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Filmkritik zu Härte
1. Kritik zu Rosa von Praunheims „Härte“ – „Dein Schwanz gehört mir“
Andreas ist noch ein Kind, als ihn der Vater mit kaltem Wasser übergießt und auf den Balkon
stellt. Andreas ist immer noch ein Kind, als der Vater ihm die Hand zerquetscht. Die Knochen
brechen. Die Mutter beginnt an ihm rumzufummeln. Zu diesem Zeitpunkt ist Andy gerade
einmal sechs Jahre alt. Als der Junge zwölf Lenze zählt, will die Mutter mehr. Harter Sex soll
es sein.
Basierend auf der im Jahre 2006 veröffentlichten Autobiografie „Härte – Mein Weg aus dem
Teufelskreis der Gewalt“, erzählt Regisseur Rosa von Praunheim die Geschichte des
ehemaligen Kampfsportlers und Zuhälters Andreas Marquardt, der als Kind den sadistischen
Fantasien des Vaters ausgeliefert war und von der Mutter als Sexsklave gehalten wurde. Das
traumatisiert ihn und führt zu Aggressionen, die er versucht durch den Kampfsport zu
kanalisieren. Dann bekommt er das Angebot ins Rotlichtmilieu einzusteigen und wird zu einem
der brutalsten Zuhälter Berlins.
Der Film ist eine Doku-Fiction, die dem Zuschauer einen differenzierten Blick auf die Person
Andreas Marquardt erlaubt. Die fiktiven Spielszenen vermitteln eine Vorstellung von
erfahrenen Schmerzen und Qualen sowie seiner rigorosen Härte als Zuhälter, während in den
aktuellen dokumentarischen Einstellungen der wahre Andreas Marquardt, der sich
heutzutage unter anderem für misshandelte Kinder engagiert, und seine Lebensgefährtin
Marion Erdmann zu Wort kommen. So gelingt es von Praunheim aus der Kombination dieser
beiden Stile eine charakterliche Ambivalenz zu kreieren, die eine neutrale Haltung gegenüber
dem Protagonisten postuliert.
Neben sexuellem Missbrauch und physischer Gewalt thematisiert der Film auch
zwischenmenschliche Beziehungen. Insofern muss die theaterkulissenartige Inszenierung der
in schwarz-weiß gedrehten Rückblenden nicht verwundern, denn in erster Linie ist Härte ein
Personenstück. Dem Bühnenbild kommt dabei die Unterstützung des Zusammenspiels
zwischen den Personen zu, weshalb der Zweck nicht darin besteht, „völlige Echtheit zu
erreichen […], sondern die menschlichen Verwicklungen zu spiegeln und zu überhöhen, die
uns durch das Spiel und den Dialog vermittelt werden“ (Kracauer).
Dass Rosa von Praunheim in diesem Film erstmals mit professionellen Schauspielern
gearbeitet hat, ist aufgrund der Intensität der Szenen nur allzu verständlich. Katy Karrenbauer
Eine Filmkritik von Tobias Ritterskamp
29.04.2015
2. als Mutter des Protagonisten brennt sich ins Gedächtnis. Ihr Satz „Dein Schwanz gehört mir“
ist einer der einprägsamsten Schockmomente des Films, wenn nicht gar der letzten Jahre.
Hervorzuheben ist insbesondere Hanno Koffler, der sich als Kraftpaket Marquardt von
jeglichen Gefühlen distanziert und seinen infolge des sexuellen Missbrauchs durch die Mutter
aufgestauten Hass an den Prostituierten, allen voran Marion (Luise Heyer), machtlüstern
auslebt. Die Machtgeilheit ist das Ergebnis seiner Impotenz. Biologische Dysfunktionalität wird
kompensiert durch dauerhafte Aggressivität, ja durch Härte. Karrenbauer und Koffler sind
brillant. Luise Heyer überzeugt vor allem im Zusammenspiel mit Hanno Koffler als
unterwürfige Marion.
Dass der Übergang vom Zuhälter zur sozial engagierten Person tatsächlich nicht so reibungslos
vonstattenging, wie es der Film in den fiktiven Spielszenen suggeriert, wird in den
dokumentarischen Einstellungen rudimentär erwähnt. Rosa von Praunheim möchte die Taten
von Andreas Marquardt nicht rechtfertigen. Vielmehr geht es darum, zu verstehen, warum er
zum brutalen Zuhälter wurde. Waren es die Ereignisse in seiner Kindheit, die zur Unfähigkeit
zu denken beitrugen und somit das fehlende Gewissen? Konnte er in den Worten Hannah
Arendts „Richtiges vom Falschen“ nicht mehr unterscheiden? Härte ist schockierend und
beeindruckend zugleich, denn er ist schonungslos offen einerseits und mutig andererseits.
Härte ist eine cineastische Perle mit ordentlich Gewicht, wenngleich sie ihr großes Publikum
nicht finden wird, leider.
Härte läuft seit dem 23. April 2015 in den deutschen Kinos.
Anmerkung:
Diese Filmkritik erschien am 29.04.2015 auf der folgenden Webseite: http://
www.filmverliebt.de/kritik-zu-rosa-von-praunheims-haerte-dein-schwanz-gehoert-mir/
Weitere Arbeitsproben finden Sie unter folgendem Link: http://www.filmverliebt.de/
author/tobias-ritterskamp/