittstellen Konstruktion, Programmie- rung und Fertigung. Der Konstrukteur steht heute wie damals am Beginn einer Prozesskette, für deren reibungslosen Ablauf er eine Schlüsselrolle innehat. 1 2 43 Das Ende der Weißkittel Das Bild des Konstrukteurs war lange Zeit mit Vorbehalten behaftet. Konstrukteure galten als penibel, engstirnig und perfektionistisch und waren durch ihre weißen Arbeitskittel leicht zu erkennen. „Weißkittel“ nannte man sie deshalb. Dabei waren Konstrukteure auch früher, was sie heute sind: erfinderische, kreative Köpfe, die eine Menge Anforderungen erfüllen müssen. HEISSE TELLER STEHEN AUF BLECH „Was darf’s sein?“ „Nummer eins, Spaghetti Bolognese bitte.“ Mit leisem Klatschen landet die extragroße Portion Spaghetti auf einem heißen Teller, wird mit Soße übergossen, mit Parme- san bestreut und steht kurz danach vor Reinhold Portscheller auf dem Tisch. Der freut sich nicht nur über die Spaghetti. Als Konstrukteur bei der Rieber GmbH + Co. KG in Reutlingen kennt er auch das Innenleben des Tellerspenders genau, aus dem gerade eben der heiße Teller kam. Und er weiß: Das Blech- teil, das die Teller trägt und gleichmäßig nach oben schiebt, sah vor einiger Zeit noch ganz anders aus. „Früher bestand das Trägerelement aus 7 Einzelteilen mit insgesamt 39 Biegungen und vielen Schweißpunkten“, erinnert sich Portscheller. Der Fertigungsaufwand war enorm. Alle Einzelteile wurden getrennt hergestellt, zwischengela- gert und schließlich verbunden. Allein die Vorrichtung fürs Punktschweißen war laut Portscheller „ein echter Koloss“. Kein Zweifel: Das Blechteil musste in der Fertigung dringend abspecken. Verbesserte Funktion zu geringeren Herstell- kosten, das war das Ziel, das Portscheller und seine Kolle- gen mit auf den Weg bekamen. Um das Teil zu optimieren, besuchte der Konstrukteur einen Workshop außer Haus. „Das war eine gute Entscheidung“, meint Portscheller im Nachhinein, „weil Kollegen aus anderen Firmen und Branchen mit am Tisch saßen. Wir waren alle offen, unser Wissen auszu- tauschen, und gingen die Sache ohne Scheuklappen an.“ Anstatt das Teil nur stückweise zu verändern, begannen die Workshopteilnehmer ganz von vorn. Ist die sechseckige Form nötig? Das war die entscheidende Frage, die zur jetzigen Lösung führte. Heute präsentiert sich das Blechteil mit einer dreieckigen Grund- fläche. „Die 7 Einzelteile haben wir auf 2 reduziert. Außerdem kommen wir jetzt mit nur noch 7 Biegungen und wenigen Schweißpunkten aus“, berichtet Portscheller und lächelt. Die neue Lösung bietet noch mehr. „Die Teller fahren noch gleichmäßiger nach oben, das Teil sieht ansprechender aus und unsere Herstellungskosten sind deutlich gesunken“, erläutert er. Zum Laserschneiden, Biegen und Punkt- schweißen brauchen Portschellers Kollegen jetzt viel weniger Zeit als früher. Außerdem müssen sie die Einzelteile nicht mehr zwischenlagern. Das spart zusätzlich Platz und Zeit. Eine Erfolgs- geschichte also? „Ja, in der Tat“, bestätigt der Konstrukteur, bevor er sich endlich dem Mittagessen widmet. 1 Konstruieren am Zeichenbrett 2 Konstruieren in 3D am Computer 3 Einfaches Blechteil 4 Komplexes Blechteil Der Tellerspender hält heiße Teller zum Servieren bereit. Sie stehen auf einem optimierten Trägerelement aus Blech.
  • 5. 30 | Blechteile gestalten Die Prozesskette Blech ABLÄUFE VERZAHNEN Von der Idee zum fertigen Teil – damit lässt sich die Pro- zesskette Blech in wenigen Worten zusammenfassen. Das Ziel jedes Unternehmens lautet, hochwertige Teile schnell und kostengünstig zu fertigen. Dazu müssen die einzelnen Prozessschritte genau aufeinander abgestimmt werden. Das beginnt schon in der Konstruktion: Sieht der Konstruk- teur beispielsweise runde Stanzlöcher im Blechteil vor, so wird er nach Möglichkeit nur die Durchmesser verwenden, für die bereits passende Werkzeuge vorhanden sind. Auch in der Fertigung genügt es nicht, die Stanzmaschine schneller laufen zu lassen, wenn vor der Abkantpresse bereits ein Berg von Platinen liegt und der Programmierer noch dabei ist, die Maschine zu programmieren. Vielmehr gilt es, die ein- zelnen Abläufe so zu verzahnen, dass sie reibungslos inein- ander greifen. Wer sich dieser Herausforderung schon in der Unternehmensorganisation und in der technischen Infrastruk- tur stellt, ist auch für eilige Aufträge gerüstet. Ein Kunde, der am Montag 500 Blechwinkel für Donnerstagabend ordert, löst dann lediglich einen weiteren Lauf durch die Prozesskette aus und keinen Wettlauf mit der Zeit. SCHRITT FÜR SCHRITT ZUM FERTIGEN TEIL Zwischen der Bestellung und der Auslieferung eines Teils liegen mehrere Prozessschritte, die sich wiederum in einzelne Aufgaben unterteilen lassen: • Konstruktion • Programmierung • Fertigung (Flachbearbeitung, Biegen, Fügen) • Endbearbeitung Konstruktion Programmierung Flachbearbeitung Konstruktion | Genau genommen beginnt die Konstruktion nicht mit der Idee für ein Teil oder eine Baugruppe, sondern mit der Beschreibung der Funktionen, die das Teil oder die Baugruppe erfüllen muss. Sie werden im so genannten Pflichtenheft zusammengefasst. Davon ausgehend entwickelt der Konstrukteur mehrere erste Ideen, wie das Teil aussehen könnte, und skizziert diese auf Papier. Häufig arbeiten mehrere Kollegen zusammen und entwickeln eine Fülle von Entwürfen. Oft nutzen sie Papier- modelle, um zu sehen, welcher Entwurf zur optimalen Lösung führt. Diesen Entwurf zeichnet der Konstrukteur im Konstruk- tionssystem. Während er das Teil modelliert, entsteht auf dem Bildschirm die dreidimensionale Form. Auch Material-, Werkzeug- und Maschinendaten lassen sich bereits berück- sichtigen. Anhand dieser Daten kann das System prüfen, ob sich das Teil fertigen lässt. Konstruktionsskizze Ideen werden zunächst von Hand zu Papier gebracht. Biegen Fügen Endbearbeitung 31
  • 6. 32 | Blechteile gestalten 33 Häufige Probleme sind: • Fehlende Werkzeuge | Wenn beispielsweise ovale Stanzlöcher vorgesehen sind, aber nur kreisförmige Stanzwerkzeuge vorhanden sind. • Überlappungen | Wenn sich Blechflächen in der Abwicklung des Teils überlappen. • Kollisionen beim Biegen | Das Werkstück stößt beim Biegen mit Maschine oder Werkzeug zusammen. • Zu kurze Biegeschenkel | Die Biegekante liegt zu nahe am Rand des Werkstücks, so dass der Schenkel beim Biegen in die Matrize rutscht. • Durchbrüche zu nahe an der Biegekante | Wenn bei- spielsweise Löcher so nahe an der Biegekante liegen, dass sie beim Biegen verformt werden. Diese und weitere Probleme erkennt das Programm und warnt den Konstrukteur. Am Bildschirm entwirft der Konstrukteur das dreidimensionale Endprodukt. Die Produktion startet jedoch mit der flachen Blechtafel. Deshalb endet der Prozessschritt Konstruktion damit, dass das virtuelle, dreidimensionale Blech- teil am Bildschirm abgewickelt, sprich: auseinander gefaltet wird. Die so genannte Abwicklung zeigt das flache Blechteil, wie es aus der Tafel geschnitten oder gestanzt wird. Löcher, Umformungen und Biegekanten sind ebenfalls bereits ent- halten. Die notwendigen Daten werden an das Programmier- system weitergeleitet. Programmierung | Auf Basis der Abwicklung erstellt der Programmierer die NC-Programme für alle Maschinen, an denen das Teil bearbeitet wird. NC-Programme sagen der Maschine, welche Arbeitsschritte sie ausführen muss, um ein Teil zu fertigen. Sie werden heute nicht mehr manuell programmiert, sondern halbautomatisch erstellt. Das leisten Programmiersysteme, die Maschine und Werkzeuge genau kennen. Der Programmierer kann Bearbeitungsstrategien wählen, Werkzeuge bestimmen und Parameter optimieren. Das NC-Programm wird dann mit einem weiteren Mausklick direkt vom Programmiersystem generiert. Programmiersysteme legen die optimale Bearbeitungsfolge fest und erzeugen fehlerfreie NC-Programme. Früher konnte man Fehler nur durch einen Testlauf mit einem Probeteil feststellen. Heute kann man sicher sein, dass der NC-Code keine Tippfehler oder unzulässigen Befehlsfolgen enthält, die zum Programmabbruch führen. Fertigung | Jedes Teil durchläuft in der Fertigung mehrere Stationen. Der erste Fertigungsschritt ist immer die Flach- bearbeitung. Aus der Blechtafel werden Platinen ausgestanzt oder mit dem Laser ausgeschnitten. Dann werden die Platinen an der Gesenkbiegepresse gebogen. Bei Baugruppen verbindet1 Dünnes Blech kann stark sein Hohe Strommasten trotzen Orkanen mit Windgeschwindigkeiten von über 120 Stundenkilometern, obwohl sie nur aus jeder Menge Blech mit einer Dicke von einigen Millimetern bestehen. Das liegt an ihrer Konstruktion. Viele Verstrebungen machen sie stabil. man anschließend die einzelnen Blechteile miteinander. Um schnell und kostengünstig produzieren zu können, gilt es, mit möglichst wenigen Fertigungsschritten zur endgültigen Form zu kommen. Dies erreicht man zum einen durch konstruktive Maßnahmen, indem man beispielsweise alle Konturen und Umformungen so wählt, dass sie an der Stanzmaschine her- gestellt werden können. Zum anderen gibt es Maschinen, die Fertigungsverfahren kombinieren. Mit Stanz-Laser-Maschinen lassen sich kom- plexe Konturen fertigen, die nur mit dem Laser geschnitten werden können und gleichzeitig Umformungen einbringen. Endbearbeitung | Wenn Blechteile aus der Fertigung kom- men, ist das Blech selbst noch im Rohzustand. Man sieht jeden Kratzer, sieht Schweißnähte oder Schmutz. Die Endbe- arbeitung umfasst alle Arbeitsschritte, die jetzt noch nötig sind, um das Teil fertig zu stellen. Typische Verfahren sind: • Verputzen von Schweißkanten • Härten • Beschichten • Beschriften • Lackieren Auch die Endbearbeitung soll so schnell wie möglich gehen. Durch konstruktive Maßnahmen lassen sich beispielsweise die Verputzarbeiten für Schweißkanten reduzieren. DATEN IM FLUSS Mittlerweile ist die IT-Infrastruktur auch in der Blechfertigung zum Schlüsselfaktor für die Produktivität von Mensch und Maschine geworden. Ohne den elektronischen Datenfluss zwischen allen am Gesamtprozess Beteiligten ginge nichts mehr: Im Warenwirtschafts- oder Produktionsplanungssystem wird ein Auftrag erfasst und angelegt. Mit dem Konstruktions- system modelliert der Konstrukteur das Blechteil. Die Daten gehen ein in das Programmiersystem, mit dem die Programme für die Fertigung erstellt werden. Ist der Auftrag erledigt, muss der Einkauf unter Umständen Material nachbestellen, und die Buchhaltung verschickt die Rechnung. Dieser Gesamtprozess läuft nur dann reibungslos, wenn jeder in seinem Arbeitsschritt die notwendigen Daten findet und mit ihnen arbeiten kann. Für den Konstrukteur heißt das dann zum Beispiel, dass er während des Entwurfs auf Maschinen-, Technologie- und Werkzeugdaten zurückgreifen kann. Außerdem lässt sich die Konstruktion bis zu einem gewissen Grad standardisieren. Bei ähnlichen Blechteilen greift der Konstrukteur auf bestehende Entwürfe zurück und passt sie nur noch entsprechend an. 1 Ebene Platine und gebogenes Teil 2 Für die Flachbearbeitung: Stanz-Laser-Maschine mit Lager 2
  • 7. 34 | Blechteile gestalten 35 WANN LOHNT SICH BLECH? Für Unternehmen stellt sich oft die Frage, wann es sich denn lohnt, Blechteile einzusetzen. Die Antwort lautet: öfter, als man denkt. Klassische Blechteile sind Abdeckungen und Verkleidungen, Halter und Winkel, Wannen und Profile sowie Maschinenbauteile, die besonders leicht sein müssen, damit man sie sehr schnell bewegen kann. In diesen Fällen liegt die Entscheidung für Blech klar auf der Hand. Immer häufiger werden Blechteile jedoch auch da eingesetzt, wo bisher andere Fertigungsverfahren eingesetzt wurden. Bevor der Konstrukteur beginnt Blechteile ersetzen beispielsweise: • Gussteile, die aus flüssigem Metall gegossen werden, zum Beispiel Heizkörper. • Frästeile, die aus einem massiven Metallblock herausgearbeitet werden, zum Beispiel Halter mit vielen Löchern und Gewinden. • Gesenkschmiedeteile, die aus glühenden Metallblöcken in eine Form gepresst werden, zum Beispiel die Klaue, die im Getriebe die Verbindung zwischen den einzelnen Gängen herstellt. Statt sie zu schmieden, schweißt man zwei Schalen aus Blech zu einem Hohlkörper zusammen. Dafür gibt es zwei Gründe. Die Fertigungsverfahren, mit denen Blech bearbeitet wird, sind heute so genau, dass man die geforderten Toleranzen erreicht. Darüber hinaus hat sich der Werkstoff Stahl verteuert. Massive Teile, die aus dem Vollen gearbeitet werden, erfordern viel Material und werden daher ebenfalls teurer. Unternehmen suchen aus Kostengründen nach Alternativen und landen beim Blech. Für Blech sprechen das Gewicht, der Preis und die Flexi- bilität, mit der es bearbeitet werden kann. Blechteile sind auch besser verfügbar: Ein Blechteil ist beispielsweise wesentlich schneller hergestellt als ein Gussteil, bei dem zuerst das Modell und eine Form gefertigt werden müssen, bevor das erste Teil produziert werden kann. Ein wesentlicher Faktor ist dabei jedoch die Stückzahl: Bei kleinen bis mittleren Losgrößen ist Blech günstiger. Bei Stückzahlen über 100 000 Teile sind Gussteile meist wieder günstiger und auch schneller hergestellt. Letztlich gilt es, alle Faktoren gegenüberzustellen und von Teil zu Teil abzuwägen, ob Blech die günstigere Variante ist und qualitativ gleich- oder höherwertige Lösungen bietet.2 1 Ob ein Blechteil als Ersatz für ein massives Teil in Frage kommt, sollte man immer dann prüfen, wenn ein Teil • von Grund auf neu entwickelt wird • oder ein bestehendes Teil verändert werden soll, das bisher aus dem vollen Material herausgearbeitet wurde. Doch auch wenn ein Teil schon aus Blech besteht, kann man durch eine Optimierung Kosten sparen. Wenn sich Einzelteile zusammenfassen lassen, ist das insgesamt meist günstiger. Vor allem bei Standardteilen, die in großen Stückzahlen her- gestellt werden, summieren sich kleine Sparbeträge. MIT STRATEGIE ZU NEUEN LÖSUNGEN Neu und intelligent soll die Lösung sein, günstiger und dazu qualitativ hochwertiger als bisher. Mit diesen Forderungen ist der Konstrukteur konfrontiert. Doch wie erfüllt er sie? Drei Strategien helfen weiter. Die erste lautet: immer neu anfangen. Sie gilt auch dann, wenn ein bestehendes Teil nur optimiert werden soll. Das öffnet den Kopf für neue Gedanken und unkonventionelle Lösungen. Zweitens: von der Funktion aus- gehen, nicht davon, wie das Teil jetzt aussieht und gefertigt ist. Damit bleiben nur die Elemente übrig, die auch gebraucht werden. Und drittens: Gemeinsam ist man schneller! Denn die entscheidenden Impulse und Ideen entstehen oft in Gesprächen mit Kollegen. Da Blech ein sehr flexibler Werkstoff ist, lassen sich sehr unterschiedliche Lösungen entwickeln. Vielleicht darf die Kante ja anderswo sitzen, das Loch eine andere Form haben und der 90-Grad-Winkel auch ein 120-Grad-Winkel sein. Schon mit kleinen Variationen lassen sich Fertigungsprobleme ganz einfach umgehen. Die optimale Lösung entsteht meistens aus einer Mischung von genialem Einfall, geduldigem Auspro- bieren und handfesten Regeln. 1 Gehäuse sind typische Blechteile. 2 Der Laser schneidet auch Konturen in tiefgezogene Bleche. 3 Multi-Layer-Technik: Aus Platinen entsteht ein komplexes Bauteil. 3 Multi-Layer-Technik Blech wird massiv, wenn man viele Lagen über- einander schichtet und die Flächen miteinander verbindet. Diese Technik nutzt man für Teile mit komplexen Formen im Inneren. Dabei bearbeitet man jedes flache Blechteil zunächst einzeln. Die fertigen Teile werden übereinander geschichtet und im Vakuumofen miteinander verlötet.
  • 8. Funktionstüchtige Teile zu geringen Kosten, bei möglichst kurzen Fertigungszeiten – dieser Anspruch richtet sich an jeden Blechfertiger. Der Konstrukteur muss all diesen Forde- rungen gerecht werden. Strategien und Faustregeln helfen ihm dabei. FUNKTIONSGERECHT KONSTRUIEREN Jedes Blechteil hat eine bestimmte Aufgabe oder wird für einen bestimmten Zweck verwendet. Zum Beispiel muss es ein anderes Teil stützen, Maschinenelemente abdecken oder sich sehr schnell bewegen lassen. Funktionsgerecht konstru- ieren heißt, das Teil so zu gestalten, dass es seine Aufgabe Entspannt im Spannungsfeld und seinen Verwendungszweck erfüllen kann. Dabei muss der Konstrukteur die Eigenschaften des Werkstoffes Blech genau kennen und berücksichtigen. Blech hat Vorzüge: Es wiegt weniger als der massive Metallblock und lässt sich gut verformen. Dafür ist Blech aber auch weniger stabil und steif. Wenn es falsch oder zu stark belastet wird, kann es durchbiegen und knicken. Mit konstruktiven Maßnahmen lässt es sich jedoch steifer und stabiler machen. Neben der Belastbarkeit spielt in vielen Fällen auch das Aussehen eine Rolle. Besonders Abdeckungen und Verkleidungen müssen von außen makellos sein. Dafür kennen Konstrukteure ebenfalls Tricks. Kräfte verteilt einleiten | Wo eine große Kraft auf eine ungünstige Stelle oder eine zu kleine Fläche drückt, kann sich das Blechteil verformen. Deshalb gestaltet man es so, dass die einwirkende Kraft auf mehrere Stellen verteilt wird. Damit reduziert sich die Kraft, die auf jede einzelne Stelle wirkt. Ist die Belastung dann immer noch zu groß, stützt man die Stellen ab, zum Beispiel mit Verstrebungen. Zug- statt Druckkraft | Lange Bauteile mit schmalen Quer- schnitten können leicht knicken oder ausbeulen, wenn sie auf Druck belastet werden. Das liegt daran, dass Kraft und Gegenkraft im Blech aufeinander treffen. Die gleichen Bau- teile bleiben jedoch stabil, wenn sie auf Zug belastet werden, weil der Kraftfluss dann günstiger ist. Deshalb gestaltet man Baugruppen so, dass Bauteile mit schmalen Querschnitten auf Zug statt auf Druck belastet werden. Unterschiedliche Dicken | Je dicker ein Blech ist, desto stärker kann es belastet werden, bevor es sich verformt. Wer also mehr Stabilität braucht, kann einfach ein dickeres Blech verwenden. Mit zunehmender Blechdicke erhöht sich aller- dings auch das Gewicht. Großflächige Teile müssen oft leicht sein und werden nur an wenigen Stellen stark beansprucht. Deshalb erhöht man genau an diesen Stellen die Blechdicke. In der Großserienfertigung kann man auf so genannte Tailored Blanks zurückgreifen. Sie bestehen aus unterschied- lichen Blechstücken, die zu einer Blechtafel verschweißt sind. Dicke und teure Materialen werden nur an den Stellen verwendet, an denen sie auch tatsächlich notwendig sind. Für kleine und mittlere Stückzahlen lohnt es sich nicht, Tailored Blanks fertigen zu lassen. Hier geht man einen anderen Weg: Wo das Blechteil dicker sein soll, wird lediglich ein zweites Blech als Verstärkung aufgeschweißt. Eine große Kraft, die punktuell wirkt, verformt das Blech. Deshalb wird sie verteilt eingeleitet. Die Einleitepunkte werden zusätzlich abgestützt. Wird ein langes Bauteil auf Druck belastet, besteht die Gefahr, dass es ausknickt. Günstiger ist es, das Bauteil auf Zug zu belasten. „Oft kennen Konstrukteure gar nicht alle Möglichkeiten, die Blech bietet. Deshalb zeige ich in Workshops viele Beispielteile, Tipps und Tricks. Viele Teilnehmer sind erstaunt, wenn sie hören, dass sich ein 10 Millimeter dickes Blech problemlos schneiden und biegen lässt. Andere sind von komplexen Blechteilen begeistert. Normalerweise geht jeder mit seinem ganz persönlichen Aha-Erlebnis in den Arbeitsalltag zurück.“ Jörg Heusel, Konstruktion Im Spannungsfeld: Der Konstrukteur muss unterschiedlichen Forderungen gerecht werden. ������ ������������� �������� ��������� ��������� 3736 | Blechteile gestalten
  • 9. 38 | Blechteile gestalten 39 Stabilität durch Umformen | Umformungen sind das gängigste Mittel, um Blech stabiler zu machen. Bei dünnen Blechdosen sorgen beispielsweise die umlaufenden Rillen dafür, dass die Dose stabil bleibt. Der Fachmann spricht jedoch nicht von Rillen, sondern von Sicken. Sicken können unterschiedlich geformt sein. Sie machen nicht nur Dosen stabil. Man findet sie auch in Autos oder in Regalwinkeln 1 Umlaufende Sicken verstärken Dosen. 2 Knicke verstärken Kanalwände. Kantenvarianten Kanten werden stabiler, wenn man sie abkantet, falzt oder sie an den Ecken verbindet. aus dem Baumarkt. Großflächige Blechteile, wie beispiels- weise Kanalwände, werden durch kreuzweise Knicke in der Fläche stabiler. Sie beulen dann nicht so schnell aus und sind gleichzeitig schwingfester. Mehr Stabilität lässt sich auch erreichen, indem der Rand des Blechteils umgeformt wird. Oft genügt es dazu schon, den Rand einfach abzukanten oder zu falzen. 1 2 Querschnitte schließen | Geschlossene Blechkörper sind wesentlich stabiler als offene. Dies gilt besonders dann, wenn sie auf Torsion belastet, sprich: verdreht werden. Kastenartige Formen sollten daher immer geschlossen werden, zum Beispiel indem man die Kanten zusammenschweißt. Verbundkonstruktionen | Rippen, Stäbe, Verstrebungen und Versteifungsbleche machen Teile aus dünnem Blech ebenfalls stabiler. Bei offenen Kästen aus Profilen (Rohre mit beliebigem Querschnitt), wie man sie etwa im Messebau findet, setzt man häufig Eck- oder Mittelbleche ein. Blechteile mit einem großen Volumen werden in regelmäßigen Abständen mit Rippen versteift. Sichtkanten von innen fügen | Wenn Blechteile von außen makellos erscheinen sollen, dürfen keine Bearbeitungs- spuren zu sehen sein. Problematisch sind vor allem Sichtkanten, die von außen geschweißt werden. Damit sie nicht von Hand verputzt werden müssen, wählt man ein Verfahren, das sehr saubere Nähte erzeugt, zum Beispiel WIG-Schweißen bei Edelstahl oder Laserschweißen. Die Alternative besteht darin, die Kanten von innen zu schweißen. Dazu formt man die Blech- ränder so um, dass die Schweißnaht innen liegt. Zug Die Kräfte weisen voneinander weg und dehnen das Teil. Eck- oder Mittelbleche verstärken offene Kästen aus Profilen. Druck Die Kräfte weisen aufeinander zu und stauchen das Teil. Torsion Die Kräfte weisen aneinander vorbei und verdrehen das Teil. Biegung Die Kraft weist in eine Richtung und verbiegt das Teil. „Vollkommenheit entsteht nicht dann, wenn man nichts mehr hinzuzufügen hat, sondern dann, wenn man nichts mehr wegnehmen kann.“ Antoine de Saint-Exupéry
  • 10. WIRTSCHAFTLICH KONSTRUIEREN Wie viel ein Blechteil kosten darf, ist zu Beginn einer Kon- struktion festgelegt. Natürlich soll es möglichst günstig sein. Es gibt zwei Strategien, das zu erreichen: Man kann beim Material sparen oder in der Fertigung. Wirtschaftlich ist aber nicht gleichzusetzen mit billig. Das Ziel heißt vielmehr, die Produktionsfaktoren Materialart, Materialverbrauch, Zeit, Ma- schinen und Werkzeuge optimal zu nutzen. Da die Produktionsfaktoren sich gegenseitig beeinflussen, wirkt sich eine Maßnahme häufig auch mehrfach positiv aus. Verringert man beispielsweise die Einzelteile einer Baugruppe, so verbraucht man weniger Material und spart gleichzeitig Zeit in der Fertigung. Für wirtschaftliches Konstruieren haben sich folgende Maßnahmen bewährt: Geringe Blechdicke wählen | Beim Material lässt sich sparen, indem man eine möglichst geringe Blechdicke wählt. Damit reduzieren sich nicht nur die Materialkosten, sondern auch das Gewicht des Blechteils und die Fertigungszeit. Gleiche Blechdicke wählen | Bei Baugruppen sollten die Einzelteile – wenn möglich – gleich dick sein, damit man sie in einem Arbeitsgang aus einer Blechtafel fertigen kann. In der Flachbearbeitung verarbeitet man dann eine Blechtafel im Ganzen, statt mehrere Blechtafeln anzubrechen. Besonders wichtig ist dies für kleine Blechfertiger, die jeden Auftrag einzeln abwickeln. Denn Einkauf und Lagerung werden einfacher, und Transportwege zwischen Lager und Maschine reduzieren sich. Darüber hinaus verkürzen sich die Rüstzeiten der Maschine. Möglichst gut verschachtelbar | Alles was übrig bleibt, wenn die Teile aus der Tafel herausgestanzt oder -geschnitten sind, ist Abfall. Dazu gehören das Restgitter, das zwischen den Teilen stehen bleibt, und die Ausschnitte, sprich: die Öffnungen innerhalb der Teile. Wie eng sich später die Teile auf der Blechtafel schachteln lassen, kann der Konstrukteur beeinflussen, indem er die Teile entsprechend gestaltet. In größere Ausschnitte lassen sich eventuell noch kleinere Teile hineinlegen. Oder die Vergrößerung einer Ausklinkung in der Außenkontur bewirkt, dass sich Teile enger ineinan- der verschachteln lassen. Teile mit geraden Konturen können direkt aneinander gelegt und mit einem gemeinsamen Schnitt getrennt werden. Das reduziert den Abfall ebenfalls. Diese Maßnahmen lohnen sich besonders, wenn Teile in großen Stückzahlen hergestellt werden oder wenn die Bau- teile von Blechbaugruppen in Teilesätzen gefertigt werden. Gleiches Teil für mehrere Funktionen | In vielen Fällen lässt sich ein Blechteil so gestalten, dass es zwei oder mehr Funktionen erfüllen kann. Oft sind dafür nur zusätzliche Löcher oder größere Aussparungen notwendig. Die Vorteile: Man erreicht größere Stückzahlen und benötigt nur einen Lagerplatz. „Was nicht da ist, kostet nix. Das gilt vor allem für die Blechdicke und die Zahl der Einzelteile, aus denen sich ein Werkstück zusammensetzt.“ Lutz Hartmann, Konstruktion Abfall konstruktiv verringern: Je enger sich die Teile verschachteln lassen, desto besser wird die Blechtafel genutzt. Möglichst wenige Einzelteile | Grundsätzlich sollten Bau- gruppen besser aus wenigen komplexen als aus vielen einfachen Einzelteilen bestehen. Denn Fügeprozesse sind meist sehr zeitaufwendig. Mit den heutigen Fertigungsver- fahren und Programmiersystemen lassen sich auch komplexe Einzelteile problemlos herstellen. Abkanten statt schweißen | Jeder Schweißvorgang kos- tet Zeit und birgt die Gefahr, dass sich das Werkstück durch die Hitze verzieht. Deshalb sollte man immer prüfen, ob sich ein angesetztes Teil durch eine abgekantete Fläche ersetzen lässt. Neben dem Schweißen entfallen dann auch alle Vor- arbeiten wie Anordnen, Ausrichten und Festspannen der Teile. Verputzarbeiten reduzieren | Verputzarbeiten lassen sich reduzieren, indem man Schweißnähte ganz einspart, sie von innen schweißt oder die Kanten so gestaltet, dass sie beim Schweißen glatt verlaufen. Neue Fertigungsverfahren wie beispielsweise das Laserschweißen reduzieren die Verputz- arbeiten ebenfalls. 1 Die Sichtkanten dieser Haube sind lasergeschweißt. Die Schweißnähte werden so sauber und glatt, dass Verputzarbeiten entfallen. Statt schweißen: Laschen abkanten und Seitenteile durch Buckel fixieren, die in Löcher einrasten. 1 4140 | Blechteile gestalten
  • 11. 43 FERTIGUNGSGERECHT KONSTRUIEREN Neben Funktion und Kosten muss der Konstrukteur auch die Fertigung im Auge behalten, wenn er ein Teil entwirft. Hierfür gibt es ebenfalls einige Strategien, die sich immer wieder anwenden lassen. Biegezonen freischneiden | Beim Biegen wird das Blech an der Innenseite der Kante gestaucht. Das überschüssige Material drückt an den Enden der Kante nach außen und kann zu Ungenauigkeiten führen. Um das zu vermeiden, setzt man kleine Aussparungen an die Kantenenden und schafft damit Platz für die Verformung. Man spricht dabei vom Frei- schneiden der Biegezonen. Biegezonen schneidet man häufig frei, egal ob zwei Kanten an einer Ecke zusammenstoßen oder ob eine Lasche aus einer Blechfläche nach oben gebogen wird. Man erhält dadurch bessere Ecken und hat einen größeren Spielraum beim Aus- wählen und Anordnen der Biegewerkzeuge. Um Biegezonen freizuschneiden, gibt es einige Möglichkeiten: Mit der Stanzmaschine stanzt man runde Löcher am Beginn und am Ende der Biegekante. Mit dem Laser können auch komplexere Ausrundungen geschnitten werden. Damit bilden sich beim Biegen noch schönere Ecken. Vorhandene Werkzeuge nutzen | Besonders bei kleinen und mittleren Stückzahlen lohnt es sich für ein Unternehmen nicht, neue Werkzeuge anzuschaffen. Meist ist es auch nicht nötig. Denn für viele Formen und Funktionen gibt es mehrere Alternativen. Für den Konstrukteur gilt es also diejenige zu finden, die mit den vorhandenen Werkzeugen auskommt. Beispiel Lüftungsöffnungen in einem PC-Gehäuse: Mit einer Stanzmaschine, bei der sich das Werkzeug drehen kann, lässt sich ein einfaches Langloch sternförmig anordnen. Eine Alternative wäre, die Lüftungsschlitze mit einem Kiemenwerk- zeug zu fertigen oder kleine Quadrate aneinander zu setzen. Positionier- und Fügehilfen verwenden | Nach links oder nach rechts, wohin gehört dieses Teil? Die Frage lässt sich vermeiden, wenn man Teile so konstruiert, dass sie nur in einer Art und Weise zusammenpassen. Dazu verwendet man Löcher und Zapfen, mit denen Teile ineinander gesteckt werden. Biegezonen werden freigeschnitten, damit sich schönere Ecken bilden. 1 Gleichzeitig reduzieren Fügehilfen die Vorarbeit, wenn bei- spielsweise geschweißt werden muss. Statt mehrere Teile mit Hilfe einer Vorrichtung zu positionieren und zu spannen, steckt man sie zunächst ineinander. Die Schweißvorrichtung benötigt man nun nur noch zum Spannen. Deshalb kann sie einfacher gestaltet sein. Microjoints anwenden | Die Idee der Microjoints entstand zunächst beim Laserschneiden. Microjoints sind dünne Stege, die zwischen Werkstück und Blechtafel stehen bleiben. Sie halten das Werkstück in der Blechtafel, damit es nicht kippen kann. Wenn die Tafel komplett bearbeitet ist, werden die Werkstücke von Hand herausgedrückt. Microjoints lassen sich aber auch anders einsetzen: zum Beispiel als Fertigungshilfe bei kleinen Winkeln. Dazu bleiben die Zuschnitte mit Microjoints verbunden, werden gemein- sam abgekantet und danach von Hand getrennt. Ein anderes Beispiel: Biegungen, bei denen es nicht auf die Genauigkeit ankommt, können von Hand gemacht werden, wenn man entlang der Biegekante Microjoints setzt. Alles an der Stanzmaschine | Wenn massive Teile durch Blechteile ersetzt werden, entstehen oft Lösungen, bei denen immer noch spanende Fertigungsverfahren eingesetzt werden müssen. Löcher werden da noch gebohrt, und Gewinde werden geschnitten. Die wirtschaftlichste Lösung ist allerdings erst dann erreicht, wenn man ganz ohne die spanende Bearbeitung auskommt, zum Beispiel durch spanloses Gewindeformen an der Stanzmaschine. Über die Fertigung hinausdenken | Das eigentliche Leben eines Blechteils beginnt erst nach der Fertigung. Daher sollte der Konstrukteur auch Aspekte wie Transport, Lage- rung, Montage und Demontage berücksichtigen. Teile, die in großen Stückzahlen transportiert und gelagert werden müssen, sollte man beispielsweise so gestalten, dass sie sich Platz sparend ineinander stapeln lassen. 1 Gehäuse mit verschiedenen Lüftungsschlitzen 2 Microjoints: Dünne Stege halten die gestanzten Teile im Restgitter. Fügehilfe inklusive: Es gibt nur eine Möglichkeit, die Teile zu verbinden. 2 42 | Blechteile gestalten
  • 12. 44 | Blechteile gestalten Fertigung simulieren | Mit vielen Konstruktions- und Pro- grammiersystemen lässt sich die Fertigung am Computer simulieren. Der Konstrukteur kann damit beliebig oft testen, ob sich das Blechteil fertigen lässt und wo Probleme auf- treten könnten. Besonders bei komplexen Teilen kommt man nicht mehr ohne die Simulation im Vorfeld aus. Nutzt man diese Möglichkeit, so kann sich auch der Kollege in der Fertigung sicher sein, dass er nicht mehr mehrere Stunden an der Maschine stehen und am Probeteil den optimalen Fertigungsablauf herausfinden muss. Sein Chef wird es ebenfalls gerne sehen, wenn die Maschine produziert, anstatt erst stundenlang Testläufe zu absolvieren. Erfahrung zur Routine machen | Wer über längere Zeit hinweg als Konstrukteur in einem Unternehmen arbeitet, greift bei jeder neuen Aufgabe auf seine persönlichen Erfahrungen zurück. Aus Gesprächen mit seinen Fertigungskollegen kennt er erreichbare Toleranzen sowie erprobte Lochabstände, Rand- abstände, Schenkellängen und Biegeradien. Damit dieses Wissen auch von anderen genutzt werden kann, sollte es doku- mentiert werden. Am besten direkt im Konstruktionssystem. Die Erfahrung eines Einzelnen wird dann zur Routine, die Unter- nehmensstandards sichert. DIE 5 WEGE ZUM BLECHWINKEL Konstruktion ist eine Kunst. Sie besteht darin, viele Tricks zu kennen und sie im richtigen Moment anzuwenden. Blech ist so vielseitig und die Teile sind oft so komplex, dass Konstrukteure nicht sofort die vorhandenen Möglichkeiten erkennen. Jörg Heusel, Konstrukteur und Seminarleiter bei der TRUMPF Werk- zeugmaschinen GmbH + Co. KG in Ditzingen, kennt diese Herausforderung. Er leitet Workshops, in denen die Teilnehmer neue Lösungen für ihre bestehenden Teile suchen. „Meine Kursteilnehmer fragen häufig, ob ich nicht die vielen Möglich- keiten an einem einfachen Beispiel zeigen könnte“, berichtet er. Er zeigt dann immer die 5 Wege zum Blechwinkel. Blechwin- kel sitzen immer dort, wo 2 Flächen aufeinander treffen. Sie halten die Flächen und übernehmen zusätzlich eine stützende Funktion, wenn eine Fläche stark belastet wird. Wenn der Winkel dabei sehr belastet wird, muss er verstärkt werden. Dafür gibt es ganz unterschiedliche Möglichkeiten. Weg 1 | Mit Querrippe Der erste Ansatz, den Blechwinkel stabiler zu machen, besteht darin, eine Querrippe mittig ein- zuschweißen. Die Fertigungsbilanz: 2 Teile müssen gestanzt oder lasergeschnitten werden; der Winkel wird gebogen, die Querrippe positioniert und an 2 Nähten festgeschweißt. Wie kommen wir zu einer besseren Lösung? Weg 2 | Fügehilfen verwenden Die erste Idee lautet: Posi- tionier- und Schweißarbeiten reduzieren. Dazu bekommt die Querrippe 2 Zapfen und der Winkel 2 rechteckige Löcher. Jetzt steckt man Winkel und Querrippe ineinander und schweißt die Fügestellen von außen an 2 Punkten fest. 1 Virtueller Blick in die Fertigung: Die Bewegungen des Laserschneid- kopfes werden am Computer simuliert. 1 Weg 3 | Nur ein Teil Zwei Teile bedeuten meist mehr Aufwand als eines, weil sie häufig getrennt gefertigt und dann zwischen- gelagert werden. Also reduzieren wir auf ein Teil. 2 Stützflä- chen an den Seiten des Winkels ersetzen nun die Querrippe. Natürlich verfügen auch sie wieder über die Fügehilfen für das Schweißen. Der Winkel wird wieder gestanzt oder laser- geschnitten, anschließend dreimal abgekantet und schließlich an den Seiten verschweißt. Der Fertigungsaufwand ist noch nicht entscheidend reduziert. Der Winkel ist dafür sehr stabil. Weg 4 | Um die Ecke gedacht Doch was tun, wenn die Rippe unbedingt in der Mitte sitzen muss? Wir denken um die Ecke und finden eine Lösung, in der die Rippe über 2 Kantungen an ihre Position kommt. Sie wird dann ebenfalls mit Hilfe eines Zapfens am Winkel fixiert. Es bleibt bei einem Teil mit 3 Kantungen. Die Rippe wird nur noch an einem einzigen Punkt angeschweißt. Weg 5 | Funktion hinterfragen Blicken wir noch einmal zurück auf die Funktion des Blechwinkels. Er muss stabil sein und stützen können. Braucht er dazu überhaupt eine Querrippe? Oder genügt nicht auch eine einfache Quersicke? Wenn eine Quersicke genügt, bietet sich folgende Lösung an: Aus der Blechtafel stanzen oder schneiden wir die rechtecki- gen Teile. Anschließend werden Kante und Sicke in einem Biegevorgang gefertigt. Damit erreichen wir nicht nur die kürzeste Fertigungszeit, die Teile lassen sich auch noch Platz sparend stapeln und lagern. 3 Aus einem Stück: Seitenflä- chen ersetzen die Querrippe. 4 Mit 3 Kantungen wird die Rippe ums Eck gebogen. 5 Nur einmal Abkanten – mit Quersicke statt Querrippe 1 Winkel mit aufgeschweißter Querrippe als Verstärkung 2 Die Querrippe bekommt Zapfen als Fügehilfe. 45
  • 13. Kreativ im Cyberspace Arbeitswelt im Wandel | Die Arbeitswelt der Konstruk- teure verändert sich ständig: Mit jedem neuen Werkstoff, mit jedem neuen Werkzeug und mit jedem neuen Fertigungs- verfahren erweitern sich die Gestaltungsmöglichkeiten für Blechteile. Mit jeder neuen Konstruktionssoftware und durch den virtuellen Raum verändert sich die Arbeitsweise beim Modellieren und Präsentieren eines Teils. Bis das Neue be- kannt ist und genutzt wird, vergehen jedoch meist Jahre. Viele Unternehmer bedauern, dass das Konstruieren mit Blech in den einschlägigen Studiengängen nur als Randthema behandelt wird und daher zu kurz kommt. An dieser Stelle setzen Workshops und Weiterbildungsmaßnahmen an. Der virtuelle Raum | In einigen Firmen wird der virtuelle Raum bereits eingesetzt, um Entwürfe zu präsentieren und sie zu verändern. Dabei wird das Bild eines Teils mit mehreren Beamern auf mehrere Leinwände projiziert. Als Betrachter trägt man eine spezielle Brille, durch die ein dreidimensio- nales Bild aus den einzelnen Bildern entsteht. Ein ähnliches Prinzip wird auch im 3D-Kino benutzt. In der Automobilindus- trie projiziert man beispielsweise einen kompletten Fahrzeug- innenraum um einen Fahrersitz herum. Damit lässt sich virtuell erfahren, ob die Elemente zusammenpassen oder das Lenk- rad an der richtigen Stelle sitzt. Was nicht passt, lässt sich intuitiv verschieben. Auch Maschinenbauer nutzen den virtuellen Raum, um Baugruppen oder ganze Maschinen zu präsentieren und den Entwurf abteilungsübergreifend zu diskutieren. Wenn sich die Technik weiter vereinfacht und die Kosten sinken, wird sich der virtuelle Raum weiter verbreiten. Für das Entwerfen eines Teils wird jedoch das Konstruktionssystem wichtiger bleiben als der virtuelle Raum, weil die Hauptarbeit darin besteht, das Teil zu zeichnen. Vollautomatisch konstruieren? | Die menschliche Krea- tivität wird sich – trotz aller computertechnischer Raffines- sen – auch in Zukunft nicht durch ein Programm ersetzen lassen. Konstruktionssysteme werden lediglich das Mittel bleiben, mit dem der Konstrukteur seinen Entwurf immer komfortabler modellieren und besser aufbereiten kann. Dabei werden die Datenschnittstellen zwischen Warenwirt- schaftssystem, Konstruktionssystem und Programmiersystem immer weiter optimiert werden. Das eigentliche Ziel und Wesen der Konstruktion wird sich nicht verändern: Lösungen finden, die sich nur kreative, ganzheitlich denkende Menschen ausdenken können.1 Virtueller Raum oder Cave Hinter diesen Schlagworten verbirgt sich komplexe Computer- und Projektionstechnik: Über mehrere Beamer wird das Bild eines Teils an Projektionswände geworfen. Die Besucher der Cave tragen spezielle Brillen. Damit sehen sie keine einzelnen Bilder, sondern ein dreidimensionales Bild. Kameras beobachten die Position des Betrachters. Bewegt er sich, so verändert sich das Bild: Er kann durch das Teil hindurchgehen, es von innen, von oben und von unten betrachten. 1, 2 Im Konstruktionsstadium und doch schon real erfahrbar: Entwickler besprechen ihre Entwürfe im virtuellen Raum. 2 4746 | Blechteile gestalten