1. KAFKA Sprache in Kafkas "Verwandlung" FOS 2010 (schwe)
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Deswegen lohnt es sich, die Sprache zu untersuchen...
Bereits den frühen Lesern der Verwandlung fiel auf, dass der Text weder der ›phantastischen
Literatur‹ noch dem Realismus zuzurechnen ist; und den Expressionisten war zwar der Kunstgriff
vertraut, eine innere Befindlichkeit körperhaft nach außen zu stülpen, doch die schrille
expressionistische Tonart ist hier ebenso wenig zu vernehmen wie im Urteil. Gerade der Gegensatz
zwischen der betont sachlichen Sprache, der stetigen Entfaltung des Geschehens und der
Ungeheuerlichkeit der Verwandlung selbst ist wesentlicher Teil des kalkulierten ästhetischen Reizes.1
Mögliche Fragen: Die Erste
Mit welchen sprachlichen Mitteln verstärkt Kafka die Irritation des Lesers?
Übungsangebot: Formulieren Sie einen zusammenhängenden Text (mit einem einleitenden Satz)
zur Beantwortung der Frage aus dem unten stehenden Schmierzettel.
• Dem Inhalt nicht angemessene Wortwahl und "Reflexion":
"Sein Zimmer .. lag ruhig .. wohlbekannte Wände .. Musterkollektion von Tuchwaren .." - "Dies
frühzeitige Aufstehn .. macht einen ganz blödsinnig."
• Phrasen:
"Der Mensch muß seinen Schlaf haben."
"Nur sich nicht im Bett unnütz aufhalten."
"Haben Sie die Güte, .. mich dem Herrn Chef zu empfehlen!"
• Rhetorische Fragen (ohne Konsequenzen):
"Wie nun, wenn er sich krank meldete?" (S.21)
"Hätte er wirklich um Hilfe rufen sollen?" (S.24u)
• 2
Konditionalsätze mit Konj.Irrealis (ständige Zurücknahme):
"Wenn ich nicht .., ich hätte .., ich wäre ..." (S.20 etc.)
• 3
Modalverben deuten Möglichkeiten an, die sofort negiert werden:
"Zuerst wollte er .., aber .."
"Er versuchte es daher .. Aber als .." (S.23)
→ Die Irritation des Lesers wird - übergreifend - dadurch manifest, dass er nicht mehr von der
Entwicklung erkennen kann als Gregor selbst: KAFKA löst sich von der Perspektive des
allwissenden Erzählers und macht den Erlebnishorizont der Hauptfigur zum vorherrschenden
Erzählprinzip.
1 http://www.franzkafka.de/franzkafka/das_werk/erzaehlungen-1914/457390#a457191
2 Bei den so genannten Bedingungssätzen (Konditionalsätzen) werden im Allgemeinen drei Typen angeführt: Konditionalsatz I (Realis
der Gegenwart oder Wahrscheinlichkeit), II (Irrealis der Gegenwart oder Unwahrscheinlichkeit) und III (Irrealis der Vergangenheit oder
Unmöglichkeit). Dabei unterscheiden sich die Tempora (Plural von Tempus), d. h. die grammatikalischen Zeiten im Haupt- und im
Nebensatz (wenn-Satz), der die Bedingung angibt.
Bezeichnung der Form Tempora Beispiel
Realis der Gegenwart Präsens oder Futur I Wenn sie kommt, werde ich mit ihr sprechen.
Irrealis der Gegenwart Konjunktiv II im Präteritum Wenn sie käme, würde ich mit ihr sprechen/spräche ich mit ihr.
Irrealis der Vergangenheit Konjunktiv II im Plusquamperfekt Wenn sie gekommen wäre, hätte ich mit ihr gesprochen.
3 Modalverben im Deutschen sind z.B.: können, dürfen, müssen, sollen, wollen, mögen. Sie modifizieren ein Vollverb dahingehend, dass
sie ausdrücken, ob die Handlung z.B. möglich, gewollt oder notwendig ist.
2. KAFKA Sprache in Kafkas "Verwandlung" FOS 2010 (schwe)
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Mögliche Fragen: Die Zweite
Welche sprachlichen Mittel verwendet Kafka auf Wort- und Satzebene, wo treten diese im
Einzelnen auf und welche Wirkung entsteht jeweils beim Leser?
Übungsangebot: Formulieren Sie einen zusammenhängenden Text (mit einem einleitenden Satz)
zur Beantwortung der Frage aus dem unten stehenden Schmierzettel. Achten Sie darauf, dass die
Frage nach der Wirkung auch beantwortet werden soll.
Sprachliche Mittel auf Wort- und Satzebene und wo sie auftreten
a) Wortebene: Wortwahl
• Adjektive zur Beschreibung von Gregors Aussehen und seiner Gefühlslage
• Verben zur Beschreibung von Gregors Bewegungen
• Schlüsselbegriffe „Reisen“ und „Chef“
b) Satzebene: Satzbau
• hypotaktischer Satzbau, beispielsweise zur näheren Beschreibung von Gregors Äußerem
"Und während Gregor dies alles hastig ausstieß und kaum wußte, was er sprach, hatte er sich leicht,
wohl infolge der im Bett bereits erlangen Übung, dem Kasten genähert und versuchte nun, an ihm sich
aufzurichten."
• parataktischer Satzbau, beispielsweise zur Beschreibung der rasch aufeinander folgenden
Gedanken Gregors
c) Wortebene: Sprachlich-stilistische (rhetorische) Mittel
• Alliteration und Antithese zur Beschreibung von Gregors Äußerem
• Rhetorische Frage zur Darstellung der „nüchternen“ Reaktion Gregors auf seine Verwandlung
• Parenthesen, Personifikationen, Anapher, rhetorische Frage und Ausruf zur Beschreibung
von Gregors hartem Berufsleben
• Ausrufe, Antithese zur Verdeutlichung von Gregors angespannter Lage
• Antithese, Metapher und Parallelismen zur näheren Beschreibung des Verhältnisses zu
seinem Chef
• Konjunktive als Ausdruck der Überlegungen Gregors in Bezug auf seine persönliche Zukunft
und die Reaktion des Chefs in Bezug auf sein Fernbleiben
• Alliteration, Parenthese und Anhäufung rhetorischer Fragen zur eindringlichen
Veranschaulichung der Reaktion Gregors auf das Erscheinen des Prokuristen.
etc. ...
Möglicher Ansatz als Beispiel zur Analyse der Sprache
Sprachstil4
Die sachlich- nüchterne Sprache steht in Kafkas Werk im scheinbar krassen Widerspruch zum Inhalt. Er verwendet Adjektive zur
detaillierten Beschreibung und stellt die Sprache in den Dienst einer neuen Expressivität mit starker Metaphorik, Doppeldeutigkeiten und
ungewöhnlichen, kafkaesken Wortverbindungen: "Gregor sah seinen gewölbten, braunen, von bogenförmigen Versteifungen geteilten
Bauch, auf dessen Höhe sich die Bettdecke, zum gänzlichen Niedergleiten bereit, kaum noch erhalten konnte."
Mit einer beinahe zoologischen Genauigkeit wird das neue Äußere Gregors beschrieben und die Dinge scheinen sich zu verselbstständigen.
Die umfangreichen Satzkonstruktionen (Parataxe, Hypotaxe) dienen der Anreicherung von Informationen oder schränken gewisse
Aussagen durch Einschübe ein.
Kafka bedient sich des Weiteren verschiedener Elemente des Komischen, Satirischen oder gar Grotesken, wobei hierdurch der Erzählung
die erdrückende Schwere genommen wird. Die Absurdität des Ganzen wird schon zu Beginn der Erzählung klar, als Gregor über Beruf sinnt
und ihn ein Blick auf Uhr mehr erschreckt als seine neue Gestalt.
Auch ist Kafka ein Meister der unterschwelligen Über- oder Untertreibungen, so bekommt die Schwester einen Weinkrampf, als die Mutter
Gregors Zimmer gesäubert hat.
4 http://www.schoolwork.de/kafka-verwandlung/sprachstil.php