1. market access & health policy [•][•] market access & health policy
20 21www.healthpolicy-online.de www.healthpolicy-online.de
EU-Preisbildung & Preisreferenzierung
In der Europäischen Union liegt die Entscheidungsmacht über strikte Preiskontrollen oder freie Preisbildung bei
Arzneimitteln in der Hand der einzelnen Mitgliedsstaaten und führt so zu erheblichen Preisdifferenzen. Vor allem
in osteuropäischen Ländern hat sich in den vergangenen zwei Dekaden ein komplexes System aus nationalen Preis-
festsetzungen und Preisvergleichen mit anderen Ländern etabliert. Im vorliegenden Beitrag wird exemplarisch für die
Länder Polen, Rumänien, Bulgarien und die Slowakei die Interdependenz von Referenzierungsmethoden und einzelnen
Preisregulierungen modelliert. Damit sollen mögliche Preisreaktionen in einzelnen Ländern aufgrund von Preisänderungen
in anderen Ländern antizipiert werden und den in den jeweiligen Ländern tätigen generischen Pharmaunternehmen
Hinweise auf deren strategische Preisentscheidungen geben.
Schwerpunkt Ost-EU
>> Stetig steigende Gesundheits-
ausgaben führen nicht nur in
Deutschland, sondern in ganz
Europa zu verschiedenen Ansät-
zen der Ausgabenregulierung. Vor
allem die Arzneimittelversorgung
stellt einen großen Kostenfaktor
dar, was in den einzelnen Staaten
der europäischen Union (EU) zu un-
terschiedlichen Preisregulierungs-
instrumenten geführt hat. Obwohl
die EU versucht, den Arzneimittel-
markt für Europa zu harmonisie-
ren, liegt die Entscheidungsmacht
über strikte Preiskontrollen oder
freie Preisbildung in der Hand der
einzelnen Mitgliedsstaaten, was
erhebliche Preisdifferenzen zur
Folge hat. Besonders in den jün-
geren Staaten Osteuropas hat sich
ein äußerst komplexes und viel-
fach undurchsichtiges Preisregu-
lierungsinstrumentarium etabliert,
dessen Kern auf der internationalen
Preisreferenzierung beruht. Hierbei
werden die Arzneimittelpreise ver-
gleichbarer europäischer Staaten,
meist Nachbar- und Niedrigpreis-
länder, stetig durch die zuständi-
gen Behörden beobachtet und bei
einer Preissenkung dieser Staaten
der Preis des Präparats im eigenen
Land angepasst.1
Dies stellt besonders für die
auf diesen Märkten vertretenen
Generikahersteller eine große
Herausforderung dar. Die stetige
Referenzierung der Länder unter-
einander kann einen schnellen
Preisverfall verursachen und ist für
die Hersteller schwer vorhersehbar.
Hinzu kommt, dass die jeweiligen
nationalen Gesetzgebungen häufig
einen großen Handlungsspielraum
für die zuständigen Behörden er-
öffnen und deren genaue Metho-
dik des Preisvergleichs dadurch oft
intransparent ist. Der vorliegende
Beitrag versucht exemplarisch an-
hand von drei fiktiven Produkten
die Interdependenz nationaler
Preisregulierungen der Länder Bul-
garien, Polen, Rumänien und der
Slowakei aufzuzeigen und erlaubt
damit Generikaherstellern strate-
gische Optionen im Hinblick auf die
Preisfestsetzung und Einführung
von Produkten abzuleiten.
Internationale
Preisvergleiche in Europa
Grundlage der Preisfestsetzung
von Arzneimitteln der einzelnen
osteuropäischen Länder sind Preis-
vergleiche. Diese Methodik der
internationalen Preisreferenzie-
rung, oder „international reference
pricing“ (IRP) ist in der EU weit
verbreitet und wird insgesamt in
24 von 27 Mitgliedsstaaten ange-
wandt. Dabei werden meist soge-
nannte „Länderkörbe“ entwickelt,
die in der Regel fünf bis zehn Re-
ferenzländer umfassen und nach
ökonomischen Kriterien, manchmal
aber auch bewusst nach niedrigen
Arzneimittelpreisen ausgewählt
werden. Weitere Auswahlkriterien
können die geographische Nähe
oder die Qualität der vorhandenen
Preisdatenbanken sein. Einige Län-
der betrachten aber auch die Preise
sämtlicher EU-Staaten. Allerdings
ist nicht nur die Frage nach den
Auswahlkriterien der Referenzlän-
der für die Preisentstehung von
Bedeutung. Ausschlaggebend ist
zudem, ob ein Durchschnitt oder
der Median als Verhandlungsba-
sis herangezogen wird oder wie
mit schwankenden Wechselkursen
und versteckten Rabatten umge-
gangen wird.2
Des Weiteren muss
zusätzlich die soeben beschriebene
Methodik der Berechnung zum Bei-
spiel eines Durchschnittspreises
von der sogenannten „informellen“
Preisreferenzierung unterschieden
werden, da diese nicht offiziell
geregelt ist und somit nicht auf
einer bestimmten Formel basiert.3
Abbildung 1 gibt einen Überblick
über die Verbreitung der einzelnen
Methoden innerhalb Europas.
Die Referenzierungs-
methoden im Detail
In Tabelle 1 werden die Refe-
renzierungsmethoden der Länder
Bulgarien, Polen, Rumänien und
der Slowakei zusammengefasst so-
wie die Referenzierung der Länder
untereinander in Tabelle 2 veran-
schaulicht. Darüber hinaus werden
Tab.1: Referenzierungsmethoden und Länderkörbe der Beispielländer.
Abb.1: Internationale Preisreferenzierung in Europa. Quelle: Eigene Darstellung nach Angaben vgl. Vogler, Preisbildung und Erstattung
von Arzneimitteln in der EU (2012), S. 51; Cassel/Ulrich, Herstellerabgabepreise auf europäischen Arzneimittelmärkten als Erstattungs-
rahmen in der GKV‐Arzneimittelversorgung (2012), S. 75 und S. 104.
Internationale Preisreferenzierung in Europa
1: Vgl. Vogler, Preisbildung und Erstattung
von Arzneimitteln in der EU – Gemein-
samkeiten, Unterschiede, Trends (2012),
S. 52.
2: Vogler, Preisbildung und Erstattung
von Arzneimitteln in der EU – Gemein-
samkeiten, Unterschiede und Trends
(2012), S. 48 ff.
3: Vgl. Cassel/Ulrich, Herstellerabgabe-
preise auf europäischen Arzneimittelmärk-
ten als Erstattungsrahmen in der GKV-
Arzneimittelversorgung (2012), S. 105.
Referenzierungsmethoden und Länderkörbe der Beispielländer
Land Referenzierungsmethoden Länderkorb
Bulgarien Die Preisfestsetzung in Bulgarien orientiert sich all-
gemein am niedrigsten Preis der Länder im bulga-
rischen Referenzkorb. Es ist gesetzlich vorgegeben,
dass der Preis eines Arzneimittels erhöht werden
muss, sobald er in einem Referenzland ebenfalls er-
höht wird, und zwar bis zum niedrigsten Preis in den
Referenzländern.
Rumänien, Frankreich, Estland,
Griechenland, Slowakei, Litauen,
Portugal, Spanien, Italien, Finn-
land, Dänemark und Slowenien.
Ausweichländer: Belgien, Tsche-
chien, Ungarn, Polen und Lettland
Polen Hier steht die zuständige Behörde mit dem betrof-
fenen Pharmaunternehmen in Verhandlung über ei-
nen möglichst niedrigen Preis. Senkt ein EU-Land
während dieser Zeit seinen Preis, wird dies mit einer
neuen Erstattungsbewerbung mit in Betracht gezo-
gen. Allgemein orientiert sich Polen ebenfalls am
niedrigsten Preis seines Länderkorbes und die Höhe
der Erstattung ist hier für einen bestimmten Zeitraum
festgelegt (informelles IRP).
Gesamte EU
Rumänien Laut Gesetz sollten in Rumänien 12 EU-Länder verg-
lichen und der niedrigste Preis übernommen werden.
Der Vergleich basiert hier auf dem Wert pro Tablette
oder pro Milligramm des Wirkstoffes und findet für
alle verschreibungspflichtigen Medikamente statt,
auch, wenn sie nicht erstattet werden. Desweiteren
darf der Preis eines Generikums nicht mehr als 65 An-
teile von Hundert des Preises des Originalpräparats
betragen und das Herstellerland des Präparats wird
zusätzlich in den direkten Preisvergleich, neben den
Ländern in Rumäniens Referenzkorb, mit einbezogen.
Laut Gesetz sind 12 EU-Länder ent-
halten, in der Praxis werden aller-
dings lediglich die Länder Bulgari-
en, Polen, Slowakei, Tschechien und
Ungarn herangezogen.
Slowakei Die Slowakei vergleicht zwei Mal im Jahr die Arznei-
mittelpreise. Vergleichsbasis sind hier sogenannte
CIP-Preise, also die Herstellerabgabepreise ohne Ein-
fuhrzoll und –versteuerung. Dieser darf nicht höher
sein, als der Durchschnitt der niedrigsten drei Preise
des Länderkorbes. Ist der Preis nur in zwei Ländern
des Länderkorbes verfügbar, gilt als maximaler Preis
der Durchschnitt dieser beiden. Der pharmazeutische
Unternehmer muss den Durchschnitt für sein Präparat
bei der Antragstellung selbst anhand eines vorgege-
benen Formulars berechnen und hierfür die durch das
Gesundheitsministerium veröffentlichten Preisquellen
und Umrechnungshinweise, falls keine CIP-Preise zur
Verfügung stehen, heranziehen.
Österreich, Belgien, Bulgarien,
Zypern, Tschechien, Dänemark,
Estland, Finnland, Frankreich,
Deutschland, Griechenland, Hol-
land, Kroatien, Irland, Italien, Lett-
land, Litauen, Luxemburg, Malta,
Ungarn, Polen, Portugal, Rumänien,
Slowenien, Spanien, Schweden und
Großbritannien
Gegenseitige Referenzierung der Beispielländer
Referenzierende Länder Estland Bulgarien Polen Rumänien Slowakei Deutschland
Estland -
Bulgarien - () -
Polen -
Rumänien - () -
Slowakei -
Tab.2: Gegenseitige Referenzierung der Beispielländer. Quelle: Eigene Darstellung aus Angaben der Wörwag Pharma und den jeweiligen
Gesetzestexten. vgl. Ministry of Health (2013), Internetowy Sytem Aktów Prawnych (2011), Ministerstvo zdravotníctva SR (2013).
Legende: Ein Haken bedeutet, dass das jeweilige Land im Länderkorb des referenzierenden Landes enthalten ist und zum Preisvergleich
herangezogen wird. Ein Haken in Klammern kennzeichnet Länder, welche nur als Ausweisland im Länderkorb zum Vergleich zur Verfügung
stehen. Estland referenziert demnach die Preise von Bulgarien, Polen, Rumänien, der Slowakei und Deutschland.
2. market access & health policy [•][•] market access & health policy
22 23www.healthpolicy-online.de www.healthpolicy-online.de
Literatur
Vogler, S. (2012): Preisbildung und Erstattung von Arzneimitteln in der EU –Gemeinsamkeiten, Unterschiede und Trends, Pharmazeutische Medizin,
Journal der deutschen Gesellschaft für pharmazeutische Medizin e.V., Jahrgang 14, Ausgabe 1/2012, veröffentlicht im Netz: http://whocc.goeg.at/
Literaturliste/Dokumente/Articles/Pharmazeutische_Medizin_112_50-58_Vogler.pdf (Abfrage: 27.07.2016, 20:00 Uhr).
Cassel, D./Ulrich, V. (2012): Herstellerabgabepreise auf europäischen Arzneimittelmärkten als Erstattungsrahmen in der GKV‐Arzneimittelversorgung -
Zur Problematik des Konzepts internationaler Vergleichspreise, Gutachten für den Verband Forschender Arzneimittelhersteller e.V., veröffentlicht im Netz:
http://www.vfa.de/embed/herstellerabgabepreise-auf-europaeischen-arzneimittelmaerkten.pdf (Abfrage: 27.07.2016, 20:00 Uhr).
Ministerstvo zdravotníctva SR (2013), Gesetze über Preisregulierungen im Gesundheitswesen in der Slowakei, veröffentlicht im Netz:
http://www.health.gov.sk/?cenove-opatrenia (Abfrage: 28.07.2016, 17:00 Uhr)
Internetowy Sytem Aktów Prawnych (2011), Gesetz vom 12.05.2011 über die Erstattung von Arzneimitteln in Polen, veröffentlicht im Netz:
http://isap.sejm.gov.pl/DetailsServlet?id=WDU20111220696 (Abfrage: 28.07.2016, 17:00 Uhr)
Ministry of Health Bulgaria (2013): Regulation on the conditions, rules and procedures for regulating and registering the prices of medicinal products,
Übersetzter Gesetzestext, übersetzt durch Top Management Advisors Ltd. Ministry.
Weigl, M., Antony, K. (2008). Arzneimittelsysteme in Bulgarien und Rumänien, im Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheit, Familie und Jugend,
veröffentlicht im Netz:
http://whocc.goeg.at/Literaturliste/Dokumente/BooksReports/Arzneimttelsysteme_in_Bulgrien_und_Rumaenien.pdf (Abfrage: 27.07.2016, 20:00 Uhr)
Arzneimittelbrief (2008), Wie kommt ein Arzneimittel zu seinem Preis?, AMB 2008, 42, 25, veröffentlicht im Netz: http://www.der-arzneimittelbrief.
de/de/Artikel.aspx?J=2008&S=25 (Abfrage: 27.07.2016, 20:00 Uhr).
Pirk, O. (2008): Preisbildung und Erstattung, In: Schöffski, O./Fricke, F.-U./Guminski, W. (Hrsg.): Pharmabetriebslehre, 2. Auflage, Springer-Verlag,
Berlin Heidelberg.
in Tabelle 2 auch Deutschland und
Estland einbezogen, da diese in
einem der folgenden Beispielszena-
rien als Ausgangspunkt für weitere
Analysen dienen.
Kann man Preisanpas-
sungen vorhersagen?
Erst- und Zweitrundeneffekt der
Preisreferenzierung
Für den pharmazeutischen Un-
ternehmer ist es von großer Be-
deutung vorherzusehen, wie sich
der gegenseitige Preisvergleich in
Osteuropa auf die Preise der eige-
nen Präparate im jeweiligen Land
auswirkt, um mögliche Strategien
z.B. für eine Preiserhaltung abzu-
leiten. Hierzu wird im Folgenden
angenommen, dass die Länder
direkt auf vergleichbare Produkte
des gleichen Herstellers in anderen
Ländern referenzieren und nicht auf
Generika von anderen Herstellern.
Diese Annahme kann trotz der vage
formulierten Gesetzgebung getrof-
fen werden, da in einigen Ländern
nicht die jeweilige Behörde eine
Preisrecherche vornimmt, sondern
die Hersteller selbst verpflichtet
sind, die Preise ihres Produkts in
anderen Ländern einzureichen.4
Ein
umfassenderer Preisvergleich auch
mit wirkstoffgleichen Präparaten
anderer Hersteller ist in diesen
Fällen somit auszuschließen. Den-
noch kann ein solcher, umfassender
Preisvergleich beispielsweise auf
Basis bestimmter ATC- oder Wirk-
stoffgruppen stattfinden, allerdings
in Form eines landesinternen Re-
ferenzpreissystems.5
Dieses kann
in einigen Ländern somit eine Art
Parallelstruktur zur internationalen
Preisreferenzierung bilden, wel-
che aber in nachfolgende Berech-
nungen nicht mit einfließt.
Bei der Ableitung geeigneter
Strategien genügt es allerdings
nicht, nur die direkte Auswirkung
der Referenzierung, den im Fol-
4: Vgl. Weigl/Antony Arzneimittelsysteme
in Bulgarien und Rumänien (2008), S.15;
Arzneimittelbrief, Wie kommt ein Arznei-
mittel zu seinem Preis? (2008), S. 4.f.
5: Arzneimittelbrief, Wie kommt ein Arz-
neimittel zu seinem Preis? (2008), S. 4f.
Zweitrundeneffekt bei Preissenkung in Estland
Land
Aktueller
Preis in Eu-
ro pro FTB
Zu bestimmender Schwellenpreis nach
jeweiliger Referenzierungsmethode
Endpreis nach mindestens not-
weniger Preisanpassung Est-
lands in Euro pro FTB
Estland 0,55
Polen 0,45 Niedrigster Preis in der EU 0,35
Bulgarien 0,40 Niedrigster Preis im bulgarischen
Länderkorb
0,35
Slowakei 0,40 Der neue estnische Preis muss zu einem
der drei günstigsten im slowakischen
Länderkorb werden
0,35 bis 0,55
Rumänien 0,35 Niedrigster Preis im rumänischen
Länderkorb. Besonderes Augenmerk auf
die Preise in Bulgarien, Polen,
Slowakei, Tschechien, Ungarn
0,40
Tab.3: Überblick über die zur Beispielrechnung verwendeten Preise. Quelle: Eigene Darstellung.
Abb. 2: Erstrundeneffekt Preissenkung des Präparates A in Estland. Quelle: Eigene
Darstellung.
rische Preis von der Preissenkung
in Estland betroffen wäre. Daraus
ergibt sich der zweite Schwellen-
preis, welcher dem niedrigsten
Preis des bulgarischen Länderkorbs
entspricht.
Auch Polen orientiert sich laut
Gesetzgebung am niedrigsten Preis
seines Länderkorbes, welcher je-
doch alle Länder der europäischen
Union enthält und somit deutlich
mehr Länder umfasst, als der Län-
derkorb Bulgariens. Sinkt also der
Preis des Präparates A unter den
niedrigsten Preis der EU, referen-
ziert auch Polen diesen neuen Preis
Estlands. Wie bereits erwähnt, liegt
der angenommene polnische Preis
des Präparates A bei 0,45 Euro/FTB.
Um eine Preisänderung in Polen
zu erzielen, müsste der neue est-
nische Preis also unter den aktuell
günstigsten Preis der EU fallen, al-
so unter den Preis von 0,35 Euro/
FTB des rumänischen Preises. Da-
durch ergibt sich hier ein dritter
Schwellenpreis.
In Abbildung 3 wird nun auf-
gezeigt, wie sich die betrachteten
Länder nach einer Preisanpassung
in zweiter Runde wiederum unter-
einander beeinflussen. Bulgarien
referenziert demnach den rumä-
nischen Preis, auch Polen orien-
tiert sich an Bulgarien und Rumä-
nien. Des Weiteren referenziert
ebenfalls Rumänien die bulga-
rischen Preise. Auch die Slowakei
hat Bulgarien und Rumänien sowie
Polen in ihrem Länderkorb.
Sowohl Bulgarien und Polen, als
auch Rumänien referenzieren die
Preise der Slowakei und orientie-
ren sich immer an den niedrigsten
Preisen ihres Länderkorbs. Da die
Slowakei den Durchschnitt der drei
niedrigsten Preise im eigenen Län-
derkorb als Preis ansetzt, kann der
slowakische Preis in der Theorie nie
der günstigste sein, der niedrigste
Preis im slowakischen Länderkorb
kann daher immer nur zu 33 % in den
slowakischen Preis einfließen. Die
restlichen 66 % werden durch den
zweit- und drittgünstigsten Preis
im Länderkorb bestimmt und liegen
somit über dem Preisgünstigsten.
Infolgedessen kann der slowakische
Preis nur dann dem niedrigsten ent-
sprechen, wenn die drei niedrigsten
Preise im slowakischen Länderkorb
identisch sind. Referenziert die Slo-
wakei zeitlich gesehen früher als
Bulgarien, Rumänien oder Polen,
kann es somit auch vorkommen,
dass der slowakische Preis unterhalb
dieser Preise liegt.
Der Zweitrundeneffekt beschreibt
nun die indirekten Auswirkungen
auf die Beispielländer zeitlich ge-
sehen nach dem Erstrundeneffekt
der Preissenkung des Präparates A
in Estland. Rumänien referenziert
hier nun den bulgarischen Preis
des Präparats, falls dieser durch die
Preisreferenzierung Estlands der
Zweitrundeneffekt bei Preissenkung in Estland
Abb. 3: Zweitrundeneffekt bei Preissenkung in Estland. Quelle: Eigene Darstellung.
genden genannten „Erstrundenef-
fekt“, in Betracht zu ziehen. Viel-
mehr verlangt eine adäquate Mo-
dellierung preislicher Auswirkungen
auch die Betrachtung des im Fol-
genden genannten „Zweitrunden-
effekts“. Dieser stellt die zeitlich
spätere Reaktion auf indirekt be-
troffenen Märkten dar, welche bei-
spielsweise ihren Preis mit den Län-
dern vergleichen, die zu den direkt
referenzierenden Ländern gehören.
Da allerdings in allen betrachteten
Ländern ein großer gesetzlicher
Handlungsspielraum in der Metho-
dik des Preisvergleichs vorhanden
ist, ist eine Verallgemeinerung der
im Folgenden beschriebenen Bei-
spiele nur eingeschränkt möglich.
Drei Beispiele
1. Welche Reaktionen ergeben
sich aus einer Preissenkung in
Estland?
Ein erstes Beispiel für den Wir-
kungsmechanismus der Interde-
pendenz des IRP wird ausgehend
von einer Preissenkung eines Bei-
spielpräparats A in Estland veran-
schaulicht. Hierbei stellt sich nun
die Frage, welche Auswirkungen die
Preissenkung des Präparats in Est-
land auf die Preise in den Ländern
Bulgarien, Polen, Rumänien und
der Slowakei hat. Insbesondere von
Bedeutung bei der Vorhersage von
Preisanpassungen ist das Einbe-
ziehen eines Schwellenpreises. Im
Zusammenhang des Preisvergleichs
steht dieser für den Punkt, ab wel-
chem der neue Preis so weit gefal-
len ist, dass er den gleichen Wert
angenommen hat wie der Preis,
welcher bisher durch das jeweilige
Land referenziert wurde. Ab der Un-
terschreitung des Schwellenpreises
beginnt somit die Auswirkung ei-
ner Preissenkung auf die anderen
Länder. So kann es möglicherwei-
se gelingen, die Preisanpassung
osteuropäischer Länder bei einer
Preissenkung oder Preiserhöhung
in einem Vergleichsland zu antizi-
pieren. In Abbildung 2 ist der Ers-
trundeneffekt dargestellt. Die Pfeile
zeigen, dass Estland in den Länder-
körben Bulgariens, Polens und der
Slowakei vertreten ist. Diese Länder
referenzieren den estnischen Preis
nach ihrer jeweiligen Methode.
Angenommen, der Preis einer
Filmtablette (FTB) des Präperates
A liegt in Estland bei 0,55 Euro
und ist damit der höchste unter
den beobachteten Ländern. Danach
folgen Polen mit einem Preis von
0,45 Euro/FTB, Bulgarien und die
Slowakei mit jeweils 0,40 Euro/
FTB und Rumänien als günstigster
Anbieter mit 0,35 Euro/FTB.
Die unten stehende Tabelle 3
verschafft einen Überblick über
den Preis pro Filmtablette in den
betrachteten Ländern und den
Preis, unter den der neue estnische
Preis fallen muss, um eine Preis-
Erstrundeneffekt Preissenkung des Präparates A in Estland änderung in den anderen Ländern
hervorzurufen.
Der Erstrundeneffekt beschreibt
nun die direkten Auswirkungen
der Preissenkung des Präparates
A in Estland auf die referenzie-
renden Länder. Da die Slowakei
den Durchschnittspreis der drei
günstigsten Präparate in ihrem
Länderkorb referenziert, werden
33 % des slowakischen Preises
beeinflusst, sollte der Preis in Est-
land unter den drittgünstigsten
Preis des slowakischen Länderkorbs
fallen. Damit sich der Preis in der
Slowakei also überhaupt ändern
kann, muss der alte Preis von 0,55
Euro/FTB so weit gesenkt werden,
dass er unter den drittgünstigsten
Preis im slowakischen Länderkorb
fällt. Hieraus ergibt sich der erste
Schwellenpreis. Ab der Überschrei-
tung dieses Punktes beginnt somit
die Auswirkung der Preissenkung
auf die betrachteten Länder, aller-
dings zunächst nur auf den slowa-
kischen Preis.
Bulgarien orientiert sich am
niedrigsten Preis seines gesamten
Länderkorbs. Wird der Preis somit
unter den niedrigsten des bul-
garischen Länderkorbs gesenkt,
referenziert Bulgarien den Preis
Estlands. Angenommen, der bul-
garische Preis liege zu Beginn bei
0,40 Euro/FTB. Der neue estnische
Preis müsste also um mehr als 0,15
Euro/FTB sinken, damit der bulga-
3. market access & health policy [•][•] market access & health policy
24 25www.healthpolicy-online.de www.healthpolicy-online.de
niedrigste Preis des rumänischen
Länderkorbs geworden ist. Sinkt der
Preis Rumäniens darauf hin unter
den estnischen Preis, referenziert
Bulgarien wiederum den Preis in
Rumänien.
Polen würde den bulgarischen
oder den rumänischen Preis refe-
renzieren, sofern die Preise unter-
halb des estnischen Preises gefallen
sind. Wenn Bulgarien, Polen und
Rumänien sich an die Preissen-
kung Estlands anpassen und damit
zu den drei niedrigsten Preisen des
slowakischen Länderkorbs werden,
ändern sich 33 %, 66 % oder 100
% des Preises in der Slowakei, je
nachdem, wie viele Länder neu un-
ter die drei günstigsten Referenz-
länder fallen.
Eine Reaktion anderer Länder
auf eine Preissenkung erfolgt somit
grundsätzlich nur, wenn der neue
Preis unter den bisherigen von den
Ländern referenzierten Preis fällt,
was meist dem niedrigsten des je-
weiligen Länderkorbs entspricht.
2. Ist eine Preiserhöhung in
Deutschland als Preiserhaltungs-
maßnahme sinnvoll?
Dieser Fragestellung zugrunde
liegt die Idee, dass in der Praxis
häufig auf deutsche Preise refe-
renziert wird. Die Preisgestaltung
von Produkten kann grundsätzlich
in Deutschland von Herstellern
direkt beeinflusst werden, da die
Möglichkeit zur freien Preisfest-
setzung besteht. Zudem erlauben,
den Generikamarkt betreffend, die
in Deutschland zwischen Kran-
kenkassen und pharmazeutischen
Herstellern geschlossenen Rabatt-
verträge nach §130a Abs. 8 SGB
V einen relativ hohen Preis in der
öffentlich verfügbaren Lauer-Taxe
zu veranschlagen und dennoch
einen hohen Marktanteil zu gene-
rieren, weil die an die Krankenkas-
sen gezahlten Rabatte geheim und
nur den Vertragspartnern bekannt
sind.6
Die Thematik wird nun an-
hand eines Beispielpräparats, im
Folgenden als Präparat B benannt,
veranschaulicht.
Die Länder Polen, Rumänien
und die Slowakei referenzieren den
deutschen Arzneimittelpreis, sofern
dieser entsprechend niedriger ist
als die Preise der restlichen Länder
der Referenzkörbe.
Angenommen, Deutschland
hätte den niedrigsten Preis. Eine
Preiserhöhung in Deutschland be-
wirkt nun zunächst – ein sofortiges
Reagieren der ausländischen Behör-
den vorausgesetzt – einen Preiser-
höhungsspielraum bis zum zweit-
günstigsten Land der Referenz-
körbe von Rumänien und Polen.
Allerdings ist die Preisanpassung
Rumäniens laut Gesetz auf 65 %
des Originalpräparats beschränkt,
gleichwohl das Herstellerland in
den Preisvergleich mit einbezogen
wird. Auch in der Slowakei ist der
Preiserhöhungsspielraum verhält-
nismäßig klein, da aufgrund der
Durchschnittspreisbildung nur 33
% des Preises in der Slowakei be-
einflusst werden können.
Folglich kann sich der bulga-
rische Arzneimittelpreis des Prä-
parates B im Zweitrundeneffekt an
die Preise von Polen und Rumänien
anpassen, sofern für Bulgarien
der günstigste Preis erhöht wur-
de. Durch die Methode der Durch-
schnittsberechnung kann der slo-
wakische Preis nicht den günstigs-
ten Preis aufzeigen, außer wenn
alle drei referenzierten Länder
einen identischen Preis aufweisen.
Zusammenfassend ergibt sich
bei Betrachtung dieser theore-
tischen Aspekte ein, wenn auch
geringer, Handlungsspielraum für
Preiserhöhungen in Deutschland.
Allerdings sind diesem Ergebnis
bei Betrachtung der realen Ge-
gebenheiten einige Limitationen
entgegenzustellen, auf welche im
nächsten Kapitel vertiefend einge-
gangen wird.
3. Überlegungen zur vorteilhaf-
testen Einführungsreihenfolge
für den Hersteller
In diesem Abschnitt soll erör-
tert werden, ob sich auf Basis der
Betrachtung internationaler Preis-
regulierungen optimale Strategien
hinsichtlich der Einführungsreihen-
folge für Hersteller ableiten lassen.
Für das im Folgenden betrachtete
Generikum X sollte, wie in Abbildung
5 veranschaulicht, die Einführung in
Deutschland beginnen. Hauptgrund
hierfür ist, dass in Deutschland
aufgrund der hier im Generikamarkt
üblicherweise nicht praktizierten
Preisreferenzierung und Preisfest-
setzung von einem höheren Preis-
niveau ausgegangen werden kann.7
Somit kann das Generikum mit dem
vergleichsweise höchsten Preis ein-
geführt werden. Hinzu kommt als
weiterer Grund, dass Rumänien den
Preis im Ursprungsland in die Preis-
kalkulation mit einbezieht. Somit
kann durch eine hohe Preisfestset-
zung in Deutschland ein direkter
Einfluss auf Rumänien ausgeübt wer-
den. Als zweites Land bei der Einfüh-
rung bietet sich daher Rumänien an.
Aus „theoretischen“ Überlegungen
kommt als drittes Einführungsland
die Slowakei in Frage, da hier die
Preise aus dem Durchschnitt der
drei günstigsten Preise errechnet
werden. Im betrachteten Fall wäre
dies der Durchschnitt aus dem rumä-
nischen und dem deutschen Preis.
Um dies an einem Zahlenbei-
spiel zu veranschaulichen, wird
ein Preis von 0,70 Euro/FTB für
das Generikum bei der Einfüh-
rung in Deutschland gewählt.
Angenommen, der Preis des Ori-
ginalpräparats in Rumänien lie-
ge bei 0,95 Euro/FTB. Rumänien
kann ausschließlich den Preis von
Deutschland referenzieren. Dieser
liegt jedoch über den möglichen
65 % des Preises des Originalprä-
parats. Daher wird der Preis in Ru-
mänien auf den höchstmöglichen
Preis festgelegt: 0,62 Euro/FTB als
nächstes Einführungsland wird die
Slowakei herangezogen, welche
aber aufgrund des Vorhandenseins
von lediglich zwei Vergleichsprei-
sen nun deren Durchschnitt von
0,66 Euro/FTB als Preis im ei-
genen Land annimmt. Hier wird
ersichtlich, weshalb die Methode
der Durchschnittsberechnung der
Slowakei zu einem wieder gestei-
gerten Preisniveau von 0,62 Euro
auf 0,66 Euro/FTB führt.
Stellt man also Überlegungen
zu einer möglichst langen Preiser-
haltung bei der Neueinführung
eines Generikums an, sollte zu-
nächst ein Land mit verhältnis-
mäßig hohem Preisniveau gewählt
werden. Dies führt nach theore-
tischen Überlegungen dazu, dass
weitere Länder sich zunächst aus-
schließlich an diesem Preis orien-
tieren können. Auch Länder, die
eine Durchschnittsberechnung vor-
nehmen, erscheinen vorteilhafter
für den Hersteller im Vergleich zu
Ländern, welche sich grundsätz-
lich am günstigsten Preis des je-
weiligen Länderkorbes orientieren.
Von der Theorie zur Praxis
Da nun die theoretische Grund-
lage des IRP anhand der drei auf-
geführten Beispiele exemplarisch
für die Länder Bulgarien, Polen,
Rumänien und die Slowakei darge-
stellt wurde, ist es darüber hinaus
essentiell, diese auch bezüglich
ihrer praktischen Anwendung zu
betrachten. Da die ausgewählten
Preisbeispiele sich an den tatsäch-
lichen Preisniveaus der betrachte-
ten Länder orientieren, wird bereits
im ersten Beispiel ersichtlich, dass
die Preisreferenzierungsmethodik
nicht immer so angewendet wird,
wie sie in der Theorie durch die
nationale Gesetzgebung vorge-
schrieben ist. Denn Polen weist
für Präparat A das zweithöchste
Preisniveau auf, obwohl hier laut
Gesetzgebung die Orientierung
am niedrigsten Preis der EU statt-
finden sollte. Ein Grund hierfür
könnte sein, dass im Gesetzestext
Polens im Gegensatz zu den ande-
ren Beispielländern nicht von einer
„Preisfestsetzung“, sondern von
einer „Preisverhandlung“ die Rede
ist und es sich somit lediglich um
ein wie bereits zu Beginn beschrie-
benes „informelles IRP“ handelt
(vgl. Tabelle 1). Womöglich ergibt
sich hieraus ein entsprechender
Verhandlungsspielraum, welcher
für das höhere Preisniveau Polens
trotz der vorgeschriebenen Orien-
tierung am niedrigsten Preis der
EU verantwortlich ist.
Auch im zweiten Beispiel, bei
welchem eine Preiserhöhung in
Deutschland als Preiserhaltungs-
maßnahme aus theoretischer Sicht
zugestimmt werden konnte, ist die
Strategieempfehlung nach der Be-
trachtung der tatsächlichen Gege-
benheiten eine andere. Denn die
häufigste Referenzierungspraxis
der hier aufgeführten Beispiellän-
der bezieht sich stets auf die güns-
tigsten Preise des jeweiligen Län-
derkorbes. Die Wahrscheinlichkeit,
dass Deutschland den günstigsten
Preis des Länderkorbs aufweist,
ist allerdings sehr gering. Es exi-
stieren zwar Rabattvereinbarungen
zwischen den Herstellern und der
gesetzlichen Krankenversicherung,
diese sind allerdings nicht öffent-
lich zugänglich. Aus diesem Grund
kann bei der Preisreferenzierung
nur auf das verhältnismäßig hohe
Preisniveau in Deutschland Bezug
genommen werden, welches aus
dem Grund des vorherrschenden
Vergleichs mit den niedrigsten
Preisen im Länderkorb nicht mit
einfließt.8
Des Weiteren wird in der Ge-
setzgebung grundsätzlich die
Pflicht erwähnt, eine Anpassung
bei einer Preissenkung eines Re-
ferenzlandes vorzunehmen. De
facto besteht jedoch bei einer
Preiserhöhung keine Pflicht, son-
dern lediglich die Möglichkeit zur
Preisanpassung. Zu beachten ist
außerdem, dass der rumänische
Preis, welcher sich als einziger zu-
sätzlich auch am Preis des Präpa-
rates im Ursprungsland orientieren
sollte, auf maximal 65 % des Origi-
nalpräparates erhöht werden kann.
Ist dieser Spielraum ausgeschöpft,
ist eine weitere Preisanpassung bei
einer Preiserhöhung in Deutsch-
land grundsätzlich nicht möglich.
Im dritten Beispiel wurde ver-
sucht, die aus Herstellersicht
ideale Länderfolge im Falle einer
Neueinführung auszuarbeiten.
Dabei würde sich nach praktischer
Erfahrung teilweise eine andere
Einführungsreihenfolge anbieten,
als diese in der Theorie zu ver-
muten wäre. Rumänien würde als
zweites Einführungsland bestehen
bleiben, da untersuchte Beispiele
gezeigt haben, dass rumänische
Preisanpassungen auf ein nied-
rigeres Niveau in der Vergangen-
heit vergleichsweise langsam
stattfanden. Somit kann ein relativ
langanhaltend hohes Preisniveau
garantiert werden. Als nächstes
Einführungsland würde jedoch
nicht wie nach theoretischen
Grundlagen die Slowakei gewählt
werden, sondern Polen. Begründet
ist dies durch die Tatsache, dass
der slowakische Preis in der Praxis
häufiger unter dem Durchschnitt
der drei günstigsten Länder liegt.
Polen zeigt hingegen neben dem
bereits erwähnten Verhandlungs-
spielraum auch eine verhältnis-
mäßig langsamere Reaktion auf
Preisanpassungen, weshalb es sich
als drittes Einführungsland besser
zu eigenen scheint. Zudem bietet
Polen einen großen Markt und der
Erstattungsbetrag des Originalpro-
duktes wies in diesen betrachteten
Beispielen das höchste Niveau
auf, was vermuten lässt, dass der
Erstattungsbetrag des Generikums
ebenfalls verhältnismäßig hoch
sein könnte.
Generell ist also die theore-
tische Betrachtung der Referen-
zierungsmethodik zwar wichtig,
ohne das Hinzuziehen der in der
Praxis angewandten Preisanpas-
sungen aber nicht hinreichend
aussagekräftig. Vor allem die Re-
aktionsgeschwindigkeit einzelner
Länder kann ausschlaggebend für
strategische Überlegungen, bei-
spielsweise bezüglich der Einfüh-
rungsreihenfolge, sein.
Fazit
Nachdem die Auswirkungen der
drei Beispiele erörtert wurden, sei
an dieser Stelle angemerkt, dass
die Referenzierungsmethoden der
betrachteten Länder meist nur
6: Dies ist ein Unterschied zu den
gesetzlichen Herstellerrabatten und dem
verhandelten Erstattungspreis bei neuen
Produkten, die öffentlich verfügbar sind.
U.a. auch deswegen beschränken sich
die folgenden Ausführungen auf den
Generikamarkt
Erstrundeneffekt Preiserhöhung des Präparat B
Abb. 4: Erstrundeneffekt Preiserhöhung des Präparat B. Quelle: Eigene Darstellung.
Empfohlene Einführungsreihenfolge Generikum X
Abb. 5: Empfohlene Einführungsreihenfolge Generikum X. Quelle: Eigene Darstellung.
Beispiel einer Einführungsreihenfolge
Deutschland
vom Hersteller festgelegter Einführungspreis 0,70 Euro pro FTB
Rumänien
Maximal 65% des Preises des Originalpräparats
(0,95Euro)
0,62 Euro pro FTB
Slowakei
Durchschnittsberechung der bisher vorhan-
denen Preise in Deutschland und Rumänien
0,66 Euro pro FTB
Tab. 4: Beispiel einer Einführungsreihenfolge. Quelle: Eigene Darstellung.
7: Vgl. Cassel/Ulrich, Herstellerabgabe-
preise auf europäischen Arzneimittel-
märkten als Erstattungsrahmen in der
GKV-Arzneimittelversorgung (2012), S.
68 ff.
8: Vgl. Pirk, Preisbildung und Erstattung
(2008), S. 71 ff.
4. market access & health policy [•][•] market access & health policy
26 27www.healthpolicy-online.de www.healthpolicy-online.de
vage formuliert sind, woraus ein
großer Handlungsspielraum für
die Preisfestsetzung der zustän-
digen Behörden resultiert. Dies
führt zu großen Herausforde-
rungen für die betroffenen Gene-
rikahersteller, da dieser Umstand
die Vorbereitung auf eine Preisan-
passung sowie eine angemessene
Reaktion zusätzlich erschwert.
Der insgesamt zu erkennende
Trend ist eindeutig das Streben
aller Länder nach einem mög-
lichst niedrigen Preisniveau. Da-
bei kann beobachtet werden, dass
einige Länder sehr schnell auf
Preissenkungen reagieren, wäh-
rend andere eine weniger strikte
Preisanpassung vornehmen. Dies
stellt für betroffene Hersteller
einen besonders wichtigen Faktor
bei der Strategieentwicklung dar.
Allgemein ist allerdings zu sagen,
dass das Nachvollziehen der tat-
sächlichen Methodik in Osteuropa
sowie die Erkennung genauerer
Trends in der Preisregulierung auf-
grund der scheinbaren Willkür der
Regulierungsmethoden eine hohe
und langfristige Aufbringung an
Ressourcen erfordert. Denn die
hier aufgezeigte Preisreferen-
zierung zwischen vier Ländern
bildet nicht die Komplexität ab,
welche sich in Anbetracht aller
sich gegenseitig beeinflussender
Staaten ergibt.
Nur durch die Betrachtung des
gesamten europäischen Marktes
können möglicherweise zu for-
malisierende Abfolgen erkannt
werden, die das praktische Vor-
gehen der Regulierungsbehörden
adäquat abbilden. Eine eindeutige
Prognose ist somit derzeit nicht
möglich, da sich die osteuropä-
ischen Länder der Recherche nach
nicht konsequent an ihre kommu-
nizierten (bzw. öffentlich verfüg-
baren) gesetzlichen Regelungen
halten oder die Vorschriften einen
weitläufigen Handlungsspielraum
erlauben. Dies führt dazu, dass
die genaue Reaktion der Länder
nicht eindeutig vorausgesagt,
sondern lediglich vermutet wer-
den kann.
Generell ist zu erwarten, dass
die stetige Preisreferenzierung
der Länder untereinander auf Dau-
er zu einer kontinuierlichen Preis-
senkung auf ein niedrigstes Ni-
veau führt. Andererseits hat diese
Abwärtsspirale aber auch einen
„unteren Boden“- Dieser ist schlus-
sendlich dadurch bestimmt, ob es
für Hersteller überhaupt rentabel
ist, auf diesen Märkten vertreten
zu bleiben. Spätestens wenn die
Autoren
Melanie Krknjak, BA
2011-2015 Studium im Bachelorstudiengang „Gesund-
heitsmanagement“ an der Hochschule Aalen. Seit 2015
Masterstudium „Versorgungssteuerung im Gesundheits-
wesen – Health Care Management“ an der Hochschule
Ludwigshafen am Rhein. Wissenschaftliche Hilfskraft
am Zentrum für Wissenschaftliche Weiterbildung der
Hochschule Ludwigshafen am Rhein aus.
Valeska Milan, BA
2011-2015 Studium im Bachelorstudiengang „Gesund-
heitsmanagement“ an der Hochschule Aalen. Seit 2015
bei der AOK Baden-Württemberg im Bereich Arzneimit-
tel, insbesondere in der Verordnungssteuerung.
Selina Moll, BA
2011-2015 Studium im Bachelorstudiengang „Gesund-
heitsmanagement“ an der Hochschule Aalen. Seit
2015 Masterstudium „Wirtschaftswissenschaften“ an
der Universität Ulm. Werkstudentin bei der Teva Phar-
maceutical Industries.
Prof. Dr. Stefan Fetzer, Dipl.-Vw.
Studium der Volkswirtschaftslehre und Promotion an
der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg i. Br. Zwischen
2006 und 2008 Mitarbeiter an der Geschäftsstelle des
Wissenschaftlichen Beirats der Betrieblichen Kran-
kenkassen und in der Abteilung Vertragspolitik des
BKK-Bundesverbandes, Essen. Zwischen 2009 und 2011
Bereichsleiter Arzneimittelmanagement bei spectrumK-
GmbH. Seit 2011 Professor für Public Health und
Internationale Gesundheitssysteme an der Hochschule
Aalen – Technik und Wirtschaft.
Dr. med. Thomas Schürholz
Facharztausbildung am Universitätsklinikum Bochum
zum Facharzt für Urologie. Zwischen 1996 und 2005
verschiedene Managementpositionen bei der Weleda AG
Schwäbisch Gmünd, ab 2001 operative Geschäftsfüh-
rung für Marketing und Medizin. Zwischen 2005 und
2008 Leiter medizinisches Versorgungsmanagement bei
der GEK. Zwischen 2009 und 2011 Geschäftsführung
bei AnyCare GmbH, seit 2011 Director Medicine bei
WÖRWAG Pharma.
Dr. Lucia Frzonová, MBA
Studium und Promotion an der University of Veterinary
and Pharmaceutical Sciences, Kosice/Vienna 1993 bis
1999. Zwischen 1999 und 2013 Country manager bei
Wörwag Pharma. Zwischen 2013 und 2015 Regional
Director Central Europe bei Wörwag Pharma, seit
2015 General Manager Slovakia & Czech Republic bei
Wörwag Pharma.
Dieser Artikel basiert auf einem Praxisprojekt der Wörwag Pharma GmbH in
Zusammenarbeit mit dem Studiengang Gesundheitsmanagement der Hoch-
schule Aalen).
„Ein theore tischer Algorithmus ist durchaus ableitbar“
Interview mit Prof. Dr. Stefan Fetzer und Selina Moll von der HS Aalen sowie Dr. Lucia Frzonová von Wörwag Pharma
>> Warum hat sich denn gera-
de oder vor allem in osteuro-
päischen Ländern ein – wie im
Beitrag „Preisbildung und Preis-
referenzierung von Arzneimitteln
in der EU – Schwerpunkt Ost-EU“
beschrieben, „komplexes Sys-
tem aus nationalen Preisfest-
setzungen und Preisvergleichen
mit anderen Ländern etabliert“.
Prof. Dr. Fetzer: Gerade ost-
europäische Länder standen,
was die Staats- und damit auch
Gesundheitsausgaben anbelangt
unter enormen Druck, um den
Anforderungen des Maastricht-
Vertrages gerecht zu werden.
Berücksichtigt man die von pri-
vaten Haushalten geleisteten
Gesundheitsausgaben, so stellt
man fest, dass schlicht die Wirt-
schaftskraft osteuropäischer
Länder noch immer deutlich un-
ter jenen in Westeuropa liegt.
Von daher haben diese Länder
ein verstärktes Interesse an ei-
ner restriktiven Preisregulierung.
Was ist denn der Hauptun-
terschied der Ost-Preisbildung-
Modells von – sagen wir – jenen
in west- oder südeuropäischen
Ländern?
Dr. Frzonová: Osteuropäische
Länder wenden zum einen das
Konzept der Preisreferenzie-
rung an, damit werden implizit
auch westeuropäische nationale
Arzneimittelpreisregulierungs-
instrumente (wie z.B. die deut-
schen Festbeträge) nach Osteu-
ropa „exportiert“. Zum anderen
handelt es sich in Osteuropa –
oft nach dem Prozess einer Ver-
handlung – um temporär fixierte
nationale Preise für jedes einzel-
ne Produkt. Mit dem –zumindest
vom Grundsatz her – marktlibe-
ralen freien Preisfestsetzungen
westeuropäischer Staaten hat
dies nicht viel zu tun.
Desweiteren wird im vorste-
henden Fachbeitrag von Krknjak etal ausgeführt, dass die „jeweiligen
nationalen Gesetzgebungen häufig einen großen Handlungsspielraum
für die zuständigen Behörden eröffnen“ und zudem deren genaue Me-
thodik des Preisvergleichs dadurch oft intransparent sei. Kann denn
eine derartige Handlungsweise EU-Rechtskonform sein?
Frzonová: Die Ausgestaltung von Gesundheitssystemen ist grund-
sätzlich eine nationale Aufgabe. Der „Handlungsspielraum“ für die
zuständigen Behörden ergibt sich zum einen in vaage formulierten
Algorithmen der Preisreferenzierung (informelle Preisreferenzierung)
und dem Gestaltungsspielraum hinsichtlich der zeitlichen Umsetzung
– wie auch insbesondere der Teil „Von der Theorie zur Praxis“ zeigt.
Auf welchem Preisniveau bewegen sich denn im EU-Vergleich die
osteuropäischen Länder, speziell die von Ihnen betrachteten?
Moll: Betrachtet man den generischen Markt (verschreibungspflich-
tig und OTC), so befinden sich osteuropäische Länder im unteren Viertel
im EU-Vergleich. Dies kann allerdings bezogen auf ein einzelnes Produkt
durchaus unterschiedlich sein – v.a. aufgrund dessen, dass die Preis-
referenzierungen – wie ebenfalls im Artikel veranschaulicht – ja bei
den betrachteten Staaten immer mit einem zeitlichen „lack“ reagieren.
Kann man denn aufgrund der bisherigen Erfahrungen Preisanpas-
sungen vorhersagen? Gibt es so etwas wie einen Algorithmus?
Moll: Die dem Artikel zugrundeliegende Fragestellung war ja gerade
die „Suche“ nach einem solchen Algorithmus. Am Ende kann man es am
besten so zusammenfassen: Ein theoretischer Algorithmus ist aufgrund
nationaler Gesetzgebungen ableitbar – er hält aber einer praktischen
empirischen Prüfung nicht stand.
Wäre es denn – wie derzeit diskutiert – überhaupt sinnvoll, wenn
im Zuge der anstehenden Reform des
AM-VSG die Erstattungspreise unver-
öffentlicht blieben?
Fetzer: Zunächst ist hier anzumer-
ken, dass der Artikel sich auf Generika
und nicht auf die von Erstattungsprei-
sen betroffenen patentgeschützen
Arzneimittel konzentriert – von daher
sind die Erfahrungen auch nur bedingt
übertragbar. Aus der Perspektive inter-
national agierender Pharmaunterneh-
men scheint es vordergründig schon
so, dass unveröffentlichte Preise bes-
ser gegen einen schnellen Preisverfall
über den „Preisreferenzierungsexport“
schützen – man stelle sich nur vor, die
Nettopreise nach Abzug der §130a(8) SGB V Rabatte wären die Grundla-
ge der Referenzierung auf den deutschen Preis. Im Gegensatz zu diesen
wirklich geheimen Preisen zwischen Krankenkassen und Pharmaunter-
nehmen, stellt sich allerdings die Frage, inwiefern ein für alle (auch für
Privatpatienten) gleicher unveröffentlichter Erstattungspreis geheim
bleiben soll – wenn es das Interesse von Behörden ist, nach Möglichkeit
weniger zu bezahlen als im traditionellen Hochpreisland Deutschland.
ersten gravierenden Versorgungs-
schwierigkeiten im Arzneimittel-
bereich auftreten, müsste sich the-
oretisch eine weniger stringente
Preisregulierung im betroffenen
Markt einstellen. Ob es allerdings
wirklich soweit kommt und wie
sich dieser komplexe Markt tat-
sächlich in Zukunft entwickeln
wird, ist schwer vorherzusehen. <<
Welchen Handlungsspielraum haben denn deutsche Pharmaherstel-
ler überhaupt? Preiserhöhungen? Opt Outs? Bestimmte Einführungs-
strategien?
Frzonová: Hinsichtlich der Einführungsreihenfolge ergibt sich schon
ein Handlungsspielraum für Hersteller wie das 3. Beispiel im vorlie-
genden Artikel zeigt. Preiserhöhungen sind in den betrachteten Märkten
keine Alternative, da die Preise ja festgesetzt sind. Damit bleibt als
schlussendliche Alternative der Opt Out, wenn über die Referenzierung
ein zu starker Preisverfall initiiert wird.
Irgendwann wird die Systematik der Preisreferenzierung zu Mini-
malstpreisen führen, zu denen kein Hersteller mehr rentabel arbeiten
kann. Was passiert dann mit den so agierenden nationalen Gesund-
heitssystemen?
Fetzer: Aus rein ökonomischer Perspektive ist das Instrument inter-
nationaler Preisreferenzierung wie auch von Arzneimittelreimporten,
dasjenige, das die soziale Wohlfahrt global gesehen am meisten redu-
ziert, weil schlussendlich unterschiedliche nationale Zahlungsbereit-
schaften nivelliert werden. Aus nationaler Perspektive ist es hingegen
nachvollziehbar, dass kein Land wesentlich mehr für das gleiche Produkt
zahlen möchte als das Nachbarland. Sollte der Preisverfall so stark sein,
dass kein westeuropäischer Hersteller rentabel arbeiten kann, würden
sich im Markt eben günstigere Hersteller etablieren – mit den oft dis-
kutierten Folgen auf die Qualität der Produkte.
Der vorliegende Artikel ist aus einem Praxisprojekt mit der Wörwag
Pharma GmbH und dem Studiengang Gesundheitsmanagement der Hoch-
schule Aalen entstanden. Welchen praktischen Sinn machen derartige
Kooperationen für Hochschule wie Industrie?
Fetzer: Aus der Perspektive einer Hochschule für angewandte Wis-
senschaften ist es enorm wichtig, dass
die Studierenden (bereits im 4. und 5.
Semester ihres Bachelorstudiums) mit
Firmen in Kontakt treten, um zu über-
prüfen, ob ihr theoretischer Werkzeug-
koffer auch für praktische Fragestel-
lungen benutzbar ist. Zudem reifen die
Studierenden durch den Austausch mit
Personen aus der Praxis tatsächlich
sehr schnell in ihrer Persönlichkeit.
Moll: Durch die Anwendung des
erlernten theoretischen Wissens in
der tatsächlich herrschenden Praxis
lernten wir Grundsätze zu hinterfra-
gen und durch detaillierte Analysen
und Vergleiche eigene Schlüsse zu
ziehen. Heute profitieren wir alle beim Einstieg in das Berufsleben
von den wichtigen Erfahrungen, die wir im Zuge des Projektes ge-
sammelt haben.
Frzonová: Aus Sicht von Wörwag Pharma hat sich die Zusammen-
arbeit mit der Hochschule und den Studenten sehr gelohnt, da das
Ergebnis nicht nur mehr Transparenz, sondern auch wichtige Ansatz-
punkte für zukünftige Marktstrategien hervorgebracht hat. <<
<< Sollte der Preisverfall so stark sein, dass kein
westeuropäischer Hersteller rentabel arbeiten kann,
würden sich im Markt eben günstigere Hersteller
etablieren – mit den oft diskutierten Folgen auf die
Qualität der Produkte.. >>
Prof. Dr. Stefan Fetzer