Nach § 85 SGB IX bedarf die Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines schwerbehinderten Menschen durch den Arbeitgeber der vorherigen Zustimmung des Integrationsamtes. Im Falle der positiven Bescheidung wird die Zustimmung durch Zustellung gemäß § 88 Abs. 2
Satz 1 SGB IX i.V.m. § 85 SGB IX gegenüber dem Arbeitgeber erteilt. Befindet sich der Betrieb in der Insolvenz, ist der Insolvenzverwalter nach § 87 Abs. 1 Satz 1 SGB IX antragsbefugt. Geht der Betrieb aber noch während des laufenden Verwaltungsverfahrens auf einen Erwerber über, ist der Insolvenzverwalter bei Zustellung
der Zustimmung nicht mehr kündigungsbefugt.
Die Frage, ob sich der Betriebserwerber als neuer Arbeitgeber auf eine vom Insolvenzverwalter als Betriebsveräußerer vor Betriebsübergang beantragte, aber erst nach Betriebsübergang an den Insolvenzverwalter zugestellte Zustimmung zur Kündigung berufen kann, hatte
das BAG im vorliegenden Fall zu entscheiden.
2. jurisPR-ArbR 46/2014
1
Voraussetzungen für Anforderungsprofil
im öffentlichen Dienst
Leitsätze:
1. Der Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes
hat im Konkurrentenklageverfahren sach-lich
nachvollziehbar darzulegen, dass seine
Festlegung des Anforderungsprofils den An-forderungen
der zu besetzenden Stelle ent-spricht
und den gestellten Anforderungen
keine sachfremden Erwägungen zugrunde
liegen.
2. Er genügt seiner Darlegungslast zum ge-stellten
Anforderungsprofil nicht dadurch,
dass er auf die in der Ausschreibung genann-te
Vergütungs-/Entgeltgruppe verweist. Al-lein
aus der angestrebten Eingruppierung
kann nicht der Schluss gezogen werden, die
zu besetzende Stelle erfordere tatsächlich
sämtliche für die angestrebte Eingruppie-rung
notwendigen Merkmale.
Anmerkung zu BAG, Urteil vom 06.05.2014,
9 AZR 724/12
von Dr. Torsten von Roetteken, Vors. RiVG
A. Problemstellung
Der Neunte Senat des BAG hatte über das Be-gehren
eines Stellenbewerbers im öffentlichen
Dienst zu entscheiden, trotz mangelnder Erfül-lung
des ausgeschriebenen Anforderungsprofils
in das Auswahlverfahren einbezogen zu wer-den.
B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Der Kläger war Diplom-Ingenieur (FH) der Fach-richtung
Architektur und in der Entgeltgrup-pe
E 12 (TVöD/VKA) im Bereich Gebäudewirt-schaft
der Beklagten beschäftigt. Diese beab-sichtigte
die Besetzung der Stelle eines Inge-nieurs
bzw. einer Ingenieurin im gleichen Ar-beitsbereich
in der Abteilung Objektmanage-ment
und der Aufgabe, die Stellvertretung der
Sachgebietsleitung zu übernehmen. Die Stel-le
sollte nach der EG 13 bzw. der Besoldungs-gruppe
A 13, höherer Dienst, eingruppiert wer-den.
In der Ausschreibung wurde unter anderem
ein abgeschlossenes Studium einer Universität
bzw. Technischen Hochschule in der Fachrich-tung
Architektur oder Bauingenieurwesen ver-langt.
Der frühere Stelleninhaber besaß ledig-lich
einen Fachhochschulabschluss. Die Beklag-te
lehnte die Einbeziehung des Klägers in das
Auswahlverfahren mangels Erfüllung des Anfor-derungsprofils
ab und wurde darin sowohl vom
Arbeitsgericht wie auch vom Landesarbeitsge-richt
bestätigt. Die Revision des Klägers hatte
Erfolg.
Ausgehend von der bisherigen Rechtsprechung
geht das BAG davon aus, ein Arbeitgeber im
öffentlichen Dienst dürfe für die Besetzung ei-ner
Stelle ein arbeitsplatzspezifisches Anforde-rungsprofil
aufstellen und auf diese Weise die
Möglichkeiten eines Zugangs zum entsprechen-den
öffentlichen Amt einschränken. Dement-sprechend
darf der Arbeitgeber solche Bewer-ber
vom Zugang und damit vom weiteren Aus-wahlverfahren
ausschließen, die das Anforde-rungsprofil
– in seinen zwingenden Merkmalen
– nicht erfüllen.
Das jeweilige Anforderungsprofil unterliegt al-lerdings
nach Auffassung des BAG ungeach-tet
des Beurteilungsspielraums – richtigerwei-se
wohl des Organisationsermessens – einer ge-richtlichen
Kontrolle mit der Konsequenz, dass
ein fehlerhaftes Anforderungsprofil zur Fehler-haftigkeit
der darauf gestützten Auswahlent-scheidung
führt. Inhaltlich verlangt das BAG,
das Anforderungsprofil müsse bezogen auf die
Anforderungen der zu besetzenden Stelle sach-lich
nachvollziehbar sein. Es dürften keine sach-fremden
Erwägungen angestellt worden sein.
Nimmt der Arbeitgeber zur Rechtfertigung des
Anforderungsprofils lediglich Bezug auf die be-absichtigte
Eingruppierung und dort vorgesehe-nen
Bildungsvoraussetzungen, genügt das für
eine nachvollziehbare Begründung eines ent-sprechenden
Merkmals nicht. Für den konkre-ten
Fall verneint das BAG die Notwendigkeit
einer wissenschaftlichen Hochschulausbildung
für die Wahrnehmung der ausgeschriebenen
Stelle. Der Verweis auf die Eingruppierungs-voraussetzungen
sei schon deshalb fehlerhaft,
weil die Eingruppierung der Stellenbesetzung
im Hinblick auf die auf der Stelle wahrzuneh-menden
Tätigkeiten nachfolge.
Den Wunsch des Arbeitgebers, durch das forma-le
Kriterium eines wissenschaftlichen Studiums
als Zugangsvoraussetzung das Auswahlverfah-
3. jurisPR-ArbR 46/2014
ren zu vereinfachen, hält das BAG für unbeacht-lich,
weil diesem Aspekt jeder Bezug zu den
tatsächlichen Anforderungen der zu besetzen-den
Stelle fehle, und die Vereinfachung des Aus-wahlverfahrens
kein Selbstzweck sei, sondern
sich ebenfalls an Art. 33 Abs. 2 GG messen las-sen
müsse. Art. 33 Abs. 2 GG gewähre dem Ar-beitgeber
nicht das Recht, ohne nachvollziehba-re
Gründe eine Stelle mit überqualifizierten Be-werbern
bzw. Bewerberinnen zu besetzen.
Der Hinweis des Arbeitgebers auf die Mög-lichkeit
eines flexibleren Personaleinsatzes von
Mitarbeiter/innen mit wissenschaftlichem Hoch-schulabschluss
sei vorliegend schon deshalb
unbeachtlich, weil schon nicht dargelegt sei,
dass eine solche Flexibilität für die ausgeschrie-bene
Stelle tatsächlich möglich sei, wie sie aus-sehen
solle, und warum die angestrebte Flexibi-lität
konkret eine wissenschaftliche Hochschul-ausbildung
erfordere. Im Übrigen lässt das BAG
offen, ob die Möglichkeit eines flexibleren Perso-naleinsatzes
aufgrund einer wissenschaftlichen
Hochschulausbildung ein entsprechendes Merk-mal
im Anforderungsprofil sachlich rechtferti-gen
könne.
C. Kontext der Entscheidung
Das Urteil des BAG stellt eine konsequente
Fortentwicklung der bisherigen Rechtsprechung
dar, rückt allerdings den Aspekt stärker in den
Vordergrund, dass Anforderungsprofile unge-achtet
ihrer verfassungsrechtlichen Zulässig-keit
ihrerseits einer – eingeschränkten – gericht-lichen
Kontrolle unterliegen. Dies ergibt sich un-mittelbar
aus Art. 25 lit. c des Internationalen
Pakts über bürgerliche und politische Rechte
(BGBl II 1973, 1523), weil danach das allgemei-ne
und gleiche Recht auf Zugang zu öffentli-chen
Ämtern ohne unangemessene Einschrän-kungen
zu gewährleisten ist. Daraus folgt bun-desgesetzlich,
dass nur angemessene Anforde-rungen
den Zugang beschränken dürfen. Ange-messen
kann eine Anforderung nur sein, die in
einem sachlich nachvollziehbaren Zusammen-hang
mit den auf dem entsprechenden öffent-lichen
Arbeitsplatz zu verrichtenden Aufgaben
steht und sich darüber rechtfertigt. Was sich
danach nicht rechtfertigen lässt, kann nicht In-halt
der zwingenden Merkmale eines Anforde-rungsprofils
werden. Aspekte, die lediglich die
Personalauswahl vereinfachen sollen oder ei-ne
nicht näher begründete Qualifikationsbevor-ratung
betreiben wollen, müssen deshalb für
die Entwicklung eines Anforderungsprofils un-berücksichtigt
bleiben.
Für den Arbeitgeber des vom BAG entschie-denen
Verfahrens ergab sich dies im Übrigen
auch aus § 8 Abs. 5 LGG NRW. Danach hat sich
die Ausschreibung ausschließlich an Anforde-rungen
der zu besetzenden Arbeitsplatzes aus-zurichten.
Folglich dürfen andere Anforderun-gen
schon kein Gegenstand der Ausschreibung
werden, müssen also auch im darauf aufbau-enden
Auswahlverfahren unberücksichtigt blei-ben.
Eine gewisse Abweichung von der bisherigen
Rechtsprechung des Neunten Senats liegt in
dem Umstand, dass sich aus den Merkmalen
einer Entgeltgruppe kein Anforderungsprofil er-geben
kann, da die Eingruppierung eine Fol-ge
der übertragenen Tätigkeiten auf einem be-stimmten
Arbeitsplatz ist, aber nur die entspre-chenden
Tätigkeiten maßstabbildend für das
Anforderungsprofil sein können. Die Ausführun-gen
im Urteil des BAG vom 21.01.2003 (9 AZR
72/02 - ZTR 2003, 463, 464) lassen sich auch
dahin verstehen, dass die in den Merkmalen
einer Entgeltgruppe genannten Anforderungen
ein Anforderungsprofil darstellen können. Das
gilt richtigerweise nur dann, wenn diese An-forderungen
nachvollziehbar und angemessen
sind.
Das BAG setzt sich nicht mit der These des
BVerwG auseinander, wonach jedenfalls für den
Zugang von Beamtinnen und Beamten zu ei-nem
öffentlichen Amt auf das angestrebte sta-tusrechtliche
Amt abzustellen und eine Ausrich-tung
auf die besonderen Anforderungen eines
bestimmten Dienstpostens grundsätzlich unzu-lässig
sei (BVerwG, Beschl. v. 20.06.2013 - 2
VR 1.13 - ZBR 2013, 376, 378 f. Rn. 24 ff.).
Maßgebend für diese – neue – Sichtweise des
BVerwG ist aus seiner Sicht das Laufbahnprinzip
(Rn. 28 des genannten Beschlusses). Da es für
die Besetzung von Stellen mit Arbeitnehmern
bzw. Arbeitnehmerinnen nicht gilt, konnte sich
das BAG eine Auseinandersetzung mit diesem
Aspekt ersparen. Im Falle einer statusgruppen-übergreifenden
Auswahl wird es der Auseinan-dersetzung
jedoch nicht ausweichen können.
Dabei wird allerdings zu berücksichtigen sein,
dass der Verweis auf laufbahnrechtliche Anfor-derungen
für ein bestimmtes Statusamt und da-mit
auch auf ein bestimmtes Bildungsniveau
4. jurisPR-ArbR 46/2014
seinerseits einer gerichtlichen Kontrolle auf ih-re
Angemessenheit und Nachvollziehbarkeit un-terliegt,
auch wenn dies in der Rechtsprechung
des BVerwG bisher nicht thematisiert wurde.
Aus § 18 Satz 1 BBesG und entsprechendem
Landesbesoldungsrecht ergibt sich in Konkreti-sierung
von Art. 33 Abs. 5 GG das Gebot der
funktionsgerechten Besoldung, das seinen Aus-gang
ebenfalls bei den jeweiligen Aufgaben ei-nes
Dienstpostens nimmt, daraus die nötigen
Anforderungen ableitet und diese sachgerecht
unter Zuordnung zu einem Amt (Besoldungs-gruppe)
bewertet. Soweit diese Vorgehenswei-se
beachtet und ggf. auf ihre Angemessenheit
hinsichtlich der zugangsbeschränkenden Wir-kungen
kontrolliert wird, lassen sich ähnliche
Resultate wie vorliegend vom BAG gewonnen
erzielen. Verfehlt wäre es dagegen, ungeprüft
das jeweilige statusrechtliche Amt zum Aus-gangspunkt
der zulässigen Anforderungen zu
nehmen, ohne die Rückfrage zu stellen, ob die-se
Anforderungen für die auf dem Arbeitsplatz
wahrzunehmenden Aufgaben als sachgerecht
und angemessen eingestuft werden können.
D. Auswirkungen für die Praxis
Öffentliche Arbeitgeber werden stärker darauf
achten müssen, ausgehend von den konkreten
Aufgaben eines zu besetzenden Arbeitsplatzes
nur die dieser Aufgabenwahrnehmung vernünf-tigerweise
korrespondierenden Anforderungen
persönlicher und fachlicher Art zum Gegenstand
eines Anforderungsprofils bzw. einer Ausschrei-bung
zu machen, soweit es um die Aufstel-lung
zwingender Merkmale eines solchen Pro-fils
geht, deren Verfehlung zum Ausschluss aus
dem Auswahlverfahren führen muss. Insoweit
empfiehlt sich auch eine entsprechende Do-kumentation,
um besser den Nachweis führen
zu können, dass keine sachfremden Erwägun-gen
eingeflossen sind. Soweit ein künftiger fle-xibler
Personaleinsatz erleichtertet werden soll,
bedürfen die damit zusammenhängenden wei-teren
Anforderungen ihrerseits einer nachvoll-ziehbaren
Begründung. Das schließt die Dar-legung
ein, welche anderweitigen Einsatzmög-lichkeiten
überhaupt in Betracht kommen kön-nen,
und ob die konkrete Anforderung auch ge-eignet
ist, die entsprechende anderweitige Ein-satzmöglichkeit
zu ermöglichen oder doch zu
erleichtern. Diese Einschränkung ist auch im
Hinblick auf § 6 Abs. 3 BGleiG zu beachten, der
es gestattet, im Bereich der Bundesverwaltung
neben den arbeitsplatzspezifischen Anforderun-gen
auch auf das Anforderungs- oder Qualifi-kationsprofil
einer Laufbahn bzw. eines Funkti-onsbereichs
abzustellen. Diese Regelung setzt
ausdrücklich voraus, dass eine solche zusätz-liche
Beschränkung der Zugangsmöglichkeiten
im Hinblick auf mögliche künftige Funktionen
der Bewerber/innen erfolgt. Derartige Möglich-keiten
müssen nachvollziehbar vor der Aus-schreibung
aufgezeigt worden sein, um darauf
gestützt entsprechende Anforderungen stellen
zu dürfen.
2
Notwendige Durchführung des BEM keine
Rechtmäßigkeitsvoraussetzung für eine
Zurruhesetzungsverfügung
Leitsätze:
1. Die Verpflichtung, ein betriebliches Ein-gliederungsmanagement
anzubieten (§ 84
Abs. 2 Satz 1 SGB IX), gilt auch bei Be-amten.
Die Durchführung des betrieblichen
Eingliederungsmanagements ist aber keine
Rechtmäßigkeitsvoraussetzung für die Ver-setzung
eines Beamten in den Ruhestand
wegen dauernder Dienstunfähigkeit.
2. In Fällen krankheitsbedingter Fehlzeiten
stehen das betriebliche Eingliederungsma-nagement
und das Zurruhesetzungsverfah-ren
in einem zeitlich gestaffelten Stufenver-hältnis.
Ist ein betriebliches Eingliederungs-management
ordnungsgemäß, aber erfolg-los
durchgeführt worden, liegen regelmäßig
hinreichende Anhaltspunkte für eine an den
Beamten gerichtete Weisung vor, sich auf
eine mögliche Dienstunfähigkeit ärztlich un-tersuchen
zu lassen.
Anmerkung zu BVerwG, Urteil vom 05.06.2014,
2 C 22/13
von Dr. Torsten von Roetteken, Vors. RiVG
A. Problemstellung
Der 2. Senat des BVerwG hatte sich aufgrund
der von ihm selbst zugelassenen Revision mit
der Frage zu befassen, welche Folgen die unter-bliebene
Durchführung eines betrieblichen Ein-gliederungsmanagements
(BEM) auf die Verset-zung
eines Beamten bzw. einer Beamtin in den
Ruhestand wegen Dienstunfähigkeit hat. Die
5. jurisPR-ArbR 46/2014
zweitinstanzlichen Verwaltungsgerichte hatten
durchweg negative Auswirkungen auf den Zur-ruhesetzungsbescheid
verneint (vgl. von Roet-teken,
jurisPR-ArbR 37/2012 Anm. 5), sodass in-soweit
ein Klärungsbedarf durch das BVerwG of-fensichtlich
war.
B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Das BVerwG geht zunächst davon aus, dass die
Verpflichtung aus § 84 Abs. 2 Satz 1 SGB IX, ei-nem
Beamten bzw. einer Beamtin bei Vorliegen
der tatbestandlichen Voraussetzungen ein BEM
anzubieten, auch für die Angehörigen dieser
Statusgruppe gilt. Das war in der obergerichtli-chen
Rechtsprechung angezweifelt worden. Der
2. Senat schließt sich damit der vom 6. Senat
des BVerwG in der personalvertretungsrecht-lichen
Rechtsprechung angenommenen Ausle-gung
des § 84 Abs. 2 SGB IX an (BVerwG, Be-schl.
v. 04.09.2012 - 6 P 5.11 - ZTR 2013, 103,
104 Rn. 12). Gleichzeitig nimmt der 2. Senat
des BVerwG an, dass § 84 Abs. 2 SGB IX auch
für nicht behinderte Beschäftigte gilt. Insoweit
schließt sich das BVerwG der Auslegung des
BAG (Urt. v. 12.07.2007 - 2 AZR 716/06 - ZTR
2008, 273, 274 Rn. 35) an.
Zur Rechtfertigung dieser Auslegung bezieht
sich der 2. Senat des BVerwG insbesonde-re
auf das von ihm angenommene zeitliche
Stufenverhältnis der Vorschriften zum Ange-bot
und Durchführung eines BEM im Verhält-nis
zu den beamtenrechtlichen Regelungen zur
Dienstunfähigkeit und ihren Folgen (§§ 44 ff.
BBG, §§ 26 f. BeamtStG und entsprechendes
Landesrecht). Danach greift der Mechanismus
des BEM oftmals früher ein als das dienstrecht-liche
Instrumentarium, wofür beispielhaft auf
§ 44 Abs. 1 Satz 2 BBG verwiesen wird. Zu-dem
seien die sich aus dem BEM ergebenden
Reaktionsmöglichkeiten nicht auf den auf das
abstrakt funktionelle Amt bezogenen Dienst-unfähigkeitsbegriff
ausgerichtet, sondern ziel-ten
auf eine Analyse der bestehenden Arbeits-bedingungen
im Hinblick auf die gesundheitli-chen
Einschränkungen der/s Beschäftigten, um
Möglichkeiten einer leidensgerechten Anpas-sung
des bestehenden Arbeitsplatzes auszulo-ten.
Bezugspunkt der Dienstunfähigkeit ist für
das BVerwG dagegen das jeweilige abstrakt-funktionelle
Amt.
Könne der durch § 84 Abs. 2 SGB IX vorge-gebene
Suchprozess keine alternativen Weiter-beschäftigungsmöglichkeiten
aufzeigen, lägen
regelmäßig ausreichende tatsächliche Anhalts-punkte
für die ernsthafte Besorgnis der Dienst-unfähigkeit
vor. Dann schließe sich das dienst-rechtliche
Verfahren einer Prüfung der Zurru-hesetzung
an das erfolglose BEM an. Insge-samt
sieht das BVerwG im BEM eine Konkretisie-rung
der beamtenrechtlichen Fürsorgepflicht,
mit dem ein gesetzlich verankertes Frühwarn-system
etabliert wird. Könne damit keine Ver-besserung
erzielt werden, schließe sich das
dienstrechtliche Verfahren mit seinem Instru-mentarium
insbesondere in Gestalt von § 44
Abs. 6 BBG an.
Das Angebot und die Durchführung eines BEM
stellen ungeachtet dessen nach Auffassung des
BVerwG keine Voraussetzung für die Rechtmä-ßigkeit
einer Zurruhesetzungsverfügung dar.
Das soll sich schon daraus ergeben, dass § 84
Abs. 2 SGB IX im Unterschied zu § 85 SGB IX
die Rechtsfolge seiner mangelnden Beachtung
nicht regele. So führe die Nichtbeachtung des
§ 84 Abs. 2 SGB IX nach Auffassung des BAG
allein noch nicht zur Unwirksamkeit der Kün-digung
eines Arbeitsverhältnisses. Im Weite-ren
referiert das BVerwG die Rechtsprechung
des BAG, wonach die Nichtbeachtung von § 84
Abs. 2 SGB IX – nur – zu einer Verschiebung der
Darlegungs- und Beweislastverteilung in einem
auf die Kündigung bezogenen Gerichtsverfah-ren
führe. Das muss für das öffentliche Dienst-recht
nach Auffassung des BVerwG erst recht
gelten. Die Annahme einer zwingenden Rechts-widrigkeit
der Zurruhesetzungsverfügung bei
mangelnder Beachtung von § 84 Abs. 2 SGB IX
sei mit dem Regelungssystem des BBG nicht in
Einklang zu bringen. Die in § 44 Abs. 1 Satz 1
BBG angeordnete Rechtsfolge stehe nicht un-ter
dem Vorbehalt, dass zuvor ein BEM durch-geführt
worden ist. Stehe die Dienstunfähigkeit
fest und sei auch keine anderweitige Verwen-dung
mehr möglich, sei für die Durchführung
des BEM kein Raum mehr. Des Weiteren sei die
in § 84 Abs. 2 SGB IX enthaltene Verpflichtung
kein Bestandteil des auf den Erlass einer Zurru-hesetzungsverfügung
gerichteten Verwaltungs-verfahrens
i.S.d. § 9 VwVfG. Das in § 84 Abs. 2
SGB IX vorgesehene Verfahren sei im Verhältnis
zum Zurruhesetzungsverfahren ein eigenstän-diges
Verfahren. Beide Verfahren seien nicht
miteinander rechtlich verknüpft.
Das soll insbesondere für die Einleitung des Ver-fahrens
gelten, da bereits die Anordnung der
6. jurisPR-ArbR 46/2014
ärztlichen Untersuchung zur Prüfung der Dienst-fähigkeit
substanzielle Zweifel an der dau-ernden
Dienstfähigkeit der/s Betroffenen vor-aussetze.
Diese liegen nach Auffassung des
BVerwG jedenfalls dann vor, wenn ein BEM-Ver-fahren
erfolglos durchgeführt wurde.
Soweit bei der vom Verwaltungsgericht vorzu-nehmenden
Prüfung einer anderweitigen Ver-wendungsmöglichkeit
i.S.d. § 44 Abs. 1 Satz
3 BBG (§ 26 Abs. 2, 3 BeamtStG) die Anfor-derungen
an eine schlüssige Darlegung des
Dienstherrn über das Fehlen solcher Verwen-dungsmöglichkeiten
nicht im entsprechenden
Sinn abgeschlossen werden könne, gingen ver-bleibende
Zweifel zulasten des Dienstherrn.
Allerdings entlaste es den Dienstherrn, wenn
ein durchgeführtes BEM keine alternativen Be-schäftigungsmöglichkeiten
aufgezeigt habe.
C. Kontext der Entscheidung
Das Urteil des BVerwG liegt im Wesentli-chen
auf der Linie der bisherigen Rechtspre-chung
der zweitinstanzlichen Verwaltungsge-richte
(zur vereinzelt gebliebenen Gegenauffas-sung
vgl. VG Frankfurt a.M., Urt. v. 28.03.2014
- 9 K 3892/11.F Rn. 33 f.). Im Unterschied zur
Rechtsprechung der Oberverwaltungsgerichte
geht das BVerwG allerdings eindeutig davon
aus, dass § 84 Abs. 2 SGB IX neben den dienst-rechtlichen
Regelungen zum Verfahren bei Ver-setzungen
in den Ruhestand wegen Dienstfä-higkeit
anzuwenden ist. Insoweit ist eine Klä-rung
eingetreten, die bisher trotz der an sich
eindeutigen Rechtsprechung des 6. Senats des
BVerwG noch nicht allgemein anerkannt war.
Die Frage nach dem Verhältnis von § 84 Abs. 2
SGB IX zu den dienstrechtlichen Bestimmun-gen
über die Voraussetzungen und das Verfah-ren
einer Zurruhesetzung wegen Dienstunfähig-keit
beantwortet das BVerwG im Sinne der bis-herigen
obergerichtlichen Rechtsprechung (zur
vereinzelt gebliebenen Gegenauffassung vgl.
VG Frankfurt a.M., Urt. v. 28.03.2014 - 9 K
3892/11.F; von Roetteken, ZBR 2013, 325; 361;
Düwell in: Dau/Düwell/Joussen, SGB IX, 4. Aufl.,
§ 84 Rn. 71). Danach bleibt die mangelnde Be-achtung
des § 84 Abs. 2 SGB IX verfahrensrecht-lich
ohne Folgen für das Zurruhesetzungsver-fahren,
da die gleichwohl erlassene Zurruheset-zungsverfügung
allein deshalb nicht rechtswid-rig
ist, also aus diesem Grund nicht der gericht-lichen
Kassation verfällt.
Soweit das BVerwG für seine Auffassung auf
die mangelnde Regelung der Rechtsfolge ei-nes
Verstoßes gegen § 84 Abs. 2 SGB IX hin-weist
und dafür auf die aus seiner Sicht ab-weichende
Regelung des § 85 SGB IX verweist,
greift die Argumentation zur kurz. Welche Fol-gen
die fehlende Zustimmung des Integrati-onsamtes
zu einer Arbeitgeberkündigung hat,
ist weder in § 85 SGB IX noch an anderer
Stelle geregelt, sondern Ergebnis einer Ausle-gung
des Vorbehalts der vorherigen Zustim-mung.
Eine klare Rechtsfolgenregelung enthal-ten
insoweit lediglich § 102 Abs. 1 Satz 3
BetrVG, §§ 79 Abs. 4, 108 Abs. 2 BPersVG.
Vergleichbare Regelungen für die Beendigung
öffentlich-rechtlicher Dienstverhältnisse fehlen,
was das BVerwG allerdings nicht gehindert hat,
aus dem Erfordernis einer vor der Beendigung
durchzuführenden Beteiligungsverfahrens auf
die Rechtsfolge der Rechtswidrigkeit der ent-sprechenden
Beendigungsmaßnahme zu schlie-ßen,
wenn das entsprechende Beteiligungs-verfahren
nicht ordnungsgemäß durchgeführt
worden war (st. Rspr. seit BVerwG, Urt. v.
01.12.1982 - 2 C 59.81 - ZBR 1983, 189; von
Roetteken in von Roetteken/Rothländer, Beam-tStG,
§ 23 Rn. 457, m.w.N.). Es ist daher in
der bisherigen Rechtsprechung des 2. Senats
des BVerwG kein allgemeiner Grundsatz dahin
aufgestellt worden, dass die gesetzliche Vorga-be
zur Einhaltung eines bestimmten Verfahrens
hinsichtlich der Auswirkungen seiner mangeln-den
Beachtung stets eine konkrete Rechtsfol-genregelung
für ein anderes Verfahren voraus-setzt.
Soweit aus § 85 SGB IX im Hinblick auf das
Erfordernis einer vorherigen Zustimmung des
Integrationsamtes abzuleiten ist, dass eine
nachträgliche Zustimmung wirkungslos bleiben
muss, hätte sich das BVerwG die Frage vorle-gen
müssen, ob nicht aufgrund der zeitlichen
und sachlichen Voraussetzungen für die Ein-leitung
und Durchführung eines BEM herzulei-ten
ist, dass dieses Verfahren dem Zurruheset-zungsverfahren
zwingend vorausgehen muss.
Der 2. Senat des BVerwG gesteht dies jeden-falls
für die Mehrzahl der Fallgestaltungen zu
und geht insoweit zutreffend von einem stu-figen
Verhältnis des BEM (als zuerst einzulei-tendem
Verfahren) im Verhältnis zum Zurruhe-setzungsverfahren
aus. Dann aber hätte sich
7. jurisPR-ArbR 46/2014
das BVerwG die Frage stellen müssen, ob sich
nicht aus der von ihm angenommenen Zuord-nung
des § 84 Abs. 2 SGB IX zur Fürsorgepflicht
auch ein entsprechendes Recht der/s Betroffe-nen
auf die vorrangige Einleitung und ggf. auch
die Durchführung eines BEM ergibt, da § 84
Abs. 2 SGB IX nicht nur eine objektivrechtliche
Verfahrensnorm darstellt (ebenso unter Bezug
auf Art. 5 RL 2000/78/EG und die jüngere Rspr.
des EuGH zum Behindertenbegriff VG Frankfurt
a.M.; von Roetteken, ZBR 2013, 325; 361). In
diesem Fall wäre aus § 84 Abs. 2 SGB IX zumin-dest
die Nebenpflicht abzuleiten, mit der Einlei-tung
und Durchführung eines Zurruhesetzungs-verfahrens
zu warten, bis entweder das BEM
durchgeführt oder ein entsprechendes Angebot
des Dienstherrn abgelehnt worden ist (von Ro-etteken,
a.a.O.; Düwell in: Dau/Düwell/Joussen,
SGB IX, § 84 Rn. 71).
Die Auffassung des BVerwG zum Stellenwert
des BEM steht allerdings in Übereinstimmung
mit der Rechtsprechung des BAG, die vom
BVerwG sachlich zutreffend referiert wird. Aller-dings
leidet die Auffassung des BAG hinsicht-lich
der mangelnden Folgen eines unterlasse-nen
BEM auf eine Arbeitgeberkündigung unter
den gleichen Mängeln, da auch insoweit igno-riert
wird, dass der Arbeitgeber im Falle einer
krankheitsbedingten Kündigung vor Ausspruch
einer solchen Kündigung vorrangig seine Ver-pflichtungen
aus § 84 Abs. 2 SGB IX zu erfüllen
hat und darauf auch ein individueller Anspruch
besteht. Stattdessen wird die Problematik über
die Verschiebung der Darlegungs- und Beweis-last
auf den Arbeitgeber gelöst. Das entwertet
die Bedeutung des BEM erheblich und hat in der
bisherigen Praxis dazu geführt, dass § 84 Abs. 2
SGB IX meist folgenlos ignoriert werden kann.
Das BVerwG übernimmt den Ansatz des BAG
und macht dem Dienstherrn lediglich deutlich,
welche Vorteile er aus einem durchgeführten
BEM erlangen kann, nämlich die Klärung der
Zweifel an dauernden Dienstunfähigkeit und
den Ausschluss anderweitiger Beschäftigungs-möglichkeiten.
Soweit das BVerwG den Bezugspunkt des BEM
nur im konkreten Arbeitsplatz der/s Betroffenen
sieht, während die Beurteilung der Dienstunfä-higkeit
auf den Bereich des abstrakt-funktionel-len
Amtes und damit auf eine größere Zahl von
Tätigkeiten bezogen sei, scheint diese Ausle-gung
unmittelbar dem Wortlaut des § 84 Abs. 2
Satz 1 SGB IX zu entsprechen, da dort aus-drücklich
von der Erhaltung des Arbeitsplatzes
die Rede ist. Eine derartige Verkürzung wird je-doch
dem Zweck der Regelung in keiner Wei-se
gerecht, wie die Regelung in § 84 Abs. 1
SGB IX zeigt. Es geht auch in § 84 Abs. 2 SGB IX
um den Erhalt des Beschäftigungsverhältnisses
selbst, nicht um die leidensgerechte Anpassung
des bisherigen Arbeitsplatzes (Düwell in: Dau/
Düwell/Joussen, SGB IX, § 84 Rn. 32; von Roet-teken,
ZBR 2013, 325; 361).
Unbehandelt bleibt im Urteil des BVerwG, dass
sich § 84 Abs. 2 SGB IX jedenfalls für einen Teil
des davon erfassten Personenkreises als Teil-umsetzung
von Art. 5 RL 2000/78/EG darstellt
(von Roetteken, ZBR 2013, 325; 361, m.w.N.).
Insoweit hat der EuGH mehrfach entscheiden,
dass eine Beendigung eines Beschäftigungsver-hältnisses
dann gegen die RL 2000/78/EG ver-stößt,
wenn gegenüber einem Menschen mit ei-ner
Behinderung nicht zuvor die Verpflichtun-gen
aus Art. 5 RL 2000/78/EG erfüllt worden sind
(zuletzt EuGH, Urt. v. 11.04.2013 - C-335/11
u.a. - ZBR 2013, 341, 344 Rn. 67 „Ring u.a.“).
Da der Kläger des vom BVerwG entschiedenen
Verfahrens mehr als ein Jahr dienstunfähig er-krankt
war, bevor er in den Ruhestand versetzt
worden war, hätte sich einerseits die Frage ge-stellt,
ob er dem Schutzbereich der RL 2000/78/
EG unterfällt, anderseits die Frage, in welchem
Ausmaß die Erfüllung der in Art. 5 RL 2000/78/
EG geregelten Pflichten in ihrer Ausgestaltung
durch § 84 Abs. 2 SGB IX eine zwingende Vor-aussetzung
für die Beendigung des Dienstver-hältnisses
darstellen. Das BVerwG hat sich we-der
die entsprechenden Fragen gestellt, noch –
insoweit folgerichtig – erwogen, ob insoweit ei-ne
Vorlage an den EuGH entsprechend Art. 267
AEUV geboten war.
Die gleichen Fragen stellen sich in Bezug auf
Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG und Art. 27 UN-BRK.
D. Auswirkungen für die Praxis
In der Praxis wird damit zu rechnen sein, dass
mangelnde Beachtung der sich aus § 84 Abs. 2
SGB IX ergebenden Verpflichtungen nach wie
vor überwiegend folgenlos bleiben wird, soweit
es um Maßnahmen zur Beendigung des Be-schäftigungsverhältnisses
geht. Für Entlassun-gen
macht dies das Urteil des OVG Münster
vom 07.01.2013 (6 A 2371/11 - DÖD 2013, 126)
deutlich. Nicht geklärt ist, in welchem Umfang
8. jurisPR-ArbR 46/2014
sich das BVerwG der vom OVG Münster im An-schluss
an den BGH (Urt. v. 20.12.2006 - RiZ
(R) 2/06 - NVwZ-RR 2007, 328) vertretenen Auf-fassung
anschließt, dass eine im Ermessen ste-hende
Entlassung wegen mangelnder Bewäh-rung
aus gesundheitlichen Gründen ermessens-fehlerhaft
sein kann, wenn zuvor die Anforde-rungen
des § 84 Abs. 2 SGB IX nicht beachtet
wurden.
Unbeantwortet bleibt auch die Frage, ob eine
Entscheidung des Dienstherrn, wegen längerer
krankheitsbedingter Dienstunfähigkeit auf eine
dauernde Dienstunfähigkeit zu schließen, wie in
§ 44 Abs. 1 Satz 2 BBG bzw. § 26 Abs. 1 Satz
2 BeamtStG vorgesehen, fehlerhaft ist, wenn
ihr kein Angebot eines BEM und im Fall der
Zustimmung der/s Betroffenen dessen Durch-führung
vorausgegangen ist. Da die Entschei-dungen
nach § 44 Abs. 1 Satz 2 BBG bzw.
§ 26 Abs. 1 Satz 2 BeamtStG in der Ermes-sen
des Dienstherrn gestellt sind, spricht vie-les
dafür, dass derartige Tatbestandsfeststel-lungen
ermessensfehlerhaft sind, wenn § 84
Abs. 2 SGB IX unbeachtet geblieben ist.
Unbeantwortet ist ferner die Frage, welche Aus-wirkungen
die mangelnde Beachtung von § 84
Abs. 2 SGB IX auf die im Ermessen stehenden
Entscheidungen des Dienstherrn zur anderwei-tigen
Verwendung entsprechend § 26 Abs. 1
Satz 3, Abs. 2, 3 BeamtStG hat, ob derartige Ent-scheidung
ggf. ermessensfehlerhaft sind, wie
dies in der Rechtsprechung des BVerwG für die
mangelnde Beachtung von § 95 Abs. 2 Satz 1
SGB IX angenommen wird (vgl. zu § 95 Abs. 2
SGB IX BVerwG, Urt. v. 21.06.2007 - 2 A 6.06
- Schütz BeamtR ES/A II 1.4 Nr 154 Rn. 32,
m.w.N. ). § 26 BeamtStG unterscheidet sich in-soweit
von § 44 BBG, der in Abs. 1 Satz 3 jede
Zurruhesetzung ausschließt, wenn eine ander-weitige
Verwendung möglich ist.
Eine Korrektur der Rechtsprechung des
BVerwG, aber auch der des BAG wird nach dem
derzeitigen Diskussionsstand nur über eine Vor-lage
an den EuGH oder eine Verfassungsbe-schwerde
zu erreichen sein, oder der Gesetzge-ber
fügt in das SGB IX die von der Rechtspre-chung
vermissten klaren Rechtsfolgenregelun-gen
ein, um die tatsächliche Beachtung von § 84
SGB IX zu gewährleisten.
Positiv zu vermerken ist, dass die Anwendung
von § 84 Abs. 2 SGB IX auch im Vorfeld von Zur-ruhesetzungsverfahren
höchstrichterlich klar-gestellt
ist. Es ist Aufgabe der Beschäftigtenver-tretungen,
die Einhaltung der entsprechenden
Verpflichtungen konsequent und frühzeitig ein-zufordern.
E. Weitere Themenschwerpunkte der Ent-scheidung
Zwingende Voraussetzung für die Feststellung
der Dienstunfähigkeit ist nach Auffassung des
BVerwG die vorherige Feststellung der amtsbe-zogenen
Anforderungen auf der Grundlage des
dem abstrakt-funktionellen Amtes zuordenba-ren
Kreises von Amtsaufgaben. Der individuel-le
Gesundheitszustand ist in Bezug zu den ent-sprechenden
Anforderungen zu setzen, um auf
dieser Grundlage zu beurteilen, ob und in wel-chem
Umfang noch Dienstfähigkeit besteht. Die
Bestimmung dieser Anforderungen ist die not-wendige
Voraussetzung, um dauernde Dienst-unfähigkeit
anzunehmen. Darauf soll es nach
Auffassung des BVerwG jedoch dann nicht an-kommen,
wenn der Beamte bzw. die Beamtin
auf absehbare Zeit keinen Dienst leisten könne
(Rn. 34 des Besprechungsurteils). Das soll ins-besondere
dann der Fall sein, wenn der/die Be-troffene
gar nicht auf der Dienststelle erschei-nen
könne. Darin liegt eine unzulässige Ver-allgemeinerung,
weil es durchaus Beschäftigte
gibt, die aufgrund ihrer gesundheitlichen Ein-schränkungen
nicht mehr, jedenfalls nicht mehr
regelmäßig oder für den überwiegenden Teil der
Arbeitstage der Dienststelle bei ihr erscheinen
können, um Dienst zu leisten. Für diesen Per-sonenkreis
bleibt jedoch im Hinblick auf Art. 5
RL 2000/78/EG bzw. Art. 27 UN-BRK, ggf. auch
im Hinblick auf § 81 Abs. 4 SGB IX zu prüfen,
ob er seinen Dienst entweder in Teildienstfähig-keit
(§ 27 BeamtStG, § 45 BBG), ggf. in Kom-bination
mit teilweiser oder gar überwiegender
Telearbeit (vgl. § 13 Abs. 1 Satz 2, § 15 Abs. 2
BGleiG) verrichten kann (vgl. VG Frankfurt a.M.,
Beschl. v. 21.12.2009 - 9 L 3763/09.F - AGG-ES
B.II.6 § 81 SGB IX Nr. 11).
Soweit es um die Bestimmung der Anforde-rungen
des abstrakt-funktionellen Amtes geht,
muss zudem beachtet werden, dass damit im
Hinblick auf die Verwendung der entsprechen-den
Kriterien zugleich Entlassungsbedingungen
i.S.d. § 2 Abs. 1 Nr. 2 AGG bzw. Art. 3 Abs. 1 lit. c
RL 2000/78/EG aufgestellt werden. Der EuGH
hat den Übertritt in den Ruhestand als Entlas-sung
i.S.d. RL 2000/78/EG eingeordnet (EuGH,
9. jurisPR-ArbR 46/2014
Urt. v. 21.07.2011 - C-159/10, C-160/10 - NVwZ
2011, 1249 Rn. 34 = AGG-ES E.III.11 Art. 6
RL 2000/78/EG Nr. 20 „Fuchs u.a.“). Gleiches
wird für die Versetzung in den Ruhestand gelten
müssen.
Die beruflichen Anforderungen für eine Fortset-zung
der dienstlichen Tätigkeiten können als
Entlassungsbedingungen Menschen mit einer
Behinderung unmittelbar oder auch mittelbar
benachteiligen, so dass die Rechtfertigungsvor-aussetzungen
des § 8 Abs. 1 AGG bzw. des § 3
Abs. 2 AGG, jeweils i.V.m. § 24 Nr. 1 AGG er-füllt
sein müssen (vgl. BAG, Urt. v. 22.05.2014 -
8 AZR 662/13 - NZA 2014, 924 Rn. 32 ff.). Der-artige
Anforderungen sind nur dann angemes-sen
i.S.d. §§ 8 Abs. 1, 3 Abs. 2 AGG, wenn sie
den Anforderungen des Art. 5 RL 2000/78/EG
bzw. des Art. 27 UN-BRK genügen (BAG, Urt. v.
22.05.2014 - 8 AZR 662/13 - NZA 2014, 924, 927
Rn. 42). Diese Perspektive wird vom BVerwG
nicht näher angesprochen, wird in der Praxis je-doch
zur Vermeidung einer nach § 7 Abs. 1 AGG
verbotenen Benachteiligung durch eine Entlas-sung
bzw. Zurruhesetzung zu beachten sein.
3
Einstweilige Verfügung auf
Weiterbeschäftigung bei bisheriger
Dienststelle
Orientierungssätze:
1. Eine Entscheidung, mit der ein Arbeitneh-mer
für die Dauer von sechs Monaten mit
dem Ziel der Versetzung abgeordnet wird,
ist nicht mangels Begründung rechtswidrig.
Es handelt sich vielmehr um die Ausübung
des arbeitgeberseitigen Weisungsrechts in
einer besonderen Form, die nicht in der
schriftlichen Weisung selbst begründet wer-den
muss. Sie verstößt auch nicht gegen den
Gleichbehandlungsgrundsatz.
2. Ein Gericht, das eine für die Entscheidung
maßgebliche Gesetzesnorm für verfassungs-widrig
hält, kann nicht durch Art 100 Abs. 1
GG gehindert sein, vor der im Hauptsache-verfahren
einzuholenden Entscheidung des
BVerfG vorläufigen Rechtsschutz zu gewäh-ren,
wenn dies im Interesse eines effekti-ven
Rechtsschutzes geboten erscheint und
die Hauptsache dadurch nicht vorwegge-nommen
wird. Dies ist jedoch nur dann der
Fall, wenn deutliche Anhaltspunkte für eine
klar erkennbare Verfassungswidrigkeit der
entsprechenden Norm bestehen.
3. Es ist Arbeitnehmern grundsätzlich zu-mutbar,
einer arbeitgeberseitigen Weisung
zunächst Folge zu leisten, auch wenn sie
für rechtswidrig gehalten wird. Die Überprü-fung
der Weisung kann im Hauptsachever-fahren
geltend gemacht werden, stellt aber
keinen Verfügungsgrund für eine einstweili-ge
Verfügung dar.
Anmerkung zu ArbG Berlin, Urteil vom
01.07.2014, 16 Ga 8789/14
von Christoph J. Burgmer, RA, FA für Arbeits-recht
und FA für Medizinrecht, burgmer rechtsan-wälte,
Düsseldorf
A. Problemstellung
Die Entscheidung befasst sich mit der Frage der
Zumutbarkeit einer Abordnung zu einer ande-ren
Behörde als Erprobung auf der Grundlage
von § 37a StUG. Außerdem wird zur Reichweite
der Prüfungskompetenz des erkennenden Ge-richts
im vorläufigen Rechtsschutz Stellung ge-nommen,
wenn sich der Kläger auf die Verfas-sungswidrigkeit
der Norm beruft, die zu einer
ihn betreffenden Maßnahme (Versetzung) er-mächtigt.
B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Die Parteien streiten im vorläufigen Rechts-schutz
um den Erlass einer einstweiligen Ver-fügung
mit dem Inhalt, die beklagte Behörde
des BStU zu verpflichten, den Kläger bis zu ei-ner
rechtskräftigen Entscheidung in dem Haupt-sacheverfahren
weiterhin als Verwaltungsange-stellten
in der Behörde zu beschäftigen. Er war
bisher Mitarbeiter der Beklagten und dort als
Pförtner eingesetzt und früher Objektschützer
für das ehemalige MfS. Die Beklagte ordnete
den Kläger für die Dauer von sechs Monaten
zum BVA (Bundesverwaltungsamt) ab. Es wur-de
erklärt, die Abordnung erfolge mit dem Ziel
der Versetzung. Eine weitergehende Begrün-dung
enthielt das Schreiben nicht. Der neue
Einsatzort lag etwa 500 Meter vom bisherigen
Arbeitsplatz des Klägers entfernt. Die Abord-nung
erfolgte auf der Grundlage des § 37a StUG,
den der Gesetzgeber als eine Ergänzung des
StUG im Jahre 2011 beschlossen hatte. Die Vor-
10. jurisPR-ArbR 46/2014
schrift regelt, dass die Beschäftigung ehemali-ger
MfS-Mitarbeiter in der Stasi-Unterlagenbe-hörde
nicht erfolgen und die entsprechenden
Mitarbeiter nach einer Zumutbarkeitsprüfung in
andere Behörden versetzt werden sollten.
Der Personalrat und der Hauptpersonalrat der
Beklagten hatten der ursprünglichen Abord-nung
von ehemaligen MfS-Mitarbeitern nicht zu-gestimmt,
so dass die Beklagte die Einigungs-stelle
anrief. Diese entschied, dass der Haupt-personalrat
seine Zustimmung nicht hätte ver-weigern
dürfen. Die Einigungsstelle regte an,
von einer Abordnung abzusehen, wenn der be-troffene
Beschäftigte bei Beginn der Maßnah-me
63 Jahre und älter sei. Der Anregung folg-te
die Beklagte. Der Kläger wurde danach zu
der beabsichtigten Abordnung angehört und hat
sich schriftlich dagegen gewandt. Die Beklagte
nannte danach dem Kläger ihre Gründe für ein
Festhalten an der beabsichtigten Abordnung.
Der Personalrat des BVA hat der Abordnung für
die Dauer von sechs Monaten mit dem Ziel der
Versetzung in das Bundesverwaltungsamt zu-gestimmt.
Der Kläger hält § 37a StUG für verfassungswid-rig.
Er meint, die Versetzung sei schon aus for-meller
Sicht unwirksam, da es an einer Begrün-dung
fehle, es gebe auch keine dienstlichen
Gründe. Ihm könne eine Versetzung nicht zu-gemutet
werden, da er ohnehin schon durch
die Diskussion über die Verwendung ehemali-ger
MfS-Mitarbeiter beim Stasiunterlagenbeauf-tragten
derart gelitten habe, dass er erhebli-che
gesundheitliche Beeinträchtigungen habe,
die durch die Durchführung der Abordnung noch
verstärkt würden. Die Beklagte hält § 37a StUG
für verfassungskonform. Dem Kläger sei zumut-bar,
bis zur Klärung der Rechtsfragen im Haupt-sacheverfahren
seine Tätigkeit aufzunehmen.
Das ArbG Berlin hat den zulässigen Antrag des
Klägers als unbegründet zurückgewiesen.
Der Umstand, dass die Entscheidung, den Klä-ger
abzuordnen, in dem Schreiben selbst nicht
begründet worden sei, begründe nicht die
Rechtswidrigkeit der arbeitgeberseitigen Wei-sung.
Es handele sich vielmehr um die Aus-übung
des arbeitgeberseitigen Weisungsrechts
in einer besonderen Form, die nicht in der
schriftlichen Weisung selbst begründet werden
muss, da hierfür die Grundsätze des Arbeits-rechtes
und nicht des Verwaltungsrechtes gel-ten.
Eine Verfassungswidrigkeit von § 37a StUG kön-ne
im Eilverfahren nicht festgestellt werden, da
deutliche Anhaltspunkte für eine evidente Ver-fassungswidrigkeit
der Norm des § 37a StUG
nicht klar erkennbar seien. Die Vorschrift sei
vom Gesetzgeber beschlossen und vom Bun-despräsidenten
unterzeichnet worden, so dass
es eingehender Prüfung bedürfe, ob eine solche,
nach langer Diskussion gefundene Regelung
mit dem Grundgesetz vereinbar sei. Diese ein-gehende
Überprüfung sei in Ermangelung evi-denter
Anhaltspunkte für eine Verfassungswid-rigkeit
der anzuwenden Vorschrift dem Haupt-sacheverfahren
zu überantworten. Eine eviden-te
Rechtswidrigkeit könne auch nicht festge-stellt
werden. Vielmehr habe der Kläger im Vor-feld
seine Bedenken schriftlich geäußert, der
Personalrat und der Hauptpersonalrat der Be-klagten
hatten mit umfangreicher Begründung
der Abordnung widersprochen und die Eini-gungsstelle
habe sich mit den Argumenten in-tensiv
beschäftigt. Auch habe der Personalrat
des BVA nach Prüfung seine Zustimmung erteilt.
Die Abordnung sei auch zumutbar. Zwar liege
hier keine Versetzung vor. Die Abordnung sei
aber als milderes Mittel in § 37a StUG mitent-halten.
Im vorliegenden Fall habe sich die Be-klagte
zunächst bewusst für das mildere Mittel
entschieden, um zu erproben, ob eine anschlie-ßende
Versetzung auch tatsächlich zumutbar
sei. So habe es in der Vergangenheit durchaus
schon Fälle gegeben, in denen die Abordnung
zurückgenommen worden sei. Die Versetzung
als solche sei also mitnichten bereits beschlos-sen
gewesen.
Der Umstand, dass die Beklagte die von der Ei-nigungsstelle
vorgeschlagene Altersgrenze be-achte,
sei sachgerecht. Die Verwendung einer
Stichtagsklausel mache die Regelung nicht un-wirksam.
Solche Klauseln seien notwendig und
bewegten sich im Rahmen des Ermessens der
Behörde.
Schließlich sah das Gericht auch keinen Verfü-gungsgrund,
sondern stellte fest, es sei Arbeit-nehmern
grundsätzlich zuzumuten, einer ar-beitgeberseitigen
Weisung zunächst Folge zu
leisten, auch wenn sie sie für rechtswidrig hiel-ten.
Abweichungen von diesem Grundsatz wür-den
von der Rechtsprechung nur in bestimmten,
11. jurisPR-ArbR 46/2014
vom Arbeitnehmer darzulegenden und glaub-haft
zu machenden Ausnahmefällen angenom-men,
in denen der Arbeitnehmer ein gesteiger-tes
Abwehrinteresse habe. Dies könne der Fall
sein, wenn sich die Weisung etwa als offensicht-lich
unwirksam herausstellen sollte, sich der Ar-beitnehmer
erheblichen Gesundheitsgefahren
aussetzen würde, die Tätigkeiten sein berufli-ches
Ansehen irreparabel schädigten oder ihn
in schwere Gewissenkonflikte bringen würden.
All dieses sei hier nicht gegeben. Der Sachvor-trag
des Klägers in Bezug auf mögliche Repres-salien
am neuen Arbeitsplatz wegen seiner frü-heren
Tätigkeit für das MfS sei zwar subjek-tiv
nachzuvollziehen, aber unsubstantiiert und
nicht glaubhaft.
Angesichts der Gesamtumstände (der grund-sätzlichen
Beibehaltung der Tätigkeit, keine
Entgeltminderung, Entfernung zum neuen Ar-beitsplatz
von lediglich 500 Metern) erschei-ne
eine Versetzung nicht so gravierend, dass
der Kläger sich hiergegen schützen müsse. Es
sei dem Verfügungskläger vielmehr zuzumuten,
die neue Tätigkeit zunächst anzutreten und sei-ne
Rechte im Hauptverfahren zu vertreten.
Der Kläger hat Berufung beim LArbG Berlin-
Brandenburg eingelegt (Az.: SaGa 1468/14).
C. Kontext der Entscheidung
Das ArbG Berlin bezieht sich in seinen Ausfüh-rungen
zum Verfügungsgrund im Zusammen-hang
mit dem Direktionsrecht des Arbeitgebers
auf die gefestigte Rechtsprechung, dass eine
für rechtswidrig gehaltene Weisung, sofern sie
nicht evident rechtswidrig ist, zunächst zu befol-gen
ist. Die eingehende Überprüfung der Recht-mäßigkeit
der Weisung sei dem Hauptsachever-fahren
vorbehalten (so auch LArbG Frankfurt,
Urt. v. 15.02.2011 - 13 SaGa 1934/10 Rn. 49;
LArbG Hamm, Urt. v. 05.02.2008 - 11 SaGa
4/08; LArbG Chemnitz, Beschl. v. 26.10.2005
- 2 Sa 641/05). Eine Ausnahme von diesem
Grundsatz werde nur dann gemacht, wenn der
Arbeitnehmer ein gesteigertes Abwehrinteres-se,
beispielsweise bei irreparabler Rufschädi-gung
durch die Befolgung der Weisung, besit-ze
(so auch LArbG Mainz v. 09.02.2011 - 7 Ta
4/11 Rn. 35; LArbG Hamm, Urt. v. 05.02.2008
- SaGa 4/08; LArbG Berlin-Brandenburg, Urt. v.
12.08.2008 - 16 SaGa 1366/08). Das ArbG Ber-lin
schließt sich in seiner hier besprochenen Ent-scheidung
dieser wohl als herrschende Meinung
zu bezeichnenden Rechtsprechung vorbehalt-los
an und verneint ein gesteigertes Abwehrin-teresse
des Verfügungsklägers und damit auch
den Verfügungsgrund und die Notwendigkeit ei-ner
Entscheidung im Eilverfahren.
Außerdem wird der Beschluss des BVerfG vom
24.06.1992 (1 BVR 1028/91) zur Vorlagepflicht
im Eilverfahren in die Entscheidungsfindung
einbezogen. Das ArbG Berlin machte jedoch von
der ihm eingeräumten Kompetenz, vor der im
Hauptsacheverfahren einzuholenden Entschei-dung
des BVerfG zunächst vorläufigen Rechts-schutz
zu gewähren, keinen Gebrauch. Es sah
hierzu keine Veranlassung, da die in Rede ste-hende
Norm des § 37a StUG nicht evident
rechtswidrig schien.
D. Auswirkungen für die Praxis
Die Entscheidung des ArbG Berlin zeigt, wie
schwierig es ist, den Verfügungsanspruch im
vorläufigen Rechtsschutz bzw. Eilverfahren auf
die Rechtswidrigkeit einer gesetzlichen Vor-schrift
zu stützen. Die Instanzgerichte werden
nur selten willens und in der Lage sein, ei-ne
Rechtsnorm als evident rechtswidrig zu be-zeichnen.
Insoweit verlangte man auch nahe-zu
Unmögliches, denn die Prüfung der formel-len
und materiellen Verfassungsmäßigkeit ei-ner
Vorschrift ist kompliziert und zeitaufwendig.
Zeit indes ist im Eilverfahren kaum vorhanden,
so dass der Vortrag, eine entscheidungserheb-liche
Norm sei rechtswidrig, nur höchst selten
verfangen dürfte.
Im Übrigen sollte der Sachvortrag, wie eigent-lich
immer, hinreichend substantiiert sein, um
ihn gegenüber dem erkennenden Gericht glaub-haft
zu machen. Es zieht sich wie ein roter
Faden durch die Entscheidungen der Gerichte,
dass vorgebrachte Gründe mangels Substanti-iertheit
nicht tragen. So war es auch hier. Der
Verfügungskläger behauptete einfach, ihm wür-den
Repressalien aufgrund seiner Tätigkeit als
Objektschützer für das MfS zu Zeiten der DDR
drohen, falls man ihn in eine andere Behörde
versetzte. Belegen konnte er diese Behauptung
freilich nicht, so dass er auch insoweit keinen
Verfügungsanspruch glaubhaft machen konnte.
Nachdem die Abordnung zum BVA nur auf Zeit
erfolgte, hätte das ArbG Berlin noch diskutieren
können, ob überhaupt ein Rechtsschutzbedürf-nis
im Eilverfahren bestand. Die Maßnahme der
12. jurisPR-ArbR 46/2014
Abordnung zum BVA war erkennbar nur zur Er-probung
angeordnet worden. Eine Unumkehr-barkeit
war nicht mit ihr verbunden, so dass ein
Rechtsschutzbedürfnis im Eilverfahren eigent-lich
gar nicht bestand. Hier legte das ArbG Ber-lin
keinen sonderlich hohen Maßstab an. Dies
geschah wahrscheinlich vor dem Hintergrund,
überhaupt erst in die Sachprüfung gelangen zu
wollen, um dort detailliert dazulegen, warum
vorläufiger Rechtsschutz nicht gewährt werden
könne.
4
Kündigung eines Schwerbehinderten
durch den Betriebserwerber in der
Insolvenz
Orientierungssatz:
Die von einem Insolvenzverwalter vor dem
Eintritt eines Betriebsübergangs beim Inte-grationsamt
beantragte und nach dem Be-triebsübergang
an ihn zugestellte Zustim-mung
zur Kündigung eines schwerbehin-derten
Arbeitnehmers stellt keine dem Be-triebserwerber
erteilte Zustimmung i.S.d.
§ 85 SGB IX dar, auf die er sich zur Kündigung
dieses Arbeitnehmers berufen kann.
Anmerkung zu BAG, Urteil vom 15.11.2012,
8 AZR 827/11
von Dr. André Zimmermann, LL.M., RA und
FA für Arbeitsrecht, King & Wood Mallesons LLP,
Frankfurt am Main / Dr. Johanna Gerstung,
RA'in, Allen & Overy LLP, Frankfurt am Main
A. Problemstellung
Nach § 85 SGB IX bedarf die Kündigung des
Arbeitsverhältnisses eines schwerbehinderten
Menschen durch den Arbeitgeber der vorhe-rigen
Zustimmung des Integrationsamtes. Im
Falle der positiven Bescheidung wird die Zu-stimmung
durch Zustellung gemäß § 88 Abs. 2
Satz 1 SGB IX i.V.m. § 85 SGB IX gegenüber
dem Arbeitgeber erteilt. Befindet sich der Be-trieb
in der Insolvenz, ist der Insolvenzverwalter
nach § 87 Abs. 1 Satz 1 SGB IX antragsbefugt.
Geht der Betrieb aber noch während des lau-fenden
Verwaltungsverfahrens auf einen Erwer-ber
über, ist der Insolvenzverwalter bei Zustel-lung
der Zustimmung nicht mehr kündigungs-befugt.
Die Frage, ob sich der Betriebserwerber
als neuer Arbeitgeber auf eine vom Insolvenz-verwalter
als Betriebsveräußerer vor Betriebs-übergang
beantragte, aber erst nach Betriebs-übergang
an den Insolvenzverwalter zugestellte
Zustimmung zur Kündigung berufen kann, hatte
das BAG im vorliegenden Fall zu entscheiden.
B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit ei-ner
von der Beklagten ausgesprochenen or-dentlichen
Kündigung. Der mit einem GdB von
50 schwerbehinderte Kläger war seit 1989 bei
der W.-GmbH beschäftigt. Über deren Vermö-gen
wurde durch Beschluss des Amtsgerichts
am 01.06.2010 das Insolvenzverfahren eröffnet
und ein Insolvenzverwalter bestellt.
Zum 01.07.2010 übernahm die Beklagte den
Betrieb der W.-GmbH, und das Arbeitsverhältnis
des Klägers ging auf die Beklagte über. Bereits
am 23.06.2010 hatte der Insolvenzverwalter
mit dem Betriebsrat der W.-GmbH einen Inter-essenausgleich
mit Namensliste gemäß § 125
Abs. 1 InsO vereinbart. Der Kläger war in der Lis-te
der zu kündigenden Mitarbeiter aufgeführt.
Nachdem der Insolvenzverwalter mit Schreiben
vom 29.06.2010 beim zuständigen Integrations-amt
einen Antrag auf Zustimmung zur ordentli-chen
Kündigung des Klägers gestellt hatte, er-teilte
dieses mit Bescheid vom 29.07.2010 die
Zustimmung.
Nach ordnungsgemäßer Anhörung von Be-triebsrat
und Schwerbehindertenvertretung
kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis
mit dem Kläger am 17.08.2010 schriftlich zum
31.03.2011.
Der Kläger erhob Kündigungsschutzklage. Die
Vorinstanzen gaben dem Kläger Recht. Das BAG
folgte der Begründung des Landesarbeitsge-richts
und wies die Revision der Beklagten als
unbegründet zurück.
Die Kündigung sei nach § 85 SGB IX i.V.m. § 134
BGB rechtsunwirksam, weil die Beklagte sie oh-ne
die nach § 85 SGB IX erforderliche vorheri-ge
Zustimmung des Integrationsamtes ausge-sprochen
habe. Die dem Insolvenzverwalter –
als damals Antragsbefugtem – erteilte Zustim-mung
stelle keine der Beklagten erteilte Zustim-mung
i.S.d. § 85 SGB IX dar. Das ergebe sich aus
dem Wortlaut des § 87 Abs. 1 Satz 1 SGB IX, wo-nach
„der Arbeitgeber“ die Zustimmung beim
13. jurisPR-ArbR 46/2014
zuständigen Integrationsamt schriftlich zu be-antragen
habe. Die Entscheidung des Integrati-onsamts,
also auch die Zustimmung zur Kündi-gung,
sei nach § 88 Abs. 2 Satz 1 SGB IX „dem
Arbeitgeber“ und dem schwerbehinderten Men-schen
zuzustellen. Die Beklagte als kündigende
Arbeitgeberin habe aber weder die Zustimmung
zur Kündigung beim Integrationsamt beantragt
noch sei ihr von diesem der Zustimmungsbe-scheid
zugestellt worden.
Nach Auffassung des BAG ändere auch
der Übergang des Arbeitsverhältnisses am
01.07.2010 gemäß § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB
auf die Beklagte daran nichts. Zum Zeitpunkt
des Betriebsübergangs sei der Insolvenzverwal-ter
Antragsteller gewesen. Die am 29.07.2010
erteilte Zustimmung sei aber letztlich ins Leere
gegangen, weil sie dem nicht mehr kündigungs-berechtigten
Insolvenzverwalter und nicht – wie
es § 88 Abs. 2 Satz 1 SGB IX i.V.m. § 85 SGB IX
verlange – dem Arbeitgeber erteilt worden war.
Das Gericht führte für dieses Ergebnis neben
dem Gesetzeswortlaut auch Sinn und Zweck
als Argument an. Demnach soll der Insolvenz-verwalter
bei der Antragstellung auf den be-absichtigten
Betriebsübergang hinweisen, da-mit
das Integrationsamt das in seiner Entschei-dung
über die Zustimmung zur Kündigung des
schwerbehinderten Arbeitnehmers unter Betei-ligung
des Betriebserwerbers nach den §§ 1, 12
Abs. 1 Nr. 2 SGB X berücksichtigen kann. Denn
im Falle eines Antrags während des Insolvenz-verfahrens
unter Hinweis auf einen Interessen-ausgleich
mit Namensliste nach § 125 InsO sei
das Ermessen des Integrationsamts nach Maß-gabe
des § 89 Abs. 3 SGB IX erheblich einge-schränkt,
da die Zustimmung hier grundsätz-lich
erteilt werden soll. Das Integrationsamt le-ge
seiner Entscheidung gerade die nach den
§§ 88, 89 SGB IX vom Arbeitgeber mitgeteilten
Kündigungsgründe zugrunde.
C. Kontext der Entscheidung
Das BAG setzt mit der vorliegenden Entschei-dung
seine Rechtsprechung zu den Rechtsfol-gen
eines Betriebsübergangs fort. Nach § 613a
Abs. 1 Satz 1 BGB gehen alle im Zeitpunkt
des Übergangs bestehenden Arbeitsverhältnis-se
und die sich hieraus ergebenden Rechte und
Pflichten auf den Betriebserwerber über. Schon
früh hatte das BAG entschieden, dass ein neu-er
Arbeitgeber so in das Arbeitsverhältnis ein-tritt,
wie er es im Zeitpunkt des Betriebsüber-gangs
vorfindet (BAG, Urt. v. 22.02.1978 - 5 AZR
800/76). Das gilt für bestehenden besonderen
Kündigungsschutz und für Kündigungsverbote
mit Erlaubnisvorbehalt, wie bei § 85 SGB IX. Sind
Kündigungen durch ein Verbot mit Erlaubnisvor-behalt
eingeschränkt, gelten diese Einschrän-kungen
auch für den Erwerber (BAG, Urt. v.
11.12.2008 - 2 AZR 395/07).
Das Gericht stellt für die Erteilung dieser Erlaub-nis
in Form der Zustimmung nach § 85 SGB IX
klar, dass auf der Ebene eines im Zeitpunkt
des Betriebsübergangs noch laufenden Verwal-tungsverfahrens
anschließend eventuell erteilte
Zustimmungen von Behörden – vorliegend des
Integrationsamts – nicht ohne weiteres dem Be-triebserwerber
zugutekommen. Vielmehr hatte
das BAG im vorliegenden Fall dem Betriebser-werber
das Berufen auf die auf Antrag des Insol-venzverwalters
erteilte Zustimmung verwehrt.
Der Senat macht in seiner Entscheidung deut-lich,
dass Antragsteller und Kündigungsberech-tigter
nicht zwingend ein und dieselbe Per-son
sein müssen. Nach Auffassung des Ge-richts
würde dies vielmehr dem Sinn und
Zweck der Insolvenzordnung – die Rettung von
Unternehmen(steilen) und eine Befreiung von
Schulden des Insolvenzschuldners – entgegen-stehen.
Um dem Erwerber einen Neustart zu er-möglichen
und im Vorgriff auf ein Erwerberkon-zept
den Personalabbau in der Insolvenz zu er-möglichen,
gelte es deshalb, die Voraussetzung
einer Beteiligung des Erwerbers zu beachten.
Der Unternehmenserwerb und die hiermit ein-hergehende
Änderung der Rahmenbedingun-gen
für die mögliche Kündigung sind für das In-tegrationsamt
entscheidungserhebliche Tatsa-chen,
die für die Erteilung oder Versagung ei-ner
Zustimmung während des laufenden Ver-fahrens
bekannt sein müssen. Erst dann kann
das Integrationsamt sein Ermessen tatsächlich
ausüben und ist nicht schon durch die Soll-Vor-schrift
des § 89 Abs. 3 SGB IX (außer in Ausnah-mefällen)
zur Erteilung verpflichtet.
Ob etwas anderes für ein bereits beendetes
Verwaltungsverfahren mit Bescheid der Zustim-mung
zur Kündigung des schwerbehinderten Ar-beitnehmers
gilt, hat der Senat offengelassen.
14. jurisPR-ArbR 46/2014
D. Auswirkungen für die Praxis
Der Insolvenzverwalter sollte im Falle eines be-reits
eingeleiteten Antragsverfahrens zur Kündi-gung
eines schwerbehinderten Arbeitnehmers
schon vor Abschluss des Veräußerungsvertrags
das Integrationsamt informieren und auf ei-ne
unverzügliche Beteiligung des Betriebser-werbers
hinwirken. Genauso sollten interessier-te
Erwerber sich frühzeitig über eventuell lau-fende
Kündigungsverfahren schwerbehinderter
Arbeitnehmer informieren und mit der Verein-barung
eines (zukünftigen) Erwerbs die sofor-tige
Anzeige gegenüber dem Integrationsamt
mit der Bitte um Beteiligung am Verwaltungs-verfahren
aussprechen. Dann kann das Inte-grationsamt
den Betriebserwerber am Zustim-mungsverfahren
nach den §§ 1, 12 Abs. 1 Nr. 2
SGB X beteiligen und nach erfolgtem Betriebs-übergang
den Zustimmungsbescheid dem Be-triebserwerber
als kündigungsberechtigten Ar-beitgeber
zustellen. So könnte auch eine vom
Insolvenzverwalter beantragte Zustimmung für
den zwischen Antragstellung und Zustimmung
eintretenden Betriebserwerber Wirkung entfal-ten.
5
Kündigungsschutz für
Betriebsratsmitglieder
Orientierungssatz zur Anmerkung:
Die kündigungsschutzrechtlich relevante
Mitgliedschaft in einem betriebsverfas-sungsrechtlichen
Organ besteht ab dem Tag,
an dem die Stimmen vom Wahlvorstand be-triebsöffentlich
ausgezählt wurden und fest-steht,
dass der Betroffene eine ausreichen-de
Stimmenzahl erhalten hat.
Anmerkung zu LArbG Hamm, Beschluss vom
23.06.2014, 13 TaBVGa 21/14
von Dr. Martin Wolmerath, RA
A. Problemstellung
In seiner Entscheidung hatte das LArbG Hamm
der Frage nachzugehen, ab welchem Zeitpunkt
der besondere Kündigungsschutz von Betriebs-ratsmitgliedern
besteht.
B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Streitgegenstand im einstweiligen Verfügungs-verfahren
ist das Recht des Antragstellers, den
Betrieb zum Zwecke der Wahrnehmung von Be-triebsratsaufgaben
zu betreten.
Der Antragsteller gehörte dem bei der Antrags-gegnerin
eingerichteten Betriebsrat seit 2010
an. Dessen Amtszeit endete am 07.04.2014.
Nachdem der Wahlvorstand am 12.03.2014
ein Wahlausschreiben erlassen und dieses
am 13.03.2014 an dem Schwarzen Brett
des Betriebsrats ausgehängt hatte, fand am
14.05.2014 die Wahl des neuen Betriebsrats
statt, wobei es nur einen Wahlvorschlag gab.
Die Auszählung der Stimmen erfolgte am Abend
desselben Tages in der Kantine des Betriebs.
Dort war eine Liste mit den Namen der Wahlbe-werber
aufgehängt. Auf dieser Liste wurde hin-ter
dem Namen des betreffenden Kandidaten
pro abgegebene Stimme ein Strich gesetzt. Der
Antragsteller erhielt 124 Stimmen und belegte
damit den fünften von neun Plätzen.
Eine Auflistung des Wahlergebnisses mit den
gewählten Betriebsratsmitgliedern wurde so-dann
in der Kantine, etwa zehn Meter entfernt
von dem Schwarzen Brett des Betriebsrats aus-gehängt.
Tags darauf wurde dem Antragsteller „außeror-dentlich
und fristlos“ gekündigt. Zudem wurde
ihm ein sofortiges Hausverbot erteilt.
Unter dem 19.05.2014 erließ der Wahlvor-stand
ein Schreiben wonach er „aufgrund
der rechtswidrigen Vorkommnisse wie etwa
der rechtswidrigen Wahlbeeinflussungen“ be-schlossen
habe, „die Wahl als ungültig zu erklä-ren“.
Ebenfalls am 19.05.2014 leitete der Antragstel-ler
das vorliegende Verfahren ein, mit dem er
den Zutritt zu dem Betrieb begehrt, um Be-triebsratsaufgaben
erledigen zu können. Der
Antragsteller hält die Kündigung mangels Be-triebsratsbeteiligung
für unwirksam. Schließlich
sei er am 14.05.2014 in den Betriebsrat gewählt
worden.
Dem tritt die Antragsgegnerin mit ihrer Auffas-sung
entgegen, dass es infolge der fehlerhaften
15. jurisPR-ArbR 46/2014
Bekanntgabe des Wahlergebnisses nicht zu ei-ner
Neuwahl des Betriebsrats gekommen sei.
In seiner Entscheidung folgt das LArbG Hamm
der Ansicht des Antragstellers und spricht ihm
das begehrte Zutrittsrecht zu.
Der Verfügungsanspruch folge aus § 78 Satz 1
BetrVG, auch wenn diese Vorschrift nicht aus-drücklich
einen darauf gerichteten Abwehran-spruch
enthalte. Dieser ergebe sich aus dem
Zweck der Regelung, die Erfüllung von Betriebs-ratsaufgaben
namentlich durch ein Behinde-rungsverbot
zu sichern.
Im Falle der (außerordentlichen) Kündigung des
Arbeitsverhältnisses eines Amtsträgers beste-he
während der Dauer der Ungewissheit, ob
die Kündigung wirksam ist, grundsätzlich kein
Recht des betroffenen Betriebsratsmitglieds auf
Zutritt zu dem Betrieb. Insoweit sei von einer
(zeitweiligen) Verhinderung i.S.d. § 25 Abs. 1
BetrVG auszugehen. Etwas anderes gelte aus-nahmsweise
bei Vorliegen einer offensichtlich
unwirksamen Kündigung. Letzteres sei vorlie-gend
der Fall. Zum Zeitpunkt des Zugangs der
Kündigung habe der Antragsteller den beson-deren
Kündigungsschutz nach § 15 Abs. 1 Satz
1 KSchG besessen, so dass die Antragsgegne-rin
dem Zustimmungserfordernis nach § 103 Be-trVG
hätte Rechnung tragen müssen. Schließ-lich
bestehe die kündigungsschutzrechtlich re-levante
Mitgliedschaft in einem betriebsverfas-sungsrechtlichen
Organ bereits ab dem Tag,
an dem die Stimmen vom Wahlvorstand be-triebsöffentlich
ausgezählt wurden und fest-steht,
dass der Betroffene eine ausreichende
Stimmenzahl erhalten hat. Das sei am Abend
des 14.05.2014 erfolgt.
Unschädlich sei es, dass das Wahlergebnis von
dem Wahlvorstand (bis heute) nicht in der ge-hörigen
Form gemäß den §§ 23 Abs. 1 Satz 2
i.V.m. 18 Satz 1 und 3 Abs. 4 Satz 1 WO bekannt
gemacht worden sei, weil dies nur in der Kan-tine
erfolgt ist – nicht aber an dem Schwarzen
Brett des Betriebsrats, wo das Wahlausschrei-ben
ausgehängt worden war.
Ein anderes Ergebnis ergebe sich selbst dann
nicht, wenn man entscheidend auf die förmli-che
Bekanntmachung nach den Vorschriften der
WO abstellen würde. In dieser Konstellation ha-be
der Antragsteller als Wahlbewerber den mit
einem Betriebsratsmitglied vergleichbaren Son-derkündigungsschutz
nach § 15 Abs. 3 Satz 1
KSchG i.V.m. § 103 Abs. 1, Abs. 2 BetrVG gehabt.
Wiederum sei eine Zustimmung zur Kündigung
erforderlich gewesen.
Würde man der Rechtsprechung des Sechsten
Senats des BAG folgen, der entgegen der An-sicht
des Siebten Senats maßgeblich an die ge-mäß
§ 29 Abs. 1 BetrVG vorzunehmende Konsti-tuierung
des Betriebsrats anknüpft, dann sei am
15.05.2014 noch kein (neuer) Betriebsrat vor-handen
gewesen, der um Zustimmung hätte er-sucht
werden können. Allerdings hätte es der
Antragsgegnerin zur Vermeidung von betriebs-verfassungsrechtlichen
Schutzlücken für Man-datsträger
oblegen, vor Ausspruch der Kündi-gung
in analoger Anwendung des § 103 Abs. 2
BetrVG das Zustimmungsersetzungsverfahren
vor den Gerichten für Arbeitssachen erfolgreich
durchzuführen.
Nach alledem sei die außerordentliche Kündi-gung
vom 15.05.2014 offensichtlich unwirksam,
so dass dem Antragsteller das Recht zustehe,
den Betrieb zum Zwecke der Erledigung von Be-triebsratsaufgaben
zu betreten.
Dem stehe nicht entgegen, dass möglicherwei-se
die Amtszeit des neu gewählten Betriebsra-tes
immer noch nicht begonnen hat, weil das
Wahlergebnis nicht in der gehörigen Form ge-mäß
den §§ 23 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. 18 Satz 1
und 4 Abs. 4 Satz 1 WO am Schwarzen Brett
des Betriebsrats bekannt gegeben wurde. Statt-dessen
habe der Wahlvorstand die Betriebsrats-wahl
mit Schreiben vom 19.05.2014 für ungül-tig
erklärt, ohne eine entsprechende Befugnis
zu besitzen. Denn auf der Basis des § 19 BetrVG
seien ausschließlich die Gerichte für Arbeitssa-chen
dazu berufen, eine erfolgte Betriebsrats-wahl
für ungültig zu erklären – wobei angesichts
der im Verfahren vage gebliebenen Andeutun-gen
keine Anhaltspunkte für eine Nichtigkeit der
erfolgten Wahl erkennbar seien.
Die geschilderten Pflichtverletzungen des Wahl-vorstands,
namentlich der Verstoß gegen die
zwingenden Normen zur Bekanntmachung des
Wahlergebnisses und auch zur Einberufung der
ersten Betriebsratssitzung, könnten nicht da-zu
führen, die als Betriebsratsmitglieder ge-wählten
und die Wahl angenommen haben-den
Arbeitnehmer daran zu hindern, ihr Man-dat
wahrzunehmen und eigeninitiativ dafür zu
sorgen, dass (endlich) die erforderlichen Schrit-
16. jurisPR-ArbR 46/2014
te zur Konstituierung des Betriebsrates einge-leitet
werden. Andernfalls hätte es der Wahl-vorstand
durch unterlassene und möglicherwei-se
erst durch eine gerichtliche Entscheidung zu
erwirkende förmliche Handlungen in der Hand,
den Beginn der Amtszeit eines Betriebsrats zu
verzögern. Dies sei nicht von 18 Satz 1 WO ge-deckt.
Schlussendlich sei es für den Antragsteller als
gewähltes Betriebsratsmitglied zur Abwendung
wesentlicher Nachteile nötig, umgehend Zutritt
zu dem Betrieb zu erhalten, um dort seinen be-triebsverfassungsrechtlichen
Aufgaben zeitnah
nachkommen zu können.
C. Kontext der Entscheidung
Die Entscheidung der erkennenden Kammer
des LArbG Hamm liegt auf der Linie der Recht-sprechung
des BAG, setzt daran an und ent-wickelt
sie weiter. Vor allem den in den Be-triebsrat
gewählten Wahlbewerbern vermittelt
der Beschluss Rechtssicherheit. Den Arbeitge-bern
gibt die Entscheidung Rechtsklarheit, da
sie nunmehr wissen, was bei einer Betriebsrats-wahl
hinsichtlich der in den Betriebsrat gewähl-ten
Arbeitnehmer in kündigungsrechtlicher Hin-sicht
zu beachten ist, falls eine ordnungsgemä-ße
Bekanntmachung des Wahlergebnisses un-terbleibt
und/oder die Konstituierung des neu
gewählten Betriebsrats nicht erfolgt bzw. noch
nicht passiert ist.
D. Auswirkungen für die Praxis
Der Beschluss des LArbG Hamm verdeutlicht
zunächst, wie wichtig eine fundierte Schulung
des Wahlvorstands ist. Nur wer über das erfor-derliche
Wissen verfügt, der kann sowohl bei
der Vorbereitung als auch bei der Durchfüh-rung
der Betriebsratswahl Fehler vermeiden so-wie
begangene Fehler reparieren. Dass so man-cher
Arbeitgeber bisweilen geneigt ist, Fehler
des Wahlvorstands zum eigenen Vorteil zu nut-zen,
liegt auf der Hand. Das ist verständlich und
auch nicht verwerflich, soweit die Grenzlinie des
Erlaubten nicht überschritten wird. Insoweit hat
das LArbG Hamm die Arbeitgeberin zu Recht in
ihre Schranken verwiesen.
Sträflich ist es ohne Wenn und Aber, wenn der
Wahlvorstand seine besondere Stellung miss-braucht
und auf die Betriebsratswahl bzw. den
neu gewähltem Betriebsrat und seine Arbeit
Einfluss zu nehmen versucht oder gar nimmt. In-soweit
stellt das LArbG Hamm unmissverständ-lich
klar: Dem Wahlvorstand steht es nicht zu,
eine Betriebsratswahl für ungültig zu erklären.
Auch kann er die in den Betriebsrat gewähl-ten
Arbeitnehmer nicht daran hindern, ihren be-triebsverfassungsrechtlichen
Pflichten nachzu-kommen
und bei Bedarf die Konstituierung des
Gremiums in die Wege zu leiten. Die Entschei-dung
über die Wirksamkeit oder Unwirksamkeit
einer Betriebsratswahl treffen allein die Gerich-te
für Arbeitssachen. Das ist gut so und muss
auch so bleiben.
6
Berücksichtigung eines unechten
Hilfsantrags auf Weiterbeschäftigung
beim Streitwert
Orientierungssatz:
Ist über den Antrag auf vorläufige Weiter-beschäftigung
weder von den Vorinstanzen
noch vom BAG entschieden worden, kommt
eine Berücksichtigung dieses Hilfsantrags
bei der Streitwertfestsetzung nicht in Be-tracht.
Anmerkung zu BAG, Beschluss vom 13.08.2014,
2 AZR 871/12
von Werner Ziemann, Vors. RiLArbG
A. Problemstellung
Auf der Basis der ersten Fassung eines einheitli-chen
Streitwertkatalogs für die Arbeitsgerichts-barkeit
aus dem Jahre 2013 hat die Streitwert-kommission
eine überarbeitete Fassung des
Streitwertkatalogs (Streitwertkatalog 2014) er-stellt.
Dieser sieht unter Nr. 12 und 24 für den
Anspruch auf (Weiter-)Beschäftigung als Streit-wert
ein Monatsentgelt vor. Für den tatsächli-chen
Ansatz eines Monatsentgelts müssen je-doch
Voraussetzungen gegeben sein, die nicht
immer gegeben sind, wie das BAG aufzeigt.
B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Die Parteien stritten in der dritten Instanz über
die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung
und über den Antrag auf Weiterbeschäftigung.
Das Verfahren wurde mit einem Prozessver-gleich
erledigt. Das BAG setzte für die Erledi-
17. jurisPR-ArbR 46/2014
gung der Bestandsschutzstreitigkeit das Viertel-jahresentgelt
nach § 42 Abs. 2 Satz 1 GKG an.
Der Weiterbeschäftigungsantrag blieb ohne An-satz,
während für den im Vergleich beigelegten
Streit über den Anspruch auf ein qualifiziertes
Zeugnis ein Monatsentgelt festgesetzt wurde.
Der Antrag des Klägers, ihn bis zum rechtskräf-tigen
Abschluss des Kündigungsrechtsstreits zu
unveränderten Arbeitsbedingungen tatsächlich
weiterzubeschäftigen, führte zu keiner Erhö-hung
des Streitwerts. Der Antrag wurde als un-echter
Hilfsantrag ausgelegt. Nach § 45 Abs. 1
Satz 2 GKG werde ein hilfsweise geltend ge-machter
Anspruch mit dem Hauptanspruch nur
zusammengerechnet, soweit eine Entscheidung
über ihn ergeht. Dies gelte auch für einen un-echten
Hilfsantrag. Der für die Gerichtsgebüh-ren
maßgebende Wert gelte insoweit nach § 32
Abs. 1 RVG auch für die Rechtsanwaltsgebüh-ren.
Im Streitfall war über den Antrag auf Weiterbe-schäftigung
weder von den Vorinstanzen noch
vom BAG entschieden worden. Er würde sich in
der Revisionsinstanz zudem mit einer Beendi-gung
des Kündigungsrechtsstreits objektiv erle-digen
und beim BAG – weil durch diese Beendi-gung
auflösend bedingt – schon deshalb nicht
zur Entscheidung anfallen.
Der Hilfsantrag erhöhe im Streitfall auch den
Wert des gerichtlichen Vergleichs nicht. Nach
§ 45 Abs. 4 GKG gelte zwar bei einer Erledi-gung
des Rechtsstreits durch Vergleich Absatz
1 Satz 2 der Bestimmung entsprechend. Durch
den Prozessvergleich sei über den Hilfsantrag
auf Weiterbeschäftigung aber selbst sinnge-mäß
nicht „entschieden“ worden. Das Landes-arbeitsgericht
hatte zuvor über ihn nicht ent-schieden,
und die Parteien haben sich in dieser
Situation auf eine Beendigung ihres Arbeitsver-hältnisses
aufgrund der Kündigung geeinigt. Ob
sich dann, wenn das Landesarbeitsgericht über
den Hilfsantrag positiv entschieden hätte, aus
§ 47 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 2 GKG etwas an-deres
ergäbe, hat das BAG dahinstehen lassen.
Mit dem festgesetzten Mehrwert für den Ver-gleich
in Höhe eines Monatsentgelts wurde der
Streit der Parteien über den Inhalt eines dem
Kläger zu erteilenden Arbeitszeugnisses berück-sichtigt.
C. Kontext der Entscheidung
Nach § 39 Abs. 1 GKG werden in demselben Ver-fahren
und in demselben Rechtszug die Werte
mehrerer Streitgegenstände zusammengerech-net,
soweit nichts anderes bestimmt ist. Etwas
anderes ist in § 45 Abs. 1 Satz 2 GKG für Hilfs-ansprüche
geregelt. Danach wird ein hilfswei-se
geltend gemachter Anspruch mit dem Haupt-anspruch
nur zusammengerechnet, soweit eine
Entscheidung über ihn ergeht. Betreffen die An-sprüche
denselben Gegenstand, ist nach § 45
Abs. 1 Satz 3 GKG nur der Wert des höheren An-spruchs
maßgebend.
Für den Weiterbeschäftigungsantrag geht das
BAG regelmäßig davon aus, dass dieser mit ei-nem
Hilfsantrag geltend gemacht wird, auch
wenn hiervon im Antrag nicht ausdrücklich
die Rede ist (BAG, Beschl. v. 30.08.2011 - 2
AZR 668/10, m. Anm. Ziemann, jurisPR-ArbR
20/2013 Anm. 2). Von der Unbedingtheit des
Antrags geht das BAG dagegen nur aus, wenn
der Wille, einen unbedingten Antrag zu stel-len,
ausdrücklich erklärt worden ist. Folgt man
dieser Auslegungsmaxime, dann werden sämtli-che
fortbestandsabhängigen Streitgegenstände
mit Hilfsanträgen geltend gemacht, z.B. Folge-kündigungen
und Verzugsvergütung (TZA/Zie-mann,
Streitwert und Kosten 1 A 15). In den ge-nannten
Fällen entspricht es dem Interesse der
klagenden Partei an einem kostenschonenden
Vorgehen. Auch bei anwaltlicher Vertretung der
klagenden Partei kann ohne gegenteilige An-haltspunkte
unterstellt werden, dass die kosten-schonendsten
Anträge gemeint sind (näher Zie-mann,
jurisPR-ArbR 20/2013 Anm. 2).
Mit dem Auslegungsergebnis „uneigentlicher“
oder „unechter“ Hilfsantrag steht jedoch noch
nicht fest, dass keine Streitwertaddition erfolgt.
Denn seit langer Zeit ist umstritten, ob nur der
echte oder auch der unechte Hilfsantrag der
Bemessungsnorm des § 45 Abs. 1 Satz 2 GKG
unterfällt. Der Zweite Senat geht erneut oh-ne
weitere Begründung davon aus, dass § 45
Abs. 1 Satz 2 GKG mit der Formulierung „hilfs-weise
geltend gemachter Anspruch“ auch den
unechten Hilfsantrag meint. Dies entspricht der
wohl h.M. (vgl. nur LArbG Hamm v. 11.04.2007
- 6 Ta 40/07; LArbG Düsseldorf v. 09.12.2002
- 17 Ta 516/02; LArbG Düsseldorf, Beschl. v.
08.04.2003 - 17 Ta 139/03; LArbG Düsseldorf,
Beschl. v. 27.07.2000 - 7 Ta 249/00; LArbG
Mainz, Beschl. v. 01.07.2004 - 5 Ta 104/04).
18. jurisPR-ArbR 46/2014
Unter den in § 19 Abs. 1 GKG a.F. = § 45
Abs. 1 GKG n.F. genannten „hilfsweise geltend
gemachten Anspruch“ fällt danach auch ein un-eigentlicher
Hilfsantrag (LArbG Frankfurt, Be-schl.
v. 26.06.1997 - 6 Ta 25/97; LArbG Frankfurt
v. 22.06.1995 - 6 Ta 404/95; LArbG Frankfurt
v. 24.07.1995 - 6 Ta 266/95; LArbG Frankfurt v.
18.08.1995 - 6 Ta 346/95; LArbG Düsseldorf, Be-schl.
v. 27.07.2000 - 7 Ta 249/00; LArbG Düssel-dorf,
Beschl. v. 08.11.1990 - 7 Ta 356/90; LArbG
Düsseldorf, Beschl. v. 13.07.1989 - 7 Ta 165/89;
LArbG Düsseldorf, Beschl. v. 13.07.1989 - 7
Ta 219/89; LArbG Mainz, Beschl. v. 21.06.1990
- 9 Ta 104/90; LArbG Stuttgart, Beschl. v.
10.09.1987 - 3 Ta 114/87; a.A. LArbG Han-nover,
Beschl. v. 17.04.2001 - 3 Ta 118/01;
LArbG München, Beschl. v. 30.10.1990 - 5 Ta
135/90; LArbG Köln, Beschl. v. 31.07.1995 - 13
Ta 114/95; LArbG Köln, Beschl. v. 04.07.1995 -
10 Ta 80/95; LArbG Mainz, Beschl. v. 16.04.1992
- 10 Ta 76/92; LArbG Hamburg, Beschl. v.
26.03.1992 - 4 Ta 20/91; für den gleichgela-gerten
Fall der Hilfsaufrechnung höchstrichter-lich
geklärt, vgl. BGH, Beschl. v. 25.09.2008
- VII ZB 99/07). Für eine Differenzierung zwi-schen
„echten“ und „uneigentlichen“ Hilfsan-trägen
soll nach wiederholter Befassung des Ge-setzgebers
mit dieser Frage kein Raum mehr
sein. Ob ein Hilfsantrag für den Fall des Ob-siegens
oder Unterliegens gestellt wird, ände-re
nichts an dem Charakter als Hilfsantrag; ent-scheidend
für die Anwendung von § 45 Abs. 1
Satz 2 GKG sei nicht das wirtschaftliche (End-
)Ziel der klagenden Partei, sondern die Abhän-gigkeit
einer gerichtlichen Entscheidung von ei-ner
innerprozessualen Bedingung (Creutzfeldt,
NZA 1996, 956, m.w.N.).
Ebenfalls umstritten ist, ob über § 32 RVG
die Einordnung auch des unechten Hilfsan-trags
unter § 45 Abs. 1 Satz 2 GKG verbind-lich
ist für die anwaltliche Vergütung. Inso-weit
wird von der h.M. angenommen, dass für
die Rechtsanwaltsgebühren nichts Abweichen-des
gilt (TZA/Ziemann, Streitwert und Kosten, 1
A 408, m.w.N.). Dem schließt sich der Zweite Se-nat
ohne nähere Begründung an. Das Ergebnis
überzeugt. In § 32 RVG wird nicht danach diffe-renziert,
ob die Rechtsverfolgung oder Rechts-verteidigung
im Hinblick auf eine Eventualkla-gehäufung
mit besonderen anwaltlichen und/
oder richterlichen Vorbereitungsarbeiten ver-bunden
ist (BGH, Beschl. v. 25.09.2008 - VII ZB
99/07, betr. Hilfsaufrechnung; OLG Karlsruhe,
Beschl. v. 20.03.2007 - 7 W 1/07; OLG Hamm,
Beschl. v. 02.01.2007 - 19 U 48/06; LArbG Stutt-gart,
Beschl. v. 10.11.2003 - 3 Ta 153/03; LArbG
Berlin, Beschl. v. 03.03.2004 - 17 Ta (Kost)
6138/03; kritisch zum anwaltlichen Arbeitsauf-wand
Zirnbauer, FA 2011, 130; LArbG Köln, Be-schl.
v. 21.06.2002 - 7 Ta 59/02).
Die vergleichsweise Beilegung des Rechts-streits
rechtfertigt keine streitwertmäßige Be-rücksichtigung
des unechten Hilfsantrags auf
Weiterbeschäftigung. Ein unechter Hilfsantrag
ist entsprechend § 45 Abs. 1 Satz 2 GKG (§ 45
Abs. 4 GKG) streitwertmäßig nicht zu berück-sichtigen,
wenn er nicht Gegenstand eines Ver-gleichs
wird. Eine Entscheidung über den un-echten
Hilfsantrag darf bei einem Urteil nur er-folgen,
wenn der Eventualfall eintritt, wenn al-so
dem Hauptantrag stattgegeben wird. Erst für
diesen Fall stellt die klagende Partei ihren Hilfs-anspruch
im Rechtsstreit zur Entscheidung. Ent-sprechendes
gilt nach § 45 Abs. 4 GKG bei ei-ner
vergleichsweisen Beendigung des Verfah-rens.
Auch in diesem Fall muss der Eventual-fall
eintreten, also eine positive Regelung zum
Hauptantrag, damit eine Regelung zum Fortbe-stand
des Arbeitsverhältnisses. Dies gilt ohne
Rücksicht darauf, ob der Vergleich – wie regel-mäßig
– zum Ausgleich sämtlicher geltend ge-machter
Ansprüche bestimmt ist und insoweit
mittelbar auch den Hilfsanspruch umfasst und
ob sich Gericht und Parteien (vorsorglich) be-reits
mit diesem Hilfsantrag befasst haben. Die
Gegenansicht übergeht die für den Gegenstand
des Rechtsstreits, an den sich die Bemessung
des Gegenstandswertes anschließt, vom Kläger
zulässigerweise gesetzte Bedingung (vgl. OLG
Köln, Beschl. v. 22.02.1996 - 18 W 57/95). Die
Weiterbeschäftigungspflicht wurde im Streitfall
im Vergleich nicht geregelt. Die Parteien einig-ten
sich auf eine Beendigung zum Kündigungs-termin.
Damit ist die von der klagenden Par-tei
gesetzte Bedingung für den Hilfsantrag bzw.
für die vergleichsweise Regelung des Hilfsan-spruchs,
nämlich die Klärung der Unwirksam-keit
der Kündigung, nicht eingetreten. Nicht ab-schließend
geklärt ist insoweit, ob die Erledi-gung
einer Bestandsschutzstreitigkeit regelmä-ßig
einer Zusammenrechnung entgegensteht
oder ob in der Einigung über die Beendigung
zugleich ein Verzicht auf eine Weiterbeschäfti-gung
gesehen werden und deshalb eine Zusam-menrechnung
bejaht werden kann.
Liegen die Voraussetzungen der Zusammen-rechnung
vor, betrifft diese den Streitwert des
19. jurisPR-ArbR 46/2014
Verfahrens und des Vergleichs (TZA/Ziemann,
Streitwert und Kosten, 1 A 418), während der
Zweite Senat wohl nur von einer Erhöhung des
Vergleichswerts ausgeht.
Mit dem Ansatz für den Vergleichsmehrwert ori-entiert
sich der Zweite Senat an Nr. 22.1 des
Streitwertkatalogs 2014; der Inhalt des qualifi-zierten
Zeugnisses war zwischen den Parteien
streitig.
D. Auswirkungen für die Praxis
Es muss damit gerechnet werden, dass die
regelmäßige Auslegung des Weiterbeschäf-tigungsantrags
(und ggf. weiterer fortbe-standsabhängiger
Anträge) als Hilfsantrag von
der Streitwertrechtsprechung aufgegriffen wird.
Dies führte zu erheblichen Gebühreneinbußen,
die nur durch ein Ausweichen in getrennte Kla-gen
zu vermeiden wären. Es muss bezweifelt
werden, ob die über § 32 RVG angeordnete An-wendung
von § 45 Abs. 1 Satz 2 GKG für die an-waltliche
Vergütung der vom Anwalt zu leisten-den
Tätigkeit gerecht wird. Der Verfasser hat an
anderer Stelle folgende Fassung von § 32 RVG
angeregt:
„Wird der für die Gerichtsgebühren maßgeben-de
Wert gerichtlich festgesetzt, ist die Festset-zung
auch für die Gebühren des Rechtsanwalts
maßgebend. Ein hilfsweise geltend gemach-ter
Anspruch wird jedoch mit dem Hauptan-spruch
zusammengerechnet. Betreffen Haupt-und
Hilfsanspruch denselben Gegenstand, ist
nur der Wert des höheren Anspruchs maßge-bend.“