1. Sollen Pensions
kassen in Krypto
investieren?
Bitcoin ist in aller Munde, seit er wieder neue Höchststände erklimmt – und dennoch
ist es in kaum einem PK-Portfolio anzutreffen. Zu Recht?
Kryptowährungen (Kryptos) sind digitales Bargeld. Wir alle
kennen und nutzen digitales Buchgeld täglich in Form von
Kreditkarten und Zahlungsanweisungen. Dieses verdrängt
zunehmend physisches, von der einheimischen Zentralbank
herausgegebenes Bargeld in Form von Noten und Münzen.
Aber digitales Bargeld?
Technisch gesehen sind Kryptos nichts anderes als digitale
Zeichenfolgen (Token), die dank der Verwendung von Ver-
schlüsselungstechnologien (Kryptografie) in dezentral orga-
nisierten Protokollen auf verteilten Computernetzen sicher-
stellen, dass der gleiche Token nicht gleichzeitig mehrmals
verwendet werden kann – genauso, wie eine gut gemachte
Banknote nicht kopiert werden kann.
Der wesentliche Unterschied zwischen digitalem und physi-
schem Bargeld besteht darin, dass es bei Kryptos (noch)
keine mit einer Zentralbank vergleichbare Gegenpartei gibt.
Die Geldpolitik, d. h. die Regeln, nach denen Kryptos ge-
schöpft oder vernichtet werden, sind in transparenten Com-
puterprogrammen kodiert und können nur durch einen Kon-
sens bzw. eine Mehrheit der Betreiber dieser dezentralen
Protokolle geändert werden. Das ist neben der Sicherheit der
verwendeten Kryptografie der zentrale Angriffspunkt von
Kryptos – man würde von einer 51%-Attacke sprechen. Al-
lerdings war bis dato noch kein solcher Angriff auf Protokoll-
ebene erfolgreich.
Spekulation oder Investition?
Es gibt keine klare, eindeutige Trennlinie zwischen Investi-
tion und Spekulation, da das Anlagegeschäft notwendiger-
weise mit der Zukunft und den darin inhärenten Unwägbar-
keiten(≠Risiken)befasstist.Dennochkannmanunter
scheiden
zwischen Anlagen, die erkennbar der Greater-Fool-Theorie
folgen – deren Erfolg also davon abhängig ist, dass man nach
dem Kauf einen noch grösseren Trottel findet, der einen hö-
heren Preis zu bezahlen bereit ist –, und anderen, die auf in
der Zukunft gelegene, abdiskontierbare Wertschöpfung ab-
stellen. Die Finanzlehrbücher befassen sich praktisch aus-
schliesslich mit der zweiten Kategorie.
Wenn wir allerdings zulassen, dass die Qualität künftiger
Wertschöpfung im heutigen Zeitalter schneller, disruptiver
Innovation nicht sicher erkennbar ist (Beispiele Kodak, Nokia
etc.), betreten wir die reale Welt jenseits akademischer Theo-
rie. Hier gelten Warren Buffetts Daumenregeln, dass der
Preis das ist, was man bezahlt, und der Wert jenes, was man
dafür erhält. Um sich vor der Situation zu schützen, dass der
bezahlte Preis höher als der erhaltene Wert ist, diversifiziert
man.
Umgemünzt auf die Klasse der Kryptowährungen bedeutet
diese Unterscheidung, dass wir versuchen müssen zu erken-
nen, ob Kryptos nur der Greater-Fool-Theorie folgen oder
aber tatsächlich eine disruptive Erneuerung des Finanzwe-
sens erwarten lassen.
Kryptos im Frühling 2024
Im Jahr 16 der Krypto-Zeitrechnung gibt es gemäss Coinge-
cko 13169 Kryptos mit einer auf 980 nicht regulierten Han-
delsplätzen gehandelten, totalen Marktkapitalisierung von
über 2.7 Billionen Dollar. Bitcoin hat daran laut Coinmarket-
cap einen Anteil von 52%, gefolgt von Ether mit 18% und
dem auf Dollar bezogenen Stablecoin Tether mit rund 5%.
Krypto und ESG
Kryptos bzw. deren Blockchains werden buchhalterisch als
verteilte Hauptbücher («distributed ledger») bezeichnet. Da
diese dezentral organisiert sind, brauchen sie einen Koordi-
nationsmechanismus. Die erste Version eines solchen Mecha-
nismus war Bitcoins Arbeitsbeleg («proof of work» oder et-
was polemisch «proof of waste»). Dieser beweist durch das
rechnerisch hochaufwendige, aber sonst nutzlose Lösen
kryptografischer Rätsel, dass die involvierten Rechner ihre
Koordinationsaufgaben korrekt ausgeführt haben. Dabei
werden Unmengen an Elektrizität verbraucht: Gemäss aktu-
ellen Schätzungen ist von 175 TWh pro Jahr auszugehen,
was mehr als dem dreifachen Verbrauch der ganzen Schweiz
entspricht.
6 Anlagewerkstatt April 2024
2. Demgegenüber steht der «Proof-of-sta-
ke»-Mechanismus des Ethereum-Pro-
tokolls, der seit der Ablösung des
Arbeitsbelegs im Jahr 2022 ausweist,
wie viel Kapital in Form von Ether die
Betreiberin von Netzwerkknoten für
ihr korrektes Verhalten ins Risiko stellt.
Sie wird dafür mit einem Zins von ak-
tuell 7% p. a. belohnt. Dieser Zins ist
vergleichbar mit dem risikolosen Zins
in der traditionellen Finanzwelt. Jeden-
falls wird durch diesen Koordinations-
mechanismus der aktuelle jährliche
Stromverbrauch des Ethereum-Proto-
kolls auf geschätzt 0.006 TWh gesenkt.
DeFi und Zentralbanken
Anders als das Bitcoin-Protokoll, das nur
wenige Instruktionen beherrscht, ist das
2014 entwickelte Ethereum-Protokoll
ein vollwertiger Computer – der grösste
der Welt! Auf ihm ist inzwischen eine
eigenständige dezentralisierte Finanz-
industrie (DeFi) entstanden, die über
viele, frei kombinierbare Anwendungs-
fälle die Funktionen der traditionellen
Finanzindustrie (TradFi) replizieren
kann. Fabian Schär von der Universität
Basel hat das in einer bei der Federal
Reserve Bank of St. Louis (USA) publi-
zierten, weitherum beachteten Arbeit
schematisch aufgezeichnet.
Diese Entwicklungen stossen in der
Welt der Zentralbanken auf grosses In-
teresse. Die Bank für Internationalen
Zahlungsausgleich (BIZ) hat mehrere
Innovationszentren gegründet, um die
Möglichkeiten in Zusammenarbeit mit
der Industrie weiter zu erforschen. Ver-
schiedene Zentralbanken (darunter die
SNB) experimentieren mit digitalen
Zentralbankwährungen (CBDC) bzw.
haben wie die chinesische Zentralbank
bereits eine solche herausgegeben.
Fazit
Der Kryptowinter von 2022 hat bewie-
sen, dass die meisten Versprechungen
der Krypto-Anhänger nicht zutreffen:
Weder war der Bitcoin ein Schutz gegen
die im Nachgang zu Covid und dem Uk-
rainekrieg schnell anziehende (und ak-
tuell wieder fallende) Inflation, noch hat
er als guter Diversifikator gedient. Die
aktuelle Hausse ist aus der Kombination
eines technisch begründeten Vierjah-
reszyklus (Stichwort «halving») und der
kürzlich erfolgten, erstmaligen Geneh-
migung eines Spot-Bitcoin-ETFs durch
die US SEC entstanden. Nichts davon
widerspricht der Greater-Fool-Theorie.
Dazu kommt, dass ein Engagement in
Bitcoin den ESG-Richtlinien vieler Pen-
sionskassen widersprechen dürfte.
CHRISTIAN DREYER
unabhängiger Finanzanalyst, CFA
TAKE AWAYS
– Decentralized Finance (DeFi) gilt
als wichtigstes Anwendungsgebiet
von Krypto, durch das die Funk
tionen der traditionellen Finanz
industrie ersetzt werden sollen.
– Grosse, mit Venture Capital ver
gleichbare Unwägbarkeiten
zeigen noch keinen klaren Pfad
zur Marktreife.
– Bitcoin ist nicht kompatibel
mit den ESG-Richtlinien vieler
Pensionskassen.
Quelle: Fabian Schär, Federal Reserve Bank of St. Louis
Schematische Darstellung der Decentralized Finance
All dem stehen die durchaus realen
Potenziale für echte zukünftige Wert-
schöpfung basierend auf Krypto-Tech-
nologien und Anwendungsfällen gegen-
über. Damit stehen wir aber noch in
einem frühen Stadium der Entwicklung,
das mit hohen Unwägbarkeiten behaf-
tet ist, nicht zuletzt regulatorischer Art.
Mit Ausnahmen wie El Salvador oder
der Zentralafrikanischen Republik wird
sich die Staatenwelt hüten, die mone-
täre Souveränität aus den Händen zu
geben.
Ein solches Risikoprofil ist somit ver-
gleichbar mit Investitionen in Start-ups.
Solange eine Pensionskasse aus Risiko-
gründen ein Venture-Capital-Engage-
ment meidet, sollte sie auch keine
Krypto-Anlagen tätigen – sonst könnte
sie plötzlich als Greater Fool dastehen.
Aggregation layer
Application layer
Protocol layer
Asset layer
Settlement layer
Aggregator 1
Exchange Lending Derivatives
(Ethereum) blockchain
…
…
Asset
management
Fungible
tokens: ERC-20
Non-fungible
tokens: ERC-721
Native protocol
asset (ETH)
Aggregator 2 Aggregator 3
Anlagewerkstatt April 2024 7